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Stört das „hässliche“ Volk die „schönen“ Parks?
Ein Statement für die Behandlung von Gartendenkmalen als „offene
Kunstwerke“
Almut Jirku
Veröffentlicht in:
Stadt + Grün 58 (2009), H. 3, S. 9 – 12. Dort mit Abbildungen
Drei Begriffe in Buchtiteln Umberto Ecos
1
– „Schönheit“, „Hässlichkeit“ und „Offenes
Kunstwerk“ – hatten zum Thema der Tagung inspiriert. Diese drei Begriffe bestimmten auch
das Statement als Einstieg in die Diskussion, die am Ende der Tagung stand.
In Beziehung zu den aktuellen Debatten der Gartendenkmalpflege gebracht, stellte sich die
Frage, welche Möglichkeiten der Charakter von Gartendenkmalen als Kunstwerken in Bezug
auf ihre Nutzung eröffnet. Stört das hässliche Volk im schönen Park oder ist der Park ein
„offenes Kunstwerk“, dessen Interpretation sich weiter entwickeln kann bzw. das nicht auf
nur eine richtige Sichtweise festgelegt werden kann.
Das „offene Kunstwerk“ und das „Kunstwerk in Bewegung“
Der Begriff des ‚offenen Kunstwerks’
2
, der bereits früher in Zusammenhang mit
gartendenkmalpflegerischen Diskussionen gebracht wurde
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,bezieht sich nicht auf die
Struktur des Werkes an sich, sondern auf die Struktur der Rezeption, der Beziehung
zwischen Werk und Betrachter bzw. Interpret. „Im Grunde ist eine Form ästhetisch gültig
gerade insofern, als sie unter vielfachen Perspektiven angesehen und aufgefasst werden
kann und dabei eine Vielfalt von Aspekten und Resonanzen manifestiert, ohne jemals
aufzuhören sie selbst zu sein.... In diesem Sinne ist ein Kunstwerk ... offen, kann auf tausend
verschiedene Arten interpretiert werden, ohne dass seine irreproduzible Einmaligkeit davon
angetastet würde. Jede Rezeption ist eine Interpretation und eine Realisation, da bei jeder
Rezeption das Werk in einer originellen Perspektive neu auflebt (Eco 1973:30)“.
Ein Kunstwerk wird nach Eco gerade dadurch definiert, dass jeder Rezipient und jede Zeit
neue Fragen daran richten kann, die Zahl der möglichen Sichtweisen unendlich und offen ist.
Dies ist ja auch das immer neue Betätigungsfeld der Kunstgeschichte und der Kunstkritik.
Die Rezeptionsgeschichte
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von Werken, deren Untersuchung in der Literaturwissenschaft
bereits etabliert ist, ist in Bezug auf Gartenkunstwerke ein noch relativ neues Feld der
Forschung. Wie John Dixon Hunt
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am Beispiel von Stourhead darstellt, unterliegt die
Wahrnehmung von Parks und Gärten ähnlichen Veränderungen wie die von Büchern,
Bildern und Musik: „Der Reichtum eines Ortes wie Stourhead liegt gerade in seiner Fähigkeit,
ein weiteres Feld von Emotionen, Ideen, Geschichten zu provozieren und zu befördern, als
Henry Hoare und seine Familie zuerst oder der National Trust heute je antizipiert haben“
(Hunt 2004:205, Übersetzung d.V.).
Die Intention des Künstlers ist nur ein Faktor unter vielen; das, was ein Werk schon beim
zeitgenössischen Betrachter auslösen kann, ist oft viel mehr und eventuell auch etwas
anderes als das, was der Künstler bewusst bewirken wollte. Erst recht gilt dies für
nachfolgende Generationen, die aus ihrer Zeit heraus mit neuen Fragen und Interpretationen
an Werke herantreten. Das eben meint der Begriff „offenes Kunstwerk“, dass die
Interpretationsmöglichkeiten eines Kunstwerkes vielfältig und potenziell unerschöpflich sind,
ja, je weiter das Feld ist und je länger das Interesse an der Auseinandersetzung mit dem
Werk ist, desto bedeutender ist das Kunstwerk (Eco 1973:168)
6
.
Eco ergänzt den Begriff „offenes Kunstwerk“ noch um den des „Kunstwerk in Bewegung“,
das er am Beispiel Calders beschreibt (1973: 158). In diesen Kunstwerken ist die
Veränderung gleich mitgedacht bzw. bewusst angelegt. Auch Parks sind in Bewegung,
Pflanzen wachsen und vergehen, die Anlagen verändern sich durch das Licht im Laufe des
Tages, den Wandel der Jahreszeiten und durch Entwicklung über die Jahrhunderte. Ein
guter Entwurf bezieht diese Prozesse von Anfang an mit ein. Kein Gartenkünstler des
18.oder 19. Jahrhunderts hat die Landschaftsgärten in dem Reifezustand gesehen, den wir
jetzt erleben, sie haben ihn aber vorausgesehen. Es ist ja gerade ein wesentliches
Kennzeichen von Gartenkunstwerken, eins, das sie auch von Baudenkmalen unterscheidet,
dass sie sich in Jahres- und Wachstumszyklen verändern und erneuern.
Eine Form der Interpretation von Gartenkunstwerken liegt in der Art ihrer Nutzung.
Menschen bewegen sich in ihnen und verändern das Bild so ebenfalls zeitweise, für Stunden
oder auch Tage. Auch hier gilt, ganz besonders in den Landschaftsgärten, dass viele heutige
Nutzungen von den Entwerfern gar nicht antizipiert wurden. Dennoch sind sie möglich, und
das macht einen nicht unerheblichen Anteil an der besonderen Beliebtheit des
Landschaftsgartens beim breiten Publikum aus.
In den Diskussionen um das Verhältnis zwischen Nutzung und Denkmalschutz scheint in der
Gartendenkmalpflege jedoch die Tendenz wieder zuzunehmen, die Vielfalt der
Interpretationsweisen zu negieren, eine Sichtweise als die einzig richtige zu definieren, und
keine Veränderungen, auch keine nur zeitweise wirksamen und reversiblen, zuzulassen,
sondern das „offene Gartenkunstwerk“ einfrieren zu wollen. Im Grunde nimmt man ihm
gerade dadurch den Kunstcharakter. Wenn man das Werk „schließt“, die Vielfalt der
Sichtweisen beschneidet, wird das lebendige Kunstwerk zum toten Museumsstück.
Das „offene Kunstwerk“, das hässliche Volk und der schöne Park
Vor allem muss das Gartenkunstwerk offenbar vor dem hässlichen Volk bewahrt werden,
das auf Rasenflächen sitzen will und dadurch das Bild verunstaltet. Es ist eine Jahrtausend
alte Tradition, die plebs communis, das gemeine Volk, als vulgär und hässlich, von niederen
Instinkten beherrscht zu beschreiben. So halten sich die höheren Schichten diejenigen vom
Leibe, die sie wegen ihrer Vitalität und Unberechenbarkeit fürchten, aber auch beneiden.
Die Art und Weise, wie das Volk Parkanlagen nutzt, wird letztendlich kritisiert, weil sie
unästhetisch ist, zu körperlich und genusssüchtig und zu wenig vergeistigt. Das „hässliche“
Volk nimmt den Park einfach als eine Möglichkeit, sinnliche Genüsse zu erleben, Sonne auf
der Haut, Gras unter den Füßen, Freude an der körperlichen Bewegung usw.
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„Die Negation des niederen, groben, vulgären, wohlfeilen, sklavischen, mit einem Wort:
natürlichen Genusses, diese Negation, in der sich das Heilige der Kultur verdichtet,
beinhaltet zugleich die Affirmation der Überlegenheit derjenigen, die sich sublimierte,
raffinierte, interesselose, zweckfreie, distinguierte, dem Profanen auf ewig untersagte
Vergnügen zu schaffen wissen“ (Bourdieu 1984:27)
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.
Ein Park kann auf mehrere Weisen erlebt werden, er ist zudem ein Werk der angewandten
Kunst wie die Architektur und hat zunächst auch funktionale Aufgaben, soll der Erholung
dienen, sei es durch ruhigen Naturgenuss oder körperliche Betätigung. Kein Denkmal ist als
Denkmal geplant. Die zweite Funktion kommt hinzu, die ästhetisch/symbolische. Auch in ihr
gibt es mehrere Abstufungen, die vom Vorwissen des Wahrnehmenden abhängen, von der
Freude an der Schönheit der Natur bis hin zur Wahrnehmung der gesamten kulturhistorisch
angelegten Ikonographie und Symbolik. Das gesamte Spektrum des Möglichen werden nur
sehr wenige Besucher, solche mit umfangreicher Vorbildung, erleben
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. Ist es wirklich
gerechtfertigt, allen anderen ihre Erlebnisweise zu verbieten, damit die „happy few“ das reine
Bild ungestört vom hässlichen Volk erleben können? (Und möchten das nicht nur einige
wenige unter ihnen?) Wohl kaum, zumal diese „störenden“ Nutzungen nach Tages- und
Jahreszeit nur begrenzt anzutreffen sind und die Puristen ihr Bild wiederhaben, sobald das
Volk nach Hause geht.
Die Frage, was Schönheit ist, ist ohnehin mindestens so schwierig wie die Frage, was
Wahrheit ist. Auch das Schönheitsverständnis ist einem steten Wandel unterworfen, ist von
Kultur zu Kultur unterschiedlich und wird auch innerhalb von Kulturen von verschiedenen
Lebensstilgruppen unterschiedlich gesehen. Während manche größere
Menschenansammlungen im Park als störend empfinden, freuen sich viele andere gerade an
lebendigem Treiben und sehen es als ein wesentliches Element des Parkbesuches an, ganz
besonders auch auf Reisen. Dies zeigt schon der Bericht von einer DGGL-Exkursion, die in
den 1920er-Jahre in den Hyde Park in London führte und das dortige Treiben als vorbildlich
befand: „Alles ging über den Rasen, auf dem Rasen spielte sich das ganze Parkleben ab ...
Kurzum man hat das Gefühl, der Park wird bewohnt, nicht nur zum Spazierengehen benutzt.
.... Ja, es könnte auch bei uns gehen.“ (Hoemann, in: Richard 1984:313)
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.
Zwar werden oft Fragen der Ökologie und der Pflege vorgeschoben, um unliebsame
Nutzungen zu unterbinden, doch diese Argumente sind in der Regel schnell widerlegt.
Hartnäckiges Fragen fördert dann zu Tage, dass es letztendlich darum geht, dass das Bild,
das sich manche Vertreter der Gartendenkmalpflege von „ihrem“ Park gemacht haben,
gestört und verunstaltet wird, wenn die Besucher sich z. B. in Sichtachsen auf den Rasen
setzen. Eine zeitweise „Bildstörung“ ist aber keine Zerstörung.
Das lästige Volk ist seit der Abschaffung der Monarchie nun mal Eigentümer der Parks. In
einer vordemokratischen Gesellschaft war es noch möglich, die Sicht der jeweils
Herrschenden als die verbindliche festzuschreiben, in einer demokratischen Gesellschaft
entbehrt dies jeder Legitimation. Nutzungsregeln sind auszudiskutieren, nicht zu diktieren.
Jede Erlebens- und Sichtweise ist legitim.
Ohnehin stellt sich die Frage, worauf sich der besondere Schutz in Gartendenkmalen
bezieht. Geschützt ist doch nicht der einzelne Grashalm oder das einzelne Blatt, sondern die
Linienführungen und die Raumbilder, das Verhältnis von offenen zu geschlossenen
Bereichen und Ähnliches mehr. Gras ist gerade ein Symbol für Vergänglichkeit
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und wächst
schnell nach. Selbst wenn es kurzfristig beschädigt werden sollte, geht das noch nicht an die
Substanz eines Denkmals
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.
Wirkliche Zerstörungen sind weder in Gartendenkmalen noch in anderen Parks
hinzunehmen. Gepflegt werden müssen auch alle Arten von Gartenkunstwerken, alte und
neue. Man sollte auch einmal bedenken, dass eine Denkmalliste nie abgeschlossen ist, und
weitere Gartendenkmale im wahrsten Sinne des Wortes „nachwachsen“, wenn man sie
entsprechend hegt. Die gegenwärtig geringe gesellschaftliche Wertschätzung von
Pflegearbeiten, die sich in den dafür vorgesehenen Haushaltsmitteln ausdrückt, geht an die
Substanz alter und neuer Anlagen; an der Erhöhung ist insgesamt zu arbeiten. Es hilft nicht
weiter, Denkmale gegen „gewöhnliche“ Parks auszuspielen.
Tempora mutantur et nos mutamur in illis: die Zeiten ändern sich und wir ändern uns in
ihnen. Die Parke und ihre Nutzungen ändern sich auch, sie lassen sich nicht auf eine
Interpretation, eine Sichtweise festlegen. Wer das versucht, tut gerade das, was er
verhindern will: Er zerstört das Kunstwerk.
1
Umberto Eco: Das offene Kunstwerk. Frankfurt/M. 1973, 2. Auflage. Suhrkamp. Umberto Eco (Hg.):
die Geschichte der Schönheit. München 2004, Hanser Verlag. Umberto Eco (Hg.): Die Geschichte der
Häßlichkeit. München 2007, Hanser Verlag.
2
Umberto Eco: Das offene Kunstwerk. Frankfurt/M. 1973, 2. Auflage, suhrkamp.
3
Ingo Kowarik / Almut Jirku: Rasen im Spannungsfeld zwischen Erholungsnutzung, Ökologie und
Gartendenkmalpflege, Teil 1: Untersuchungskonzeption und Vegetationsanalysen
in: Das Gartenamt 37 (1988), H.10, S. 645 - 654.
Almut Jirku/ Ingo Kowarik: Rasen im Spannungsfeld zwischen Erholungsverhalten, Ökologie und
Gartendenkmalpflege, Teil 2: Untersuchungen zum Erholungsverhalten und Einordnung der
Ergebnisse. In: Das Gartenamt 37 (1988), H.12, S. 777 - 789.
Lionella Scazzosi: Il Giardino opera aperta, la conversazione delle architetture vegetali. Florenz 1993.
Zitiert in: Brigitt Siegl, Erik A. de Jong, Erika Schmidt: „Qsie hatten nicht unter einer Glasglocke
gestanden, sondern im lebendigen Strom der Geschichte“. In: dieselben: Der Garten – ein Ort des
Wandels. Perspektiven für die Denkmalpflege. Zürich 2006, Hochschulverlag.
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Rezeptionsgeschichte erforscht den Wandel in den Interpretationen, in den Wirkungen und in den
Sichtweisen in Bezug auf Kunstwerke im Laufe der Zeit.
5
John Dixon Hunt: The Afterlife of Gardens. London 2004, Reaction Books. Es ist sicher kein Zufall,
dass gerade Hunt, der aus der Literaturwissenschaft kommt, sich dieser Frage annimmt
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Das soll das folgende Zitat von Ben Jonson über die Bedeutung von Shakespeare im Vergleich mit
seinen literarischen Zeitgenossen, heute zum Teil vergessen, ausdrücken: He is not of an age, but for
all time!
7
Vgl. dazu Bourdieu 1984, Fußnote 8 und Werner Nohl: Freiraumarchitektur und Emanzipation.
Frankfurt/M., Bern, Cirencester 1980, Peter D. Lang Verlag.
8
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt/M. 1984, suhrkamp.
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Im Übrigen ist die Trennung zwischen – höherwertigem – geistigen und – niederem –körperlichen
Erleben so nicht aufrecht zu erhalten. Vgl. dazu: Jürgen Hasse: Changierende Stadtleiber. Für die
strukturelle Erweiterung einer Kritik der Stadt. Wolkenkuckucksheim, 7, H.1, September 2002.
http://www.tu-cottbus.de/BTU/Fak2/TheoArch/wolke/deu/Themen/021/Hasse/Hasse.htm,18.1.2009.
10
Winfried Richard: Vom Naturideal zum Kulturideal. Ideologie und Praxis der Gartenkunst im
deutschen Kaiserreich. Berlin 1984, Technische Universität Berlin. Schriftenreihe
Landschaftsentwicklung und Umweltschutz.
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„Tausend Jahre sind vor Dir wie ein Tag, der gestern vergangen ist Q gleich wie ein Gras, das doch
bald welk wird, dass da frühe blüht und bald welk wird und des Abends abgehauen wird und verdorrt“
(Psalm 90).
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Vergleiche dazu die Ausführungen von Ronald Clark während dieser Tagung.