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© 2015 by
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14
70469 Stuttgart
ISSN
Nachdruck nur
mit Genehmigung
des Verlags
P. Kühn, S. Sachse, W. von Suchodoletz
Sprachentwicklungs-
verzögerung: Was wird aus
Late Bloomern?
DOI 10.1055/s-0035-1547310
Klin Padiatr 2015; 227: 213–218
0300-8630
213Originalarbeit
Kühn P et al. Sprachentwicklungsverzögerung: Was wird aus … Klin Padiatr 2015; 227: 213–218
Bibliograe
DOI http://dx.doi.org/
10.1055/s-0035-1547310
Online-Publikation: 3.6.2015
Klin Padiatr 2015; 227: 213–218
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York
ISSN 0300-8630
Korrespondenzadresse
Dr. Philipp Kühn
Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Psychosomatik, Psychotherapie
kbo-Heckscher Klinikum
Deisenhofener Straße 28
81539 München
Tel.: + 49/89/9999 1154
kuehn_p@web.de
Schlüsselwörter
●
▶
Sprachentwicklungs-
verzögerung
●
▶
Spätsprecher
●
▶
Spätstarter
●
▶
Prognose
Key words
●
▶
language delay
●
▶
late talker
●
▶
late bloomer
●
▶
outcome
Sprachentwicklungsverzögerung: Was wird aus Late
Bloomern?
Language Delay: What is the Prognosis of Late Bloomers?
Autoren P. Kühn
1
, S. Sachse
2
, W. von Suchodoletz
3
Institute
1
Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie, kbo-Heckscher-Klinikum, München
2
Institut für Psychologie, Pädagogische Hochschule, Heidelberg
3
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität
München, München
Zusammenfassung
▼
Hintergrund: 30–50 % der Spätsprecher (Late
Talker; LT) holen den Sprachentwicklungs-
rückstand bis zum Ende des dritten Lebensjahres
auf (Late Bloomer; LBl). Bislang ist unklar, ob es
sich dabei um eine scheinbare Normalisierung
(illusionary recovery) oder ein dauerhaftes Auf-
holen handelt. Zur Klärung dieser Frage wurde
in der vorliegenden Studie erstmals der weitere
Sprachverlauf bei LBl untersucht.
Methodik: Die sprachlichen Fähigkeiten von
83 dreijährigen Kindern (16 LBl, 29 LT mit per-
sistierenden Sprachauälligkeiten, 38 Nicht-
LT) wurden mit einem Sprachentwicklungstest
(SETK 3–5) erfasst. Eine Nachuntersuchung mit
dem SETK 3–5 erfolgte im Einschulungsalter.
Zusätzlich wurden der aktive und passive Wort-
schatz (AWST-R bzw. MSVK) sowie Vorläuferfer-
tigkeiten für den Schriftspracherwerb (verbale
Merkfähigkeit, phonologische Bewusstheit, ver-
bale Abrufgeschwindigkeit) beurteilt.
Ergebnisse: Im Einschulungsalter unterschie-
den sich LBl von Nicht-LT in der phonologischen
Merkfähigkeit. 31 % der LBl gegenüber 3 % der
N-LT hatten leichtere Sprachschwächen, aber
kein Kind eine Sprachentwicklungsstörung. 38 %
der LBl waren logopädisch behandelt worden.
Die Sprachfähigkeiten und die Vorläuferfertig-
keiten der LT mit persistierenden Sprachauäl-
ligkeiten verblieben bis zum Einschulungsalter
signikant unter dem Niveau der LBl und der
Nicht-LT. Jedes vierte Kind dieser Gruppe hatte
eine Sprachentwicklungsstörung.
Schlussfolgerung: LBl haben kein erhöhtes
Risiko für spätere Sprachstörungen. Ihre sprachli-
chen Fähigkeiten liegen aber häug an der unte-
ren Grenze des Normbereichs. In Anbetracht der
großen Bedeutung von Sprachkompetenz für den
Schulerfolg ist zu empfehlen, dass LBl im Kinder-
garten oder zu Hause gezielt gefördert werden,
z. B. durch eine systematische Anleitung der Be-
zugspersonen zu sprachförderndem Verhalten.
Abstract
▼
Background: 30–50 % of late talkers catch-up
their language delay during the third year of life.
So far it is unclear whether this is a permanent or
an illusionary recovery. The aim of the study was
to examine the further language development of
late bloomers.
Method: Language skills of 83 three-year-old
children (16 late bloomers [LB], 29 late talkers
[LT] with persistent language problems, 38 Non-
LT) were assessed with a standardized language
test. Before school entry formal language skills,
expressive and receptive vocabulary and pre-
cursors of written language (verbal memory,
phonological awareness, verbal informa tion-
processing speed) were assessed.
Results: At follow-up before school entry LB
scored below Non-LT on phonological memory
test. 31 % of the LB in contrast to 3 % of the Non-LT
had slight language problems. 38 % had received
speech-language therapy. Nevertheless, no LB
met the criteria of developmental language dis-
order. The language skills of LT with persistent
language problems remained signicantly below
the level of LB and Non-LT. Every fourth of these
children was language impaired.
Conclusion: LB as a group are not at risk for
later clinically relevant language disorders. Ho-
wever, their language abilities are often within
the lower range of normal variation. Therefore, it
is recommended to facilitate their language
acquisition either by kindergarten training pro-
grams or by parent-directed intervention pro-
grams to provide a more stimulating environment.
Originalarbeit
214 Originalarbeit
Kühn P et al. Sprachentwicklungsverzögerung: Was wird aus … Klin Padiatr 2015; 227: 213–218
Einleitung
▼
Die Variabilität des Spracherwerbs ist erheblich [25]. Bis zu
einem Alter von etwa 1½ Jahren lassen sich umschriebene
Sprachentwicklungsstörungen und Normvarianten des Sprach-
erwerbs nicht voneinander trennen. Sprachentwicklungsverzö-
gerungen sind deshalb, wenn keine weiteren Entwicklungsauf-
fälligkeiten vorliegen, bis zur Vorsorgeuntersuchung U6 (10.–12.
Monat) nicht als Frühsymptom einer späteren Sprachentwick-
lungsstörung anzusehen [23]. Erst mit etwa 2 Jahren, d. h. bei
der U7, lassen sich Kinder mit einem erhöhten Risiko für länger
anhaltende Sprachauälligkeiten erkennen. Als sprachgestört
sind diese Spätsprecher (Late Talker, LT) allerdings nicht anzuse-
hen. Jedes zweite bis dritte der 2-jährigen sprachverzögerten
Kinder holt den Sprachrückstand auch ohne Intervention inner-
halb von 12 Monaten weitgehend auf [5, 20, 24]. Diese Kinder
werden als Spätstarter (Late Bloomer; LBl) bezeichnet [2]. Unklar
ist allerdings, ob ein solches Aufholen von Dauer ist. Möglicher-
weise handelt es sich, wie in den AWMF-Leitlinien zur Diagnos-
tik von Sprachentwicklungsstörungen [2] betont wird, nur um
eine vorübergehende Besserung, die spätere Sprachstörungen
nicht ausschließt (illusionary recovery).
Bisherige Längsschnittstudien mit LT zeigen, dass die Zahl
sprachauälliger Kinder mit zunehmendem Alter abnimmt.
Vollständig gleichen viele LT ihren Sprachrückstand aber nicht
aus. Auch noch im Pubertätsalter haben ehemalige LT im Durch-
schnitt schlechtere sprachliche Fähigkeiten als vergleichbare
Kinder ohne eine primäre Sprachentwicklungsverzögerung
(Übersicht [12, 19]).
Die Frage, wie sich LBl weiter entwickeln und ob diese einer län-
gerfristigen Beobachtung bedürfen, ist bislang ungeklärt. Anga-
ben in der Literatur, dass LBl bis ins spätere Schulalter sprachli-
che Schwächen hätten [2, 19], beruhen auf Längsschnittstudien
bei LT. Diese sprechen dafür, dass LT, bei denen zum Zeitpunkt
der Nachuntersuchung keine Sprachstörung nachweisbar ist,
gegenüber Kindern mit einer altersgerechten Sprachentwick-
lung signikant schlechtere Sprachleistungen haben [17]. Ob der
Sprachrückstand wie bei LBl bis zum Ende des dritten Lebens-
jahres oder aber erst später aufgeholt wurde, geht aus diesen
Studien nicht hervor. Damit bleibt oen, ob LT, bei denen bereits
mit 3 Jahren keine Sprachauälligkeiten mehr nachweisbar sind,
als Risikokinder anzusehen sind.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Informationen über die wei-
tere Sprachentwicklung von Late Bloomern zu erhalten. Geklärt
werden soll, ob die sprachlichen Fähigkeiten dieser Kinder dau-
erhaft im Bereich der normalen Variationsbreite bleiben oder ob
vermehrt mit späteren Sprachstörungen zu rechnen ist und des-
halb regelmäßige Überprüfungen des Sprachentwicklungs-
stands auch bei LBl erforderlich sind.
Kindergruppen und Methoden
▼
Stichprobe
Die Stichprobe bestand aus 83 dreijährigen Kindern: 16 LBl, 29
LT mit persistierenden Sprachauälligkeiten (Persist. LT) und 38
Kinder mit einer primär unauälligen Sprachentwicklung
(Nicht-Late Talker; N-LT). Die Kinder waren Teil einer Längs-
schnittstudie. Zur Rekrutierung der Stichprobe wurde Eltern
von etwa 23 Monate alten Kindern der „Elternfragebogen für die
Früherkennung von Risikokindern – ELFRA-2“ [11] zugeschickt.
Die Adressen wurden dem Geburtsanzeiger einer Zeitung ent-
nommen. Alle einsprachig deutsch aufwachsenden Kinder mit
einem ELFRA-Wortschatz ≤ 50 und eine Zufallsstichprobe der
Kinder mit einem größeren Wortschatz (unter Berücksichtigung
der Geschlechtsverteilung bei den LT) wurden zu einer genaue-
ren Untersuchung eingeladen. 56 % der angeschriebenen Eltern
erklärten sich mit einer Teilnahme einverstanden. Kinder, bei
denen aufgrund der Untersuchungsergebnisse der Verdacht auf
eine Intelligenzminderung (n = 4), auf Hörstörungen (n = 16)
oder sonstige Behinderungen (n = 1) bestand, wurden ausge-
schlossen. Von den 60 LT und 47 N-LT, die bei der Untersuchung
mit 2 Jahren (25 ± 0,5 Monate) die Einschlusskriterien erfüllten,
konnten im Alter von 3 Jahren (37 ± 0,5 Monate) 49 LT und 42
N-LT und im Einschulungsalter (70 ± 0,5 Monate) 45 LT und 38
N-LT (Ausfallquote 25 bzw. 19 %) nachuntersucht werden. Eine
Ausfallsanalyse ergab, dass zwischen den ausgefallenen und den
in der Studie verbliebenen Kindern keine signikanten Unter-
schiede hinsichtlich demograscher oder Sprachvariablen mit 2
Jahren bestanden. Dies spricht gegen eine Verzerrung der Ergeb-
nisse durch den Ausfall einiger Kinder.
Die Untersuchungen wurden jeweils auf 2 Termine verteilt. Bei
der Nachuntersuchung im Einschulungsalter konnten 15 Kinder
nur einen Termin wahrnehmen. Bei ihnen fehlen Daten für die
phonologische Bewusstheit (betrit Tabelle 4). Zur Ausfallsana-
lyse wurden die Ergebnisse der Kinder mit bzw. ohne Untersu-
chung der phonologischen Bewusstheit hinsichtlich der anderen
in diesem Alter erhobenen Variablen (Sprach-, Wortschatz-,
Lautbildungs- und Intelligenztestergebnisse) verglichen. In kei-
nem Bereich waren die Unterschiede signikant (t-Test für un-
abhängige Stichproben, 2-seitig), sodass eine bedeutsame Ver-
zerrung der Ergebnisse in Tabelle 4 durch die Verkleinerung der
Gruppengröße unwahrscheinlich ist.
Untersuchungsinstrumente
Im Alter von 2 Jahren wurde der Sprachentwicklungsstand mit
dem „Sprachentwicklungstest für 2-jährige Kinder – SETK-2“ [9]
eingeschätzt. Der SETK-2 beurteilt mit insgesamt 4 Untertests
die Produktion und das Verstehen von Wörtern und Sätzen.
Außerdem wurden die nonverbalen Fähigkeiten mit den Unter-
tests „Perzeption“ und „Handgeschicklichkeit“ der „Münchner
funktionellen Entwicklungsdiagnostik – MFED“ [13] erfasst und
ein Hörscreening durchgeführt. Wie zu allen Untersuchungs-
zeitpunkten wurden die Eltern gebeten, Anamnese- und Verhal-
tensfragebögen auszufüllen.
Im Alter von 3 Jahren und im Einschulungsalter wurden die for-
malen sprachlichen Leistungen mit dem „Sprachentwicklungs-
test für 3–5-jährige Kinder – SETK 3–5“ [10] und die non-verba-
len Fähigkeiten mit dem „Snijders-Oomen Non-verbaler Intelli-
genztest – SON-R 2½-7“ [26] beurteilt. Der SETK 3–5 besteht aus
den Untertests „Verstehen von Sätzen - VS“ (Sprachverständnis),
„Morphologische Regelbildung - MR“ (Pluralbildung) und „Pho-
nologisches Gedächtnis für Nichtwörter - PGN“ (phonologische
Merkfähigkeit). Zur Beurteilung sprachproduktiver Fähigkeiten
enthält die Version für 3-jährige Kinder zusätzlich den Untertest
„Enkodierung semantischer Relationen - ESR“ (Bildbeschreibung)
und die Version für 4–5-jährige den Subtest „Satzgedächtnis-SG“
(Nachsprechen von grammatikalisch komplexeren Sätzen und
Pseudosätzen). Der Untertest PGN war bei den 3-Jährigen wegen
Aussprachefehlern (phonetisch-phonologische Auälligkeiten)
und/oder einer unzureichenden Mitarbeit häug nicht auswert-
bar und bleibt deshalb in dieser Altersstufe unberücksichtigt.
215Originalarbeit
Kühn P et al. Sprachentwicklungsverzögerung: Was wird aus … Klin Padiatr 2015; 227: 213–218
Im Einschulungsalter wurden zusätzlich Wortschatz, Lautbil-
dungsfähigkeit und Vorläuferfertigkeiten für den Schriftsprach-
erwerb (phonologische Bewusstheit, verbale Merkfähigkeit, ver-
bale Abrufgeschwindigkeit) beurteilt. Der aktive Wortschatz
wurde mit dem „Aktiven Wortschatztest für 3–5-jährige Kinder
– AWST-R“ [15] und der passive Wortschatz mit dem „Marbur-
ger Sprachverständnistest für Kinder – MSVK“ [7] eingeschätzt.
Eine Beurteilung der Lautbildungsfähigkeit erfolgte mit dem
„Lautbildungstest für Vorschulkinder – LBT“ [8]. Die phonologi-
sche Bewusstheit (PB) im weiteren Sinn wurde mit den Unter-
tests „Reimen“ und „Silben-Segmentieren“ und die PB im
engeren Sinn mit den Untertests „Laut-zu-Wort-Vergleich“ und
„ Laute-Assoziieren“ des „Bielefelder Screenings zur Früherfas-
sung von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten – BISC“ [14]
erfasst. Eine Beurteilung der verbalen Merkfähigkeit erfolgte mit
den Untertests „Wortreihe – WR“ und „Zahlen nachsprechen –
ZN“ der „Kaufman Assessment Battery for Children – K-ABC“
[16] und der verbalen Abrufgeschwindigkeit („Schnelles Benen-
nen“) mit einer Tafel mit in zufälliger Abfolge immer wiederkeh-
renden Bildern von 5 Tieren (Hund, Pferd, Frosch, Fisch, Kuh).
Zuordnung zu den Gruppen
Im Alter von 2 Jahren erfolgte eine Gruppeneinteilung in LT, N-LT
und Grenzfälle. Kinder wurden als LT eingestuft, wenn sie im
ELFRA-2 und im SETK-2 als sprachretardiert auelen (ELFRA-2:
Wortschatz ≤ 50; SETK-2: in mindestens einem sprachprodukti-
ven Untertest T-Wert ≤ 35, d. h. mindestens 1½ Standardabwei-
chungen [SD] unter dem Mittelwert). Kinder, die sowohl im
ELFRA-2 als auch im SETK-2 altersentsprechende Werte erreich-
ten (ELFRA-2-Wortschatz > 80; SETK-2: T-Werte in allen Unter-
tests > 40), wurden der N-LT-Gruppe zugeordnet. Kinder mit
einem ELFRA-Wortschatz von 51–80 oder widersprüchlichen
Ergebnissen im ELFRA-2 und SETK-2 wurden als Grenzfälle
(n = 34) angesehen und bleiben im Folgenden unberücksichtigt.
Bei der Gruppeneinteilung im Alter von 3 Jahren wurden als Per-
sist. LT diejenigen LT eingestuft, die in diesem Alter eine Sprach-
schwäche oder Sprachstörung aufwiesen. Eine Klassikation als
Sprachschwäche erfolgte bei Sprachleistungen mit einem
T-Wert von 36–40 in mindestens einem Untertest des SETK 3–5
(entsprechend 1 bis 1½ SD unter dem Durchschnitt) und als
Sprachstörung bei mindestens einem T-Wert ≤ 35 (entspre-
chend ≤ 1½ SD unter dem Durchschnitt). Als LBl wurden Kinder
klassiziert, die mit drei Jahren in allen Untertests des SETK 3–5
durchschnittlich abschnitten (alle T-Werte > 40). In
●
▶
Tab. 1 sind
wesentliche Merkmale der Kindergruppen zusammengestellt.
Bei der Nachuntersuchung im Einschulungsalter erfolgte die
Gruppeneinteilung – wie im Alter von 3 Jahren – anhand der
Ergebnisse im SETK 3–5 (sprachunauällig: alle T-Werte > 40;
sprachschwach: in mindestens einem Untertest T-Wert 36–40;
sprachgestört: in mindestens einem Untertest T-Wert ≤ 35).
Statistische Analysen
Mit multivariaten Varianzanalysen (Statistikprogramm SPSS
Version 19) wurde überprüft, ob Unterschiede zwischen den
Gruppen (N-LT, LBl, Persist. LT) nachweisbar sind und auf welche
Variablen diese Unterschiede zurückzuführen sind. Mittels Post-
Hoc-Tests nach Bonferroni wurden Gruppenunterschiede im
Paarvergleich genauer zugeordnet.
Sprach- u. a. Tests für das Kindergartenalter sind zum Teil unzu-
reichend normiert (kleine, nicht repräsentative Normierungs-
stichproben; breite Altersgruppenbildung usw.). Deshalb
wurden Rohwerte anstelle von Normwerten in die Analysen
eingegeben. Dies war möglich, da die Kinder zu den einzelnen
Untersuchungszeitpunkten fast gleich alt waren.
Ergebnisse
▼
In einem ersten Schritt wurde überprüft, ob sich im Alter von 3
Jahren die sprachlichen Fähigkeiten der Gruppen signikant
voneinander unterschieden. Dabei zeigte sich, dass die Persist.
LT im Sprachtest in allen Untertests die schlechtesten und die
N-LT die besten Sprachleistungen erreichten. Die Werte der LBl
lagen zwischen denen der beiden anderen Gruppen. Eine multi-
variate Varianzanalyse ergab einen signikanten Eekt der
Gruppenzuordnung (Pillai-Spur: F(6,158) = 14,360, Signikanz:
p ≤ 0,001). Dies war auch zu erwarten, da die Gruppen nach den
Ergebnissen im SETK 3–5 gebildet worden waren. Durch eine
genauere Aufschlüsselung wurde deutlich, dass signikante
Gruppenunterschiede in allen Untertests des SETK 3–5 bestan-
den und diese vorwiegend durch schlechtere Leistungen der
Persist. LT hervorgerufen waren (
●
▶
Tab. 2).
Zur Beantwortung der Hauptfragestellung nach der weiteren
Sprachentwicklung bei LBl im Vergleich zu der von N-LT und
Persist. LT wurden die sprachlichen Leistungen der 3 Gruppen
im Einschulungsalter miteinander verglichen. In diesem Alter
zeigten sich ähnliche Gruppenunterschiede wie mit 3 Jahren,
allerdings weniger stark ausgeprägt. Die multivariate Varian-
zanalyse unter Einbeziehung aller Sprachvariablen belegte einen
signikanten Gruppeneekt (Pillai-Spur: F(14,150) = 3,601, Sig-
nikanz: p ≤ 0,001). Nachfolgende Analysen ergaben, dass sich
die Gruppen auf allen erfassten Sprachdimensionen signikant
unterschieden. Post-Hoc-Tests zeigten, dass die Gruppendie-
renzen überwiegend Ausdruck geringerer Sprachfähigkeiten der
Persist. LT waren. LBl hatten gegenüber N-LT schlechtere Leis-
tungen im Untertest PGN des SETK 3–5 (
●
▶
Tab. 3).
Bei den Vorläuferfertigkeiten für den Schriftspracherwerb waren
in der multivariaten Varianzanalyse gleichfalls signikante
Gruppendierenzen nachweisbar (Pillai-Spur: F(14,120) = 2 949,
Signikanz: p ≤ 0,001). Außer in 2 Untertests des BISC unter-
schieden sich die Gruppen durch schwächere Leistungen der
Persist. LT auch auf Einzeltestebene (
●
▶
Tab. 4).
Nicht-Late Talker
(N = 38)
Late Bloomer
(N = 16)
Persistierende Late
Talker (N = 29)
Geschlecht Jungen/Mädchen 58 %/42 % 63 %/37 % 69 %/31 %
Alter in Monaten 37,0 ± 0,7 37,1 ± 0,3 37,1 ± 0,5
Schulabschluss der
Mutter
Hauptschule 11 % 13 % 24 %
Realschule 26 % 6 % 45 %
Abitur 63 % 81 % 31 %
nonverbaler IQ * SON-R 2½–7 107 ± 12 107 ± 14 102 ± 18
* IQ-Bestimmung im Alter von 5 Jahren
Tab. 1 Charakteristika der
Kindergruppen. (Anzahl,
Prozent bzw. Mittelwert und
Standardabweichung).
Originalarbeit
216 Originalarbeit
Kühn P et al. Sprachentwicklungsverzögerung: Was wird aus … Klin Padiatr 2015; 227: 213–218
Um zu klären, ob bei LBl vermehrt mit späteren Sprachstörun-
gen zu rechnen ist, wurde überprüft, wie häug in den einzel-
nen Kindergruppen im Einschulungsalter Sprachauälligkeiten
auftraten. Bei dieser kategorialen Betrachtung wurde deutlich,
dass nicht nur Persist. LT, sondern auch LBl im Vergleich zu N-LT
häuger sprachliche Schwächen hatten (Signikanz im Chi-Qua-
drat-Test bei 2-seitiger Fragestellung, p ≤ 0,01). Aber bei keinem
Kind der LBl-Gruppe waren die Sprachauälligkeiten so ausge-
prägt, dass nach den Kriterien der ICD-10 (F80.1 bzw. F80.2) [6]
von einer Sprachentwicklungsstörung auszugehen war. In der
Gruppe der Persist. LT hingegen waren 14 % der Kinder als
sprachschwach und 24 % als sprachgestört anzusehen (
●
▶
Abb. 1).
Auällige Werte im Lautbildungstest hatten 5 % der N-LT, 13 %
der LBl und 28 % der Persist. LT. 55 % der Eltern der Persist. LT und
38 % der LBl gaben an, dass ihr Kind logopädisch behandelt wor-
den war. In der N-LT-Gruppe hatten lediglich 3 % der Kinder eine
logopädische Therapie erhalten.
Tab. 2 Sprachleistungen im Alter von 3 Jahren. (N-LT: Nicht-Late Talker, LBl: Late-Bloomer, Persist. LT: Persistierende Late Talker; Mittelwerte [M] und
Standardabweichungen [SD] der Rohwerte in den Untertests des SETK 3–5; n.s.: nicht signikant; Berechnung mittels multivariater Varianzanalyse).
N-LT
(N = 38)
LBl
(N = 16)
Persist. LT
(N = 29)
Signikanz in der
Varianzanalyse
Signikanz der Gruppenunterschiede
(Post-Hoc, Bonferroni)
M SD M SD M SD F Sign. N-LT vs.
LBl
LBl vs.
Persist. LT
Persist. LT
vs. N-LT
Sprachverständnis (VS) 12,2 3,0 11,1 2,6 7,1 2,5 29,68 < 0,001 n.s. < 0,001 < 0,001
Pluralbildung (MR) 15,7 2,6 14,0 2,6 6,0 4,7 57,04 < 0,001 n.s. < 0,001 < 0,001
Bildbeschreibung (ESR) 3,9 1,3 3,3 1,3 1,7 0,7 44,18 < 0,001 n.s. < 0,001 < 0,001
Tab. 3 Sprachleistungen im Einschulungsalter. (N-LT: Nicht-Late Talker, LBl: Late-Bloomer, Persist. LT: Persistierende Late Talker; Mittelwerte [M] und
Standardabweichungen [SD] der Rohwerte; n.s.: nicht signikant; Berechnung mittels multivariater Varianzanalyse).
N-LT
(N = 38)
LBl
(N = 16)
Persist. LT
(N = 29)
Signikanz in der
Varianz-analyse
Signikanz der Gruppenunter
-
schiede (Post-Hoc, Bonferroni)
M SD M SD M SD F Sign. N-LT
vs. LBl
LBl vs.
Persist. LT
Persist. LT
vs. N-LT
SETK 3–5 Sprachverständnis (VS) 12,8 1,2 12,6 1,5 11,1 2,0 10,53 < 0,001 n.s. < 0,01 < 0,001
Pluralbildung (MR) 28,7 4,8 29,6 3,8 24,2 5,7 8,52 < 0,001 n.s. < 0,01 < 0,01
Sätze nachsprechen (SG) 100,2 18,5 100,5 6,8 90,7 15,5 3,42 < 0,05 n.s. n.s. n.s.
Nichtwörter nachsprechen (PGN) 12,5 2,7 10,3 3,8 8,8 2,6 13,22 < 0,001 < 0,05 n.s. < 0,001
AWST-R aktiver Wortschatz 57,9 9,7 55,9 6,3 45,1 13,6 12,30 < 0,001 n.s. < 0,01 < 0,001
MSVK passiver Wortschatz 16,0 3,5 15,5 2,6 12,6 3,2 9,99 < 0,001 n.s. < 0,05 < 0,001
LBT Lautbildung 16,5 0,9 15,9 1,3 15,4 2,6 3,43 < 0,05 n.s. n.s. < 0,05
Tab. 4 Vorläuferfertigkeiten für den Schriftspracherwerb im Einschulungsalter. (N-LT: Nicht-Late Talker, LBl: Late-Bloomer, Persist. LT: Persistierende Late
Talker; Mittelwerte [M] und Standardabweichungen [SD] der Rohwerte, n.s.: nicht signikant; Berechnung mittels multivariater Varianzanalyse).
N-LT
(N = 33)
LBl
(N = 13)
Persist. LT
(N = 22)
Signikanz in der
Varianzanalyse
Signikanz der Gruppenunter
-
schiede (Post-Hoc, Bonferroni)
M SD M SD M SD F Sign. N-LT
vs. LBl
LBl vs.
Persist. LT
Persist.
LT vs. N-LT
K-ABC Wortreihe (WR) 10,6 2,3 9,3 2,3 7,8 2,4 9,08 < 0,001 n.s. n.s. < 0,001
Zahlen nachsprechen (ZN) 8,6 1,9 8,5 1,8 7,7 2,4 13,17 < 0,001 n.s. < 0,001 < 0,001
schnelles Benennen Zeit in Sekunden 80,6 19,4 86,9 16,8 97,9 19,8 5,38 < 0,01 n.s. n.s. < 0,01
BISC Reimen 9,5 0,9 9,3 0,9 8,3 1,6 7,40 < 0,001 n.s. < 0,05 < 0,001
Silben segmentieren 8,4 1,9 7,4 2,6 8,1 1,7 1,13 n.s. n.s. n.s. n.s.
Laut-zu-Wort-Vergleich 9,7 0,8 9,7 0,5 8,4 1,7 9,41 < 0,001 n.s. < 0,01 < 0,001
Laute-Assoziieren 9,7 0,8 9,9 0,3 9,4 1,0 2,38 n.s. n.s. n.s. n.s.
Nicht-LT
Late Bloomer
Persist. LT
0% 20%40% 60%80% 100%
97
69
62
14
24
31
3
sprachunauff. sprachschwachsprachgestört
Abb. 1 Häugkeit von Sprachauälligkeiten im Einschulungsalter.
217Originalarbeit
Kühn P et al. Sprachentwicklungsverzögerung: Was wird aus … Klin Padiatr 2015; 227: 213–218
Diskussion
▼
Die sprachlichen Fähigkeiten von LT verbessern sich bis zum
Ende des dritten Lebensjahres erheblich und 30–50 % der LT
erreichen bis zu diesem Zeitpunkt Sprachleistungen, die im
Normbereich liegen [19, 24]. In welchen Schritten die normale
Sprachentwicklung verläuft und welche sprachlichen Meilen-
steine in einzelnen Altersstufen erreicht werden, ist z. B. in Leit-
linien ausführlich beschrieben [2]. Die Ergebnisse dieser Studie
verdeutlichen, dass insbesondere Kinder von Müttern mit höhe-
rer Schulbildung den Sprachrückstand aufholen. In der Gruppe
der LBl hatten 81 % der Mütter Abitur, während es in der Gruppe
der Persist. LT nur 31 % waren. Die Studie zeigt des Weiteren,
dass sich die Unterschiede zwischen den sprachlichen Fähigkei-
ten von LT und N-LT auch noch während der Kindergartenzeit
verringern. Eine solche Annäherung der Sprachkompetenzen
entspricht den Erfahrungen aus anderen Längsschnittstudien
[18, 22]. LT verbessern somit ihre sprachlichen Fähigkeiten über
das dritte Lebensjahr hinaus und der Rückstand zu sprachunauf-
fälligen Kindern nimmt im Kindergartenalter weiter ab.
Die Sprachleistungen von LT liegen im Mittel auch noch im Ein-
schulungsalter unter dem Niveau von N-LT. Verminderte Kom-
petenzen sind in zahlreichen Sprachdimensionen wie Gramma-
tik, Semantik und Phonologie nachweisbar. Selbst im Schulalter
erreichen LT, wie in mehreren Längsschnittstudien gezeigt wur-
de, nicht die gleichen Sprachleistungen wie N-LT [3, 21]. Somit
kann als ausreichend belegt angesehen werden, dass viele LT,
auch wenn sie später nicht sprachgestört sind, ihren Sprach-
rückstand nur unvollständig kompensieren und im Vergleich zu
Kindern mit einer altersentsprechenden primären Sprachent-
wicklung längerfristig über geringere sprachliche Kompetenzen
verfügen.
Ob spätere Sprachauälligkeiten bestehen, hängt entscheidend
von der Entwicklung im dritten Lebensjahr ab. Die vorliegenden
Ergebnisse sprechen dafür, dass LT mit bis zum dritten Geburts-
tag persistierenden Sprachauälligkeiten im Einschulungsalter
signikante Einschränkungen in verschiedenen sprachlichen Be-
reichen und Minderleistungen in Vorläuferfertigkeiten für den
Schriftspracherwerb haben. Die Leistungen von LBl hingegen
sind nur gering eingeschränkt. Ob ein LT seinen Sprachrückstand
bis zum Ende des dritten Lebensjahres weitgehend kompensiert
oder nicht, erlaubt somit eine Vorhersage des späteren Sprachni-
veaus. Vergleichbar wurden in einer anderen Studie relativ kon-
stant bleibende Sprachleistungen im späten Kindergarten- und
frühen Schulalter beobachtet. Die Sprachentwicklung von LT
wurde in Abhängigkeit davon verfolgt, ob im Alter von 4½ Jah-
ren Sprachauälligkeiten nachweisbar waren oder nicht. Bei
einer Nachuntersuchung in der fünften Klasse hatten LT mit an-
haltenden Sprachauälligkeiten die schlechtesten und Nicht-LT
die besten Sprachleistungen, während die sprachlichen Fähig-
keiten der LT mit einer Rückbildung der Sprachauälligkeiten
bis zum Alter von 4½ Jahren zwischen denen der beiden ande-
ren Gruppen verblieben [1].
Leichtere Sprachauälligkeiten sind, wie die Ergebnisse zeigen,
auch bei LBl häuger anzutreen. Ihre Sprachkompetenzen
liegen nicht selten im unteren Grenzbereich. Auch nden sich
Minderleistungen in der phonologischen Merkfähigkeit, die als
Marker für eine eingeschränkte Sprachkompetenz gelten [4].
Ähnlich elen die Ergebnisse einer anderen Längsschnittstudie
aus. LT, die auch noch im Alter von 4 Jahren Sprachauälligkei-
ten hatten, hatten mit 5 Jahren im Vergleich zu Nicht-LT signi-
kant geringere Leistungen in der phonologischen Merkfähigkeit.
Die Testergebnisse von LT mit einer Rückbildung der Sprachauf-
fälligkeiten bis zum Alter von 4 Jahren lagen zwischen den Wer-
ten dieser beiden Gruppen [17].
Obwohl in unserer Studie kein LBl eine Sprachentwicklungsstö-
rung entsprechend den Kriterien der ICD-10 [6] hatte, war jeder
dritte LBl logopädisch behandelt worden. Dies ist wohl am ehes-
ten damit zu erklären, dass LBl vorwiegend in Familien mit
einem höheren Bildungsniveau aufwachsen. Es ist anzunehmen,
dass diesen Familien die Bedeutung von Sprachkompetenz für
die schulischen und sozialen Entwicklungschancen bewusst ist
und dass schon leichtere sprachliche Schwächen oder Auällig-
keiten bei der Lautbildung mit Sorge betrachtet werden. Solche
Eltern werden sich frühzeitig und nachdrücklich um eine logo-
pädische Betreuung ihres Kindes bemühen, auch wenn keine
Sprachstörung im klinischen Sinn vorliegt.
Bislang wurde nicht untersucht, ob bei LBl die Rückbildung der
Sprachretardierung während des dritten Lebensjahres nur eine
scheinbare ist und ob in späteren Jahren erneut mit Sprachauf-
fälligkeiten zu rechnen ist [2]. Die Ergebnisse der vorliegenden
Studie scheinen zunächst die Hypothese einer „illusionary reco-
very“ zu stützen, denn im Einschulungsalter hatten 31 % der LBl
eine Sprachschwäche, deutlich mehr als in der Gruppe der N-LT.
Sprachschwächen bei LBl im Einschulungsalter sind neu aufge-
tretene Sprachauälligkeiten, denn laut Denition sind LBl Kin-
der, die im Alter von 3 Jahren weder sprachschwach noch
sprachgestört sind.
Vermutlich handelt es sich aber bei diesem scheinbaren Wieder-
auftreten von Sprachauälligkeiten in der LBl-Gruppe um ein
methodisch bedingtes Artefakt. In der vorliegenden Studie wur-
den als LBl diejenigen LT klassiziert, deren Sprachleistungen im
Alter von 3 Jahren im Sprachtestergebnis oberhalb eines Cut-
Os von − 1 SD lagen. Viele der LBl überschritten diesen Cut-O
nur geringfügig. In Anbetracht der Ungenauigkeit der Messung
von Sprachleistungen ist zu erwarten, dass Testergebnisse auch
ohne eine Veränderung der tatsächlichen Sprachfähigkeiten bei
einer Wiederholungsmessung bei einigen Kindern unter dem
Cut-O liegen. Diese Kinder werden dann trotz gleichbleibender
Sprachkompetenzen bei der Nachuntersuchung in die Gruppe
der sprachschwachen Kinder eingeordnet. Für eine solche Inter-
pretation spricht, dass keines der Kinder der LBl-Gruppe ausge-
prägte Sprachauälligkeiten im Sinne einer klinisch relevanten
Sprachstörung hatte. Die Klassikation einiger LBl bei der Wie-
derholungsmessung im Einschulungsalter als sprachschwach ist
somit aus methodischen Gründen zu erwarten und kann nicht
als Beleg für ein Wiederauftreten einer Sprachauälligkeit ange-
sehen werden. Die Aussage, dass die sprachlichen Leistungen
der LBl oenbar längerfristig im unteren Durchschnittsbereich
bzw. leicht darunter verbleiben, wird dadurch allerdings nicht
infrage gestellt.
Schlussfolgerungen
▼
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sprechen dafür, dass bei
sprachentwicklungsverzögerten Kindern ein weitgehendes Auf-
holen des Rückstands im Verlauf des dritten Lebensjahres als
eine anhaltende Verbesserung der sprachlichen Fähigkeiten zu
bewerten ist. Ein späteres Auftreten einer Sprachentwicklungs-
störung ist nicht zu befürchten. Die schnelle Kompensation der
Sprachverzögerung bei LBl ist somit keine „illusionary recovery“.
Die sprachlichen Fähigkeiten von LBl liegen allerdings oft im Be-
reich der unteren Grenze der normalen Variationsbreite und
Originalarbeit
218 Originalarbeit
Kühn P et al. Sprachentwicklungsverzögerung: Was wird aus … Klin Padiatr 2015; 227: 213–218
Schwächen in der phonologischen Merkfähigkeit sprechen für
eine verminderte Sprachkompetenz.
Für die Betreuungspraxis bedeutet dies, dass auf die sprachliche
Entwicklung von LBl während der gesamten Kindergartenzeit
genauer geachtet werden sollte. Sobald Sprachschwächen auf-
fallen, sollte eine gezielte Förderung veranlasst werden. Dazu
eignen sich direkte Ansätze, wie z. B. Sprachförderangebote im
Kindergarten, aber auch indirekte Interventionen, wie eine sys-
tematische Beratung und Anleitung der Bezugspersonen zur
Schaung eines sprachfördernden Umfelds vergleichbar dem
Heidelberger Interaktionstraining.
Stellungnahme zur Autorenschaft
▼
P. Kühn: contribution to study design, acquisition of data, analy-
sis and interpretation of data, revising the manuscript S. Sachse:
contribution to study concept and design, analysis and interpre-
tation of data, revising the manuscript W. v. Suchodoletz: contri-
bution to study concept and design, interpretation of data,
drafting or revising the manuscript.
Interessenkonikt: Die Autoren erklären hiermit, dass kein
Interessenkonikt besteht.
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