Zu den wichtigsten „diskursiven Ereignissen“, die zu studieren die Diskurstheorie im Anschluß an Michel Foucault empfohlen hat, gehört das Auftauchen und Proliferieren diskurstragender Kategorien. Diskurstragende Kategorien sind solche, durch deren ‘Entfernung’ — wenn man sie sozusagen aus dem betreffenden Diskurs ‘herauszöge’ wie die Stahlteile aus einer Betonkonstruktion — der betreffende Diskurs nicht länger ‘halten’ könnte und in sich zusammenbräche wie ein Kartenhaus. Unter solchen Kategorien sind in der Regel nicht isolierte einzelne Wörter zu verstehen, sondern ganze semantische Komplexe einschließlich ihrer Praxisbezüge, wiederum vergleichbar mit kreuzweise angeordneten Stahlteilen in Beton. Eines der auffälligsten Beispiele der letzten Zeit ist der Komplex „normal“, „Normalität“, „normalisieren“, „Normalisierung“ usw. Zöge man diesen Komplex etwa aus dem Diskurs der deutschen mediopolitischen Klasse seit 1989 heraus, so könnte dieser Diskurs keinen Augenblick länger ‘tragen’. Besonders interessant sind nun Fälle — und dazu gehört der in der folgenden Untersuchung zu behandelnde Fall der „Normalität“ -, in denen der proliferierende Komplex zwar durchaus als „Reizwort“ wahrgenommen wird und allerlei polemischen Lärm auslöst, dabei aber gleichzeitig hartnäckig im toten Winkel der theoretischen Reflexion verharrt, als ob es entweder überflüssig oder riskant wäre, explizit die Frage zu stellen: Wie definieren Sie eigentlich Ihren Grundbegriff „Normalität“, ohne den Ihre Argumentation auf der Stelle kollabieren würde?