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02/2011
Transformierte
Buddhismen
ISSN: 1867-4240
02/2011
Transformierte
Buddhismen
Erscheinungsdatum: 10.06.2011
Editorial
Die Beiträge der Zeitschrift befassen sich auf
der Basis neuester Forschungsergebnisse so-
wohl mit historischen Prozessen als auch re-
zenten Entwicklungen in den verschiedenen
Buddhismen. Dabei werden lokal spezifi sche
wie auch transkulturelle Adaptions-, Transfor-
mations- und Innovationsprozesse in den Blick
genommen. Der Fokus der Beiträge liegt auf
Wandlungsprozessen in buddhistischen Vor-
stellungen, Rhetoriken, Praktiken und Ästheti-
ken, die durch historische und gesellschaftliche
Veränderungen als auch durch den geographi-
schen Transfer buddhistischer Ideen und Prak-
tiken (z.B. zwischen Ost und West und umge-
kehrt) hervorgerufen wurden und werden.
Im Rahmen der Zeitschrift werden für das skiz-
zierte Themenfeld relevante Publikationen be-
sprochen.
Herausgeber
Prof. Dr. Inken Prohl
Ruprecht-Karls- Universität Heidelberg
Dr. Katja Rakow
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Editorial Board
Prof. Dr. Sven Bretfeld
Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr. Karénina Kollmar-Paulenz
Universität Bern
Prof. Dr. Volkhard Krech
Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr. Hartmut Zinser
Freie Universität Berlin
Impressum
Prof. Dr. Inken Prohl
Dr. Katja Rakow
Institut für Religionswissenschaft
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Akademiestr. 4-8
69117 Heidelberg
Tel.: 06221/547622
inken.prohl@zegk.uni-heidelberg.de
katja.rakow@zegk.uni-heidelberg.de
http://transformiertebuddhismen.uni-hd.de
Die Quelle für den auf dem Cover zu sehenden
Bildausschnitt stammt vom Autoren Steve,
ist unter der Creative Commens Attribution
2.5 License veröffentlicht und unter folgender
Adresse auffi ndbar:
http://commons.wikimedia.org/wiki/
File:7_Lucky_Gods_of_japan.jpg
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Inhaltsverzeichnis
Max Kölling:
Die Renaissance des tibetisch-buddhistischen
Klosterwesens im Kontext der Globalisierung:
Ein Blick auf die soziokulturellen Wandlungs-
prozesse im gegenwärtigen Nepal
(21 Seiten, S. 3-23)
Tim Graf:
Diesseits des Jenseits: Transformationen
buddhistischer Bestattungs- und Trauerkultur
im gegenwärtigen Japan
(31 Seiten, S. 24-54)
Niels H. Bader:
Tourismus und Religion im modernen Japan:
Der Zen-buddhistische Tempel Daiyūzan Saijōji
als Reiseziel
(24 Seiten, S. 55-78)
Nina Schönemann:
Pilgerfahrten zu den Sieben Glücksgöttern:
Religiöse Praxis und „Materielle Religion“
im gegenwärtigen Japan
(20 Seiten, S. 79-99)
MAX KÖLLING
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TRANSFORMIERTE BUDDHISMEN 02/2011
Max Kölling
Die Renaissance des tibetisch-buddhistischen
Klosterwesens im Kontext der Globalisierung:
Ein Blick auf die soziokulturellen Wandlungs-
prozesse im gegenwärtigen Nepal
Abstract:
Der Fokus des folgenden Artikels liegt auf dem tibetisch-buddhistischen Klosterwesen
und der Entwicklung monastischer Gemeinschaften im nepalesischen Exil. Den Aus-
gangspunkt der Untersuchung stellen die Globalisierung des tibetischen Buddhismus
und der rasante Aufstieg klösterlicher Institutionen im Kathmandutal dar. Anhand einer
Analyse der gegenwärtigen Ökonomie der Klöster und der Frage aus welchen Gemein-
schaften die Klöster ihre Mönche rekrutieren, soll gezeigt werden, welchen Einfluss die
transnationale Struktur tibetisch-buddhistischer Religionsgemeinschaften auf lokale
Transformationsprozesse hat. Obwohl die Herausbildung transnationaler Religionsge-
meinschaften innerhalb des tibetischen Buddhismus mit nachhaltigen Konsequenzen für
das monastische System der tibetisch-buddhistischen Exilklöster verbunden ist und Ver-
änderungen auf ökonomischer, sozialer und kultureller Ebene nach sich ziehen, sind
deren Ausmaße bisher kaum erkannt und untersucht worden.
1. Tibetisch-buddhistische Klöster im Kathmandutal
Wer sich heutzutage mit sozialen und religiösen Themen beschäftigt, kann es kaum
vermeiden, die untersuchten Inhalte global zu betrachten und kulturübergreifende Zu-
sammenhänge zu berücksichtigen. Weltweite Verflechtungsprozesse und transnationale
Austauschbeziehungen tragen mehr denn je dazu bei, dass kleinräumige soziale Felder
und lokale Veränderungen mit großräumigen sozialen Feldern in einer engen Beziehung
stehen und sich gegenseitig bedingen. Es wird weitgehend davon gesprochen, dass sich
die gegenwärtige Verdichtung von Raum und Zeit zu einem bedeutenden Stimulus für
gesellschaftliche Wandlungsprozesse entwickelt und dass die Entstehung transnationa-
ler Gemeinschaften als ein konstitutives Element moderner Organisationsformen, sozia-
ler Lebensräume und gesellschaftlicher Institutionen gesehen werden kann (Hannerz
1992; Wimmer 2005; Robertson 2000; Appadurai 1991 und 1996; Lawellen 2002; Har-
vey 1990).
Im Verlauf des folgenden Artikels möchte ich an einem spezifischen Beispiel aufzei-
gen, wie die angedeuteten Transformationsprozesse, die unter dem Begriff der ‚Globali-
DIE RENAISSANCE DES TIBETISCH-BUDDHISTISCHEN KLOSTERWESENS
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sierung‘ zusammengefasst werden können, auch im Hinblick auf religiöse Institutionen
und Gemeinschaften eine Wirkung haben und darüber hinaus strategisch genutzt wer-
den, um die Fortführung einer traditionsbezogenen Religionspraxis sicher zu stellen.
Mein Fokus bei dieser Untersuchung richtet sich auf tibetisch-buddhistische Klosterge-
meinschaften in Kathmandu, Nepal, die neben ihrer zentralen Einbettung in die religiöse
Landschaft des Kathmandutals und der umliegenden Himalayaregionen eine ebenso
wichtige Beziehung mit einer internationalen Anhängerschaft eingegangen sind.
Wie weitestgehend bekannt, entwickelte sich der tibetische Buddhismus in den letz-
ten 40 Jahren zu einer global verbreiteten Religion mit einer stetig wachsenden Anhän-
gerschaft (Baumann 2001 und 2005; Samuel 2005). Auch die Mönche und Lamas, die
bei der Besetzung Tibets in den 1950er Jahren ins indische oder nepalesische Exil flüch-
teten, haben viel dafür getan, ihre zerstörten Klöster neu zu gründen und sich eine neue
Existenz in der Diaspora aufzubauen. Im Zuge dieser Entwicklung kam es zur Heraus-
bildung transnationaler Religionsgemeinschaften innerhalb des tibetischen Buddhismus,
da sich die Mönche und Lamas aus Tibet in großem Umfang an den Westen wendeten,
um Unterstützung für den Wiederaufbau ihrer Klöster zu erhalten. Die im Westen vor-
herrschende Faszination und Begeisterung für die Religion und Kultur der Tibeter, die
angesichts des aggressiven Vorgehens der Volksrepublik China (VRC) schwer bedroht
waren und deren exotisch gehaltvolle Inhalte das westliche Interesse an spiritueller
Entwicklung und sinngebender Ausrichtung schon seit längerer Zeit geweckt hatten,
taten das Ihrige, um die entstehenden Beziehungen zu fördern. Vor allem die charisma-
tischen Lamas, die als Oberhäupter der tibetisch-buddhistischen Klöster fungierten, be-
gaben sich auf ausgedehnte Reisen durch Europa, Nord- und Südamerika, Asien, Süd-
afrika, Australien und Neuseeland, um ihre Lehre zu verbreiteten und dauerhafte Bezie-
hungen mit ihren neuen Anhängern zu knüpfen. Zudem gab es eine Reihe junger Euro-
päer und US-Amerikaner, die nach Nepal und Indien reisten, um die neu entstandenen
Klöster aufzusuchen und sich dem tibetischen Buddhismus anzuschließen. Bei ihren
Reisen durch Asien trafen sie meist mit unterschiedlichen Lehrern der buddhistischen
Orden zusammen und schlossen sich dem ein oder anderen als Schüler an. Bei ihrer
Rückkehr unterstützten sie den Aufbau neuer Zentren für Studium und Meditation, ge-
wöhnlich einfach „Dharma-Zentren“ genannt, oder beteiligten sich an den bereits ge-
gründeten Zentren tibetisch-buddhistischer Lamas, die sich selbst seit den 70er Jahren
im Westen niedergelassen hatten.
Obwohl buddhistische Gelehrte aus Tibet auch schon früher viel gereist waren und
neue Klöster gegründet hatten, stellten die Studien- und Praxisinstitutionen für Laien
ein völlig neues Phänomen dar, das es in der Geschichte des tibetischen Buddhismus
vorher nie gegeben hatte. Die Zahl praktizierender Laienanhänger übersteigt mittlerwei-
le in vielen Fällen die Zahl der ordinierten Mönche, die ein Lama innerhalb seines Klo-
sters betreut, so dass viele Lamas reichlich Zeit dafür aufbringen, auf monatelange
„Teachingtours“ zu gehen, um ihrer global verstreuten Schülerschaft Unterweisungen
zu erteilen und neue Mönche für diese Aufgaben auszubilden. Die internationale An-
hängerschaft stellt darüber hinaus eine weitaus finanzkräftigere Geberschaft dar, als die
lokalen Anhänger der Klöster es bisher sein konnten, so dass auch die ökonomische
Bedeutung dieser globalen Netzwerke aus Klöstern und ihren assoziierten Dharma-
Zentren im Ausland nicht unterschätzt werden sollte.
Es kann gezeigt werden, dass die Expansionsprozesse innerhalb des tibetischen
Buddhismus in eine Phase intensiver Austauschprozesse und gegenseitiger Beeinflus-
sung mündeten, die nach wie vor anhält. Neue und bisher kaum untersuchte Entwick-
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lungen können dabei erkannt werden, wobei nicht nur die neuen Anhänger des tibeti-
schen Buddhismus von den Konsequenzen dieser Entwicklung betroffen sind, sondern
auch die Mönchen und Lamas, die seit 1959 im südasiatischen Exil leben.
Wie die Geschichte ihrer Ansiedlung verdeutlicht, leitete ihre Flucht eine Reihe von
soziokulturellen Wandlungsprozessen und ökonomischen Engpässen ein, die nicht nur
die Flüchtlingsgemeinschaften, sondern auch die Klöster betreffen (Avedon 1985;
Dreyfus 2003; Forbes 1989; Frechette 2004; Methfessel 1997; Ström 1994, 1995 und
1997). Eine der folgenreichsten Entwicklungen, die das monastische System am stärk-
sten beeinflusste und sogleich seinen Wiederaufbau ermöglichte, hängt mit der Heraus-
bildung transnationaler Netzwerke zusammen, in denen Menschen, Ideen, Vorstellun-
gen, Gelder, Geschichten, Traditionen und Fantasien von einem Ort zum anderen wan-
dern. Der soziale Raum, in dem das Klosterwesen sich entfaltet und verändert, tritt da-
durch als ein ‚globaler Raum‘ hervor, in dem die Vielfalt der Akteure den Werdegang
des tibetisch-buddhistischen Klosterwesens mitgestaltet. Einer der zentralsten Orte, an
dem tibetisch-buddhistische Exilklöster am intensivsten in die Prozesse globaler Ver-
flechtung involviert sind, ist die nepalesische Hauptstadt Kathmandu, in deren Zentrum
zahlreiche Exilklöster entstanden sind und die als einer der größten Anziehungspunkte
für spirituell Suchende aus der ganzen Welt berühmt ist. Obwohl es keine genauen An-
gaben über die Zahl der Klöster in Kathmandu gibt, gehe ich davon aus, dass allein im
Verlauf der letzten 50 Jahre über 60 neue Klöster erbaut wurden, in denen heute etwa
6000 Mönche und Nonnen leben. Es scheint mir daher auch angemessen, mit Blick auf
diese Entwicklung, von einer „Renaissance des tibetisch-buddhistischen Klosterwesens“
zu sprechen, wie es die Religionsanthropologen Fürer-Haimendorf (1990) und Abraham
Zablocki (2005) in ähnlicher Weise getan haben.1
Um der Frage nachzugehen, wie es zu diesem rasanten Aufstieg der klösterlichen In-
stitutionen in Kathmandu gekommen und mit welchen Konsequenzen er verbunden ist,
werde ich die Bedeutung der transnationalen Netzwerke hervorheben. Ich werde zeigen,
dass die sich vollziehende Entwicklung in erster Linie vor dem Hintergrund der Globa-
lisierung und der Entstehung einer monastischen Ökonomie auf der Grundlage auslän-
discher Sponsoren voranschreitet und mit unterschiedlichen Veränderungen auf der so-
zialen Ebene des Klosterwesens verbunden ist.
Ein weiterer Aspekt, den ich hier betonen möchte, da er den Aufstieg der Klöster er-
klärt und mitunter als Konsequenz der globalisierten Ökonomie der Klöster gesehen
werden kann, betrifft die umfangreiche Rekrutierung neuer Mönche, ohne die das Klo-
sterwesen ebenso wenig existieren kann wie ohne die Unterstützung der Laienanhänger,
die das Kloster ökonomisch tragen. Auffällig in diesem Zusammenhang ist jedoch die
Tatsache, dass die neu rekrutierten Mönche kaum noch aus den tibetischen Exilgemein-
schaften stammen, sondern aus den ärmeren Bergregionen Nepals, in denen viele eth-
nisch-tibetische Gesellschaften leben, unter denen Formen des tibetischen Buddhismus
seit Jahrhunderten existieren. Die durch ausländische Geldgeber vor allem aus dem We-
sten und Südostasien finanzierten Klöster sind zu Anlaufpunkten geworden, in denen
vor allem marginalisierte Ethnien wie die im Himalaya lebenden Tibeter neue Möglich-
keiten entdecken, sich auf eine bestimmte Form des tibetischen Buddhismus zu bezie-
hen und gleichzeitig an Entwicklungs- und Aufstiegschancen zu gelangen, die ihnen in
1 Mir sind keine umfassenden Studien über die demographische Zusammensetzung der Klostergemein-
schaften in Nepal bekannt. Die hier genannten Zahlen basieren auf eigenen Schätzungen, die ich während
meiner Feldforschung unternommen und mit anderen Wissenschaftlern vor Ort diskutiert habe.
DIE RENAISSANCE DES TIBETISCH-BUDDHISTISCHEN KLOSTERWESENS
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ihren Heimatdörfern verwehrt bleiben.
Meine Argumentation zielt darauf ab, die Situation monastischer Gemeinschaften im
Exil vor allem als Konsequenz der komplexen Beziehungen zwischen den Klöstern und
ihren globalen Anhängern zu verstehen und darüber hinaus zu verdeutlichen, dass die
soziale, kulturelle und ökonomische Bedeutung dieser Beziehungen zu einem konstitu-
tiven Element des monastischen Systems geworden ist. Grundlage der im Folgenden
skizzierten Zusammenhänge sind die Ergebnisse meiner eigenen Feldforschung, die ich
von November 2007 bis März 2008 in Kathmandu durchgeführt und im Anschluss dar-
an in meiner Magisterarbeit verarbeitet habe.2 Während ich hier nur die grundsätzlichen
Zusammenhänge skizziere, die den Aufbau der Klöster und die Entstehung transnatio-
naler Religionsgemeinschaften begünstigt haben, untersuche ich in meiner Magisterar-
beit zusätzlich die Tiefenwirkung der globalisierten Interaktionsprozesse. Dort habe ich
herausgearbeitet, welchen Einfluss die transnationalen Beziehungen auf die monasti-
schen Bildungseinrichtungen und das soziale Leben der Mönche im Kloster Benchen
Phuntsok Dargyeling, einem Karma Kagyü Kloster in Kathmandu, haben. Die hier vor-
gestellten Beobachtungen gründen sich zudem auf die Untersuchungsergebnisse anderer
Religionsanthropologen, deren Arbeiten ich studiert und mit denen ich zum Teil zu-
sammengearbeitet habe.3
2. ‚Globalisierung‘ als Kontext und Impetus für Wandlungs-
prozesse
Der theoretische Wert dieser Untersuchung gründet sich vor allem auf einen wesentli-
chen Aspekt und ist der deskriptiven Darstellung meiner Forschungsergebnisse unter-
geordnet. Mein Hauptanliegen besteht darin, die in den Sozialwissenschaften häufig
verwendeten Begriffe ‚Globalisierung‘, ‚transnational‘ und ‚Lokalität‘ aufzugreifen und
einige ihrer analytischen Impulse und gesellschaftlichen Implikationen für die Betrach-
tung des tibetischen Klosterwesens nutzbar zu machen. Globalisierung, so wie ich es
hier als Konzept verwende, beschreibt vor allem einen größeren Rahmen, in dem sozia-
le Prozesse untersucht werden. Aufgrund der zahlreichen Definitionsansätze, die den
Globalisierungsbegriff auszeichnen, orientiere ich mich bei meiner Untersuchung an
einem von dem Soziologen Andreas Wimmer ausgearbeiteten Ansatz, in dem er Globa-
lisierung als einen Impetus und Stimulus für Wandlungsprozesse beschreibt und nicht
als ein Schlüsselkonzept, das unser theoretisches Denken über das Weltgeschehen gänz-
lich lenken sollte (Wimmer 2005: 101). Angestoßen durch moderne Technologien und
Kommunikationsmedien, deren rapide Weiterentwicklung nicht zuletzt durch die globa-
le Verbreitung einer neoliberalen Marktwirtschaft vorangetrieben wird, stellt sich ein
2 Meine Magisterarbeit trägt den Titel: „Klöster, Mönche und Globalisierung: Der Einfluss transnatio-
naler Beziehungen auf das tibetisch-buddhistische Klosterwesen und die Entwicklung eines Klosters in
Kathmandu, Nepal“ und wurde am Institut für Religionswissenschaft der Freie Universität Berlin einge-
reicht.
3 Während meiner Forschungszeit in Kathmandu wurde ich von Peter Moran (Executive Director of the
Full Bright Commission Nepal) unterstützt, dessen Doktorarbeit „Buddhism Observed: Travellers, Exi-
les, and Tibetan Dharma in Kathmandu“ (2004) den Anstoß für mein eigenes Forschungsunternehmen
lieferte. Ebenso wichtig für meine Untersuchung waren die Arbeit von Abraham Zablocki (2005), Goeff
Childs (2004a und 2004b) und Axel Ström (1994 und 1997), an deren Überlegungen ich hier anknüpfe.
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Prozess zunehmender Verknüpfung sozialer Systeme ein. Soziale Systeme, wie das hier
untersuchte tibetisch-buddhistische Klosterwesen, treten in einen Prozess kultureller
Neuschöpfung, der durch die Bedingungen weltweiter und damit transnationaler Inter-
aktionsbeziehungen beeinflusst wird (ebd.: 101ff.). Die Grenzen, innerhalb derer soziale
Aushandlungsprozesse ablaufen, werden unter den Voraussetzungen der Globalisierung
neu gezogen, wobei die nationalen Grenzen eines Staates und einer Gesellschaft durch
neue transnationale Grenzen erweitert oder sogar ersetzt werden. Gemeinschaften for-
mieren sich heutzutage in weitaus größeren Räumen als den sie umgebenden Staaten,
weshalb der transnationale Raum, in dem sie sich bewegen, an Relevanz gewinnt.
Obwohl Verflechtungsprozesse und transnationale Beziehungen keineswegs neu
sind, gibt es doch deutliche Unterschiede zwischen früheren und gegenwärtigen For-
men, weshalb es sinnvoll scheint einen Begriff wie den der Globalisierung einzuführen
und die daraus erwachsenden Perspektiven auszuloten. Wie ich zeigen werde, stehen die
im Lokalen verankerten Klosterinstitutionen in einem zunehmend dichteren Zusam-
menhang mit einem globalen Aushandlungsraum, in dem Diffusions- und Adaptions-
prozesse wechselseitig ablaufen und unser Verständnis von Lokalität verändern. Wäh-
rend Lokalität einerseits zu einem Schlüsselbegriff der Ethnologie zählt und auf die
lokalen Kontexte verweist, in denen Lebensweisen und Bedeutungszusammenhänge
ihren kulturspezifischen „Sinn“ erhalten, werden andererseits immer mehr Fragen über
die Grenzen lokaler Kontexte gestellt. Eine weiterführende Überlegung auf diesem Ge-
biet stammt von dem Kulturanthropologen Arjun Appadurai, der die innere Dynamik
sozialer Lebensräume beschreibt, die angesichts einer sich globalisierenden Welt neue
Impulse erhält:
„[…] there are some brute facts about the world of the twentieth century
that any ethnography must confront. Central among these facts is the chan-
ging social, territorial, and cultural reproduction of group identity. As
groups migrate, regroup in new locations, reconstruct their histories, and re-
configure their ethnic 'projects', the ethno in ethnography takes on a slippe-
ry, nonlocalized quality, to which the descriptive practices of anthropology
will have to respond.“ (Appadurai 1991: 191)
Appadurai macht uns darauf aufmerksam, dass sich territorial verankerte Sozialformen
und Identitäten nach und nach auflösen, und dass eine Untersuchung sozialer Lebens-
räume und Institutionen auf diese Veränderungen reagieren muss. Konsequenter Weise
richtet er seinen Blick deshalb auf die Entstehung und die Beschaffenheit deterritoriali-
sierter Beziehungsnetzwerke, die er zu einem charakteristischem Element sozialer
Gemeinschaften erklärt, in denen die Grenzen einer lokalen und einer translokalen Ebe-
ne sozialer Interaktionen zunehmend verschwimmen. Mit Blick auf die tibetisch-
buddhistischen Exilklöster in Kathmandu lassen sich die von Appadurai angesproche-
nen Veränderungen gut erkennen, da sich die Beziehungsnetzwerke, in denen sich die
Klöster konstituieren, global verbreiten und sehr schnell modernisieren. Die Verflech-
tungsprozesse, die im Folgenden betrachtet werden, zeichnen sich besonders durch eine
soziale Tiefenwirkung aus und bewegen sich in einer neuen Phase, in der sich Raum
und Zeit immer mehr verdichten und die Bedeutung transnationaler Transformations-
prozesse zunimmt. Eine „Anthropologie der Globalisierung“ impliziert nach Appadurai
eine aufmerksame und umfassende Auseinandersetzung mit Begriffen wie ‚Kultur‘,
‚Identität‘ ‚Hybridität‘, ‚Netzwerke‘, ‚Einflüsse‘, ‚Differenzen‘ u. a., da diese den dis-
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kursiven Wahrnehmungsprozess beeinflussen, unsere Vorstellungen, Ideologien und
Interessen formen und handlungsleitend werden. Institutionen sind einerseits in die lo-
kalen Verhältnisse eingebettet und folgen so einer Dynamik religiöser und sozialer Be-
dürfnisse, andererseits sind sie ein Produkt und ein Ausdruck globaler Kräfte (Appadu-
rai 1996).
3. Die globalisierte Ökonomie der Klöster
Während es Anfang der 1950er Jahre keine tibetisch-buddhistischen Klostergemein-
schaften im Kathmandutal gegeben hat, entstanden bis Mitte der 1990er Jahre schät-
zungsweise 45 tibetisch-buddhistische Klöster (Frechette 2004: 111; Helffer 1993). An-
fang 2007 hat sich diese Zahl noch einmal deutlich erhöht und ich gehe wie erwähnt
davon aus, dass mittlerweile mehr als 60 Klöster in und um Kathmandu erbaut wurden,
in denen schätzungsweise 5000 bis 6000 ordinierte Mönche und Nonnen (Trapa und
Ani) leben.
Die finanzielle Grundlage dieser Klöster bilden in einem großen Umfang ausländi-
sche Sponsoren, die den Klöstern auf die eine oder andere Weise Unterstützung zu-
kommen lassen (Moran 2004: 63-66; Zablocki 2005: 172-177).
„Tibetan Lamas, according to one estimate, can earn as much as $40.000 to
$60.000 through just one tour of the U.S. or Europe. When they establish
dharma centers (teaching centers) in the U.S. or Europe, they create a more
continuous source of foreign funds. According to one source (derived from
Coleman 1993), 77 percent of all Tibetan Lamas in exile have traveled to
the U.S. or Europe and 51 percent have emigrated to Europe, the U.S., Ca-
nada, Australia or New Zealand to resettle in dharma centers. They use the
foreign donations they solicit through their tours and dharma centers to fi-
nance their monasteries in Nepal and India.“ (Frechette 2004: 112)
Die Beziehung tibetischer Lamas zum Westen hat eine umfangreiche Geschichte, die an
anderer Stelle genau skizziert und untersucht wurde (Batchelor 1994; Coleman 1993;
Fields 1992; Lopez 1998; Prebish und Baumann 2002). Mein primäres Interesse richtet
sich hier auf die Bedeutung dieser Beziehungen für den Aufbau einer monastischen
Ökonomie, womit vor allem die Akquirierung von ökonomischen Mitteln und die Ad-
ministration der tibetischen Klöster im Exil angesprochen sind.
Was die Akquirierung von Geldern für den Aufbau und den weiteren Fortbestand der
Klöster betrifft, so scheint es zunächst verwunderlich, dass die hier untersuchten Klö-
ster, deren soziale und religiöse Bedeutung in erster Linie durch ihre Integration in ei-
nen lokalen buddhistischen Kontext und das rituelle Leben buddhistischer Gesellschaf-
ten hervorgebracht wird, auf der Basis ausländischer Spenden expandieren. Bei genaue-
rem Hinsehen wird jedoch schnell deutlich, dass die ausländischen Sponsoren, die auch
als Jindaks (sbyin bdag) bezeichnet werden, mittlerweile sehr stark in das Klosterleben
und seine Administration eingebunden werden. Die Klöster können als hybride Religi-
onsgemeinschaften aus Tibetern, Nepalesen, Westlern und immer mehr anderen asiati-
schen Anhängern des tibetischen Buddhismus betrachtet werden. Es hat sich gezeigt,
dass jene Klöster, die ihre Aktivitäten am intensivsten auf globaler Ebene ausüben, zu
den ökonomisch betrachtet erfolgreichsten Klostergemeinschaften des Kathmandutals
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zählen und somit auch als zukunftsweisende Modelle für andere Klostergemeinschaften
fungieren.
Viele der großen Klöster in Kathmandu sind von exiltibetischen Lamas gegründet
worden, deren Klosterinstitutionen in Tibet zerstört wurden und die seit Anfang der
1970er Jahre versuchen, ihre Klostertraditionen im Exil neu zu etablieren. Im Gegensatz
zum vormodernen Tibet mussten die Klöster ihre gesellschaftliche Vormachtstellung
jedoch einbüßen und ihre ökonomischen Systeme nun auf die neuen Herausforderungen
des Exils umstellen. Die ökonomischen Voraussetzungen, auf deren Grundlage sich die
Klöster im vormodernen Tibet entwickelt hatten, stützten sich in erster Linie auf ihren
Besitz an Land und Vieh, den sie bei ihrer Flucht aus Tibet zurücklassen mussten
(Goldstein 1989). Aus Untersuchungen von Goldstein (ebd.: 3) geht hervor, dass die
Klöster vor dem Einmarsch der chinesischen Volksbefreiungsarmee über 37% des
landwirtschaftlich nutzbaren Ackerlandes in Tibet verfügten und dieses im feudalisti-
schen Stil an die Bauern verpachten konnten. Darüber hinaus verfügten reinkarnierte
Lamas in Tibet häufig über einen größeren Umfang an persönlichem Besitz und Reich-
tum, den sie in der Institution des labrang (bla brang) vereinten und in dem ihr ange-
sammeltes Vermögen immer wieder an die sich fortsetzenden Inkarnationen übertragen
wurde. Der labrang „which in essence was the corporation of (a lama's) line of incarna-
tions“ (ebd.: 35) ermöglichte es, eine systematische Akkumulation von Vermögen zu
erzielen, die einzelne Klostertraditionen zu mächtigen und einflussreichen Institutionen
werden ließ. Eine zusätzliche Einnahmequelle der Klöster gründete sich auf die materi-
elle Unterstützung aus den lokalen Laiengemeinschaften und den überregionalen Zu-
wendungen in- und ausländischer Patrone, mit denen die Klöster über Jahrhunderte
hinweg enge Beziehungen pflegten. Durch umfangreiche Steuereinnahmen, durch
Schenkungen Adliger und durch die reichlichen Opfergaben der Gläubigen vermehrten
sich ihr Reichtum, ihr Grundbesitz und der Bestand ihrer Viehherden. Ein Reisebericht
aus dem frühen 20. Jhd. beschreibt eine solche ‚Gabe‘:
„Kumbum hat wie jedes Kloster in Tibet seine lange Geschichte, es ist aus
kleinsten Anfängen zur Tempelstadt gewachsen, und im gleichen Maße, wie
sich sein Gewand und äußerer Zierrat reicher und reicher gestaltet, vermehrt
sich sein Besitz an kostbaren Gütern, die täglich von den Händen opferfreu-
diger Menschen eingebracht wurden. Das geschah nicht nur von armen Hir-
ten. Das geschah von Kaisern und Steppenfürsten, die sich ihren Glauben
wirklich was kosten ließen. Als z. B. im Jahre 1779 der Pantschen-Lama an
den Hof nach Peking reiste und in Kumbum überwinterte, machte aus die-
sem freudigen Anlass ein Häuptling der Küke Nor-Steppe dem Kloster 300
Pferde, 70 Maultiere, 100 Kamele, 1000 Stück Brokatstoffe und 40000 Sil-
berunzen (rund eine Viertel Millionen Mark) zum Geschenk.“ (Filchner
1954: 53)
Obwohl die Besetzung Tibets alle Tibeter vor große Schwierigkeiten stellte und viele
der von den Klöstern angesammelten Reichtümer von den chinesischen Besatzern kon-
fisziert wurden, erwiesen sich die Voraussetzungen des Exils als ungeahnte Möglichkei-
ten, in denen neue und alte Beziehungsstrukturen den Aufbau einer neuen monastischen
Ökonomie ermöglichten.
Die Aufbaupläne der geflüchteten Lamas entstanden keineswegs von heute auf mor-
gen, sondern gehen auf kontinuierliche Anpassungsprozesse an die sich eröffnenden
DIE RENAISSANCE DES TIBETISCH-BUDDHISTISCHEN KLOSTERWESENS
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Möglichkeiten zurück. Während viele tibetische Lamas zu Beginn ihrer Ansiedlung im
nepalesischen Exil vor allem auf private Spenden aus der Exilgemeinschaft angewiesen
waren und ihre ersten größeren Einnahmen von aufstrebenden Händlern aus Kathmandu
bezogen,4 gibt es heute umfangreiche Finanzierungsmodelle, die auf unterschiedliche
Sponsoren abgestimmt sind und moderne Technologien der Geldtransaktion nutzen.
Wie beschrieben, schlossen sich im Zuge der globalen Verbreitung des tibetischen
Buddhismus zahlreiche Menschen einem tibetischen Lama und seiner Klostergemein-
schaft in Kathmandu an und vereinten sich zu losen Religionsgemeinschaften, deren
gemeinsames Interesse darin bestand, ihren spirituellen Lehrer und seine Aktivitäten zu
unterstützen. Die in Kathmandu ansässigen Lamas begrüßten diese Entwicklung und
tragen bis heute dazu bei, dass der Aufbau von neuen Studien- und Mediationszentren
in den Heimatländern ihrer Schüler vorangetrieben wird. Da die in den neuen Zentren
erzielten Einkünfte anteilig an die Lamas und ihre Klöster gehen, erweisen sich diese
als wichtige finanzielle Ressourcen und tragen dazu bei, dass sich die Klosterinstitutio-
nen in Kathmandu unabhängiger als zuvor von den ökonomischen Verhältnissen ihrer
lokalen Anhänger entwickeln können. In Zusammenarbeit mit den westlichen Schülern
entstehen ununterbrochen neue Förderprogramme und Stiftungen, in denen unterschied-
liche Finanzierungsstrategien zum Tragen kommen. So gibt es beispielsweise im We-
sten die Möglichkeit, Klöster mit einer monatlichen oder jährlichen Spende zu unter-
stützen, einzelne Tempelgebäude, Wohnstätten, sanitäre Anlagen, Ausbildungseinrich-
tungen etc. zu finanzieren oder eine persönliche Patenschaft für einen Mönch oder eine
Nonne zu übernehmen.5 Um diese Programme zu entwerfen und aufrecht zu erhalten,
arbeiten viele Klöster mit westlichen Schülern und Organisationen zusammen, wobei
die Klosterleitung den westlichen Schülern meistens die Ausarbeitung der Programme
überlässt. Engagierte westliche Schüler organisieren die globalen Tourpläne für ihre
Lamas, geben repräsentative Broschüren und gedruckte Informationsmaterialien heraus,
entwerfen Internetseiten und Videofilme, übersetzen Studientexte, veranstalten Unter-
richtsprogramme und fördern den Aufbau neuer Einrichtungen in den Klöstern selbst.
Es gibt Klöster, in denen westliche Schüler den Aufbau einer klostereigenen Klinik vo-
rangetrieben haben,6 andere Klöster, in denen eine auf Westler ausgerichtete Universität
integriert wurde,7 Klöster in denen Hotels und Restaurants für ausländische Schüler und
Besucher gebaut wurden, Klöster in denen soziale Hilfsprogramme für bedürftige
Menschen organisiert werden und einige Klöster, in denen neue Retreatplätze entstan-
den sind, an denen Interessierte aus der ganzen Welt praktizieren können. Abraham
4 Einigen Exiltibetern gelang der Aufbau eigener Teppichfabriken oder sie fanden Arbeit in der aufstei-
genden Tourismusindustrie Nepals. Die sich global verbreitende Exilgemeinschaft der Tibeter ermöglicht
zudem, dass einige Tibeter in den transnationalen Arbeitsmarkt integriert sind und aus Nordamerika,
Europa oder Südostasien Gelder zurücktransferieren, aus denen ein unbestimmbarer Anteil an die Exil-
klöster in Indien und Nepal fließt (vgl. Moran 2005: 48f.).
5 Zahlreiche Klöster in Kathmandu finanzieren einen Großteil ihrer Mönche durch private Paten-
schaftsprogramme, die vor allem durch westliche Anhänger der jeweiligen Klostertradition unterstützt
werden. In der Regel werden die Spender gebeten, eine monatliche Spende von ca. 30 US-Dollar zu lei-
sten und diese über mehrere Jahre aufrecht zu erhalten. Die genannte Summe deckt die kompletten Aus-
bildungs- und Versorgungskosten eines Mönchs. Einzelheiten finden sich auf den Webseiten der Klöster.
6 Mir bekannte Beispiele sind die Kliniken der Shechen Tennyi Dargyeling Monastery in Nepal, Indien
und Tibet, sowie die Klinik im Kloster Benchen Phuntsok Dragyeling in Kathmandu.
7 Das Kloster Ka-Nying Shedrup in Kathmandu integriert seit 10 Jahren ein auf westliche Studenten
ausgerichtetes Universitätsprogramm. Es handelt sich hierbei um das Rangjung Yeshe Institue, das in
Zusammenarbeit mit der University of Kathmandu einen anerkannten BA- und MA-Studiengang im Be-
reich der Buddhist Studies anbietet und jährlich ca. 70 Studienplätze zur Verfügung stellt.
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TRANSFORMIERTE BUDDHISMEN 02/2011
Zablocki, der ähnliche Prozesse beobachtet hat, schreibt dazu:
„Such interactions are transforming the social landscape of Tibetan mona-
sticism and of the Tibetan exile community as a whole, as new priorities,
techniques, and worldviews are placed at their service.“ (Zablocki 2005:
177)
Die durch den Aufbau transnationaler Netzwerke entstehenden Austauschbeziehungen
haben nicht nur die ökonomischen Strukturen der Klöster verändert und sind zu einer
der wichtigsten materiellen Grundlagen überhaupt geworden, es zeigt sich auch, dass
westliche Schüler der Rinpoches8 die kulturelle Repräsentation der Klöster auf globaler
Ebene übernehmen. Die Integration westlicher Schüler in das ökonomische System mo-
nastischer Institutionen stellt in dieser Hinsicht eine der wichtigsten Neuerungen inner-
halb des tibetisch-buddhistischen Klosterwesens dar und führt dazu, dass westliche Ak-
teure auch in die soziale und kulturelle Reproduktion der Klöster mit eingebunden sind.
Die ökonomische Unterstützung selbst geht aus einem kulturellen Selbstverständnis
hervor, das schon sehr lange die Praxis des Gebens innerhalb buddhistischer Gesell-
schaften bestimmt. Die Unterstützung der Klöster gründet sich auf eine Form des Ge-
bens (tib. sbyin, Sanskt. dana), die laut buddhistischer Tradition mit einem religiösen
Wert versehen ist und aus einem selbstlosen Verständnis von Großzügigkeit geschehen
sollte.9 Tibetische Mönche und Klöster repräsentieren in dieser kulturellen Logik ein
sog. Verdienstfeld (Sanskt. punyaksetra), in dem sukzessive positives Karma generiert
wird. Wer die Mönche und ihre Klöster finanziell unterstützt, erwirbt auf diese Weise
religiösen Verdienst (bsod nams) und trägt dazu bei, dass die 'Drei Juwelen' des Budd-
hismus (Buddha, Dharma und Sangha) im sozialen Leben bewahrt werden. Es ist zu
beobachten, dass die religiös hoch ausgebildeten Lamas, speziell die Tulkus (sprul sku),
die bei weitem größten Spenden erhalten und somit einen unverzichtbaren Beitrag zur
monastischen Ökonomie leisten.
Die aus dem Westen kommenden Einnahmen und die soziale Interaktion mit westli-
chen Schülern, ihren Ideen, Diskursen und kulturellen Repräsentationen sind jedoch nur
einige der Bestandteile, aus denen das ökonomische System der Klöster seine Konturen
bildet. Das „globale Mandala“ (Zablocki 2005), in dem sich die tibetischen Klosterinsti-
tutionen gegenwärtig konstituieren, erstreckt sich auch auf die südöstlichen Regionen
Asiens. Vor allem die historische Verbindung der Tibeter mit den Chinesen, die von
jahrhundertelangen Priester-Patron-Beziehungen (mchod yon) durchdrungen wurde, hat
sich für die Exilsituation der tibetischen Lamas als wichtiger Anknüpfungspunkt her-
ausgestellt. Chinesen in – und in einem deutlich größeren Umfang auch außerhalb der
VRC – zeigen seit etwa 30 Jahren ein stark anwachsendes Interesse am tibetischen
Buddhismus. Innerhalb der VRC wurde bereits mit dem Wiederaufbau von Klöstern
begonnen und in Hong Kong entstehen zunehmend neue Zentren, die von tibetischen
Exil-Lamas gegründet werden (ebd.: 213).10 Die bei weitem größte Zahl chinesischer
8 Rinpoche (rin po che) ist ein tibetischer Ehrentitel, der häufig für religiöse Lehrer verwendet wird.
9 Für Einzelheiten über die Praxis des Gebens (sbyin, dana) im tibetischen Kontext siehe Samuel (1993:
208-209).
10 Die Verehrung des Yanghegang Tempels in Beijing ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen und in
den Gebieten der TAR gibt es mittlerweile eine kleine Gruppe von chinesischen Mönchen und Nonnen,
die sich im Zuge der Wiederbelebung tibetisch-buddhistischer Religiosität einer Klostergemeinschaft in
Golok angeschlossen haben (Germano 1998).
DIE RENAISSANCE DES TIBETISCH-BUDDHISTISCHEN KLOSTERWESENS
TRANSFORMIERTE BUDDHISMEN 02/2011
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Buddhisten, die sich dem tibetischen Vajrayana-Buddhismus angeschlossen haben, lebt
jedoch in Taiwan.11 Obwohl die Regierung in Taipei sich über viele Jahre hinweg als
rechtmäßige Vertreter der Republik Chinas (nicht zu verwechseln mit der VRC) ver-
standen haben und in unterschiedliche Kontroversen mit der Exilregierung der Tibeter
in Dharamsala verwickelt ist, hat sich der tibetische Buddhismus zu einer weit verbrei-
teten religiösen Strömung in Taiwan entwickelt. Sozialgeschichtlich betrachtet spielten
„mystische“ Überzeugungen und idealisierende Vorstellungen über die tibetischen La-
mas, denen religiös wirksame Kräfte zugesprochen werden und von deren Fähigkeiten
chinesische Patrone sich einen positiven Nutzen versprechen, eine wichtige Rolle bei
der Übertragung des tibetischen Buddhismus in chinesische Gesellschaften. Die gegen-
wärtige Verbreitung des tibetischen Buddhismus in Taiwan gründet sich auf ähnliche
Überzeugungen, die von einem wachsenden Interesses an tantrischen Praktiken und
Ermächtigungen (dbang) begleitet werden. Es kann beobachtet werden, dass der Glaube
an „magische“ Praktiken und die Hoffnung auf diesseitigen Nutzen die religiöse Praxis
des Gebens bestimmen und viele Chinesen nach persönlichen Kontakten mit tibetischen
Lamas suchen (ebd.: 214ff.). Mit Blick auf Taiwan und die in Übersee lebenden Chine-
sen schreibt Zablocki:
„Tibetan Buddhism has been booming in Taiwan, and elsewhere in the Chi-
nese world, as part of a larger craze for esoteric religion (Ch. mi jiao). The
number of Tibetan religious centers has grown rapidly in Taiwan since the
1980’s and large crowds routinely attend when important Tibetan lamas of-
fer tantric initiations (Tib. dbang). Donations from these disciples have be-
come an indispensable source of support, not only for many of the Tibetan
exiles’ monasteries in India and Nepal, but even for Tibetan Buddhist reli-
gious centers and practitioners in Western countries.“ (Ebd.: 195)
Die Unterstützung tibetisch-buddhistischer Religionsgemeinschaften durch Anhänger
chinesischer Herkunft erstreckt sich mittlerweile über viele Regionen Südostasiens, in
denen chinesische Einwanderer leben. Vor allem in Malaysia, Singapur und Indonesien
ist ein Anstieg an tibetisch-buddhistischen Religionsgemeinschaften zu verzeichnen, der
mit einer wachsenden Unterstützung für die Mönche und Lamas aus den Klöstern
Kathmandus verbunden ist und somit als einer der wichtigsten Eckpfeiler für die mona-
stische Ökonomie gelten kann. Zahlreiche neue tibetisch-buddhistische Einrichtungen
und Zentren in Südostasien sind heute am Ausbau der Klöster im Exil beteiligt. Mit
Hilfe der ausländischen Gelder wurden bereits zahlreiche Gebetshallen, Wohnstätten für
Mönche, Buddhastatuen, Textsammlungen und vieles mehr finanziert. Um regelmäßige
Spenden aus den chinesischen Gemeinschaften zu sichern, reisen exiltibetische Lamas
aus Kathmandu mindestens einmal jährlich nach Südostasien, um auch dort in neu eta-
blierten Zentren zu lehren, große Einweihungen zu geben und private Audienzen zu
erteilen. Die beachtlichen Spenden, die den exiltibetischen Lamas von chinesischen
11 Die Zahl der Anhänger des tibetischen Buddhismus in Taiwan lässt sich kaum genau bestimmen. Wie
Zablocki (2005: 209) darlegt, müssen die von der „Taiwanese government’s Mongolian and Tibetan
Affairs Commission“ (MTAC) verkündeten „Schätzungen“, die 1996 von 500.000 ausgehen mit größter
Vorsicht behandelt werden und stehen zudem in einem starken Kontrast zu einer Erhebung von Keng
Chen-hua aus demselben Jahr, die von 100.000 ausgeht und damit deutlich niedriger ausfällt. Ebenso
unverlässlich scheint die Zahl von 238 tibetisch-buddhistischen Zentren in Taiwan zu sein, die sich im
Jahre 2005 offiziell bei der MTAC registriert haben, da viele der Zentren eine solche Registrierung nicht
für besonders sinnvoll halten.
MAX KÖLLING
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TRANSFORMIERTE BUDDHISMEN 02/2011
Sponsoren entgegengebracht werden, geben den Exil-Lamas eine substanzielle Pla-
nungssicherheit und wirken sich auf die globale Situation des tibetischen Buddhismus
aus, indem sie nicht nur die klösterliche Entwicklung und Ökonomie, sondern auch die
transnationalen Projekte tibetisch-buddhistischer Organisationen beeinflussen und somit
die globale Verbreitung des tibetischen Buddhismus nachhaltig fördern. Eines der wich-
tigsten Beispiele in diesem Zusammenhang ist das „Maitreya Project“, das unter der
Obhut der FPMT (Federation of the Presavation of the Mahayana Tradition) entsteht,
einer tibetisch-buddhistischen Organisation, die aus dem Aktivitäten von zwei tibeti-
schen Lamas in einem der in Kathmandu ansässigen Klöster (Kopan Monastery) her-
vorgegangen ist. Im Kern besteht dieses Projekt aus dem Bau einer 152 Meter großen
Maitreya-Statue, die im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh errichtet werden und
für die nächsten 1000 Jahre als globales Symbol des Buddhismus fungieren soll. Ge-
plant ist eine aus Weltraumtechnologie hergestellte Statue zu errichten, deren Innen-
raum Platz für Ausstellungs-, Gebets- und Kinoräume bietet. Das Projekt ist so konzi-
piert, dass tausende Pilger und interessierte Touristen aus aller Welt die Anlage über
einen eigens ausgebauten internationalen Flughafen erreichen können und auch der
Ausbau der umliegenden Infrastruktur auf die Bedürfnisse der zukünftigen Besucher
und lokalen Gemeinden zugeschnitten wird. Der ökologisch-ökonomischen Nachhaltig-
keit des Projekts wird dabei oberste Priorität eingeräumt. Die Finanzierung des Projekts
wird im Rahmen einer globalen Kampagne realisiert, wobei die bisher großzügigsten
Spender mehrheitlich chinesischer Herkunft sind.12
Eine bereits angesprochene Konsequenz der sich ausweitenden globalen Beziehun-
gen besteht darin, junge und gut ausgebildete Mönche in die neu entstehenden Zentren
in den Westen oder nach Südostasien zu entsenden, um diese zu betreuen und rituelle
Dienste anzubieten. Während die Lamas ihre Einnahmen in den Aufbau ihrer Klöster
investieren, erklärten mir einige Mönche, dass es üblich sei, für ein in Taiwan durchge-
führtes Ritual eine Spende von umgerechnet 100-300 US-Dollar zu erhalten. Das ver-
diente Geld erachten sie als ihr eigenes Vermögen und erwerben damit private Luxusar-
tikel wie Mobiltelefone, MP3-Player, Computer oder dergleichen mehr. Den meisten
Mönchen steht es frei, selbst über diese Gelder zu verfügen und so ist es nicht verwun-
derlich, dass sich ein vielfältiger Umgang mit Geld unter den Mönchsgemeinschaften
Kathmandus einstellt. Die Mönche teilen ihre Gelder häufig so ein, dass sie einen Teil
für sich nutzen und einen anderen Teil an ihre Familien in den Himalayaregionen Ne-
pals schicken. Einige der in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsenen Mönche aus
den nepalesischen Bergen sind zu Wohlstand gelangt und auch jene, die nicht selbst ins
Ausland reisen, haben die Möglichkeit, innerhalb der Klöster an Ritualen teilzunehmen,
die von ausländischen Jindaks finanziert werden. Die ökonomischen Möglichkeiten und
die erhöhte Mobilität der Mönche geben dem Mönchstum einen völlig neuen Reiz. Die-
se Faktoren wirken sich auf den sozialen Status der Mönche aus und ermöglichen es
ihnen sich über diesen neu zu definieren. Die zu Wohlstand gelangten Mönche genießen
ein großes Ansehen innerhalb ihrer Heimatdörfer und stellen eine wichtige Unterstüt-
zung für ihre Familien dar. Was ihren Status auf dem Land jedoch zu heben scheint,
führt in Kathmandu zu einem Anwachsen kritischer Stimmen. Immer mehr Stadtbe-
wohner kritisieren die Mönche und ihren Gebrach von Mobiltelefonen, ihre Besuche
teurer Restaurants und ihren lässigen Umgang mit den monastischen Ordensregeln. Für
12 Für weitere Angaben siehe Zablocki (2005: 259-300) und die offizielle Webseite des Projekts unter
www.maitreyaproject.org.
DIE RENAISSANCE DES TIBETISCH-BUDDHISTISCHEN KLOSTERWESENS
TRANSFORMIERTE BUDDHISMEN 02/2011
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sie scheint sich das Leben der Mönche nur noch ansatzweise mit den Idealvorstellungen
des Mönchswesens zu decken und auf Abwege geraten zu sein (vgl. Moran 2004: 86-
109).
Unterschiedliche Vorstellungen über die Bedeutung und Funktion der monastischen
Institutionen, sowie die sozialen, kulturellen und ökonomischen Vorteile, die das Leben
in einem der großen Exilklöster mit sich bringt, werden vor dem Hintergrund globaler
Austauschbeziehungen neu bewertet. Es bleibt offen, wie die gut situierten Mönchsge-
meinschaften auf die ambivalente Anerkennung aus ihrem sozialen Umfeld reagieren
werden und welche gesellschaftliche Rolle die Mönche in Zukunft spielen werden. Die
neuen ökonomischen Strukturen erweisen sich in der Gegenwart als sehr effizientes
Mittel, um die schnell voranschreitenden Baumaßnahmen zu finanzieren, die Anzahl an
Mönchen und Nonnen in den Klöstern zu erhöhen und ihre Ausbildungs- und Lebens-
qualität zu verbessern. Es fällt auf, dass die ausländischen Gelder auf die direkte Anwe-
senheit und die Aktivitäten der Rinpoches zurückgeführt werden können, wodurch die
Autoritätsstrukturen ranghoher Tulkus weiter gestärkt werden. Die ökonomische Auf-
rechterhaltung der entstandenen Klosterinstitutionen scheint davon abzuhängen, inwie-
weit es den Verantwortlichen gelingt, die entstandenen Finanzierungsstrukturen auch
nach dem Ableben der charismatischen Rinpoches aufrecht zu erhalten bzw. die akku-
mulierten Ressourcen nachhaltig und gewinnbringend anzulegen und zu investieren.
Die hier angedeuteten Beziehungen der Klöster zu Religionsgemeinschaften im Westen
und in Südostasien zeigen auf, dass sich die Außengrenzen der klösterlichen Institutio-
nen immer stärker erweitern und neue transnationale Interaktionsbeziehungen an Rele-
vanz gewinnen. Die entstanden Netzwerke, in denen sich die Klöster und ihre ökonomi-
schen Strukturen ausbilden, umfassen Zentren und Projekte auf der ganzen Welt, sodass
auch die lokale monastische Ökonomie nur im Zusammenhang mit der Herausbildung
transnationaler Religionsgemeinschaften innerhalb des tibetischen Buddhismus unter-
sucht werden kann.
Fragen der Repräsentation und der kulturellen Eigenständigkeit des tibetisch-
buddhistischen Klosterwesens sollten im Zuge dieser Entwicklung neu bedacht werden,
um die soziale Tiefe dieser Prozesse weiter zu untersuchen und mögliche Problemfelder
aufzuzeigen. Wie meine eigenen Beobachtungen nahe legen, befinden sich die Klöster
im Übergang in eine ökonomische Abhängigkeit von ausländischen Geldgebern, die
auch zu einem Verlust der kulturellen Eigenständigkeit der Exilklöster führen könnte.
Der ökonomische Aufschwung monastischer Institutionen in Kathmandu ermöglicht
aber auch eine umfangreiche Wiederbelebung und Weiterentwicklung buddhistischer
Lebensweisen, in der eine Fülle kultureller Traditionen und, wie es die Tibeter sagen
würden, „Erleuchtungswege“ bewahrt werden.
4. Die Herausbildung neuer Rekrutierungsmuster und die
Homogenisierung religiöser Praxisformen
Die Rekrutierungsmuster und die demographische Zusammensetzung der Mönchs- und
Nonnengemeinschaften tibetisch-buddhistischer Klöster im Exil zeigen sehr deutlich,
dass die Klöster neue Strategien entwickeln, um dem schwindenden Zulauf exiltibeti-
MAX KÖLLING
15
TRANSFORMIERTE BUDDHISMEN 02/2011
scher Mönche entgegenzuwirken.13 Die globalisierte Ökonomie der Klöster stellt dabei
eine der wichtigsten Voraussetzungen bereit, da sie den Klöstern eine kostenlose Auf-
nahme von Mönchen erlaubt, die selbst nicht in der Lage wären, für ihr Leben in einem
dieser Klöster aufzukommen.
Vor allem in Kathmandu ist die Zahl „nepalesischer“14 Mönche und Nonnen15, die
aus den tibetischen Siedlungsgebieten der nepalesischen Himalayaregionen stammen,
drastisch gestiegen. Meine eigenen Schätzungen legen nahe, dass 90% der in Nepal
lebenden tibetisch-buddhistischen Mönche und Nonnen aus den Grenzregionen zwi-
schen Tibet und Nepal stammen und keine Exiltibeter sind.16
Die ethnische Zusammensetzung dieser Gebiete ist sehr vielfältig und kann nur
schwer vereinheitlicht werden. Neben den Sherpa, Tamang, Magar und Gurung, die zu
den zahlenmäßig größten Ethnien dieser Regionen zählen, bewohnen auch noch andere
tibetischsprachige Gesellschaften die nördlichen Himalayaregionen. Viele dieser Grup-
pen werden von den Nepalesen mit dem etwas abwertendem Begriff „Bhotiya“ be-
zeichneten und genießen ein sehr geringes Ansehen innerhalb der nepalesischen Gesell-
schaft. 1768 wurden sie in ein von den Gorkha-Herrschern etabliertes „Staatsgebiet“
eingegliedert und organisierten sich neben anderen, mehrheitlich hinduistisch geprägten
Gesellschaften, innerhalb eines losen Verbunds aus unterschiedlichen administrativen
Distrikten, aus denen wiederum Mitte des 20. Jhd. die Republik Nepal hervorgegangen
ist. Charles Ramble erklärt, dass sich der Begriff „Bhotiya“ aus dem Wort „Tibet“ ablei-
tet, das im Tibetischen als bod geschrieben wird und im nepalesischen Sprachgebrauch
zu bhot umgewandelt wurde (Ramble 1997: 391). Aus nepalesisch-hinduistischer Sicht
sind alle tibetischsprachigen Gesellschaften aus dem nördlichen Grenzgebiet im Hoch-
land und den tibetischen Siedlungsgebieten im Himalaya „Bhotiya“ – Leute aus Tibet.
Wie Ramble zu bedenken gibt, handelt es sich bei diesen tibetischsprachigen Gesell-
schaften jedoch keineswegs um eine gesellschaftliche Einheit, die sich auch als solche
versteht und mit dem Ethnonym „Bhotiya“ vereinheitlicht werden könnte:17
„There is little to suggest that the Tibetanoid groups of Nepal conceive of
themselves as a single group in any circumstances. There are approximately
fifteen enclaves of Tibetan-speaking extending across the northern region of
Nepal, from Limi in the west to Walung in the east.“ (Ebd.: 394)
13 Einzelheiten über die Abkehr junger Tibeter von den institutionalisierten Formen kultureller Identität,
wie dem Mönchstum, finden sich bei Ström (1994).
14 Mit Blick auf die Staatszugehörigkeit der Mönche müsste politisch korrekter Weise von „nepalesi-
schen“ Mönchen gesprochen werden. Kulturell handelt es sich bei diesen Mönchen jedoch um Tibeter.
Meine Befragungen der Mönche ergaben zudem, dass sich viele von ihnen selbst als Nepalesen bezeich-
nen würden, da sie einen nepalesischen Pass besitzen, untereinander Nepalesisch sprechen, in Kathmandu
leben und vor allem mit den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Themen in Nepal befasst sind.
15 Auch wenn ich im Rahmen dieses Artikel nicht gesondert auf die Situation der Nonnen eingehen
kann, sei jedoch angemerkt, dass beispielsweise das Nonnenkloster Thrangu Tara Abbay im Februar 2008
278 Nonnen zählte, das Nonnenkloster von Kopan, Khachoe Ghakyil Ling, über 500, Nagi Gompa etwa
50 und die Arya Tara School von Ani Chöying zählte 53 Nonnen.
16 Fürer-Haimendorf (1990) und Helffer (1993) weisen in ihren Arbeiten bereits darauf hin, dass ein
Großteil der Mönche aus den nepalesischen Himalayaregionen stammt. Auch Moran (2004) und Zablocki
(2005) verweisen auf die mehrheitlich „nepalesischen“ Mönche und betonen deren zentrale Bedeutung
für die neuen Klöster.
17 Neben der sehr groben Vereinheitlichung tibetischsprachiger Gesellschaften unter einer ethnisch prä-
skriptiven Kategorie, scheint der Begriff „Bhotiya“ zudem auch als Statuskategorie fungiert zu haben,
von der sich bestimmte Gruppen bewusst abgrenzen wollten.
DIE RENAISSANCE DES TIBETISCH-BUDDHISTISCHEN KLOSTERWESENS
TRANSFORMIERTE BUDDHISMEN 02/2011
16
Mit Blick auf die sozialgeschichtliche Entwicklung dieser Enklaven führt er fort:
„There are, in short, a number of critical impediments to the coalescence of
a unified ethnic identity that the Nepalese Tibetanoid might oppose to the
Brahmanical culture of the state. There are considerable linguistic, as well
as cultural, differences between the enclaves; for reasons of geography and
economy there is effectively no direct communication between them; and
the national culture is too remote to provide the stimulus for the reactive
creation of an ethnic organization.“ (Ebd.: 397)
Die hier anklingende Charakterisierung der tibetischen Siedlungsgebiete im heutigen
Nepal macht also deutlich, dass wir die Herkunftsgemeinschaften der Mönche als ei-
genständige Gesellschaften begreifen sollten, da diese seit vielen Jahrhunderten über ein
erhebliches Ausmaß an politischer und kultureller Autonomie verfügen. Die kulturelle
Eigenständigkeit dieser Gesellschaften bedeutet zwar nicht, dass sie keine Außenkon-
takte aufweisen, sie hat jedoch zur Folge, dass der praktizierte Buddhismus und die
volksreligiösen Praktiken weitestgehend regionalspezifische Ausprägungen besitzen
und sich in Abhängigkeit zu den lokalen Gegebenheiten entwickelt haben.
Mit dem Bau der Exilklöster und der zunehmenden Akquirierung ausländischer Gel-
der entwickeln sich die Klöster zu beliebten Anlaufpunkten für die tibetisch-
buddhistischen Gruppen Nepals, deren Kinder auch ohne eigene Abgaben in den Klö-
stern aufgenommen werden. Seit etwas 20 Jahren kann eine zunehmende Abwanderung
männlicher Jugendlicher aus den tibetischen Siedlungsgebieten Nepals beobachtet wer-
den, deren Eltern sich an die hochrangigen Exil-Lamas wenden, um ihre zweitgebore-
nen Söhne (oft auch weitere) ins Kloster zu schicken:
„In Nubri, dispatching a son to reside in one of Kathmandu's monasteries
has emerged as an important post-natal option for parents to manage the size
and composition of their families. The decision is based on a combination of
cultural and economic rationales.“ (Childs 2004b: 37)
Diese Abwanderung der Kinder und Jugendlichen in die Klöster Kathmandus hat so
stark zugenommen, dass Childs sogar von einem „exodus of young males from Budd-
hist highlands of Nepal“ (ebd.: 31) spricht und betont:
„By 1997, the year I conducted a demographic survey, roughly 30% of all
male children in some Nubri villages were living in the monasteries of
Kathmandu and India. One man recently lamented that there are virtually no
children between the ages of five and fifteen remaining in his village. Such
high level of monastic out-migration is unprecedented in Nubri, and is
bound to have implications for all aspects of society.“ (Ebd.: 38)
Aus religionsgeschichtlicher Perspektive lässt sich feststellen, dass die tibetisch-
buddhistischen Exilklöster eine so umfassende Grundversorgung und finanzielle Unter-
stützung für ihre Klostermitglieder gewährleisten, wie es sie nie zuvor in der Geschichte
des tibetischen Klosterwesens gegeben hat. Obwohl das Klosterwesen in den nepalesi-
schen Bergen deutliche Eigenheiten aufweist, lässt sich bereits mit Blick auf die histori-
sche Versorgungssituation der Mönche in den ausgebauten Klöstern Tibets ein großer
Unterschied erkennen:
MAX KÖLLING
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TRANSFORMIERTE BUDDHISMEN 02/2011
„Tibetan monks were not fully supported by the monasteries, receiving only
a small ration of tea and roasted barley for their subsistence; they had to rely
on their families or their own earnings (from trade or performing rituals) for
anything more. Monks did not go on begging rounds, like their counterparts
in Southeast Asia, but engaged in a wide range of occupations.“ (Lopez
1997: 20)
Anders als heute, mussten die Mönche für ihren eigenen Unterhalt in den Klöstern auf-
kommen und wurden zusätzlich von ihren Familien versorgt. Der Entsendung eines
Kindes in eines der Klöster war mit einem materiellen Aufwand verbunden und stellte
in erster Linie einen kulturell-religiösen Wert dar. Darüber hinaus ist bekannt, dass viele
Mönche in den zentralen Klöstern Tibets, auch auf Grund der sogenannten „monk-tax“
ins Kloster geschickt wurden, einer Steuer, bei der Bauernfamilien, die das Land eines
Klosters bewirtschafteten, mindestens einen ihrer Söhne an dieses Kloster entsenden
mussten (Goldstein 1971).
Die globalisierte Ökonomie der Klöster hat dem gegenüber völlig neue Vorausset-
zungen geschaffen und ermöglicht den Klöstern eine umfangreiche Rekrutierung von
Mönchen, deren Lebensunterhalt, Kleidung und medizinische Versorgung von ausländi-
schen Sponsoren getragen werden. Die in Kathmandu entstandenen Klöster bieten ihren
Mönchen einen kostenlosen Zugang zu monastischen Bildungseinrichtungen, die es in
Nepal bisher nicht gegeben hat und deren Leitung einem der ranghohen Tulkus unter-
liegt, deren Anerkennung weit über die Grenzen Nepals bekannt ist. Die materielle Un-
abhängigkeit der Mönche und das bereit gestellte Bildungsangebot in den neuen Exil-
klöstern erweisen sich als eine bemerkenswerte Neuerung, wenn man bedenkt, dass
Mönche im vormodernen Tibet viel Zeit in „weltliche“ und rituelle Aufgaben investie-
ren mussten:
„In Tibet only 25 percent of the monks at the three great monasteries around
Lhasa had been engaged in the scholastic curriculum and of these only a
small portion went beyond rather elementary levels. The rest of the monks
pursued a variety of occupations, employed either by the monasteries or en-
gaged in their own business. There were monks whose duty it was to propri-
tiate the protective deities of the monastery, there were monks who cooked
and brewed vats of Tibetan tea, and monks who took for themselves the task
of enforcing order.“ (Lopez 1995: 274-275)
An einer anderen Stelle schreibt Lopez zudem:
„It is therefore inaccurate to imagine all Tibetan monks spent their days in
meditation or debating sophisticated points of doctrine; only a small percen-
tage were thus occupied. Furthermore, the majority of the occupants of Ti-
betan monasteries remained novices throughout their lives, not going on to
take the vows of a fully ordained monk (dge slong, bhiku).“ (Lopez 1997:
20)
Abgesehen von der Rundumversorgung, die ein durch ausländische Gelder finanziertes
Kloster seinen Mönchen bieten kann, eröffnet das monastische Leben in Kathmandu
große Freiräume für Bildung und Freizeit, die Mönche im vormodernen Tibet kaum
hatten. Es scheint demnach auch nicht erstaunlich, dass sich ein zunehmender Anstieg
DIE RENAISSANCE DES TIBETISCH-BUDDHISTISCHEN KLOSTERWESENS
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an qualifiziert ausgebildeten Mönchen und Nonnen in Nepal verzeichnen lässt, die das
immer größer werdende Lehrangebot der Klöster nutzen und sich um weiterführende
Studien bemühen (vgl. Moran 2004: 70 und 99f.). Fast alle Mönche, die ihre monasti-
sche Laufbahn nicht frühzeitig abbrechen, legen mittlerweile die gelong-Gelübde ab
und fungieren den Rest ihres Lebens als voll ordinierte Spezialisten. Die ins Kloster
kommenden Mönche durchlaufen eine sehr umfangreiche Ausbildung, die neben den
religiösen Inhalten auch durch eine säkulare Schulbildung erweitert wurde. Anders als
früher haben einige der großen Klöster in Kathmandu eine Primarschule in die Anlage
des Klosters integriert, die von allen jungen Mönchen durchlaufen werden muss, bevor
sie sich hauptsächlich ihrer religiösen Bildung widmen. Das religiöse Lehrangebot wird
zunehmend durch neue Klosteruniversitäten, im Tibetischen auch als Shedra (bshad
grwa) bezeichnet, und Retreateinrichtungen, den sogenannten Drub Kangs (grub
khang) erweitert. Daneben können Mönche aus allen Schulrichtungen des tibetischen
Buddhismus heute in einer der großen Klosteruniversitäten, die im indischen Exil neu
aufgebaut wurden, studieren und Belehrungen von Gelehrten aus unterschiedlichen
Schulrichtungen empfangen. Anders als früher ist das Interesse der Mönche am Erler-
nen tantrischer Meditationsübungen deutlich gestiegen und die Zahl ausgebildeter La-
mas nimmt kontinuierlich zu.
Obwohl das in Kathmandu entstehende Klosterwesen eine breite Unterstützung in-
nerhalb tibetischer Gesellschaften aus dem Himalayaraum erfährt und tibetisch-
buddhistische Lehrinhalte mehr den je gefördert und zugänglich gemacht werden, sollte
nicht übersehen werden, dass der Neuaufbau von Klöstern und die Integration der „Bho-
tiya“ in diese Klöster eine Homogenisierung religiöser Praxisformen begünstigt. Wie
auch Childs (2004b) in diesem Zusammenhang zu bedenken gibt, steht die Rekrutierung
neuer Mönche aus den Himalayaregionen Nepals mit der Absicht in Verbindung, die
tibetische Religion und Kultur zu bewahren und das Fortbestehen einer monastischen
Tradition zu gewährleisten, deren Bestand und Integrität durch die Besetzung Tibets
bedroht ist. Auf einer Broschüre des Kopan Klosters aus Kathmandu heißt es beispiels-
weise: „Help save Tibet's culture. Sponsor a Buddhist Monk für just $ 1,00 a Day.“18
Die implizite Vorstellung, die sich hinter diesem Aufruf verbirgt, gründet sich auf
die Überzeugung, tibetisch-buddhistische Mönche, so wie sie in den Klöstern Kathman-
dus aufwachsen und ausgebildet werden, wären ein universaler Bestandteil tibetischer
Kultur, den es zu ‚bewahren‘ gelte. Die Vielfalt religiöser Rollenmodelle und sozialer
Akteure, die das kulturelle Leben tibetischer Gesellschaften auszeichnen, wird dabei
schlichtweg ausgeblendet. Tatsächlich kann gezeigt werden, dass die in Kathmandu
entstandenen Klöster, mit ihrer zölibatären und klerikalen Ausrichtung, mehrheitlich aus
einer Mönchsgemeinschaft zusammengesetzt sind, in deren Heimatregionen diese Form
des Klosterwesens kaum ausgeprägt ist. Das religiöse Leben in diesen Regionen organi-
siert sich um lokale Praktiken, für deren Durchführung verheiratete Lamas (Ngag pas),
nicht-ordinierte Chöpas (chos pa) und andere Spezialisten ohne monastische Ausbil-
dung und Ordination verantwortlich sind.19 Wollte man diese religiösen Praxisformen
bewahren, so wäre die Unterstützung monastischer Zentren in Kathmandu eine deutli-
che Verfehlung dieser Ziele. Die Abwanderung der Kinder und Jungendlichen in die
großen Klöster Kathmandus führt zu Herausbildung eines Mönchtums, das es in den
18 Die Broschüre war am 20.01.2008 im Kopan Kloster in Kathmandu ausgelegt.
19 Weiterführende Untersuchungen über die Bedeutung und Funktion religiöser Speziallisten, die nicht
als ordinierte Mönche agieren, finden sich bei Childs (2004a) und Samuel (1993: 270-289).
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Heimatorten dieser Menschen nie gegeben hat. Es ist daher zu vermuten, dass der
schnell voranschreitende Ausbau monastischer Institutionen in Kathmandu den kulturel-
len Wandel innerhalb der buddhistisch geprägten Himalayaregionen zusätzlich beein-
flussen wird, obwohl die explizite Absicht besteht, das kulturelle Leben der Tibeter zu
bewahren. Daran zeigt sich, dass eine zunehmende Institutionalisierung des tibetischen
Buddhismus in Nepal eingesetzt hat, die zu einer Aufwertung des klerikal und zölibatär
ausgerichteten Klosterwesen führt. Das rasante Voranschreiten dieser Entwicklung kann
vor dem Hintergrund der transnationalen Vernetzung monastischer Institutionen mit
dem finanzkräftigerem Ausland erklärt werden.
5. Die Situation der Klöster in Kathmandu und die
Globalisierung des tibetischen Buddhismus
Die Entstehung tibetisch-buddhistischer Klöster im Exil verbindet sich mit einer be-
merkenswerten Erfolgsgeschichte: Die Öffnung klösterlicher Gemeinschaften gegen-
über der Außenwelt mündete in einer Renaissance des buddhistischen Klosterwesens.
Um diesen Aufstieg und seine Implikationen zu erklären, habe ich versucht, die Ent-
wicklung der Klöster anhand ihrer Ökonomie und ihren Rekrutierungsstrategien zu un-
tersuchen. Wie in diesem Zusammenhang deutlich wurde, entwickeln sich die Klöster
vor dem Hintergrund transnationaler Beziehungskonstellationen, deren Bedeutung
kaum mehr unterschätzt werden kann. Ich konnte zeigen, dass ausländische Sponsoren
(Jindaks) und ihre Spenden zu einem essenziellen Bestandteil der monastischen Öko-
nomie zählen und dass trotz des rückläufigen Eintritts junger Mönche aus der exiltibeti-
schen Gemeinschaft große Klosteranlagen entstehen, in denen der tibetische Buddhis-
mus weiterhin lebendig bleibt. Alle großen Klöster Kathmandus verfügen heutzutage
über ein global gestütztes Finanzierungssystem, das die monastische Ökonomie trägt,
obwohl ein nicht unbedeutender Teil der finanziellen Unterstützung nach wie vor von
Mitgliedern der tibetischen Laiengemeinschaft kommt, die durch ihre Erfolge in der
Teppichindustrie von Kathmandu, dem zunehmendem Tourismus im Land und ihren
Erfolgen auf dem transnationalen Arbeitsmarkt profitiert.20
Die beschriebene Integration ausländischer Schüler in die monastische Ökonomie
und in die Organisationsstrukturen der Klöster gibt Anlass, die Klöster als Mittelpunkt
einer transnationalen Religionsgemeinschaft zu betrachten, deren geistliche und weltli-
che Leiter ranghohe Tulkus sind. Zahlreiche Klöster verfügen mittlerweile über eigene
Kursangebote, Studieneinrichtungen und Unterbringungsmöglichkeiten für westliche
Schüler. Akademische Beziehungen werden geknüpft und viele Tulkus veröffentlichen
eigene Bücher in unterschiedlichen Sprachen. Es kann beobachtet werden, dass die Be-
deutung westlicher Akteure innerhalb des monastischen Systems deutliche Konturen
gewinnt und somit die Entwicklung des Klosterwesens nachhaltig beeinflusst. Die ge-
genwärtigen Klöster bilden zunehmend Orte der kulturellen Integration und des wech-
selseitigen Austausches, in denen sich Laien und Mönche begegnen. In Anlehnung an
Wimmer und Appadurai können hier Prozesse des sozialen und kulturellen Wandels
20 Vor diesem Hintergrund reflektieren die Klöster trotz ihrer globalisierten Ökonomie eine eigenständi-
ge Dynamik zwischen Laien und der monastischen Gemeinschaft, die bereits in Tibet und darüber hinaus
in allen buddhistischen Gesellschaften ein wichtiges Charakteristikum darstellte und in Kathmandu weiter
besteht.
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TRANSFORMIERTE BUDDHISMEN 02/2011
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unter den Bedingungen weltweiter Verflechtungsprozesse erkannt werden, die innerhalb
der Klöster in einem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Weltbilder und Identitäten
münden. Die Reorganisation der monastischen Ökonomie ist in diesem Zusammenhang
nur ein Beispiel, an dem die Auswirkungen der transnationalen Aushandlungsprozesse
beobachtet werden können. Eine ebenso interessante Entwicklung stellt die Anwesen-
heit westlicher Laienpraktizierender in den Klöstern selbst dar. Viele Lamas und Tulkus
in Kathmandu sind darum bemüht, ihre Schüler in den monastischen Kontext mit ein-
zubinden, ihnen eigene Praxisräume zur Verfügung zu stellen, sie an Ritualen und Er-
mächtigungen zu beteiligen und ihnen gemeinsam mit den Mönchen Unterweisungen zu
erteilen. Einige langzeitpraktizierende Westler leben nunmehr seit über 15 Jahren im
Umkreis der Klöster und stehen in einem engen Kontakt zu ihren Lehrern vor Ort. Ohne
sich der monastischen Gemeinschaft der Mönche anzuschließen, gehören sie doch auf
ihre Weise zu den ansässigen Praktizierenden und prägen die Bedeutung des Klosterwe-
sens. Wer das monastische System in Zukunft untersuchen möchte, wird kaum noch
vermeiden können, sich mit der Rolle von Laienpraktizierenden in den Klöstern zu be-
schäftigen und die konkreten Veränderungen, die dadurch im religiösen und sozialen
Leben der Mönche entstehen, zu berücksichtigen.
Meine Analyse der sozialen und kulturellen Veränderungen innerhalb tibetischer Ge-
sellschaften in Nepal, die ich im Zusammenhang mit der Renaissance der Klöster unter-
nommen habe, betont die zentrale Rolle der nepalesisch-stämmigen Tibeter, die mitt-
lerweile den Großteil der monastischen Gemeinschaften ausmachen. Obwohl die Klö-
ster wie erwähnt von tibetischen Exil-Lamas gegründet wurden und als Exilklöster gel-
ten, zeigt die Zusammensetzung der Mönchsgemeinschaften sehr deutlich, dass es
durchaus gerechtfertigt wäre, die Klöster als hybride Institutionen zu betrachten, in de-
nen Tibeter aus unterschiedlichsten Siedlungsgebieten Tibets und Nepals zusammen
leben, wobei vor allem die jüngeren Generationen der Mönche mehrheitlich aus den
nepalesischen Bergregionen entlang der tibetischen Grenze stammen. In Überein-
stimmung mit Forschungsergebnissen anderer Autoren lässt sich vermuten, dass die
Integration der so genannten „Bhotiya“ in die Klöster Kathmandus die institutionalisier-
te monastische Form des tibetischen Buddhismus stärkt und die Autoritätsstrukturen der
ranghohen Lamas in den abgelegenen Siedlungsgebieten des nördlichen Nepals festigt.21
Die urbanen Klostergemeinschaften fördern zudem eine Homogenisierung religiöser
Praxisformen und tragen zur Formierung einer tibetischen Identität bei, in der sich un-
terschiedliche Bevölkerungsgruppen als Teil einer größeren Gemeinschaft aus buddhi-
stischen Mönchen begreifen. Diese beziehen sich auf die selben Symbolsysteme des
tibetischen Buddhismus und folgen den gleichen Tulkus. Es ist davon auszugehen, dass
die begonnene Entwicklung eine Aufwertung der klerikalen Ausrichtung monastischer
Institutionen begünstigt und das monastische System des tibetischen Buddhismus zu-
nehmend als dominantester Ausdruck tibetisch-buddhistischer Kultur im Kathmandutal
eine besondere Stellung in der religiösen Landschaft Nepals einnehmen wird.
21 Weiterführende Untersuchungen über den Einfluss der transnationalen Klosterinstitutionen auf die
tibetischen Siedlungsgebiete Nepals finden sich bei Childs (2004b), Draper (1994), Shneidermann (2006)
und van Ede (1999).
MAX KÖLLING
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Information zum Autor
Max Kölling studierte Religionswissenschaft, Ethnologie und Südasienwissenschaften
(M.A.) in Berlin. Seine Arbeitsgebiete sind u. a. religiöse Wandlungsprozesse in den
Himalayaregionen und in Indien sowie entwicklungspolitische Themen in Asien und
Europa.
Kontakt
Max Kölling
maxkoelling@googlemail.com