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Kulturvergleich bei Tenbruck und Matthes

Authors:

Abstract

Comparative Arbeit: Vergleichende Gedanken zu den Artikeln "Was war der Kulturvergleich, ehe es den Kulturvergleich gab?" von Friedrich H. TENBRUCK und "The Operation Called „Vergleichen“ " von Joachim MATTHES aus dem Sammelband Soziale Welt Nr. 8 "Zwischen den Kulturen?"
Comparative Anthropology: Vergleichende Gedanken zu Tenbruck und Matthes – 2004 – Mag. Marion Linska – Seite 1
Vergleichende Gedanken zu den Artikeln
Was war der Kulturvergleich, ehe es den Kulturvergleich gab?
von Friedrich H. TENBRUCK
und
The Operation Called „Vergleichen“
von Joachim MATTHES
aus dem Sammelband Soziale Welt Nr. 8
Zwischen den Kulturen?
-Die Sozialwissenschaften vor dem Problem des Kulturvergleichs-
Joachim MATTHES (Hrsg.) 1992, Göttingen
2004
Mag. Marion Linska
www.linska.net
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INHALTSVERZEICHNIS
I. Einleitung ............................................................................... 3
II. TENBRUCK – Was war der Kulturvergleich,
ehe es den Kulturvergleich gab? ......................................... 4
III. MATTHES – The Operation Called „Vergleichen“ …... 8
IV. Conclusio …………………………………………….. 13
V. Literaturverzeichnis …………………………………. 16
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I. Einleitung
Im Oktober 1990 wurde an der Evangelischen Akademie Loccum das Symposion „Zwischen
den Kulturen“ abgehalten, gefördert von der Volkswagen-Stiftung. Trägerschaft des
Symposions war das Sozialwissenschaftliche Forschungszentrum der Universität Erlangen-
Nürnberg. Diesem Symposion ist zu verdanken, dass 1992 der Sammelband Soziale Welt Nr.
8 – „Zwischen den Kulturen?“ mit den verschriftlichten Beiträgen der Diskussions- und
SymposionsteilnehmerInnen für eine interessierte Leserschaft publiziert wurde (vgl. Matthes
1992: 8). Die hier vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die Beiträge von F.H. TENBRUCK und J.
MATTHES in ihren Kernaussagen näher darzustellen und vergleichende Gedanken dazu, aus
Sicht der Kultur- & Sozialanthropologie, anzustellen.
Für beide Autoren stand die Reflektion und Kritik an der Methode des Kulturvergleichs
innerhalb der Soziologie im Mittelpunkt ihrer Betrachtung. TENBRUCK wählte dabei mehr
die historische Aufarbeitung des Kulturvergleichs und MATTHES unterzog den
Kulturvergleich selbst einer „kulturellen Analyse“. In der Einleitung hält MATTHES im
Wesentlichen fest, dass es für ihn nicht „die Kultur“ gibt, sondern nur „Kulturen“ und dass
diese im Sinne von diskursiven Tatbeständen zu verstehen wären (vgl. Matthes 1992: 3). Das
Wort „zwischen“, im Titel des Symposions wie des Sammelbandes, transportiert für ihn die
Vorstellung von einem kulturellen Vakuum, in dem man sich betrachtend und reflektierend
bewegen könne (vgl. Matthes 1992: 5). Jedoch ist es viel mehr die Grenze der
Ausdrucksmöglichkeiten, die sich hier zeigt, da die indogermanische Sprache zur
Verräumlichung von Beziehung zwingt. Daraus entstünde das Problem, dass die Wirklichkeit
aus der Wirksamkeit der Möglichkeiten ihrer Wahrnehmung und ihres sprachlichen
Ausdrucks gebildet und verfasst würde. So erlangen diese Grenzen des Wahrnehmungs- und
Ausdrucksvermögens ihr Eigengewicht als kulturelle Überlieferung des Denkens und
Handelns.
Einleitend möchte ich aber auch nicht unerwähnt lassen, dass in den hier behandelten
Artikeln der Autoren immer die männliche Form des Subjekts gewählt wurde und ich dieses
für die Bearbeitung beibehalten habe. Aber nun ....
Zu den Personen
Zum besseren Verständnis der Positionierungen in den Artikeln ist es durchaus sinnvoll, die
beiden Autoren näher vorzustellen:
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Joachim MATTHES wurde am 1. Juni 1930 in Deutschland geboren. Er studierte
Soziologie. Seine wissenschaftliche Tätigkeit war immer von außergewöhnlicher Breite und
Innovationsfreudigkeit getragen. Schon bald nahm er eine führende Rolle in der
Theoriediskussion der deutschen Soziologie ein und trieb die Auseinandersetzung mit dem
Praxisbezug der Soziologie, wie die um methodologische Fragen, voran. In den letzten beiden
Jahrzehnten seiner offiziellen wissenschaftlichen Tätigkeit, widmete er sich dem
Arbeitsschwerpunkt der Erweiterung der soziologischen Forschung um eine
kultursoziologische und kulturvergleichende Perspektive. Ab dem Jahre 1976 war J.
MATTHES am Institut für Soziologie der Universität Erlangen-Nürnberg tätig. Seit seiner
Emeritierung lebt er mit seiner Frau in Singapur bzw. in Malaysia (vgl. Fau-Aktuell 2000).
Friedrich H. TENBRUCK wurde ebenfalls in Deutschland, in Essen, am 22. September
1919 geboren und verstarb am 9. Februar 1994 in Tübingen. Anfänglich studierte
TENBRUCK Philosophie, Geschichte und Germanistik. In den 1950ern war TENBRUCK
in Frankfurt persönlicher Assistent von Max HORKHEIMER am Institut für
Sozialforschung. Er war infolge maßgeblich für die kultursoziologische Wende der
deutschsprachigen Soziologie mitverantwortlich und hat mit seinen Studien den mitunter oft
verengten Empiriebegriff durch Einbeziehung historischer Entwicklungen in seinen
soziologische Gegenwartsanalysen vertieft und auch bereichert. Neben zahlreichen
Gastprofessuren, Aufenthalten in den Vereinigten Staaten Amerikas, der
Deutschlandsvertretung bei der UNESCO und Mitherausgabe der Schriftenreihe
„Soziologische Gegenwartsfragen“ sowie „Herkunft und Zukunft“, war er bis zu seiner
Emeritierung als ordentlicher Professor für Soziologie an der Eberhard-Karls-Universität
Tübingen tätig, wohin er 1967 gewechselt hatte.
Im nachfolgenden Kapitel soll nun auch näher auf seine Kritik an der ahistorischen
Betrachtungsweise in der Soziologie eingegangen werden.
II. Friedrich H. TENBRUCK Was war der Kulturvergleich, ehe es
den Kulturvergleich gab?
Seine Darstellungen dazu sind: Der Kulturvergleich wird in den Sozialwissenschaften als
selbstverständlich und zugleich wichtigste Aufgabe gesehen. Dies auch in der Hoffnung, auf
allgemeine Aussagen von genereller Gültigkeit zu kommen. Von Anbeginn lag der Soziologie
ein Konzept der „Gesellschaftsgeschichte“ zugrunde, mit der Annahme verbunden, dass
Gesellschaften selbständige Gebilde seien, die sich aus sich selbst heraus entwickeln (vgl.
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Seite 13). Dieses Dogma der internen Verursachung wurde jedoch nie wirklich überprüft. Mit
dem Kulturvergleich sollten die verborgenen Gesetzmäßigkeiten ermittelt werden, die
aufzeigen sollten, wie sich alle Gesellschaften aus sich selbst heraus entwickeln.
Dabei wurden jedoch zwei wesentliche Irrtümer begangen:
1. Kulturen und Gesellschaften sind keine selbständigen Gebilde. Sie sind meist
mannigfach quer über Kulturen und Gesellschaften hinweg vergesellschaftet und
diese Verbindungen sind nicht bloß „äußere Beziehungen“ zwischen „fest
konstituierten Einheiten“ sondern „Außenlagen“, durch die die Binnenstrukturen
sich gegenseitig bedingen. Das Konzept der „Gesellschaftsgeschichte“ bietet
diesen querläufigen Vergesellschaftungen keinen Platz, denn der betriebene
Kulturvergleich bleibt lediglich eine Suche nach Parallelismen in der internen
Entwicklung“ (Tenbruck 1992: 14).
2. Indem man die „Außenlagen“ grundsätzlich ausklammerte, übersah man auch,
dass der Kulturvergleich eine unvermeidliche und lebensnötige Praxis aller
Gesellschaften gewesen ist und die Kulturen sich seit eh und je wechselseitig miteinander
verglichen haben“ (ebd. 1992: 14).
Diese beiden Irrtümer gewichten so schwer, dass bloße Zusatzvariablen innerhalb der gängigen
Theorie nicht mehr ausreichen. Ein gründlicher Perspektivenwechsel, in dem die Soziologie einen
der Wirklichkeit angemessenen Weg für den Kulturvergleich findet, ist von Nöten. Dieser
Perspektivenwechsel fordert mit ein, dass die Verflechtungen der gesellschaftlichen
Binnenstrukturen mit den „Außenlagen“ erfasst werden, welche sich in der sozialen Praxis des
wechselseitigen Kulturvergleichs zeigen. Somit können die Außenlagen auch nicht einfach
„objektiv“ erfasst werden, da sie ja bereits selbst der „Gegenstand einer wechselseitigen Einschätzung der
Kulturen sind“ (ebd. 1992: 14).
In einem historischen Exkurs stellt Friedrich H. TENBRUCK fest:
Der sozialwissenschaftliche Vergleich wurde erst im vorigen Jahrhundert „entdeckt“ und zum
Königsweg erhoben. Dies nicht nur aufgrund der Unzufriedenheit über die Zersplitterung
historischer Erkenntnisse in Einzelbefunde und der Kritik an den historischen Fächern, nicht wie
die Naturwissenschaften, die Regelmäßigkeiten und Gesetzmäßigkeiten in den Vorgängen zu
ermitteln, sondern auch aufgrund höchst öffentlicher und politischer Anliegen (vgl. ebd. 1992:
19).
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Der Kulturvergleich war auch als Mittel der internationalen Volksaufklärung und
Kulturverständigung gedacht.
Aus objektiver, unbeteiligter Distanz sollte die Wissenschaft alle Kulturen vergleichen, gültige
Urteile über diese fällen, die dann auch von allen Völkern anerkannt werden müsste. Damit
könne die herrschende „Anarchie“ einer gesellschaftlichen Praxis des Vergleichens beendet
werden, die ja ohnehin nur „Vorurteile“ produziere. COMTES Entwurf der Soziologie sollte
objektive Entwicklungsgesetze ermitteln, um die Anarchie der Meinungen zu überwinden. Und
so rückten alsbald die nationalen Vorurteile“ in den Mittelpunkt der Betrachtung. J. St. MILL
(Anhänger COMTES) erklärte den „Nationalcharakter“ zum wichtigsten Problem, dem dann die
„Völkerpsychologie“ ihren schnellen Aufstieg verdankte (vgl. ebd. 1992: 19f).
So wurde der Kulturvergleich zur „Waffe im Kampf gegen den Streit der Meinungen zwischen den Kulturen
und Nationen(ebd. 1992: 20). Er wurde zum „Mittel für die Klassifizierung der Kulturen in aufsteigender
Linie und er wurde zur politischen Hoffnung auf Beilegung der europäischen
Weltanschauungskämpfe und der nationalen Kulturrivalitäten.
Kurz: Der wissenschaftliche Kulturvergleich war damit nicht mehr nur ein Instrument der
Erkenntnis, sondern auch eine Reaktion auf den sich ausbreitenden Nationalismus und letztlich
auch eine „Kulturmission(vgl. ebd. 1992: 22), in der die Wissenschaftsnationen die Weltmeinung
wie selbstverständlich bestimmten.
SPENCER verurteilte die weltweit wirksame Realität des wechselseitigen Vergleichens von
Kulturen als unheilvolles Produkt eines „nationalen (Gruppen-)Egoismus“. SUMNER
radikalisierte seine These (vgl. ebd. 1992: 20). Auch für ihn war die „soziale Praxis des
Kulturvergleichs“ eine geschichtliche, aber unwissenschaftliche Macht. Er hielt die Reaktion auf
Kulturbegegnungen für vorweg fixiert und mit seiner Generaldefinition des „Ethnozentrismus“
verschwand die soziale Praxis des Kulturvergleichs dann endgültig in der Vorurteilsforschung.
Der Begriff „Ethnozentrismus“ jedoch wurde von der Soziologie kritiklos übernommen, ohne je
zu bedenken, dass dieser selbst das Ergebnis von Kulturbegegnungen ist und mit den
Außenlagen variiert (vgl. ebd. 1992: 28). Damit stellt sich für die Soziologie eine wichtige
Aufgabe, nämlich zu erfassen, wie der gesellschaftliche Kulturvergleich zustande kommt, anstatt
sich auf die Auskunft des Ethnozentrismus zu verlassen.
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Ein angeführtes Beispiel für die Wichtigkeit der Außenlagen ist unter anderem:
die Geschichte Roms - sie war von Anfang an durch Außenlagen bestimmt (vgl. ebd. 1992: 32).
Rom
1
entstand aus dem „Gedränge“ von Stämmen, „Versprengten“, Migranten und
Asylsuchenden. Es wuchs durch Bündnisse, Tributvölker und Eroberungen und wurde so groß,
dass sich auch seine innere Struktur änderte. Soziale Probleme tauchten erst auf, als der Boden
für die Ansiedelung zu knapp wurde. Die Aufgabe Roms war es, andere Völker einzugliedern und
zu assimilieren. Je weiter der Ausgriff und je fremdartiger die Völker und je größer deren
Mobilität, desto schwieriger wurde es. Schlussendlich konnte ein Eindringen orientalischer Kulte
nur durch die Vereinheitlichung der vielen Religionen gemildert werden und so die Macht
aufrecht erhalten werden. Die Verleihung des Bürgerrechts an alle, reichte für das Weltreich nicht
mehr. Als die römische Kultur nicht mehr ausreichte, übernahm man die griechische Bildung und
zur Organisation des Imperiums benötigte man griechische Geographen, Ethnologen, Politiker
und Armeeführer.
Für TENBRUCK stellt sich die Frage: Was ist ein wissenschaftlicher Kulturvergleich wert, wenn
er die soziale Praxis des „subjektiven“ wechselseitigen Vergleichs durch das Konzept der
Gesellschaftsgeschichte ausklammert?
Denn die Frage nach den nahen wie weniger nahen Nachbarn gehört seit jeher zur Konstitution
jeder Gesellschaft, da davon auch das eigene Schicksal abhängt (vgl. ebd. 1992: 22).
Die Kulturbegegnung beginnt insofern bereits mit den ersten Nachrichten und Spekulationen
über entfernte Völker und trägt von Anfang an die Züge des Kulturvergleichs, der sich bei
näherer Berührung zur intensiven wechselseitigen Praxis steigert. Ausgelöst durch
Kulturbegegnung werden Selbstdeutungen und Fremddeutungen zum Bestandteil der eigenen
Kultur (siehe Brauch, Sitte, Recht, Lied- und Erzählgut, Mythos, Epos,...). Aber auch die
Isolation von Stämmen war weitgehend das Ergebnis von Meidungs- und Rückzugsstrategien,
und damit wiederum der Berücksichtigung der Außenlagen. Denn mit einer anderen Kultur kommt
eine neue Größe ins Spiel, zu der man sich geistig wie praktisch ins Verhältnis setzen muss“ (ebd. 1992: 23)
und verändert auch die Beziehungen zu anderen (dritten, vierten,...) Gesellschaften.
„So ist die Kulturbegegnung das wahre Feld und die große Triebkraft aller Geschichte“ (ebd. 1992: 23). Ohne
sie wäre im Grunde gesellschaftliche Entwicklung und soziale Differenzierung gar nicht möglich
gewesen. Aber diese gesellschaftliche Entwicklung ist für TENBRUCK nur aufgrund
1
Aus meinem Verständnis des Textes ergibt sich die Logik, dass TENBRUCK mit Rom nicht die Stadt, sondern
vielmehr das römische Reich gemeint haben muss.
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raumgreifender Vorgänge, wie z.B. Versippung, Verbündungen, Absprachen, Wanderungen,
Asylgewährung, Einwerbung von Fremden, Durchmischung, Kriege und Annektionen,
Kolonisierung, Missionierung möglich geworden (vgl. ebd. 1992: 24).
Auf die Komplexität der Binnenstruktur achtend, kann der soziale Differenzierungsprozess die
Verschränkungen, die Entstehung und das Sterben von Gesellschaften jedoch nicht
unterscheiden. Der Träger des Prozesses ist damit gar nicht ein und dieselbe Gesellschaft,
sondern ein Gebilde, das erst aus mehreren Gesellschaften entsteht. Jede dauerhafte
gesellschaftliche Entwicklung beruht auf raumgreifenden Vorgängen. Und alle soziale
Differenzierung wurzelt, je länger sie anhält, desto mehr in der Verdichtung und Verflechtung
der Beziehungen von Gesellschaften, wobei einige Kulturen in größeren aufgehen (vgl. ebd.
1992: 26).
Damit wird die fremde Kultur zur geistigen Herausforderung der eigenen. Selbstverständnis und
Fremdverständnis formieren sich aneinander und deshalb im Vergleich. In dieser Weise ist der
wechselseitige Kulturvergleich stets eine vielschichtige Praxis des sozialen Lebens gewesen.
III. Joachim MATTHES – The Operation Called „Vergleichen“
MATTHES ist es wichtig hervorzuheben, dass die Operation “Vergleichen” nicht unabhängig
vom institutionell-disziplinären Kontext in dem sie jeweils betrieben wird, sowie dem kulturellen
Kontext der disziplinären Bemühungen, betrachtet werden kann (vgl. Matthes 1992: 77). Je höher
oder je niedriger eine Sozialwissenschaft ihre Grundannahmen im Abstraktionsniveau ansetzt, desto weniger redet
sie vom ’Vergleichen’“ (ebd. 1992: 78), so auch die Aussage von VON BEYMES. MATTHES führt
dazu das Beispiel der Psychologie an, die wie die Wirtschaftswissenschaften ein hohes
Abstraktionsniveau besitzen und der Vergleich kaum eine Rolle spielt, im Gegensatz zur
Politikwissenschaft, die ohne „Vergleichen“ nicht recht auskommt.
Zwei Auffassungen prägen das Denken der Soziologie. Die „ältere“ Soziologie, die sich wie
selbstverständlich auf die westlichen Industriegesellschaften konzentrierte, sah die Soziologie per
se, aus sich heraus „vergleichend angelegt. Diese Aussage basiert auf der Soziologie von Èmile
DURKHEIM. In jüngerer Zeit wird verstärkt die Forderung laut, dass die Soziologie einer
besonderen „vergleichenden Methode“ bedürfe. Dies vor allem dann, wenn das Interesse an
nichtwestlichen Gesellschaften in den Vordergrund tritt (vgl. ebd. 1992: 78f).
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Aber nochmals zurück zum DURKHEIM‘schen Paradigma (vgl. ebd. 1992: 79f).
Sein Programm für die Soziologie beruht auf der kulturell verankerten Vorstellung von der
gereinigten Konzeptualisierungsmacht, die schon die Wahrnehmung möglicher „Relativität“
gesellschaftlicher und kultureller Erscheinungen ausschließt. DURKHEIM appellierte an die
Soziologen, die Idee und „Vorbegriffe“ des gesellschaftlichen Diskurses aus der soziologischen
Begrifflichkeit auszuschalten, in der Meinung, die eigentliche gesellschaftliche Wirklichkeit läge
jenseits dessen und wäre für den direkten definitorischen Zugang der soziologischen
Begrifflichkeit offen.
So könnten vergangene Gesellschaften ebenso wie zeitgenössische „andere“ in jener
„theoretischen“ Begrifflichkeit, die der Soziologe an seinen eigenen, den westlichen
Industriegesellschaften bildet, gleichermaßen analysiert werden, wie diese. Daraus lässt sich
erkennen, dass es dem DURKHEIM‘schen Paradigma an kulturgeschichtlicher Selbstreflexion
ermangelt. Für DURKHEIM die Aufgabe der Soziologie darin, die Kausalbeziehungen („Zu
derselben Wirkung gehört stets dieselbe Ursache“) zwischen sozialen Phänomenen zu ermitteln.
Die bevorzugte Methode der „konkomitanten Variationen“ gilt für ihn als der Königsweg des
Vergleichens. Die so gewonnenen „soziologischen Tatbestände“ sind für DURKHEIM
„Realkonstrukte“.
Für MATTHES wäre aber zutreffender, diese Methode als eine vom Kausalprinzip angeleitete
Methode des „Korrelierens“ zu bezeichnen (vgl. René KÖNIG 1976), da mit ihr nicht
Verschiedenes verglichen wird, sondern eine Größe, die projektiv aus einem bestimmten gesellschaftlichen
Zusammenhang abstrahiert und als ’theoretisches’ Konstrukt universalisiert, in der Welt der Erscheinungen auf
ihre Variationen hin überprüft wird“ (ebd. 1992: 81).
Der Vergleich über die Leitdifferenz „traditionell“ – „modern“ (vgl. ebd. 1992: 81):
Hierbei handelt es sich mehr um ein Angleichen als ein Vergleichen. Die Abstraktion von
„modern“ und „traditionell“ entstammt einem evolutionistischen Entwurf von Stufenleiter von
„Entwicklung“. Die Leitdifferenz stellt dem Soziologen den Rahmen für das „Vergleichen“
bereit. Was aber als „Vergleichen“ ausgegeben wird, vollzieht sich bereits als Identifikation des
„Gleichen“ nach eigenem Maß, bevor das „Ver-gleichen“ als ausgewiesene Operation einsetzt. So
wird das Ver-gleichen zur selffullfilling prophecy“, in der das Vorgegebene am anderen
wiederentdeckt wird. Was sich dem nicht fügt, erscheint dann leicht als marginale
Differenzierung, unter der Leitdifferenz von „traditional und modern“ zumeist als Relikt oder
„kulturelle Eigenart“ (vgl. ebd. 1992: 83). Damit liegt streng genommen ein „Vergleichen“ nicht
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vor. Es handelt sich vielmehr um eine „Nostrifizierung“ so Justin STAGL, um eine Aneignung
des anderen nach eigenem Maß (vgl. ebd. 1992: 84).
Als Beispiel des Angleichens erwähnt J. MATTHES die „Familie“ (vgl. ebd. 1992: 84, 94f):
Die einzelnen Familien werden in der Soziologie zu Subjekten. Der ihnen vorgelagerte Bindungs-
und Verpflichtungscharakter des Verwandtschaftssystems wird dadurch jedoch nicht mehr
gebührend betrachtet. Und es bedarf schon einer bewussten Aufmerksamkeit „hinter“ die
Konzeptualisierung von „Familie“, da der soziologische Begriff aufnahm, was sich an
Wirklichkeit von „Familie“ über Jahrhunderte der okzidentalen, christentumsgeschichtlichen
Überlieferung entwickelt hat. Diese ist vielfach von einer fortschreitenden Ausgrenzung von
„Familie“ aus weiter gespannten verwandtschaftlichen Verhältnissen geprägt, verbunden mit
einer stetigen gesellschaftlichen Entwertung von „Verwandtschaft“. Das Prinzip der Regelungen
von sozialen Beziehungen ist von der so nominalisierten „Verwandtschaft“ auf das Prinzip der
„Reziprozität“ übertragen worden.
In anderen Gesellschaften erscheint als „Familie“ dann nur das, was nach diesem Konzept
geworden ist, und „Verwandtschaft“ als das, von so konzeptualisierter Familie“ her gesehen,
noch an verwandtschaftlichen Beziehungen geblieben ist. Damit kann „Verwandtschaft“ kaum
mehr angemessen gedacht, geschweige denn erforscht werden. In den Schwellenländern wird
jedoch bereits versucht nachzuweisen, dass mit der Modernisierung die Entwicklung zur
Kleinfamilie einher geht. Die Soziologie liefert sich damit immer mehr einer Verkümmerung des
kulturgeschichtlichen Wissens und des Wissens über andere als die ’eigenen’ Gesellschaften in ihrem eigenen
Wissenskorpus aus“ (ebd. 1992: 85).
Will nun ein Soziologe wissen, wie es um die „Familie“ in einer nicht-westlichen Gesellschaft
bestellt ist, dann muss er zu Beginn hinter jene Leitdifferenz von „traditional und modern“ treten
und kontextuell rekonstruieren, was alles zu jener „Wirklichkeit“ geführt hat.
In der Verarbeitung der beidseitigen Rekonstruktion kann sich dann eine „vergleichende“
Reflektion entwickeln, die selbst aus erklärungskräftigen Aussagen besteht, und nicht nur aus
solchen, die an zuvor projektiv typisierte und auf Begriffe abgezogene „Einheiten“ angehängt
werden. Damit wird die Vorstellung demontiert, dass „Alterität“ auf beiden Seiten eine
„Eigenschaft“ sei, die jeweils dem „Anderen“ zukäme und es damit zum „Fremden“ macht. Um
nicht wieder in „kulturellen Gussformen“ zu denken, muss man „Alterität“ relational statt
substantiell denken. Es muss verhindert werden, dass über die abstrahierende Projektion des
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„Nostrifizierens“ auf der einen Seite in die „Gussform“ einer Vergleichsgröße das
„Nostrifizieren“ der anderen Seite gar nicht mehr zum Zuge kommt, sondern seinerseits in dieser
„Gussform“ verschwindet (vgl. ebd. 1992: 96).
Vom Vergleichen wird am Ende nicht ein konstatierendes Ergebnis erwartet, sondern eine
Erweiterung des menschlichen Diskursuniversums (vgl. Clifford Geertz 1983; Matthes 1992: 96). So
wird das soziologische „Vergleichen“ von einer Operation zu einer fortlaufenden Tätigkeit und
folgt damit in ihrer Eigenschaft dem, was TENBRUCK als das kulturelle „Vergleichen“ in der
„Kulturbegegnung“ beschrieben hat.
Der Vergleich durch abgrenzbare und abgegrenzte „Einheiten“:
Hierbei bezieht sich MATTHES vor allem auf die Gussformen wie „Gesellschaft“, „Kulturen“
oder „Modernisierung“. Die geläufige Vorstellung vom „Vergleichen“ scheint einzuschließen,
dass allein deutlich abgegrenzte und abgrenzbare „Einheiten“ Gegenstand dieser Operation sein
können, egal ob in räumlicher oder quasi-räumlich (=gruppenhaft konzipierte Phänomene)
gedachter Geschlossenheit.
Der Begriff „Gesellschaft“ ist für Alain TOURAINE nur die abstrakte Übersetzung der
Wirklichkeit des Nationalstaates. Durch die abstrakte Übersetzung einer Zeitlage in einen
Gesellschaftsbegriff der Soziologie erscheint in ihr nun „Gesellschaft“ als ein Gattungsbegriff,
und die einzelnen „Gesellschaften“ als Exemplare einer Gattung, was wiederum zur Folge hat,
dass alle Gesellschaften zur gleichen Entwicklung befähigt scheinen (vgl. Matthes 1992: 87). So
wird „Gesellschaft“ zum Begriff einer „Gattung“ abstrahiert und in eine „gebildehaft“ geprägte
Leitdifferenz von traditionell und modern angelegt. Über diese Leitdifferenz wird der
Entwicklungsstand von „Gesellschaften“ als Gebilden bestimmbar und ein allgemeines
Stufenleitermodell gesellschaftlicher Entwicklung möglich (vgl. ebd. 1992: 88).
Ähnliches gilt für „Kulturen“ und „Modernisierung“. Aber auch die Annahme von der
einschmelzenden Kraft weltumspannender „Modernisierung“ wird brüchig. Und in der, der
„Modernisierung“ ausgesetzten Welt, wird nicht einfach die „westliche“ reproduziert, sondern in
schwierigen und höchst diversen Transformationen entsteht Neues, unterschiedlich Neues. Und
auch die westliche Welt verändert sich. So rückt der Umgang mit dem „Vergleichen“ in der
Soziologie allmählich in ein neues Licht, die auch, wie bereits weiter oben erwähnt, die Frage
nach einer besonderen „vergleichenden Methode“ innerhalb der Soziologie stellen lässt.
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MATTHES widmet sich dem Modernisierungsprozess in seiner konkreten Auswirkung auf die
Soziologenschaft selbst, indem er die Frage stellt, wie es um das „Wir“ in jener bestellt ist (vgl.
ebd. 1992: 90f). Er erkennt ein Muster der Regelung von „Alterität“. Die „Exotisierung“ des
„Anderen“ über voneinander sich abgrenzende „Gesamt-Gesellschaften“ ist ein
kulturgeschichtliches Spezifikum für ihn, das sich im Typus der „modernen“ westlichen
Gesellschaften verwirklicht, welche auf Homogenisierung nach innen angelegt sind, dem
„Anderen“ sein Recht außerhalb der je eigenen Grenzen lassen und folglich elementare
Schwierigkeiten mit ihm haben, wenn es sich, warum auch immer, innerhalb ihres reklamierten
Raumes geltend macht.
Wichtig wäre für MATTHES eine „Drehung der Optik“ (vgl. ebd. 1992: 93f), am besten
herbeigeführt durch „außer-westliche“ Soziologen, die sich gegen ein integralistisches
professionelles Selbstverständnis wehren. Eine Drehung, die von jenem Vergleichen von
Einheiten wegführt und zu einem „Vergleichen“ hinführt, das an kulturellen Austauschprozessen
und ihren Regelungen ansetzt. Von den Grenzen, die diese buchstäblich setzen, zwar beeinflusst,
aber nicht determiniert, geschweige denn als „Entwicklung“ erzeugt werden.
Insgesamt zeigt sich für MATTHES, dass alles soziologische „Vergleichen“ ein kultureller
Vorgang bleibt, in dem es um die Auseinandersetzung mit der Erfahrung von „Alterität“ geht.
Aber wo setzt nun der Vergleich an?
Bisher wurde „Vergleichen“ verstanden als das was man tut, wenn die „Größen“ bestimmt sind.
Tatsächlich setzt das „Vergleichen“ jedoch bereits mit der Bestimmung dieser „Größen“ ein.
Und somit muss man die substantielle und nicht operative Frage stellen (vgl. ebd. 1992: 94):
Was gibt Anlass zum Vergleichen? Was bringt uns dazu?
Diese Frage richtet sich auf einen kulturellen Vorgang, in den das Tun des Soziologen mit
einbezogen wird.
Was bietet nun den Anlass?
Zumeist wird damit das „Erfahren von Kontrasten“ verbunden. Dies impliziert eine
Wahrnehmungsweise vom „Anderen“, die im „Kontrast“ zum „Eigenen“ zu stehen scheint. Im
„Eigenen“ können aber durchaus auch andere Wahrnehmungsweisen angelegt sein, die das
„Andere“ nicht als „Kontrast“, sondern als „andere Möglichkeit“ oder „Ergänzung“ erscheinen
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lassen. Dann erscheint „Anderes“ nicht einfach von außen als Größe“ an sich gegenüber dem
„Eigenen“ als „Größe“ an sich, sondern „Eigenes“ und „Anderes“ stellen sich in wechselseitigem
Bezug her. Dies ist es, was für MATTHES zu allererst zum Thema werden muss, wenn man über
das „Vergleichen“ reden und „Vergleichen“ bewusst (=methodisch) betreiben will (vgl. ebd.
1992: 95).
Bisher neigten die Soziologen dazu, das „Andere“ in die vertrauten, als kulturell „bereinigt“
verstandenen Konzeptualisierungen zu gießen und vollzogen das „Vergleichen“ dann als eine
gedankliche Operation des „Angleichens“, des Auflösens des Kontrastes“. Wenn ’Eigenes’ und
’Anderes’ sich wechselseitig konstituieren, dann müssen die Bedingungen und Implikationen solcher Konstitution
auf beiden Seiten thematisiert werden. ’Vergleichen’ als kulturelles Stiften von Alterität ist reziprok angelegt
(ebd. 1992: 95), und damit muss auch die Reflexion auf diesen Vorgang reziprok erfolgen.
Wichtig ist, dass der soziologische Blick von beiden Seiten her angeleitet wird, reflektiv auf die je
eigene und sensibel für das Verhältnis beider zueinander wie auch auf die Asymmetrien in ihm.
IV. Conclusio
Zusammenfassend kann gesagt werden (vgl. Tenbruck 1992: 34), dass Friedrich H. TENBRUCK
dafür plädiert, dass die Soziologie
1. die Hoffnung aufgeben muss, durch den Kulturvergleich die Parallelismen der Evolution
zu enträtseln, wobei ohnehin nur noch der fromme Glaube an einen allgemeinen
„Differenzierungsprozess“ oder jedenfalls an die „Modernisierung“ existiert
2. sich vom Glauben frei machen muss, sie könne wie ein unbeteiligter Beobachter die
Gesellschaften wie eine Tatsache registrieren und „objektiv“ erfassen.
Die Konsequenz die sich daraus für den Kulturvergleich ergeben sind, dass
der Vergleich im Sinne der sachlichen Bestandsaufnahme „objektiv“ sein kann und soll, aber
die Frage was verglichen werden soll, was wesentlich ist, die lässt sich nicht „objektiv“
entscheiden.
durch die Kulturvergleiche die Wissenschaft die Selbst- und Fremdvorstellungen der Völker
beeinflussen, aber niemals einen bindenden Kanon schaffen“ (ebd. 1992: 34) kann.
die wechselseitige soziale Praxis des Kulturvergleichs in ihrer eigenen Bedeutung erfasst und
untersucht werden muss. Sie darf nicht länger als „unwissenschaftliche Vorteile“ beiseite
geschoben werden.
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Für MATTHES hat sich die Soziologie beim „Vergleich“,
basierend auf der Grundfolie eines Entwicklungsmodells, auf die Leitdifferenz traditional und
modern gestützt.
Sie rechnet mit „Gesellschaften“, die nach dem Schema „Gattungsexemplare“ gedacht sind
und
als räumlich oder quasi-räumlich erfasst werden.
Dabei wird angenommen, dass die Gesellschaften die Bedingungen der Möglichkeit ihrer
(gleichartigen) Entwicklung in sich tragen.
Zukünftig sieht MATTHES daher die Aufgabe der Soziologen darin (vgl. Matthes 1992: 97),
1. über sich selbst kulturgeschichtlich nachzudenken, wo auf der Welt sie auch leben oder tätig
sein mögen,
2. das Beschreiben wiederzuentdecken, als einen elementaren Vorgang soziologischer Tätigkeit
(vgl. GEERTZ 1983, STAGL 1981, WOLFF 1968) und
3. sich wieder überraschen zu lassen bzw.
4. sich daran zu gewöhnen, dass „gesellschaftliche Wirklichkeit“ zumal woanders, etwas anderes
ist als das, was sich über die eigenen Antennen auf dem Bildschirm der „Empirie“ bringen
lässt.
Als Fazit sieht MATTHES, von René KÖNIG (vgl. 1984) bestärkt, dass die Soziologen „vieles von
den Ethnologen lernen können“ (Matthes 1992: 97), vor allem durch die Wirklichkeit selbst überwältigt
zu werden und zu „sehen, wie sie mit ihr fertig werden“.
In einer abschließenden Betrachtung erachte ich den Beitrag von TENBRUCK, über den
historischen Ansatz, die Einbeziehung der sozialen Praxis zu fordern, als einen sehr wichtigen
Beitrag in der sozialwissenschaftlichen Diskussion, der in der Kultur- & Sozialanthropologie
(vormals Ethnologie) wahrscheinlich am besten durch die Methode der Ethnohistorie seinen
Ausdruck findet. Trotz seiner diffusionistischen Darstellung der Verräumlichung von Kulturen,
kann von einer Kritik an seiner immer wieder hervortretenden evolutionistischen Denkweise
nicht abgesehen werden. Auch behält er die Differenzierung des „Eigenen“ zum „Fremden“
aufrecht. Das „Raumgreifen“ als einzige Basis der gesellschaftlichen Entwicklung würde ich als
zu kurz gegriffen ansehen.
In MATTHES Artikel spiegelt sich seine eingangs erwähnte Breite im disziplinären wie
interdisziplinären Denken wider. Jedoch hält auch er an einer Dichtomisierung zwischen
Comparative Anthropology: Vergleichende Gedanken zu Tenbruck und Matthes – 2004 – Mag. Marion Linska – Seite 15
„westlichen“ und „nicht-westlichen“ KollegInnen bzw. Gesellschaften, sowie an Begriffen wie
„Kulturkreise“ fest. Dieser ist in der Kultur- & Sozialanthropologie spätestens seit den 1950ern
bis 1960ern obsolet.
In den angesprochenen Grunddiskussionen der Soziologie zeigten sich in den Beiträgen von
TENBRUCK und MATTHES ähnliche bis gleiche zeitgeschichtliche Problemstellungen wie
auch in der Kultur- & Sozialanthropologie auch, wenngleich mit anderen Begrifflichkeiten
verbunden. So unterlag der Begriff „Kultur“ in der Kultur- & Sozialanthropologie einem
ähnlichen wissenschaftstheoretischen Veränderungsprozess, wie der Begriff „Gesellschaft“ in der
Soziologie. Auch muss darauf hingewiesen werden, dass es sich bei diesen Artikeln bereits um
Aussagen handelt, die vor 12 Jahren getroffen wurden und der rezenten Diskussion innerhalb der
Disziplinen nicht mehr ganz entspricht.
Basierend auf all den Überlegungen in den beiden Artikeln zum Thema „Vergleichen“ wäre
abschließend wohl auch eine „Kulturbegegnung“ zwischen den sozialwissenschaftlichen
Disziplinen Soziologie und Kultur- und Sozialanthropologie als weitere Aufgabe beider Seiten
begrüßenswert. Vielleicht auch, um die längst widersinnig gewordene Opposition zwischen
„qualitativer“ und „quantitativer“ Forschung gänzlich zu überwinden.
Comparative Anthropology: Vergleichende Gedanken zu Tenbruck und Matthes – 2004 – Mag. Marion Linska – Seite 16
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