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Teilbecken
Alpnacher-
see
Horwerbucht bis
Vitznauerbecken*
Gersauer-
becken Urnersee Total
Oberfläche 4.8 km258.9 km230.3 km222.0 km2116 km2
Teilvolumen
(0 bis 50 m) 103 Mio. m32 444 Mio. m31 422 Mio. m31 023 Mio. m34 992 Mio. m3
Wärmeinhalt
(0 bis 50 m, 0.5°C) 60 GWh 1 425 GWh 830 GWh 597 GWh 2 910 GWh
Leistung
(0 bis 50 m, 2’200 Std) 27 MW 650 MW 380 MW 270 MW 1 327 MW
* Horwerbucht + Kreuztrichter + Küssnachterbecken + Vitznauerbecken
Seewassernutzung ist ökologisch unbedenklich
Wärme- und Kühlenergie aus dem Vierwaldstättersee
Ein Kubikmeter Seewasser reicht aus, um einen Gebäude-Quadratmeter rund
zwei Tage lang zu beheizen. Der Vierwaldstättersee mit seinen fast zwölf Milli ar-
den Kubikmeter Wasser enthält also ein gewaltiges Wärmepotenzial. Wie lässt
sich dieses Potenzial im Einklang mit den ökologischen Vorgaben nutzen?
Die Wärmekapazität von Gewässern hat die Menschen
schon immer interessiert, beschränkte sich früher
aber auf das Konservieren von Speis und Trank. Erst
als im 19. Jahrhundert die Kälte- und Wärmemaschinen
erfunden wurden, setzte die technische Nutzung ein.
1938 wurde zum ersten Mal eine Flusswärme pumpe in
Betrieb genommen. Sie kühlte Wasser aus der Limmat
weiter ab und beförderte die auf diese Weise erzeugte
Wärme mittels elektrischer Energie ins Rathaus von
Zürich [Zogg 2008]. Im zweiten Weltkrieg wurden,
wiederum in Zürich, wegen der unsicheren externen
Energieversorgung mehrere Grossprojekte realisiert.
Das grosse Interesse an der Nutzung von Gewässern
zu Heiz- und Kühlzwecken ist jedoch jüngeren Datums,
motiviert vom politischen Willen, den Verbrauch an
fossiler Energie zu reduzieren.
Projekte an allen grossen Seen
Aufgrund ihrer exponierten Lage ist sie wohl die bekann-
teste Anlage ihrer Art: In St. Moritz werden seit 2007
das Badrutt’s Palace Hotel, ein Schulhaus und zwei
Mehrfamilienhäuser mit einer Wärmepumpe beheizt,
welche Wasser aus dem St.-Moritzer-See von vier auf
ein Grad Celsius abkühlt. Weitere wichtige Schweizer
Projekte sind die Wärme-Kälte-Nutzung des Campus
Uni/EPFL in Lausanne und von UNO-Gebäuden in Genf
(beide am Genfersee) sowie die Kühlung des Hochleis-
tungsrechenzentrums in Lugano (am Luganersee).
Zwar wurden bis heute nur wenige grosse Anlagen an
Schweizer Seen realisiert, doch sind an allen grossen
Seen Projekte in der Machbarkeits- oder Planungs-
phase. 2014 passte die Internationale Gewässerschutz-
kommission für den Bodensee ihre Richtlinien für die
Wärme-Kälte-Nutzung des Sees an. Im Rahmen der
Energiewende ist zu erwarten, dass das Wasser von
Seen künftig vermehrt zu Energiezwecken genutzt wird.
Im Sinne einer vorausschauenden Planung ist es ver-
nünftig, das Potenzial grosser Seen für die Wärme- und
Kühlenergienutzung abzuschätzen. Am Beispiel des
Bodensees hat die Eawag mit einer detaillierten Studie
untersucht, wie sich die Wassertemperaturen, die Dauer
und Stärke der saisonalen Dichteschichtung sowie die
Intensität der winterlichen Tiefenmischung bei einer
moderaten Wärmenutzung ändern würden [Fink et al.
2014]. Dabei zeigte sich, dass für einen realistischen
Bedarf - auch unter Einbezug von künftig wärmeren
Sommern - die zu erwartenden Veränderungen akzep-
tabel klein sind.
Wärmepotenzial
für die vier
Teilbecken des
Vierwaldstättersees
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Gewaltiges Potenzial
Die aktuelle Studie zuhanden der AKV widmet sich der
Frage, wie die Wärme- und Kältepotenziale des Vierwald-
stättersees möglichst nachhaltig und im Einklang mit den
gesetzlichen Gewässerschutzbestimmungen sowie den
ökologischen Vorgaben genutzt werden können. Konkret
wurden die Wärmenutzungspotenziale der einzelnen
Seebecken abgeschätzt und die kritischen Faktoren
identifiziert [Wüest und Fink 2014].
Das Besondere am Vierwaldstättersee ist seine durch
Schwellen und Verengungen bedingte Unterteilung in
Becken sowie die sehr flache Luzernerbucht. Konser-
vativ wurde angenommen, dass der Austausch zwi-
schen den Becken unbedeutend sei. Die Entnahme
von Wasser hat für den See an sich keine ökologische
Bedeutung, die flache Luzernerbucht ist im Sommer
jedoch zum Kühlen ungeeignet, weil der See bei der
Einleitung des Kühlwassers zu stark erwärmt würde.
Für die Heizsaison wurde angenommen, dass die
obersten 50 Meter des Sees – so tief wird der Vierwald-
stättersee selbst in milden Wintern durchmischt – um
maximal ein halbes Grad Celsius abgekühlt werden.
Das Limit von einem halben Grad wurde auch deshalb
bewusst zurückhaltend gewählt, um künftigen Generati-
onen Spielraum für weitere Nutzungen zu lassen.
Die unter diesen Annahmen resultierende nutzbare
Wärme ist aus der Tabelle links ersichtlich. Die gesamte
Wärmemenge von 2900 Gigawattstunden (GWh) ist
ein gewaltiges Potenzial. Zum Vergleich: Der Wärme-
bedarf von 100 000 Einwohnern beträgt aufgrund
von verschiedenen Schätzungen künftig rund 700 bis
900 GWh. Selbst wenn diese Menge nur dem westlichen
Teil des Sees entnommen würde, könnte damit der
gesamte Siedlungsraum am Vierwaldstättersee mit
Wärme versorgt werden. Für die Abschätzung des Kälte-
potenzials wurde angenommen, dass das See volumen
zwischen 20 und 40 Meter Tiefe ebenfalls um lediglich
Literatur
Fink G., M. Schmid, A. Wüest (2014).
Large lakes as sources and sinks of
anthropogenic heat: Capacities and limits.
Water Resources Research. 50: 7285–7301.
Wüest A. und G. Fink (2014). Potenzial
zur Wärme- und Kühlenergienutzung aus
dem Vierwaldstättersee – Machbarkeit.
Aufsichtskommission Vierwaldstättersee
(AKV) und Umwelt und Energie Kanton
Luzern, Dezember 2014.
Zogg, M. (2008). Geschichte der
Wärmepumpe – Schweizer Beiträge und
internationale Meilensteine.
Weitsichtig planen
Projekte sind anspruchsvoll
Die Nutzung von Seewasser zu Kühl- und Heizzwecken
birgt ein grosses Potenzial. Ziel der Kantone ist es,
dieses Potenzial zu nutzen. Gleichzeitig haben sie die
Aufgabe sicherzustellen, dass der Vierwaldstättersee
als Gewässer und Lebensraum keinen Schaden nimmt.
Aus diesem Grund geben die Kantone Rahmenbedin-
gungen vor, welche z.B. die Leitungsführung im See
und die maximal zulässige Veränderung der Wasser-
temperatur betreffen.
Investoren müssen nicht nur diese Rahmenbedingun-
gen einhalten. Grossprojekte erfordern von allen
Beteiligten (Kanton, Gemeinden und Investoren)
eine weitsichtige Planung und Koordination. Damit
wird gewährleistet, dass die erneuerbare Energie aus
dem Seewasser optimal genutzt und möglichst vielen
Interessierten zugänglich gemacht wird.
Historische Temperaturprofile von 1960 bis 1996 vom Kreuztrichter [Wüest und Fink 2014]
ein halbes Grad Celsius erwärmt werden darf. Das ge-
samte Kühlpotenzial des Vierwaldstättersees läge dann
bei rund 1100 GWh, was wiederum deutlich über einer
realistischen Nachfrage liegt.
Im Bereich von Zehntelgrad
Alles in allem kommt die Studie zum Schluss, dass die
«künstlichen» Wärmeflüsse sehr viel kleiner sind als die
natürlichen. Die Temperaturen würden nur im Bereich
von Zehntelgrad verändert. Ausserdem sind die Wärme-
und Kühlpotenziale des Vierwaldstättersees deutlich
grösser als der realistische Bedarf. Angesichts der künf-
tigen klimabedingten Erwärmung der Gewässer hätte
der Entzug von Wärme sogar eine positive (wenn auch
sehr bescheidene) Wirkung. Auch unter diesem Aspekt
kann die Nutzung von Seewasser zu Wärmezwecken
durchaus begrüsst werden.
Alfred Wüest , Eawag und EPFL
alfred.wueest@eawag.ch
1962 1965 1967 1970 1972 1975 1977 1980 1982 1985 1987 1990 1992 1995
Jahre
Tiefe (Meter)
Temperatur (°C)
0
-5
-10
-15
-20
-25
-30
-35
-40
-45
-50
20
18
16
14
12
10
8
6
4