Content uploaded by Alexander König
Author content
All content in this area was uploaded by Alexander König on Apr 03, 2019
Content may be subject to copyright.
!"#$%&'(%)#*%#+,&%-"#.%)'/0#$1+2345"*'67"3#'
8%.$%#'9#.'3$*:4)$*;3%*'<%)#%#='>$#%'?%)3@&:#$*A%B
*:$559#1'9#.'%$#'C&@.4D%)'EF)'%$#%'.$1$:"&%'G%B
*;3$;3:*.$."H:$H'
>$#&%$:9#1'
Der vorliegende Text versteht sich als Plädoyer für eine digitale Geschichts-
didaktik.
Unter einem Plädoyer verstehen die Autoren eine grundsätzliche Positi-
onsbestimmung, welche unter den Vorgaben antritt, eine kursorische Zusam-
menfassung bereits vorliegender Argumente zu liefern sowie eine Ge-
schichtsdidaktik zu konturieren, die das Digitale als integralen Bestandteil der
Disziplin versteht. Dabei fassen die Autoren unter dem Digitalen:
• die informationstechnische Umwandlung analoger Informationen in ‚Bits
& Bytes‘, die derart in computergestützte Systeme und Netzwerke einge-
geben, verarbeitet und ausgegeben werden;
• ein gesellschaftlich bedeutsames Durchdringungsmedium, welches so-
wohl die Geschichtskultur als auch das Geschichtsbewusstsein penetriert,
präfiguriert und (mit-) formt;
• eine fachdidaktische Herausforderung, der noch nicht ausreichend Be-
rücksichtigung geschenkt wurde.
In ihrer Breite beschäftigt sich digitale Geschichtsdidaktik theoretisch, empi-
risch und pragmatisch mit den Auswirkungen des sich gesamtgesellschaftlich
vollziehenden und in immer kürzeren Innovationszyklen ablaufenden digita-
len Wandels auf das Historische Lernen. Als Teil der Geschichtsdidaktik
versteht sich eine digitale Geschichtsdidaktik vor allem als Querschnitts- und
Brückenschlagsdisziplin.1 Sie versucht Erkenntnisse und Überlegungen aus
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
1 Dieser Charakterzug korreliert mit der geschichtsdidaktischen Tradition der „doppel-
te[n] Verankerung in der Geschichts- und Erziehungswissenschaft“ (Rohlfes). Digitale
Geschichtsdidaktik akzentuiert und erweitert den interdisziplinären Anspruch vor dem
Hintergrund, dass sich Geschichtsbewusstsein als grundlegende Kategorie längst in
der Mutterdisziplin etabliert hat, auf das Digitale hin. Vgl. Joachim Rohlfes, Ge-
schichtsdidaktik. Geschichte, Begriff, Gegenstand, in: Michael Sauer (Red.): Ge-
schichtsunterricht heute. Grundlagen, Probleme, Möglichkeiten, Seelze-Velber 1999,
S. 18–21, hier S. 18.
Medien und historisches Lernen
2
den Bereichen des Wissens-, Informations- und Organisationsmanagements,
der Informations- und Kommunikationswissenschaften, der Medienphiloso-
phie, -didaktik und -pädagogik, der Sozial-, Kultur- und Medienwissenschaf-
ten in die Geschichtsdidaktik zu integrieren.
Dabei verweist sie inhaltlich einerseits auf die Bedeutung und die Chan-
cen der Digitalisierung für alle Prozesse der Geschichtsvermittlung und
-aneignung. Andererseits spricht sie Probleme und Risiken an, die mit dem
digitalen Wandel einhergehen und sich auch auf das „Universum des Histori-
schen“ (Gautschi) auswirken. Konstitutiv ist ihren Überlegungen, dass Medi-
en historische Erkenntnis wesentlich (mit-) formen und dieser Umstand stär-
ker als bisher im fachdidaktischen Diskurs ausgewiesen werden sollte. 2
Der vorliegende Beitrag geht davon aus, dass die Digitalisierung unsere
Welt grundlegend verändert. So muss im 21. Jahrhundert jede Beschäftigung
mit Geschichte die Bedingungen der digitalen Welt für Arbeitstechniken und
Möglichkeiten historischer Erkenntnis, im digitalen Raum gleichsam als de-
ren conditio sine qua non, immer mitdenken. Digitalität und Digitalisierung
sind bei weitem keine Randerscheinungen mehr, sondern längst integraler
Bestandteil der Geschichtswissenschaft. Im deutschsprachigen Raum kann
die Reflexion der Möglichkeiten und der Konsequenzen elektronischer Da-
tenverarbeitung für die historische Forschung3 auf eine gewisse Tradition
zurückgreifen, die sich bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts zurückver-
folgen lässt.4 Jüngste Veröffentlichungen5 und Forschungstagungen zeigen,
dass das Thema in der Fachwissenschaft an Aktualität gewinnt.6 Behandelt
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
2 Peter Haber, Zur Narrativität und Medialität von Geschichte im digitalen Zeitalter, in:
Uwe Danker/Astrid Schwabe (Hrsg.), Historisches Lernen im Internet. Geschichtsdi-
daktik und Neue Medien, Schwalbach/Ts. 2008, S. 196–204, hier S. 198.
3 Armin Heinen, Mediaspektion der Historiographie. Zur Geschichte der Geschichtswis-
senschaft aus medien- und technikgeschichtlicher Perspektive, in: zeitenblick 10
(2011), Nr. 1. Online verfügbar: <http://www.zeitenblicke.de/2011/1/Heinen>
(07.10.2011); Gabriele Lingelbach, Zusammenhänge zwischen technologischer Ent-
wicklung, Veränderungen des Arbeitsalltags von Historikern und fachlichem Wandel.
Online verfügbar: <http://www.zeitenblicke.de/2011/1/Lingelbach> (07.10.2011).
Heinen fasst die Auswirkungen in drei Linien zusammen, die er mit den Schlagworten
„Entörtlichung“, „Entschriftlichung“ und „Entlinearisierung“ beschreibt.
4 Peter Haber, Digital Past. Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter, München
2011, S. 11–23.
5 Peter Haber, Digital Past; Hiram Kümper (Hrsg.), eLearning und Mediävistik. Mittel-
alter lehren und lernen im neumedialen Zeitalter, Frankfurt a. M. u.a. 2011.
6 Auch fanden 2011 mehrere Tagungen im deutschsprachigen Raum statt, die sich dem
Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln angenommen haben. Siehe dazu: .hist
2011 – Geschichte im digitalen Wandel, <http://www2.hu-berlin.de/historisches-
forschungsnetz/tagung/> (24.09.2011); httpasts://digitalmemoryonthenet. Internationa-
Daniel Bernsen/Alexander König/Thomas Spahn
3
werden vor allem der sich verändernde Umgang mit historischen Daten und
Informationen,7 deren Recherche, Eingabe, Verarbeitung und Aufbereitung
sowie Ausgabe, Veröffentlichung und Verbreitung. 8
Insbesondere die beiden Amerikaner Dan Cohen und Roy Rosenzweig
wiesen das Digitale in Form einer „digital history“ bereits 2006 monographisch
aus.9 In den Mittelpunkt stellten sie den Weg der Aufbereitung historischer
Materialien und Erkenntnisse für das World Wide Web bis hin zur Online-
Publikation. Dabei sprachen die beiden Autoren „digitalen Medien und Netz-
werken“ sieben Chancen (Kapazität, Zugänglichkeit, Flexibilität, Diversität,
Manipulierbarkeit, Interaktivität, Hypertextualität) und fünf Gefahren (Qualität,
Dauerhaftigkeit, Lesbarkeit, Passivität und Unzugänglichkeit) zu.10
Im deutschen Sprachraum legte 2007 ein Autorenkollektiv um den Histo-
riker Wolfgang Schmale einen Band zu „internetbasierten Lehr- und Lernan-
geboten“11 vor. Die Verfasser traten an sowohl die hochschuldidaktischen als
auch die technischen Vorteile von E-Learning auszuloten.12 Ihr vorgelegter
Systematisierungsversuch des Digitalen in primäre, sekundäre und tertiäre
Lernobjekte bestimmte das Digitale über seinen „Lehr- und Lerneinsatz“, also
funktionell über die direkte oder indirekte Beziehung zu einer vom Dozenten
bzw. Lehrenden intentional gestifteten Nutzung.13 Schließlich prägte 2010
ebenfalls Wolfgang Schmale 2010 den Begriff „digitale Geschichtswissen-
''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
le Konferenz, <http://www.bpb.de/veranstaltungen/EB66Q1,0,httpasts%3Aigital
memoryonthenet.html> (24.09.2011) Speziell zum Wandel der Erinnerungskultur im
digitalen Zeitalter siehe: Erik Meyer (Hrsg.), Erinnerungskultur 2.0. Kommemorative
Kommunikation in digitalen Medien, Frankfurt a. M./New York 2009.
7 Diesem Aspekt widmeten sich bereits der Sammelband von Stuart Jenks/Stephanie
Marra (Hrsg.), Internet-Handbuch Geschichte, Köln u.a. 2001.
8 Vgl. z.B. Wolfgang Schmale (Hrsg.), Schreib-Guide Geschichte. Schritt für Schritt
wissenschaftliches Schreiben lernen. Wien u.a. 2006; Martin Gasteiner/Peter Haber
(Hrsg.), Digitale Arbeitstechniken für Geistes- und Kulturwissenschaften. Wien u.a.
2010; Michael J. Galgano/J. Chris Arndt/Raymond M. Hyser, Doing History. Re-
search and Writing in the Digtial Age, Wadsworth 2008; Mark Greengrass/Lorna
Hughes (Hrsg.), The Virtual Respresentation of the Past. Reprint, Farnham u.a. 2010.
9 Daniel J. Cohen/Roy Rosenzweig, Digital history. A Guide to Gathering, Preserving,
and Presenting the Past on the Web, Philadelphia 2006, S. 13. Online verfügbar:
<http://chnm.gmu.edu/digitalhistory/> (07.10.2011); siehe auch Wolfgang Schmale
u.a., E-Learning Geschichte, Wien u.a. 2007.
10 Cohen/Rosenzweig, Digital history, S. 3–13.
11 Wolfgang Schmale u.a.: E-Learning.
12 Vgl. Wolfgang Schmale u.a., E-Learning, S. 46–53.
13 Ebd., S. 47.
Medien und historisches Lernen
4
schaft“.14 Sie sei ein Zukunftsprojekt der Geschichtswissenschaft. Schmale
suchte einen Zugang über die phänomenologischen Beschreibung des Digita-
len. „Die Digitalisierung vergegenwärtigt“ historische Materialien und Er-
kenntnisse in unmittelbarer Form. Sie würden – nicht zuletzt durch die Um-
wandlung in Bits und Bytes und den damit einhergehenden Informationsver-
lust – ihrem ursprünglichen Kontext entrissen. Historische Quellen und Dar-
stellungen würden in der multimedialen Aufbereitung entlinearisiert und „an
einem neutralen, standardisierten, gewissermaßen globalen Ort, dem Bild-
schirm“15 „verlebendigt“16. Dadurch seien Voraussetzungen einer stark indi-
vidualisierten „Rezeptions- und Reaktionssituation“ geschaffen.17 Insgesamt
werde auf diese Weise der Prozess des historischen Erkenntnisgewinns ent-
grenzt. Die Benutzung von Bibliothek und Archiv reduziere sich zukünftig im
Wissenschaftsbetrieb auf ein Minimum.18
Als zentrale Aufgaben einer zukünftig auch kulturwissenschaftlich ausge-
richteten Geschichtswissenschaft stehen auf der Agenda:
• die Archivierbarkeit digitaler Quellen und Verfahren digitaler Quellenkri-
tik (Digitalisierung, Datenintegrität und Authentifizierung);
• die softwaregestützte Auswertung sehr großer Datenmengen (Data Dri-
ven History, Culturomics);
• das Austesten, (Er-)Lernen und Evaluieren verschiedener Spielarten ge-
meinschaftlichen wissenschaftlichen Arbeitens und ihres Nutzens (Kolla-
boratives Schreiben, Wikis, Erstellen offener Bildungsressourcen);
• die Behandlung aller digitalen Heuristik (Suchmaschinentechnik, Online-
Recherche) und ihrer Auswirkungen (Googlefication);
• die Reflexion digitaler Schreibwerkzeuge (Web 2.0-Dienste) und ver-
schiedener Darstellungsformate (Hypermedia, Visualisierung);
• verschiedene Editionstechniken, Publikations- und Lizenzierungsformen
(Open Source und Open Access);
• der Umgang mit Plagiaten und Urheberrechten, besonders auch in Lehre
und Unterricht;
• das Selbstbild des Wissenschaftlers (Scientific or Public Historian).
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
14 Wolfgang Schmale, Digitale Geschichtswissenschaft.
15 Ebd., S. 16.
16 Ebd. S. 15.
17 Ebd.
18 Heinen, Mediaspektion.
Daniel Bernsen/Alexander König/Thomas Spahn
5
In diesem knapp umrissenen Rahmen fachwissenschaftlicher Reflexion setzt
das Plädoyer an, um ein Arbeits- und Diskussionspapier zu liefern. Ein Fokus
wird in theoretischer wie in pragmatischer Absicht auf den schulischen Ge-
schichtsunterricht gelegt. Beleuchtet werden die Wechselwirkungen zwischen
Historischem Lernen und den Bedingungen der Digitalisierung, insbesondere
der Digitalität von Lernräumen bzw. „Lernwelten“.19 Dabei geht es keines-
wegs darum, einen digital turn in der Geschichtsdidaktik einzufordern oder
die Exklusivität von Lernen mit digitalen Medien zu postulieren, sondern
darum ein grundsätzliches Plädoyer für eine umfassendere Integration des
Digitalen in die Theorie und Praxis der Geschichtsdidaktik zu liefern.
Zwar gibt es Untersuchungen zu Einzelthemen wie z.B. Geschichte in
Computerspielen20 oder zum Einsatz von CD-ROMs21 sowie zahlreiche Un-
terrichtsvorschläge zur Arbeit mit dem Computer und dem Internet im Ge-
schichtsunterricht.22 Im Kern der Disziplin schlugen sich die Veränderungen,
die das Digitale mit sich gebracht hat, jedoch bisher nicht nieder. Weder in
den verschiedenen Kompetenzmodellen zum historischen Lernen (FUER
Geschichtsbewusstsein, Sauer, Gautschi, Pandel) noch in der Neuauflage des
Handbuchs „Medien im Geschichtsunterricht“23 spielen die Bedingungen der
Digitalisierung für historisches Lernen eine Rolle.
Trotz dieser ersten Ansätze das Feld von Seiten der institutionalisierten
Wissenschaft auch systematisch zu beleuchten,24 scheint aus Sicht der Auto-
ren dies bisher nicht ausreichend getan worden zu sein.
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
19 Vgl. hierzu Kai-Uwe Hugger (Hrsg.), Digitale Lernwelten. Konzepte, Beispiele und
Perspektiven, Wiesbaden 2010.
20 Angelika Schwarz (Hrsg.), „Wollten Sie auch schon immer einmal pestverseuchte
Kühe auf Ihre Gegner werfen?“. Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschich-
te im Computerspiel, Münster 2010.
21 Bettina Alavi, Wie lernen Schüler/innen mit "historischer" Selbstlernsoftware?, in:
Judith Martin/Christoph Hamann (Hrsg.), Geschichte, Friedensgeschichte, Lebensge-
schichte. [Festschrift für Peter Schulz-Hageleit], Herbolzheim 2007, S. 205–217.
22 Vadim Oswalt, Multimediale Programme im Geschichtsunterricht, Band 1, Schwal-
bach/Ts. 2002; Daniel Eisenmenger, Die Antike auf dem (Computer-) Bildschirm.
Lernende bewerten Lernsoftware und Edutainment, in: Geschichte lernen (2011), H.
140, S. 54–56.
23 2011: Zu Computer und Internet existiert nur ein Artikel „Computereinsatz“ von Josef
Rave, der unverändert abgedruckt ist und den Stand Ende der 1990er Jahre wiedergibt.
24 Jan Hodel, Historische Online-Kompetenz. Informations- und Kommunikationstech-
nologie in den Geschichtswissenschaften, in: Rainer Pöppinghege (Hrsg.), Geschichte
lehren an der Hochschule. Bestandesaufnahme, methodische Ansätze, Perspektiven.
Schwalbach/Ts. .2007, S. 194–210. Online verfügbar: <http://histnet.ch/hodel/person/
docs/JanHodel_HOK2006_PrePrint.pdf> (16.10.2009); Jan Hodel, Digital lesen, digi-
tal schreiben, digital denken? Über den kompetenten Umgang mit Geschichte im Zeit-
Medien und historisches Lernen
6
Die digitalen Medien können und sollen dabei nicht isoliert betrachtet,
sondern eingebettet werden in Überlegungen zur Funktion von Medien im
Prozess des historischen Denkens und Lernens. In der in diesem Artikel vor-
getragenen Reflexion liegt der „Auseinandersetzung mit Technik [...] keines-
wegs eine naive Technikeuphorie zugrunde, sondern das Bemühen, die Opti-
onen von Technik auszuloten und bewerten zu können; letztlich um Lernen
und Entwicklung von Menschen, Organisationen und Gesellschaft zu ermög-
lichen.“25 Den Autoren ist bewusst, dass angesichts des beschleunigten Medi-
enwandels die Darstellung immer nur Momentaufnahme sein kann. Deshalb
geht es auch nicht um einzelne Programme, Applikationen oder Endgeräte,
denn hier gibt es permanent Neuerungen. In der technischen Entwicklung
zeichnen sich aber grundlegende Tendenzen ab, die neue Möglichkeiten des
Lernens und damit auch der Geschichtsvermittlung und -aneignung in sich
bergen.
I%)"9*E4).%)9#1%#'EF)'.%#'G%*;3$;3:*9#:%))$;3:'
Heuristik und historische Methode
Die angedeuteten Veränderungen des digitalen Zeitalters für die Geschichts-
wissenschaft verlangen neue Arbeitstechniken.26 In Bezug auf schulischen
Geschichtsunterricht sind diese über die Schulstufen hinweg insbesondere
aber für einen wissenschaftspropädeutischen Unterricht der Oberstufe rele-
vant. Die aktuelle fachdidaktische Diskussion über den schulischen Ge-
''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
alter des digitalen Medienwandels, in: Marco Jorio/Cindy Eggs (Hrsg.), Am Anfang
ist das Wort. Lexika in der Schweiz, Baden 2008, S. 113–125; Michele Barricelli/Julia
Honig (Hrsg.), Aufklärung, Bildung, „Histotainment“? Zeitgeschichte in Unterricht
und Gesellschaft heute, Frankfurt am Main u.a. 2008; Uwe Danker/Astrid Schwabe
(Hrsg.), Historisches Lernen im Internet. Geschichtsdidaktik und Neue Medien,
Schwalbach/Ts 2008; Bettina Alavi (Hrsg.), Historisches Lernen im virtuellen Medi-
um, Heidelberg 2010.
25 Vorabdruck von: Michael Kerres/Claudia de Witt, Zur (Neu-) Positionierung der
Mediendidaktik: Handlungs- und Gestaltungsorientierung in der Medienpädagogik, in:
Renate Schulz-Zander u.a. (Hrsg.), Jahrbuch Medienpädagogik 9, Wiesbaden 2011,
hier S. 7. Online verfügbar: <http://mediendidaktik.uni-duisburg-
essen.de/system/files/kerres-dewitt-v1.pdf> (07.10.2011).
26 Siehe u.a. Martin Gasteiner/Peter Haber, Arbeitstechniken; Daniel Burckhardt/Marcel
Müllerburg, SPPedia: Transdisziplinäre Mediävistik im Wiki-gestützten Schreibpro-
gramm, in: Kümper (Hrsg.), eLearning, S. 177–194; Tillmann Lohse/Caroline von
Buchholz, Kollaboratives Schreiben an wissenschaflichen Texten. „Neue Medien“ und
„neue Lehre“ im Fach Geschichte, in: Marianne Merkt u.a. (Hrsg.), Studieren neu er-
finden – Hochschule neu denken, Münster u.a. 2007, S. 76–84.
Daniel Bernsen/Alexander König/Thomas Spahn
7
schichtsunterricht ist jedoch geprägt durch die nach PISA dominant geworde-
nen Diskurs um Bildungsstandards und Kompetenzen. Der digitale Wandel
spielt dabei explizit bislang eher eine untergeordnete Rolle. Eine Verbindung
von beiden ist bislang trotz offenkundiger Schnittmengen nicht systematisch
unternommen worden.27
Zu den Herausforderungen28 gehört – ein Endgerät vorausgesetzt – die
prinzipielle Verfügbarkeit von hinsichtlich ihrer fachwissenschaftlichen Güte
durchaus unterschiedlicher historischer Sachinformationen in digitaler Form
zu jeder Zeit an jedem Ort. Das Suchen von einfachen Informationen stellt
heute kein Problem mehr dar – früher war dies schwieriger und bedurfte der
Anleitung, z.B. für die richtige Nutzung einer Bibliothek. Im digitalen Zeital-
ter muss die Informationsrecherche weiterhin gelernt werden. Die Schwierig-
keit besteht im richtigen Umgang mit der Menge an möglichen Informatio-
nen. Dazu gehören auch deren Organisation und Bewertung sowie damit
verbunden auch das gesellschaftlich breit diskutierte Phänomen des ‚Copy &
Paste‘ und des Plagiarismus.29
Nicht nur auf Sachinformationen, sondern auch auf digitale Produkte der
Geschichtskultur trifft diese orts- und zeitunabhängige Verfügbarkeit zu. Zu
nennen sind hier ebenso digitale Samplings und Mashups30 mit historischen
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
27 Versuche einer Integration vorliegender Konzepte bei Alexander König, „Abenteuer
Bildungsstandards“: WebQuests und Geschichtsunterricht, in: Computer + Unterricht
(2007), H. 67, S. 16–17; ders., Geschichte re- und dekonstruieren. Kompetenzorien-
tiertes historisches Lernen im webgestützten Geschichtsunterricht, in: Computer + Un-
terricht (2010), H. 77, S. 26–32; Thomas Spahn, Historische Kompetenzen und das In-
ternet, in: Carsten Albers/Johannes Magenheim/Dorothee M. Meister (Hrsg.): Schule
in der digitalen Welt. Medienpädagogische Ansätze und Schulforschungsperspektiven,
Wiesbaden 2011, S. 163–188.
28 Pandel machte bereits im Handbuch der Geschichtsdidaktik auf den Einfluss der
Elektronik aufmerksam. Er verwies auf vier Tendenzen: die Wiederkehr der Stimme,
die Sprengung des traditionellen Bildungskanons, die Entwicklung eines sprachfreien,
visuellen Lernens sowie die Globalisierung von Kommunikation und Erinnerung, die
sich in den formulierten Herausforderungen wiederfinden. Hans-Jürgen Pandel, Medi-
en historischen Lernens, in: Klaus Bergmann u.a. (Hrsg.), Handbuch der Geschichts-
didaktik, 5. Aufl. Seelze-Velber 1997, S. 416–421, hier S. 417.
29 Jan Hodel, Geschichtslernen mit Copy and Share, in: Alavi (Hrsg.), Historisches
Lernen, S. 111–130; Debora Weber-Wulff, Copy + Paste = Plagiat?, in: Gastei-
ner/Haber (Hrsg.), Arbeitstechniken, S. 127–138.
30 „Mashup (von englisch to mash für vermischen) bezeichnet die Erstellung neuer
Medieninhalte durch die nahtlose (Re-)Kombination bereits bestehender Inhalte. Der
Begriff stammt aus der Welt der Musik und bedeutet dort im Englischen so viel wie
Remix.“ <http://de.wikipedia.org/wiki/Mashup_%28Internet%29> (26.09.2011).
Medien und historisches Lernen
8
Inhalten oder auch nur Bezügen31 wie links- und rechtsextreme Internetseiten
mit entsprechenden Geschichtsdeutungen. Neben der leichten Zugänglichkeit,
gerade auch revisionistischer, rassistischer oder antidemokratischer Positio-
nen, die sich auch in Kommentaren zu Videos, Blog- und Online-
Zeitungsartikeln finden und nicht immer als solche schon durch die äußere
Form zu erkennen sind, ist es die scheinbare Gleichrangigkeit unterschied-
lichster Deutungen und Wertungen im Internet, die Publikation bewusst ver-
fälschender Geschichtserzählungen sowie die ebenso leichte und bewusste
Manipulation digital vorliegender Quellen (besonders Fotos und Filme), die
im Kern eine Provokation für die Geschichtsdidaktik darstellen.
Allgemeine Rezepte greifen hier nicht. Vielmehr benötigen die Nutzer
vergleichsweise komplexe Kompetenzen in der De-Konstruktion von digital
vorliegenden Quellen und Geschichtsdarstellungen, die es historisch zu kon-
textualisieren, ideologie- und medienkritisch zu untersuchen gilt.
Vergegenwärtigung von Geschichte in neuen Formen historischer Narra-
tionen
Wie auch der Film bieten digitale Medien im Gegensatz zum Buch die Mög-
lichkeit zum Durchbrechen linearer Darstellungen, zur Visualisierung32 und
der Einbindung multimedialer Elemente. Diese können einerseits helfen,
nicht-lineare Vorstellungen von Geschichte zu veranschaulichen und damit
ihr Verständnis zu vereinfachen. Andererseits benötigt es zur Erstellung digi-
tal basierter Narrationen wie zu deren De-Konstruktion eigener Kompeten-
zen, die nicht alle an der Arbeit im linearen, gedruckten Medium erworben
werden können.
Oft werden die Formen der „Auseinandersetzung“, der Beurteilung und
Bewertung von historischen Inhalten im Internet verkürzt auf Klicken eines
„Gefällt mir“-Buttons z.B. bei Facebook oder der Weiterleitung, des soge-
nannten Retweeten, einer Nachricht auf Twitter.
So präsentiert sich z.B. Yad Vashem auf Facebook mit einer eigenen Sei-
te.33 Im September 2011 bewerteten über 34.000 Personen mit einem entspre-
chenden Klick auf den „Like it- Button“. Die dort eingestellten Nachrichten
enthalten Informationen, umfassen Hinweise auf Ausstellungen, Veranstal-
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
31 Vgl. z.B. das Projekt I Will Survive – Dancing Auschwitz: <http://www.metacafe.com/
watch/4920743/i_will_survive_dancing_auschwitz_full_version/> (05.10.2011).
32 Im Sammelband Saskia Handro/Bernd Schönemann (Hrsg.), Visualität und Geschich-
te, Berlin 2011, findet sich kein Beitrag, der sich explizit mit digitalen Formen von Vi-
sualisierung auseinandersetzt.
33 <http://www.facebook.com/yadvashem> (26.09.2011).
Daniel Bernsen/Alexander König/Thomas Spahn
9
tungen u.ä. Zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz
hatte Yad Vashem dort als „virtual event“ eine virtuelle Gedenkmauer einge-
richtet, in der Facebooknutzer vom 19.–30. Januar 2011 mit einem Klick auf
den Namen eines Holocaust-Opfers mitteilen konnten, dass sie sich erinnern
(„I remember“). Anschließend erschien ihr Facebook-Profilbild und ihr Na-
men zusammen mit dem des Opfers als ein virtueller „Stein“ in der Gedenk-
mauer.34
Personalisierung und Identifikation als geschichtskulturelle Aneignungs-
muster?
Das Museum und die Gedenkstätte Auschwitz veröffentlichen auf ihrer Face-
bookseite, die fast 60.000 Menschen „gefällt“, nicht nur Hinweise auf Veran-
staltungen und Veröffentlichungen, sondern auch Nachrichten wie diese vom
5. September 2011:
„On 5 September 1942 a transport of about 714 Jewish men, women and children arrived
from the Netherlands. After the selection 53 women were registered in the camp. The
remaining 661 people were killed in the gas chambers. Dr. Paul Kremer wrote in his diary:
"In the evening towards 8:00 attended another special action from Holland. Because of the
special rations they get a fifth of a liter of schnapps, 5 cigarettes, 100 g salami and bread,
the men all clamor to take part in such actions".35
Über hundert Facebooknutzer haben zu diesem Beitrag ebenso wie zu
hunderten ähnlichen auf den Button „Gefällt mir“ geklickt: Aber was heißt
das? Es wäre wohl verkehrt zu unterstellen, dass es sich hierbei um aus-
schließlich um Menschen mit einer antisemitischen Orientierung handelt. Die
47 überwiegend kurzen und zum Teil ungelenken Kommentare geben eine
erste Orientierung, dass die Nutzer hier tatsächlich eine Art „Gedenken“ aus-
drücken wollen. So schreibt eine Nutzerin in ihrem Kommentar: „What price
a human life? May the victims find peace. Never forget.“, andere fomulieren
kürzer: „never forget“, „:( heartbreaking“ oder „never again“.
Auf Facebook und auf Twitter, um nur zwei aktuelle Angebote mit hohen
Nutzerzahlen zu nennen, sind Projekte zu finden, die unter dem Topos „vir-
tuelles Reenactment“36 firmieren. Historische Personen erhalten ein virtuelles
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
34 Die „Steine“ der Gedenkmauer sind auf den Internetseiten von Yad Vashem noch zu sehen:
<http://www1.yadvashem.org/yv/en/remembrance/international/facebook/index.asp>
(26.09.2011).
35 <http://www.facebook.com/auschwitzmemorial> vom 5. September 2011 (05.10.2011).
36 Vgl. Daniel Eisenmenger, Virtuelles Reenactment mit Twitter im Geschichtsunter-
richt, in: Computer + Unterricht (2010), H. 79, S. 58–59. Zum Begriff des Reenact-
Medien und historisches Lernen
10
Profil und senden Nachrichten. Auf Facebook kann man mit diesen Figuren
„befreundet“ sein, auf Twitter „folgt“ man ihnen. Die Projekte virtueller
Reenactments erfolgen aus sehr unterschiedlichen Intentionen: vom histori-
schen Lernen im Geschichtsunterricht, über Freizeitaktivitäten Geschichtsin-
teressierter bis hin zu neuen Formen der Erinnerungskultur.
So berichteten es z.B. 2009 in Polen zur Erinnerung an den Warschauer
Aufstand 1944 unter dem Titel „Kumpel z powstania„ (Ein Freund aus dem
Aufstand) berichteten Sosna und Kostek Dwadziesciatrzy 63 Tage lang vom
Beginn bis zum Ende des Aufstands auf ihren Facebookseiten.37 Ein ähnli-
ches Projekt war die (nicht mehr aufrufbare) Facebookseite für den 1933 im
polnischen Lublin geborenen und 1942 in Madjanek ermordeten Henio Zy-
tomirski.38
Das virtuelle Reenactment von historischen Ereignissen mit Kurznach-
richten von maximal 140 Zeichen, sogenannten Tweets, auf Twitter ist eine
andere, gleichfalls neue Form von Geschichtsrepräsentation im Internet. Im
englisch- und deutschsprachigen Raum hat es bisher mehrerer solcher
„Twhistory“39-Projekte geben.40
Handelt es sich bei den vorgestellten Erscheinungen schon um Formen
der historischen „Auseinandersetzung“?41 Was bewegt Nutzer gewisse histo-
rische Informationen zu mögen, andere weiterzuleiten, wieder andere zu
''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
ment siehe: Berit Pleitner, Erlebnis- und erfahrungsorientierte Zugänge zur Geschich-
te. Living history und Reenactment, in: Sabine Horn/Michael Sauer (Hrsg.), Geschich-
te und Öffentlichkeit: Orte – Medien – Institutionen, Göttingen 2009, S. 40–48; Eva
Ulrike Pirker u.a. (Hrsg.), Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen,
Bielefeld 2010. Beide allerdings ohne Bezug zu digitalen Formen.
37 Eine kurze Zusammenfassung des Projekts findet sich hier: <http://www.scholar-
online.eu/viewpage.php?page_id=90> (26.09.2011).
38 Siehe dazu z.B. den Artikel in der Süddeutschen Zeitung, 12.03.2010: J.A. Heyer,
Holocaust-Opfer bei Facebook. Das Blog der Anne Frank, <http://www.
sueddeutsche.de/kultur/holocaust-opfer-bei-facebook-das-blog-der-anne-frank-1.23379>
(26.09.2011)
39 Ein Syntheton aus den englischen Begriffen „Twitter“ und „history“. Zur Projektidee
und deren Potential für den Geschichtsunterricht siehe: Daniel Eisenmenger, Virtuelles
Reenactment.
40 Für eine Übersicht der Twhistory-Projekte aus dem englischsprachigen Raum siehe:
<http://www.twhistory.org/projects> (26.09.2011). Für Deutschland siehe: <http://
geschichtsunterricht.wordpress.com//?s=Twhistory&x=0&y=0> (26.09.2011).
41 Vgl. auch die Ausführungen von Krameritsch zum „situativen(-digitalen) Erzählen“.
Siehe: Jakob Krameritsch, Die fünf Typen des historischen Erzählens – im Zeitalter
der digitalen Medien, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary Histo-
ry, Online-Ausgabe, 6 (2009), H. 3. Online verfügbar: <http://www.zeithistorische-
forschungen.de/16126041-Krameritsch-3-2009> (05.10.2011).
Daniel Bernsen/Alexander König/Thomas Spahn
11
kommentieren? Es geht in diesem Kontext weniger um Fragen der personalen
Echtheit, wohl aber der Authentizität und Triftigkeit der vermittelten histori-
schen Inhalte sowie der gesamten Form der historischen Repräsentation. Die
Verfügbarkeit und teilweise Interaktivität von Repräsentationen von Ge-
schichte im Internet führt zu einer parallel und nur scheinbar42 gegensätzlich
verlaufenden Entwicklung: Einerseits einer Individualisierung43 der Nutzung
von Geschichtsangeboten und zugleich einer Verstärkung der Globalisierung
der Erinnerungskultur, gewisser historischer Themen und deren Rezeption. In
oben aufgeführten Beispielen geht es nicht um Technik oder Medien, sondern
um Fragen von Geschichtsbewusstsein und Geschichts- und Erinnerungskul-
tur. Dies sind Zentralbegriffe der Geschichtsdidaktik, die sich als „Wissen-
schaft vom historischen Lernen“ mit diesen digitalen Phänomenen auseinan-
dersetzen muss.44
Der skizzenhafte Überblick zeigt, in welchem Maße hier keine allgemein
mediendidaktischen, sondern fachliche und fachdidaktische Antworten gefor-
dert sind. Hinter all den Punkten stehen Fragen nach Auswirkungen auf histo-
risches Denken und Lernen. Es schließen sich eine Vielzahl didaktisch-
methodischer Fragen an, u.a.:
• Wie kann der adäquate Umgang mit digital vorliegenden, heterogenen
Informationen und Repräsentationen von Geschichte gelernt und eingeübt
werden?
• Wie müssten Aufgaben für historisches Lernen konzipiert werden, die
diesen Bedingungen jenseits bewahrpädagogischer Verbotsappelle und
Stigmatisierungsversuche45 Rechnung tragen?
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
42 Zu dem Zusammenhang siehe bereits Ulrich Beck, Eigenes Leben: Ausflüge in die
Welt, in der wir leben, München 1995, S. 12f.
43 Vgl. Jakob Krameritsch, Die fünf Typen des historischen Erzählens; siehe auch Erik
Meyer, Erinnerungskultur 2.0? Zur Transformation kommemorativer Kommunikation
in digitalen, interaktiven Medien, in: ders. (Hrsg.), Erinnerungskultur 2.0, S. 175–206.
44 Jörn Rüsen, Historisches Lernen – Grundriß einer Theorie, in: Ders., Historisches
Lernen. Grundlagen und Paradigmen, 2. überarb. Aufl., Schwalbach/Ts. 2008, S. 70–
114, hier S. 73.
45 Wie wenig bisher Fragen der Informationskompetenz in der Fachdidaktik reflektiert
wurden, zeigt ein Verweis auf Michael Sauer. Er sieht die Nachteile des Internets in
seiner „anarchischen Struktur“ begründet. Es fehle an Kontrollinstanzen, welche die
„Qualität von Adressen und Informationen“ verbürgen würden. Die Eingabe eines ein-
zelnen Begriffs „Nationalsozialismus“ in eine Suchmaschine ergebe „viele tausend
Nachweise“. Michael Sauer, Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik
und Methodik, 7. akt. u. erw. Aufl., Seelze-Velber 2008, S. 274.
Medien und historisches Lernen
12
• Wie können bereits vorliegende fachdidaktische Kategorien und Modelle
integriert werden?
Antworten können die Autoren an dieser Stelle nicht liefern. Hier liegt viel-
mehr ein breites, bisher wenig beachtetes Feld für Empirie, Theorie und
Pragmatik der Geschichtsdidaktik. Neben die Frage nach fachdidaktischen
Modellen tritt die notwendige Entwicklung neuer Aufgabenformate, die aus
der Analyse vorhandener Aufgabentypen, dem Ausprobieren und der Evalua-
tion alternativer Aufgaben resultieren. Darüber hinaus muss eine solche neue
Aufgabenkultur auch die Potentiale und Mehrwerte digitaler Medien nutzen.
J3"#;%#'.$1$:"&%)'8%.$%#'EF)'3$*:4)$*;3%*'<%)#%#='K#3"&:%'*:"::'
2%;3#$H'
Die Einbindung digitaler Medien in den Unterricht bedeutet zunächst die
Einbindung der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Geschichte begeg-
net ihnen im Alltag nicht mehr nur in Form von alten Gebäuden, Denkmälern
oder Filmen, sondern auf dem PC und im Netz: auf Youtube oder in Compu-
terspielen. Historisches Lernen in der Schule muss kompetent machen für die
Auseinandersetzung mit Geschichte auch außerhalb des Unterrichts und nach
der Schulzeit. Ein Plädoyer für die Einbindung der digitalen Welt in die Ge-
schichtsdidaktik und den Geschichtsunterricht ist also zugleich ein weiteres
Argument für den Weg zur Kompetenzorientierung.
Digitale Medien liefern aber nicht nur „fertige Geschichte(n)“46, sondern
auch neue Formen, eigene Narrationen als Re-Konstruktionen von Vergan-
genheit zu erstellen. Verschiedene Applikationen können flexibel zur Gestal-
tung eigener digitaler Geschichtserzählungen zum Beispiel in Form von Au-
diobeiträgen oder Videobeiträgen (Podcasting) genutzt werden. Durch das
kreative ‚Sampling‘ von Text, Ton und Bildmaterialien entstehen im Digita-
len neue Formen historischer Narrationen, die auch als ‚Digital Storytelling‘
bezeichnet werden.47
Digitale Medien ermöglichen auch eine Ausweitung der Kommunikation
über und der Auseinandersetzung mit Geschichte. Zu denken ist an Austausch
von Wissenschaftlern, Lehrkräften und Referendaren z.B. über Blogs oder
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
46 Vgl. Waltraud Schreiber, Leitfaden und Bausteine zur De-Konstruktion „fertiger
Geschichten“ im Geschichtsunterricht, in: Sächsische Akademie für Lehrerfortbildung
Meißen (Hrsg.), Geschichte denken statt pauken, Meißen 2005, S. 217–225.
47 Vgl. Alexander König, Digital Storytelling im Geschichtsunterricht. Aktive Medienar-
beit mit Windows Movie Maker, in: Computer + Unterricht (2010), H. 79, S. 33–35.
Daniel Bernsen/Alexander König/Thomas Spahn
13
Twitter.48 Hier etablieren sich neue Formen lebenslangen, informellen Ler-
nens, die ortsunabhängige und grenzüberschreitende Partizipation an fachli-
chen und fachdidaktischen Diskussionen ermöglichen.49 An diese neuen und
offenen Formen wissenschaftlicher Diskursorganisation können und sollten
auch Schülerinnen und Schüler im Sinne eines wissenschaftspropädeutischen
Unterrichts herangeführt werden, indem die Nutzung dieser Medien und
Kommunikationsformen im Unterricht erprobt und eingeübt werden. Zudem
ermöglichen sie auch, Produkte des Geschichtsunterrichts öffentlich zu prä-
sentieren, zur Diskussion und anderen zur Verfügung zu stellen.50
Darüber hinaus bieten digitale Medien Möglichkeiten der Kollaboration
und des Austauschs über den eigenen Klassenraum hinaus auch in regions-
übergreifenden oder internationalen Projekten. Die fachdidaktischen Prinzi-
pien von Kontroversität und Multiperspektivität stehen dabei im Vorder-
grund. Durch den direkten Austausch über Geschichte mit Gleichaltrigen, die
Kommunikations-, Veröffentlichungs- und Verbreitungsmöglichkeiten kön-
nen sich die Motivation erhöhen und die genannten fachdidaktischen Prinzi-
pien erlebt werden, statt sie nur indirekt anhand von in Schulgeschichtsbü-
chern abgedruckten Darstellungsschnipseln nachzuvollziehen.51
Alle genannten Punkte unterstützen eine Öffnung des Klassenraums, die
ein Merkmal des Einsatzes digitaler Medien im Unterricht ist. Noch 2003
konnte Hilke Günter-Arndt zu Recht schreiben: „Solange ein erheblicher Teil
der kognitiven Kapazität durch die Bedienung der Programme absorbiert
wird, bleibt der didaktische Nutzen der Computer ambivalent: Zwar wird das
Lernziel ‚Mit den neuen Medien umgehen‘ erreicht, aber bei den Fachzielen
müssen teilweise noch Abstriche hingenommen werden. Erst wenn sich die
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
48 Auf Twitter, z.B. die Diskussionsrunden anglophoner Geschichtslehrkäfte unter dem
Hashtag #historychat: <http://bit.ly/n3k7EX> (06.10.2011). Einen Überblick zur Ge-
schichtsblogosphäre bieten Jan Hodel und Peter Haber auf hist.net mit einer in unre-
gelmäßigen Abständen aktualisierten Liste der „Geschichtsblogs des Monats“
<http://www.hist.net/forschung-praxis/geschichtsblogs/> (06.10.2011).
49 Zur Bedeutung von Blogs und Twitter für die Wissenschaftskommunikation siehe
auch die Interviews auf dem L.I.S.A.-Portal der Gerda-Henkel-Stiftung
<http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/> (05.10.2011).
50 Dabei ist ein entsprechend sensibler und rechtlich korrekter Umgang mit Schülerdaten
und -produkten zu beachten. Nicht jedes Ergebnis eines Unterrichtsversuchs gehört
veröffentlicht. Als problematisches Beispiel sei hier auf die Diskussion um die Veröf-
fentlichung studentischer Blog-„Rezensionen“ hingewiesen: <http://www.
scienceblogs.de/zeittaucher/2010/11/reaktionen-auf-rezensionen.php> (05.10.2011).
51 Daniel Eisenmenger, eTwinning – eine Chance für den Geschichtsunterricht? Eine
Stärkung der europäische(n) Perspektiven durch den Einsatz von webbasierten Kom-
munikationswerkzeugen“, in: geschichte für heute, 3 (2010), H. 2 S. 72–78.
Medien und historisches Lernen
14
Alternative ‚Bedienkompetenz‘ versus ‚historische Kompetenz‘ nicht mehr
stellt, wird der Computer ein selbstverständlicher Bestandteil für guten Ge-
schichtsunterricht werden.“52 Genau an diesem Punkt ist die (mediale und
technische) Entwicklung, die hier knapp mit den Stichworten Web 2.0, Tab-
lets, Smartphones und interaktiven Whiteboards umrissen werden kann, seit
einiger Zeit angekommen. Es gilt nun den Einsatz von Computern und Inter-
net systematisch für das Fach in didaktischer und methodischer Hinsicht zu
erschließen. Dazu gilt es den Medienbegriff der Geschichtsdidaktik näher zu
betrachten.
?%)3@&:#$*A%*:$559#1'L4#'8%.$%#'9#.'3$*:4)$*;3%5'<%)#%#'
In der täglichen Unterrichtspraxis zeigt sich, dass ein vielfältiger Einsatz
unterschiedlicher Medien historischer Erkenntnis und Erkenntnisprozesse im
Geschichtsunterricht, diesen „potentiell interessanter, motivierender und
damit am Ende erfolgreicher“53 machen kann. Dass in der Geschichtsdidaktik
Nachholbedarf nicht nur bezüglich digitaler Medien, sondern auch hinsicht-
lich der Entwicklung eines fachspezifischen Medienbegriffs besteht, der die
wesentlich aus dem 19. Jahrhundert stammenden Einteilungen in „Quellen“,
„Denkmälern“ und „Überresten“ (Droysen) oder „Überresten“ und „Traditio-
nen“ (Bernheim) ergänzt, ist evident. Dies belegt ein Blick in das das „Wör-
terbuch Geschichtsdidaktik“: Noch in der Ausgabe von 2006 referenzierte das
Büchlein keine einschlägigen Begriffe wie „Medium“ oder „Medien“.54 Erst
in der überarbeiteten und erweiterten Auflage von 2009 lässt sich der Begriff
„Medien“ in einem Beitrag von Hans-Jürgen Pandel nachweisen, der in Be-
ziehung zur Gattungskompetenz gesetzt wird. Sobald Schülerinnen und Schü-
ler Kenntnisse im Umgang mit „ca. 20 verschiedenen schriftlichen, bildlichen
und gegenständlichen (Medien-)Gattungen, in denen Historisches dargestellt
wird“ haben und in der Lage sind diese ‚adäquat‘ einzuschätzen sowie mit
den verschiedenen Gattungserwartungen umzugehen, seien sie als kompetent
zu bezeichnen.55
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
52 Hilke Günther-Arndt, Computer und Geschichtsunterricht, in: dies. (Hrsg.): Ge-
schichts-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 2003, S.
219–232, hier S. 219.
53 Anja Besand/Wolfgang Sander, Zur Einführung, in: dies. (Hrsg.), Handbuch Medien
in der politischen Bildung, Bonn 2010, S. 9–12, hier S. 11.
54 Ulrich Mayer u.a. (Hrsg.), Wörterbuch Geschichtsdidaktik, Schwalbach/Ts. 2006.
55 Ulrich Mayer u. a. (Hrsg ), Wörterbuch Geschichtsdidaktik, 2. überarb. u. erw. Aufl.,
Schwalbach/Ts. 2009, S. 135–136.
Daniel Bernsen/Alexander König/Thomas Spahn
15
Bereits in der Einführung des Handbuchs Medien im Geschichtsunter-
richt war versucht worden, einen fachdidaktischen Medienbegriff zu definie-
ren sowie das Verhältnis von Medien und Quellen zu bestimmen: „Medium
und Quelle sind in der Didaktik der Geschichte Begriffe von koexistensiver
Bedeutung. Oft werden sie – fälschlicherweise – synonym verwendet. Medi-
um ist der breitere Begriff, der alles enthält, was primäre und sekundäre Aus-
sagen über Geschichte beinhaltet. [...] Quellen sind dagegen solche Medien,
die in der Vergangenheit entstanden sind und uns heute vorliegen. Ihr Kenn-
zeichen ist eine signifikante zeitliche Differenz zwischen ihrer Entstehungs-
zeit und der gegenwärtigen Nutzung. Jede Quelle ist ein Medium historischen
Lernens, aber nicht jedes Medium ist darum schon eine Quelle. [...] Wir kön-
nen deshalb zwischen Medien historischen Lernens und Medien historischen
Erinnerns unterscheiden.“56
Im Bemühen einen fachdidaktischen Medienbegriff zu entwickeln, teilt
Pandel Medien in vier Gruppen ein: Quellen als (1) Dokumente/Überreste
und (2) Monumente/Traditionen und (3) Darstellungen/Historiographie als
„Medien historischen Erinnerns“ sowie (4) historische Fiktionen.57 Ihm zu-
folge sind der „Quellencharakter und der Quellenbezug von Medien [...] eine
unaufgebbare Forderung der Geschichtsdidaktik. Aufgrund des Unterschieds,
der zwischen Dokumenten, Monumenten und der Geschichtsschreibung
besteht, können nicht alle Texte, Bilder etc., die etwas über Vergangenheit
aussagen, einebnend in den Begriff Medien zusammengefaßt werden.“58 Dies
ist grundlegend richtig, stellt aber einen verkürzten Medienbegriff dar, der für
die Beschreibung medialen Handelns beim historischen Lernen nicht aus-
reicht. Medien wird zwar eine zentrale Rolle für das historische Lernen zu-
gewiesen, aber zu reinen Untersuchungsgegenständen reduziert. Dass Medien
als Werkzeuge und Denkräume auch eine konstitutive Rolle für den Prozess
der historischen Konstruktion spielen, gerät kaum in den Blick.59
Pandels Versuch „Medien historischen Lernens“ zu bestimmen, setzt
Medien zu historischem Lernen in ein falsches Verhältnis – wenn man davon
ausgeht, dass Vergangenheit immer nur medial vermittelt zugänglich ist und
daher historisches Lernen nur medial erfolgen kann. An allen Medien, die
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
56 Hans-Jürgen Pandel/Gerhard Schneider, Einführung, in: dies. (Hrsg.), Handbuch
Medien, S. 7f.
57 Pandel, Medien.
58 Ebd., S. 416f.
59 Ebd. S. 136: Pandel schlägt vor den Begriff Medien durch den Terminus „Präsentati-
onsformen (von Geschichte)“ zu ersetzen. Damit deutet er bereits die Begrenzung sei-
nes medientheoretischen Ansatzes an.
Medien und historisches Lernen
16
selbst aus der Vergangenheit stammen oder sich auf Vergangenes60 beziehen,
kann historisch gelernt werden. Deshalb kann es nicht um die Bestimmung
von „Untersuchungsobjekten“ als besonderen Medien historischen Lernens
gehen, sondern um die Frage in welchem Verhältnis der historisch Lernende
zum jeweiligen Medium steht bzw. in welcher Art und Weise das Medium
historisches Lernen ermöglicht.
Die Autoren plädieren deshalb für ein verändertes Medienverständnis in
der Geschichtsdidaktik, das von einem weiten Medienbegriff ausgeht und die
verschiedenen Medienarten in Bezug auf historisches Lernen jeweils auf ihre
mediale und geschichtswissenschaftliche Bedeutung hin untersucht, um so im
Sinne einer Integrationswissenschaft zu einem geschichtsdidaktischen Medi-
enbegriff zu gelangen.
M"*'5%$#:'N.$1$:"&%'G%*;3$;3:*.$."H:$H‘O'>$#'!%E$#$:$4#*L%)*9;3'
9#.'%$#'84.%&&'3$*:4)$*;3%#'<%)#%#*'"9*'<%)#%)7%)*7%H:$L%'
Die Autoren schlagen als Arbeitsdefinition eine integrative Begriffsbestim-
mung vor:
Digitale Geschichtsdidaktik ist ein integraler Bestandteil der Geschichtsdidaktik und be-
schäftigt sich mit den Bedingungen und Auswirkungen des digitalen Wandels auf das
Geschichtsbewusstsein, historisches Lernen, Geschichts- und Erinnerungskultur.
Sie geht davon aus, dass digitale Medien zugleich Träger und Mittler von
bedeutsamen Inhalten sind. Mediale Form und medialer Inhalt werden als
zwei unterschiedliche und analytisch zu trennende Entitäten aufgefasst,61
wobei das verwendete Medium vorstrukturiert.
Historisches Lernen und historische Erkenntnis sind – wie bereits Pandel
ausdrücklich betont – immer medial vermittelt, da Geschichte als vergegen-
wärtigte und immer (re-)konstruierte Auswahl von Vergangenem keinen
direkten Zugang ermöglicht. Die vier im Folgenden beschriebenen Modi sind
also als die Grundformen historischen Lernens zu verstehen. Historisches
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
60 Rein Fiktionales wird damit ausgeschlossen.
61 Schreiber verweist darauf, dass das „‚Wie‘ der Darstellung nur idealtypisch vom
‚Was‘ getrennt werden kann“ und auf eine „Kompetenz zur Beachtung medienspezifi-
scher Vorgaben“. Waltraud Schreiber, Kompetenzbereich historische Methodenkom-
petenz, in: Andreas Körber/dies./Alexander Schöner (Hrsg.), Kompetenzen histori-
schen Denkens, Neuried 2007, S. 194–235, hier S. 212. Medienkompetenz verortet sie
auf einer überfachlichen Ebene, die nur durch die Auswahl „der für das Medium ge-
eigneten Manifestationen des Historischen“ fachlich gewendet werden kann. Ebd., S.
222.
Daniel Bernsen/Alexander König/Thomas Spahn
17
Lernen vollzieht sich immer in mindestens einem dieser Modi. Wenn auch an
digitalen Medien entwickelt, ist ihr Geltungsbereich weiter, da sie jegliche
Form medialen Lernens erfassen und eine Funktionsbestimmung des Medi-
ums für den Lernprozess vornehmen. Indem digitale Geschichtsdidaktik aber
historisches Lernen aus einer Verhältnisbestimmung – und nicht wie andere
Modelle aus schon sehr spezifischen und zudem kulturell präfigurierten
Handlungsmustern wie Lesen, Schreiben, Kommunizieren – ableitet, akzentu-
iert sie die Perspektive des Lernenden auf die Mediennutzung hin. Dieser
kommt im nachfolgenden Systematisierungsversuch deutlich zum Tragen:
1) Lernen an digitalen Medien: Medien werden hier als Lernobjekte62
erster Ordnung vorgestellt. Als Bestandteile des „Universums des His-
torischen“ sind sie zuvorderst in ihrer Potentialität für das Lernen wahr-
zunehmen und vor diesem Hintergrund zu befragen. An ihnen können –
müssen aber nicht – in den Akten von Re- und Dekonstruktion histori-
sche Erkenntnisse gewonnen werden. Neben diesen intentionalen Lern-
prozessen wären informelle Lernakte63 an digitalen Medien zu berück-
sichtigen. Beispielhaft lässt sich auf das Lernen an (auch digital) vorlie-
gende Quellen und Darstellungen, wie z.B. Fotografien, Filme, Postings
bis zu YouTube-Videos verweisen.
2) Lernen mit digitalen Medien: Diese Funktionsbestimmung stellt den
Werkzeugcharakter digitaler Medien heraus. Medien können (funktional)
als Lern- und Denkwerkzeuge eingesetzt werden, um historische Lern-
prozesse zu initiieren und zu unterstützen. Hier sind Medien aus Sicht der
Lerner Mittel einer kreativen handlungs- und produktorientierten Ausei-
nandersetzung mit historischen Inhalten.64 So können Blogs zur Veröf-
fentlichung und Diskussion von Arbeitsergebnissen, Videokonferenzen,
Chats oder Microblogging zur Kommunikation und zum Austausch oder
Applikationen zur Visualisierung historischer Zusammenhängen genutzt
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
62 Schmale u.a., E-Learning, S. 46–53, führten für den Bereich der Geschichtsvermitt-
lung den Begriff „webbasierte Lernobjekte“ ein. Sie gehen aber vom Lehrenden und
seinem didaktischen Setting aus und fassen den Objektbegriff sehr weit. Im eigentli-
chen Sinne meinen sie mit „Lernobjekten“ u.a. Informationsangebote und Online-
Kurse.
63 Als Einführung zum informellen Lernen siehe: Bernd Overwien, Stichwort: Informel-
les Lernen, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 3 (2005), S. 339–359. Online
unter: <http://www.uni-graz.at/overwien_informelles_lernen-2.doc> (06.10.2011).
64 Aus Sicht der Lehrenden geht es im Sinne einer Gestaltungsorientierung um das di-
daktische Design von Lernräumen.
Medien und historisches Lernen
18
werden.65 Dabei sind sie in ihrer Werkzeugfunktion von historischen
Lernprozessen her zu denken bzw. auszuwählen: Jedes Medium besitzt
sehr spezifische Bedingungen und Darstellungsmöglichkeiten, die in Be-
zug auf die Funktion zu reflektieren sind.
3) Lernen über digitale Medien: Die Medien selbst können zu Lerninhalten
und Untersuchungsgegenständen als Lernobjekte zweiter Ordnung
werden. Das Lernen über Medien hat zwei Dimensionen, eine historische,
die die Geschichte der Medien umfasst und eine deskriptive, in der Auf-
bau, Funktion und Handhabung der einzelnen Medien zum Inhalt des
Lernens werden. Als Beispiele lassen sich z.B. die Geschichte des Buch-
drucks oder des Zeitungswesens, das Entstehen von Artikeln in der Wi-
kipedia oder die Quellenkritik für Webseiten anführen.66
4) Lernen im digitalen Medium: In dieser Verhältnisbestimmung bringt sie
das Medium als Lernumwelt zur Sprache gebracht. Dabei ist jedes Medi-
um, sobald es als Denk- und Lernraum gedacht wird, an spezifische
Bedingungen geknüpft und stellt ein begrenztes Set an spezifischen
Funktionalitäten bereit. Es ist deshalb sinnvoll von Handlungs- und Er-
möglichungsräumen zu sprechen, die ebenfalls in ihrer Potentialität, aber
auch in ihren Grenzen reflektiert werden müssen. Für den Einsatz gilt es,
die möglichen medialen Werkzeuge in ihren spezifischen Denk- und
Lernräumen auf ihre Angemessenheit im Hinblick auf das Lernobjekt,
den Prozess und das Produkt historischen Lernens zu prüfen.
Unter Bezugnahme auf medientheoretische Positionen wie die des Kana-
diers McLuhan sollte der Gedanke mitberücksichtigt werden, dass der
historisch situierte Prozess der medialen Durchdringung menschlicher
Gesellschaften auch als anthropologischer Versuch einer – latent symbo-
lisch aufgeladenen – Weltaneignung gelesen werden kann. Technik er-
weitert einerseits immer die Möglichkeiten des Menschen, begrenzt sie
andererseits zugleich aber auch durch die Spezifik derselben, die immer
auf eine bestimmte Anwendungssituation zielt und vor diesem Hinter-
grund entwickelt und erdacht wurde. Deshalb sind Techniken z.B. ange-
sichts von Web 2.0 eigentlich als (sozio-)technische Topographien zu
verstehen. Sie stellen Handlungs-, Gestaltungs- und Entfaltungsräume be-
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
65 Alexander König, „Erfassen, strukturieren, systematisieren“ – Informationskompetenz
und Infoblatterstellung im Geschichtsunterricht, in: Computer + Unterricht (2009), H.
74, S. 13–15.
66 Lediglich angemerkt sei, dass auch Webseiten eine Geschichte und Erstellungskontext
haben. So lassen sich z.B. auch verschiedene Zustände von Internetauftritten zu ver-
gleichen. <http://www.archive.org/web/web.php> (06.10.2011).
Daniel Bernsen/Alexander König/Thomas Spahn
19
reit, die eben auch didaktisch nutzbar gemacht werden können (und sol-
len).67
Abb. 1: Lernen und Medien als Verhältnisbestimmung
Historisches Lernen wird also immer medial vorstrukturiert und zugleich
auch begrenzt. Durch den Gebrauch werden historische Lernprozesse im
Vollzug auf dem Bildschirm objektiviert. Das Speichern unterschiedlicher
Zustände zeichnet Momentaufnahmen des Lernvorgangs im digitalen Medi-
um auf und dokumentiert diese. Die Lernprodukte sind als Ergebnisse histori-
scher Reflexions- und Lernprozesse zu verstehen. Manche Tools, wie z.B.
Wikis, ermöglichen auch die partielle Verobjektivierung des Lernprozesses
als solches. Sie können wiederum der Reflexion zugänglich gemacht werden.
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
67 Wolf-Rüdiger Wagner, Medienkompetenz revisited. Medien als Werkzeuge der Welt-
aneignung: ein pädagogisches Programm, München 2004.
Medien und historisches Lernen
20
?%)*9;3'%$#%)'9#:%))$;3:*A%P41%#%#'6:)9H:9)$%)9#1'
Die beschriebenen Modi sind idealtypisch zu verstehen. In der Theorie lassen
sie sich trennen, in der Praxis finden sich häufig Überlappungen. Sie können
dazu dienen, Lernarrangements zu erstellen und Aufgaben zu formulieren und
dabei die jeweilige Funktion der eingesetzten Medien zu bestimmen bzw. bei
der Planung von Unterricht eine genauere Auswahl der Medien für histori-
sches Lernen zu ermöglichen.
Eigentliche Medien historisches Lernen sind nur Lernobjekte und Werk-
zeuge, wobei letztere (immer zugleich) im Sinne einer Inklusionsrelation
einem Denk-/Lernraum zuzuordnen sind.68 Diese präfigurieren den Denk-/
Lernraum, der mit seinen spezifischen Bedingungen mehrere unterschiedliche
Werkzeuge umfassen kann. Umgekehrt muss ein Werkzeug nicht einem
Denkraum entsprechen. Es kann diesem sowohl historisch als auch didak-
tisch-methodisch zugeordnet werden. Diese Einteilung ermöglicht die Analy-
se der Bedingungen eines Lernraums sowie des einzelnen spezifischen Werk-
zeugs.
Im Kern des historischen Lernprozesses stehen dabei immer zwei Medi-
ennutzungen: Medien als Werkzeuge und Geschichtsrepräsentationen als
Lernobjekte. Letztere können sowohl Ausgangs- als auch Endprodukt des
historischen Lernprozesses sein. Notwendig sind immer beide, da ein media-
les Werkzeug benötigt wird, um Repräsentationen von Geschichte zu dekon-
struieren - ebenso wie um eigene Narrationen/Repräsentationen zu erstellen,
also zu rekonstruieren. Die Wahl des Werkzeugs muss im didaktischen De-
sign, aufgrund der Verankerungen in einem spezifischen Denk-/Lernraum, in
ihrer Angemessenheit in Bezug zum Lernobjekt reflektiert werden. Das Ler-
nen über Medien bildet eine Meta-Ebene. Alle drei anderen Modi können
zum Gegenstand des Lernens über Medien (deren Geschichte, Handhabung
etc.) werden.
Um die abstrakten Überlegungen anschaulicher zu machen, soll die Be-
ziehung der Modi an mehreren Beispielen erläutert werden. So ist beim
Schreiben in einem Wiki, das Wiki sowohl Werkzeug im historischen Lern-
prozess als auch zugleich ein digitaler Raum mit seinen spezifischen Bedin-
gungen (Stichwort: Hypertext mit multimedialen Elementen) zuzuordnen.
Der digitale Raum beeinflusst das Denken und Lernen im Hinblick auf die
Arbeits-, Ausdrucks- und Darstellungsmöglichkeiten. Das ist bei einem
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
68 Diesbezüglich zeigt die Praxis, dass Leser Hypertexte nicht notwendigerweise als
solche nutzen, sondern der linearen Logik eines gedruckten Textes folgen.
Daniel Bernsen/Alexander König/Thomas Spahn
21
Abb. 2: Metaebene: Lernen über Medien
Blatt Papier und einem Stift übrigens ebenso der Fall wie beim Schreiben in
einem Wiki, nur sind hier die (einschränkenden) Bedingungen des Denk- und
Lernraums „Papier/Handschrift“ oder „Buch/Druck“ bisher in der Ge-
schichtsdidaktik69 nicht thematisiert worden, weil sie als „normaler“ Modus
von Lernen, Arbeiten und Veröffentlichen wahrgenommen wurden. Erst
durch die Digitalisierung mit ihrer Vielfalt von Arbeits- und Darstellungs-
möglichkeiten werden die spezifischen Bedingungen traditioneller, nicht
hinterfragter Medien offenkundig.
Die vier Modi bieten also eine unterrichtsbezogene Strukturierung von
Medien historischen Lernens, die vom Verhältnis des Lerners zum Medium
im Prozess des historischen Denkens und Lernens ausgeht. Sie haben eine
grundsätzliche Bedeutung für alle Arten von Medien und beziehen sich nicht
nur auf digitale. Erst das Nachdenken über digitale Medien führt zu diesem
veränderten Verständnis und dem vorliegenden Strukturierungsansatz. Schaut
man sich die Handbücher zu Medien im Unterricht an, so führt das Handbuch
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
69 Siehe hingegen: Michael Gieseke, Die Entdeckung der kommunikativen Welt. Studien
zur kulturvergleichenden Mediengeschichte, Frankfurt a. M. 2006; Wagner, Medien-
kompetenz.
Medien und historisches Lernen
22
Medien in der politischen Bildung70 die Medien als Einträge rein alphabetisch
auf, was für ein Nachschlagewerk eine sinnvolle Anordnung scheint, da sie
einen schnellen Zugriff auf die einzelnen Beiträge ermöglicht. Das ältere
Standardwerk Handbuch Medien im Geschichtsunterricht71 versucht sich an
einer Ordnung der Medien, die sich rein an der äußeren Art der Informati-
onsweitergabe bzw. der „zugrundeliegenden Sinneswahrnehmungen“72 orien-
tiert. Demnach gibt es graphische, akustische, visuelle, schriftliche und ge-
genständliche Medien. Dass diese Strukturierung für die Praxis weder hilf-
reich noch trennscharf ist, kann an zwei Beispielen aufgezeigt werden.
So bietet das Handbuch einen Eintrag zu Zeitzeugengesprächen und listet
diesen unter „akustischen Medien“ auf.73 Abgesehen davon, dass in einer
realen Begegnung mit einem Zeitzeugen viel mehr als nur das gesprochene
Wort (eben auch die Person, die Atmosphäre, der Lernort usw.) eine wichtige
Rolle spielen, liegen Zeitzeugeninterviews oft aufgezeichnet in völlig unter-
schiedlicher medialer Form vor: etwa als Audio- oder Videoaufnahme oder
nur schriftlich in transkribierter Form. Eine analytische Trennung von Trä-
germedium und der Art der Geschichtsrepräsentation vorzunehmen scheint
sinnvoll, um jeweils deren besondere Bedingungen und Wechselwirkung
reflektieren zu können.
Verschiedene Arten von Geschichtsrepräsentationen wie Zeitzeugenaus-
sagen, Lexika, Karten usw. können medial unterschiedlich aufbereitet sein als
Film, Foto, Buch, Wiki oder Webseite. Jedes Medium bedingt dabei spezielle
Formen, die Einfluss auf die Repräsentation von Geschichte nehmen. Daher
ist an digitalen Medien auch nicht alles neu: So funktioniert die Wikipedia
zunächst einmal wie ein Lexikon, allerdings unter den besonderen Bedingun-
gen eines Wiki, also mit multimedialem Hypertext und kollaborativ verfass-
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
70 Besand/Sander, Handbuch Medien.
71 Die Erstauflage stammt von 1985. Auch die gängigen Einführungen lassen eine Struk-
turierung der Medien vermissen und listen diese nach nicht nachvollziehbaren Krite-
rien auf, so z.B. Sauer, Geschichte unterrichten, S. 185–290 oder Hilke Günther-
Arndt, Geschichtsdidaktik, S. 63–150. Medien sind hier in vier Kapitel unterschiedli-
cher Autoren aufgeteilt und als schriftliche, visuelle, filmische und gegenständliche
„Quellen und Darstellungen“ aufgenommen.
72 Pandel, Medien, S. 416. Der zu Recht ergänzt, dass solche Einteilungen „nicht nur
trivial, sondern auch bedenklich [sind], da sie unterstellen, daß alles Wesentliche ge-
sagt sei, obwohl sie die geschichtsdidaktische Dimension des Lernprozesses nicht er-
reichen.“ Ebd. Umso erstaunlicher ist, dass im Handbuch Medien im Geschichtsunter-
richt diese „triviale“ Gliederung bis heute als Strukturierungsmerkmal beibehalten
wurde.
73 Uwe Kaminsky, Oral history, in: Pandel/Schneider (Hrsg.), Handbuch Medien, S.
451–467.
Daniel Bernsen/Alexander König/Thomas Spahn
23
ten Einträgen.74 Medium und Repräsentation beeinflussen sich gegenseitig, so
dass letztlich doch etwas Neues entsteht, das sich von bisherigen Lexika, aber
auch einfachen Wikis unterscheidet. Zu erklären ist das Neue nicht aus dem
Digitalen, sondern nur aus der beschriebenen Wechselwirkung.
Der Gewinn dieser analytischen Trennung zeigt sich an einem weiteren
Beispiel: Historische Jugendbücher haben einen eigenen Eintrag im Hand-
buch Medien im Geschichtsunterricht.75 Der Einsatz von Jugendliteratur im
Unterricht hat in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit erhalten, die
sogar regelmäßige Hinweise in den Praxiszeitschriften nach sich geführt ha-
ben. Versucht man hier gleichfalls Art der Geschichtsrepräsentation und Me-
dium deutlicher zu differenzieren, gelangt man zu einer trennschärferen und
für die Theorie und Praxis hilfreichen Unterscheidung. Auf der Seite der
Geschichtsrepräsentation stünden dann fiktionale (also im wesentlichen nicht
quellenbasierte) Erzählungen in einem historischen Setting, die auf Kinder
bzw. Jugendliche als Publikum abzielen. Diese Geschichten können aber in
völlig unterschiedlicher medialer Form auftreten: eben als Buch, aber auch als
Film, multimediale Internetseite oder sogar in Form eines Computerspiels.
Die jeweils eigenen Bedingungen von der Art der Geschichtsrepräsentation
und des Mediums müssen gleichberechtigt vor dem Einsatz im Unterricht
reflektiert werden. Eine Zuordnung fiktionaler Geschichten für Jugendliche
allein zu „schriftlichen“ Medien macht keinen Sinn. Wenn man genau hin-
schaut, dann macht sie selbst allein für die Bücher keinen Sinn, da diese oft
Bilder enthalten, die wesentlich die Rezeption und das Verständnis der Ge-
schichten beeinflussen. Eine Wahrnehmung als rein schriftliches Medium hat
den Einfluss dieser textbegleitenden Bilder bislang ausgeblendet.76
Für die vier Modi bedeutet dies: An einem historischen Jugendbuch kann
ich, sofern es quellenbasiert geschrieben ist, direkt etwas über Geschichte
lernen. Dann ist es direktes Lernobjekt, dessen Inhalte sich mit Quellen und
anderen Darstellungen überprüfen lassen. Es kann aber auch Werkzeug bzw.
Mittel sein, wenn Lernende aufgrund der Lektüre und der erarbeiteten Inhalte
im Unterricht selbst fiktive Geschichten verfassen. Diese sind dann zugleich
Repräsentation ihrer Denk- und Lernprozesse. Zuletzt lässt sich natürlich
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
74 Vgl. dazu auch Peter Haber/Jan Hodel, Wikipedia und die Geschichtswissenschaft.
Eine Forschungsskizze, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 59 (2009), H. 4,
S. 455–461.
75 Dietmar von Reeken, Das historische Jugendbuch, in: Pandel/Schneider (Hrsg.),
Handbuch Medien, S. 69–83.
76 Vgl. z.B. Monika Rox-Helmer, Jugendbücher im Geschichtsunterricht, Schwal-
bach/Ts. 2006.
Medien und historisches Lernen
24
auch etwas über historische Jugendbücher lernen, über deren Geschichte,
Entstehen, Intentionen, Verlage, Autoren usw.
Gleiches gilt übrigens auch für Quellen. Auch „Quellen sind nur Medi-
en“, die sich laut Pandel allerdings „in mehrfacher Weise signifikant von
anderen Medien unterscheiden: Sie sind das, was von der Vergangenheit
heute noch gegenwärtig ist. Das, was in der Vergangenheit entstanden ist und
uns heute noch vorliegt, ein Medium des Erinnerns.“77 Entsprechend der oben
gemachten Ausführungen würden wir für ein anderes Verständnis plädieren.
Quellen sind Medien, die in unterschiedlicher Form vorliegen können: als
Brief, Buch, Gemälde, Foto, Film, Schallplatte; aber heute und mit Blick auf
die Zukunft zunehmend nur digital als Website oder Mail. Also ist auch hier
zum einen zwischen dem Medium und dem Inhalt zu trennen. Es macht einen
Unterschied, ob einem Historiker eine Korrespondenz zwischen zwei oder
mehr Personen als Briefwechsel oder Austausch von Mails vorliegt. Entgegen
der Argumentation von Pandel sind es nicht mehrere, sondern genau ein Kri-
terium, das Quellen definiert: nämlich ihre Herkunft und Überlieferung aus
der Vergangenheit. Aus diesem entscheidenden Unterschied folgt, dass für
Quellen nur drei der vier genannten Modi greifen: 1) im Unterricht können
Quellen Lernobjekt werden, es wird an ihnen etwas über Vergangenes ge-
lernt, 2) sie können Werkzeug sein, um Darstellungen zu überprüfen, dann
wird mit Quellen gelernt und selbstverständlich wird auch 3) über Quellen als
Mediengattung etwas gelernt, hier ist die medienadäquate Quellenkritik zu
nennen. Da Quellen in der Vergangenheit entstanden sind, können sie in der
Gegenwart nicht Repräsentation, sondern nur Gegenstand eines historischen
Denk- und Lernprozesses werden, wenn auch Quellen natürlich Grundlage
des historischen Denkens sind und ein „Vetorecht“78 bei der Bewertung histo-
rischer Aussagen besitzen. Sie besitzen also für das historische Denken und
Lernen in zweifacher Hinsicht einen Ausnahmecharakter: 1. dadurch, dass sie
selbst der Vergangenheit entstammen und 2. dadurch, dass letztlich nur an
ihnen jede andere mediale Repräsentation von Geschichte, inklusive anderer
Quellen, auf ihre Authentizität und Triftigkeit hin überprüft werden kann.
' '
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
77 Hans-Jürgen Pandel, Quelleninterpretation. Die schriftliche Quelle im Geschichtsun-
terricht, 3. Aufl., Schwalbach/Ts. 2006, S. 10.
78 Reinhart Koselleck, Standortbindung und Zeitlichkeit. Ein Beitrag zur historiographi-
schen Erschließung der geschichtlichen Welt, in: ders./Wolfgang J. Mommsen/Jörn
Rüsen (Hrsg.), Objektivität und Parteilichkeit, München 1977, S. 45 f.
Daniel Bernsen/Alexander König/Thomas Spahn
25
Q"P$:'9#.',9*A&$;H'
Es sollte deutlich geworden sein, dass sich die Geschichtsdidaktik bisher
nicht hinreichend mit dem digitalen Wandel beschäftigt hat. Gleichwohl er-
scheint dies von dringender Wichtigkeit, will sie nicht das Feld von Vermitt-
lung und Darstellung von Geschichte ganz an die Fachwissenschaft verlie-
ren79 oder Gefahr laufen, dass das Digitale ohne geschichtsdidaktische Refle-
xion Einzug in den Unterricht hält.
Angesichts der digitalen Durchdringung der Gesellschaft ist eine Tren-
nung von „realer“ und „virtueller“ Welt nicht möglich. Ebenso wenig macht
eine isolierte Betrachtung von analogen und digitalen Medien Sinn. Sie müs-
sen jeweils integrativ als Teil des Ganzen betrachtet und im Hinblick auf den
Unterricht aufeinander bezogen gedacht und analysiert werden. Es bedarf also
weniger verschiedener „Online-Kompetenzen“, sondern allgemeiner und
fachspezifischer Kompetenzen im Umgang mit Medien historischen Lernens,
die für digitale Medien andere sein können als für analoge. Deren Bezug zum
historischem Lernen haben die Autoren versucht aufzuzeigen.
Zentral scheint die analytische Trennung von einem Medium als Träger
bzw. Raum und historischen Inhalten, sowie möglicherweise Wechselwir-
kungen in Bezug auf die Darstellung, zu sein. Darüber hinaus gilt es entspre-
chend der hier vorstellten vier Modi von Medien im Prozess historischen
Lernens die Funktion des Mediums im Verhältnis zum Lerner zu betrachten,
um entsprechende Aufgaben gestalten zu können.
Wichtige Kompetenzen wie Recherche oder Quellenkritik werden grund-
legend im schulischen Geschichtsunterricht vermittelt und eingeübt. Es ist
sinnvoll, diese Kompetenzen auf die digitale Welt auszuweiten und entspre-
chend anzupassen. Dazu braucht es nicht nur Pragmatik, sondern, und das
fordern wir ein, im Sinne der Disziplin eine verstärkte theoretische und empi-
rische Auseinandersetzungen mit den besonderen Bedingungen des Digitalen.
Damit würde die Geschichtsdidaktik ein wichtiges Forschungsfeld besetzen
und der Geschichtsunterricht im Kanon der schulischen Fächer in seiner Be-
deutung gestärkt.
Mit dem Einsatz digitaler Medien gehen grundlegende Veränderungen
des Unterrichts einher, die u.a. die Lehrerrolle, das Lernverständnis, Unter-
richts- und Sozialformen betreffen und bisher für den Geschichtsunterricht
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
79 Vgl. hingegen zur Genese der Geschichtsdidaktik: Jörn Rüsen, Aufklärung und Histo-
rismus – Historische Prämissen und Optionen der Geschichtsdidaktik, in: ders., Histo-
risches Lernen, S. 7–24, hier: S. 20–24.
Medien und historisches Lernen
26
gleichfalls kaum untersucht oder reflektiert sind.80 Insgesamt unterstützt dies
eine Abkehr von der weit verbreiteten „Stoff“-Metapher und Kanon-Denkens
und eine Hinwendung zu einer Kompetenzorientierung des Geschichtsunter-
richts. Die Autoren sind davon überzeugt, wenn auch hier nur in Ansätzen
aufgezeigt, dass eine große Schnittmenge besteht. Dies gilt es entsprechend
zu vermitteln, um den Eindruck von immer neuen, additiv gedachten Aufga-
ben bei den Geschichtslehrkräften zu vermeiden.
Die Digitalisierung stellt auch die starke Quellenorientierung des Ge-
schichtsunterrichts in Frage und schließt damit an zunehmende Kritik in den
letzten Jahren an.81 Quellen sind keineswegs einziger „Ausgangspunkt histo-
rischen Denkens“82, Anstöße zu historischem Denken und Lernen gehen in
der Regel im Alltag von Nicht-Historikern, von TV-Dokumentationen, Spiel-
filmen, Romanen, Computerspielen usw. aus; also von unterschiedlichsten
geschichtskulturellen Zeugnissen, die mehr oder weniger fiktive mediale
Aufbereitungen von Geschichte darstellen, aber eben nicht Historiographie
sind, sondern deren historische Triftigkeit jeder selbst bestimmen muss. Dies
stellt einen wesentlichen Unterschied des geschichtsdidaktischen vom ge-
schichtswissenschaftlichen Zugang zur Geschichte dar. Zwar ist es richtig,
dass wir „[u]nser Wissen über die Vergangenheit“83 aus Quellen besitzen. Sie
sind der primäre Zugang des Historikers. Alle Nicht-Historiker beziehen ihr
Vorstellungen von Geschichte in der Regel vorrangig aus anderen Medien
und es ist nicht Aufgabe der Schule im Geschichtsunterricht Historiker aus-
zubilden, sondern grundlegende Kompetenzen im Umgang mit Geschichte zu
vermitteln.84 Durch die Zunahme der Bedeutung von Medien, vor allem der
digitalen, steigt auch die Präsenz geschichtskultureller Zeugnisse und damit
deren Bedeutung für historisches Denken und Lernen. Es ist eine Aufgabe der
Geschichtsdidaktik diese durch den digitalen Wandel hervorgerufenen Ver-
'''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''''
80 Vgl. z.B. Renate Schulz-Zander, Veränderung der Lernkultur mit digitalen Medien im
Unterricht, in: Hubert Kleber (Hrsg.), Perspektiven der Medienpädagogik in Wissen-
schaft und Bildungspraxis, München 2005, S. 125–140.
81 Vgl. Simone Rauthe, Historiografie im Geschichtsunterricht, in: Jan Hodel/Béatrice
Ziegler (Hrsg.), Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 09. Beiträge zur Tagung ‚ge-
schichtsdidaktik empirisch 09‘, Bern 2011, S. 263–271; Dietmar von Reeken, Quel-
lenarbeit, in: Hilke Günther-Arndt (Hrsg.), Geschichtsmethodik. Handbuch für die Se-
kundarstufe I und II, Berlin 2007, S. 154–168, hier S. 155.
82 Pandel, Quelleninterpretation.
83 Pandel, Medien, S. 418.
84 Hans-Jürgen Pandel, Geschichtskultur als Aufgabe der Geschichtsdidaktik: Viel zu
wissen ist zu wenig, in: ders./Vadim Oswalt (Hrsg.), Geschichtskultur. Die Anwesen-
heit von Vergangenheit in der Gegenwart, Schwalbach/Ts. 2009, S. 19–33.
Daniel Bernsen/Alexander König/Thomas Spahn
27
änderungen zu beschreiben und zu analysieren und auf didaktischer und me-
thodischer Ebene konkrete Handlungsvorschläge für einen unter den be-
schriebenen Bedingungen stattfindenden Geschichtsunterricht zu machen.