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Die „Schwarze Schmach“. Wahrnehmungen der Besatzungssoldaten im Rheinland nach dem
Ersten Weltkrieg in deutscher und französischer Perspektive
Christian Koller
Als im Jahre 1930 die letzten französischen Einheiten vorzeitig aus dem rheinischen
Besatzungsgebiet abzogen, erinnerte Carl Zuckmayer in der „Vossischen Zeitung“ daran, dass
sich unter den Besatzungstruppen vor allem zu Beginn der Besatzung auch zahlreiche
Kolonialsoldaten – nämlich bis zu 40 000 der 85 000 im Rheinland stationierten Franzosen –
befunden hatten. Er sprach in diesem Zusammenhang, den deutschen Propagandaslogan von
der „Schwarzen Schmach“ konterkarierend, von einer »Schmach gegen die Schwarzen, denn
es liegt kein vernünftiger Grund vor, ihre militärische Verwendung mit einem anderen Wort
als Sklaverei zu bezeichnen. Die armen Kerle husteten sich in unserem neblig-feuchten,
nasskalten Winterklima massenweise zu Tode, die Friedhöfe in Mainz und Koblenz legen ein
furchtbares Zeugnis dafür ab, was diese Afrikaner der Kultur verdanken.«1
Am 11. November 1918 hatte Deutschland mit dem Waffenstillstandsvertrag den
Siegermächten das Recht auf Besetzung des linken Rheinufers mit Garnisonen eingeräumt.
Der Versailler Friedensvertrag vom Juni 1919 sah vor, dass die deutschen Gebiete westlich
des Rheins einschließlich einiger Brückenköpfe am rechten Rheinufer fünfzehn Jahre lang
besetzt bleiben sollten. Falls Deutschland die Vertragsbedingungen getreu erfüllte, sollte sich
die Räumung dieser Gebiete in drei Phasen nach fünf, zehn und fünfzehn Jahren vollziehen.
Die Rheinlandbesetzung war aus strategischen Gründen vor allem den Franzosen ein
Anliegen, die auch die Mehrheit der Besatzungstruppen stellten und im April 1920, im März
1921 und ab Januar 1923 wegen deutscher Vertragsverletzungen weitere Gebiete besetzten.
Die Stationierung kolonialer Einheiten im Rheinland löste, wie zuvor schon der Einsatz von
Kolonialtruppen an der Westfront des Ersten Weltkrieges, intensive Debatten in Deutschland,
Frankreich und darüber hinaus aus.2 Die deutsche Propaganda benutzte das Thema, um unter
1 Carl Zuckmayer, Franzosenzeit (1918–1930), in: Blätter der Carl-Zuckmayer-Gesellschaft 7-2
(1978), S. 21–25, S. 23f.
2 Dazu: Hans-Jürgen Lüsebrink, „Tirailleurs sénégalais“ und „Schwarze Schande“. Verlaufsformen
und Konsequenzen einer deutsch-französischen Auseinandersetzung, in: János Riesz/Joachim Schultz
(Hg.), „Tirailleurs sénégalais“. Zur bildlichen und literarischen Darstellung afrikanischer Soldaten im
Rekurs auf rassistische Stereotypen Vorwürfe der Westmächte bezüglich des Kriegsausbruchs
und die deutsche Kriegführung zu kontern. Der folgende Beitrag konzentriert sich auf die
deutsche Propagandakampagne gegen die „Schwarze Schmach“, die Wahrnehmung der
kolonialen Besatzungseinheiten durch die Zivilbevölkerung im Rheinland sowie auf die
französischen Reaktionen.
Die deutsche Propaganda und ihre Inhalte
Bis ins Frühjahr 1920 wurden in Deutschland nur vereinzelte Stimmen gegen die
Kolonialtruppen im Rheinland laut. Erst am 6. April 1920 wurde eine breitere Öffentlichkeit
auf die afrikanischen Besatzungseinheiten aufmerksam, als es in Frankfurt zu einem
Zwischenfall kam, bei dem marokkanische Soldaten mit einem Maschinengewehr mehrere
Menschen töteten. Dieser Vorfall markierte den Beginn einer nahezu drei Jahre anhaltenden
Präsenz der Kolonialtruppenproblematik in der öffentlichen Diskussion. Eine intensive
Propagandakampagne sollte die internationale öffentliche Meinung gegen Frankreich
mobilisieren und einen Keil in die antideutsche Front der Siegermächte des Ersten Weltkriegs
treiben. Insbesondere in den angelsächsischen Ländern mit ihrer langen Tradition rassistischer
Trennung und ihrer teilweise kritischen Haltung gegenüber der französischen
Deutschlandpolitik hoffte man zu punkten. Ende April 1920 reichten mehrere
deutschnationale Abgeordnete eine Anfrage an die Regierung ein betreffend »die Greuel,
welche schwarze Franzosen an den deutschen Frauen des besetzten Gebietes verüben«.3 Am
19. Mai 1920 gab die Nationalversammlung ihrer Empörung über »diese missbräuchliche
Verwendung der Farbigen« in einer Interpellation Ausdruck, die von allen Fraktionen mit
Ausnahme der Unabhängigen Sozialdemokraten unterstützt wurde: »Für deutsche Frauen und
Dienste Frankreichs, Frankfurt a.M. u.a. 1989. S. 57–71; Christian Koller, „Von Wilden aller Rassen
niedergemetzelt“. Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in Europa zwischen
Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (1914–1930), Stuttgart 2001; Jean-Yves Le Naour, La Honte
noire. L'Allemagne et les Troupes coloniales françaises, 1914–1945, Paris 2003; Sandra Mass, Weiße
Helden, schwarze Krieger. Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland, 1918–1964 Köln
2006; Iris Wigger, Die „Schwarze Schmach am Rhein“. Rassistische Diskriminierung zwischen
Geschlecht, Klasse, Nation und Rasse, Münster 2006; Eberhardt Kettlitz, Afrikanische Soldaten aus
deutscher Sicht seit 1871. Stereotype, Vorurteile, Feindbilder und Rassismus, Frankfurt a.M. u.a. 2007;
Richard S. Fogarty, Race and War in France. Colonial Subjects in the French Army, 1914–1918,
Baltimore 2008.
3 Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 343, Berlin 1920, S.
3081.
2
Kinder [...] sind diese Wilden eine schauerliche Gefahr. Ihre Ehre, Leib und Leben, Reinheit
und Unschuld werden vernichtet.«4 Tags darauf bezeichnete Reichsaußenminister Adolf
Köster »die Verpflanzung von ungefähr 50 000 schwarzen, fremdrassigen Truppen und
Menschen nach Europa, in das Herz des weißen Europa« als »ein Vergehen an
Gesamteuropa«.5 Lieber wolle man die angeblich mindere Disziplin „weißer“ französischer
Truppen hinnehmen, wenn nur Deutschland von der „schwarzen Plage“ befreit werde.
Im August 1920 gab die vom Krupp-Konzern finanziell unterstützte „Rheinische Frauenliga“
die Schrift „Farbige Franzosen an Rhein und Ruhr“ heraus, die mit Hilfe des Auswärtigen
Amtes in verschiedenen Sprachen auch ins Ausland verschickt wurde und in minutiöser Art
und Weise angebliche sexuelle Übergriffe und andere Gewalttaten gegen die rheinische
Bevölkerung schilderte.6 Weitere Propagandaschriften folgten. Erst 1923, zur Zeit der
Ruhrbesetzung, nahm die Propaganda gegen die „Schwarze Schmach“ ab, einerseits, weil
Frankreich in den Augen der Deutschen sich mit seiner Aktion vor der Weltöffentlichkeit
derart als Aggressor disqualifiziert hatte, dass die antifranzösische Propaganda nun des Topos
„Kolonialtruppen“ gar nicht mehr bedurfte, andererseits, weil die USA aus Protest gegen die
Ruhrbesetzung ihr Besatzungskontingent aus dem Rheinland abzogen und damit einer der
Hauptadressaten der deutschen Propaganda, die den Rassismus namentlich in den
amerikanischen Südstaaten für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versucht hatte, sein
Interesse an der Rheinlandfrage zunehmend verlor. Bis zum Abzug der letzten
Besatzungstruppen im Jahre 1930 tauchte das Thema aber sporadisch wieder in den Medien
auf.
Der Propagandafeldzug gegen die „Schwarze Schmach“ lässt sich in einen offiziellen und
einen inoffiziellen Teil gliedern. Ersterer wurde – ohne überall sich als offiziell zu erkennen
zu geben – vom Auswärtigen Amt und vom Reichsinnenministerium gesteuert. Diese beiden
Ministerien arbeiteten eng mit Organisationen von offiziösem Charakter wie der „Rheinischen
Frauenliga“ und der „Rheinischen Volkspflege“ zusammen. Auch um die Belieferung der
4 Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 343, Berlin 1920, S.
3407.
5 Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 333, Berlin 1920, S.
5692f.
6 Rheinische Frauenliga (Hg.), Farbige Franzosen am Rhein. Ein Notschrei deutscher Frauen. 4. erw.
Aufl. Berlin 1923.
3
Presse im In- und Ausland mit einschlägigem Material waren diese Stellen besorgt. Daneben
entfalteten zahlreiche Privatpersonen zum Teil beachtliche Aktivitäten: Der Münchner
Ingenieur Heinrich Distler, der sich bereits 1922 der nationalsozialistischen Bewegung
anschließen sollte, gründete den „Deutschen Notbund gegen die Schwarze Schmach“ und
produzierte einen Film mit dem Titel „Die Schwarze Schmach“, der heftige Reaktionen
seitens der Franzosen hervorrief. Eine weitere wichtige Figur der inoffiziellen Propaganda
war die amerikanische Schauspielerin und Journalistin Ray Beveridge. Sie prangerte seit
März 1920 bei öffentlichen Auftritten in Berlin, München und Hamburg sowie auf einer
Finnlandreise die Zustände in den besetzten Gebieten an.
Obwohl die große Mehrheit der kolonialen Besatzungstruppen aus Marokko und Algerien
stammte und die Westafrikaner bereits im Sommer 1920 abgezogen wurden, sprach die
deutsche Propaganda in der Regel pauschal von „Schwarzen“. Grund dafür war
propagandistisches Kalkül. Die Tatsache, dass sich afrikanische Soldaten auf deutschem
Territorium und somit in unmittelbarem Kontakt zur Zivilbevölkerung befanden, bot die
Gelegenheit, auf einen Topos zurückzugreifen, der im europäisch-nordamerikanischen
Diskurs über „die Schwarzen“ seit langem einen prominenten Platz eingenommen hatte: die
Betonung ihres angeblich zügellosen Sexualtriebes. In geradezu voyeuristischer Art und
Weise wurden in den Propagandaschriften angebliche Fälle von Vergewaltigungen deutscher
Frauen, Männer und Kinder seitenlang minutiös geschildert. Vereinzelt war sogar von
Sodomie die Rede.
Auch behauptete die deutsche Propaganda, dass die Kolonialvölker durch den Europaeinsatz
ihrer Soldaten ihre unterwürfige Haltung gegenüber den Europäern verlören: »Die Farbigen
sind sich jetzt erst ihrer Stärke bewusst geworden, sie kennen jetzt die Mittel, die dem Weißen
bisher die Vorherrschaft über sie verschafften. Ihr Hass wird sich eines Tages furchtbar
entfalten ...! So ist die gesamte weiße Rasse durch das von wahnsinnigem Rachedurst
diktierte Vorgehen gefährdet! [...] Wenn nicht bald die gesamte zivilisierte Welt geschlossen
aufsteht und die Zurückziehung der farbigen Truppen von europäischem Boden verlangt, wird
der Tag kommen, an dem sich die rollende Lawine nicht mehr aufhalten lässt! [...] Es geht
letzten Endes um das Weiterbestehen oder den Untergang der weißen Rasse! «7 Die
kolonialen Besatzungssoldaten waren also nach Ansicht der deutschen Propaganda nichts
7 Joseph Lang, Die schwarze Schmach – Frankreichs Schande, Berlin 1921, S. 16.
4
weniger als die Vorboten vom Untergang der rassistisch begründeten europäischen
Vorherrschaft.
Die Sicht der rheinischen Zivilbevölkerung
Trotz aller Gräuelpropaganda scheint das tatsächliche Verhältnis der Bevölkerung zu den
Kolonialsoldaten nicht schlechter gewesen zu sein als zu den „weißen“ Angehörigen der
französischen Besatzungsmacht. Eine sich ausschließlich auf die kolonialen
Besatzungssoldaten beziehende Furcht oder Verachtung lässt sich, wie die folgenden
Beispiele von Worms und Wiesbaden zeigen, in den einschlägigen Quellen vor Ort nicht
nachweisen. In Worms waren im Unterschied zu einem Großteil der französischen
Besatzungszone bis zum Sommer 1920 neben nordafrikanischen und vietnamesischen
Soldaten über ein Jahr lang auch westafrikanische Soldaten stationiert. Kurz vor Abzug des
senegalesischen Regimentes schrieb der Kreisdelegierte der Interalliierten
Rheinlandkommission, der Oberbehörde des Besatzungsregimes, an den Wormser
Oberbürgermeister, dass anfangs in der Zivilbevölkerung eine gewisse Furcht vor den
Kolonialsoldaten geherrscht habe, diese aber bald umgeschlagen sei in die Anerkennung ihrer
Disziplin und die Bewunderung ihrer guten Moral. So habe er aus allen
Bevölkerungsschichten Proteste gegen die „Schwarze Schmach“-Kampagne vernommen.8
Tatsächlich finden sich in den Polizeiakten sowohl Hinweise auf Konflikte als auch auf ein im
Rahmen der Besatzungssituation einigermaßen normales Zusammenleben mit den
Westafrikanern.9
Beschwerden aus der Bevölkerung bezogen sich zumeist auf Bagatellfälle, so etwa die
Entwendung eines Regenschirmes durch einen „Negeroffizier“ oder unerlaubtes Radfahren
und Fußballspiel. Klagen über sexuelle Übergriffe der „Schwarzen“, die ja das Hauptthema
der deutschen Propaganda darstellten, finden sich in den Akten kaum. Auch wenn in der Zeit
bis zum Frühjahr 1920 insgesamt drei Vergewaltigungsversuche angezeigt wurden, kann für
das erste Besatzungsjahr weder von einem „schwarzen Schrecken“ noch von einer rassistisch
motivierten Hysterie in der Bevölkerung ausgegangen werden. Auch Klagen über andere
8 Stadtarchiv Worms 13/2244.
9 Vgl. Stadtarchiv Worms 13/2236.
5
Gewalttaten der Westafrikaner sind in den Akten selten. In einer 1920 erstellten Liste über
Misshandlungen deutscher Zivilisten durch französische Militärpersonen erscheinen nur in
zwei von insgesamt 23 Fällen Westafrikaner zumindest als Mittäter; ein Fall bezog sich auf
einen Vietnamesen, alle weiteren auf Europäer.
So vermitteln die Polizeiakten aus der Zeit der Besetzung durch westafrikanische Einheiten
kaum den Eindruck, dass das Verhältnis der Wormser Bevölkerung zu den Angehörigen dieser
Verbände signifikant schlechter gewesen wäre als zu den übrigen Besatzungssoldaten. Dazu
passt auch diese Meldung: als im Juli 1919 ein Westafrikaner beim Abspringen von einem
fahrenden Straßenbahnzug verunglückte und bewusstlos liegen blieb, hätten sich neben dem
Schaffner auch Passanten spontan um den Verletzten gekümmert und ihn ins
Garnisonslazarett gebracht.10 Der Wormser Oberbürgermeister konnte deshalb der
Interalliierten Rheinlandkommission Anfang Juni 1920, wohl ohne sich in Widerspruch zur
vorherrschenden Meinung in der Bevölkerung zu stellen, bestätigen, dass das 11. Senegal-
Schützenregiment sich »als eine gut disciplinierte Truppe erwiesen« habe.11
Nach dem Abzug der Westafrikaner, der zeitlich mit dem Beginn der deutschen
Propagandakampagne zusammenfiel, scheint sich das Verhältnis zumindest eines Teils der
Wormser Bevölkerung zu den – größtenteils marokkanischen – kolonialen
Besatzungssoldaten verschlechtert zu haben. In den Akten tauchen jetzt mehrere Fälle von
tätlichen Angriffen Deutscher gegen Kolonialsoldaten auf: Im Mai 1921 ereignete sich eine
handgreifliche Auseinandersetzung zwischen einem deutschen Polizisten und einem
vietnamesischen Stellvertretenden Offizier, nachdem ersterer diesen verbal provoziert hatte;
im September desselben Jahres wurde ein vietnamesischer Unteroffizier von drei Deutschen
überfallen und ausgeraubt; im April 1923 verursachte ein Angriff einiger deutscher Zivilisten
auf vier Marokkaner eine Schlägerei, und im Mai 1925 fand ein weiterer Angriff deutscher
Zivilisten auf einen marokkanischen Soldaten statt, ohne dass – so die Klage der Franzosen –
die anwesenden Polizisten etwas zu dessen Schutz getan hätten.12
Im Unterschied zur Stadt Worms waren im preußischen Regierungsbezirk Wiesbaden, wo die
10 Stadtarchiv Worms 13/2238.
11 Stadtarchiv Worms 13/2244.
12 Stadtarchiv Worms 13/2241, 2245.
6
Zahl der kolonialen Besatzungssoldaten im Dezember 1920 über 5 000 betrug,13 mehrere
durch Kolonialsoldaten verursachte Todesfälle deutscher Zivilpersonen zu beklagen. Zu
nennen sind zwei Morde in Wiesbaden im September 1920, ein Mord in Höchst im Mai 1921,
die Erschießung eines Zivilisten durch einen Wachtposten in Delkenheim Ende 1921, ein
Sexualverbrechen in Idstein im Juni 1922 sowie der Tod eines Zivilisten im Zusammenhang
mit Ausschreitungen marokkanischer Soldaten in Soßenheim im November 1922. Obwohl die
durch „weiße“ französische Soldaten verursachten Todesfälle die durch Kolonialsoldaten
verschuldeten überwogen, schufen diese Vorfälle ein angespanntes Klima zwischen
Zivilbevölkerung und Kolonialtruppen. Hinzu kamen – interessanterweise nach dem
Einsetzen der „Schwarze Schmach“-Kampagne weit häufiger als davor – weitere Klagen über
Delikte und Sachbeschädigungen von Kolonialsoldaten, die teilweise von den Franzosen als
begründet anerkannt und bestraft wurden. Zudem ist in den Akten wiederholt von
Schlägereien zwischen Deutschen und Marokkanern die Rede.
In den Wiesbadener Akten finden sich indessen vereinzelte Hinweise darauf, dass es neben
den geschilderten Konflikten freundschaftlichere Kontakte zwischen der deutschen
Zivilbevölkerung und den Kolonialsoldaten gab – wenn auch solche Kontakte nicht gern
gesehen wurden. So vermerkte der Wiesbadener Landrat im März 1923 zum Diebstahl einer
Uhr durch einen Marokkaner tadelnd, dass der bestohlene Deutsche »sich mit dem
marokkanischen Soldaten in eine freundschaftliche Unterhaltung eingelassen und sich einen
Cognac spendieren lassen« habe und mithin »an seiner Schadenssache nicht schuldlos« sei.14
Die knapp hundert während der Besatzungszeit im Regierungsbezirk Wiesbaden geborenen
„Mischlingskinder“ waren zunächst ein Tabuthema. Grund dafür war die Tatsache, dass ihre
Existenz in krassem Widerspruch zur vorherrschenden Erwartung bezüglich des Verhaltens
deutscher Frauen gegenüber den Angehörigen der Kolonialtruppen stand.
Französische Reaktionen
In Frankreich wurde die deutsche Propagandakampagne gegen die „Schwarze Schmach“
anfänglich nicht sonderlich ernst genommen. Bald tauchte aber die Befürchtung auf, dass die
deutsche Propaganda für die Franzosen verheerende Auswirkungen haben könne. Die mit den
13 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden 405/5232/28.
14 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden 405/5577/178.
7
deutschen Anschuldigungen gegen die französischen Kolonialsoldaten verbundene
Infragestellung der deutschen Kriegsschuld ließ eine eindeutige Antwort auf die deutsche
Propaganda zu einer Angelegenheit von nationaler Bedeutung werden.
Die französischen Behörden bemühten sich nicht nur, die deutsche Propaganda im
Besatzungsgebiet zu unterdrücken, sondern waren auch bestrebt, die Anschuldigungen als
Lügen zu entlarven. Eine besondere Rolle im besetzten Gebiet selbst spielte hierbei die in
Mainz verlegte zweisprachige Propagandazeitung „L’Echo du Rhin“, die seit 1920 eine
Vielzahl von Artikeln zur Kolonialtruppenproblematik publizierte. Dabei wurden die
deutschen Vorwürfe als Propagandalügen qualifiziert, und das Blatt wies im Gegenzug auf
deutsche Greueltaten im Weltkrieg und auf das angeblich gute Verhältnis der deutschen
Zivilbevölkerung zu den französischen Besatzungstruppen im allgemeinen und zu den
Kolonialsoldaten im besonderen hin. Mit besonderer Vorliebe zitierte das „Echo“ auch
dissidente deutsche Stimmen. Die wenigen Fälle, in denen eine Verurteilung von
Kolonialsoldaten durch die französische Militärjustiz erfolgte, wurden nicht etwa
totgeschwiegen, sondern im Gegenteil als Beweis für die französische Gerechtigkeitsliebe
angeführt.
In Frankreich selbst und seinen Kolonien erfolgte eine ostentative Aufwertung der den
Kolonialtruppen zugeschriebenen Bedeutung im Weltkrieg. Bis 1924 wurden zu ihren Ehren
zahlreiche Denkmäler errichtet, so in den nordafrikanischen Städten Bamako, Dakar, l’Arba
und Oran sowie im französischen Saint-Raphaël und Reims. Ihre Finanzierung erfolgte zum
Teil durch breit angelegte Subskriptionskampagnen im Mutterland. Auch auf der
Kolonialausstellung in Marseille im Sommer 1921 wurden die Leistungen der
Kolonialsoldaten ausgiebig gewürdigt, ebenso in fast der gesamten französischen Presse. Die
„Dépêche coloniale et maritime“ publizierte in den ersten Nachkriegsjahren unter dem Titel
„Nos Coloniaux dans la Grande Guerre“ eine Serie von mehr als fünfzig Artikeln. Zudem
entstand ein ansehnliches Schrifttum, das die Leistungen der Kolonialtruppen thematisierte.
Auch die Publikation autobiographischer Zeugnisse von Angehörigen der Kolonialtruppen
wurde nun gezielt gefördert. Kolonialpolitische Periodika veröffentlichten zahlreiche Briefe
afrikanischer Soldaten, die deren Mut und Loyalität sowie vor allem die Fortschritte im
Zivilisierungs- und Assimilierungsprozess unter Beweis stellen sollten. Im Jahre 1926
erschien mit Bakary Diallos Buch „Force-Bonté“ die erste Autobiographie eines ehemaligen
8
„Tirailleur sénégalais“, eines westafrikanischen Schützen.15 Dieses Werk war in den Augen
vieler Franzosen ein Beleg für die intellektuelle Entwicklungsfähigkeit der Afrikaner und für
den Erfolg der französischen Akkulturationspolitik – und ein Gegenbeweis zu dem in der
deutschen Propaganda von „den Schwarzen“ gezeichneten Bild.
Im Verlaufe der intensiven öffentlichen Beschäftigung mit den afrikanischen Soldaten erfolgte
eine teilweise Abkehr von den bisherigen Stereotypen, die sich in Frankreich bis in den Ersten
Weltkrieg hinein kaum von denjenigen in Deutschland unterschieden hatten. Nicht mehr die
Andersartigkeit der Afrikaner wurde betont, sondern ihre intellektuelle Entwicklungs- und
kulturelle Anpassungsfähigkeit. So meinte etwa General Charles Mangin, der vor und
während des Krieges stets gerade die angebliche rassisch bedingte intellektuelle
Unterlegenheit der Westafrikaner als Argument für deren militärische Verwendung ins Feld
geführt hatte, 1924 in einem Buch über die französischen Kolonien, dass die Afrikaner den
Europäern in ihrer Intelligenz keineswegs nachstünden, sondern lediglich zivilisatorisch im
Rückstand seien.16 Zudem wurden die Afrikaner nun häufig nicht mehr als homogene und
anonyme Masse dargestellt, sondern als Individuen, deren Einzelschicksale von Interesse
waren.
Auch das neue Bild von den Kolonialsoldaten in Frankreich war jedoch kein egalitäres. Zwar
verminderte sich im Bemühen um Abgrenzung von der deutschen Propaganda der Anteil an
offenem Rassismus, dafür nahmen aber exotistische Wahrnehmungsmuster ebenso zu wie die
Argumentation mit der kolonialistischen Ideologie von der zivilisatorischen Mission der
Europäer.
Insgesamt zeigte die Debatte um die „Schwarze Schmach“ also auf beiden Seiten eine
deutliche Differenzwahrnehmung zu den Kolonialsoldaten, die in den öffentlichen Diskursen
je nach den aktuellen propagandistischen Erfordernissen eher ins Rassistische oder ins
Exotistische und Paternalistische tendierte.
15 Bakary Diallo, Force-Bonté, Paris 1926.
16 Charles Mangin, Regards sur la France d'Afrique, Paris 1924, S. 175.
9