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Soziolekt Unter dem Begriff versteht man den Sprachgebrauch einer
gesellschaftlichen abgrenzbaren Gruppe. Dahinter steht die Annahme, dass
Sprache ein soziales Phänomen ist, das durch außersprachliche Faktoren (wie
z.B. das Alter oder das Geschlecht) bestimmt wird. Diese Annahme ist
kennzeichnend für die Soziolinguistik, die das Verhältnis von Sprache und
Gesellschaft untersucht. Dabei wird keineswegs angenommen, dass ein Faktor
allein, wie z.B. die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht, den Ausschlag für
einen bestimmten Sprachgebrauch gibt. Weiter ist zu betonen, dass nicht nur der
Sprachgebrauch sozialer Schichten (wie z.B. der Unterschicht) als Soziolekt
bezeichnet wird, sondern auch der anderer sozialer Gruppierungen. So kann der
Sprachgebrauch, wie er beim Militär oder unter Jugendlichen verwendet wird,
ebenfalls als Soziolekt bezeichnet werden. Gelegentlich findet man hierfür auch
die Bezeichnung Sondersprache oder v.a. in neueren Arbeiten die
Bezeichnung Varietät. Auch Fachsprachen können darunter fallen. Diese sind
durch einen bestimmten Stil gekennzeichnet, der für das jeweilige Tätigkeitsfeld
(z.B. im Bereich der Technik) charakteristisch ist. Grundsätzlich gilt also, dass
unter Soziolekt die sprachlichen Eigenheiten jeder Gruppe gefasst werden, die
durch gemeinsame außersprachliche Merkmale konstituiert ist (z.B. das Alter,
die berufliche Tätigkeit, das Geschlecht).
Legt man in der Soziolinguistik eine solch weite Begriffsfassung von Soziolekt
zugrunde, dann geht man davon aus, dass es sprachliche Eigenheiten gibt, die
kennzeichnend für Gruppen von Individuen sind, die diesen also gewissermaßen
anhaften. Dabei handelt es sich aber keineswegs um exklusive Merkmale dieser
Gruppen; oft liegt der Unterschied zwischen verschiedenen Soziolekten nur in
der Frequenz bestimmter Wörter und die Übergänge sind fließend.
Daneben gibt es aber auch eine engere Auffassung von Soziolekt, die den
Geltungsbereich dieses Begriffs auf solche sprachliche Eigenheiten einschränkt,
die das soziale Ansehen einer Gruppe betreffen (vgl. dazu Löffler 2010). Im
Zentrum steht hier die Frage, welches Prestige mit dem Vorkommen bestimmter
sprachlicher Merkmale verbunden ist und welche Statusmerkmale die Gruppe
hat, die diese sprachlichen Eigenheiten aufweist. In den Anfängen der
Soziolinguistik, d.h. in den 1960er Jahren, wurden solche Werturteile an den
Unterschieden zwischen dem Sprachgebrauch der Unterschicht und dem der
Mittel- und Oberschicht festgemacht. Danach galt der Unterschichtsoziolekt als
defizitär; er stelle, so die Annahme des britischen Linguisten Basil Bernstein
einen restringierten Kode dar, der die unteren Schichten daran hindere, sozial
erfolgreich zu sein. Ziel müsse es folglich sein, diese Defizite auszugleichen, die
Sprachbarrieren zu überwinden und die Unterschichtkinder an den
Sprachgebrauch der Mittel- und Oberschicht heranzuführen. Folgt man dieser
politisch brisanten (und in der Folge heftig kritisierten) Auffassung, dann ist die
Bewertung des jeweiligen Sprachgebrauchs das wichtigste Kriterium zur
Unterscheidung von Soziolekten. Weiter wird dann auch deutlich, worin der
Unterschied zwischen den Bezeichnungen Soziolekt und Dialekt besteht. Denn
auch die Sprecher einer Dialektregion bilden eine Gruppe, doch steht in diesem
Fall ihre regionale Herkunft im Zentrum der sprachwissenschaftlichen
Forschung (z.B. in der Dialektologie) und nicht die Eigen- und
Fremdeinschätzung dieser Gruppe und die damit verbundenen Statusurteile. Das
gilt auch für die Abgrenzung von Soziolekt und Umgangssprache: So heterogen
der Begriff Umgangssprache auch ist, lässt sich doch generell sagen, dass dieser
Ausdruck den Sprachgebrauch zwischen den lokalen Dialekten und der
überregionalen Standardsprache (= Hochsprache) meint und, anders als der
Terminus Soziolekt (im engeren Sinne), nicht mit Werturteilen verbunden ist.
In der neueren Sprachwissenschaft spielt der Terminus Soziolekt nur noch eine
nachgeordnete Rolle, heute verwendet man anstelle von Soziolekt eher den
Terminus Varietät oder spricht von sprachlicher Variation. Das zeigt sich auch
in sprachdidaktischen Arbeiten, wo sich zwar zahlreiche Vorschläge finden, wie
man das Thema im Unterricht behandeln kann (vgl. den Sammelband von
Neuland 2006), diese tragen aber alle nicht den Ausdruck Soziolekt im Titel.
Häufig thematisieren solche Arbeiten die sprachlichen Merkmale einer
bestimmter Gruppen (z.B. unter dem Stichwort Jugendsprache oder
Frauensprache). Auch in den Bildungsstandards für das Fach Deutsch tritt der
Terminus Soziolekt nicht auf, sinngemäß wird aber daran angeknüpft. So wird
im Kompetenzbereich „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“ Folgendes
ausgeführt: Sprachen in der Sprache kennen und in ihrer Funktion
unterscheiden: z.B. Standardsprache, Umgangssprache, Dialekt;
Gruppensprachen, Fachsprachen; gesprochene und geschriebene Sprache“.
Dieser Passus ist ein Hinweis darauf, dass das Themenfeld Soziolinguistik und
Soziolekt (wenn auch unter anderem Vorzeichen) im Deutschunterricht nach wie
vor eine wichtige Rolle spielt.
Literatur: Durrell, M. (2004): Sociolect. In: Ammon, U.; Dittmar, N.; Mattheier,
K. J. & Trudgill, P. (Hrsg.): Soziolinguistik. Ein internationales Handbuch zur
Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft. Bd. 1, Berlin, 200-205. Löffler, H.
(2010): Germanistische Soziolinguistik. 4., neu bearbeitete Auflage. Berlin.
Neuland, E. (Hrsg.) (2006): Variation im heutigen Deutsch: Perspektiven für
den Sprachunterricht. Frankfurt a.M. u.a. Veith, W. H. (2005): Soziolinguistik.
Ein Arbeitsbuch. Tübingen.
Unterrichtsmaterial: Der Deutschunterricht 3/93 (Soziolinguistik), Der
Deutschunterricht 1/04 (Sprachvariation im heutigen Deutsch)
Christa Dürscheid
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