Content uploaded by Carsten Mohs
Author content
All content in this area was uploaded by Carsten Mohs on Dec 07, 2017
Content may be subject to copyright.
Intuitivität: definierbar, beeinflussbar, überprüfbar!
Dipl.-Ing. C. Mohs, Dipl.-Psych. J. Hurtienne, ZMMS TU-Berlin
Dipl.-Ing. D. Scholz, Prof. Dr.-Ing. M. Rötting, FG MMS TU-Berlin
Kurzfassung
Die Begriffe Intuition, intuitiv und Intuitivität werden häufig gebraucht, um bestimmte Aspekte
der Bedienung technischer Systeme und gleichzeitig eine gewisse Eigenschaft dieser
Systeme zu beschreiben, obgleich noch kein Einvernehmen über Inhalt, Bedeutung und
Operationalisierung dieser Begriffe existiert. Der Beitrag präsentiert eine Definition des
Begriffs Intuitivität und stellt ein Kriteriensystem zur Bewertung von Intuitivität vor, welches
aus den Ergebnissen einer Expertenbefragung, einer Benutzerbefragung sowie einer
umfangreichen Literaturanalyse abgeleitet wurde. Darauf aufbauend wird das Konzept des
zweistufigen Evaluationsinstrumentes Evalint erläutert.
1. Einleitung
Sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der Populär-Literatur findet man den Begriff der
„intuitiven Benutzung“. So gibt es das „selbsterklärende Fahrerassistenzsystem, welches
idealerweise intuitiv vom Fahrer genutzt werden kann“ [1], wissenschaftliche Beiträge mit
dem Titel „Intuitive Benutzungsoberflächen für mobile Assistenzsysteme“ [2] oder die
Erkenntnis von Auto-Interieur-Designern in auto motor und sport: „Wir müssen eine
möglichst intuitive Bedienung anbieten.“ [3]. Allen diesen Aussagen ist gemein, dass sie den
Begriff „intuitiv“ in Zusammenhang mit einer einfachen Benutzbarkeit technischer Geräte
setzen und wie selbstverständlich als Eigenschaft der Interaktion mit einem Objekt ansehen.
Zunächst ist festzuhalten, dass nur Informationsverarbeitungsvorgänge des Menschen als
„intuitiv“ bezeichnet werden können und nicht technische Systeme die Eigenschaft besitzen,
„intuitiv“ zu sein. Entsprechend kann von „Intuitivität“ ausschließlich im Gesamtkontext von
Aufgabe, Benutzer, Umwelt und technischem System gesprochen werden, d.h. nur der
Interaktion eines Benutzers in einem bestimmten Zielerreichungskontext kann Intuitivität zu-
oder abgesprochen werden.
In diesem Beitrag möchten wir eine Definition von „intuitiver Benutzung“ vorstellen,
untersuchen, (a) welches Verständnis (naive) Benutzer von „intuitiver Benutzung“ haben, (b)
wie Experten auf dem Gebiet Mensch-Maschine-Systeme den Begriff – insbesondere im
Verhältnis zu den Usability-Kriterien der DIN EN ISO 9241-10 [4] – einordnen, (c) welche
Kriterien aus der Literatur zur Gestaltung und Evaluation von Mensch-Maschine-Systemen
eine Rolle spielen und (d) daraus abgeleitete Instrumente zur Analyse der Intuitivität durch
Entwickler und Benutzer vorstellen.
2. Definition Intuitivität
Ein technisches System ist intuitiv benutzbar, wenn es durch nicht bewusste Anwendung von
Vorwissen durch den Benutzer zu effektiver Interaktion führt. [5]
Für eine ausführlichere Diskussion der einzelnen Bestandteile der Definition siehe Mohs et
al. [5]. Hier soll auf zwei Aspekte eingegangen werden.
Erstens, diese Definition von Intuitivität bezieht sich auf das Interaktionsproblem im Umgang
mit technischen Systemen, nicht jedoch auf die Lösung des Sachproblems (vgl. [6]). Dabei
wird angenommen, dass intuitive Lösungen des Interaktionproblems benutzerseitig erheblich
weniger (mentale) Ressourcen beanspruchen als nicht intuitive, und die verbleibenden
Ressourcen zur Lösung des Sachproblems genutzt werden können.
Zweitens, Vorwissen kann auf verschiedenen Stufen angesiedelt sein. So gibt es (relativ spät
im Leben) erworbenes Wissen im Umgang mit komplexen Werkzeugen oder Spezialsoftware
(z.B. CATIA, Abkantpresse, SAP R/3). Wenn die Anwendung dieses Wissens hoch
automatisiert erfolgt, ist der Einsatz dieses Wissens nicht mehr bewusstseinspflichtig und
man kann nach obiger Definition der Interaktion „Intuitivität“ bescheinigen. Die „intuitive
Benutzung“ würde dann nur durch neue oder unvorhergesehene Bedienschritte (z.B. bei
Fehlern) unterbrochen. Dies ist eine nicht selten zu findende Sichtweise des Begriffes:
Intuitivität als hoch routinierte und automatisierte Anwendung von Spezialwissen bei der
Interaktion.
Weit häufiger aber bedeutet „intuitive Benutzung“, dass möglichst viele Menschen mit
unterschiedlichem Vorwissen ein System ohne Lernaufwand benutzen können. Ein gängiger
Ausdruck ist „etwas, das auch meine Großeltern verstehen“ (wahlweise „der Mensch von der
Strasse“). Will man intuitive Benutzung in diesem Sinne gestalten, muss man auf Vorwissen
zurückgreifen, das von allen bzw. möglichst vielen Menschen geteilt wird. Dazu gehören
angeborene Reflexe wie auch sehr früh erlernte Konzepte aus Interaktionen mit der
physischen Welt, die auf das Denken über abstrakte Konzepte übertragen werden [7]. Auf
einer Stufe weiter oben stehen so genannte „Kulturtechniken“, wie Lesen und Schreiben,
Fahrrad fahren oder die Kenntnis der Ampelfarben. Solches früh erworbene und häufig
angewandte Vorwissen, das möglichst vielen Menschen gemein ist, sollte nach unserer
Meinung eher die Grundlage für die Intuitivität technischer Produkte bilden.
Die Beschränkung auf früh erworbenes und häufig benutztes Vorwissen hat auch den
Vorteil, dass in Situationen mit hoher mentaler Belastung im Zweifel ein Fall-back auf dieses
Wissen mit höherfrequenten Enkodiergelegenheiten stattfindet.
3. Intuitivität aus Benutzersicht
Im Vorfeld der Definitionsentwicklung befragten wir vorher nicht instruierte (d.h. naive)
Benutzer, was sie unter intuitiver Bedienung verstehen und baten sie anschließend um ihre
Meinung zu 31 formulierten Aussagen zur Intuitivität. Insgesamt wurden 22 Personen
(darunter 10 Frauen) befragt, der Alterdurchschnitt lag bei 38,7 Jahren. Bei der Auswahl
wurde auf Heterogenität bzgl. Bildungsgrad und Beruf geachtet.
Die Antworten auf die Frage „Was verstehen Sie unter intuitiver Bedienung?“ waren breit
gestreut. Häufige Aussagen waren „gefühlsmäßiges Handeln / Bedienung aus dem Bauch
heraus“ und „ohne Anleitung / Erklärung bedienen“ (jeweils 4 Nennungen). Diese und andere
Aussagen wie „ohne großes Überlegen / ohne Nachdenken“, „Routine“ und „automatisches
Bedienen“ deuten darauf hin, dass intuitives Handeln kein kognitiv beanspruchender Prozess
(mehr) ist, sondern fertigkeits- und vielleicht noch regelbasiert abläuft. Aussagen wie “die
Fähigkeit, etwas sofort richtig bedienen zu können“ weisen darauf hin, dass durch Intuitivität
eine externe Hilfe entbehrlich wird. Zweimal war die Rede von „logischer Bedienung“ und
„logischem Empfinden“ („logisch“ meint hier vermutlich „erwartungskonform“: etwas, was sich
nicht so verhält, wie man es erwartet, wird umgangssprachlich auch als „unlogisch“
bezeichnet). Weitere Aussagen wie „etwas ausprobieren“ oder „nicht Denken: Machen“
hingegen stellen Forderungen dar, die sich auf die Experimentierförderlichkeit eines
Produktes bezieht (s.u.).
Tabelle 1 enthält die Ergebnisse zu ausgewählten Aussagen über Intuitivität (viele Fragen
wurden nur der Hälfte der Teilnehmer gestellt). Die befragten Benutzer scheinen dem Begriff
nicht misstrauisch gegenüber zu stehen. Die Antworten auf die Items (8) „Intuitivität ist reine
Spekulation und bringt mich nicht weiter“ und (9) „Intuitive Schlüsse sind meist voreilig und
leiten bei der Bedienung neuer Geräte in die falsche Richtung“ zeigen, dass der Begriff von
den Benutzern durchaus ernst genommen wird und Intuition bei der Benutzung technischer
Produkte grundsätzlich nicht zu voreiligen bzw. irreführenden Schlüssen führt. Weiter findet
man starke Zustimmung zu Aussagen wie (1) „Intuitivität heißt, ohne Nachdenken ,aus dem
Bauch heraus’ zu entscheiden.“ Hier spiegelt sich das Unbewusste, das „nicht bewusst
Erklärbare“ der Intuitivität wider. Bei der eher auf Wahrnehmung gerichteten Aussage (2)
„Intuitivität heißt, etwas ohne bewusstes Nachdenken wieder zu erkennen“ war der Grad der
Zustimmung nicht ganz so stark. Der Bezug zum Vorwissen wird durch Item (4) „Intuitivität ist
Anwendung bereits gemachter Erfahrungen in einem neuen Zusammenhang.“ bestätigt. Ein
weiterer Aspekt ist das Instantane der Intuitivität bei Item (3) („sofort verständlich“). Nicht nur
beim Erstkontakt mit einem System, sondern auch bei wiederholter aber unregelmäßiger
Benutzung und sogar bei bekannten Systemen spielt Intuitivität für Benutzer eine Rolle
(Aussagen 5 bis 7). Das steht im Widerspruch zur manchmal in der Literatur vorgefundenen
Beschränkung auf den Erstkontakt und die initiale Lernphase mit einem technischen System.
Intuitivität scheint auch nicht nur auf simple Produkte beschränkt (10) und sie wird generell
als attraktivitätsfördernd gesehen (11). Gleichwohl dürfte klar sein, dass Intuitivität nicht das
Allheilmittel sein dürfte und sich Produktentwickler weiterhin um die ganz normale Usability
ihrer Produkte Gedanken machen müssen.
Tabelle 1: Ausgewählte Ergebnisse einer Befragung von naiven Benutzern zur Intuitivität.
Modalwerte sind farbig hervorgehoben.
n
voll da-
gegen
(-2)
eher da
gegen
(-1)
teils
teils
(0)
eher
dafür
(+1)
voll
dafür
(+2)
MW Std.-
abw.
1. Intuitivität heißt, ohne Nachdenken „aus
dem Bauch heraus“ zu entscheiden. 22 0 0 1 4
17 1,7 0,5
2. Intuitivität heißt, etwas ohne bewusstes
Nachdenken wieder zu erkennen. 22 0 3 6 3
10 0,9 1,1
3. Intuitiv heißt „sofort verständlich“ und
damit sofort bedienbar. 11 0 1 3 2 5 1,0 1,1
4. Intuitivität ist Anwendung bereits
gemachter Erfahrungen in einem neuen
Zusammenhang. 11 1 0 2 3 5 1,0 1,2
5. Intuitivität hilft mir auch, wenn ich ein
System eher unregelmäßig benutze. 11 0 0 1 4 6 1,4 0,6
6. Intuitivität erleichtert die Bedienung
neuer Geräte. 11 0 0 1 3 7 1,5 0,6
7. Auf Intuitivität ausgelegte Bedienung ist
auch dann effizient (trägt auch dann zu
schneller und fehlerfreier Aufgabener-
füllung bei) wenn ich das System schon
kenne.
11 1 0 0 3 7 1,3 1,2
8. Intuitivität ist reine Spekulation und
bringt mich nicht weiter. 11 8 3 0 0 0 -1,7 0,4
9. Intuitive Schlüsse sind meist voreilig
und leiten bei der Bedienung neuer
Geräte in die falsche Richtung. 11 5 3 3 0 0 -1,2 0,8
10. Durch mehr Intuitivität könnte auch ein
komplexes System einfacher bedient
werden. 11 0 0 1 7 3 1,1 0,6
11. Mehr Intuitivität würde konsequent
angewandt viele technische Geräte
attraktiver machen. 11 0 0 1 8 2 1,0 0,5
Fasst man die Ergebnisse zusammen, so lässt sich feststellen: Der naive Benutzer hat eine
Vorstellung von der „intuitiven Bedienung“, die mit der getroffenen Definition von Intuitivität
hinsichtlich der Unbewusstheit, des Nicht-Nachdenkens und dem Bezug zum Vorwissen in
Einklang steht.
4. Intuitivität aus Sicht von Experten für Mensch- Maschine-Systeme
Der Bezug von Intuitivität zu den gängigen Kriterien der Usability, wie sie z.B. in der DIN EN
ISO 9241-10 [4] definiert sind, interessierte uns genauer und wir nutzten einen Workshop auf
der Frühjahrsschule des ZMMS der TU Berlin zu einer Expertenbefragung. Insgesamt
nahmen daran 24 Experten aus den Gebieten Mensch-Maschine-Systeme, Ergonomie bzw.
Usability teil (Erfahrung auf dem Gebiet: Mittelwert=5,7 Jahre, Standardabweichung=2,7).
Ihnen wurde obige Definition für Intuitivität präsentiert und die sieben Prinzipien der DIN EN
ISO 9241-10 in Erinnerung gerufen. Im Folgenden sollten sie in einem Fragebogen
einschätzen, in welchem Verhältnis diese Kriterien zur Intuitivität stehen (1=„sehr ähnlich“ bis
5=„gar nicht ähnlich“) und welche weiteren Konzepte im Umfeld von Intuitivität eine Rolle
spielen.
Nach Meinung der Experten hat die Erwartungskonformität die größte Ähnlichkeit zur
Intuitivität (M=1,4, S=0,8). Auch die Selbstbeschreibungsfähigkeit (M=2,0, S=1,3) und, etwas
weniger, die Aufgabenangemessenheit (M=2,5, S=1,2) haben starke Ähnlichkeit zur
Intuitivität. Die Ähnlichkeit der übrigen Kriterien Steuerbarkeit (M=3,3, S=1,2), Lernförderlich-
keit (M=3,6, S=1,2), Fehlertoleranz (M=3,8, S=1,1) und Individualisierbarkeit (M=4,0, S=1,0)
zur Intuitivität wurde dagegen nur mittel bis schwach eingeschätzt.
Affordances, Analogieschluss, Ästhetik, Benutzbarkeit, Bewusstheit, Buzzword Design,
Einfachheit, Feedback auf Input, geringer Erinnerungsaufwand, Gestaltgesetze,
hedonistisches Design, H-Metapher, implizites Gedächtnis, Innovativität d. Bedienkonzepte,
Joy of Use, KISS - keep it simple 'n stupid, Kognition, Kompatibilität, Komplexität,
Konsistenz, Mappings, Maß für erfolgreiche Bedienung, Natural mapping, Neuartigkeit,
Nützlichkeit / Funktionalität, prozedurales Wissen, Standardisierung, Stereotypen,
Strategisches Denken / Problemlösen, trail&error Fähigkeit, Transferleistung, Transparenz,
Trust, Vertrautheit, Voraussetzungsarmut, Zufriedenheit des Nutzers
Bild 1: Weitere Konzepte, die aus Expertensicht im Verhältnis zur Intuitivität stehen. Häufig
übereinstimmend genannte Konzepte sind fett markiert.
Welche anderen Konzepte außerhalb der ISO-Normkriterien spielen eine Rolle? Bild 1 listet
alle Konzepte auf, die genannt wurden. Insgesamt boten diese zusätzlich genannten
Kriterien eine Mischung aus Designprinzipien (z.B. Affordances, Gestaltgesetze,
Kompatibilität), Wirkungen von Intuitivität (z.B. Joy of Use, Vertrautheit, Zufriedenheit) und
Kriterien, die Komponenten des Wirkungsprozesses intuitiv benutzbarer Interfaces
bezeichnen (z.B. Analogieschluss, implizites Gedächtnis, prozedurales Wissen).
Fassen wir zusammen: Elemente unserer Definition von Intuitivität lassen sich in den
Beschreibungen naiver Benutzer und den Einschätzungen verschiedener Aussagen
wiederfinden. Aus den Ergebnissen der Expertenbefragung stellen wir große
Überschneidungen mit den ISO-Normkriterien Erwartungskonformität,
Selbstbeschreibungsfähigkeit, und (zu geringerem Maße) Aufgabenangemessenheit fest.
Jedoch gibt es weitere Konzepte, die viel mit Intuitivität zu tun haben und daher beachtet
werden müssen. Unsere prozesszentrierte Definition benötigt eine Ergänzung um
Designprinzipien und Erfolgsskriterien, die in der Praxis genutzt werden können. Erste
Arbeiten dazu sollen im Folgenden vorgestellt werden.
5. Kriterien für Intuitivität
Grundlage für die Erstellung von Intuitivitätskriterien bietet das Ergebnis einer
Literaturrecherche unter Einbeziehung von Normen, Kriteriensystemen und Empfehlungen
zur benutzergerechten Interface- und Dialoggestaltung (z.B. [4, 8-11], für weitere Angaben
siehe [12]). Somit ergab sich zunächst eine Gesamtzahl von 83 Benutzbarkeitskriterien. 52
davon wurden als ‚relevant für Intuitivität’ eingestuft. Mit dem Ziel einer möglichst
universellen Anwendbarkeit des Kriteriensystems für sämtliche Mensch-Technik-
Schnittstellen wurden anwendungs- bzw. kontextspezifische Kriterien nicht berücksichtigt.
Anhand der vorliegenden Kriterien aus der Literatur, der Ergebnisse der Expertenbefragung
und der in der Begriffsdefinition beschriebenen Merkmale intuitiver Bedienung wurden
schließlich die in Tabelle 2 aufgeführten Kriterien der Intuitivität abgeleitet, welche im
Folgenden näher erläutert werden. Diese sind differenziert nach Gestaltungskriterien, welche
direkt im Entwicklungsprozess berücksichtigt und überprüft werden und Erfolgskriterien,
anhand welcher sich die aus der Gestaltung resultierende Interaktion mit dem System z.B.
durch Benutzerbefragung bewerten lässt.
Tabelle 2: Kriterien der Intuitivität
Gestaltungskriterien Erfolgskriterien
Kompatibilität Wahrgenommene kognitive Beanspruchung
(Leichtigkeit)
Konsistenz (innere und äußere) Wahrgenommene Fehlerrate
Gestaltgesetze Wahrgenommene Zielerreichung
Rückmeldungen Wahrgenommener Lernaufwand
Selbstbeschreibungsfähigkeit
Affordances (real und wahrgenommen)
Experimentierförderlichkeit
Beginnen wir mit den Gestaltungskriterien. Ein wichtiges und häufig erwähntes Prinzip der
Benutzbarkeit ist Erwartungskonformität. Da dieses jedoch ähnlich vielschichtig ist, wie das
Intuitivitätskonzept selbst, wurde es durch die in Zusammenhang mit der
Erwartungskonformität stehenden Einzelkriterien Konsistenz, Kompatibilität und
Rückmeldungen in das Kriteriensystem integriert.
Kompatibilität: In dem Kriterium Kompatibilität wird die eindeutige Zuordnung bzw.
Entsprechung (Mapping) einerseits von zueinander in Beziehung stehenden Objekten oder
Modellen innerhalb eines Interfaces hinsichtlich ihrer statischen und dynamischen
(veränderlichen) Eigenschaften (physische Kompatibilität) und andererseits zwischen
Interfaceobjekten und dem mentalen Benutzungsmodell des Benutzers (kognitive
Kompatibilität). Ein Beispiel für physische Kompatibilität wäre die Navigation innerhalb eines
kreisförmigen Menüs mittels eines Drehknopfes. Kognitive Kompatibilität wäre beispielsweise
durch die Aufwärtsbewegung eines Schiebereglers zur Erhöhung der Lautstärke gegeben.
Konsistenz: Bezüglich der Konsistenz von User Interfaces wird zwischen innerer und
äußerer Konsistenz unterschieden. Innere Konsistenz beschreibt die Gleichartigkeit und
Regelmäßigkeit von Interaktionsschemata (d.h. Interaktionsparadigmen, die sich aus der
Gestalt und Funktionsweise eines Eingabeelementes in Verbindung mit der entsprechenden
Rückmeldung bzw. Ausgabe ergeben) innerhalb eines als zusammenhängend zu
betrachtenden Systems. Für äußere Konsistenz gilt entsprechendes für
Interaktionsschemata unterschiedlicher Systeme in als vergleichbar angesehenen
Interaktionssituationen.
Gestaltgesetze: Das Kriterium Gestaltgesetze betrifft die Befolgung grundlegender
wahrnehmungspsychologischer Prinzipien, wie sie zum Beispiel von Koffka beschrieben
wurden [8]. Die Berücksichtigung von Gestaltgesetzen bedingt das entsprechend nicht
separat aufgeführte Kriterium der Übersichtlichkeit [9].
Rückmeldungen: Allgemein ausgedrückt, sollen sämtliche Bedienelementverhaltensweisen,
Eingabebestätigungen und Systemantwortzeiten so ausgelegt sein, dass sie vom Benutzer
gar nicht bewusst als gestaltete Rückmeldungen wahrgenommen werden, sondern vielmehr
als selbstverständliche (natürliche) Systemreaktionen eine Voraussetzung darstellen, die
erfüllt sein muss, um beim Benutzer nicht nach korrekter Handlung dennoch Ungewissheit
über das Ergebnis der Interaktion hervorzurufen. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn
nach Start der Routenführung in einem Navigationssystem keine Rückmeldung erfolgt, dass
die Routenführung aktiv ist und das zum aktuellen Zeitpunkt auch nicht anhand einer
Fahranweisung deutlich wird.
Selbstbeschreibungsfähigkeit: Abweichend von der Fassung der DIN 9241-10 [4] zum
Grundsatz „Selbstbeschreibungsfähigkeit“ der Dialoggestaltung ist in Bezug auf die
Intuitivität von User Interfaces das Kriterium Selbstbeschreibungsfähigkeit beschränkt auf die
direkte Wahrnehmbarkeit der Bedeutung und Funktion von Interfaceelementen ohne
Notwendigkeit von Interaktionen zur Klärung. Die Notwendigkeit einer ‚Erklärung auf Anfrage’
gemäß DIN 9241-10 (zum Beispiel durch Aufrufen eines Tooltips) wäre in diesem Sinne nicht
selbstbeschreibungsfähig.
Affordances: Das Konzept der Affordances wird in Anlehnung an des Verständnis von
Norman verwendet [10]. Entsprechend wird unterschieden in reale Affordances und
wahrgenommene Affordances, wobei Norman bei realen Affordances dem Affordance-Begriff
von Gibson [11] folgt, jedoch unter wahrgenommenen Affordances einen Effekt beschreibt,
welcher nicht auf der rein physikalischen Erscheinung eines Objektes basiert, sondern auf
der Wahrnehmung realer oder modellierter physikalischer Eigenschaften, einer grafischen
Darstellung beispielsweise, durch den Benutzer.
Experimentierförderlichkeit: Das Kriterium Experimentierförderlichkeit („trial and success“)
fasst die Aspekte Toleranz, Zugänglichkeit und Steuerbarkeit zusammen. Ein wichtiges
Beispiel für eine hohe Experimentierförderlichkeit ist die konsequent umgesetzte Möglichkeit,
Interaktionshandlungen rückgängig zu machen (undo). Weiterhin sieht der Aspekt der
Toleranz in diesem Sinne vor, aus Entwicklersicht unlogische oder nicht sinnvolle Wege nicht
als Fehler zu behandeln, sondern konstruktive Auswege zu bieten.
Nun zu den Erfolgskriterien.
Leichtigkeit: Ein wesentliches Merkmal intuitiver Interaktionen ist, gemäß der angewendeten
Definition von Intuitivität, die Informationsverarbeitung unter Umgehung bewusstseins-
pflichtiger Kognition. Aus Sicht der Benutzer drückt sich dieses Merkmal durch die
Wahrnehmung einer gewissen Leichtigkeit bzw. Unbeschwertheit der Interaktion aus.
Wahrgenommene Fehlerrate und Wahrgenommene Zielerreichung: Im Sinne der Definition
ist intuitive Benutzung aus Sicht des Benutzers erfolgreich (effektiv). In diesen Kriterien
spiegelt sich daher das Auftreten von Bedienfehlern und die Zielerreichung aus
Benutzersicht wider.
Wahrgenommener Lernaufwand: Ausgehend von der Definition besteht bei einem von dem
Benutzer wahrgenommenen Lernaufwand keine Intuitivität, da bewusstseinspflichtig Wissen
zur Interaktion erst erworben werden muss.
6. Intuitivität beeinflussen und überprüfen: Evalint
Die Ableitung der Kriterien mündet in das Evaluationsinstrument „Evalint“, das die
Entwicklung von intuitiv zu bedienenden Systemen im Gestaltungsprozess unterstützen soll.
Evalint setzt sich aus zwei Werkzeugen zusammen: der Checkliste Evalint I und dem
Benutzerfragebogen Evalint II. Beide Werkzeuge sind so konzipiert, dass sie weder von den
Anwendern noch von den befragten Personen fundierte Vorkenntnisse zum
Intuitivitätskonzept erfordern.
Ziel der Checkliste Evalint I ist einerseits die Vorgabe von Gestaltungsgrundsätzen für intuitiv
zu bedienende Systeme und andererseits die Absicherung der Berücksichtigung
grundlegender Voraussetzungen für eine intuitive Mensch-Technik-Interaktion. Dabei wurden
die oben genannten sieben Gestaltungskriterien in Guidelines mit jeweils mehreren
Gestaltungsregeln überführt.
Für die Überprüfung der Erfolgskriterien aus Benutzersicht wurde das Werkzeug Evalint II
entwickelt. Ziel dieser Benutzerbewertung ist einerseits die Überprüfung von Prototypen
anhand einer Befragung künftiger Benutzer hinsichtlich des Empfindens von Intuitivität bei
der Systembenutzung und andererseits die gezielte Einbeziehung von Zielgruppenspezifika,
welche nicht erschöpfend durch die Gestaltungskriterien für Intuitivität erfolgen kann. Für die
Anwendung von Evalint II ist es daher wichtig, Vertreter einer bekannten, klar abgegrenzten
Zielgruppe bzw. einen repräsentativen Zielgruppenmix als Stichprobe zu wählen.
7. Zusammenfassung
Mit der vorgelegten Definition des Begriffs Intuitivität wurde diesem Konzept ein klar
beschriebener Raum innerhalb der Usability-Forschung zugewiesen, in dessen Rahmen es
gelungen ist, explizite Kriterien zur Erfassung von Intuitivität zu identifizieren und zu
beschreiben. Auf dieser Grundlage wurde es möglich, mit dem Evaluationsinstrument Evalint
ein methodisches Konzept zur Verfügung zu stellen, das dem Entwickler hilft, Intuitivität im
Anwendungskontext beeinflussbar und überprüfbar zu machen.
Literaturangaben
[1] Simon, J. und Kopf, M.: Schritte zum lernstufenadaptiven, selbsterklärenden
Fahrerassistenzsystem. In: R. Marzi, V. Karavezyris, H.-H. Erbe und K.-P. Timpe
(Hrsg.): Bedienen und Verstehen, 4. Berliner Werkstatt Mensch-Maschine-Systeme.
Fortschr.-Ber. VDI Reihe 22 Nr.8. Düsseldorf: VDI Verlag 2002. S. 119-134
[2] Chávez, E., Kirste, T. und Werner, A.: Intuitive Benutzungsoberflächen für mobile
Assistenzsysteme. In: ITG-Fachbericht 154, Vorträge der ITG-Fachtagung 26. und 27.
Oktober 1998, Technik für den Menschen – Gestaltung und Einsatz benutzungsfreund-
licher Produkte (S. 67-78). Berlin: VDE-Verlag 1998
[3] Sielaf, S. und Petersen, J.: „Wir bewegen uns zwischen i-Pod und Dampfradio“
(Interview), auto motor und sport, (2005) 26 S. 17
[4] DIN EN ISO 9241-10, -11. In DIN-Taschenbuch 354: Software-Ergonomie.
Empfehlungen für die Programmierung und Auswahl von Software. Berlin: Beuth 2003
[5] Mohs, C., Hurtienne, J., Israel, J. H., Naumann, A., Kindsmüller, M. C., Meyer, H.A. &
Pohlmeyer, A.: IUUI – Intuitive Use of User Interfaces. In: T. Bosenick, M. Hassenzahl,
M. Müller-Prove, M. Peissner (Hrsg.), Usability Professionals 2006
[6] Streitz, N. A.: Cognitive ergonomics: An approach for the design of user-oriented
interactive systems. In: Klix, F. and Wandke, H. (Hrsg.): MACINTER I. North-Holland,
Amsterdam 1986. S. 21-33
[7] Pecher, D. & Zwaan, R.A. (Hrsg.): Grounding Cognition. The Role of Perception and
Action in Memory, Learning, and Thinking. Cambridge: Cambridge University Press
2005
[8] Koffka, K.: Principles of Gestalt Psychology. New York: Harcourt, Brace & World, Inc.
1936
[9] Oppermann, R., Murchner, B., Reiterer, H. & Koch, M.: Softwareergonomische
Evaluation. 2. Aufl. Berlin: Walter de Gruyter 1992
[10] Norman, D., A.: Affordance, conventions, and design. Interactions 6 (1999) 3 S. 38-42.
[11] Gibson, J. J.: The Theory of Affordances. In: Shaw, R. E. und Bransford, J. (Hrsg.),
Perceiving, Acting, and Knowing. Hillsdale NJ: Lawrence Erlbaum Associates 1977
[12] Scholz, D.: Intuitivität von Mensch-Maschine-Systemen aus Benutzersicht.
Diplomarbeit. Technische Universität Berlin 2006