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CH-8057 Zurich
http://www.zora.uzh.ch
Year: 2009
Entwicklung der stationären und teilstationären
Depressionsbehandlung
Boeker, H
Boeker, H (2009). Entwicklung der stationären und teilstationären Depressionsbehandlung. In: Boeker, H; Hell, D;
Teichman, D. Tagesklinik für Affektkranke: Teilstationäre Behandlung von Depressionen, Angst- und
Zwangsstörungen. Stuttgart, New Yotk, 2-13.
Postprint available at:
http://www.zora.uzh.ch
Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich.
http://www.zora.uzh.ch
Originally published at:
Boeker, H; Hell, D; Teichman, D 2009. Tagesklinik für Affektkranke: Teilstationäre Behandlung von Depressionen,
Angst- und Zwangsstörungen. Stuttgart, New Yotk, 2-13.
Boeker, H (2009). Entwicklung der stationären und teilstationären Depressionsbehandlung. In: Boeker, H; Hell, D;
Teichman, D. Tagesklinik für Affektkranke: Teilstationäre Behandlung von Depressionen, Angst- und
Zwangsstörungen. Stuttgart, New Yotk, 2-13.
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Originally published at:
Boeker, H; Hell, D; Teichman, D 2009. Tagesklinik für Affektkranke: Teilstationäre Behandlung von Depressionen,
Angst- und Zwangsstörungen. Stuttgart, New Yotk, 2-13.
Die Entwicklung der stationären und teilstationären Depressionsbehandlung
Prof. Dr. med. Heinz Böker
Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
Klinik für Affektive Erkrankungen und Allgemeinpsychiatrie Zürich Ost
Zentrum für Depressions- und Angstbehandlung
Lenggstrasse 31
CH-8032 Zürich
Tel.: +41 44 384 2608
Fax: +41 44 383 4456
E-Mail: boeker@bli.uzh.ch
Das Spektrum depressiver Erkrankungen macht den Hauptteil affektiver Störungen aus und
gehört mit einer Inzidenz von 8 – 20% zu den häufigsten psychischen Erkrankungen.
Depressionen werden vielfach unterdiagnostiziert und häufig nicht adäquat – mit geeigneter
Pharmakotherapie, Psychotherapie bzw. einer Kombinationstherapie – behandelt. Bei
rechtzeitiger Diagnose und geeigneter Therapie ist die Prognose des häufig rezidivierenden
Verlaufs depressiver Erkrankungen als gut einzuschätzen. Gleichzeitig ist hervorzuheben,
dass Chronifizierungen und sogenannte therapieresistente Depressionen in einer Häufigkeit
von 15 – 30% vorkommen. Vor diesem Hintergrund stellt die Behandlung depressiver
Erkrankungen weiterhin eine grosse Herausforderung der modernen Psychiatrie dar.
Weitgehende Übereinstimmung besteht darin, dass Ursache und Entstehung depressiver
Erkrankungen als multifaktoriell bedingt anzusehen sind. Neben genetischen Faktoren und
biologischer Disposition sind je nach Art der depressiven Erkrankung psychoreaktive
Faktoren – zumindest im Sinne der Auslösung – von entscheidender Bedeutung.
Dementsprechend ist von einer „gemischten biologischen und psychosozialen Vulnerabilität“
auszugehen (vgl. Mentzos 1995, Böker 2002). Angesichts der Vielfalt der depressiven
Symptome und der Verläufe stellt der depressive Affekt die gemeinsame, elementare
psychische Dimension der unterschiedlich ausgestalteten depressiven Syndrome dar. Der
depressive Affekt signalisiert – im Gegensatz zu Trauer – den eingetretenen oder drohenden
intrapsychischen Stillstand („Deadlock“, vgl. Gut 1989), das Verschwinden von
Zukunftsperspektiven, die Verlangsamung bzw. den Stillstand des Zeiterlebens (Gebsattel
1968) oder das Eingeschlossensein in Grenzen, die man nicht überwinden kann (Inkludenz)
bzw. das Zurückbleiben hinter eigenen Ansprüchen (Remanenz, Tellenbach 1983).
Die Ursachen dieser Blockierung seelischer Prozesse sind nicht einheitlich. Die Blockade
kann entstehen durch schwere reale Verluste oder Kränkungen, „unlösbar“ erscheinende
Konflikte, insbesondere im Zusammenhang mit einem sehr strengen Gewissen, einer
selbstunsicheren Haltung und intensiven Anklammerungswünschen, durch psychophysische
Erschöpfung (infolge einer anhaltenden Konfliktsituation bzw. anhaltender belastender
Lebensereignisse oder auch durch biologisch bedingte Vitalitätsminderung im Alter) und
nicht zuletzt durch reale Hilflosigkeit und Ausweglosigkeit.
Der depressive Affekt allein ist nicht identisch mit dem Krankheitsbild der Depression; unter
günstigen Bedingungen kann es zu einer positiven Änderung und produktiven Entwicklung
kommen (nicht zuletzt auch durch die positiven, neuen Beziehungserfahrungen innerhalb von
psychotherapeutischen Prozessen). Erst bei längerem Anhalten der auslösenden Situation und
durch das Hinzutreten und Einrasten biopsychosozialer Circuli vitiosi (als sich selbst
verstärkende Prozesse) entstehen in einer „psychosomatischen“ Sichtweise die klinischen
Formen der Depression (vgl. Mentzos 1995, Böker 2002).
Bei den depressiogenen Wechselwirkungsprozessen kommt den von Beck (1974), Seligmann
(1975) und Hautzinger (1991) beschriebenen dysfunktionalen Kognitionen (z.B. selektive
Abstraktionen, Übergeneralisierungen, Personalisierungen, ein moralisch-absolutistisches
Denken und übergenaues Benennen) eine besondere Bedeutung zu. Die depressiv verzerrten
Kognitionen erweisen sich dabei vielfach als stabile, überdauernde Muster der selektiven
Wahrnehmung, Kodierung und Bewertung.
In modernen Depressionsmodellen wird der Versuch unternommen, die Vielfalt
neurobiologischer Befunde, entwicklungspsychologische und klinische Beobachtungen und
die Ergebnisse der Psychotherapieforschung zu integrieren (vgl. Aldenhoff 1997, Böker
2002). Angesichts der Mehrdimensionalität depressiver Erkrankungen zielen
mehrdimensionale Behandlungskonzepte – kurz zusammengefasst – im wesentlichen darauf,
die Circuli vitiosi der Depression zu überwinden (Böker, Hell 2002). Somatotherapeutische,
psychotherapeutische und soziotherapeutische Interventionen sind dabei auf den jeweiligen
Einzelfall sinnvoll abzustimmen.
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Stationäre Depressionsbehandlung
Die therapeutische Situation für depressiv Erkrankte auf Allgemein- und Akutstationen ist
unbefriedigend und wird den Ansprüchen an moderne Therapiekonzepte nicht gerecht.
Vielfach lässt sich beobachten, dass die ausgeprägten Selbstwertzweifel Depressiver und ihre
Unfähigkeit, sich zu behaupten, sich zu wehren bzw. die Initiative zu ergreifen, dazu beiträgt,
dass sie innerhalb anderer Krankengruppen „untergehen“, unzureichend wahrgenommen
werden. Es besteht auch die Gefahr, dass das depressive Verhalten in therapeutischen Teams
Aggressivität oder überbeschützende Fürsorglichkeit auslöst. Apathie, Lustlosigkeit und
Interesselosigkeit können Ohnmachtsgefühle auch im therapeutischen Team induzieren,
gelegentlich auch zu der Interpretation beitragen, der Patient wolle nur nicht, obwohl er
eigentlich könne (vgl. Wolfersdorf 1977). Die Gehemmtheit des depressiv Erkrankten kann
ferner „forcierte Handlungsdialoge“ auslösen in dem Bemühen, die unerträgliche Erstarrung
durch aktive Massnahmen zeitnah zu durchbrechen. Bei agitierten Depressionen, Reizbarkeit
oder hypochondrischer Klagsamkeit finden sich oft aggressive Gegenübertragungsreaktionen
im therapeutischen Team. Die Suizidalität konfrontiert mit eigenen Ängsten. Aus diesen
Gründen setzt ein angemessener Umgang mit depressiv Erkrankten spezifische Schulungen
innerhalb spezialisierter Behandlungsteams voraus, die schliesslich in der Lage sind, in einer
die Patienten fördernden Weise mit dem depressiven Affekt umzugehen und sich nicht in
interpersonellen und kommunikativen Teufelskreisen zu verstricken (vgl. Böker 2003). Die
Spezialisierung des therapeutischen Teams ermöglicht auch die Entwicklung eines
therapeutischen Milieus, das der möglichen Ausbreitung eines depressiv-resignativen Klimas
– gelegentlich als Einwand gegen die Einrichtung von Depressionsstationen genannt –
entgegenwirkt.
Lediglich bei etwa 5% der an Depressionen Erkrankten ist eine stationäre Aufnahme und
Behandlung in einer psychiatrischen Fachklinik erforderlich. Ein grosser Teil der stationären
Behandlungen wird insbesondere in Deutschland in Fachkliniken für Psychosomatische
Medizin und Psychotherapie durchgeführt. Indikationen für die stationäre Aufnahme von
depressiv Erkrankten sind:
• Therapieresistenz (Non-Responder)
• Chronische Depression
• Akute Suizidalität
• Psychotische Depression
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• Komorbidität mit psychiatrischen und somatischen Erkrankungen (z.B.
Alkoholabhängigkeit, Persönlichkeitsstörungen, ferner internistische und
neurologische Erkrankungen)
• Non-compliance
• Fehlende Versorgung und Betreuung
• Gravierende familiäre Konflikte
Angesichts der Mehrdimensionalität und Schwere depressiver Erkrankungen und der
Erkenntnis, dass depressiv Erkrankte auf psychiatrischen Akutstationen oftmals nur
unzureichend gefördert werden können, wurden in den vergangen Jahrzehnten spezielle
Behandlungseinheiten für depressiv Erkrankte (im englischsprachigen Raum als „Mood
Disorder Units“ bezeichnet) entwickelt. Da sich die Problematik von depressiv Erkrankten
und Angstkranken häufig überschneidet, werden beide PatientInnengruppen vielfach auf
Spezialstationen – u.a. auf den Spezialabteilungen für Depressions- und Angstbehandlung der
Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich – gemeinsam behandelt. Wolfersdorf (1995, 1997)
hat die therapeutischen Charakteristika von Depressionsstationen beschrieben: Zu den
Therapieangeboten dieser Spezialabteilungen für Depressionsbehandlung gehören – neben
einer speziellen Diagnostik und somatischen Behandlung – regelmässig Einzelgespräche, eine
Gruppentherapie und der Einbezug der Angehörigen und Partner. Darüber hinaus eröffnen
niederschwellige Angebote (Beschäftigungstherapie, Ergotherapie) einen ersten Zugang zu
den oftmals blockierten Patienten, bei denen eine ausgeprägte Hemmungssymptomatik
besteht. Je nach individuellen Neigungen und im Vordergrund stehender Symptomatik
werden ferner Bewegungstherapie, sportliche Aktivitäten, physiotherapeutische Behandlung
und Musiktherapie angeboten. Lichttherapie und die Anwendung der
Schlafentzugsbehandlung stehen als weitere ergänzende Therapieverfahren zur Verfügung.
Elektrokrampftherapie wird in unterschiedlichem Umfang – vor allem bei psychotischen und
therapieresistenten Depressionen – eingesetzt.
Depressionsstationen, die beispielsweise im Rahmen der PUK Zürich auf dem Boden eines
mehrstufigen therapeutischen Konzeptes und eines mehrdimensionalen Depressions- und
Angstverständnisses entwickelt wurden, bieten individuelle optimierte Therapien,
insbesondere auch für PatientInnen mit schweren und chronischen Depressionen und/oder
einer Komorbidität mit psychiatrischen und somatischen Erkrankungen an. Das
therapeutische Milieu ist speziell auf die Problematik dieser PatientInnengruppe ausgerichtet
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und ermöglicht eine schrittweise Aktivierung ohne Überforderung. Gleichzeitig wird eine
weitere Spezialisierung der MitarbeiterInnen dieser Spezialstationen im Umgang mit der
Depressions- und Angstproblematik gefördert. Universitäre Spezialabteilungen für
Depressions- und Angstbehandlung betreiben gezielt Depressions- und Angstforschung,
ferner auch Therapie- und Verlaufsforschung.
Zielgruppen der Spezialstationen sind PatientInnen mit affektiven Störungen (inkl. bipolare
Depression), Angststörungen und Zwangsstörungen. Bei akuten suizidalen Krisen einzelner
PatientInnen ist eine engmaschige Betreuung des für die Depressionsbehandlung
spezialisierten Behandlungsteams gewährleistet. Die zumeist offen geführten Stationen
können dazu vorübergehend auch geschlossen werden. Wesentliche Ausschlusskriterien
stellen eine primäre Suchterkrankung, Erregungszustände und akute Fremdgefährdung dar.
Unter Berücksichtigung der jeweiligen individuellen Problematik wird ein Drei-Stufen-
Programm durchgeführt, das zu Beginn insbesondere auf Entlastung und Stabilisierung zielt
und im weiteren Verlauf zunehmend aktivierende Elemente enthält (Integration und
systematische Vorbereitung des Austritts). Neben der medikamentösen Therapie (inkl.
Augmentationsbehandlung und Phasenprophylaxe) und weiteren somatischen
Therapieangeboten (Lichttherapie, Schlafentzug, u.U. Elektrokrampftherapie, in einigen
Kliniken auch transkranielle Magnetstimulation) kommen vielfach – mit unterschiedlicher
Akzentuierung – störungsspezifische Therapien (z.B. Kognitiv-Behaviorale Therapie bei
Zwangsstörungen, Angststörungen und Depressionen mit ausgeprägten negativen
Denkschemata) und psychodynamisch orientierte Einzel- und Gruppenpsychotherapie zum
Einsatz. Psychoedukative Gruppenangebote ermöglichen eine störungsspezifische
Informationsvermittlung und sind im Hinblick auf die Entwicklung günstigerer
Bewältigungsmechanismen, im Hinblick auf die Erkennung von Frühwarnzeichen und die
Rezidivprophylaxe von besonderer Bedeutung. Bei spezieller Indikation stellen
Arbeitsdiagnostik und Arbeitstherapie hinsichtlich der beruflichen Rehabilitation wesentliche
Hilfen zur Verfügung. Einzelne PatientInnen benötigen eine gezielte Unterstützung und
Begleitung bei der sozialen und beruflichen Rehabilitation. Günstigenfalls können mit
Zustimmung der PatientInnen auch Arbeitgeber und Vorgesetzte direkt in die weitere Planung
miteinbezogen werden.
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Tabelle: Mehrstufiges Therapiekonzept bei schwerer Depression
Ziele Methoden
Stationäre Behandlung
1. Entlastung
Stützen
Verminderung des psychischen
Schmerzes, der Ängste und der
Blockade
⇐ Therapeutische Grundhaltung und
therapeutisches Milieu
⇐ Stationärer Behandlungsraum als „Container“
⇐ Medikamentöse Behandlung (AD,
Augmentationsstrategien)
⇐ Weitere somatotherapeutische Behandlungen
(Lichttherapie, Schlafentzug, EKT)
2. Aktivierung und Stabilisierung
2.1. Schrittweise Aktivierung
Handlungskompetenz
Körpergefühl (Depression =
leibnächste seelische
Erkrankung)
⇐ Beschäftigungstherapie (niederschwellig),
Interessengruppe
⇐ Ergotherapie
⇐ Gemeinsame Aktivitäten
Arbeitstherapie
⇐ Physiotherapie
⇐ Bewegungstherapie
2.2. Stärkung des nicht depressiven
Verhaltens
„Positivierung“
Soziale Kompetenz
Selbstwertgefühl
⇐ Soziale Aktivitäten (z.B.
Stationsversammlung)
⇐ Einzelpsychotherapie
⇐ Gruppentherapie (Psychotherapie,
Ergotherapie, Bewegungstherapie)
2.3. Entwicklung alternativer
Bewältigungsstrategien
Überwindung dysfunktionaler
Denk-muster, Vermeidungs-
verhaltens, sozialer Ängste
⇐ Gruppentherapie
Psychodynamisch orientiert
Themenzentrierte Interaktion
Psychoedukation
⇐ Kognitive behaviorale Therapie (KBT)
Einbezug des Pflegeteams
Supervision der Behandelnden durch
externen Verhaltenstherapeuten
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Tabelle: Mehrstufiges Therapiekonzept bei schwerer Depression (Fortsetzung)
Ziele Methoden
Stationäre/Ambulante Behandlung
3. Integration und Austritt
3.1. Auflösung depressions-
fördernder Faktoren
(„Teufelskreise“)
Förderung günstiger
Bewältigungsmechanismen
Bewältigung von
Beziehungskonflikten
Berufliche Rehabilitation
Klärung sozialer Fragen
⇐ Einzelpsychotherapie (stationär/ambulant)
⇐ Fortsetzung und Anpassung der
medikamentösen Therapie
⇐ Gruppenpsychotherapie (stationär)
⇐ Eventuell Paar-/Familientherapie
⇐ Arbeitsdiagnostik und Arbeitstherapie
⇐ Sozialdienst
3.2. Nachsorge und Prävention
⇐ Ambulante Einzeltherapie (siehe oben)
⇐ Ambulante Gruppentherapie (Ambulatorium
Ost: Vernetzung von stationärer und ambulanter
Therapie)
⇐ Medikamentöse Phasenprophylaxe (bei
rezidivierenden Depressionen)
⇐ Störungsspezifische ambulante Psychotherapie
(Trauma, Sucht)
⇐ Selbsthilfegruppe (Equilibrium, etc.)
Ein wesentlicher Vorteil der Spezialstationen für Depressions- und Angstbehandlung besteht
darin, dass die Zusammensetzung der behandelten PatientInnen homogener gestaltet werden
und das gegenseitige Verständnis unter den PatientInnen erleichtert werden kann. Das
therapeutische Milieu wird auf die Problematik dieser PatientInnengruppe ausgerichtet, d.h.
es wird gleichzeitig ein Schonraum angeboten und ein Übungsfeld für die Alltagsbewältigung
geschaffen (schrittweise Aktivierung ohne Überforderung). Spezielle Behandlungsverfahren
können gezielt angewendet und weiter entwickelt werden. Das Interaktionsgeschehen und die
„Handlungsdialoge“ innerhalb des stationären Rahmens können günstigenfalls
Modellfunktion für die ausserhalb der Klinik und nach Austritt zu bewältigende Realsituation
annehmen. Ein wesentliches Ziel besteht parallel in der Spezialisierung der Mitarbeitenden
der Station im Umgang mit der Depressions- und Angstproblematik.
Neben der spezifischen Weiterbildung der Behandlungsteams, eine – durch Supervisionen zu
gewährleistende – arbeitsbezogene Selbsterfahrung ist – wie Wolfersdorf (1997) zu recht
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betont hat – der Abbau hierarchischer Strukturen zugunsten einer kompetenzbezogenen
Verantwortlichkeit erforderlich. Eine kompetente Psychopharmakotherapie (inkl.
Augmentationsbehandlung und Einleitung einer Phasenprophylaxe) wie auch die
Durchführung störungsspezifischer Psychotherapie (Psychodynamisch orientierte Einzel- und
Gruppenpsychotherapie, Kognitiv-Behaviorale Psychotherapie, psychoedukative
Gruppenarbeit) sind wichtige Glieder innerhalb eines Gesamtbehandlungskonzeptes. Diese
Besonderheiten von Depressionsstationen werden, wie wiederholte Untersuchungen mit Hilfe
von Stationsbeurteilungsbogen gezeigt haben, von den behandelten Patienten wahrgenommen
und positiv bewertet (vgl. Wolfersdorf 1997, Rahn 1996).
Eine besondere Herausforderung besteht in der Beendigungsphase der Behandlung darin, eine
ambulante Weiterbehandlung, die Reintegration im persönlichen Umfeld und ferner eine
möglicherweise notwendige berufliche Rehabilitation vorzubereiten.
Stand der Entwicklung und Erforschung teilstationärer Behandlung in der Psychiatrie
Die psychiatrische Tagesklinik hat ihren Ursprung im England der ersten Nachkriegsjahre
und in Kanada. Die Grundidee der psychiatrischen Tagesbehandlung war ebenso überzeugend
wie einfach: Wozu benötigen Patienten, die ohnehin nicht bettlägrig sind, wie die meisten
psychisch Kranken, ein Krankenhausbett? (vgl. Finzen 1977). In England entwickelte sich in
den 50er und 60er Jahren eine Tagesklinikbewegung, die dazu beitrug, dass bereits 1968 ein
Fünftel aller Aufnahmen in psychiatrischen Krankenhäusern in Tageskliniken erfolgte.
Die tagesklinische Behandlung kommt allen Forderungen an eine zeitgemässe Psychiatrie
entgegen: Sie ist offen, bezieht die Umwelt der Erkrankten in den Behandlungsplan ein und
ist auf die Erhaltung sozialer Bindungen und auf Wiedereingliederung ausgerichtet. Die
psychiatrische Tagesklinik vermittelte der Öffentlichkeit ein völlig neues, realistisches Bild
von psychisch Kranken, das auch zur Veränderung zuvor bestehender Vorurteile wesentlich
beitrug. Es ist durchaus bemerkenswert, dass die Tagesklinik-Bewegung zunächst von der
Psychiatrie ausging, und erst in späteren Jahrzehnten auch Einzug hielt in die Körpermedizin
(z.B. gerontologische Tageskliniken in der Inneren Medizin). Die Tageskliniken – zunächst in
Grossbritannien, den USA, später in der Bundesrepublik Deutschland – hatten bereits Ende
der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ihre Bewährungsprobe bestanden: Sie
stellten ein Stück neuer, menschlicher Psychiatrie dar und seien zudem noch kostengünstig
(Finzen 1977).
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Die prägnanteste Formel für die psychiatrischen Tageskliniken formulierte Bosch (1971):
„Tageskliniken sind halbstationäre Einrichtungen zur Behandlung seelisch Kranker, die sich
nur tagsüber dort aufhalten, während sie Abend und Nacht im gewohnten familiären Milieu
verbringen.“ Psychiatrische Tageskliniken unterscheiden sich von der Tagesstätte (Day
Centre) durch die Bereitstellung aller psychiatrischen Hilfsmittel, die auch in einer voll
stationär arbeitenden Einrichtung zur Verfügung stehen.
Grundsätzlich erfüllen psychiatrische Tageskliniken drei wesentliche Funktionen:
• Fachspezifische psychiatrische Behandlung anstelle einer Vollhospitalisierung bei
akut kranken Patienten
• Weiterbehandlung nach einer stationären Behandlung im Sinne einer
Übergangseinrichtung und
• Betreuung und Aktivierung chronisch kranker Patienten.
Hinsichtlich der organisatorischen Einbettung finden sich bei den Tageskliniken für
erwachsene psychiatrische Patienten fünf unterschiedliche Typen:
1. Die unabhängige und losgelöste Tagesklinik ohne stationäre Betten und ohne
Beziehung zu einem Mutterkrankenhaus, aber mit Ambulanz.
2. Losgelöste Tageskliniken ohne stationäre Betten, aber mit Verbindung zu einem
psychiatrischen oder Allgemeinkrankenhaus.
3. Losgelöste tagesklinische und ambulante psychiatrische Einheiten mit Verbindung zu
einem Krankenhaus.
4. Tageskliniken mit eigener Versorgung auf dem Gelände eines psychiatrischen
Krankenhauses.
5. Tagesklinische Behandlung innerhalb stationärer Abteilungen.
Durch die Anwendung des Prinzips einer integrierten, gemeindenahen Psychiatrie wurde die
alte Trennung zwischen intramural und extramural aufgefangen und über eine Kette von
differenzierten Behandlungseinrichtungen eine nahezu stufenlose Betreuung oder auch
schrittweise Entlassung des Patienten ermöglicht.
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Das Argument verminderter Kosten musste teilweise relativiert werden, nachdem sich
herausgestellt hatte, dass bei tagesklinischer Behandlung vielfach mit einer längeren
Verweildauer gerechnet werden muss (Farndale 1963). Die Integration in das Alltagsleben,
die potentiell entstigmatisierende und die jeglichem Hospitalismus vorbeugende Wirkung
tagesklinischer Behandlung wurden auch in den folgenden Jahrzehnten als gewichtige
Vorteile angesehen. Aktuelle Analysen (Marshall et al. 2008) gelangen zu der Einschätzung,
dass tagesklinische Behandlung eine weniger restriktive Alternative darstellt für akute und
schwer kranke psychiatrische Patienten. Demnach könnte wenigstens einer von fünf derzeit
stationär Behandelten ebenso gut in einer Tagesklinik behandelt werden. Die Besserung trat
bei den tagesklinisch behandelten Patienten oftmals schneller ein; auch erwiesen sich die
Tageskliniken als günstiger im Vergleich mit stationärer Behandlung. Dies gilt insbesondere
auch für die in Tageskliniken behandelten depressiv Erkrankten (Mazza et al. 2004).
Der Elan der Tagesklinik und der dort Tätigen – beispielsweise Finzen (1977): „Die
Tagesklinik – Psychiatrie als Lebensschule“- wird deutlich bei der Beschreibung der
gruppentherapeutischen Prozesse, die vielfach in der alltäglichen psychiatrischen Tätigkeit
einen zentralen Stellenwert erhielten. Die veränderten Versorgungsstrukturen gingen einher
mit einem veränderten Verständnis psychiatrischer Krankheiten. Neben der sozialen und
familiären Dimensionen psychischen Leidens rückten zunehmend auch psychotherapeutische
Ansätze in das Zentrum der Behandlung, die die Auseinandersetzung mit der psychiatrischen
Erkrankung als eine Chance persönlicher Weiterentwicklung verstanden. Insbesondere bei der
Behandlung schizophrener Patienten wurde die Bedeutung gestörter
Kommunikationsprozesse innerhalb der Familien und die Bedeutung des emotionalen Klimas
betont (Bateson 1969, Brown 1972). Gruppentherapie, Milieutherapie und die Orientierung
am Modell der therapeutischen Gemeinschaft wurden zu wesentlichen Grundlagen
tagesklinischer Tätigkeit.
Evaluation der stationären und teilstationären Depressionsbehandlung
Die Evaluation der Spezialstationen für Depressions- und Angstbehandlung orientiert sich als
primäres Erfolgskriterium an der Patienten- und Angehörigenzufriedenheit. Darüber hinaus
werden Mitarbeiterzufriedenheit und Personalkonstanz erfasst.
Die auf den Spezialabteilungen für Depressions- und Angstbehandlung der PUK Zürich
durchgeführte mehrdimensionale Behandlung depressiv Erkrankter wird systematisch
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evaluiert. Diese mehrdimensionale, u.a. auch neuropsychologische Funktionen
einschliessende Verlaufsuntersuchung erfasst insbesondere Störungen im Bereich
Aufmerksamkeit/Konzentration, Mnestik und exekutive Funktionen. Neben der Veränderung
des psychopathologischen Befundes werden persönlichkeitspsychologische Dimensionen
erfasst. Es handelt sich um eine Drei-Punkte-Messung (nach Aufnahme, 4-wöchiger
Behandlung und bei Austritt). Im Hinblick auf die Erforschung prognostisch bedeutsamer
Faktoren konnte gezeigt werden, dass u.a. der Behandlung der Angstsymptomatik im Rahmen
der Depression eine besondere Bedeutung zukommt (Schulze et al. 2006). Bei einer grösseren
Untergruppe der im Verlauf untersuchten depressiv Erkrankten fanden sich Hinweise auf eine
Dissoziation psychopathologischer und neuropsychologischer Symptome (im Sinne einer
Persistenz kognitiver Defizite und veränderter neuronaler Aktivität, vgl. Böker et al. 2008).
Auf diesem Wege können frühzeitig prognostisch ungünstige Faktoren erfasst und zur
Einleitung gezielter, nachhaltiger therapeutischer Interventionen berücksichtigt werden.
In einem Pilotprojekt zu Aspekten von Qualitätsmonitoring und externer Qualitätssicherung
der stationären Depressionsbehandlung (in vier Baden-Wurttembergischen Kliniken, davon
zwei Landeskrankenhäuser, eine Universitätsklinik, eine städtische Abteilung, vgl.
Wolfersdorf et al. 1997) wurde festgestellt:
• Die mittlere Verweildauer betrug 40,8 Tage.
• Relativ hoher Anteil von Chronifizierung und Rezidivierung, sozialer Behinderung,
Ko- bzw. Multimorbidität (ca. ein Drittel).
• Schweregrad: Zum Zeitpunkt der Aufnahme wurden überwiegend deutlich bis
schwerkranke Patienten behandelt, deren Befinden sich zum Zeitpunkt der Entlassung
deutlich gebessert hatte (sowohl in der Selbstbeurteilung mittels BDI wie auch in der
Fremdbeurteilung mittels HAMD).
• Zufriedenheit der Patienten mit dem Behandlungssetting und – Angebot sowie
Behandlungsergebnis: Die Frage: „Was hat Ihnen am meisten geholfen?“ wurde von
zwei Dritteln der Patienten mit Hinweis auf die Einzelgespräche, von 17% der
Patienten mit Hinweis auf die Gruppenpsychotherapie genannt. Am Zweithäufigsten
wurden Medikamente angekreuzt (55%), gefolgt an dritter Stelle (39%) von
„Gespräche mit Pflegepersonal“. Den Kontakt zu Mitpatienten gaben 36% als
hilfreich an, gefolgt von Ergotherapie (31%) sowie Unterstützung durch Angehörige
(31%). Weitere Antworten lauteten: Entlastung vom Alltag (26%), Atmosphäre auf
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der Station (24%), Abstand von zu Hause (21%), Bewegungstherapie (21%), Zeit zum
Nachdenken (19%).
Die Prozess- und Ergebnisqualität stationärer Depressionsbehandlung in Deutschland wurde
ferner im Rahmen einer Multicenter-Studie in 10 Kliniken in Nordrhein-Westfalen, Baden-
Wurtemberg und Bayern untersucht (vgl. Sitta et al. 2006). Die Ergebnisse zeigten, dass die
Behandlungsdauer zwischen den Kliniken stark variierten. So wurden Patienten mit einer
singulären oder rezidivierenden depressiven Episode in einer Klinik nach durchschnittlich
36,8 Tagen entlassen, während die Behandlung in einer anderen Klinik im Durchschnitt 64,3
Tage dauerte. Die Behandlungsdauer war länger bei Patienten mit rezidivierender depressiver
Störung, bei Patienten mit gravierender Beeinträchtigung der Lebensführung und höherem
Schweregrad der Erkrankung. Bei Kriseninterventionen und nach Suizidversuchen in der
Vorgeschichte verkürzte sich die Behandlungsdauer. Es zeigte sich, dass sich die
Unterschiede in der Behandlungsdauer zwischen den Kliniken nur zu einem geringen Teil
durch Unterschiede in der Patientenstruktur erklären liessen. Ferner wurde festgestellt, dass
die Verweildauer seit Jahren rückläufig ist (vgl. Richter 2001). Dabei ist zu erwägen, dass die
veränderte gesellschaftspolitische Situation mit erhöhtem Kostendruck in den Kliniken sowie
mit der allgemein verstärkten Sorge um den Arbeitsplatz zu kürzeren stationären Aufenthalten
führt, wie auch in den Rehabilitationskliniken zu beobachten ist. Creed et al. (1997), die in
ihrer Studie sowohl die Indexverweildauer als auch die kumulierte Ein-Jahres-Verweildauer
berücksichtigten, wiesen darauf hin, dass kürzere Verweildauern zu häufigeren
Wiederaufnahmen führen.
Die Ergebnisse der Multicenter-Studie (Sitta et al. 2006) belegten, dass sich die
Patientenzusammensetzung in psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken selbst innerhalb
derselben Diagnosegruppe deutlich unterscheidet. Es fand sich eine grosse Variabilität sowohl
bezogen auf soziodemographische Daten als auch bezüglich der Krankheitsgeschichte und des
Schweregrads der depressiven Erkrankung. Hieraus ergibt sich auch die Notwendigkeit der
Case-Mix-Korrektur bei Klinikvergleichen im Rahmen der Qualitätssicherung, da ansonsten
die Gefahr von Fehlschlüssen besteht.
Bei den mittels eines regressionsanalytischen Verfahrens identifizierten
Patienteneigenschaften, die einen Einfluss auf die Behandlungsdauer haben, wurde neben
dem Schweregrad, der Rezidivierungsrate und der möglichen Chronizität der Erkrankung
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auch eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung als ein wichtiger Prädiktor für
längere Verweildauern erkannt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, „ob eine
längere Verweildauer diesbezüglich Abhilfe schaffen kann, oder ob an dieser Stelle die
Vernetzung mit einem ambulanten Versorgungssystem im Sinne einer integrierten
Versorgung optimiert werden sollte“ (vgl. Sitta et al. 2006).
Inzwischen gibt es eine Vielzahl psychiatrischer Tageskliniken, inzwischen auch z.B. in den
osteuropäischen Ländern. Bei dem Vergleich dieser Tageskliniken sind jeweils auch die
unterschiedlichen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Ein
Vergleich wird ferner durch sehr unterschiedliche Behandlungskonzepte und
Behandlungsschwerpunkte, d.h. das Fehlen eines konsistenten Profils erschwert (Kallert et al.
2004). Gruppenpsychotherapie-Programme markieren erste Anfänge einer tagesklinischen
Behandlung speziell für depressiv Erkrankte (vgl. Rosie, Azim 1990, Piper et al. 1994) in den
USA. Piper et al. berichten über ein auf 18 Wochen beschränktes
gruppenpsychotherapeutisches Programm mit überwiegend psychodynamischer Orientierung,
das an fünf Wochentagen durchgeführt wurde. Es wurden überwiegend Patienten mit
affektiven und Persönlichkeitsstörungen behandelt. Zwei Persönlichkeitseigenschaften
(psychological mindedness und Qualität der Objektbeziehungen) erwiesen sich als die
stärksten Prädiktoren, während der initiale Schweregrad der Beschwerden kein signifikanter
Prädiktor war. Im weiteren zeigte sich, dass Patienten, die unter Depressionen und
Angststörungen leiden und bisher unter ambulanter „Standard-Behandlung“ keine Besserung
zeigten, von tagesklinischer Behandlung profitieren (Marshall et al. 2001).
In den vergangenen Jahren zeichnet sich eine zunehmende Spezialisierung und
Weiterentwicklung der allgemeinpsychiatrischen Tageskliniken hin zu spezialisierten
Behandlungsprogrammen ab. Es ist davon auszugehen, dass etwa ein Drittel der
Tageskliniken in Europa einen psychotherapeutischen Schwerpunkt haben. Neben Patienten
mit schweren und chronischen Depressionen und Angststörungen werden schwerpunktmässig
Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und Essstörungen behandelt (Karterud, Wilberg 2007,
Seidler et al. 2006). Diese speziellen Behandlungsprogramme im Rahmen von Tageskliniken
sind überwiegend angelehnt an psychiatrische Kliniken. Diskutiert wird der notwendige
Umfang tagesklinischer Behandlung.
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Einige Autoren favorisieren zeitlich begrenzte Behandlungsprogramme, die sich nicht auf den
ganzen Tag erstrecken (vgl. Karterud, Wilberg 2007). Während frühere
Behandlungsprogramme in Tageskliniken traditionell an psychodynamischen Konzepten
orientiert waren, wurden in jüngster Zeit Programme auf der Basis der Dialektisch
Behavioralen Therapie (DBT, vgl. Simpson et al. 1998) und der Kognitiv-Behavioralen
Therapie (CBT, vgl. Mundt et al. 2002, Raisch et al. 2001) entwickelt.
Im Hinblick auf die Entwicklung von tagesklinischen Tagesprogrammen lassen sich zwei
hauptsächliche Entwicklungslinien beobachten: Zum einen werden stationäre
Behandlungseinheiten durch Tageskliniken ersetzt (Kallert et al. 2004, Ceeck et al. 2005). Die
damit einhergehenden Forschungsfragen beziehen sich insbesondere auf containment,
Wirksamkeit und Kosten-Nutzen-Verhältnis im Vergleich mit stationärer Behandlung. Ein
weiterer Trend besteht darin, dass die psychotherapeutisch orientierten Tageskliniken
herausgefordert sind, spezielle Behandlungsprogramme zu entwickeln, die einer ambulanten
Behandlung überlegen sind (Karterud, Wilberg 2007). Eine aktuelle Auswertung der Daten
der weltweit grössten Datenbank von Patienten, die sich in tagesklinischer Behandlung in
Tageskliniken mit psychotherapeutischem Schwerpunkt befinden (Norwegien Network of
Psychotherapeutic Day Hospitals, vgl. Karterud, Wilberg 2007) setzt sich inbesondere mit der
Frage der „Dosierung“ unterschiedlicher therapeutischer Interventionen, der diagnostischen
Gruppen und der Anschlussbehandlung auseinander. Die Autoren heben die Notwendigkeit
spezialisierter Behandlungsprogramme hervor, die auch mit einer stärkeren Betonung
diagnostischer Evaluationen zu verbinden sei. Ferner bestehe die Notwendigkeit, dass
tagesklinische Behandlungen sich als ersten Schritt auf dem Weg zur Entwicklung von
Langzeitbehandlungen im Sinne komplementärer Behandlungsprogramme verstehen sollten,
die auf eine vollständige Remission im Langzeitverlauf gerichtet sind. Einschränkend muss
hinzugefügt werden, dass insbesondere psychotherapeutische Behandlungsprogramme für
Patienten mit Persönlichkeitsstörungen, insbesondere Borderline Störungen evaluiert wurden.
Die tagesklinische Behandlung depressiver Patienten erfolgt – zumindest in Deutschland –
einerseits auf integrierten Tagesklinikplätzen als Bestandzeit spezieller Depressionsstationen,
zumeist jedoch in Allgemeinpsychiatrischen Tageskliniken. Im internationalen Schrifttum
wurde die tagesklinische Behandlung depressiver Patienten am häufigsten in
gerontopsychiatrischen Tageskliniken untersucht und überwiegend als geeignete
Behandlungsform eingeschätzt, insbesondere dann, wenn eine komorbide dementielle
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Erkrankung oder Angststörung bestanden (Adler et al. 2000, 2003, Ballard et al. 1993, Fuchs
et al. 1993, Glaesmer et al. 2003, Malone et al. 2002, Plotkin, Wells 1993, Rosenvinge et al.
1998). In Untersuchungen, die die tagesklinische Therapie mit der ambulanten Behandlung
Depressiver verglichen, fand sich für weniger schwere und vorwiegend neurotische
Depressionen kein wesentlicher Vorteil des tagesklinischen Settings (Glick et al. 1986, Tyrer
et al. 1987, Tyrer, Remington 1979). Im Gegensatz dazu erwies sich die tagesklinische
Behandlung bei schweren und persistierenden depressiven Störungen jedoch gegenüber der
ambulanten Behandlung als überlegen (Dick 1985).
Im Rahmen der Hannover-Tagesklinik-Studie ergaben sich Hinweise, dass Patienten mit einer
affektiven Störung stärker von der allgemeinpsychiatrischen tagesklinischen Behandlung
profitieren als Patienten mit einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis
(Brüggemann et al. 2006). Die Behandlungsabbruchraten als Outcome-Kriterien depressiver
Patienten lagen in einer 2,5-Jahres-Untersuchung mit 12% der F3-Erstdiagnosen deutlich
unter denen der schizophren Erkrankten mit 35% (Garlipp 2003).
Einschränkungen der Eignung des tagesklinischen Settings in der Behandlung depressiv
Erkrankter ergeben sich dann, wenn z.B. Konfliktsituationen im häuslichen Umfeld, die durch
eine räumliche Distanz besser bearbeitet werden können, ggf. eine stationäre Behandlung
günstiger erscheinen lassen, ferner bei starker Ausprägung einer Antriebsstörung, langen
Fahrzeiten in die Tagesklinik, akuter Suizidalität und Notwendigkeit einer komplexen
medikamentösen Umstellung (vgl. Garlipp et al. 2007). Das tagesklinische Setting bietet
durch die Kombination von intensiver Behandlung und Alltagserprobung vielfältige
Möglichkeiten der realen Belastungserprobung, worin ein zentraler Behandlungsfokus
bestehen kann (Beine et al. 2005).
Zusammenfassend stellt die tagesklinische Behandlung eine effektive Behandlungsform für
depressiv Erkrankte dar, insbesondere dann, wenn sie individuell abgestimmt ist. Spezifische
Modelle einer tagesklinischen Behandlung für depressiv Erkrankte liegen bisher nur in ersten
Ansätzen vor. Dies gilt auch für die empirische Erforschung von differenziellen
Indikationskriterien und der Evaluation der tagesklinischen Behandlung depressiv Erkrankter.
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