Content uploaded by Simonetta Carbonaro
Author content
All content in this area was uploaded by Simonetta Carbonaro on Jan 26, 2016
Content may be subject to copyright.
Form follows Sense – Staatspreis Innovation 1 / 11
Innovation Talk - Staatspreis Innovation 2008
Austria Wirtschaftsservice, Wien, den 12. Februar, 2009
Key-note:
FORM FOLLOWS SENSE. NEUE INNOVATIONS- UND DESIGNSTRATEGIEN
IN KRISENGESCHÜTTELTEN ZEITEN.
Prof. Simonetta Carbonaro, Dr Christian Votava
Während in vielen Ländern der Welt an einem der mächtigsten
Konjunkturprogramme seit der großen Depression und Roosevelts „New Deal“ vor 75
Jahren gestrickt wird, dürfen wir nicht so tun als wäre nichts geschehen, wenn wir
über Innovation und Design sprechen. Wenn wir nämlich Auslöser und Ursachen der
aktuellen Wirtschaftskrise voneinander unterscheiden, dann werden wir feststellen,
dass wir heute nicht einfach nur durch die Rezessionsphase eines normalen
Wirtschaftszyklus gehen. Wir befinden uns vielmehr in einem tiefgreifenden Umbruch
unserer westlichen Konsum- und Wohlstandsgesellschaften. Dieser Umbruch hat vor
ca. 30 Jahren schleichend begonnen und sich schubweise mit jeder Krise verstärkt.
Von den beiden Ölkrisen in den neunzehnhundertsiebziger Jahren (1970iger)
angefangen über das Platzen der Dotcom-Blase und dem 11. September 2001 bis
zur aktuellen Weltwirtschaftskrise.
Trotz vielfacher Vorwarnungen stehen wir heute ziemlich überrascht vor einem
Kontinuitätsbruch unseres westlichen Entwicklungsmodells, das auf stetiges
materielles Wachstum beruht. Und niemand weiß so richtig, wohin die Reise geht
oder auch nur gehen könnte. Denn das, was uns heute so dringend fehlt ist das
Design einer Zukunft, das Design eines neuen Wohlstands-Verständnisses also, das
uns in diesen krisengeschüttelten Zeiten wieder Hoffnung und die Kraft zur
Veränderung geben kann.
Wenn ich vom Design des Wohlstands spreche, dann benutze ich den Begriff des
Designs in seiner angelsächsischen Bedeutung, die sich nicht nur auf die
Entwicklung und Formgebung von Objekten bezieht, wie dies im deutschen
Sprachraum üblich ist. Unter Design verstehe ich zunächst und vor allen Dingen den
Entwurf von neuen Lebensmodellen, aus denen sich dann, in einem zweiten Schritt,
wirkliche Innovationen in Form von neuen Produkten, neuen Dienstleistungen oder
neuen Prozessen ableiten. Im Gegensatz zu Erfindungen, die meist aus einer rein
technischen oder technologischen Perspektive erfolgen, sprechen diese
Innovationen die Menschen an und setzen mit der ihnen innewohnenden
Überzeugungskraft soziale und kulturelle Transformationen in Gang. Design, meine
Damen und Herren, ist also eines der mächtigsten kulturellen Instrumente und eines
der bedeutendsten in Zeiten des Krise.
Um soziale Innovationen zu designen, muss man sich allerdings zunächst mit den
treibenden Kräfte des Wandels auseinandersetzen. Wir müssen dem
vorherrschenden gesellschaftlichen Paradigma, also den Denk- und
Handlungsmustern unserer Konsum- und Wohlstandsgesellschaft auf den Grund
Form follows Sense – Staatspreis Innovation 2 / 11
gehen, um die Gründe der Veränderung zu verstehen, die einen Paradigmenwechsel
herbeiführen können.
Der Wachstumsschub der Modernen
Wenn wir die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistung der Menschheit verfolgen,
werden wir feststellen, dass sich über mehrere Millionen Jahre kaum etwas getan
hat. Erst am Anfang des 19ten Jahrhunderts begann das Bruttoinlandprodukt der Welt
wahrlich von damals schätzungsweise 600 $ pro Kopf auf heute ca. 6.600 $ pro Kopf
abzuheben. Dieser enorme Wachstumsschub wurde durch einen ganz neuen
Menschentyp ermöglicht, den unsere westlichen Zivilisationen nach dem Homo
Habilis, dem Homo Erectus, dem Homo Sapiens Sapiens über verschiedene
kulturelle Entwicklungsschritte hervorgebracht haben: Der Homo Modernicus.
Dieser Homo Modernicus ist ein rationaler Mensch, der von der Philosophie des
Illuminismus geprägt wurde. Es ist ein freier, solidarischer und demokratischer
Mensch, der sich immer noch an den Werten der französischen Revolution orientiert.
Er ist ein erfinderischer Mensch, der die industrielle Revolution entworfen und
durchgezogen hat. Er ist ein pragmatischer und in wirtschaftlichen Dimensionen
denkender Mensch, der den Kapitalismus und die soziale Marktwirtschaft geschaffen
hat. Aber dieser Homo Modernicus ist auch ein überschwänglicher Mensch, der sich
mit seinem ganzen jungendlichen Eifer in den Hyperkonsum und in die
Globalisierung hineingestürzt hat, um dem exponentiellen Trend des wirtschaftlichen
Wachstums mit konstanten Wachstumsraten weiter auf der Spur bleiben zu können.
Und er ist schließlich auch ein übermütiger Mensch, der sich seit den 1980er Jahren
zunehmend den Verführungen des leichten Geldes an den Finanzmärkten hingibt
und das Interesse an der realen Wirtschaft verliert.
Aufstieg und Fall der Konsumgesellschaft
Nach allgemeinen volkswirtschaftlichen Erkenntnissen beruht dieses über zwei
Jahrhunderte anhaltende wirtschaftliche Wachstum auf sich selbst unterstützende
Prozesse. Auf der Angebotsseite ermöglicht das Wachstum Investitionen in
Forschung und Entwicklung. Daraus gehen technologische Innovationen hervor, die
zu neuen Produkten oder effizienteren Produktionsprozesse führen, was das weitere
Wachstum sichert, sofern auf der Nachfrageseite der Konsum auch stetig zunimmt.
Und dies ist wiederum möglich, wenn das Wachstum zu einer Steigerung des
materiellen Wohlstands der Konsumenten beiträgt, so dass sie die ihnen auferlegte
Rolle als Verbraucher in auch wahrnehmen können,
Der technologische Fortschritt, als die eine Triebfeder des Wachstums konnte viele
Katastrophenszenarien entkräften, die heraufbeschwört wurden. Wie beispielsweise
das Problem des Welthungers, das durch den Zuwachs der landwirtschaftlichen
Produktivität – zumindest rein rechnerisch – gelöst wurde. Allerdings führt die stetige
Industrialisierung unserer Erzeugungs- und Produktionsprozesse zu einer höheren
Umweltbelastung und erzeugt die nächste Generation von Problemen.
Unsere Konsumgesellschaft, als die andere Triebfeder des Wachstums, hat mit
seiner Produktvielfalt bei uns allen ein gewisses Maß an Wohlbefinden und
Lebensfreude erzeugt. Nur bei den herrschenden Klassen des antiken Ägyptens, des
alten Roms oder in der feudalen Aristokratie konnte man solche Reichtümer finden,
wie sie unsere Massenmärkte bieten.
Doch schon Ende der 1970er-Jahre wies der französische Philosoph Jean-François
Lyotard darauf hin, dass die westlichen Zivilisationen der Globalisierung und der IT-
Form follows Sense – Staatspreis Innovation 3 / 11
Revolution nicht gewachsen seien. Er zeigte, wie die neuen Herausforderungen den
inneren Zusammenhalt der modernen Welt – die auf Kohäsion, Kohärenz und
Konformismus beruht – aufzulösen beginnen. Als logische Folge kündigte Lyotard
ein neues Zeitalter an: die Postmoderne. Diese zeichne sich aus durch die Explosion
der Individualität, das Ende der rationalen Haltung gegenüber der Welt, und das
Aufkommen einer fragilen und fragmentierten Weltanschauung, die sich wie ein
Patchwork aus einer Vielzahl von dekonstruierten Bruchstücken der westlichen
Vergangenheit zusammensetzt.
Diese Haltung der Postmoderne führte auch im Marketing zu einem tiefen
Umdenken. Konnten in der Moderne noch standardisierte Massenprodukte die
Bedürfnisse der Konsumenten ansprechen und befriedigen, waren für das unsichere
und fragmentierte Ich des postmodernen Kunden die Hyperrealität und die Fiktion
attraktiver und überzeugender als das Reale. Deshalb begann das Marketing, nicht
mehr die Bedürfnisse der Kunden als Ausgangspunkt des unternehmerischen
Handelns zu betrachten, sondern konzentrierte sich immer stärker auf deren
Wünsche.
Mit dieser Veränderung der Blickrichtung entwickelten sich die westlichen
Ökonomien von einer Wirtschaft des Nutzens zu einer Wirtschaft der Mehrwerte, in
der es mehr auf die symbolischen und immateriellen Werte der Produkte als auf ihre
materiellen und funktionalen Eigenschaften ankommt. In der entstehenden
Traumfabrik wurde das Design zum immer wichtigeren Marketinginstrument zur
Schaffung von Differenzierungsfaktoren und Wettbewerbsvorteilen. Um dieser neuen
Rolle gerecht zu werden, befreite sich das Design vom Diktat der Moderne: Aus
„form follows function“ wurde das dem Zeitgeist angepasste Design-Motto „form
follows fiction“. Da Träume naturgemäß schnell verblassen, treibt das auf Wünsche
anstatt auf Bedürfnisse beruhende Marketingmodell einen Teufelskreis aus
Innovationsdruck und sinkenden Produktlebenszyklen an und überflutet die ohnehin
schon gesättigten Märkte mit regelmäßigen Wellen an hyperdifferenzierten
Produkten.
Heute besitzt jeder Mensch in unseren entwickelten Ländern im Schnitt mehr als
10.000 Gegenstände. Und je mehr Dinge unseren Lebensraum besetzen, umso
oberflächlicher wird unsere Beziehung zu ihnen und umso schneller geraten sie in
Vergessenheit. Wir leben in einem materiellen Überfluss, der uns zunehmend
überdrüssig macht. Und wie jeder Überdruss polarisiert auch unsere „Zuvielisation“
das Konsumverhalten von immer mehr Menschen. Sie schwanken zwischen Kauf-
Bulimie und Kauf-Anorexie, zwischen dem schnellen und sinnlosen Konsum also und
dem standhaften Konsumverzicht hin und her und fühlen sich auf den mittlerweile
gesättigten Märkten unserer Konsumgesellschaft immer verlorener und unwohler.
Ich brauche nicht zu unterstreichen, dass die Antriebskraft unserer
Konsumgesellschaften vom Gleichgewicht zwischen Wirtschaftswachstum einerseits
und materiellem Wohlstand, allgemeinem Wohlbefinden und Zukunftsvertrauen
anderseits abhängt. Es gibt allerdings ernsthafte Zweifel, ob dieses Gleichgewicht
heute wirklich noch eingehalten wird. Die verschiedenen Indikatoren, die das Thema
des Wohlstands zu definieren und zahlenmäßig zu fassen versuchen wie der „Index
of Sustainable Economic Welfare“ (ISEW) zeigen, dass das Wirtschaftswachstum
sich zunehmend von dem Wohlstandswachstum abgekoppelt hat. Die Ökonomen
sind sich prinzipiell darüber einig, dass ein immer größerer Teil des
Bruttoinlandsproduktes aus Reparatur- und Instandhaltungsleistungen unserer
Gesellschaft für das Wirtschaftswachstum besteht. Dieser Teil des Wachstums geht
also völlig am Wohlstand und am privaten Konsum vorbei!
Form follows Sense – Staatspreis Innovation 4 / 11
Der britischen Regierungsberaters Sir Nicholas Stern hat diese Blindleistungen
unserer Wirtschaft in Bezug auf die Umweltschäden und Umweltbelastungen
zahlenmäßig bekräftigt. In seinem vor ca. 3 Jahren veröffentlichtem Bericht, der
Ende Januar dieses Jahres von einer Weltklimastudie von McKinsey erhärtet wurde,
würden die Kosten des Klimawandels auf bis zu 20% des weltweiten
Bruttoinlandsproduktes betragen, falls wir nicht sofort gegensteuern. Die Kosten für
eine notwendige Reduzierung der Treibhausgase wurden dagegen auf ca. 1% des
weltweiten Bruttoinlandsproduktes beziffert!
Für die Ankurbelung der Konjunktur werden in den meisten Ländern proportional
sehr viel höhere Ausgaben veranschlagt! Ob uns allerdings diese Konjunkturpakete
aus der Krise führen können, wird von vielen Experten angezweifelt. Doch auch
diese Experten haben kein Patentrezept. Die Makroökonomie kann heute weder die
Wirkung der vielen unterschiedlichen nationalen wirtschaftspolitischen Maßnahmen
auf komplexe und vernetzte Systeme wie unsere globale Wirtschaft beschreiben,
noch kann sie Aussagen über die Reaktionszeit auf Veränderungsimpulse in solchen
Systemen machen. Wir müssen uns deshalb sehr bewusst sein, meine Damen und
Herren, dass wir uns nicht nur vor drei Jahrzehnten auf das Abenteuer der
Deregulierung, Liberalisierung und Globalisierung mit einem Glaubensbekenntnis
aber ohne Steuerruder eingelassen haben. Auch heute navigieren wir mit unseren
Konjunkturprogrammen auf Sicht!
Die Eigendynamik der Gesellschaften
Es wird also noch eine ganze Weile brauchen, bis die Makroökonomie mit den realen
ökonomischen Herausforderungen Schritt halten kann. Gesellschaften bewegen sich
dagegen in der Realität des Alltages. Sie passen sich zwar den richtigen oder
falschen Entscheidungen der Politik an, entwickeln aber immer auch eine
Eigendynamik, die sie vorantreibt und sie befähigt sich ständig selbst so zu
organisieren, dass das Handeln der einzelnen Menschen einen Sinn bekommt.
So leben auf der anderen Seite unserer Welt die Menschen in der Hoffnung auf
Wohlstand und westlichem Lebensstil – eine Hoffnung, die wegen der
Weltwirtschaftskrise allerdings zu schwinden droht. Und auf unserer Seite der Welt
verabschieden sie sich von dem ausgeträumten Traum vom stetig steigenden
materiellen Wohlstand und sozialem Aufstieg, wie Herr und Frau Jedermann, die vor
kurzem noch zur Mittelkasse gezählt haben. Ihnen ist es ziemlich egal, mit welchem
Index Wohlstand bewertet wird und so ganz verstehen Sie auch die Logik hinter den
Rettungsaktionen unseres Wirtschaftssystems nicht. Sie merken nur, dass sie in den
letzen Jahren deutlich Federn haben lassen müssen und dass der Planet Erde
mittlerweile so klein wie ihre Wohnung geworden ist und alles - wie der Preis des
Brotes, der des Stroms oder die Rendite ihrer Rentenanlagen - irgendwie
miteinander verbunden ist.
Sie haben verstanden, dass die Giganten China und Indien aufgewacht sind und
Rohstoffe und Arbeitsplätze abgesaugt haben, um Billigwaren nicht nur für den
eigenen Markt, sondern für die gesamte Welt herzustellen. Natürlich haben sie an
ihrem täglichen Einkaufsverhalten auch festgestellt, dass diese Billigprodukte es
ihnen bis vor Kurzem ermöglicht haben, ihren Lebensstandard trotz sinkender
Realeinkommen einigermaßen zu halten. Doch der Personalabbau in ihrer Firma
haben ihnen auch sehr plastisch vor Augen geführt, wie stark die Konkurrenz der
Schwellenländer der heimischen Industrie zusetzt und wie stark mittlerweile aber
auch ihre Arbeitsplätze von den neuen Märkten abhängen, die mit der Krise jetzt
Form follows Sense – Staatspreis Innovation 5 / 11
wegzubrechen drohen. Sie haben dass Gefühl, dass sie selbst aber auch die Politik
diesen globalen Verflechtungen völlig hilflos und ohnmächtig gegenüberstehen.
So hat sich das Leben von Herrn und Frau Jedermann unerwartet und ganz plötzlich
verändert. Den Sorgen um ihren Lebensstandard, ihrem Arbeitsplatz und ihrer Rente
kommen noch private Krisen hinzu, die durch den Zerfall des traditionellen
Familienmodells und die Auflösung der überlieferten Geschlechterrollen angetrieben
werden.
Das neue Konsumentenverhalten
Angesichts der ökonomischen, sozialen und umweltbedingten Turbulenzen unserer
Zeit, vermag uns unser bisheriger Lebensstil, der auf materiellem, vergänglich
hedonistischen und unbekümmert spaßigen Konsum ausgerichtet ist, nicht mehr die
Sicherheit zu geben, die wir heute so dringend brauchen. Das was vor kurzem noch
so selbstverständlich war, erscheint uns jetzt so bemerkenswert unvernünftig. Keine
Extravaganzen mehr. Die Exzesse und Übertreibungen eines Designs, das sich als
Handlanger des Marketings mit flüchtigen Wunschvorstellungen und Traumwelten
anstatt wirklichen Innovationen befasst, gehört dem zu Ende gehenden Zeitalter der
Postmodernen an.
Die Konsumenten sind es satt die „hedonistischen Tretmühle“ wie Hamster immer
weiter anzutreiben und beginnen eine „nüchterne Glücklichkeit“ als neuen Lebensstil
für sich zu entdecken. Sie haben eine tiefe Sehnsucht nach dem Authentischen und
dem entwickelt was wir Reale Qualität nennen. Denn mit der Geste des Konsums
wollen sie nicht mehr nur individuelle Bedürfnisse befriedigen, sondern auch ihr ganz
persönliches Wertesystem und ihre soziale Einstellung bekunden. Natürlich bleibt
Konsum weiterhin mit dem Griff nach einem Objekt der Begierde verbunden. Doch
unsere Forschungsergebnisse zeigen deutlich, dass die Konsumenten sich nicht
mehr über die Art und Weise begeistern können, wie sich Konsum heute
manifestiert. Sie bevorzugen das Besonnene und Maßvolle gegenüber dem
Marktschreierischen und fühlen sich immer mehr durch eine Ästhetik der Ethik
angesprochen.
Diese neue Konsumentenverhalten, die man ansatzweise von politisierten
Nischengruppen mit pauperistischen Idealen kennt, findet sich heute bei der
Mehrheit der Konsumenten auf unseren gesättigten Märkten wieder. Sie erstreckt
sich über alle sozialen Schichten und über alle Generationen. Sie empfinden diese
Unmenge an designten Produkten, gestylten Verkaufsorten und extravaganten
Botschaften, die um ihre Aufmerksamkeit konkurrieren nur noch als Vorwand, um an
ihren Geldbeutel heranzukommen. Es scheint als ob sie nach all den Irren und
Wirren dieser „Zuvielisation“ heute um eine Denkpause bitten. Weite Teile der
Konsumgüterindustrie und des Handels dagegen, halten an ihren Zauberformeln des
Push-Marketings und Lifestyle-Designs fest. Sie setzen noch immer auf ein Design
des Images und versuchen weiterhin den Alltag der Menschen mit Sternestaub
einzupudern.
Wir brauchen uns daher nicht zu wundern, dass die Konsumenten zurückhaltender
geworden sind. Sie lassen sich immer weniger von Werbebotschaften beeindrucken
und richten Ihre Aufmerksamkeit auf das Preis-Leistungsverhältnis. Deshalb
bevorzugen sie Discountläden, Factory Outlets jeder Art oder Private Label Retailer
wie IKEA, Habitat oder H&M, die es schaffen Premiumqualität und ja, sogar Design-
Produkte zu Discountpreisen anzubieten. Als einzigen Luxus gönnen sie sich ein
gutes Essen oder ein ganz persönliches Geschenk. Ein kleines Etwas, das aber eine
Form follows Sense – Staatspreis Innovation 6 / 11
große, sehr individuelle Bedeutung hat, weil es gleich eine ganze Geschichte über
sich und seinen neuen Besitzer erzählen kann. Es ist ein einzigartiges nicht nur
„designtes“, sondern höchstwahrscheinlich auch handgefertigtes Objekt.
Kritischer und Verantwortungsbewusster Konsum
Seit mehr als zehn Jahren wissen wir, dass die Konsumenten immer reifer,
kompetenter und anspruchsvoller werden. Wir müssen aber auch berücksichtigen,
dass sie ganz plötzlich viel kritischer geworden sind. Sie geben sich nicht mehr mit
dem materiellen und immateriellen Zusatznutzen zufrieden, der ihnen bisher
angeboten wurde. Sie wollen auch hinter die Kulissen schauen, um die Welt des
Konsums bewerten und sich mit ihr auseinandersetzen zu können. Diese kritische
Haltung der Konsumenten richtet sich nicht gegen den Konsum. Sie drückt vielmehr
das neue Bedürfnis der Konsumenten aus, den Wertestandpunkt eines
Unternehmens überprüfen und am Design- und Wertschöpfungsprozess selber
beteiligt sein zu können. Das dürfen wir nicht als eine ideologische „Ethisierung“ des
Konsums verstehen, sondern als eine Konkretisierung von ethischen Werten über
die Geste des Konsums. Es ist die logische Konsequenz des neuen sozialen und
ökologischen Verantwortungsbewusstseins von immer mehr Konsumenten.
Das Prinzip der Verantwortlichkeit läutet eine neue Ära in der Geschichte des
Konsums ein. Wenn man nämlich die Gesellschaft nicht als abstrakte Entität
versteht, auf die der Einzelne kaum einwirken kann, sondern als eine Gemeinschaft,
die sich aus dem Zusammenwirken individueller Handlungen definiert, dann
bekommt auch das Alltäglichste wie das Einkaufen eine gesellschaftliche Relevanz.
In diesem Sinne ist Konsum ein aktive, selbstbestimmte und auch politische Geste,
die nicht nur unserem eigenen Leben Sinn zu geben vermag, sondern auch eine
Beziehung zu allen anderen Menschen in unserer Gesellschaft und in der Welt
herstellt. Konsum ist also heute nicht mehr nur mit der Sehnsucht nach Glück und
Fröhlichkeit oder dem „pursue of happiness“ verbunden, wie die Amerikaner sagen.
Der neue Konsum ist auch Ausdruck eines Verantwortungsbewusstseins gegenüber
der Gesellschaft, der Umwelt und unserer Zukunft. Nur diese Synthese zwischen den
Interessen unserer Ökonomie und denen unserer Zivilisation wird zukünftig
Wachstum generieren können.
So tauschen Konsumenten über eine wachsende Zahl von Internetseite
Informationen über bestimmte Marken, Produkte und Dienstleistungen aus und
bilden Kaufgemeinschaften, um an echte, urtümliche, naturreine, biologische,
traditionelle oder typische Produkte herankommen. In Italien gibt es Konsumenten,
die nur Produkte kaufen, die das Vitamin „L“ enthalten. Dabei steht „L“ für Legalität
und bezeichnet Produkte von sizilianischen Kooperativen wie „Terra Libera“, die sich
gegen die organisierte Kriminalität stellen und auf Feldern anbauen, die der Mafia
beschlagnahmt wurden. Andere wiederum glauben, dass der Aufdruck „0 KM“ ein
Garantiesiegel für lokale Produktion sei, weil es für Produkte steht die, wie die
Modemarke „cdsb“, in Gefängnissen hergestellt werden. Es ist wahrscheinlich die
einzige Modemarke Italiens, von der man sicher sein kann, dass es sich um ein
authentisches „Made in Italy“ handelt.
Andere wiederum stellen teilweise auf Selbstversorgung um. Sie schließen sich zu
friedlichen Armeen zusammen, bewaffnet mit Hacken und Saatgut, um das kleinste
Fleckchen Erde in der Stadt oder gemeinsam vom Bauer angepachtete Felder für
den Anbau von Obst und Gemüse zu nutzen. Oder sie treffen sich ausgerüstet mit
Häkelnadeln und Strickzeug in sogenannten „Knitting Cafes“, die in den Großstädten
Form follows Sense – Staatspreis Innovation 7 / 11
wie Pilze aus den Boden schießen. Dort sie stricken nicht nur in trauter Eintracht
Socken und Pullis für den Eigenbedarf, sondern tun sich auch zu regelrechten
Banden zusammen, um mit ihren „selbstgestrickten Graffitis“ unseren Städten einen
gefühlsbetonten Akzent zu verleihen. So formen sich um das Thema des
Heimwerkers und Hobbybastlers neue soziale Netze, die auf Gemeinschaftshilfe und
Erfahrungsaustausch aufbauen und durchaus das Niveau von professionellen
Firmen erreichen. Man braucht sich nur die ganzen Heimwerker-Seiten im Internet
anzuschauen, um sich von dem dort vorhandenen Wissen zu überzeugen.
Die Menschen haben also ihr Schicksal mittlerweile selber in die Hand genommen,
meine Damen und Herren, und haben begonnen sich zu Designern von neuen
gemeinschaftlichen Lebensformen zu entwickeln. Wenn man sich wie Trend-Scouts
mit offenen Augen durch die Welt bewegt, wird man eine Unzahl solcher sozialen
Innovationen entdecken können.
Eine der konsequentesten und vielversprechenden sozialen Innovationen scheinen
mir die sogenannte Co-Housing Projekte zu sein, bei denen sich Menschen
unterschiedlicher Herkunft zu neuen Wohn-, Haus-, oder Siedlungsgemeinschaften
zusammenschließen. Sie tun dies nicht nur aus rein ökonomischen Gründen,
sondern vor allen Dingen, um der Entfremdung der postmodernen Lebensweisen zu
entfliehen und ein besseres und nachhaltigeres Leben führen zu können. Diese
meist generationenübergreifende Gemeinschaften verstehen sich als soziales
„Alltagsnetz“. Deshalb werden meistens die Haushaltspflichten und Teile des
Einkaufs arbeitsteilig oder in der Gemeinschaft verrichtet und man unterstützt sich
gegenseitig viel stärker als dies bei einer reinen Nachbarschaftshilfe der Fall wäre.
Jede Haushaltsform, ob Single, Familie oder Alleinerziehende hat selbstverständlich
ihre eigenen Wohnräume und eine geschützte Privatsphäre.
Designer der sozialen Innovation
Der Entwurf eines Co-Housing Projektes geschieht im Allgemeinen auch
gemeinschaftlich. Es handelt sich ja nicht einfach nur um den Bezug oder Bau eines
oder mehrere Gebäude, sondern um den Entwurf eines neuen Lebensmodells, das
für alle ja ein sehr existentieller Prozess ist. Die daran beteiligten Designer und
Architekten haben dabei die Rolle, den kreativen Fluss zu steuern. Sie interpretieren
und organisieren die kollektive Kreativität, setzen sie zu einem neuen System
zusammen und konkretisieren mit ihren Konzepten das zukünftige Zusammenleben
der Gemeinschaft. Damit erzeugen sie Schritt für Schritt einen Konsens über den
endgültigen Entwurf. Solche Designer und Architekten wie beispielsweise John
Thackara haben mit ihrem Strategic Design Management Ansatz das Social
Engineering neu erfunden. Sie beraten staatliche Institutionen und Nicht-Regierungs-
Organisationen und arbeiten im Auftrag von Kommunen zusammen mit Einwohnern
an neuen Servicekonzepten.
Andere Designer, wie jene um Ezio Manzini am Politecnico di Milano, nutzen das
Verständnis von sozialen Innovationen als Anregung, um ganz neue
Geschäftsmodelle zu entwerfen. Dazu zählt das Konzept der „Service Clubs“, die um
ein spezifisches Thema unterschiedliche Dienstleistungen für den Stadtmenschen
unter Beteiligung des lokalen Umfeldes und der Nutzer so miteinander verbinden,
dass sie preisgünstig und nachhaltig sind. Dabei handelt es sich beispielsweise um
einen Waschsalon mit angeschlossenem Restaurant. Dort kann man die Wartezeit
angenehm bei einem Glas Wein, einem guten Essen oder geselligen Plausch
verbringen oder die Freizeit auch für die Erledigung der großen Wäsche nutzen.
Form follows Sense – Staatspreis Innovation 8 / 11
Oder es handelt sich um ein Atelier für das Re-Design von alten Kleidern, in dem
man sich unter Anleitung vielleicht aus aussortierten Männerhemden ein neues
Abendkleid nähen kann. Ein „Service Club“ kann auch ein Webportal sein, bei dem
man sein Leibgericht bei der Oma um die Ecke bestellen kann.
Doch Designer entwerfen und gestalten heute nicht nur soziale Innovationen und
neue Business Modelle. Einige von ihnen brechen die Grenze zwischen Konzeption
und Produktion auf und setzen als Unternehmer ihre eigenen Projekte in
manufakturähnlichen Betrieben um. Sie haben sich der Herstellung spezifischer
Nischenprodukte verschrieben und bilden eine Gegentendenz zum klassischen
Industrial Design, das weitgehend von Star-Designern und namhaften
Beratungsfirmen besetzt ist.
Wir dürfen uns die Produktionsstätten dieser neuen design-orientierten
Nischenanbieter aber nicht als technologiefreie Handwerksbetriebe vorstellen. Ganz
im Gegenteil. Diese neuen Design-Unternehmer verstehen ihr Handwerk auch als
Kunst und sind wahre Meister im Einsatz und der Nutzung von kleinen, flexiblen und
hoch-technologisierten Maschinen geworden, die mittlerweile für fast jeden
zugänglich sind. Und wie jeder guter Künstler, können sie sich auch verkaufen. Sie
schließen Kontakte zu lokalen Läden oder gar Warenhäuser, die sich für
Nischenprodukte zu öffnen beginnen, weil sie die strategische Bedeutung der
Exzellenz für das Gesamtangebot verstanden haben.
Doch als bevorzugten Vertriebs- und vor allen Dingen Kommunikationskanal nutzen
sie das Internet und seine viralen Eigenschaften. Sie beherrschen die Kunst der
Mund zu Mund Propaganda über Blog und neuerdings Video-Blogs und sorgen
dafür, dass man in spezifischen Foren über ihre Produkte, Prinzipien und
Herstellungsmethoden diskutiert. Wie es schon Chris Anderson in seinem Buch “The
Long Tail” herausgestellt hat, ist das Internet ein integraler Bestandteil der
Geschäftsstrategie der Nischenanbieter, weil es aus einer Masse von Märkten einen
virtuellen Massenmarkt für Produkte macht, die entweder einzigartig sind oder eine
Exzellente Qualität haben.
Es wäre falsch, diese Nischenanbieter als eine direkte Bedrohung des industriellen
Massenmarkts zu verstehen, denn sie werden ihn nie substituieren können. Das
wäre ein Rückschritt, an den vielleicht nur einige Vertreter des Neopauperismus
denken. Doch die neue Generation von jungen, wilden und hochkarätigen Designer
stellt mit ihrer Kreativität eine Ergänzung und eine ständige Herausforderung des
industriellen Warenangebots dar, das zu neuen Konsumszenarien und spannenden
Formen der Symbiose von Klasse und Masse führen kann. Volkswirtschaftlich
gesehen, werden sich diese Nischenanbieter zu einem wichtigen
Beschäftigungsmotor unserer postindustriellen Gesellschaften entwickeln, gerade
weil ihr Geschäftsmodell nicht auf die Nutzung von Skaleneffekten ausgerichtet ist.
Vom Materiellen zum Sinn
Das Verständnis von sozialen Innovationen und sozio-kulturellen Strömungen ist
nicht nur eine sehr ergiebige Quelle für neue Geschäftsideen. Es bildet auch den
Ausgangspunkt für das Design unserer materiellen Welt. Denn nur wenn man den
Blickwinkel von dem Materiellen zunächst wegbewegt – wobei ich unter Materiell
auch Kundenwünsche verstehe, weil sie ja meistens nur eine Projektion der
bestehenden materiellen Welt sind – und den Blickwinkel auf das richtet, was uns
Menschen unterschwellig bewegt, nur dann kann man einen wirklich innovativen
Form follows Sense – Staatspreis Innovation 9 / 11
Sprung machen. Ansonsten bleibt Design eine Re-Styling Übung, die den
Teufelskreis der „Zuvielisation“ weiter antreibt.
Diese Änderung der Perspektive von dem materiellen hin zur gesellschaftlichen und
kulturellen Ebene ist ganz besonders auch für technologische Innovationen von
Bedeutung. Vergessen wir nicht, dass Technologie in Form von Erfindungen nur
wieder Technologie hervorbringt, die für die Menschen – und daher auch für den
Markt – noch lange keinen Sinn ergeben. Es sind die kulturellen Innovationen, die
neue Bedürfnisse generieren und damit bestimmen, welche technologischen
Innovationen die Menschen als eine Verbesserung ihrer Lebensqualität empfinden.
Ein Designer also, der es versteht mit technologischen Erfindungen, kulturelle
Innovationen zu gestalten, wie beispielsweise Steve Jobs mit dem IPod, der schafft
letztendlich technologische Innovationen.
Dabei kommt heute dem Thema der Nachhaltigkeit eine ganz besondere Rolle zu,
weil die ökologischen Problemfelder wie der Klimawandel und der Rückgang der
fossilen Energiereserven den Menschen besonders nahe gehen. Für das Design der
materiellen Welt bedeutet das, eine zwingende Orientierung an den Leitlinien des
„Cradle-to-Cradle“ Ansatzes, der auf eine zyklische Wiederverwendbarkeit aller
eingesetzten Materialien fußt und Endprodukte wie Abfälle als Ressourcen für neue
Produkte betrachtet. Damit kann Technologie dazu dienen, den Widerspruch
zwischen Ökonomie und Ökologie zumindest schrittweise aufzulösen.
Doch auch wenn wir - rein theoretisch - mit Hilfe von Technologie sofort eine
nachhaltige Welt erschaffen könnten, würde sich am Konsumverhalten nur wenig
ändern. Wie ich eingangs dargestellt habe ist unsere westliche Zivilisation verzweifelt
auf der Suche nach einer Ökologie des Geistes, weil sie in dem materiellen Konsum
wie er heute stattfindet keinen Sinn mehr erkennen kann. Nach den Erkenntnissen
des Psychologen und Nobelpreisträgers Daniel Kahneman bewegen wir uns zu Zeit
von einer Ökonomie des materiellen Reichtums hin zu einer „Ökonomie des Glücks“.
In einer solchen Ökonomie werden jene Güter einen hohen Stellenwert bekommen,
die nur in Gemeinschaften eine Bedeutung haben und nicht tauschbar, nicht
reproduzierbar oder nicht durch andere ersetzbar sind wie beispielsweise Sicherheit,
Frieden, Freundschaft, Aufrichtigkeit, Kultur, Wissen oder einfach nur Zeit.
Wir bewegen uns also weg von einer Konsumkultur des „Habens“, die sich am
Materiellen orientiert hin zu einer Konsumkultur des „Seins“. In diesem neuen
Konsummodell zählt das Substantielle, unsere Überzeugungen und
Wertevorstellungen. Heute gilt also mehr denn je die Erkenntnis von Max Weber,
dass Konsum ein Prozess der Sinngebung ist, der die Menschen dabei unterstützt,
sich selber zu finden. Solch ein Paradigmenwechsel bedarf einer tiefgreifenden
kulturellen und sozialen Transformation wie sie sich im Lauf der Geschichte mit dem
Christentum, der Renaissance oder der Aufklärung schon mehrfach zugetragen hat.
Wer anders als Künstler und Designer können diese heute stattfindende kulturelle
Transformation begleiten und antreiben? Um dieser Rolle gerecht zu werden muss
sich die Disziplin des Design allerdings aus den Fängen des Marketings befreien und
ein neues Selbstverständnis entwickeln, dass sich an dem Motto „form follows
sense“ orientiert.
Design als Seismograf für Wandel
Lassen sie mir einige Beispiele dafür geben, wie das Design ein sehr empfindlicher
Seismograf für soziokulturelle Strömungen sein kann und kulturelle Transformationen
anstoßen kann. So hatte ich in den neunzehnhundertsiebziger Jahren (1970iger) das
Form follows Sense – Staatspreis Innovation 10 / 11
Glück bei Olivetti mit Ettora Sottsass zusammenzuarbeiten, einem der großen
Meister des Designs, der übrigens als Südtiroler auch ein bisschen Österreicher war.
Für ihn war Industrial Design eine Art über das Leben, die Gesellschaft oder gar
Erotik zu diskutieren. Nicht die Möglichkeiten der Technik standen im Mittelpunkt
seiner antikonformistischen Entwürfe, sondern der Mensch mit all seinen Träumen.
Er verstand Design als ein Mittel über die Gegenstände des täglichen Lebens eine
bessere Gesellschaft zu schaffen. Und er nutzte nutzte Design, um humanistische
Ansätze in die vorherrschende tayloristische Unternehmenskultur der Modernen
einzubringen, die sich damals durch Standardisierung und Uniformisierung
auszeichnete.
Aber auch Modedesigner haben damals den Ausbruch aus der Rigidität und dem
Konformismus des Zeitalters der Modernen geprobt. Denken wir doch daran, wie
Vivienne Westwood sich mit ihrer rebellischen Mode gegen den Traditionalismus des
britischen Bürgertums gestellt hat. Mit ihren skrupellosen Kreationen hat sie den
Schrei nach Freiheit einer ganzen Generation zum Ausdruck gebracht und ihr
Bedürfnis, mit den bürgerlichen Moralvorstellungen zu brechen. Und auch heute
beweist die „Grande Dame“ der britischen Mode mit ihren Kampagnen Zivilcourage.
Auch Armani hat vor mehr als 30 Jahren nicht einfach nur die Pret-a-Porter Mode
erfunden und den Luxus demokratisiert. Er hat mit dem Rollenbild der Frau als
Hausfrau und Mutter gebrochen und einen neuen Typ Frau kreiert, die mit einer
neuen Form von „Schultern“ ehrgeizig, stählern und mit erhobenem Haupt in die von
Männern und Männlichkeit besetzte Arbeitswelt eintritt. In dem er sie in Hosen
gesteckt hat, ohne ihr jedoch den Tailleur wegzunehmen, hat er voll den Puls der
Zeit getroffen. Katharine Hammet schließlich ist eine englische Modedesignerin, die
schon in den neunzehnhundertachtziger Jahren (1980iger) Elemente der heute
stattfindenden kulturellen Transformation vorweggenommen hat. Sie hat mit ihrem
Konzept der sogenannten „anziehbaren Politik“ als eine der ersten die
Nachhaltigkeitsprobleme unserer Konsumgesellschaft angesprochen. Mit ihren
berühmten T-Shirts hat sie auf die ökologischen und sozialen Probleme bei der
Textilproduktion hingewiesen und sich gegen den Thatcher-Neoliberalismus gestellt.
Auch wenn diese Designer den Lauf der Geschichte nicht verändert haben, haben
sie Geschichte geschrieben und kulturelle Veränderungen angestoßen. Heute liegt
die kulturelle Transformation hin zu einem neuen Wohlstandsverständnis in der Hand
einer neuen Generation von Designer. Sie sind viele, sie sind mutig und sie haben
sich schon an die Arbeit gemacht, das Design zu re-designen. Sie zeigen und, dass
Innovationen mit der Wiederverwendung des Gebrauchten zu tun haben kann und
sie sich aus dem Dialog zwischen Tradition und dem Zeitgeist entwickeln. Sie zeigen
uns, dass Technologie nicht unbedingt Muskeln braucht, sondern auch leicht und
elegant auftreten kann. Sie zeigen uns, dass unser größter Reichtum unsere
kulturelle Diversität ist und dass sich daraus neuer Reichtum generieren lässt. Sie
zeigen uns schließlich, dass diese neue Generation von Designern bereit ist die neue
Herausforderung anzunehmen: Dass Design des Wandels nämlich.
Meine Damen und Herren, das Werteverständnis der Modernen war von dem
Glauben an den technologischen Fortschritt geprägt, der durch einen starken
sozialen Konformismus unterstützt wurde. Die Globalisierung und die IT-Revolution
kennzeichneten den Übergang in das neue Zeitalter der Postmodernen, das sich
durch die Explosion des Individualismus und die „Ich AG“ auszeichnete, in der man
nur an sich selber glaubte und sich durch hedonistische Verführung jeder Art leiten
ließ. Die Sehnsucht der Konsumenten nach Bedeutsamkeit und Verantwortlichkeit
Form follows Sense – Staatspreis Innovation 11 / 11
treibt einen neuen Umbruch unserer westlichen Zivilisationen hin zur „Wir-
Gesellschaft“ an, die auf einer Vielzahl verschiedener Formen von neuen kollektiven
Werteverständnissen fußen wird. Dieser Umbruch wird durch eine kulturelle
Transformation angetrieben, die auch unsere Wirtschaft beeinflussen wird. Sie wird
sich von einem in der Logik der Skaleneffekten verhafteten Massenmarkt hin zu einer
Ökonomie bewegen, die sich aus Massen von unterschiedlichen Märkten
zusammensetzt.
Dieses Bedürfnis nach Bedeutsamkeit und Verantwortlichkeit ist eng verbunden mit
einem anderen elementaren Bedürfnis der Menschen, mit dem Bedürfnis zu
wachsen nämlich und sich selber immer wieder neu zu erfinden. Doch nur das, was
aus der Beziehung zu Anderen entsteht, hat für uns Bedeutung, erweitert unseren
Horizont und spornt uns an, über uns selber hinauszuwachsen. Nach der Ökonomie
der materiellen Bedürfnisse und der Ökonomie der immateriellen Wünsche läutet die
Ökonomie der Bedeutsamkeit und der Verantwortlichkeit die nächste und
wahrscheinlich letzte Wachstumsphase der Konsumwirtschaft ein. Denn sie ist die
einzige Ökonomie, die zugleich nachhaltig ist und unbegrenztes Wachstum erlaubt.