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Die Konstruktion sozialer Gruppen: Fallbeispiel Kiezdeutsch

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Abstract

Sprache ist eine wesentliche Domäne zur Aushandlung sozialer Klassifikationen und Legitimationen und der Zuschreibung unterschiedlicher Gruppenzugehörigkeiten. Der Beitrag untersucht Prozesse in der sprachlichen Konstruktion sozialer Gruppen an einem spezifischen Fallbeispiel, nämlich der öffentlichen Diskussion zu Kiezdeutsch. Diese Diskussion liefert durch ihre vielfältigen Bezüge zur deutschen Sprache, zum Status deutscher Dialekte und der mit ihnen verbundenen Sprechergemeinschaften eine besonders interessante empirische Domäne für eine solche Untersuchung. Die Basis für die Untersuchung bildet ein Korpus, das Leserkommentare zu Medienberichten und Emails, die in Reaktion auf solche Berichte eingegangen sind, versammelt. Der Beitrag analysiert die unterschiedlichen Prozesse der Aushandlung und Zuschreibung von Gruppenidentitäten, die hier deutlich werden, und untersucht ihre sprachideologische Basis. Die Analyse weist auf eine spezifische Konstruktion von Kiezdeutsch-Sprecher/inne/n als die „Anderen“, die sie von der „wir-Gruppe“ ausschließt, und deckt zwei zentrale wir/sie- Dichotomien auf, die hierbei wirksam werden: eine Abwertung auf der Basis sozialer Hierarchisierung und eine Ausgrenzung auf der Basis ethnischer Zuschreibungen. Im ersten Fall werden Kiezdeutsch-Sprecher/innen in einer niedrigeren sozialen Schicht verortet und so von einer in der Selbstwahrnehmung höher stehenden wir-Gruppe unterschieden. Im zweiten Fall werden Kiezdeutsch- Sprecher/innen als nicht-deutsch konstruiert und damit von einer wir-Gruppe ausgeschlossen, die die alleinige Eigentümerschaft für deutsche Dialekte für sich beansprucht.
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Heike Wiese
Die Konstruktion sozialer Gruppen: Fallbeispiel Kiezdeutsch
Sprache ist eine wesentliche Domäne zur Aushandlung sozialer Klassifikationen
und Legitimationen und der Zuschreibung unterschiedlicher Gruppenzugehörig-
keiten. Der Beitrag untersucht Prozesse in der sprachlichen Konstruktion sozialer
Gruppen an einem spezifischen Fallbeispiel, nämlich der öffentlichen Diskussion
zu Kiezdeutsch. Diese Diskussion liefert durch ihre vielfältigen Bezüge zur deut-
schen Sprache, zum Status deutscher Dialekte und der mit ihnen verbundenen
Sprechergemeinschaften eine besonders interessante empirische Domäne für eine
solche Untersuchung. Die Basis für die Untersuchung bildet ein Korpus, das Le-
serkommentare zu Medienberichten und Emails, die in Reaktion auf solche Be-
richte eingegangen sind, versammelt. Der Beitrag analysiert die unterschiedlichen
Prozesse der Aushandlung und Zuschreibung von Gruppenidentitäten, die hier
deutlich werden, und untersucht ihre sprachideologische Basis. Die Analyse weist
auf eine spezifische Konstruktion von Kiezdeutsch-Sprecher/inne/n als die „An-
deren“, die sie von der „wir-Gruppe“ ausschließt, und deckt zwei zentrale wir/sie-
Dichotomien auf, die hierbei wirksam werden: eine Abwertung auf der Basis
sozialer Hierarchisierung und eine Ausgrenzung auf der Basis ethnischer Zu-
schreibungen. Im ersten Fall werden Kiezdeutsch-Sprecher/innen in einer niedri-
geren sozialen Schicht verortet und so von einer in der Selbstwahrnehmung höher
stehenden wir-Gruppe unterschieden. Im zweiten Fall werden Kiezdeutsch-
Sprecher/innen als nicht-deutsch konstruiert und damit von einer wir-Gruppe
ausgeschlossen, die die alleinige Eigentümerschaft für deutsche Dialekte für sich
beansprucht.
Gliederung
1. Einleitung
2. Kiezdeutsch und seine Sprecher/innen
3. Kontext: Dialekte als Besitz der wir-Gruppe
4. wir/sie-Dichotomien im Diskurs zu Kiezdeutsch
5. Fazit: Kiezdeutsch-Sprecher/innen als die „Anderen“
6. Literatur
Stichpunkte:
wir/sie-Dichotomien Kiezdeutsch Ethnizität Dialektsprecher Einstellungen
Sprachideologien Sprachliche Eigentümerschaft Mehrsprachigkeit Migrati-
onshintergrund „Hochdeutsch“
Preliminary version, author’s manuscript;
final version to appear in:
Neuland, Eva, & Schlobinsky, Peter (Hg.), Sprache in
sozialen Gruppen. Berlin, New York: de Gruyter [Hand-
buchreihe Sprachwissen, Band 9]. Kap.V.2.
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1 Einleitung
Ein interessanter Aspekt von Sprache in sozialen Gruppen ist die Konstruktion
sozialer Gruppen über die Domäne der Sprache. Der vorliegende Beitrag behan-
delt diesen Aspekt und stellt an einem Fallbeispiel dar, wie sich die Wahrneh-
mung, Einordnung und Bewertung von Sprache und die Abgrenzung von Spre-
chergruppen gegenseitig beeinflussen.
Als Fallbeispiel hierfür fungiert Kiezdeutsch, eine neue Variante des Deut-
schen, die sich im sprachlich besonders dynamischen Kontext des mehrsprachig
geprägten urbanen Raums entwickelt hat. Die öffentliche Diskussion zu Kiez-
deutsch liefert durch ihre vielschichtigen kontrastiven Bezüge zum Standarddeut-
schen und seinen Dialekten samt den zugehörigen „Hochdeutsch“- und Dialekt-
sprecher/inne/n besonders interessante Daten zur diskursiven Aushandlung von
Gruppenidentitäten und den hiermit verbundenen An- und Aberkennungsprozes-
sen sprachlicher Eigentümerschaft und Legitimation (vgl. auch Eisewicht / Hitz-
ler, in diesem Band, I.3, zu Gruppe und sozialer Identität).
Ich werde im Folgenden zunächst zusammenstellen, welche Befunde zur
Sprechergemeinschaft von Kiezdeutsch bislang aus sprachwissenschaftlichen
Untersuchungen vorliegen und dann die Wahrnehmung dieser Sprechergemein-
schaft analysieren. Als empirische Grundlage dienen Daten aus einer Debatte zu
Kiezdeutsch als neuem Dialekt, die medial breit geführt wurde (und wird) und
interessante Daten zu wir/sie-Dichotomien und der Konstruktion des ‚Anderen‘
im Konnex von Sprache und Identität liefert.
Solche Dichotomien sind auch aus ähnlichen Debatten zu vergleichbaren
sprachlichen Entwicklungen in anderen europäischen Ländern und den USA be-
kannt (vgl. Wiese 2015). In der Soziolinguistik wurden die entstehenden Varian-
ten unter anderem als Multiethnolekte (Quist 2008), neue Dialekte (Cheshire et al.
2011, Wiese 2012) oder neue urbane Umgangssprachen (Rampton 2013, 2014)
charakterisiert. Während ihr Status als systematische Varietäten, als sprachliche
Stile oder als Cluster linguistischer Ressourcen in kommunikativen Praktiken
kontrovers ist, besteht eine weitgehende Übereinstimmung, dass wir es hier mit
einem kreativen neuen Sprachgebrauch zu tun haben, der Sprecherentscheidungen
in bestimmten kommunikativen und sozialen Kontexten reflektiert, und nicht mit
einem Zeichen für sprachliche Verarmung oder gar Sprachverfall. Im Gegensatz
dazu sind öffentliche Debatten solcher neuen sprachliche Praktiken überwiegend
negativ und von Ablehnung gekennzeichnet.
In Deutschland führte die ‚Dialekt‘-Rahmung der Debatte zu einer Schärfung
der Frage, was als zugehörig zum Deutschen anerkannt wird und wer Teil der
entsprechenden Sprechergemeinschaft sein darf, und lieferte damit soziolinguis-
tisch besonders interessante Daten: Wer wird als legitime/r Sprecher/in eines
deutschen Dialekts akzeptiert und wer nicht, und welches Verständnis der ent-
3
sprechenden Sprechergemeinschaften wird hierbei deutlich? Diese Debatte ist
daher besonders geeignet, aufzudecken, wie sprachliche Wertsysteme mit sozialer
Inklusion und Exklusion interagieren und zur Definition sozialer Gruppen beitra-
gen.
2 KiezdeutschundseineSprecher/innen
Kiezdeutsch ist, ebenso wie seine Pendants in anderen europäischen Ländern, ein
Sprachgebrauch, der sich in Wohngebieten mit einem hohen Anteil mehrsprachi-
ger Sprecher/innen entwickelt hat. Solche Wohngebiete bilden durch die große
Bandbreite unterschiedlicher Herkunftssprachen, Dialekte und Stile und das Zu-
sammentreffen ein- und mehrsprachiger Sprecher/innen der Majoritätssprache
einen sprachlich hochdiversen Kontext (Vertovec 2007 spricht in diesem Zusam-
menhang von „Superdiversity“; vgl. hierzu auch Blommaert et al., Hg., 2011). Sie
liefern dadurch einen besonders fruchtbaren Boden für neue sprachliche Entwick-
lungen auf lexikalischer ebenso wie auf grammatischer Ebene. In Kiezdeutsch
zeigt sich dies beispielsweise durch die Integration neuer Fremdwörter, aus Her-
kunftssprachen wie dem Türkischen und Arabischen, aber auch aus dem US-
amerikanischem Englisch, durch phonologische Entwicklungen wie die Koronali-
sierung des palatalen Frikativs [ç], durch die Entwicklung neuer Partikeln, durch
neue Wortstellungsoptionen und durch neue Kontexte für bloße NPs, etwa in
Lokalangaben und produktiven Funktionsverbgefügen (vgl. Keim 2010 für einen
Überblick; Wiese 2012 für detailliertere Analysen zu Kiezdeutsch).
Auf Sprecherebene ist Kiezdeutsch, ebenso wie seine europäischen Pendants,
dabei Teil eines größeren sprachlichen Repertoires, das daneben auch formellere
Register umfasst (vgl. Wiese ersch. für einen Überblick). Die skizzierten gram-
matischen Charakteristika treten insbesondere in informellen, Peer-Group-
Situationen auf, legen also einen Act of Identity nahe, der auf eine Bindung an
eine bestimmte soziale Gruppe deuten könnte. Diese Bindung ist jedoch nicht so
spezifisch, wie dies in der öffentlichen Diskussion oft angenommen wird: Wäh-
rend in der Öffentlichkeit eine Wahrnehmung dominiert, die den „typischen“
Kiezdeutschsprecher als männlichen, eher bildungsfernen Jugendlichen mit Zu-
wanderungsgeschichte aus dem türkischen oder arabischen Raum charakterisiert,
legen die bisherigen linguistischen Befunde zu Kiezdeutsch ein sehr viel differen-
zierteres Bild nahe. Die folgende Aufstellung skizziert dies für zentrale für Kiez-
deutsch in Frage kommende Kategorien.
Alter. Insbesondere im lexikalischen Bereich zeigt Kiezdeutsch deutliche ju-
gendsprachliche Charakteristika, etwa durch neue evaluative Ausdrücke, Anrede-
formen u.a. Wie Rampton (2014) für Großbritannien zeigte, können charakteristi-
sche sprachliche Merkmale aus jugendlichen Multiethnolekten aber grundsätzlich
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auch in späterem Alter noch in Peer-Group-Gesprächen verfügbar sein (vgl. auch
ähnlich Cheshire et al. 2011 zur Dialektbildung im urbanen Raum). Insbesondere
im Bereich der Grammatik sind auch für Kiezdeutsch manche Phänomene alters-
gruppenübergreifend zu beobachten: So liefern Wiese / Duda (2012) Belege für
die Verwendung einer neuen Existenzpartikel gibs in Kiezdeutsch nicht nur unter
Jugendlichen, sondern auch bei jüngeren und älteren Sprecher/inne/n. Die bishe-
rigen Befunde weisen damit zwar auf jugendsprachliche Aspekte, aber, abgesehen
von jugendsprachlicher Lexik, nicht auf eine strikte, kategoriale Beschränkung
von Kiezdeutsch auf diese Altersgruppe. Die sprachlich besonders dynamische
Altersgruppe der Jugendlichen ist sicher eine für Kiezdeutsch zentrale Gruppe,
und es ist anzunehmen, dass sie eine wesentliche Grundlage nicht nur für lexikali-
sche, sondern gerade auch für grammatische Innovationen bildet. Zum einen sind
diese jedoch, insoweit sie generelle Sprachwandeltendenzen oder laufende Ent-
wicklungen des Deutschen aufnehmen, vermutlich schon im Erst- oder Zweit-
spracherwerb des Deutschen angelegt und daher z.T. auch bei jüngeren Spre-
cher/inne/n in multiethnischen Wohngebieten zu finden. Zum anderen bleiben sie
nach ihrem Ausbau im Jugendalter grundsätzlich auch in späteren Altersstufen
verfügbar. Die Verwendung grammatischer Neuerungen ist daher vermutlich eher
generationen- als altersspezifisch: Es ist davon auszugehen, dass sie für die Grup-
pe der in den 1960/70ern geborenen Sprecher/innen zwar noch keine Rolle spielt,
jedoch für die in den 1980/90ern Geborenen, die jetzt dem Jugendalter bereits
entwachsen sind, weiterhin grundsätzlich zum sprachlichen Repertoire gehört, das
in informellen Peer-Group-Situationen unter Gleichaltrigen noch aktiviert werden
kann. Um hierzu gesicherte Aussagen zu treffen, liegen zur Zeit jedoch noch
keine ausreichenden empirischen Daten vor.
Geschlecht. In der Wahrnehmung von Kiezdeutsch stehen oft primär junge
Männer im Fokus. Eine zentrale Rolle männlicher Sprecher für diesen Sprachge-
brauch ist jedoch fraglich, möglicherweise sind diese nur salienter, etwa durch
eine stärkere Präsenz im öffentlichen Bereich (auf Straßen, in Jugendeinrichtun-
gen). Die Studien von Kern / Selting (2006a,b), Selting (2011), bei denen ein
großer Teil weiblicher Sprecherinnen einbezogen wurde, scheinen keine Unter-
schiede zwischen den Geschlechtern aufzuzeigen. Auch Dirim / Auer (2004, 215)
konstatieren, dass der entsprechende Sprachgebrauch nicht als Genderlect ab-
grenzbar ist, sondern auch bei Mädchen und Frauen auftritt. „Geschlecht“ erweist
sich somit nicht als zentrale Kategorie für Kiezdeutsch.
Mehrsprachigkeit / Migrationshintergrund / Deutsch als Zweitsprache.
Wie nicht nur für Kiezdeutsch, sondern ebenso für vergleichbare neue urbane
Dialekte in anderen europäischen Ländern festgestellt, sind an diesen neuen
sprachlichen Praktiken grundsätzlich auch einsprachige Sprecher/innen der Majo-
ritätssprache beteiligt. In der öffentlichen Wahrnehmung von Kiezdeutsch und
z.T. aber auch in sprachwissenschaftlichen Arbeiten wird die Beteiligung dieser
Sprecher/innen oft als sekundäres Phänomen verstanden, als eine Übernahme
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sprachlicher Charakteristika, die primär von Sprecher/inne/n mit Migrationshin-
tergrund entwickelt und gebraucht wurden. Auf der Basis der bisher verfügbaren
Befunde ist ein solches Primat bestimmter, mehrsprachiger Sprechergruppen
jedoch eine offene Frage.
Auer (2003) etwa geht für Deutschland von einem „primären Ethnolekt“ aus,
der vor allem (männliche) Sprecher mit türkischem Hintergrund charakterisiere
und sich erst später, als „sekundärer Ethnolekt“, auf andere Sprechergruppen
ausbreite, weist aber auch bei diesem mutmaßlich primären Ethnolekt bereits auf
eine Beteiligung einsprachig deutscher Sprecher/innen in multiethnischen Wohn-
gebieten hin. Bei einer homogeneren Sprechergruppe mit derselben Herkunfts-
sprache, etwa dem Türkischen, wäre zudem auch eine stärker durch Code-
Switching und Sprachmischung charakterisierte Sprechweise zu erwarten als die
neue Variante des Deutschen, die wir mit Kiezdeutsch vorfinden.
Die heute verfügbaren Daten dokumentieren, dass zumindest aktuell ein- und
mehrsprachige Sprecher/innen gleichermaßen in solche neuen urbanen Dialekte
involviert sind. So weisen Freywald et al. (2011) signifikante Unterschiede zwi-
schen Sprecher/inne/n aus multiethnischen und monoethnischen Wohngebieten
nach, finden jedoch keine Unterschiede zwischen solchen deutscher vs. nichtdeut-
scher Herkunft im multiethnischen Wohngebiet.
Grundsätzlich sind zudem im sprachlich diversen urbanen Raum – in
Deutschland ebenso wie in anderen europäischen Ländern – ein- und mehrspra-
chige Sprecher/innen heute nicht mehr als „native“ vs. „non-native speakers“ der
Majoritätssprache zu differenzieren: Muttersprachliche Kompetenzen finden sich
ebenso in der Gruppe der mehrsprachigen Sprecher/innen, die im Land der Majo-
ritätssprache aufgewachsen sind. So stellen Fraurud / Boyd (2011:72) fest (in
ähnlichem Sinne auch Rothman / Leffers 2014):
„No one acquainted with current multilingual settings can have failed to meet
individuals whose linguistic background and practices challenge the binary
NS/NNS [native speaker / non-native speaker; H.W] distinction.“
Entsprechend sind Erst- und Zweitsprache in solchen, von vielfältiger Mehrspra-
chigkeit geprägten Kontexten nicht immer deutlich von einander unterschieden.
Eine klare Abgrenzung, ob Deutsch als Erst- oder Zweitsprache zu gelten hat, ist
bei mehrsprachigen Sprecher/inne/n oft nicht zu leisten und auch nicht sinnvoll.
So charakterisiert etwa Pfaff (2009) bei den von ihr untersuchten Sprecher/inne/n
türkischen Hintergrunds, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind,
Deutsch nicht als L1 oder L2, sondern als „L 1,5“.
Soziale Schicht / Bildung. Da in Deutschland, wie etwa die PISA-Studien
deutlich machten, Bildungserfolg und berufliche Chancen immer noch stark an
soziale und ethnische Herkunft geknüpft sind, sind Wohngebiete mit hohem An-
teil von Einwohner/inne/n mit Zuwanderungsgeschichte typischerweise auch
sozial benachteiligte Gebiete, mit relativ niedrigem Durchschnitteinkommen,
6
hoher Arbeitslosigkeit und niedrigem Bildungserfolg. Dies bedeutet jedoch nicht,
dass der Gebrauch von Kiezdeutsch ein Hinweis auf niedrige soziale Schicht oder
Bildungsferne ist. Kiezdeutsch wird übergreifend in den betreffenden Wohnge-
bieten verwendet, unabhängig von der sozialen Schicht der einzelnen Sprecherin
oder des einzelnen Sprechers. So stammen Daten zum Kiezdeutschgebrauch von
Gymnasialschüler/inne/n ebenso wie von solchen aus anderen Schulformen, und
beispielsweise auch bei Linguistikstudierenden und -doktorand/inn/en kann, wenn
sie aus mehrsprachig geprägten Wohngebieten stammen, Kiezdeutsch Teil der
eigenen Sprachbiographie aus Peer-Group-Kontexten sein.
Zusammengenommen lässt sich somit für Kiezdeutsch eine Sprechergemein-
schaft charakterisieren, die einen Erwerbs- und Entwicklungsschwerpunkt in der
Altersgruppe der Jugendlichen hat, aber nicht strikt an diese gebunden ist und
sich nicht durch weitere Kategorien wie Geschlecht, Migrationshinter-
grund/Mehrsprachigkeit/DaZ, soziale Schicht und/oder Bildung fassen lässt.
Kiezdeutsch ist nach den bisherigen Befunden an soziale Gruppen gebunden, die
durch eine sprachliche und kulturelle Mischung geprägt sind, wie sie urbane
Wohngebiete heute charakterisiert. Ein charakteristisches Merkmal solcher
Wohngebiete ist der hohe Anteil mehrsprachiger Sprecher/innen. Diese Spre-
cher/innen begründen eine sprachliche Vielfalt, die wesentlich für die besondere
sprachliche Dynamik ist, die die Entwicklung neuer urbaner Dialekte wie Kiez-
deutsch kennzeichnet. Es ist diese sprachliche Vielfalt als Merkmal der Gruppe
insgesamt, die ausschlaggebend für Kiezdeutsch ist, nicht so sehr mehrsprachige
Kompetenzen, Zuwanderungsgeschichte oder die oft damit verknüpfte soziale
Schicht einzelner Sprecher/innen: Innerhalb der Gruppe finden sich einsprachige
ebenso wie mehrsprachige Sprecher/innen, solche mit und ohne Zuwanderungs-
geschichte, aus sozial benachteiligten ebenso wie privilegierten Familien.
Wie sich im folgenden zeigen wird, kontrastiert dies scharf mit der Konstruk-
tion der Sprechergemeinschaft von Kiezdeutsch in der öffentlichen Diskussion.
Hier werden Kiezdeutsch-Sprecher/innen als Mitglieder einer homogenen out-
Group definiert und von der in-Group deutscher Sprecher/innen ausgegrenzt
eine Abgrenzung, die sich gerade im Zusammenhang mit einer möglichen Ein-
ordnung von Kiezdeutsch als deutschen Dialekt offenbart und diese Debatte da-
mit besonders geeignet für eine Fallstudie zur sprachlichen Konstruktion sozialer
Gruppen macht. Im Folgenden skizziere ich zunächst den sprachideologischen
Kontext hierfür, der durch einen spezifischen Dialektbegriff in Deutschland etab-
liert wird, bevor ich auf die verschiedenen wir/sie-Dichotomien und die Kon-
struktion des „Anderen“, wie sie in der Debatte deutlich werden, eingehe.
7
3 Kontext:DialektealsBesitzderwirGruppe
In der internationalen sprachwissenschaftlichen Diskussion wird der englische
Ausdruck „dialect“ meist mit einem weiten Dialektbegriff verbunden, wie er seit
den 1980ern insbesondere in Soziolinguistik und Variationslinguistik entwickelt
wurde. Diese weite Auffassung subsumiert generell sozial oder geographisch
assoziierte Varietäten innerhalb einer Sprachgemeinschaft (vgl. etwa einschlägige
Definitionen in Trudgill 1992, Chambers / Trudgill 1998). In der deutschen Philo-
logie, ebenso wie im öffentlichen Diskurs in Deutschland, wird der Begriff „Dia-
lekt“ dagegen oft enger verstanden und auf die regionalen Varietäten begrenzt,
die die historische Basis für die Entstehung des Standarddeutschen bildeten. So
schlägt beispielsweise Auer (2011) in einem Überblick zu Dialekt- vs. Stan-
dardszenarien in Europa vor,
“to reserve the term ‘(traditional) dialects’ for the varieties under the roof […] of a stand-
ard variety which preceded the standard languages and provided the linguistic material out
of which the endoglossic standard varieties developed”. (Auer 2011, 487)
In gewisser Hinsicht widerspricht dies jedoch dem tatsächlichen Gebrauch dieses
Begriffs auch in der traditionellen deutschen Dialektologie, nämlich dort, wo es
um deutsche Sprachinselvarietäten geht, die sich außerhalb Deutschlands in Folge
von Kolonialisierung und Emigration entwickelt haben. Solche Varietäten sind
nicht notwendigerweise dem Standarddeutschen vorausgegangen, sondern haben
sich oft erst später entwickelt, auf einer Basis, die die Standardsprache ebenso wie
unterschiedliche traditionelle Dialekte umfassen konnte. Nichtsdestotrotz werden
sie üblicherweise als „deutsche Dialekte im Ausland“ in der Dialektologie des
Deutschen berücksichtigt (vgl. etwa Besch et al., Hg., 1982).
Ganz ähnlich werden auch im öffentlichen Diskurs solche Varietäten prob-
lemlos als deutsche Dialekte akzeptiert. So konnte etwa ein Artikel im Spiegel das
Texasdeutsche als relativ jungen deutschen Dialekt porträtieren, der durch neue
grammatische und lexikalische Charakteristika und einige Sprachmischungen
charakterisiert sei, ohne dass dies eine erregte öffentliche Debatte oder irgendwie
gearteten Widerspruch auslöste (Spiegel Online / UniSPIEGEL, 14.4.2008, „Man
spricht Texas-Deutsch“). Hans Boas, auf dessen Forschung sich der Bericht be-
zog (vgl. Boas 2003; 2009), beschreibt die Reaktionen auf den Artikel vielmehr
als „durchweg positive Kommentare“ (p.c.), und es gab sogar ein (positives)
Vollzitat des Artikels im online-Forum des „Verein Deutsche Sprache“.
Wie unten noch deutlicher wird, steht dies in scharfem Kontrast zu den star-
ken und überwiegend negativen Reaktionen, die ein Artikel im selben Magazin
hervorrief, der in ganz ähnlicher Weise Kiezdeutsch als neuen Dialekt des Deut-
schen, ebenfalls mit neuen grammatischen und lexikalischen Charakteristika und
einigen Sprachmischungen, beschrieb. Die Dialekteinordnung von Kiezdeutsch
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löste massiven Widerspruch in der öffentlichen Diskussion aus, häufig unter
Verweis darauf, dass Kiezdeutsch keinen historischen Beitrag zur Entwicklung
des „Hochdeutschen“ geleistet habe. Die Tatsache, dass das Texasdeutsche, das
ebenso wenig eine Basis für die Entstehung des Standarddeutschen lieferte, dage-
gen problemlos als Dialekt des Deutschen akzeptiert wird, wird noch bemerkens-
werter, wenn man sich vor Augen führt, dass das Texasdeutsche von Entwicklun-
gen in Deutschland vergleichweise losgelöst ist, während Kiezdeutsch eng an den
aktuellen Sprachgebrauch im Deutschen angebunden ist.
Dies weist darauf hin, dass in der öffentlichen Debatte in Deutschland nicht
so sehr die tatsächliche historische Beziehung als Vorläufer und sprachliche Quel-
le für das Standarddeutsche wesentlich für die Einordnung als Dialekt ist, sondern
vielmehr eine empfundene kulturelle Assoziation mit der deutschen Tradition, die
eine Art Ius sanguinis-Beziehung involviert, basierend auf einer wahrgenomme-
nen ethnischen Gemeinsamkeit mit den Sprecher/inne/n. Diese Konstruktion von
Dialekten zeigt sich unter anderem auch in verbreiteten Reaktionen der Verblüf-
fung, wenn jemand, der als „Anderer“, als Mitglied einer nichtdeutschen out-
Group wahrgenommen wird (etwa auf Grund bestimmter Körpermerkmale wie
Haut- oder Haarfarbe), einen traditionellen regionalen deutschen Dialekt spricht.
Dies ist immer wieder Thema populärer Erlebniserzählungen oder auch von Film-
szenen (etwa im Kinderfilm „Das kleine Gespenst“, Universum Film, Deutsch-
land 2013) und wird typischerweise als äußerst komisch wahrgenommen, ein
Hinweis auf starke kognitive Dissonanzen. Im Fall von Kiezdeutsch zeigte sich
eine ähnliche Dissonanz in der oft mit massiver Erregung und Empörung verbun-
denen Ablehnung dieser Varietät als Dialekt und entsprechend ihrer Sprecherge-
meinschaft als deutsche Dialektsprecher/innen.
Die Debatte um Kiezdeutsch konzentrierte sich zunächst auf eine sprachwis-
senschaftliche Einordnung als Dialekt (vgl. hierzu Wiese 2010, 2012, 2013). In
Konsens mit Ramptons (2013) Argument für eine „Rückeroberung“ (‚reclaim‘)
des englischen Ausdrucks „vernacular“ trägt der deutsche Begriff „Dialekt“ eben-
so dazu bei,
„to normalise the kind of urban speech we are examining, moving it out of the “marked”
margins, not just in sociolinguistic study but maybe also in normative public discourse.“
(Rampton 2013:78)
Die öffentliche Diskussion, die sich in Folge des Vorschlags, Kiezdeutsch als
Dialekt anzusehen, entspann, lieferte vielfältige Evidenz für eine Konstruktion
deutscher Dialekte und des Standarddeutschen als „Hochdeutsch“, die eng mit
wir/sie-Dichotomien verflochten ist, die Mitglieder einer vermeintlichen in-
Group von Kiezdeutsch-Sprecher/inne/n abgrenzt. Die folgenden Zitate, aus ei-
nem Leserkommentar zu einem online-Artikel einer regionalen Tageszeitung und
zwei Emails, illustrieren dies und geben einen ersten Eindruck der Ethnisierung
9
und Ausgrenzung von Kiezdeutsch und seinen Sprecher/inne/n, die hiermit ver-
bunden ist:
(1) „Über allen Dialekten „thront“ hochdeutsch als verbindende, gemeinsame Sprache. In
den Schulen wird hochdeutsch gelehrt, evtl. mit einem örtlich unterschiedlichen Akzent.
Bei „Kanak-Sprak“ gibt es kein übergeordnetes hochdeutsch sondern „migrantisch“.
Während ein Sachse oder Bayer oder... sich mit Ihnen auf hochdeutsch mit dem
entsprechenden Akzent unterhalten kann, können dies die „Kanak-Sprak“-Artisten nicht.“
Leserbrief, Schleswig-Holsteinische Zeitung, 27/03/2012
(2) „Ich dachte ich höre nicht richtig, wie Sie diesem Kauderwelsch huldigten, dieses Ge-
brabbel adelten und es tatsächlich der deutschen Sprache anverwandt anerkannten. Sicher
kann man damit in Anatolien Ziegen vom Berg holen oder in Arabien Kamele einparken.
Dieses aber einen deutschen Dialekt zu nennen halte ich für völlig abwegig!“
Email, 21/02/2012
(3) „Ihre Feststellung „Bayerisch wird auch nicht als der gescheiterte Versuch angesehen,
Hochdeutsch zu sprechen“, ist ein dreister Versuch, ein Stück deutscher Kultur mit Ihrem
so heiß geliebten „Kiezdeutsch“ zu vermischen. Der Bayrische, Hessische oder
Schwäbische Dialekt entwickelte sich auf deutschem Boden und wurde von Menschen
eines Kulturkreises gepflegt. Das so genannte „Kiezdeutsch“ wird von Ausländern wie
Türken und anderen Menschen aus dem arabischen-vorderasiatischen Kulturraum nach
Deutschland hereingetragen und hier verbreitet. Ihre Anbiederei bei Türken und sonstigen
Moslems in Berlin wollen wir Deutsche nicht mittragen und ich bitte Sie, dieses von Ihnen
so hoch geschätzte Kulturgut mit dem Namen „Kiezdeutsch“ nicht weiterhin als deutsches
Sprachgut zu verbreiten.“ Email, 19/02/2012
4 wir/sieDichotomienimDiskurszuKiez
deutsch
Die im Vorangegangenen zitierten Äußerungen aus der öffentlichen Diskussion
um Kiezdeutsch weisen auf zwei zentrale Mechanismen von Gruppenkonstituie-
rung, wie sie etwa Schmidt / Deppermann (in diesem Band, Kap. IV-3) identifi-
zieren, nämlich Außenabgrenzung und Wir-Bewusstseins-Bildung. Diese Mecha-
nismen und die mit ihnen verbundenen Dichotomien untersuche ich im Folgenden
in Form einer Fallstudie an Daten aus dem öffentlichen Diskurs, die in Form ei-
nes Korpus vorliegen, aus dem auch die obigen Beispiele stammen. Ich stelle im
vorliegenden Abschnitt zunächst kurz das Korpus vor, zeige dann zentrale Topoi
im Diskurs auf und analysiere auf dieser Basis die verschiedenen Dichotomien,
die hier für die Konstruktion des ‚Anderen‘ bei der diskursiven Aushandlung
sozialer Gruppen wirksam werden.
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4.1 Datenbasis
Die empirische Basis für die vorliegende Untersuchung liefert das mit dem Kiez-
DeutschKorpus (KiDKo) assoziierte Korpus KiDKo/E (KiDKo/Einstellungen),
das Daten zu Einstellungen, Wahrnehmungen und Sprachideologien aus der öf-
fentlichen Diskussion zu Kiezdeutsch erfasst. Das Korpus ist anonymisiert und
für korpuslinguistische Untersuchungen aufbereitet und über die KiDKo-Website
(www.kiezdeutschkorpus.de) allgemein zugänglich. KiDKo/E erfasst Spontanda-
ten aus der öffentlichen Diskussion zu Kiezdeutsch: Das Korpus versammelt
Email-Zuschriften und Leserbriefe, die in Reaktion auf Medienberichte zu Kiez-
deutsch verfasst wurden. Es umfasst 64 Emails, die im wesentlichen in zwei grö-
ßeren Wellen, 2009 und 2012, eingingen, und 1.362 Leserkommentare, die von
Januar bis April 2012 auf online-Medienseiten erschienen. Bis auf einen Fall (The
Economist, UK) handelt es sich dabei um Medien aus Deutschland, die zusam-
men einen breiten Querschnitt liefern, der Printmedien, internet-basierte Nach-
richtenseiten und Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens berücksich-
tigt, mit der entsprechend breiten Spanne an Zielpublikum, von der generellen
Öffentlichkeit über Studierende und über türkisch-deutsche Leser/innen bis zu
politisch stark rechtslastigen Gruppierungen und selbsternannten „Sprachschüt-
zern“ (für Details siehe Informationen auf der Korpus-Website).
Im Vergleich zu Daten aus Medienberichten selbst, wie sie bislang meist die
empirische Basis für Untersuchungen zum öffentlichen Diskurs bilden, sind die in
KiDKo/E versammelten Belege informeller und weniger kontrolliert. Sie bieten
Meinungsäußerungen, die auf den Medienseiten nur marginal editiert werden und,
da sie meist anonym verfasst sind, auch nicht der Art sozialer Kontrolle unterlie-
gen, wie sie in offener Kommunikation, etwa im direkten Gespräch oder in sig-
nierten Leserbriefen in der Druckversion von Zeitungen, zu erwarten wäre. Diese
vergleichsweise geringe interne und externe Kontrolle macht solche Spontandaten
für soziolinguistische Analysen besonders geeignet; sie eröffnen dardurch einen
direkteren Zugang zu Anschauungen und Meinungen über sprachbezogene The-
men (vgl. hierzu auch Wiese 2015, zur Internet-Kommunikation exemplarisch
Yus 2011). Dabei sollte man jedoch zugleich im Blick behalten, dass hier Produk-
tionen einer selbst-seligierten Gruppe vorliegen, die nicht notwendigerweise re-
präsentativ für die Diskussion insgesamt sein muss – ein Umstand, der selbstver-
ständlich auf Medienberichte als empirische Basis ebenso zutrifft.
4.2 2x2Topoi
Die Einstellungen, die gegenüber Kiezdeutsch und seinen Sprecher/inne/n in den
Beiträgen ausgedrückt werden, sind überwiegend negativ; Äußerungen, die neut-
rale oder positive Einstellungen transportieren, machen demgegenüber nur einen
11
kleinen Anteil aus (insgesamt lag dieser Anteil bei 8,7%, mit niedrigeren Zahlen
für Emails aus dem früheren Erfassungszeitraum (2009; 0%) und Kommentaren
in rechtslastigen Medien (0,7%) und Boulevardzeitungen (3,2%) und höheren
Zahlen für universitätsorientierte Medien (20,2%) und Emails aus dem späteren
Erfassungszeitraum (2012; 23,5%).
Für die negativen Beiträge lassen sich eine Reihe wiederkehrender Themen
identifizieren, die über die verschiedenen Kategorien von Kommentaren und
Emails hinweg auftreten und sich um vier zentrale Topoi gruppieren:
Gebrochene Sprache – „Kiezdeutsch ist eine defizitäre Version des Deutschen.“
Sprachverfall – „Es bedroht daher die Integrität der deutschen Sprache.“
Integrationsverweigerung – „Kiezdeutsch-Sprecher/innen integrieren sich nicht in
die Mehrheitsgesellschaft.“
Gesellschaftliche Auflösung – „Sie bedrohen daher den sozialen Zusammenhalt.“
Diese Topoi liegen auf zwei Ebenen und bilden dort zwei parallele Paare. Das
erste Paar, „Gebrochene Sprache“ und „Sprachverfall“, zielt auf die sprachliche
Ebene selbst und reflektiert eine negative Bewertung von Kiezdeutsch und seiner
Wirkung auf das Deutsche, während das zweite Paar, „Integrationsverweigerung“
und „Gesellschaftliche Auflösung“, auf eine allgemeinere soziale Ebene zielt und
die Abwertung des Sprachgebrauchs mit Aspekten gesellschaftlicher Integration
verbindet. Die folgenden Zitate aus einem Leserkommentar und einer Email il-
lustrieren typische Verbindungen der verschiedenen Topoi (Belege aus KiDKo/E;
jeweils mit Datum und bei Kommentaren mit Angabe der Medienseite, auf der
kommentiert wurde):
(4) „Das ist kein Dialekt, sondern lediglich die Unlust sich zu integrieren oder (noch
schlimmer) die Faulheit die eigene Sprache richtig zu lernen.“ Leserbrief, Bild,
17/02/2012
(5) „Dieses Assigestammel als Sprache zu bezeichnen ist eine absolute Disqualifikation als
Wissenschaftler […]. Ich habe beruflich sehr viel mit (gestrauchelten) jugendlichen Mig-
ranten und auch deutschstämmigen Jugendlichen zu tun und sehe jeden Tag, wie sich die
Deutschen an die Arab-Türk-Kurdensprache anpassen. Teilweise sind gar keine „norma-
len“ Dialoge mehr möglich, weil der grundlegende Sprachschatz schon gelöscht ist.“
Email, 29/02/2012
Der Kontrast, der in der Email zwischen „Migranten“ und „deutschstämmigen
Jugendlichen“ konstruiert wird, und die Beschreibung einer Anpassung der
„Deutschen“ an die „Arab-Türk-Kurdensprache“ impliziert eine Konzeptualisie-
rung von Kiezdeutsch-Sprecher/inne/n als nicht-deutsch und illustriert damit be-
reits eine soziale und sprachliche Dichotomie, auf die ich unten noch genauer
eingehe.
12
Der Topos des „Sprachverfalls“ ist in den Daten mit wiederkehrenden Cha-
rakterisierungen von Kiezdeutsch als „reduziert“ und „primitiv“ assoziiert, die
diesem Sprachgebrauch den Status echter Sprache absprechen. Kiezdeutsch wird
in diesem Zusammenhang energisch als Teil des Deutschen abgelehnt, und seine
Charakterisierung als deutscher Dialekt wird mitunter als Angriff auf die deutsche
Sprache insgesamt oder auf „Hochdeutsch“ im Speziellen angesehen. (6) gibt ein
Beispiel:
(6) „diese Gossensätze als neuen Dialekt zu bezeichnen ist eine Beleidigung der deutschen
Sprache ohne gleichen.“ Leserbrief, shortnews, 09/02/2012
Als Gründe für den Gebrauch von Kiezdeutsch wird neben mangelnder Sprachfä-
higkeit häufig angeführt, dass die Sprecher/innen „schlampig“ oder „faul“ seien
oder nicht bereit, die Zeit und Mühe aufzuwänden, „ordentlich“ zu sprechen. Eine
Verbindung, die in diesem Zusammenhang häufig gemacht wird, ist die zwischen
Sprache und Kultur. Schreiber/innen werten Kiezdeutsch hier als eine Sprachform
ab, die früheren Stufen der menschlichen Evolution angehört, mit Verweisen auf
„Steinzeit“ und „Neanderthaler“, im Gegensatz zum „Hochdeutschen“, das als
„Hochsprache“ eine entsprechende höhere Kultur anzeige.
Die Abwertung von Kiezdeutsch als kulturell niedriger stehend begründet die
Sorge vor einer negativen Wirkung auf die Kultur in Deutschland; in diesem Zu-
sammenhang tritt dann häufig das Motiv vom „Land der Dichter und Denker“
auf, das ein positives Selbstbild einer Kulturnation mit entsprechender „Hoch-
sprache“ transportiert.
Eine wiederkehrende Annahme ist die, dass der Gebrauch von Kiezdeutsch
ein Zeichen für die Unfähigkeit oder aber Unwilligkeit der Sprecher/innen sei,
sich in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Im zweiten Fall erscheint Kiez-
deutsch als eine Ablehnung des „Hochdeutschen“ und der Wertschätzung, die es
erhält. Die vorgebliche mangelnde Integration wird als Bedrohung für die Gesell-
schaft insgesamt angesehen, wobei in einer Reihe von Belegen das Motiv „Armes
Deutschland“ auftritt, das populär Anzeichen für einen vermeintlichen nationalen
Niedergang beklagt.
Der Topos der „Gesellschaftlichen Auflösung“ begründet in einigen Fällen
ein Bild einer feindlichen Übernahme der deutschen „Hochsprache“, nationaler
Werte oder Deutschlands als Ganzes. Dieses Bild knüpft an eine bestimmte Kon-
struktion von Kiezdeutsch-Sprecher/inne/n als „Andere“ an, eine soziale Aus-
grenzung, die auf spezifischen wir-sie-Dichotomien basiert und auch bei den
anderen Topoi, die hier identifiziert wurden, involviert ist. Der vielleicht interes-
santeste Aspekt der hier analysierten Debatte ist die Weise, wie sie diese Dicho-
tomien aufdeckt und aufzeigt, wie sie zu einer gemeinsamen sprachideologischen
Basis der verschiedenen Topoi beitragen.
13
Die betreffenden Dichotomien operieren auf zwei Ebenen: (1) auf der gene-
rellen Ebene sozialer Schichten, auf der Kiezdeutsch-Sprecher/innen als sozial
niedriger stehend konstruiert werden, und (2) auf einer spezifischeren Ebene von
„Ethnizität“, auf der sie als Mitglieder einer alloethnischen out-Group augegrenzt
werden. Auf beiden Ebenen wird Kiezdeutsch als indexikalisch für eine soziale
Gruppe wahrgenommen, die als „Andere“ konstruiert und als niedriger stehend
abgewertet werden. Die folgenden Belege geben verschiedene Beispiele hierfür:
(7) „Womit ich „Kiezdeutsch“ assoziiere: – Ungebildete, primitive männliche Jugendliche
– Gewaltbereitschaft, Aggressivität, Pöbelei – düstere, grimmige Visagen – Machotum,
Frauenverachtung – Protzerei mit Äußerlichkeiten (Goldkettchen, Auto...) – Hass auf die
Gebildeten und auf diejenigen, die sich durch eigene Arbeit einen gewissen Wohlstand
geschaffen haben – Hass auf Juden und Homos.“ Leserbrief, Fokus Online, 12/02/2012
(8) „Man sollte die „Kiezsprache“ einfach als gegeben hinnehmen. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass Gebildete es ernsthaft ablehnen, dass man Ungebildete an der Sprache
erkennt. So erspart man sich doch überflüssige Kontakte.“ Leserbrief, UniSPIEGEL,
29/03/2012
(9) „Ach, wenn sie doch nur wüssten, wie sie sich durch Sprache, Körperkunst und
Kleidung zur untersten Kaste gehörend kennzeichnen. Eine Lebensführung auf Niveau
Mindestlohn, HartzIV wird so vorprogrammiert.“ Leserbrief, Bild 18/02/2012
(10) „Unterschichtendialekt […], der überwiegend von Migranten mit türkisch-arabischem
Hintergrund gesprochen […] wird“ Email, 27/02/2012
Wie diese Belege aus unterschiedlichen Bereichen illustrieren, lassen sich die
Dichotomien, die hier deutlich werden, über Subkorpora hinweg nachweisen.
Explizite Aussagen hierzu sind besonders häufig in Emails, in denen sie in über
einem Drittel (36,8%) der Fälle auftreten, in Kommentaren zu Boulevardzeitun-
gen (24,8%) und zu rechtslastigen Medien (21,4%).
In den folgenden beiden Abschnitten betrachte ich die beiden hier relevanten
Domänen für wie/sie-Dichotomien kurz einzeln.
4.3 SozialeSchicht
In der Domäne der sozialen Schicht werden Kiezdeutsch-Sprecher/innen als sozi-
ale Gruppe konstruiert, die gesellschaftlich niedriger steht als die dominante wir-
Gruppe und als solche von den Schreiber/inne/n, die sich selbst als Mitglieder
jener Gruppe verstehen, unterschieden ist.
Die Statusabwertung der Kiezdeutsch-Sprecher/innen wird realisiert über
Themen wie Unterschicht (z.B. „Prolls“, „Asos“, „niedrige Kaste“, „Ghetto“,
„Gossensprache“), Armut (z.B. „arm“, „Hartz IV“), Bildungsmangel (z.B. „unge-
bildet“, „bildungsfernes Milieu“, „Schulversagen“), Aggression und Kriminalität
14
(z.B. „aggressiv“, „Gewalt“, „Provokation“, „kriminell“, „Terrorismus“, „Gangs-
ter“), Kulturlosigkeit (z.B. „unkultiviert“, „primitiv“, „kulturlos“, „kultureller
Niedergang“). Die beiden Letzteren sind dabei häufig mit einem Widerstand ge-
gen liberale Werte assoziiert, wie dies etwa in (7) oben deutlich wird (für ähnliche
Befunde aus vergleichbaren Debatten in Frankreich, Schweden und Großbritanni-
en vgl. Pooley 2008, Milani 2010, Kerswill 2013).
In einer Reihe von Fällen wird die soziale Ausgrenzung von Kiezdeutsch-
Sprecher/inne/n dadurch verstärkt, dass Schreiber/innen starke emotionale und
physische Reaktionen sozialer Aversion ausdrücken und Kiezdeutsch etwa als
„ekelhaft“, „widerlich“ oder „gruselig“ beschreiben, davon sprechen, dass sie
„kotzen“ müssten, sich ihnen „die Nackenhaare heben“ oder „die Fußnägel hoch-
drehen“.
Die Konstruktion von Kiezdeutsch-Sprecher/inne/n als aggressiv wird häufig
durch angebliche, von den Schreiber/inne/n konstruierte Sprachbeispiele gestützt,
die von Pejorationen, Beleidigungen und Drohungen dominiert sind. Diese Bei-
spiele stellen eine sprachliche Besitznahme dar, bei der Schreiber/innen mit der
Stimme des „Anderen“ sprechen und durch den Kontrast zur eigenen sprachlichen
und sozialen Identität die Abgrenzung zu der betreffenden Gruppe verstärken.
Insbesondere in den Emails, aber auch in Kommentaren auf Medienseiten, ermög-
licht eine solche Aneignung den Schreiber/inne/n sprachliche Tabubrüche und
den Gebrauch gewalttätiger Drohungen, Beleidigungen und Beschimpfungen
(z.B. „du alte Scheiße“, „Bitch“, „Ey Pussy“, „yalla - verpiss dich“ „lan sick
dich“, „Isch mach dich Krankenhaus“). (11) und (12) geben Illustrationen aus
einer Email und einem Leserkommentar:
(11) „Ey, bissu voll krass behindert? Kanaksprak is voll nich cool, weil kriegst du keine
richtige Job, weisdu? Ey, weis-wie-isch-mein? Höchstens voll schwule Professorentitel für
Sozialfickdings, wie Du! Aber scheißegal, zahlt ja Steuerkartoffel! Ey figgdisch und schö-
ne Grüße [Name]“ Email, 29/02/2012
(12) „Weischt du, das Bitch Heike versteht konkret... :-)“ Leserbrief, Der Westen,
29/01/2012
Wie an diesen Beispielen noch einmal deutlich wird, konstituiert dieser Gebrauch
vorgeblicher „Kiezdeutsch“-Beispiele einen speziellen Fall des „Crossing“ im
Sinne Ramptons (1995): In diesem Fall verwenden Schreiber/innen die Stimme
des konstruierten „Anderen“, um sich in einer Weise verhalten zu dürfen, die
normalerweise tabuisiert wäre, und betonen so die Verortung des „Anderen“ au-
ßerhalb der Grenzen ihrer eigenen sozialen Gruppe. „Crossing“ dient hier somit
gerade nicht der Markierung von Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Gruppe,
sondern der Ausgrenzung und soziokulturellen Stigmatisierung einer anderen
Gruppe über die sprachliche Ebene (vgl. hierzu auch Siebold, Kapitel IV.2 in
15
diesem Band, zur Karikatur gruppenspezifischen Sprachverhaltens als Mittel zum
Ausdruck negativer Einstellungen und Demarkationen).
In Einklang mit dieser sozialen Ausgrenzung von Kiezdeutsch-
Sprecher/inne/n wird die regionale Assoziation traditioneller deutscher Dialekte
oft mit einer Lokalisierung für Kiezdeutsch kontrastiert, die nicht eine bestimmte
geographische Region identifiziert, sondern generell Gebiete mit niedrigem sozia-
len Status. Im folgenden Beleg wird dies mit einer alloethnischen Charakterisie-
rung von Kiezdeutsch als „Türkendeutsch“ verbunden:
(13) „Dialekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie in bestimmten Regionen gesprochen
werden. Das als „Kiezdeutsch“ verharmloste Türkendeutsch wird dagegen in herunterge-
kommen Gegenden gesprochen, wo die Bildung und die Integrationsfähigkeit gering sind.“
Leserbrief, UniSPIEGEL, 29/03/2012
Die ethnisch neutrale Bezeichnung „Kiezdeutsch“ wird hier als „Verharmlosung“
abgelehnt und durch „Türkendeutsch“ ersetzt. Dies impliziert eine Eingrenzung
auf eine Gruppe, die nicht als Teil der deutschen Sprechergemeinschaft charakte-
risiert wird. Diese Eingrenzung ist ein wiederkehrendes Thema in den Daten und
bildet die Basis für die zweite zentrale wie/sie-Dichotomie: eine Dichotomie, die
auf ethnischen Grenzziehungen beruht und Sprecher/innen aus der „deutschen“
wir-Gruppe ausschließt.
4.4 ‚Ethnien‘
Neben generellen Konstruktionen der Sprecher/innen als „Ausländer“ oder „Mig-
ranten“ beziehen sich (allo-)ethnische Konzeptualisierungen zumeist auf türki-
sche, arabische und kurdische Familienhintergründe. Hierbei ist zu beachten, dass
Ethnien grundsätzlich nicht a priori bestehende, feste Klassen sind, sondern ver-
änderliche und sozial konstruierte Zuschreibungen: Wer z.B. als „türkisch“, wer
als „kurdisch“, wer als „deutsch“ zählt, aber auch wer als „Migrant“ gilt, ist nicht
so sehr an Fakten zu Geburtsort, Mehrsprachigkeit oder Zuwanderungsgeschichte
der Familie gebunden, sondern an soziale Interpretationen und kann sich je nach
Kontext und Perspektive ändern. Die Ethnisierung von Kiezdeutsch, die in den
Daten zu beobachten ist, involviert somit zwei Prozesse: zum einen die Ein-
schränkung der Sprechergemeinschaft auf eine bestimmte Gruppe, zum anderen
die Zuschreibung nicht-deutscher Ethnizität(en) zu dieser Gruppe. Zusammenge-
nommen liefert dies die Basis für eine Reinterpretation von Kiezdeutsch als
Sprachgebrauch einer Sprechergruppe, die von der als „deutsch“ wahrgenomme-
nen wir-Gruppe abgegrenzt wird.
Diese alloethnische Grenzziehung liefert die Basis für eine besonders starke
Ablehnung von Kiezdeutsch als Dialekt und wiegt dabei, wie der folgende Beleg
deutlich macht, stärker als Grenzen der sozialen Schicht:
16
(14) „Kiezdeutsch ist kein Dialekt,es ist noch nicht mal Proletendeutsch! Sowas nennt man
höchstens Tarzandeutsch.“ Leserbrief, rp-online, 22/04/2012
Die xenophoben Untertöne, die in dieser Domäne vorherrschen, treten besonders
deutlich in den Bezeichnungen hervor, für die Schreiber/innen anstelle von
„Kiezdeutsch“ plädieren, oft noch in Verbindung mit Demarkationen der sozialen
Schicht. Die folgenden Belege aus einer ganzen Bandbreite von Quellen im Kor-
pus illustrieren dies:
(15) „Kietzdeutsch? Türkenproll-Dialekt wäre wohl richtiger“ Leserbrief, rp-online,
22/04/2012
(16) „Das ist kein Kiezdeutsch, das ist „Ghettostylemigrantendeutsch“, das ist das Letzte!
Neuer Dialekt, lächerlich“ Leserbrief, Bild, 17/02/2012
(17) „Was die als „Kiezdeutsch“ bezeichnet, ist nichts anderes als kanakengequassel“
Deutschland-Echo, 29/01/2012
(18) „Kiezdeutsch Schon dieser Terminus ist ein Euphemismus für ehemals „Kanack“ und
ohne wenn und aber kein Dialekt“ Leserbrief, UniSPIEGEL, 29/03/2012
(19) „Kiezdeutsch oder wie immer sie diese Kanackensprache nennen wollen, soll ein Dia-
lekt sein? So reden wie der Name schon sagt Kanacken!“ Email, 28/02/2012
Das folgende Zitat aus einem Leserkommentar zum UniSPIEGEL stellt eine Kau-
salverbindung zwischen Dialektbesitz und der Zugehörigkeit zu deutschen
„Volksstämmen“ her, von der Kiezdeutsch-Sprecher/innen als „Türken“ ausge-
nommen werden – um dann, etwas widersprüchlich, beschuldigt zu werden, sich
nicht zu integrieren:
(20) „Die Schwaben und Bayern sind deutsche Volksstämme und haben deshalb ihren ei-
genen Dialekt. Kiezdeutsch, besser wäre Türkendeutsch, steht für mangelnde Integrations-
bereitschaft.“ Leserbrief, UniSPIEGEL, 29/03/2012
Die ethnische Grenzziehung, die hier wirksam wird, wird oft noch durch eine
religiöse Assoziation von Kiezdeutsch-Sprecher/inne/n mit dem Islam verstärkt,
der in diesem Kontext generell negativ und als weiteres Allo-Merkmal gegenüber
der wir-Gruppe wahrgenommen wird. Dies passt etwa zu Befunden des aktuellen
„Religionsmonitors“ der Bertelsmann-Stiftung, demzufolge „der Islam […] von
vielen Deutschen als etwas Fremdes, Andersartiges und Bedrohliches empfun-
den“ wird (Pollack / Müller 2013, 56). (21) illustriert, wie in den Korpusdaten die
Ablehnung von Kiezdeutsch als Dialekt mit einer Abwertung von Muslimen ver-
bunden wird:
(21) „Das ist schlicht und ergreifend kein Dialekt sondern einzig und allein der unfähig der
Muslime geschuldet die deutsche Sprache zu erlernen.“ Leserbrief, pi-news, 26/05/2009
17
Eine weitere sprachideologische Stütze für die ethnische Dichotomie, die in der
Debatte zu beobachten ist, ist die sprachliche Ausgrenzung mehrsprachiger Spre-
cher/innen aus einer „deutschen“ wir-Gruppe, insbesondere bei Sprecher/inne/n,
deren Herkunftssprache einen niedrigen sozialen Marktwert besitzt. Zum einen
führt ein verbreiteter monolingualer Bias zur Wahrnehmung von kindlicher
Mehrsprachigkeit als problematisch (vgl. etwa Gogolin 2994), und ein „Migrati-
onshintergrund“ wird als grundlegende Hürde für den Erwerb von Deutschkom-
petenzen angesehen: Mythen zur „doppelten Halbsprachigkeit“ sind in der öffent-
lichen Debatte ebenso verbreitet wie im Bildungsbereich, und „Migrationshinter-
grund“ ist dort eng mit „Sprachförderbedarf“ assoziiert (vgl. auch Scarvaglieri /
Zech 2013 zu Daten aus korpusbasierten Kookkurrenzen hierzu). Dies kann so
weit gehen, dass z.B. die Berliner Senatsverwaltung den reinen Anteil von Kin-
dern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund als negativen Faktor für den
Entwicklungsindex eines Wohngebiets zählt.
Zum anderen tragen verbreitete Benennungspraktiken dazu bei, bestimmten
Zuwanderern und ihren Nachkommen genuines „Deutschsein“ abzusprechen.
Während „Russlanddeutsche“ morphologisch-kompositionell als „Deutsche“
charakterisiert sind, werden beispielsweise Einwohner/innen türkischer Herkunft
typischerweise als „Deutschtürken“ bezeichnet, d.h. weiterhin semantisch als
„Türken“, nicht als „Deutsche“ klassifiziert, auch wenn sie bereits zu der zweiten
oder dritten Generation gehören, die in Deutschland geboren und aufgewachsen
ist (vgl. hierzu auch Wiese 2012, Kap.7.3). An diesem Kontrast wird, ähnlich wie
in dem obigen Beispiel zur Akzeptanz von Kiezdeutsch vs. Texasdeutsch als
deutschen Dialekt, das Wirksamwerden eines sprachideologischen Ius sanguinis
deutlich: die Konstruktion sozialer Gruppen und ihres Sprachgebrauchs als
„deutsch“ vs. „nicht-deutsch“ entsprechend einer wahrgenommenen Verwandt-
schaftsbeziehung zur „deutschen“ wir-Gruppe.
Solche Benennungpraktiken sind so stark verbreitet, dass sie sich z.T. auch
unreflektiert in wissenschaftlichen Publikationen finden, wenn z.B. mehrsprachi-
ge Jugendliche, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, als „serbo-
kroatischer Sprecher“, „türkischer Sprecher“ u.ä. bezeichnet werden (vgl. demge-
genüber inklusive Bezeichnungen wie „Italo-Deutsche“ und „Turk-Deutsche“ für
Bilinguale in Kotthoff, Kap. IV-4 in diesem Band).
Im politisch-gesellschaftlichen Bereich hat die Einführung der Kategorie
„Migrationshintergrund“ eine Funktion, die ebenfalls ein entsprechendes Ius san-
guinis reflektiert: Wie Scarvaglieri / Zech (2013) in einer funktional-
semantischen Analyse des Gebrauchs dieses Begriffs beschreiben, wurde der
Ausdruck wesentlich mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts populär,
nachdem mehr Einwohner/innen die deutsche Staatsangehörigkeit erhielten, die
zuvor als „Ausländer/innen“ galten, etwa weil sie selbst oder die Eltern Zuwande-
rer waren. Die Kategorie „Migrationshintergrund“ erlaubt es, diese Gruppe inner-
halb der Klasse der „Deutschen“ abzugrenzen und weiterhin in eine gemeinsame
18
Klasse mit „Ausländer/inne/n“ zu fassen. Die durch das neue Staatsbürgerschafts-
recht faktisch nun stärker durchlässige Gruppe der „Deutschen“ wird damit als
wir-Gruppe der Deutschen ohne „Migrationshintergrund“ wieder als undurchläs-
sig konstruiert.
Die scheinbare Unmöglichkeit, jemanden türkischer Herkunft als „Deut-
schen“ zu bezeichnen und sprachlich zur wir-Gruppe zu zählen, führt teilweise zu
erstaunlichen Wendungen bis hin zu faktischen Falschdarstellungen, nicht nur im
informellen Bereich, sondern auch in editierten Medienberichten. Drei Beispiele
vom Frühjahr 2013 aus dem Berliner Tagesspiegel, der sich an eine eher bil-
dungsbürgerliche, liberale Leserschaft richtet, sollen das Phänomen hier kurz
illustrieren.
So berichtet ein Artikel zur „Bildung nach Pisa“ – nicht zufällig im Zusam-
menhang mit Sprachförderbedarf – über Grundschüler/innen: „Beim ersten Pisa-
Bericht 2000 kam jeder fünfte Grundschüler aus einer nicht-deutschen Familie,
jetzt ist es schon jeder dritte“ (Tagesspiegel vom 7.12.2013). Tatsächlich gelten
die entsprechenden Zahlen für Schüler/innen mit Migrationshintergrund, deren
Familien hier jedoch unmittelbar als „nicht-deutsch“ klassifiziert werden.
Ein Artikel über ein Bombenattentat beschreibt zwei Verdächtige, die in
Wien und Berlin festgenommen worden waren, als „der afghanischstämmige
Österreicher und der Deutschtürke“ (Tagesspiegel vom 17.4.2013) – eine unge-
wöhnlich holprige Koordination anstelle des eigentlich näher liegenden Paralle-
lismus mit „… und ein türkischstämmiger Deutscher“.
Als zum ersten Mal ein Kinofilm aus der Türkei seine Premiere in Deutsch-
land feierte, wurde der türkische Regisseur Yilmaz Erdoğan, der für die Premiere
nach Berlin gekommen war und dort von einer begeisterten Menschenmenge
empfangen wurde, im Tagesspiegel mit der Äußerung zitiert „Ich liebe die Berli-
ner und merke, dass die Berliner uns Türken lieben.“ Dieses Zitat wurde unmit-
telbar gefolgt von der qualifizierenden Kommentierung „Zumindest seine Lands-
leute mit Berliner Wohnsitz“ (Tagesspiegel vom 23.2.2013). Diese Qualifizierung
wurde offensichtlich als notwendig erachtet, damit Leser/innen verstehen konn-
ten, dass „Berliner“ in Erdoğans Aussage nicht ausschließlich auf einsprachig
deutsche Berliner begrenzt war, sondern auch solche mit türkischen Sprachkennt-
nissen einbezog (der Film wurde, wie der Tagesspiegel-Artikel weiter fortfuhr, im
türkischen Original mit deutschen Untertiteln gezeigt). Letztere wurden hier pau-
schal als „Landsleute“ Erdoğans und damit als Türken klassifiziert.
Diese Beispiele illustrieren noch einmal die verbreitete Abgrenzung, die die
hier untersuchte Dichotomie stützt und gerade auch auf sprachlicher Ebene wirk-
sam wird: eine Abgrenzung, die eine „deutsche“ wir-Gruppe auf der Basis ethni-
scher Zuschreibungen und monolingualer Ideale definiert und diejenigen, die
hierdurch als „Andere“ konstruiert werden, aus dieser Gruppe ausschließt. Diese
Konstruktion sozialer Gruppen spielt, wie in der vorliegenden Fallstudie deutlich
19
wurde, eine zentrale Rolle in der Debatte um Kiezdeutsch und seine Spre-
cher/innen und die Eigentümerschaft für deutsche Dialekte.
5 Fazit:KiezdeutschSprecher/innenalsdie
„Anderen“
Die vorliegende Untersuchung hat für das Fallbeispiel „Kiezdeutsch“ zwei zentra-
le wir/sie-Dichotomien nachgewiesen, die hier in der sprachlichen Konstruktion
sozialer Gruppen wirksam werden: Kiezdeutsch-Sprecher/innen werden im öf-
fentlichen Diskurs in zwei Domänen als die „Anderen“ konstruiert und so aus der
wir-Gruppe ausgeschlossen. Zum einen werden sie als Angehörige einer niedrige-
ren sozialen Schicht gedeutet und hier als ungebildet und unkultiviert assoziiert.
Diese Konstruktion stützt eine Abwertung des Sprachgebrauchs als schlechtes
oder fehlerhaftes Deutsch und der Sprecher/innen als sozial niedriger stehend und
weniger kompetent. Demgegenüber wird die wir-Gruppe als Teil einer höheren
sozialen Schicht, gebildeter und mit entsprechend höher bewerteten Sprachkom-
petenzen einschließlich des „Hochdeutschen“ konstruiert.
Diese erste Dichotomie schließt Kiezdeutsch-Sprecher/innen aus der Gruppe
der „Hochdeutsch“-Sprecher/innen aus, berührt jedoch nicht den Bereich um-
gangssprachlicher und dialektaler Varianten, die vom Standarddeutschen abwei-
chen und damit typischerweise generell als weniger hochstehend und oft auch als
fehlerhaft wahrgenommen werden (vgl. etwa Milroy / Milroy 1999 zu Stan-
dardsprachideologien, Davies 2012 detailliert für Deutschland).
So sind traditionelle regionale Dialekte heute auch Soziolekte in dem Sinne,
dass ausgeprägter Dialektgebrauch als ein Marker für niedrigere soziale Schichten
interpretiert wird. Durch den Bezug zu einer möglichen Dialekt-Einordnung von
Kiezdeutsch lieferte die Debatte daher interessante weiter gehende Daten zur
Konstruktion von Kiezdeutsch-Sprecher/inne/n: Die Analyse konnte hier eine
zweite, grundlegendere Dichotomie aufdecken, die wesentliche Verknüpfungen
von sozialen Gruppen mit sprachlicher Eigentümerschaft und Legitimation zeigte.
Diese Dichotomie ist eine der ethnischen Zugehörigkeit und basiert auf einem
spezifischen Narrativ darüber, was es heißt deutsch zu sprechen und wem deut-
sche Dialekte gehören. Ein zentraler Aspekt, der hier deutlich wurde, ist die
sprachideologische Wirksamkeit eines Ius sanguinis, das als Sprecher/innen des
Deutschen nur solche zulässt, die als verwandt mit der wir-Gruppe wahrgenom-
men werden. Kiezdeutsch-Sprecher/innen werden hier als ethnisch „Andere“
konstruiert.
Während Unterschiede der sozialen Schicht, auf die die erste Dichotomie ab-
hebt, eher als graduell und stärker durchlässig erscheinen, ist die „ethnische“
Unterscheidung in „deutsch“ vs. „nicht-deutsch“, auf der diese zweite Dichotomie
20
basiert, kategorial und undurchlässiger. Sie führt damit, anders als die erste Di-
chotomie, nicht nur zu einer Abwertung, sondern zu einer Ausgrenzung von
Kiezdeutsch-Sprecher/inne/n. Abbildung 1 stellt die Wirksamkeit der beiden Di-
chotomien graphisch dar.
Abbildung 1: wir/sie-Dichotomien in der Konstruktion von Kiezdeutsch-
Sprecher/inne/n als die „Anderen“
Wie die Abbildung noch einmal illustriert, basiert die Konstruktion von Kiez-
deutsch-Sprecher/inne/n als die „Anderen“ auf der Zuschreibung von Charakteris-
tika (niedrige soziale Schicht, nicht-deutsch), die bestimmte Wahrnehmungen und
Einstellungen gegenüber der betreffenden Sprechergruppe reflektieren, nicht
jedoch ihre tatsächliche Zusammensetzung, wie sie in Abschnitt 2 deutlich wurde.
Sie bringt damit zum einen ausgrenzende Uminterpretationen mit sich, etwa die
von mehrsprachigen Sprecher/inne/n als „nicht-deutsch“ und die von Spre-
cher/inne/n, die nicht aus der Mittelschicht stammen, als sprachlich weniger
kompetent. Zum anderen beinhaltet sie ein „Erasure“, d.h. eine Negierung bzw.
perzeptuelle Löschung, von Sprecher/inne/n, die nicht in diese Wahrnehmung
passen, etwa einsprachig deutsche Sprecher/innen oder solche, die der Mittel-
schicht angehören.
Die untersuchte Debatte erhellt damit beispielhaft wesentliche Prozesse bei
der sprachlichen Konstruktion sozialer Gruppen, die Art von Dichotomien, die
hierbei wirksam werden, und die Zuschreibung und Funktion von Gruppenmerk-
malen, auf die sie rekurrieren. Die Debatte um Kiezdeutsch als Dialekt ist, wie
hier deutlich wurde, dabei besonders geeignet, zentrale sprachideologische Zu-
sammenhänge von sozialer Zugehörigkeit und sprachlicher Eigentümerschaft und
Legitimation aufzudecken.
wir-
Gruppe
Kiezdeutsch-
Sprecher/innen
Soziale
Schicht:
Abwertung
Ethnische Zugehörigkeit:
Ausgrenzung
„deutsch“
„nicht-deutsch“
„höhere
Schicht“
„niedrigere
Schicht“
21
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... In Germany, our field of investigation, public discourses tend to construct multiethnolect users-or people who are perceived as such, although they may not identify with this way of speaking-as 'outsiders' foreign to German nonstandard practices (Wiese, 2015(Wiese, , 2017. The notion of 'impoverished' language of people 'with migration background' indeed goes far beyond the low prestige attached to regional dialectal forms (Wiese, 2015(Wiese, , 2017. ...
... In Germany, our field of investigation, public discourses tend to construct multiethnolect users-or people who are perceived as such, although they may not identify with this way of speaking-as 'outsiders' foreign to German nonstandard practices (Wiese, 2015(Wiese, , 2017. The notion of 'impoverished' language of people 'with migration background' indeed goes far beyond the low prestige attached to regional dialectal forms (Wiese, 2015(Wiese, , 2017. Although standard languages ideologies are pervasive in various contexts, a German specificity revolves around the idea that Kiezdeutsch, contrary to other varieties, would not deserve the status of a dialect, which is attached to regional varieties (Wiese, 2015(Wiese, , 2017. ...
... The notion of 'impoverished' language of people 'with migration background' indeed goes far beyond the low prestige attached to regional dialectal forms (Wiese, 2015(Wiese, , 2017. Although standard languages ideologies are pervasive in various contexts, a German specificity revolves around the idea that Kiezdeutsch, contrary to other varieties, would not deserve the status of a dialect, which is attached to regional varieties (Wiese, 2015(Wiese, , 2017. ...
Article
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Drawing on interview data on Kiezdeutsch, we argue that a focus on gendered language ideologies is much needed to understand the social meanings ascribed to multiethnolectal practices. By attuning carefully to the nuanced, subjective ideological stances of young multilingual women, we show that at the interactional level, Kiezdeutsch is constructed as a consequence of the interviewees' multilingual practice and thus activates a sense of belonging and entitlement. At the macro level, however, the belonging to a multilingual speech community is tied up with the representation of a racialized and ethnicized ‘other’ in the mainstream, dominant public discourse prevalent in Germany. As young males are the more salient figure in the construction this racialized and ethnicized ‘other’, Kiezdeutsch then becomes indexed with masculinity—even within the peer group. Saying that Kiezdeutsch is used among friends thus presents only a partial picture on how, for girls and young women, using Kiezdeutsch becomes socially sanctioned both in the public sphere and in private settings.
... Thematically, conceptually and philosophically this paper contributes to the interdisciplinary field of applied linguistics. Scholars are here increasingly calling for the inclusion, even the centering, of race as an important analytics (Makoni et al. 2023)in the German context not often directly via the term 'race' (see however Oldani and Truan 2022) but for example via notions of 'ethnische Zuschreibungen' [ethnic ascriptions] (Wiese 2017). On the one hand, this is driven by concerns about the marginalization of, and systemic discrimination against, racialized student and teacher populations in education (Flores et al. 2021;Flores and Rosa 2015;Wiese et al. 2017). ...
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This paper emerged from an encounter with the Black Lives Matter placard I understand that I will never understand but I stand with you in Leipzig, Germany, and it centers white understanding as a constitutive practice of whiteness. This is mainly a theoretical contribution (learning towards the philosophical), although it includes some interview data and observations from protest participation. I contribute to raciolinguistics by reading the concept of the white listening subject through Barad’s new materialist notion of apparatuses, asking what exactly constitutes white understanding. This allows me to bring out the potentials and pitfalls (i.e. the counter/productivity) of white understanding as a reflective practice, which I put into conversation with my embodied practice of under-standing (i.e. standing under) the placard at a BLM protest in Berlin. I show how the white body is measured by a Black norm in the protest space, producing a productive discomfort filled with opportunities for becoming response-able towards the Black Other, but also towards whiteness. Considering the ethico-esthetic framing of this collection, I pursue an aesthethics of wor(l)ding that inter-rupts, dis/entangles, and walks around with and in words. It gestures towards what we usually leave out when pursuing one analytical avenue over another.
... Social class and education. Kiezdeutsch has been shown to be part of the linguistic repertoires of adolescents across different educational tracks and backgrounds (Wiese 2018). At the same time, many inhabitants in the multilingual urban neighbourhoods that constitute its core domain are socioeconomically disadvantaged (Freywald et al. 2011;Wiese 2012), and speakers from disadvantaged backgrounds have been the focus in some studies (cf. ...
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Using the cover term "Kiezdeutsch", we discuss urban contact dialects in Germany, drawing on different lines of research with different conceptual/theoretical backgrounds. We look at the setting of Kiezdeutsch, a society whose strongly dominant monolingual habitus contrasts with its linguistically highly diverse makeup (Section 1); give pointers to pertinent corpora that are available through open access and to the different research foci for Kiezdeutsch so far (Section 2); and provide an overview of findings at grammatical, pragmatic, lexical, and prosodic levels (Section 3). Finally, we summarise sociolinguistic findings from the Kiezdeutsch corpora, including domains of usage and the attitudes and perceptions evident in the macro context (Section 4).
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Una de las metas de aprendizaje establecidas en el Marco Común Europeo de Referencia para las lenguas (MCER) es el desarrollo de la competencia sociolingüística en los aprendientes de lenguas extranjeras. A través de esta competencia se pretende conseguir que los aprendientes realicen un uso social correcto de la lengua meta, siendo conscientes de las distintas variedades lingüísticas y registros que la componen y de las dimensiones sociales que en ella aparecen. El presente artículo tiene como objetivo fomentar la competencia sociolingüística en el alumnado de alemán como lengua extranjera a través del tratamiento de la variedad lingüística del multietnolecto alemán. Por un lado, se mostrará el origen, desarrollo e implicaciones sociales del multietnolecto. Por otro lado, se discutirán los beneficios de introducir la variedad en el aula y se establecerán las pautas para su tratamiento.
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Die Studie entwirft auf der Basis eines sozio-kognitiven Wissensbegriffs ausgehend von den alltäglichen Lebenswelten ein umfassendes Modell laienlinguistischen Wissens, das mittels einer empirischen Untersuchung plausibilisiert wird. Zudem findet zum ersten Mal eine umfassende Modellierung des Laien statt. Am Ende stehen damit ein theoretisch fundiertes Bild des linguistischen Laien sowie umfassend analysierte Daten zu Sprachkonzepten im Alltag.
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Nach den regelmäßig alle fünf Jahre erhobenen Daten des Auswärtigen Amts haben im Jahr 2020 weltweit 15,45 Millionen Menschen Deutsch als Fremdsprache gelernt (vgl. Auswärtiges Amt 2020: 9). Hinzu kommt eine nicht genau bekannte, aber ebenfalls in zweistelliger Millionenhöhe zu beziffernde Zahl von Menschen, die selbst oder deren Familien in den letzten Jahren und Jahrzehnten in den amtlich deutschsprachigen Raum zugewandert sind und die Deutsch als Zweitsprache lernen oder gelernt haben. Dabei sind die je individuellen Voraussetzungen und Motive, die Wünsche, Hoffnungen und Ziele, die die Menschen mit dem Erlernen des Deutschen als Fremd- oder Zweitsprache verbinden, ebenso vielfältig und verschieden wie die sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen, unter denen das Lernen jeweils stattfindet.
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Manuscript / Authors’ copy: a shorter version will appear as a contribution to HSK 30.4, "Language & Space: Deutsch" (de Gruyter), eds. Joachim Herrgen & Jürgen Erich Schmidt; Chapter 38.
Article
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This article investigates a public debate in Germany that put a special spotlight on the interaction of standard language ideologies with social dichotomies, centering on the question of whether Kiezdeutsch , a new way of speaking in multilingual urban neighbourhoods, is a legitimate German dialect. Based on a corpus of emails and postings to media websites, I analyse central topoi in this debate and an underlying narrative on language and identity. Central elements of this narrative are claims of cultural elevation and cultural unity for an idealised standard language ‘High German’, a view of German dialects as part of a national folk culture, and the construction of an exclusive in-group of ‘German’ speakers who own this language and its dialects. The narrative provides a potent conceptual frame for the Othering of Kiezdeutsch and its speakers, and for the projection of social and sometimes racist deliminations onto the linguistic plane. (Standard language ideology, Kiezdeutsch, dialect, public discourse, Othering, racism by proxy)* Open Access: doi:10.1017/S0047404515000226
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The language of young people is central in sociolinguistic research, as it is seen to be innovative and a primary source of knowledge about linguistic change and the role of language. This volume brings together a team of leading scholars to explore and compare linguistic practices of young people in multilingual urban spaces, with analyses ranging from grammar to ideology. It includes fascinating examples from cities in Europe, Africa, Canada and the US to demonstrate how young people express their identities through language, for example in hip-hop lyrics and new social media. This is the first book to cover the topic from a globally diverse perspective, and it investigates how linguistic practices across different communities intersect with age, ethnicity, gender and class. In doing so it shows commonalities and differences in how young people experience, act and relate to the contemporary social, cultural and linguistic complexity of the twenty-first century.
Chapter
Studies in French Applied Linguistics invites the reader to adopt a broad perspective on applied linguistics, illustrating the fascinating multifaceted work researchers are conducted in so many various, inter-connected subfields. The five chapters of the first part are dedicated to the first and second language acquisition of French in various settings: First language acquisition by normal children from a generative perspective and by children with Specific Language Impairment; second language acquisition in Canadian immersion settings, from a neurolinguistic approach to phonology and natural language processing and CALL. The six chapters of the second part explore the contribution of French in various subfields of applied linguistics such as an anthropological approach to literacy issues in Guadeloupean Kréyòl, literacy issues in new technologies, phonological and lexical innovations in the banlieues, French in North Africa, language planning and policy in Quebec, as well as the emerging field of forensic linguistics from an historical perspective.