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BAND 3
WERNER G. FAIX | MICHAEL AUER
(Hrsg.)
KOMPETENZ.
PERSÖNLICHKEIT.
BILDUNG.
»Volk und Knecht und Überwinder, Sie gestehn, zu jeder Zeit:
Höchstes Glück der Erdenkinder Sei nur die Persönlichkeit.«
Goethe: West-östlicher Divan
Viel und oft wurde gesprochen über jenes schillernde und vielschichtige Etwas
namens »Persönlichkeit«. Wenig und selten war allerdings in solch interdisziplinärer
Weise die Rede von jenem möglichen »höchsten Glück« der eigenen Individualität
wie am 3. Stuttgarter Kompetenztag der Steinbeis-Hochschule. Der vorliegende
Band ist die Dokumentation dieses Symposiums.
ISBN 978-3-941417-74-8
Bildung.
Kompetenz.
Persönlichkeit.
Band 3
Werner G. Faix
Michael Auer
BAND 3
KOMPETENZ.
PERSÖNLICHKEIT.
BILDUNG.
WERNER G. FAIX | MICHAEL AUER
(Hrsg.)
Werner G. Faix, Michael Auer (Hrsg.):
Kompetenz. Persönlichkeit. Bildung. Band 3. Steinbeis-Edition, 2011.
1. Auflage 2011, Steinbeis-Edition Stuttgart
©2011 Steinbeis-Edition, 70174 Stuttgart
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische
Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und
Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.
Redaktion: Patricia Mezger, Sandra Flint, Julia Schulze
Satz und Umschlaggestaltung: Maren Tanke, www.marentanke.eu
Printed in Germany
ISBN 978-3-941417-74-8
www.steinbeis-edition.de | www.steinbeis-mba.de
GRUSSWORT FÜR DEN
STUTTGARTER-KOMPETENZ-TAG 2010
Industrie- und Exportnationen wie Deutschland sehen sich einem immer stärkeren technologischen
und ökonomischen Wettbewerbsdruck ausgesetzt, der nicht zuletzt von den Schwellenländern aus-
geht. Immer deutlicher zeigt sich, wie sehr Kreativität und Innovationsfähigkeit der Motor für unsere
ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung und die Quelle unseres künftigen Wohlstands sind.
Innovationen erobern vor allem dann Märkte, wenn technologische Entwicklungen eng mit opti mier ten
Arbeitsprozessen verknüpft werden. Dafür sind die Unternehmen auf qualizierte Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter angewiesen.
Sie zu stärken ist das Ziel des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung auf den Weg
gebrachten Programms »Arbeiten – Lernen – Kompetenzen entwickeln«. Indem das Programm
maßgebliche Impulse zur Entwicklung praxisorientierter betrieblicher Konzepte und Instrumente
zur Förderung von Qualikation, Gesundheit, Leistungsvermögen und Motivation von Beschäftigten
gibt, leistet es einen entscheidenden Beitrag, um die Innovationsfähigkeit wirksam zu fördern.
Dazu gehören Maßnahmen zur Verbesserung des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes
sowie für alters- und familiengerechte Arbeitsbedingungen, die den Anteil älterer Menschen am
Erwerbsleben erhöhen sollen. Gerade vor dem Hintergrund der demograschen Entwicklung unter-
stützt das Programm adäquate Beschäftigungs- und Lebensarbeitszeitmodelle sowie Konzepte zur
berufsbegleitenden Qualizierung über das gesamte Berufsleben hinweg.
Die besten Voraussetzungen für erfolgreiche Innovationsprozesse sind das Wissen und die
Fähigkeiten von hochqualizierten Fachkräften. Sie gilt es zu erhalten und zu nutzen. Der Stuttgarter
Kompetenztag 2010 war deshalb ein wichtiges Forum für den intensiven Gedankenaustausch
von Wissenschaft und Wirtschaft über Wege des Kompetenzerwerbs und seines Erhalts.
Prof. Dr. Annette Schavan, MdB
Bundesministerin für Bildung und Forschung
VORWORT
Die schnellen Entwicklungen der Märkte stellen hohe Anforderungen an Unternehmen und vor
allem an Mitarbeiter und Führungskräfte. Eine inkompetente und statische Struktur kann nicht
mehr Basis sein für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens im heutigen Markt.
Im weltweiten Wettbewerb um die Besten, um gut ausgebildete Talente, werden Kompetenzen
immer bedeutender. Sowohl Hochschulen als auch Wirtschaft haben realisiert, wie wichtig es ist,
diese Talente zu erkennen und zu fördern sowie wertschöpfend einzusetzen, um so Deutschland
als attraktiven und innovativen Wirtschaftstandort weiter entwickeln zu können. Es geht darum
einen gemeinsamen Weg zu nden, Kompetenzen, Können und Wissen den richtigen gesamt-
gesellschaftlichen Stellenwert zuzuweisen und im Arbeitsalltag sowie in der Bildung einzubinden.
Die Beherrschung der fachlichen und methodischen Voraussetzungen der eigenen Arbeit hat
nicht an Bedeutung verloren, wird aber als selbstverständlich angesehen. Der aktuelle Brenn-
punkt der Diskussionen liegt bei den Kompetenzen. Was sind Kompetenzen? Wie kann man sie
erkennen? Welche Kompetenzen sind für das Unternehmen wichtig? Wie können Kompetenzen
ent wickelt und gemessen werden?
Vor diesem Hintergrund organisiert die Steinbeis-Hochschule Berlin, eine der größten wissenschaft-
lichen Business Schools in Deutschland, den jährlich stattndenden Stuttgarter Kompetenz-Tag.
Ehrgeiziges Ziel des Symposiums ist es, die verschiedenen Aspekte des Kompetenzmanagements
aufzuzeigen und zu neuen Fragestellungen anzuregen.
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Johann Löhn
Präsident der Steinbeis-Hochschule Berlin
VORWORT DER HERAUSGEBER
»Volk und Knecht und Überwinder, Sie gestehn, zu jeder Zeit:
Höchstes Glück der Erdenkinder Sei nur die Persönlichkeit.«
Goethe: West-östlicher Divan
»Persönlichkeit« meint nach unserem Verständnis eine komplexe und dynamische Gesamtheit
von angeborenen und erworbenen Elementen. Es ist das einzigartige Dasein und Sosein dieser
Elemente, welche das Wesen eines Subjekts konstituieren, weshalb Platon daher in diesem Zu-
sammenhang sehr treffend von »Seelenbestandteilen« spricht. Zu diesen Bestandteilen, die unser
zutiefst Inneres und Eigenes ausmachen, zählen wir auch und vor allem Kompetenzen. Damit
meinen wir die Fähigkeiten, einer ungewissen und dynamischen Umwelt aktiv und produktiv zu
begegnen. Anders gesagt, sind Kompetenzen jene »Bestandteile« der Persönlichkeit, welche
den Menschen dazu befähigen, sich auf eine offene Zukunft einzulassen, an ihr teilzuhaben
und sie zu gestalten. Kompetenzentwicklung ist somit ein spezieller Teil der Bildung der Persön-
lichkeit und bedeutet einen Zugewinn an Handlungsfähigkeit und damit einen Zugewinn an der
Teilhaftigkeit am Reichtum des Lebens und an der Reichhaltigkeit der Welt.
Viel und oft wurde gesprochen über jenes schillernde und vielschichtige Etwas namens »Persön-
lichkeit«. Wenig und selten war allerdings in solch interdisziplinärer Weise die Rede von jenem
verheißungsvollen »höchsten Glück« der eigenen Individualität wie am 3. Stuttgarter Kompetenz-
Tag der Steinbeis-Hochschule Berlin und der Steinbeis-Stiftung. Der vorliegende Band ist die
Dokumentation dieses Symposiums. Er enthält neben den redigierten Vorträgen auch Beiträge,
die aus den Diskussionen und Präsentationen am Tag entstanden sind.
Wir meinen also: Kompetenzen sind die Ursache und das Prinzip eines wahrhaft teilhaftigen Lebens.
Und wir meinen weiter: Dankbarkeit und Wertschätzung sind die Ursache und das Prinzip eines
wahrhaft tugendhaften Lebens. Deshalb gilt es an dieser Stelle, diese Tugend zu beweisen und
den folgenden Menschen herzlich zu danken: den Referenten des 3. Stuttgarter Kompetenz-
Tages, allen Autoren der Beiträge, allen Personen, die durch Poster und Stände am Stuttgarter
Kompetenztag mitgewirkt haben, Patricia Mezger, Sandra Flint, Julia Schulze und Maren Tanke
für die Redaktion des vorliegenden Bandes, Ineke Blumenthal, Silke Keim, Anja Reinhardt und
Annett Naumann für die Organisation des Stuttgarter Kompetenztages.
Prof. Dr. Werner G. Faix, Prof. Dr. Michael Auer
Stuttgart im Oktober 2011
INHALTSVERZEICHNIS
Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
Die schöpferische Kraft der Bildung –
Über die Entwicklung (zu) einer schöpferischen Persönlichkeit als grundlegende
Bedingung für Innovationen und den unternehmerischen Erfolg .................................................
Julian Nida-Rümelin
Humanismus als Leitkultur ...........................................................................................................................
Wolfgang Huber
Das Ende der Beliebigkeit in wirtschafts orientiertem Denken –
Ein Plädoyer für Autarkie und Empathie .................................................................................................
Torsten Oltmanns
Grundzüge eines europäischen Management modells –
Stark durch Werte und Bildung ..................................................................................................................
Hansjörg Neubert
Kunst und Ethik unternehmerischer Führung –
Eine selbstreflexive Annäherung .................................................................................................................
Helmut Haussmann | David Rygl
Wachstum mittel ständischer Weltmarktführer in die BRIC-Staaten –
Relevanz, Strategien und zukünftige Herausforderungen ................................................................
Michael Schönhuth
Hexen gesucht? –
Beraterkompetenz und Beraterpersönlichkeit aus ethnologischer Sicht .....................................
11
117
139
163
179
191
211
John Erpenbeck | Joachim Hasebrook
Sind Kompetenzen Persönlichkeitseigenschaften? ..............................................................................
Konrad Zerr | Stephan Fischer
Werte orientiertes Management aus der Perspektive Selbstständiger und Angestellter –
Ergebnisse einer empirischen Untersuchung bei jungen Führungskräften ................................
Joachim Hasebrook | Lara Jablonowski
Diversity Management und Innovation ...................................................................................................
Dietmar Vahs | Jens Schmitt
Organisation und Innovations kultur als Determinanten des Innovationserfolgs –
Ergebnisse einer empirischen Studie ........................................................................................................
Dietmar Vahs
Berufsbild Innovations manager –
Empirische Untersuchung zu den Rollen und Aufgaben
eines Innovationsmanagers in kleinen und mittelständischen Unternehmen ..........................
Ineke Blumenthal | Werner G. Faix | Vanessa Hochrein | Annette Horne
Gerhard Keck | Roberta Lenz | Jens Mergenthaler | Sabine Sax
Über einige Fronten des War for Talents –
3 Studien der School of International Business and Entrepreneurship (SIBE) über
spezifische Aspekte des Kampfes um hoch qualifizierte und hochkompetente Menschen ...
Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
Das Studium (zu) einer schöpferischen Persönlichkeit –
Über die School of International Business and Entrepreneurship (SIBE)
der Steinbeis-Hochschule Berlin (SHB) ....................................................................................................
Autoren-Biografien .......................................................................................................................................
227
263
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299
319
329
379
467
11
WERNER G. FAIX | JENS MERGENTHALER
DIE
SCHÖPFERISCHE
KRAFT DER
BILDUNG
ÜBER DIE ENTWICKLUNG (ZU) EINER
SCHÖPFERISCHEN PERSÖNLICHKEIT
ALS GRUNDLEGENDE BEDINGUNG
FÜR INNOVATIONEN UND DEN
UNTERNEHMERISCHEN ERFOLG.
12 Die schöpferische Kraft der Bildung
INHALT
Einleitung ............................................................................................................................................................
1 Über die Bedeutung und die Rahmenbedingungen von Innovation heute .........................
2 Über die Bildung (zu) einer Persönlichkeit .......................................................................................
2.1 Bildung und Persönlichkeit ............................................................................................................
2.1.1 Die Elemente des Persönlichkeit-Haben .........................................................................
2.1.2 Die Elemente des Persönlichkeit-Sein .............................................................................
2.2 Bildung und Kompetenzentwicklung .........................................................................................
2.3 Der Weg der Persönlichkeitsentwicklung ..................................................................................
3 Über sich selbst: (Selbst)Erkenntnis ...................................................................................................
3.1 (Selbst)Erkenntnis des eigenen Wissens und der eigenen Kompetenzen ......................
3.2 Die (Selbst)Erkenntnis des eigenen Temperaments, des eigenen Charakters
und der eigenen Werte ....................................................................................................................
4 Über das Bildungsideal »Schöpferische Persönlichkeit« ..............................................................
4.1 Schöpferische Persönlichkeiten? ..................................................................................................
4.2 Was zeichnet schöpferische Persönlichkeiten aus? ...............................................................
4.2.1 Unternehmerisches Wissen, unternehmerische Qualifikationen ...........................
4.2.2 Unternehmerisches Kompetenzprofil ..............................................................................
4.2.3 Unternehmerisches Temperament, unternehmerischer Charakter
und unternehmerische Werte / Ethik ................................................................................
5 Über eine ganzheitliche Bildung (zu) einer schöpferischen Persönlichkeit .........................
5.1 Bildungsphilosophie: gemäßigter Pragmatismus ..................................................................
5.2 Die Bildungsmethodik: Forschendes Lernen und Projektlernen .......................................
5.2.1 Forschendes Lernen ................................................................................................................
5.2.2 Exkurs: Das Konzept des strategischen Dreieck der Unternehmensentwicklung
und seine Anwendung beim forschenden Lernen ......................................................
5.2.3 Projektlernen ............................................................................................................................
5.2.4 Arbeitsintegriertes Lernen ...................................................................................................
5.3 Evaluation: die Messung des Bildungserfolgs .........................................................................
Schlusswort ........................................................................................................................................................
Anhang .................................................................................................................................................................
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13Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
EINLEITUNG
Über die schöpferische Kraft der Bildung – der Titel dieser Arbeit mag zunächst entweder tauto-
logisch oder als rhetorische Verstärkung anmuten: etwas bilden, das bedeutet doch nichts anders,
als etwas zu schaffen, zu gestalten, kurzum: schöpferisch tätig zu sein. Formallogisch betrachtet,
bedeutet der Titel jedoch weder eine Redundanz noch eine Stilgur, sondern eine Kausalität:
Bildung ist per se nicht dasjenige, was etwas schöpft, sondern die Ursache dieser Kraft; die
schöpferische Kraft wäre also die Wirkung, die sich aus der Kraftquelle »Bildung« schöpft. Der
vollständigere Titel vor dem Hintergrund dieses Kausalnexus würde daher lauten: »Über die
schöpferische Kraft, die der Bildung entspringt«.
Manchem Leser wird der Titel irgendwie vertraut erscheinen und tatsächlich lehnt er sich an
eine von Joseph A. Schumpeter geschaffene und heute wieder vielfach zitierte Phrase an: »die
Kraft der schöpferischen Zerstörung« (Schumpeter 1946 / 1993: 136f.). Das Paradoxon einer
Zerstörung, die zugleich schöpferisch ist, erhellt sich vor einem weiteren Begriff, den Schumpeter
maßgeblich mitprägte, nämlich »Innovation«. Dieser Begriff fand seinen Platz im deutschen
Sprachgebrauch mit der deutschen Übersetzung (1961b) des 1939 zuerst in den USA erschienen
zweibändigen Werks von Joseph Schumpeter »Business Cycles«. Maßgeblich für eine Innova-
tion ist nach Schumpeter, dass sie »Faktoren (z. B. Produkte oder Dienstleistungen, Einkaufs-
oder Absatzmöglichkeiten) auf eine neue Art kombiniert oder dass sie in der Durchführung neuer
Kombinationen besteht.« (Schumpeter 1961b, Bd.1: 95) Innovationen bezeichnen also jenes mit-
unter radikale (Um-)Gestalten des Bestehenden, jene tätige Kraft, die Neues schöpft, indem sie
Bisheriges zerstört.
In unserem mechanistisch geprägten Weltbild verknüpfen wir jede Wirkung mit einer Ursache. For-
mallogisch betrachtet, stellt sich daher die Frage nach der Ursache für eben jenes zugleich schöp-
ferische und zerstörerische Wirken. Schumpeter selbst brachte an dieser Stelle die Person des
»Unternehmers« bzw. »Entrepreneurs« ins Spiel. Das bedeutet: Eine Innovation – plakativ: das
Umsetzen einer Idee – entsteht erst und nur durch jenen die Idee umsetzenden Menschen. Der
schöpferische Mensch wäre dann im Schumpeter’schen Kausalnexus die Ursache bzw. Bedingung
von Innovationen, jene Kraftquelle, aus der sich die schöpferische Kraft der Zerstörung speist.
Unser mechanistisches Weltbild ist dadurch geprägt, dass wir eine unendliche Serie von
Ursache und Wirkung annehmen, jede Ursache zugleich als Wirkung einer vorangegangenen
Ursache betrachten: Die Ursache einer Bewegung wie des Laufens bei Wirbeltieren ist die Kon-
traktion der Muskeln; die Kontraktion der Muskeln wird hervorgerufen durch Signale, welche aus
dem peripheren Nervensystem stammen; die Ursache dieser Signale sind Operationen im zen-
tralen Nervensystem (ZNS, die Gesamtheit aus Rückenmark und Gehirn). In den Naturwissen-
schaften endet hier die Suche nach der Ursache bzw. es wird an dieser Stelle detaillierter auf die
Operationen eingegangen. Das letzte Glied, die erste Ursache im naturwissenschaftlichen Sinne
14 Die schöpferische Kraft der Bildung
ist daher immer ein Konkretum, z. B. eine mess- und beobachtbare Tätigkeit im ZNS. Die Frage
aller Fragen ist jedoch: Was ist die Ursache der Operationen im ZNS? Freilich mangelt es hier
nicht an Hypothesen, was die erste Ursache bzw. den ersten Verursacher betrifft. Eine imaginier-
te transzendente Ursache wäre – je nachdem welchen »Inhalt« eine Bewegung hätte – Gott oder
Teufel. Eine imaginierte immanente Ursache wäre der Wille (Schopenhauer), das Unbewusste
(Hartmann, Freud), das Ich, das Selbst.
Auf den Schumpeter’schen Kausalnexus der Innovation übertragen, muss man sich also nun fra-
gen: Was ist die Ursache dafür, dass der schöpferisch tätige Mensch ist bzw. dass er so ist, wie er
ist? Prinzipiell ließen sich hierbei zwei Ursachen denken: 1. Er ist (so), weil er so geboren worden
ist, weil das schöpferische Zerstören ihm im Blute oder moderner: in seinen Genen liegt. 2. Er ist
(so), weil er sich so unter dem Einuss der Dynamik seines Daseins entwickelt hat. Es ist unserer
Ansicht nach müßig, über die eine oder die andere Möglichkeit als absolute und ausschließliche
Wahrheit zu diskutieren. Nach unserer Ansicht – und der Meinung von Myriaden anderer – liegt
die Antwort auf die Frage, was die Persönlichkeit eines Menschen formt, in einem dynamischen
Verhältnis zwischen den beiden Prinzipien Angeboren und Erworben.
Als Vertreter einer Bildungsinstitution wollen wir uns aber auf jenen erworbenen Anteil der
Persönlichkeit beschränken, auf den wir auf die eine oder andere Weise irritierend Einuss neh-
men können. An dieser Stelle erklärt sich endlich endgültig der Titel »Die schöpferische Kraft der
Bildung« als vollständige Kausalität: Innovationen sind die Wirkung der schöpferischen Kraft,
deren Ursache der schöpferische Mensch ist. Und der schöpferische Mensch ist die Wirkung,
deren Ursache u. a. Bildung ist.
Freilich kann und darf bei Menschen nicht mechanistisch mit Ursache und Wirkung argumentiert
werden. Dennoch besteht doch zweifelsohne ein enger Zusammenhang, dass ein Mensch, nachdem
er etwas gelernt hat, sich verändert hat, danach etwas mehr oder etwas Neues weiß, kann und sich
mitunter sogar in seinen psychischen Tiefenschichten (Ziele, Charakter, Werte etc.) verwandelt hat.
15Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
1 ÜBER DIE BEDEUTUNG UND
DIE RAHMENBEDINGUNGEN
VON INNOVATION HEUTE
Nach Adam Smith, dem geistigen Mitbegründer des Kapitalismus, besteht die Ursache und das Prinzip
des Kapitalismus hierin: Ein vom Eigennutz getriebenes, von der Sympathie1 für den Mitmenschen be-
einusstes und vom Staat in gute und richtige Bahnen gelenktes Handeln aller Marktteilnehmer führe zu
allgemeinen Wohlstand. Diesen allgemeinen Wohlstand erklärt Joseph A. Schumpeter, »Ernder« des
Begriffs Innovation hierdurch: Das Prinzip des Kapitalismus bestehe nicht darin, für einige wenige Privi-
legierte innovativ anmutende Luxusgüter einführen. Vielmehr bestehe das kapitalistische Prinzip darin,
die breite Masse mit Gütern zu versorgen, die einst Luxusgüter gewesen sind. Erst und nur durch eine
Massenproduktion können Unternehmer nämlich ihren Prot maximieren. Darüber hinaus sei es der
allgemeine Wohlstand, den der Kapitalismus geschaffen hat, der die Einführung umfassender sozialer
Leistungen überhaupt erst nanzierbar gemacht hat. Dementsprechend führe der Kapitalismus zum
einen insgesamt zu einem steigenden allgemeinen Wohlstand und zum anderen zu einer gerechteren
Verteilung dieses allgemeinen Wohlstandes. (Schumpeter 1946 / 1993) Die originäre Bestimmung eines
durch Moral und Regeln gezähmten Kapitalismus als etwas, durch das der »Wohlstand der Nationen«
(Smith 1778 / 1994) gemehrt werden soll, wird oftmals vergessen sowohl von Kapitalismuskritikern aber
auch von so genannten »Raubtier- oder Turbokapitalisten«. In seiner ureigenen Bedeutung des Ka-
pitalismus nach Adam Smith ist der Kapitalismus gezähmt, indem er eine gewissermaßen »bi-
gamistische Ehe« eingegangen ist mit einer auf Sympathie gegründeten Moral und einer durch
den Wohl- und Rechtsstaat gegründeten Ordnung. Der Kapitalismus selbst könne somit weder
die Grundlage für das Zusammenleben sein noch sich selbst regulieren. Genau das ist es aller-
dings, was Menschen weltweit vielfach getan haben und noch immer tun: den Kapitalismus zum
alleinigen Prinzip des Miteinanders, zur Religion und zum Richter über sich selbst erhoben. Daher
noch einmal deutlich:
Der Kapitalismus – ganz gleich ob in einer liberalen, sozialen oder irgendwie anders gearteten
Marktwirtschaft – ist auf Wachstum ausgelegt – nicht um seiner selbst, sondern um des Wohl-
stands aller Menschen willen. Wachstum erhöht prinzipiell den materiellen Wohlstand und schafft
1 In seinem Werk »The Theory of Moral Sentiments« (1759 / 2010) grenzt Adam Smith sich von einem extrem
egoistischen Menschenbild deutlich ab. Menschen sind nicht nur von egoistischen Antrieben bestimmt,
sondern ebenso von einer gegenseitigen »Sympathie«. Menschen könnten sich grundsätzlich in ihre Mit -
menschen hineinversetzen und seien daher auch in der Lage, an deren Schicksal Anteil zu nehmen, also
mitzufühlen. Es sei diese Fähigkeit und eben nicht nur das Gewaltmonopol eines Staates, welches in erster
Linie für den Zusammenhalt einer Gesellschaft sorge. Zudem habe der Mensch durch »Sympathie« die
Möglichkeit zur Selbstkritik, indem er sein eigenes Handeln aus der Sicht seiner Mitmenschen betrachte.
16 Die schöpferische Kraft der Bildung
damit die Möglichkeit für die materielle Unabhängigkeit der gesamten Bevölkerung. Materieller
Wohlstand meint, dass die Bevölkerung mit privaten und öffentlichen Gütern besser versorgt ist.
Erst und nur wenn die Produktion von Gütern über das Maß hinausgeht, welches das gesellschaft-
liche Existenzminimum absichert, besteht ein gewisser Grad an Freiheit, welche Mittel bei der
Bedürfnisbefriedigung gewählt werden. Darüber hinaus ist es nur durch Wachstum möglich, bei
einer steigenden Weltbevölkerungszahl den Lebensstandard aller Menschen zu erhalten bzw. zu
erhöhen. Das gesellschaftspolitische Ziel der Verteilungsgerechtigkeit ist weiterhin durch Wachs-
tum leichter zu erreichen, steht durch Wachstum doch eine zusätzliche Verteilungsmasse zur
Verfügung, so dass jede Gruppe, wenn auch in unterschiedlichem Maße, mehr erhalten kann –
bei einer Stagnation sind hingegen Verteilungskonikte beinahe unvermeidlich. Des Weiteren
wird durch Wachstum Strukturwandel erleichtert und damit strukturelle Arbeitslosigkeit einge-
dämmt: Arbeitskräfte, die in einem sterbenden Wirtschaftszweig / einer schrumpfenden Branche
nicht mehr benötigt werden, können eine neue Beschäftigung nden in einem prosperierenden
Wirtschaftszweig / einer expandierenden Branche. Wachstum erleichtert ebenso die Finanzierung
des technischen Fortschritts und des Umweltschutzes. Ohne ausreichendes wirtschaftliches
Wachstum stoßen zudem der Sozialstaat und dessen soziale Sicherungssysteme an die Grenzen
der Finanzierbarkeit. In der Regel hat Wachstum schließlich zur Folge, dass die Arbeitsnachfrage
und damit die Beschäftigung erhöht werden. (Vgl. Edling 2008: 259)
Für ein Unternehmen besteht in einem kapitalistischen und damit einem auf Wachstum ausge-
richteten Wirtschaftssystem der Zwang, selbst zu wachsen, um nicht relativ zu schrumpfen. Und
noch einmal deutlich: Ein Unternehmen, das langfristig in einem kapitalistischen Markt überleben
und erfolgreich sein will, muss wachsen. Die Frage ist jedoch: Wie? Unsere Antwort – und die
vieler anderer – lautet: Innovationen.
Prinzipiell gibt es für Unternehmen zwei Möglichkeiten, um zu wachsen. Die erste besteht im
organischem Wachstum, d. h. in der Expansion durch Innovationen. Eine weitere Möglichkeit
besteht im Akquisitionswachstum, d. h. in der Expansion durch den Kauf eines neuen Unter-
nehmens. Welcher von diesen beiden Wegen verspricht größeren Erfolg? Die Ergebnisse einer
Analyse der Fortune Global 500 Unternehmen (Raisch, Probst, Gomez 2007) zeigen, dass orga-
nisches Wachstum einen deutlich höheren Wertbeitrag liefert als Akquisitionswachstum: »Die
meisten nachhaltig wachsenden Unternehmen setzen auf eine organische Wachstumsstrategie,
in der Akquisitionen eine nachgeordnete Rolle einnehmen. Das primäre Ziel ist dabei, aus eigener
Kraft schneller als der Wettbewerb zu wachsen.« (Ebd. 44)
17Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
Akquisitionen sind nicht grundsätzlich falsch: Nachhaltig protabel wachsende Unternehmen setzen
den Schwerpunkt klar auf organisches Wachstum; gleichzeitig nutzen sie ergänzend Akquisitionen
auf zwei Weisen, um dadurch neues organisches Wachstum zu ermöglichen:
1. Erfolgreich wachsende Unternehmen steigen mit Hilfe von Zukäufen in neue Märkte
ein, um dadurch schnell eine wettbewerbsfähige Größe und Marktposition zu erreichen.
2. Erfolgreich wachsende Unternehmen kaufen bzw. beteiligen sich an Unternehmen mit
hoher Innovationskraft. (Ebd. 43f.) Und noch einmal deutlich: »Akquisitionswachstum ist
die zweitbeste Strategie. Die beste ist organisches Wachstum. Wir setzen auf Innovation
und sehen Akquisitionen als reine Ergänzung«. (Henning Kagermann, Vorstandssprecher
der SAP AG zitiert in ebd.: 40)
Diese Ergebnisse spiegeln sich in den Entscheidungen der CEOs wider, die im Rahmen der IBM
Global CEO Study 2008 befragt wurden: Zwei Drittel der CEOs passen das Geschäftsmodell
ihres Unternehmens an und verwirklichen Innovationen in großem Umfang. (IBM 2008a: 7) Die
Autoren dieser Studie schließen aus den Aussagen der CEOs, dass sich das Unternehmen der
Zukunft u. a. hierdurch auszeichne: (Vgl. im Folgenden IBM 2008a: 8f. und 54f.)
– Das Unternehmen der Zukunft ist in der Lage, sich schnell und erfolgreich zu verändern.
– Das Unternehmen der Zukunft übertrifft die Erwartungen seiner immer anspruchs -
volleren Kunden.
– Das Unternehmen der Zukunft stellt sein Geschäftsmodell radikal in Frage und deniert
so die Grundlagen des Wettbewerbs neu.
– Das Unternehmen der Zukunft verändert sich kontinuierlich, doch aufgrund seiner
Unternehmenskultur haben die Mitarbeiter kein Problem mit der daraus resultierenden
Unberechenbarkeit.
1 | Verhältnis organisches vs. Akquisitionswachstum bei den
Fortune Global 500 Unternehmen (1995–2004)
18 Die schöpferische Kraft der Bildung
– Das Unternehmen der Zukunft ist der richtige Ort für Visionäre – Menschen, die über-
kommene Annahmen in Frage stellen und radikale Alternativen vorschlagen, auch wenn
deren Umsetzung auf den ersten Blick unmöglich erscheinen mag.
– Das Unternehmen der Zukunft richtet Prozesse und Strukturen ein, die die Innovation
und Transformation des Unternehmens fördern.
– Das Unternehmen der Zukunft denkt kreativ und unkonventionell. Es möchte Innovationen
anregen, indem es sich vorstellt, ganz von vorne anzufangen.
– Das Unternehmen der Zukunft studiert andere Branchen genau, weil es weiß, dass sich
bahnbrechende Ideen wie ein Lauffeuer verbreiten. Es hält Ausschau nach Kunden- und
Technologietrends, die andere Marktsektoren und -segmente verändern, und überlegt,
wie es diese Trends auf das eigene Branchen- und Geschäftsmodell anwenden kann.
– Das Unternehmen der Zukunft erprobt häug Geschäftsmodelle auf dem Markt.
– Das Unternehmen der Zukunft führt das Unternehmen von Heute, während es mit
dem Geschäftsmodell von Morgen experimentiert.
Für den CEO selbst bedarf es in diesem Unternehmen der Zukunft eines neuen, kreativen Selbst-
verständnisses:2
Kreative Führungskräfte heißen revolutionäre Innovationen willkommen, ermutigen
andere, ausgetretene Pfade zu verlassen, und gehen kalkulierte Risiken ein. Sie sind
offen und einfallsreich, wenn es um die Ausweitung ihres Führungs- und Kommuni-
kationsstils geht, vor allem im Austausch mit einer neuen Generation von Mitarbeitern,
Partnern und Kunden. (IBM 2010b: 10)
Kreative Führungskräfte ziehen völlig neue Wege in Betracht, um ihr Unternehmen
radikal zum Besseren zu verändern und so die Grundlage für Innovationen zu schaffen.
(Ebd. 21)
»Kreativität wird häug als Fähigkeit deniert, etwas Neues oder Anderes zu schaffen.
Die CEOs haben diese Denition jedoch ausgeweitet. Kreativität ist die Grundlage für
»radikale Innovation und ständige Neuerndung«, wie es der CEO eines Beratungs-
unternehmens aus den USA formulierte. Das erfordert mutige, bahnbrechende Ideen.
Laut den von uns befragten CEOs müssen Führungskräfte bereit sein, den Status quo
zu ändern, selbst wenn er erfolgreich ist. Sie müssen sich dafür einsetzen und bereit
sein, ständig zu experimentieren. (Ebd.: 24f.)
Die CEOs herausragender Unternehmen haben so gut wie keine Angst davor, ihre
eigenen Kreationen oder bewährte strategische Ansätze auf den Prüfstand zu stellen.
Tatsächlich wenden 74 Prozent von ihnen einen iterativen Strategieprozess an, ver-
glichen mit nur 64 Prozent der übrigen CEOs. Standouts verlassen sich mehr darauf,
ihre Strategie kontinuierlich zu hinterfragen und ggf. neu zu konzipieren, anstatt sie
19Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
starr für einen langen Zeitraum festzulegen. (Ebd.: 26)
CEOs von herausragenden Unternehmen wissen, dass kontinuierliche Verän-
derungen heute die Norm sind. Es reicht jedoch nicht, wenn nur sie selbst auf diese
Veränderungen eingestellt sind. Sie müssen ihr ganzes Unternehmen zum Katalysator
für Kreativität machen. Die meisten Führungsteams benötigen dafür völlig neue Fähig-
keiten. Ein CEO aus der Medien- und Unterhaltungsbranche in den USA brachte dies
wie folgt auf den Punkt: »Wir müssen Kreativität nicht nur erkennen, sondern auch
belohnen.« Die CEOs haben erkannt, dass sie Kreativität im gesamten Unternehmen
fördern müssen, anstatt nur einzelne kreative Köpfe in bestimmten Abteilungen wie
dem Produktdesign herauszupicken. Um von der Vielfalt an Ideen zu protieren, mit
denen jeder Mitarbeiter seinen Beitrag für das Unternehmen leisten kann, unterstützen
Standouts eine neue Einstellung, die alles in Frage stellt. Sie fordern ihre Mitarbeiter
auf allen Ebenen auf, Annahmen zu hinterfragen, die auf Erfahrungen aus der Ver-
gangenheit basieren, und Vorgehensweisen, die »schon immer« praktiziert wurden,
auf den Prüfstand zu stellen. Der CEO eines Versicherungsunternehmens aus den
USA räumte ein, dass sein Unternehmen nicht immer wirklich gut im Umgang mit
Komplexität war, und fügte hinzu: »Ich bin begeistert von unserer neuen Generation
von Führungskräften und dem neuen Schwung, den sie mitbringen.« (Ebd.: 30)
Die Autoren der Global CEO Study 2010 von IBM sind daher überzeugt, dass CEOs die Unter-
nehmen der Zukunft dann zu nachhaltigem Wachstum führen, wenn sie u. a. folgende Handlungs-
empfehlung umsetzen:
Überwinden Sie Barrieren. Holen Sie kreative Elemente Ihres Unternehmens aus ab-
geschotteten Bereichen heraus und integrieren Sie sie, um sie allen zugänglich zu
machen. Gehen Sie unkonventionelle Partnerschaften ein. Sorgen Sie für den proakti-
ven Wissensaustausch und die Zusammenarbeit mit Beteiligten innerhalb und außer-
halb des Unternehmens. Beseitigen Sie alle Hürden, die der Kommunikation im Wege
stehen, damit Sie besser mit dem Unbekannten umgehen können. (IBM 2010b: 32)
Seien Sie Vorbild für bahnbrechende Ideen. Praktizieren und fördern Sie Experimen-
tierfreude auf allen Ebenen des Unternehmens. Drängen Sie mit revolutionären
Inno vationen, die Ihr Unternehmen von der breiten Masse abheben, an die Spitze.
Analysieren und hinterfragen Sie, was andere tun – spüren Sie Technologie- und
Kunden trends auf. Erarbeiten Sie Szenarien, um Reaktionen auf verschiedene
künftige Gegebenheiten zu planen. (IBM 2010b: 32)
2 Nach den drei wichtigsten Führungsqualitäten in der neuen Wirtschaftswelt gefragt, waren die häufigsten
Antworten der CEOs in der Global CEO Study 2010 Kreativität (60%), Integrität (56%) und globales Denken
(35%). (IBM 2010b: 24)
20 Die schöpferische Kraft der Bildung
Erproben Sie radikale Innovationen. Animieren Sie das Managementteam dazu, das
Muster vorhandener Geschäftsmodelle aufzubrechen. Verfolgen Sie den Green-
Field-Ansatz – Was würden Sie tun, wenn Sie neu wären und nichts von traditionellen
»Altlasten« wüssten? Stellen Sie scheinbar unstrittige Branchenpraktiken in Frage.
Auch wenn Sie glauben, die Antwort schon zu kennen, fragen Sie nochmals »warum«.
Hinterfragen Sie bewährte Erfolgsmodelle. Steigern Sie die individuelle Anpassung ins
Extreme. Bewerten Sie Ihr Unternehmens-, Branchen- und Umsatzmodell ständig neu,
um herauszunden, was am besten funktioniert. Schauen Sie stets nach vorne und
seien Sie bereit, bei Bedarf Anpassungen in alle Richtungen vorzunehmen. Fördern Sie
eine Einstellung, die sich niemals mit dem Ergebnis »gut genug« zufrieden gibt.
Lernen Sie von den Erfolgen anderer Branchen. Lernen Sie von den kreativen
Leistungen außerhalb Ihrer Branche und lassen Sie sich davon inspirieren. Bespre-
chen Sie regelmäßig Fallbeispiele aus anderen Branchen bei den Meetings Ihres
Managementteams. Bleiben Sie immer auf dem Laufenden im Hinblick auf Kunden-
und Technologietrends, die andere Branchen grundlegend verändern, und überlegen
Sie, wie Sie sich diese Trends zunutze machen könnten. (Ebd.: 32f.)
Nutzen Sie die Chancen innovativer Kommunikation. Ersetzen Sie verstärkt die
hierarchische Kommunikation von oben nach unten durch weniger formelle, inno-
vativere Kommunikationswege. Akzeptieren Sie es, dass für Kunden und Mitarbeiter
gleichermaßen Blogs, Internetseiten, Instant Messaging und soziale Netzwerke
glaubwürdiger – und oft auch schneller – als die traditionelle Top-down-Kommuni-
kation sind. Seien Sie offener, wenn es darum geht, Interessengruppen den Kontakt
zu Ihnen zu ermöglichen. (Ebd.: 33)
Empirisch untermauert werden solche Überzeugungen durch eine Reihe von Untersuchungen.
Smolny und Schneeweis (1999: 468) kommen so zu der Einschätzung: »Innovatoren weisen eine
deutlich günstigere Umsatz- und Beschäftigungsentwicklung auf als Nicht-Innovatoren; sowohl
Produkt- als auch Prozessinnovationen führen auf Unternehmensebene zu höherem Umsatz und
höherer Beschäftigung.« Die Ergebnisse dreier Studien des Instituts für Wirtschaftsforschung zu
diesem Thema bestätigen den positiven Zusammenhang zwischen der Innovationstätigkeit in
einem Land und dessen wirtschaftlicher Situation bzw. dessen Arbeitsmarkt. (Lachenmaier, Woess-
mann 2004; Lachenmaier, Rottmann 2007a und b) Die Autoren dieser Studien kommen daher zu dem
Schluss: »industrialized countries may have to continually innovate if they want to remain competitive
on global markets and maintain their living standards.« (Lachenmaier, Woessmann 2004: 25)
21Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
2 | Wachstum durch Innovation
Das Ziel »nachhaltiges Wachstum« lässt sich am besten durch organisches Wachstum, d. h.
durch Innovationen erreichen. Was bedeutet nun aber der Begriff Innovation? Einer der »Ernder«
des Begriffs Innovation, Joseph A. Schumpeter, deniert die »Innovation« als: »the doing of new
things or the doing of things that are already done, in a new way« (Schumpeter 1947: 151)3
Entscheidend an dieser Denition ist das Verb »doing«: Es geht nämlich nicht alleine darum
Ideen, Vorstellungen eines Zukünftigen im Kopf zu haben; es geht darum, diese Ideen in die Tat
umzusetzen, neues oder so nicht angewandtes Wissen wertschöpfende Wirklichkeit werden zu
lassen. Damit reicht die Innovation weiter als die eigentliche Idee oder Erndung, beinhaltet sie
doch darüber hinausgehende Aktivitäten, die über den Erfolg auf dem Markt entscheiden.
Viele assoziieren mit dem Begriff »Innovation« technische Erndungen. Innovationen können je-
doch zum einen nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Bürgergesellschaft und im Staat
gefunden bzw. eingeführt werden. Gerade bei sozialen Innovationen wird dies deutlich. So gelten
z. B. Umweltbewegung, nicht-eheliche Lebensgemeinschaften, Sozialversicherung und neue pä-
dagogische Konzepte auch als Innovationen. Im Bereich der Wirtschaft sind es zum anderen
nicht alleine die großen technischen Neuerungen, die Schumpeter meint, wenn er von Innova-
tionen spricht – und wie Studien zeigen, sind es auch nicht zwingend diese neuen Techniken, die
einem Unternehmen einen Vorsprung vor seinen Konkurrenten garantieren. (Collins 2001: 162)
Schumpeter weist stattdessen darauf hin, dass es folgende Wege gibt, um radikal zu innovieren,
d. h. etwas völlig Neues einzuführen.
3 »[...] dass die Innovation Faktoren auf eine neue Art kombiniert oder dass sie in der Durchführung neuer
Kombinationen besteht.« (Schumpeter 1961b, Bd.1: 95)
22 Die schöpferische Kraft der Bildung
(1) The introduction of a new good – that is one with which the consumers are not
yet familiar – or a new quality of a good. (2) The introduction of a new method of
production, that is one not yet tested by experience in the branch of manufacture
concerned, which need by no means be founded upon a discovery scientically
new, and can also exist in a new way of handling a commodity commercially. (3)
The opening of a new market, that is a market into which the particular branch
of manufacture of the country in question has not previously entered, whether or
not this market existed before. (4) The conquest of a new source of supply of raw
materials or half-manufactured goods, again irrespective of whether this source al-
ready exists or whether it has rst to be created. (5) The carrying out of the new or-
ganisation of any industry, like the creation of a monopoly position (for example trough
trustication) or the breaking up of a monopoly position. (Schumpeter 1961a: 65f.)
Wie vorausschauend diese Sichtweise ist, zeigen die Ergebnisse der IBM Global CEO Study 2010:
Die erfolgreichsten Unternehmen wenden völlig neue Methoden an, um neue Chan-
cen zu nutzen und Hürden zu überwinden, die Wachstum im Wege stehen. […] Das
gelingt ihnen, indem sie Abläufe und Produkte vereinfachen und geschickter dabei
vorgehen, Arbeitsweisen zu ändern, Zugang zu Ressourcen zu erhalten und welt-
weit in neue Märkte einzutreten. Diese geschickter agierenden CEOs erwarten künftig
20 Prozent mehr Umsatz aus neuen Quellen als andere CEOs. (IBM 2010a: 2f.)
Die CEOs richten ihr Augenmerk wieder auf Wachstum, und viele von ihnen gaben
an, dass ihr Erfolg davon abhängt, in den nächsten fünf Jahren den Umsatz aus
neuen Quellen zu verdoppeln. Der CEO eines Telekommunikationsunternehmens
in Brasilien gab folgende Prognose ab: »Die Services, die heute 80 Prozent unseres
Umsatzes ausmachen, werden in fünf Jahren nur noch an zweiter Stelle der Um-
satzquellen stehen.«
Die Suche nach neuen Wachstumsfeldern ist nicht einfach in einem Umfeld, das
von unzähligen einzelnen Märkten, immer mehr Produkt- und Servicekategorien
und immer stärker individualisierten Kundensegmenten geprägt ist. Für CEOs be-
deutet dies, dass sie ihr Portfolio, ihr Geschäftsmodell, ihre Arbeitsweise und lang
gehegte Meinungen grundlegend verändern müssen. Sie müssen stärker berück-
sichtigen, was Kunden heute wichtig ist, und die Art und Weise der Wertschöpfung
neu bewerten. Abgesehen von wenigen Ausnahmen erwarten die CEOs weitere
radikale Veränderungen. Die neue Wirtschaftswelt ist, wie die CEOs übereinstimmend
sagen, sehr viel dynamischer, ungewisser, komplexer und strukturell anders. (IBM
2010b: 14)
23Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
Nichtsdestotrotz sollen an der ursprünglichen Denition Schumpeters folgende Modikationen
vorgenommen werden: Auf die heutige Sicht übertragen wird der Faktor »Einführung neuer Pro-
duktionsmethoden« um die Einführung neuer Geschäftsprozesse erweitert und der Faktor »Neu-
organisation von Wirtschaftszweigen« durch den Faktor »Entwicklung und Einführung neuer
Organisationsstrukturen« ersetzt. Letzterer beinhaltet all diejenigen Neuerungen, die die Organi-
sationen eines Unternehmens betreffen, wie Mergers & Acquisitions, Joint Ventures, Kooperatio-
nen usw. aber auch interne Neuorganisationen. Der Faktor »Erschließung neuer Bezugsquellen
von Rohstoffen und Halbfabrikaten« bezieht sich auch auf den »Aufbau neuer (internationaler)
Lieferanten zur Erschließung einer neuen Bezugsquelle von Rohstoffen oder Halbfabrikaten«.
Radikale Innovationen nach Schumpeter bedeuten aus Sicht von Unternehmen heute daher dies:
– Entwicklung und Einführung eines neuen Produkts und Entwicklung und Bereitstellung
einer neuen Dienstleistung
– Entwicklung und Einführung neuer Produktionsmethoden und Entwicklung und
Einführung neuer Geschäftsprozesse
– Erschließung neuer Absatzmärkte
– Erschließung neuer Einkaufsmärkte
– Entwicklung und Einführung neuer Organisationsstrukturen
3 | Radikale Innovationen
24 Die schöpferische Kraft der Bildung
Zu diesen fünf Innovationstypen könnte man heute noch diese hinzu zählen bzw. aus den von
Schumpeter genannten ausdifferenzieren: Zunächst seien Veränderungen im Humanbereich einer
Organisation genannt (soziale Innovation), also vom vorher gewohnten Schema abweichende
Regelungen von Tätigkeiten und Vorgehensweisen; ein bekanntes Beispiel für eine soziale Inno-
vation ist die Fließbandarbeit. (Gillwald 2000) Weiterhin sollte man noch explizit das bedeutende
Gebiet der Finanzinnovationen nennen (Organisation von Kapitalmärkten, Bezahlmöglichkeiten
etc.). Wir möchten an dieser Stelle anmerken, dass es bei solchen Finanzinnovationen um solche
geht, welche mit der Realwirtschaft zu tun haben, welche die Finanzierung von und Investition
in Unternehmen und Unternehmungen betreffen. Es geht hier nicht um Innovationen aus dem
Bereich der Finanzwirtschaft und hierbei vor allen Dingen nicht um solche obskuren Spekulations-
objekte und Geschäftsmodelle des Kasino-Kapitalismus, welche das klassische marktwirtschaft-
liche System zutiefst deformiert haben (Leerverkäufe, Banken, die fast ohne Eigenkapital und
damit ohne eigene Haftung arbeiten). Ferner sollte man – u. a. angesichts der heute fundamentalen
Bedeutung des Internet – auch Infrastruktur-Innovationen nennen (Verkehr, Kommunikation etc.).
Schließlich soll von Innovationen gesprochen werden, wenn das Geschäftsmodell, also die folgen-
den Schlüsselfaktoren eines Unternehmens verändert werden: Veränderungen des Nutzens für
eine bestimmte Kunden- oder Lieferantengruppe; Veränderungen bei Bestandteilen der internen
und externen Architektur der Leistungserstellung; Veränderungen bei der Auswahl bzw. dem Mix
der Quellen, aus denen die Erträge eines Geschäftsmodells generiert werden.4
So könnte man die Innovationstypen nach Schumpeter also ergänzen durch:
– Soziale Innovation
Entwicklung und Einführung neuer Regelungen von Tätigkeiten und Vorgehensweisen
– Finanzinnovation
Entwicklung und Einführung neuer an Geld-, Kredit- und Kapitalmärkten bisher
nicht verfügbaren Anlage- und Finanzierungsinstrumenten sowie Verfahrensweisen
der Marktteilnehmer
– Infratrukturinnovation
Entwicklung und Einführung neuer Instrumente sowie Verfahrensweisen einerseits
für die Mobilität von Menschen, Gütern und Informationen sowie andererseits für den
Zugang zu oder Logistik von Gütern und Informationen
– Geschäftsmodellinnovation
Entwicklung und Einführung neuer Geschäftsmodelle (Nutzenversprechen / Wertschöpfungs-
architekturen / Ertragsmodellen)
25Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
4 Ein Beispiel eines Innovators des Nutzenversprechens ist der Online-Auktionator eBay. Das Nutzenversprechen
von eBays Geschäftsmodell ist die Bereitstellung von Liquidität für jegliche Art von austauschbaren Leistungen.
Als Marktführer hat eBay eine solche Liquidität, dass selbst Güter wie die Jahresarbeitsleistung von Soft-
wareentwicklern oder Spendernieren angeboten wurden und auch auf eine entsprechende Nachfrage gestoßen
sind. Bei eBay ist das Nutzenversprechen für Kunden und Wertschöpfungspartner gleich, da die Wertschöpfung
selbst durch die Kunden erbracht wird. eBay stellt nur die Vermittlungsplattform zur Verfügung. Die Abwicklung
der Transaktion übernehmen die Transaktionspartner selbst und bedienen sich dort bestehender Anbieter wie
der Post oder Banken. Die Innovation des Nutzenversprechens durch eBay besteht darin, da vor eBay für einen
Großteil der dort gehandelten Güter keine liquide Austauschplattform existierte. Traditionelle Austauschformen
für Trödel- und Gebrauchtwaren zeichneten sich durch eine sehr geringe Liquidität aus, da die räumlichen
und zeitlichen Barrieren das Aufeinandertreffen von Anbietern und Nachfragern für Waren z. B. mit einem
relativ niedrigen Wert verhinderten. (Vgl. Stähler 2002: 79f.)
Ein Beispiel eines Innovators der Wertschöpfungsarchitektur ist Dell, der zweitgrößte Hersteller von PCs.
Dells Geschäftsmodell weicht in zwei Punkten vom traditionellen Modell der PC Industrie ab: Erstens verkauft
Dell seine PCs nur direkt und schliesst Wiederverkäufer, Einzelhändler und Systemintegratoren vom Kauf -
prozess aus. Die zweite Änderung des Geschäftsmodells betrifft den Koordinationsmechanismus bei der
Produktion der PCs. Während beim klassischen Modell die Produktion nach Verkaufsprognosen erfolgt und
eine Lagerhaltung von ca. 90 Tagen damit einhergeht, produziert Dell erst nach Auftragseingang. Dells
Geschäftsmodell, insbesondere mit seinen Veränderungen der Wertschöpfungsarchitektur und der Koordi -
nationsprozesse, hat zu Wettbewerbsvorteilen geführt, da es besser geeignet ist, auf die kurzen Produkt -
lebenszyklen der Computerindustrie von ca. 6 Monaten zu reagieren. Das Built-to-Order Verfahren ermöglicht
einerseits den Verzicht auf Lagerhaltung, andererseits bietet Dell so seinen Kunden immer die neueste
Computertechnik an. Dies führt zu niedrigeren Kosten, da Dell keinen Wertverlust auf den Lagerbestand
erleidet (Wertverlust pro Monat ca. 10% in der Computerindustrie), und höheren Erträgen, da der Markt
bei neuester Technik höhere Margen akzeptiert. (Vgl. Stähler 80f.)
Ein Beispiel für eine Innovation bei Ertragsmodellen findet sich in den Prepaid-Tarifen diverser Telekomm -
unikationsanbieter. Das traditionelle Geschäftsmodell der Telekommunikationsindustrie geht von einem
»bekannten« Kunden aus, dem für ca. zwei Monate die Gesprächsgebühren vorgestreckt werden, bevor er
sie dann per Überweisung oder Lastschrift zahlt. Dieses Modell führt zu einem hohen Forderungsausfallrisiko,
was zur Folge hat, dass Telekommunikationsunternehmen ein ausgeklügeltes Forderungsmanagement inklusive
Kreditmanagement entwickelt haben. Dies schliesst Kreditprüfungen vor Vertragsabschluss und Hinterlegung
von Kautionen z. B. für potentielle Risikogruppen ein. Dieses Verfahren schliesst automatisch größere poten -
tielle Kundengruppen z. B. Jugendliche aus. An diesem Punkt setzt eine Ertragsmodellinnovation ein, die zwar
keinen Wettbewerbsvorteil für ein einzelnes Unternehmen gebracht hat, aber zu einer starken Ausweitung
des Gesamtmarktes für Mobiltelephonie geführt hat. Anstatt eine Grundgebühr für den Anschluss zu berechnen
und nachträglich für einen gewissen Zeitraum eine Rechnung zu stellen, bezahlt der Kunde im Vorhinein eine
gewisse Summe, die er dann abtelefonieren kann. Er hat jederzeit den Überblick, wieviel Guthaben er noch
zur Verfügung hat. Die Grundgebühr entfällt und wird durch höhere Gesprächsgebühren kompensiert. (Vgl.
Stähler 2002: 84f.)
Schumpeter selbst postuliert Innovation als »schöpferische Zerstörung« (Schumpeter 1946 / 1993:
136f.), als Substituierung des Alten durch das mitunter radikal Neue. Innovationen sind hier also
dasjenige völlig Andere, das Bestehendes ersetzt. Bisweilen bewirken solche radikalen Neuerun-
gen große Wachstumssprünge. Die Öffentlichkeit nimmt solche Innovationen auch naturgemäß als
»Innovationen an sich« wahr, als Innovation im eigentlichen Sinne. Dies mag erstens am Wesen
solcher radikalen Neuerungen liegen, werden durch diese doch oftmals wichtige und / oder dringliche
26 Die schöpferische Kraft der Bildung
Probleme gelöst. Dies mag zweitens am Wesen des Menschen liegen, sich für Neuartiges zu
interessieren. Dies mag drittens daran liegen, dass im Zuge von radikalen Neuerungen neue
Unternehmen, mitunter sogar neue Wirtschaftszweige herausgebildet haben. Nichtsdestotrotz
gilt: Für das langfristige Überleben und den nachhaltigen Erfolg des Unternehmens bedarf es
der kontinuierlichen Revolution bzw. Erneuerung, d. h. der fortwährenden Schaffung radikaler
Innovationen.
Wie eine Analyse der Fortune Global 500 Unternehmen zeigt (Raisch, Probst, Gomez 2007:
46f.), bedarf es jedoch für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg zugleich einer komplementären
Strategie: kontinuierliche Reformation bzw. Optimierung, d. h. der fortwährenden Schaffung inkre-
menteller Innovationen. Insofern können Innovationen unterschieden werden in das Neue und
das Bessere. Obschon Optimierungen freilich weniger radikal wirken als Erneuerungen, sind sie
doch immer auch schöpferisch jedoch weniger in einem revolutionären und zerstörerischen als
vielmehr in einem evolutionären und permutierenden Sinne. Optimierungen sind Innovationen,
bei denen das Bestehende durch das (hoffentlich) Verbesserte ersetzt / ergänzt wird. Der De-
nition nach Schumpeter folgend bedeuten solche Innovationen: »the doing of better things or
the doing of things that are already done, in a better way«.5 Und den fünf Wegen folgend, die
laut Schumpeter zu einer wertschöpfenden Wirklichkeit führen, bedeutet dies, dass Wachstum
hierdurch entsteht:
– Entwicklung und Einführung einer neuen Produktqualität und Entwicklung und
Bereitstellung einer neuen Dienstleistungsqualität
– Optimierung bestehender Produktionsmethoden und Optimierung bestehender
Geschäftsprozesse
– Durchdringung / Reaktivierung / Ausbau bestehender (internationaler) Absatzmärkte
– Verbesserung / Reaktivierung / Ausbau bestehender (internationaler) Einkaufsmärkte
– Verbesserung / Reorganisation / Ausbau bestehender Organisationsstrukturen
27Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
Für die oben genannten neuen bzw. ausdifferenzierten Innovationstypen bedeutet das:
– Verbesserung / Reorganisation / Ausbau bestehender Regelungen von Tätigkeiten
und Vorgehensweisen
– Optimierung von an Geld-, Kredit- und Kapitalmärkten bereits verfügbaren Anlage-
und Finanzierungsinstrumenten sowie Verfahrensweisen der Marktteilnehmer
– Verbesserung / Reorganisation / Ausbau bestehender Instrumente sowie Verfahrens -
weisen einerseits für die Mobilität von Menschen, Gütern und Informationen sowie
andererseits für den Zugang zu oder Logistik von Gütern und Informationen
– Reformation / Ergänzung bestehender Geschäftsmodelle
(Nutzenversprechen / Wertschöpfungsarchitekturen / Ertragsmodellen)
4 | Inkrementelle Innovationen
5 Obschon Schumpeter selbst nicht von einer solchen Strategie spricht, lässt seine Definition durchaus diesen
Schluss zu: Der erste Teil der Definition, das »doing of new things«, meint die Einführung des (radikal) Neuen;
der zweite Teil, das »doing of things, that are already done, in a new way«, kann interpretiert werden als
Restrukturierung bzw. Weiterentwicklung.
28 Die schöpferische Kraft der Bildung
Durch Innovationen im Sinne Schumpeters lassen sich der Absatz und die Produktion eines Un-
ternehmens ständig erhöhen und optimieren, sodass mit zunehmender Zeit eine immer höhere
Quantität und / oder Qualität und somit der Erhalt bzw. der ständige Ausbau der Wettbewerbsfä-
higkeit sowie ein permanentes Wachstum gewährleistet wird. Um ein stetiges unternehmerisches
Wachstum gewährleisten zu können, ist es unbedingte Voraussetzung, dass das Innovationsbe-
streben eines Unternehmens in jedem unternehmerischen Segment verinnerlicht und mitgetragen
wird. Der gesamte Unternehmensentwicklungsprozess sollte auf Innovationen ausgerichtet sein.
Weder Innovationen im Sinne des radikal Anderen noch Innovationen im Sinne des fortlaufend
Besseren sind dabei auf Dauer ausreichend für nachhaltig protables Wachstum. Ein nachhal-
tiges Wachstum entsteht erst und nur durch Innovationen, welche gleichsam und zugleich dies
bedeuten: »the doing of new and better things or the doing of things, that are already done, in a
new and better way«. Erfolgreiche Innovationen sind weder nur das Bessere noch nur das Neue,
sondern das bessere Neue und das neue Bessere.
Neue Unternehmen und Unternehmungen entstehen, indem eine Innovation basierend auf den
genannten Innovations-Faktoren bzw. einer Kombination aus mehreren dieser tatsächlich umge-
setzt wird neue Unternehmen bzw. Unternehmungen sind also das Ergebnis von Veränderungen
auf Ebene der Geschäftsstrategien und operationellen Praktiken, die sich ergeben aus der Ziel-
setzung »do new things or do things that are already done, in a new way«. Die Grundlage, d. h.
die Ideen für neue Unternehmen bzw. Unternehmungen, muss dabei wohlgemerkt nicht immer
selbst generiert werden: Es gibt tausende von Patenten, die noch nicht vermarktet worden sind,
tausende von Geschäftskonzepten, die adaptiert und weitergeführt werden könnten.
29Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
5 | Neue Unternehmen bzw. Unternehmungen
FAZIT
Ganz gleich wie pervertiert die Vorstellung von wirtschaftlichem Wachstum auch wurde und wird
an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten: Im Kern bedeutet das Wachstum in kapi-
talistischen Wirtschaftssystemen die Mehrung des Wohlstands aller Menschen. So gesehen ist
Kapitalismus immer auf Wachstum ausgerichtet – sowohl auf quantitatives und heute immer
mehr auch auf qualitatives. Um in einer solch wachsenden Umgebung nicht relativ zu schrumpfen
ergibt sich für Unternehmen gleichsam die Notwendigkeit zu Wachstum. Und als beste aller mög-
lichen Strategien zur Verwirklichung der unternehmerischen Ziele »langfristiges Überleben« und
»nachhaltiger Erfolg« gilt das Wachstum durch Innovationen. Um nachhaltiges, d. h. bleibendes
und für die Zukunft ebenfalls andauerndes Wachstum zu generieren, sollte diese Notwendigkeit
zu Wachstum an wenigstens einem der fünf Schumpeter‘schen Faktoren ausgerichtet sein.
30 Die schöpferische Kraft der Bildung
2 ÜBER DIE BILDUNG (ZU)
EINER PERSÖNLICHKEIT
Ohne den unternehmerisch handelnden Menschen bleibt eine Idee nur ein Hirngespinst. Gefordert
sind deswegen Innovatoren, also Menschen, die Ideen verwirklichen. Wie können Gesellschaften
jedoch sicherstellen, dass ihre Mitglieder sich zu eben Innovatoren entwickeln? Allgemein danach
gefragt, was es braucht, um Menschen zu »guten und tüchtigen Naturen« zu entwickeln, gibt Platon
diese Antwort:
Fürwahr […] versetzte ich, nicht viele und große Dinge sind es, die wir [Gesellschaf-
ten] hier auftragen, wie jemand glauben könnte, sondern lauter geringe, […]. Und
was ist dies? […] Die Bildung, antwortete ich, und die Erziehung. […] Denn tüchtige
[…] Bildung, wenn sie bewahrt wird, schafft gute Naturen; und andererseits tüchtige
Naturen, wenn sie an einer solchen Bildung festhalten, werden noch besser als die
früheren wie zu den andern Dingen so auch zum Zeugen, gerade wie auch bei den
andern Geschöpfen. (Platon, »Der Staat« in: Sämtliche Werke Bd. 2: 129)
Bildung6 – das ist die allgemeine und umfassende Antwort darauf, wie Gesellschaften sicherstellen
können, dass sich ihre Mitglieder zu »guten und tüchtigen Naturen« im Allgemeinen und zu Inno-
vatoren im Speziellen entwickeln.
Viel und oft wurde und wird in der Geistesgeschichte über Bildung nachgedacht. Eine altehrwürdige
und heute wieder vielgenannte Weise, wie von diesem Begriff gesprochen werden könnte / sollte,
stammt von Wilhelm von Humboldt:
Im Mittelpunkt aller besonderen Arten der Thätigkeit nemlich steht der Mensch,
der ohne alle, auf irgend etwas Einzelnes gerichtete Absicht, nur die Kräfte seiner
Natur stärken und erhöhen, seinem Wesen Werth und Dauer verschaffen will. Da
jedoch die blosse Kraft einen Gegenstand braucht, an dem sie sich üben, und
die blosse Form, der reine Gedanke, einen Stoff, in dem sie, sich darin ausprä-
gend, fortdauern könne, so bedarf auch der Mensch einer Welt ausser sich. Daher
entspringt sein Streben, den Kreis seiner Erkenntnis und seiner Wirksamkeit zu
erweitern, und ohne dass er sich selbst deutlich dessen bewusst ist, liegt es ihm
nicht eigentlich an dem, was er von jener erwirbt, oder vermöge dieser ausser sich
hervorbringt, sondern nur an seiner inneren Verbesserung und Veredlung, oder
wenigstens an der Befriedigung der innern Unruhe, die ihn verzehrt. Rein und
in seiner Endabsicht betrachtet, ist sein Denken immer nur ein Versuch seines
Geistes, vor sich selbst verständlich, sein Handeln ein Versuch seines Willens,
in sich frei und unabhängig zu werden, seine ganze äussre Geschäftigkeit über-
haupt aber nur ein Streben, nicht in sich müssig zu bleiben. Bloss weil beides, sein
31Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
6 Wir verwenden einen sehr umfassenden Bildungsbegriff, unter den auch Begriffe wie Erziehung, Sozialisation
etc. untergeordnet werden.
7 Wie schon Information und Wissen schließt auch Bildung mehrere Bedeutungsebenen ein: Sie ist zugleich
Prozess, das Bilden, und Produkt, die Bildung. Bildung dient der Befähigung anderer Menschen, stellt zu-
gleich aber auch Selbstbefähigung der / des Einzelnen dar. Bildung ist zum einen auf ein Ziel gerichtet (Per-
sönlichkeit, Vollkommenheit), lässt aber auch Optionen offen (Freiheit, Glück). Definiert man Bildung als
reflektiertes Denken und darauf aufbauendes Handeln, dann ist Bildung eindeutig mehr als Informationsauf-
nahme und Verarbeitung von Wissen. Bildung enthält vielmehr die Vorstellung der Entfaltung einer Persön-
lichkeit mit aufrechtem Gang und freiem Entscheidungswissen, die versucht, möglichst allen menschlichen
Rollen (eben nicht nur der Erwerbstätigkeit, wie derzeit häufig in Zusammenhang mit lebenslangem Lernen
argumentiert wird) gerecht zu werden (Vgl. Gruber 2002, S. 280).
Denken und sein Handeln nicht anders, als nur vermöge eines Dritten, nur vermöge
des Vorstellens und des Bearbeitens von etwas möglich ist, dessen eigentlich un-
terscheidendes Merkmal es ist, Nicht-Mensch, d. i. Welt zu seyn, sucht er, soviel
Welt, als möglich zu ergreifen, und so eng, als er nur kann, mit sich zu verbinden.
Die letzte Aufgabe unsres Daseyns: dem Begrif der Menschheit in unsrer Person,
sowohl während der Zeit unsres Lebens, als auch noch über dasselbe hinaus,
durch die Spuren des lebendigen Wirkens, die wir zurücklassen, einen so grossen
Inhalt, als möglich, zu verschaffen, diese Aufgabe löst sich allein durch die Ver-
knüpfung unsres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regesten und freiesten
Wechselwirkung. (Humboldt 1793 / 1986: 33f.)
Der Begriff »Bildung« schließt hierbei zwei Bedeutungsebenen ein: Bildung ist zugleich Prozess,
das Bilden, und Produkt, die Bildung.7 Sich bilden bedeutet also: Sich an so viel Welt als möglich
abzuarbeiten, um es in die eigene Menschheit zu verwandeln. Bildung – also das Produkt des
Bildens – steht für jenen Teil der Welt, den der Mensch durch sein aktives Zuwenden ergriffen und
damit auch zutiefst begriffen hat.
2.1 BILDUNG UND PERSÖNLICHKEIT
Eine zentrale Bestimmung eines so verstandenen Bildungsbegriffs besteht darin, Bildung als »All-
gemeinbildung« zu verstehen. Mit Allgemeinbildung meinen wir, dass »für die Bildung aller Seelen-
bestandteile zusammen Sorge« getragen werden muss, (Platon, »Der Staat« in: Sämtliche Werke
Bd. 2: 361) dass sich also das bildende Subjekt nicht damit begnügen darf und kann z. B. »nur«
(kanonische) Informationen zu lernen, um sich den potenziellen Wissenszugewinn hiernach prüfen
und zertizieren zu lassen. Bildung als Allgemeinbildung ist ganzheitlich, d. h. auf das humanisti-
sche Ideal des »uomo universale«, des allseitig entwickelten Menschen gerichtet.
32 Die schöpferische Kraft der Bildung
Wir sehen den in dieser Weise ganzheitlich zu verstehenden Bildungsbegriff aufs engste verbunden
mit dem Begriff »Persönlichkeit«. Vermutlich genauso oft und viel wie über den Begriff Bildung
wurde auch über den Begriff »Persönlichkeit« gesprochen – nicht nur im wirtschaftlichen Umfeld,
sondern überhaupt im gesamten Laufe der Geistesgeschichte der Menschheit. Dergestalt wurde
dieser Begriff auch myriadenhaft deniert. Nichtsdestotrotz wagen wir es, dieser Vielzahl noch eine
weitere Denition hinzuzufügen. Persönlichkeit bezeichnet nach unserem Verständnis sowohl ein
Persönlichkeit-Haben wie auch Persönlichkeit-Sein, d. h. man kann sowohl eine Persönlichkeit
haben wie auch eine Persönlichkeit sein.
2.1.1 DIE ELEMENTE DES PERSÖNLICHKEIT-HABEN
Im ersten Fall – dem Haben – ist der Begriff »Persönlichkeit« in einem weiten Sinne und wie in
der Psychologie heute üblich wertfreien Sinn deniert. Persönlichkeit besteht demgemäß aus
einer zutiefst individuellen Gesamtheit von angeborenen und erworbenen Elementen. Hierzu
zählen wir folgende Elemente:8
– Wissen
– Kompetenzen
– Temperament
– Charakter
– Werte.
6 | Persönlichkeit-Haben
33Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
8 Wir orientieren uns bei dieser Definition des Begriffs »Persönlichkeit« nach Dittmann und Stieglitz (1996: 220):
»Im psychologisch-psychiatrischen Sprachgebrauch kann Persönlichkeit definiert werden als die Gesamtheit
der (psychischen) Eigenschaften und Verhaltensweisen, die dem einzelnen Menschen eine eigene, charak -
teristische, unverwechselbare Individualität verleihen. Es handelt sich dabei um eine weitgehend stabile oder
doch lange Zeit überdauernde Struktur individueller Eigenschaften in Bezug auf Charakter, Temperament,
Intelligenz und körperliche Grundbedingungen eines Menschen.«
Bei dem Einschluss von Wissen und Kompetenzen orientieren wir uns an der Definition nach Fiedler (2007: 2):
»Persönlichkeit und Persönlichkeitseigenschaften eines Menschen sind Ausdruck der für ihn charakteristischen
Verhaltensweisen und Interaktionsmuster, mit denen er gesellschaftlich-kulturellen Anforderungen und
Erwartungen zu entsprechen und seine zwischenmenschlichen Beziehungen auf der Suche nach einer per-
sönlichen Identität mit Sinn zu füllen versucht.« Nach Bunk (1994) sowie Heyse und Erpenbeck (1997: 53f.)
lassen sich Kompetenzen topologisch betrachtet, »unterhalb« von Persönlichkeitseigenschaften (in diesem
Fall: Temperament, Charakter und Werte) und »oberhalb« von situationsspezfischem Verhalten ansiedeln.
Auch wenn es eher ungewöhnlich anmutet, soll Wissen ebenso als ein Element von Persönlichkeit beschrieben
sein – zumindest bildet implizites wie explizites Wissen die Grundlage für viele Derivate wie z. B. Meinungen,
Vorurteile über sich, andere und die Welt an sich sowie für Kompetenzen, also für Aspekte, die vielfach in
Zusammenhang mit Persönlichkeit genannt werden.
Der Begriff »Temperament« könnte als ein Element des Charakters definiert werden. Die Differenzierung
zwischen diesen beiden Begriffen ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass wir weiter unten in dieser
Arbeit das Temperament als ein wesentliches Element einer »schöpferischen Persönlichkeit« oder anders
gesagt: eines Entrepreneurs betrachten.
Freilich stellt die obige Aufzählung an Elementen eine – nämlich unsere – Auswahl an den Myriaden an
Elementen und Kategorien dar, die man ebenfalls dem Begriff »Persönlichkeit« zuordnen könnte. Elemente
wie Intelligenz, Vorurteile, Meinungen, Einstellungen, der eigene Körper bzw. das Bewusstsein desselben
gehören natürlich ebenso zur Persönlichkeit wie viele weitere Elemente auch. Die obige Auswahl und überhaupt
unser gesamtes Verständnis des Begriffs »Persönlichkeit« ist dementsprechend nur ein weiteres Provisorium,
welches im Rahmen dieser Arbeit seinen Dienst tut.
WISSEN Unter diesem Begriff versteht man »das Ergebnis eines Verstehensprozesses, der sich
durch die Einordnung von Informationen in einen Kontext auf Basis individueller Erfahrungen
vollzieht.« (Klein 2001: 73) Damit aus Informationen – das sind Zeichen (Buchstaben, Zahlen,
Symbole), die in einen Bedeutungs- und Problemkontext gestellt sind – »Wissen« entsteht, muss
ein Mensch sie in seinen Erfahrungskontext aufnehmen, d. h. in seine Denk-, Gefühls-, Hand-
lungs- und Willensstruktur. Anders gesagt: aus Informationen wird Wissen, indem ein Mensch die
Informationen auswählt, bewertet und sie mit im Gedächtnis abgespeichertem Wissen vergleicht
und vernetzt. (Vgl. Wiater 2007: 15f.)
34 Die schöpferische Kraft der Bildung
Insofern es sich bei diesem Wissen um ein kanonisches Wissen handelt, welches für die Ausübung
eines bestimmten Berufs obligatorisch ist, entwickelt der Studierende Qualikationen und damit
Berufsfertigkeit. Erpenbeck und Sauter (2007a) denieren Qualikationen als »klar zu umreißende
Komplexe von Wissen im engeren Sinne, Fertigkeiten und Fähigkeiten, über die Personen bei der
Ausübung beruicher Tätigkeiten verfügen müssen, um anforderungsorientiert handeln zu können.«
Baethge (2010) deniert in ähnlicher Weise: »Qualikation ist das individuelle Arbeitsvermögen,
d. h. die Gesamtheit der subjektiv-individuellen Fähigkeiten, Kenntnisse und Verhaltensmuster, die
es dem Einzelnen erlauben, die Anforderungen in bestimmten Arbeitsfunktionen auf Dauer zu er-
füllen.« (Zitiert in Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Qualikation) Eine Qualikation bezeichnet
kurzum das, was ein Mensch wissen und können muss, um eine bestimmte beruiche Tätigkeit
auszuüben bzw. ausüben zu dürfen. In diesem Sinne kann der der Begriff »Qualikation« auch als
Synonym verstanden werden zum Begriff der »Berufsbefähigung«. Qualikationen sind abprüfbar
(typischerweise durch eine Abschlussarbeit, ein Examen, eine Fallstudie o.ä.) und daher wird die
Qualikation einer Person durch erworbene Bildungsabschlüsse dokumentiert. Der Begriff »Quali-
kation« meint daher, dass bei einem Menschen bestimmte Kenntnisse, Leistungen, Fähigkeiten im
Rahmen einer Prüfung festgestellt worden sind.
KOMPETENZEN Seit den 1960ern ist eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem Bildungsziel
»Kompetenzentwicklung« zu beobachten. Dies ist wohl hierauf zurückzuführen: Bildung bedeutet
7 | Daten, Informationen und Wissen
35Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
im Sinne Humboldts vor allem, dass Menschen sich in und an dieser Welt abarbeiten, um sich
dadurch als ein Subjekt entfalten zu können. Wenn diese Welt aber nun zunehmend komplex,
unüberschaubar, unsicher und chaotisch wird, dann besteht ein entscheidender Bildungsauftrag
darin, Menschen die Fähigkeiten zu geben, sich in und an solchen Unsicherheiten, Unüberschau-
barkeiten sowie komplexen und chaotischen Zuständen abzuarbeiten. Genau diese Fähigkeiten
werden mit dem Begriff »Kompetenz« zusammengefasst.
Allgemein ausgedrückt, bezeichnet der Begriff Kompetenz jene Leistungsvoraussetzungen9 (Anlagen,
Fähigkeiten und Bereitschaften) eines Individuums, die sich zeigen in dessen selbstorganisierter Be-
wältigung solcher Situationen, die sich auszeichnen durch Komplexität, Ambiguität, Problemhaltigkeit
und Handlungsbezug. In solchen Situationen muss das Individuum Wissen kontextbezogen bewerten
oder erzeugen, um handlungsfähig zu sein oder zu werden. Kompetenz ist also kurzum die »Dispo-
sition selbstorganisierten Handelns«, welche sich besonders dann konkretisiert, wenn es neue und
nicht routinierte Situationen zu bewältigen gilt. (Erpenbeck, Rosenstiel 2003: XI; dies. 2007: XXIII).
8 | Komplexität, Unübersichtlichkeit, Unsicherheit und Chaos als Ausgangs-
situation für die Notwendigkeit der Entwicklung von Kompetenzen
9 Diese Leistungsvoraussetzungen sind multimodaler Art nämlich kognitiv, sozialkommunikativ, volitional, aktio-
nal / motorisch sowie emotionalmotivational. Die Anforderungen, in denen sich diese Bereitschaft zeigt, sind
demach v. a. kognitiver, sinnlich-erfahrungsorientierter, sozial-interaktiver und emotionalmotivationaler Natur.
36 Die schöpferische Kraft der Bildung
Wenn ein System selbstorganisiert ist, dann ist es nicht durch »top-down« Regeln beherrscht. Statt-
dessen entstehen neue, stabile, efzient erscheinende Strukturen und Verhaltensweisen spontan
und aus dem System heraus. Durch Selbstorganisation10 ist es einem System möglich, mit Kon-
tingenz umzugehen, d. h. spontan auf Unbekanntes und sich plötzlich Veränderndes einzustellen.
Selbstorganisation drückt sich ferner aus in der vom System selbst initiierten Weiterentwicklung
von Leistungsvoraussetzungen sowie der Fähigkeit zur Anpassung von Leistungsvoraussetzungen
angesichts veränderter Aufgaben und Anforderungssituationen. (Bergmann 1998) Konkret: Kompe-
tent ist ein Mensch dann, wenn er auf der Basis von Wissen und Erfahrungen in Eigenregie radikal
und / oder inkrementell neue Lösungen für bisher unbekannte Situationen entwickelt.
Im beruichen Kontext bezeichnet der Begriff Kompetenz solche »Fähigkeiten und Fertigkeiten,
welche nicht unmittelbaren und begrenzten Bezug zu bestimmten, disparaten Tätigkeiten er-
bringen, sondern vielmehr die Eignung für eine große Zahl von Positionen und Funktionen und
für die Bewältigung einer Sequenz von (meist unvorhersehbaren) Änderungen von Anforderun-
gen im Laufe des Lebens.« (Mertens 1974: 40)11 Kompetenz im Beruf zu beweisen, bedeutet
somit, »die zunehmende Komplexität seiner beruichen Umwelt zu begreifen und durch ziel-
und selbstbewusstes, reektiertes und verantwortliches Handeln zu gestalten.« (Sonntag 1996:
56)
Angesichts der neuen Unübersichtlichkeit wird der Mensch erst wirklich handlungsfähig, indem er für
neue Situationen und Herausforderungen eine persönliche Handlungsstrategie entwickelt. Es geht
nicht mehr nur allein darum, Wissen im Kopf zu haben oder bei einer Prüfung zu reproduzieren; es
geht nunmehr darum, Wissen zu transferieren, aus Wissen etwas Neues in der Wirklichkeit entstehen
zu lassen. Es geht darum, auf der Basis von Wissen und Erfahrungen Handlungen zielgerichtet und
in Eigenregie durchführen zu können. »Wenn man nicht mehr wissen kann, welche beruichen An-
forderungen auf einen zukommen, wenn man sich auf ganz unterschiedliche kulturelle Bedingungen
wird einstellen müssen, dann ist die Entwicklung einer starken, zu selbstverantwortetem Handeln und
Urteilen befähigten Persönlichkeit von überragender Bedeutung« (Nida-Rümelin 2006: 44)
Eine differenzierte Systematik von allgemeinen bzw. Grundkompetenzen liefern Erpenbeck und
Rosenstiel (2003 und 2007b; vgl. dazu auch Faix u.a 1991: 37). Sie unterscheiden zunächst
folgende Kompetenzklassen: fachlich-methodische Kompetenz, personale Kompetenz, sozial-
kommunikative Kompetenz. (Vgl. Erpenbeck, Heyse 2007b: 159)
– Fachlich-methodische Kompetenzen
Disposition einer Person, bei der Lösung von sachlich gegenständlichen Problemen
geistig und physisch selbstorganisiert zu handeln, d. h. mit fachlichen und instrumen tellen
Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten kreativ Probleme zu lösen, Wissen sinnorientiert
einzuordnen und zu bewerten; das schließt die Disposition ein, Tätigkeiten, Aufgaben
und Lösungen methodisch selbstorganisiert zu gestalten, sowie die Methoden selbst
kreativ weiterzuentwickeln.
37Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
10 Für eine weitere und tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem Begriff »Selbstorganisation« verweisen wir
auf das Werk des Begründers der Synergetik Hermann Haken (u. a. Haken 2004).
11 Mertens definiert im obigen Zitat eigentlich den Begriff »Schlüsselqualifikationen«. Wir bevorzugen hier den
Begriff »Kompetenzen«, schon allein deshalb weil die Verwendung eines völlig anderen Wortes die Unterschiede
zum Begriff »Qualifikationen« deutlicher erscheinen lassen als ein bloßes Kompositum.
12 Erpenbeck und Heyse sprechen in diesem Zusammenhang von aktivitäts- und umsetzungsbezogenen Kom-
petenzen: Disposition einer Person, aktiv und gesamtheitlich selbstorganisiert zu handeln und dieses Handeln
auf die Umsetzung von Absichten, Vorhaben und Plänen zu richten – entweder für sich selbst oder auch für
andere und mit anderen, im Team, im Unternehmen, in der Organisation. (Vgl. Erpenbeck, Heyse 2007b: 159)
Andere Autoren nennen dies Aktivtäts- oder Handlungskompetenz. Der besonderen Stellung, welche die
Begriffe »Innovation« und »Entrepreneur« für uns haben, sei es geschuldet, dass wir hier von »unternehmer -
ischen Fähigkeiten« bzw. »unternehmerischen Kompetenzen« sprechen.
13 2005 schlägt die EU-Kommission acht Schlüsselkompetenzen vor, die als besonders relevant gelten im mit
der Lissabon-Strategie angestrebten wissensbasierten europäischen Wirtschaftsraum. Die acht Schlüssel-
kompetenzen sind: muttersprachliche Kompetenz, fremdsprachliche Kompetenz, mathematische Kompetenz
und grundlegende naturwissenschaftlich-technische Kompetenz, Computerkompetenz, Lernkompetenz,
interpersonelle, interkulturelle und soziale Kompetenz und Bürgerkompetenz, kulturelle Kompetenz sowie
eben unternehmerische Kompetenz. (Kommission der europäischen Gemeinschaften 2005: 15)
– Personale Kompetenzen
Disposition einer Person reexiv, selbstorganisiert zu handeln, d. h. sich selbst einzu-
schätzen, produktive Einstellungen, Werthaltungen, Motive und Selbstbilder zu entwickeln,
eigene Begabungen, Motivationen, Leistungsvorsätze zu entfalten und sich im Rahmen
der Arbeit und außerhalb kreativ zu entwickeln und zu lernen.
– Sozial-kommunikative Kompetenzen
Dispositionen einer Person, kommunikativ und kooperativ selbstorganisiert zu handeln,
d. h. sich mit anderen kreativ auseinander- und zusammenzusetzen, sich gruppen- und
beziehungsorientiert zu verhalten und neue Pläne, Aufgaben und Ziele zu entwickeln.
Als eine vierte Grundkompetenz sehen wir die unternehmerische Kompetenz:12
Unternehmerische Kompetenz ist die [Disposition], Ideen [selbstorganisiert] in die
Tat umzusetzen. Dies erfordert Kreativität, Innovations- und Risikobereitschaft so-
wie die Fähigkeit, Projekte zu planen und durchzuführen, um bestimmte Ziele zu
erreichen. Unternehmerische Kompetenz hilft dem Einzelnen in seinem täglichen
Leben zu Hause oder in der Gesellschaft, ermöglicht Arbeitnehmern, ihr Arbeits-
umfeld bewusst wahrzunehmen und Chancen zu ergreifen. Sie ist die Grundlage
für die besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse, die Unternehmer benötigen, um
eine gesellschaftliche oder gewerbliche Tätigkeit zu begründen. (Kommission der
europäischen Gemeinschaften 2005: 21)13
38 Die schöpferische Kraft der Bildung
9 | Kompetenzen als Disposition zur Handlungsfähigkeit
im Angesicht des Neuen und Unbekannten
TEMPERAMENT Der Begriff »Temperament« meint »die Art des Antriebs und der Aktivität, die
sich in Form von Gefühlen, Willensbildung und Triebleben zeigen.« (Dittmann, Stieglitz 1996:
220) Eine wesentliche Quelle bzw. Bedingung für das je spezische Temperament liegt dabei in
der je spezschen Disposition der menschlichen Triebe. Diese sind v. a. charakterisiert durch ein
spontanes Ansteigen der Handlungsbereitschaft und eine Endhandlung, die mit Lust erlebt wird.
Anders gesagt, schaffen und verschaffen Triebe Lust an Leistung (Cube 1998). Die vier Triebe
des Menschen sind: Nahrungstrieb, Sexualtrieb, Aggressionstrieb und Explorationstrieb bzw.
»Neugiertrieb« (Cube 1998). Diese schaffen und verschaffen Lust an Leistung auf verschiedene
Weisen. Aggression ist so der »Trieb zum Sieg, der Trieb nach Macht, nach Rang, nach Aner-
kennung« (Cube 1998 12). Gerade bei Innovationen, dem Verwirklichen des Neuen erscheint der
Explorationstrieb bzw. Neugiertrieb eine besondere Rolle zu spielen:
[Neugiertrieb:] Schon höhere Tiere sind neugierig: Hunde, Katzen, Ratten, Ra-
ben, Affen usw. Der Mensch ist sicher das neugierigste »Tier«. […] Es klingt
paradox, aber bei näherer Betrachtung wird es ganz klar: Der Mensch sucht das
Neue auf, um Sicherheit zu gewinnen. Worin liegt denn der Sinn des Erkundens
neuer Länder? Er liegt im Kennenlernen dieser Länder, im Bekanntmachen des
Unbekannten, im Gewinn an Sicherheit! Auch wenn wir einen neuen Menschen
39Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
kennenlernen, vergrößern wir unsere Sicherheit: Der Unbekannte wird zum Be-
kannten, zum Berechenbaren, zum Vertrauten. Warum will man ein Problem
lösen? Man löst es, damit es kein Problem mehr ist. Man macht aus dem Unbe-
kannten etwas Bekanntes, aus dem Neuen etwas Vertrautes, aus der Unsicher-
heit Sicherheit. Das Neue ist also der Reiz der Neugier – der Sinn der Neugier
ist Sicherheit.
Auffallend an der Neugier ist – das sagt schon der Name – ein besonders starkes
Appetenzverhalten. Wir suchen ständig Neues auf, neue Probleme, neue Men-
schen, neue Abenteuer. Gewiss – das Neue, das Unbekannte ist mit Risiko behaftet,
mit Unsicherheit. Aber der Einsatz lohnt sich: Je größer die erforschte Umgebung
ist, je mehr Probleme gelöst sind, je mehr Wissen man hat, je mehr Neues zu Be-
kanntem geworden ist, desto größer ist die erreichte Sicherheit. In einer bekann-
ten Umgebung bewegen wir uns sicher, wir wissen, was wir zu erwarten haben, wir
können unsere Aufmerksamkeit wiederum auf Neues richten.
Wir stellen fest: Neugier ist ein Trieb! Der auslösende Reiz ist das Neue, das Un-
bekannte, Unsichere. Ist der Reiz nicht vorhanden, suchen wir ihn auf. Wir sind
»gierig« auf das Neue, wir strengen uns an, Neues zu nden. Haben wir es gefunden,
machen wir es uns bekannt, es wird unserem Sicherheitssystem einverleibt, wir
verwandeln Unsicherheit in Sicherheit! Der Neugiertrieb ist in Wirklichkeit ein
Sicherheitstrieb!
Für die Anstrengung, die mit dem Aufsuchen des Neuen und mit der Verwandlung
von Unsicherheit in Sicherheit verbunden ist, werden wir mit Lust belohnt: Jeder
kennt die Lust, die mit der Lösung eines Problems oder der Bewältigung einer
Gefahr verbunden ist: Sie reicht vom Aha-Erlebnis bis zum Freudentanz. […]
Der Bergsteiger empndet das Klettern selbst schon als lustvoll, nicht erst das Er-
reichen des Gipfels. […] [Man bezeichnet dieses] »holistische Gefühl« bei völligem
Aufgehen als »Flow«. […] Das Flow-Erlebnis ist die Lust des Sicherheitstriebes!
Damit wird nicht nur verständlich, dass das Flow-Erlebnis in den unterschiedlichs-
ten Bereichen auftreten kann – in Arbeit und Freizeit, in Sport und Spiel – es
wird auch klar, dass der Mensch die Lust dieses Triebes zu steigern versucht: Er
sucht ständig neue und höhere Reize, neue und schwierigere Abenteuer, neue
und größere Herausforderungen. Diese Art des Lustgewinns ist ganz »natürlich«,
sie ist mit Anstrengung verbunden und kann durch Anstrengung gesteigert wer-
den. (Cube 1998: 29f.)
40 Die schöpferische Kraft der Bildung
CHARAKTER Der Begriff »Charakter« bezieht sich auf »die im Laufe des Lebens weitgehend
konstanten Einstellungen, Handlungsweisen, die individuelle Besonderheit […] eines Men-
schen.« (Dittmann, Stieglitz 1996: 220)
WERTE Persönlichkeit im Sinne eines Habens zeigt sich im Handeln; Persönlichkeit im Sinne
eines Seins verwirklicht sich erst im Handeln. Nach Max Weber versteht man unter Werten die
allerersten »Weichensteller« des Denkens und Handelns, welche die Bahnen bestimmen, »in denen
die Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte.« (Weber 1988/I: 252) Angesichts der im-
mensen Macht von Werten über individuelles und kollektives Handeln müssen Werte auch die
von ihnen abgeleiteten Normen und Regeln zu jenen Elementen gerechnet werden, aus denen
sich Persönlichkeit konstituiert.
2.1.2 DIE ELEMENTE DES PERSÖNLICHKEIT-SEIN
Vor dem Hintergrund der Manifestation dieser Elemente im konkreten Handeln eines Individuums
bedeutet der Begriff Persönlichkeit im Sinne eines Haben folgende Trias: Handlungsfähigkeit
(Wissen, Kompetenz), Handlungsbereitschaft (Temperament) sowie Handlungsweise, Hand-
lungsintention und Handlungsreexion (Charakter, Werte). Im zweiten Fall – dem Sein – be-
zeichnet der Begriff »Persönlichkeit« ein sozial determiniertes Konzept. Um eine Persönlichkeit
zu sein, muss nach unserer Auffassung folgendes zusammenfallen: Ein Mensch besitzt dadurch,
dass und wie er handelt Charisma, Ansehen und Autorität.
10 | Persönlichkeit-Sein
41Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
ANSEHEN Der Begriff »Ansehen« impliziert eher einen Fokus auf die Handlung und drückt sich
eher aus in sachlich begründetem Lob und Anerkennung durch andere. Ansehen meint also, dass
andere das nutzenstiftende Handeln besonders wertschätzen. Im Mittelpunkt der Wertschätzung
stehen somit die Handlungspläne, die Handlung selbst sowie die Handlungsfolgen.
CHARISMA Der Begriff »Charisma« impliziert eher einen Fokus auf den Handelnden und drückt
sich eher aus in einer emotionalen Ergriffenheit der anderen. Charisma meint hier, dass andere
den nutzenstiftenden Handelnden besonders wertschätzen. Im Mittelpunkt der Wertschätzung
stehen somit, dass und wie der Handelnde sich einer Sache annimmt, sein Tun nach außen hin
vertritt und für sein Handeln wie auch für die Folgen einsteht.
AUTORITÄT Der Begriff »Autorität« bedeutet, dass eine Sozietät einer Person (oder Instituti-
on) u. a. aufgrund ihrer Leistung einen besonderen Einuss auf die Sozietät einräumt. (Vgl. Der
Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Stichwort: Autorität) Eine unweigerliche
Folge der Wertschätzung durch eine Sozietät – in Form von Ansehen oder / und Charisma – ist
somit ein Zugewinn an Macht über diese Sozietät.
Persönlichkeit-Sein ist damit das Ergebnis eines zweigliedrigen sozialen Prozesses: Der erste
Teil dieses Prozesses besteht darin, dass der Handelnde und dessen Handlungen durch eine
Sozietät bewertet werden. Das Bewertungskriterium hierbei ist der Nutzenbeitrag, welcher sich
für die Sozietät durch die Handlung ergibt. Der zweite Teil des Prozesses besteht darin, dass der
Handelnde durch diese Bewertung der Sozietät Einuss auf diese gewinnt.
42 Die schöpferische Kraft der Bildung
11 | Das Konzept von Persönlichkeit-Haben und Persönlichkeit-Sein
2.2 BILDUNG UND KOMPETENZENTWICKLUNG
Der Begriff »Persönlichkeit« ist nach unserem Verständnis eine Gesamtheit solcher »Seelenbe-
standteile«, welche der Mensch (aus)bilden kann.14 Dementsprechend wären die Begriffe Bildung
und Persönlichkeitsentwicklung Synonyme und Wissenserwerb, Kompetenzentwicklung etc. Teil-
aspekte von Bildung. Nichtsdestotrotz soll im Folgenden dem Element »Kompetenz« – der Dis-
position, angesichts des Neuen und Unbekannten handlungsfähig zu sein – und dem speziellen
Bildungsbegriff im Sinne von »Kompetenzentwicklung« eine herausragende Rolle eingeräumt
werden. Kompetenz war und ist jener Teil der Persönlichkeit, welcher den Menschen dazu befähigt,
»an der Reichhaltigkeit einer vielgestaltigen Welt teilzuhaben. […] Gebildetsein in einem solchen
FAZIT
In der folgenden Darstellung wird unser Konzept von Persönlichkeit-Haben und Persönlichkeit-
Sein zusammengefasst.
43Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
14 Wie neueste Erkenntnisse der so genannten Epigenetik zeigen, gehörtenzu dieser Gesamtheit, die der Mensch
aktiv durch sein Handeln beeinflussen kann, auch seine Gene. Diese sind nämlich nicht (gänzlich) als Schicksal
mitgegeben, sondern werden durch äußere Einflüsse zum Teil eklatant umgestaltet. (Blech 2010)
15 Vgl. dazu die Definition des Begriffs »soziale Kompetenz« bei Faix, Laier 1991: 62.
Sinne wäre die Möglichkeit, mit Reichhaltigkeit produktiv umgehen zu können« (Fohrmann 2010:
176), um damit in jedem gesellschaftlichen Bereich – nicht nur in der Wirtschaft – schöpferisch
tätig zu sein, die Zukunft der Welt aktiv mit zu gestalten. Ein Zugewinn an Bildung im Sinne eines
Zugewinns an Kompetenzen bedeutet einen Zugewinn an Handlungsfähigkeit und damit einen
Zugewinn an der Teilhaftigkeit am Leben und an der Welt.15
Für ein Subjekt bedeutet Bildung somit im Allgemeinen die Entwicklung der eigenen Persönlich-
keit im Sinne eines Habens und Seins. Besonders bedeutsam hierbei ist jener Teilaspekt von
Bildung, welcher die Entwicklung der eigenen Handlungsfähigkeit bzw. Handlungskompetenz
umfasst. Dies meint die Fähigkeit, einer ungewissen und dynamischen Umwelt aktiv zu begeg-
nen, d. h. sich in diese einzuarbeiten oder sie zu gestalten. Im beruichen bzw. unternehmeri-
schen Kontext spricht man hier auch von »Berufsfähigkeit«. Ein herausragender Bildungsauftrag
besteht daher darin, »Persönlichkeiten mit ausgeprägter Individualität [zu] fördern, damit diese
mit den erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten an der Gestaltung unserer Welt mitwirken, im
eigenen wie im gesellschaftlichen Interesse Leistungen erbringen und wertebewusst Verantwor-
tung in Unternehmen, im öffentlichen Leben sowie im privaten Kreis übernehmen wollen und
können.« (Spoun 2005: 293)
2.3 DER WEG DER PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG
Der Ausgangspunkt für eine Persönlichkeit im Sinne eines Habens und Seins, das der Persön-
lichkeitsentwicklung zu Grund liegende Potenzial heißt Personalität. Der Weg zum work-in-pro-
gress-Zustand des Persönlichkeit-Habens und Persönlichkeit-Seins, also gewissermaßen das
»Aufbauen« und »Werden«, heißt »Bildung«. Wie bei jedem gut geplanten Vorhaben so gilt es
auch bei der Bildung vier Elemente zu beachten: 1. Was ist die Ist-Situation des Vorhabens? 2.
Unter welchen Rahmenbedingungen ndet das Vorhaben statt? 3. Was ist der erwünschte Soll-
Zustand? 4. Welche Strategie lässt sich ableiten, wenn vor dem Hintergrund der Analysen von
Ist-Zustand und Rahmenbedingungen ein bestimmter Soll-Zustand erreicht werden soll?
44 Die schöpferische Kraft der Bildung
12 | Das strategische Dreieck der
(Unternehmens)Entwicklung
13 | Das strategische Dreieck der
Persönlichkeitsentwicklung16
Auf die Begriffe Bildung und Persönlichkeitsentwicklung übertragen bedeutet dies:
1. Ist-Zustand
Was und wie ist die Personalität des zu entwickelnden Menschen?
2. Rahmenbedingungen
Mit welchen Mitteln und Ordnern tritt die Gesellschaft bzw. Gemeinschaft an den
Menschen heran, d. h. mit welchen etablierten Werten, Normen, Regeln etc. sieht sich
der zu entwickelnde Mensch konfrontiert?17
3. Soll-Zustand
Wie ist die Persönlichkeit beschaffen, die der Mensch entwickeln bzw. werden soll?
4. Strategie
Welche pädagogischen Bedingungen müssen gegeben sein, damit ein Mensch
angesichts seines eigenen und des gesellschaftlichen Soseins die angestrebte Persönlich-
keit entwickelt bzw. wird?
45Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
14 | Idealtypischer Verlauf einer Bildungsgeschichte
16 Eine ähnliche Darstellung findet sich bei Faix, Rütter, Wollstand 1995. Entwickelt wurde dieses Dreieck
der »personalen Entwicklung« auf Basis der ethnologischen Kulturdefinition. Als Soll-Zustand gilt in dieser
Darstellung das »gute / bessere Leben«.
17 Bildung ist »immer ein Balanceakt zwischen Selbstverwirklichung und gelungener Anpassung an die Normen,
Werte und Anforderungen, die Dritte an uns stellen.« (Faix, Laier 1996: 64)
Der Begriff »Personalität« bezeichnet den Ausgangspunkt der Persönlichkeitsentwicklung; dies
bedeutet jedoch nicht, dass Personalität eine bloße Vorstufe von Persönlichkeit bedeutet: Der
Begriff »Personalität« meint vielmehr stets jene »ursprüngliche Persönlichkeit« im Sinne eines
Habens und Seins, auf deren Grundlage die nachfolgende Persönlichkeitsentwicklung stattndet.
Der Mensch entwickelt sich bis zu seinem Tod in seiner Persönlichkeit weiter- und fort; Persön-
lichkeit ist damit Zeit des irdischen Lebens niemals ein End- sondern immer nur ein Zwischenzu-
stand. Die aktive Auseinandersetzung mit sich im Sinne der eigenen Persönlichkeitsentwicklung
ist somit ein lebenslanges »Wechselspiel zwischen heutigem Ist-Zustand, dem zukünftigem Soll-
Zustand und den Mitteln und Ordnern […], die diesen Veränderungsprozess gestalten.« (Rasner,
Füser, Faix 1997: 346) Daher ergibt sich idealtypisch folgende Bildungsgeschichte:
46 Die schöpferische Kraft der Bildung
15 | Zukunft braucht Herkunft
Die Frage nach den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen soll in dieser Arbeit ausgeblendet
sein. Es geht in dieser Arbeit weder um eine soziologische Analyse der Werte und Normen einer
bestimmten Gesellschaft; noch geht es in dieser Arbeit darum, ein Utopia zu entwerfen, in dem
die optimalen gesellschaftlichen Bedingungen herrschen, unter denen Persönlichkeiten am bes-
ten gedeihen können.18 Einen kleinen Wink wollen wir hier freilich dennoch geben, indem wir in
einem folgenden Kapitel »unternehmerische Werte« und »unternehmerische Ethik« beschreiben.
Im Mittelpunkt des folgenden stehen die Fragen nach Ist- und Soll-Zustand sowie nach der Aus-
gestaltung von Bildungsangeboten, der pädagogischen Strategie. Diese Fragen sollen vor dem
Hintergrund der Eingangsfrage beantwortet werden, nämlich: Wie können Gesellschaften sicher-
stellen, dass ihre Mitglieder sich zu Innovatoren entwickeln?
3 ÜBER SICH SELBST:
(SELBST)ERKENNTNIS
Der Philosoph Odo Marquard formulierte das Bonmot: »Zukunft braucht Herkunft«. (Siemens AG
1994) Schumpeter meinte hierzu einst, dass jede konkrete Entwicklung eines Unternehmens auf
vorangehenden Entwicklungen beruhe, dass auch der eifrigste Unternehmer mit den bereits vor-
handenen Fakten eines Unternehmens rechnen und seine Entscheidungen aus diesen ableiten
müsse und dass die Zukunft nichts anderes hervorbringen könne, als wozu in der Gegenwart und
Vergangenheit bereits die Basis geschaffen wurde. (Schumpeter 1952) Die Entwicklung eines
Unternehmens kann demnach nur stattnden, indem sich die Planung der Zukunft des Unter-
nehmens auf Betrachtungen der Herkunft, d. h. der Vergangenheit und der Gegenwart stützt.
Wer nicht weiß, woher er kommt und wo er ist, kann nicht oder zumindest nur sehr dilettantisch
ausgestalten, wohin er gehen will / kann / darf / muss und welcher Mittel und Wege es bedarf, um
dorthin zu gelangen. Unternehmensentwicklung ist dabei zu verstehen als ein jederzeit dynami-
scher, fortschreitender Prozess.
47Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
18 Zur Diskussion dieses Aspekts verweisen wir an dieser Stelle auf Nida-Rümelin 2006.
Der Prozess der Unternehmensentwicklung ist symptomatisch für jeglichen Entwicklungsprozess
so auch für personale Entwicklung: Persönlichkeit im Sinne eines Habens und Seins zu entwi-
ckeln bedeutet so zum einen niemals eine Schaffung aus dem Nichts, sondern eine fortwährende
(Um)Gestaltung dessen, was ist. Und genau wie bei der Unternehmensentwicklung besteht ein
planvoller Umgang mit der eigenen Persönlichkeit darin, sich zum anderen fortlaufend mit dem
eigenen vergangenen und gegenwärtigen Haben und Sein zu beschäftigen. Anders ausgedrückt:
Um sich in seiner Persönlichkeit zu entwickeln, gilt es (fortlaufend) die eigene Personalität, den
eigenen Status quo des Persönlichkeit-Habens, d. h. den »Bestand« von Wissen, Kompetenz,
Temperament, Charakter und Werten sowie den Status quo des Persönlichkeit-Seins, d. h. die
eigene Wirkung auf andere (Ansehen, Charisma, Autorität) zu reektieren.
Im folgenden Kapitel liegt der Fokus auf dem Persönlichkeit-Haben, da dessen Entwicklung –
mehr oder weniger – bewusst und willentlich vom Subjekt gestaltet werden kann: Wissen kann
man sich aneignen, Kompetenzen lassen sich trainieren und an (un)liebsamen Charaktereigen-
schaften kann man arbeiten. Das Persönlichkeit-Sein hingegen ist eine soziale Zuschreibung
durch andere, d. h. es geschieht dem Subjekt, dass ihn andere als charismatisch erleben, ihn als
Autorität ansehen. Diese soziale Zuschreibung geschieht unseres Erachtens nicht zufällig, son-
dern ist die (zwangsläuge) Folge jener Wertschätzung durch andere, dass und wie das Subjekt
durch das Zusammenwirken seiner »Seelenbestandteile« aktiv in die Welt eingreift, dass und
wie das Subjekt also handelt. Das Persönlichkeit-Sein lässt sich somit nicht erzwingen, jedoch
kann man an den Grundlagen für dessen Entwicklung arbeiten. Grundsätzlich gestaltet sich die
(Selbst)Erkenntnis des Persönlichkeit-Seins nach demselben Prinzip, wie jene des Persönlich-
keit-Seins. Der Begriff »(Selbst)Erkenntnis« impliziert, dass die Einsicht in das zutiefst eigene
Haben und Sein die Folge eines lebenslangen Nachdenkens über das eigene Selbst- und Fremd-
bild ist: (Selbst)Erkenntnis das sind kurzum die sich ein Leben lang verändernden Antworten auf
die beiden komplementären Fragestellungen:
1. Was weiß ich, was kann ich, wer bin ich und was will ich?
2. Wen und was sehen andere in mir?
48 Die schöpferische Kraft der Bildung
3.1 (SELBST)ERKENNTNIS DES EIGENEN WISSENS
UND DER EIGENEN KOMPETENZEN
Wie ist (Selbst)Erkenntnis der eigenen Personalität des eigenen Wissens und der eigenen Kom-
petenzen möglich? Zunächst bleibt festzuhalten, dass sich die (Selbst)Erkenntnis des jeweiligen
Wissens und der jeweiligen Kompetenzen grundlegend voneinander unterscheidet. Dass jemand
Wissen besitzt, zeigt sich darin, dass erlernte Inhalte abgefragt werden, z. B. sprachlich oder
durch konkrete Handlungen reproduziert wird. Reproduziert bedeutet, dass die zuvor gelehrten
Inhalte gleichlautend (»1 zu 1«) oder in semantisch ähnlicher Weise (»in eigenen Worten«) wie-
dergegeben bzw. angewendet werden. Die typische Situation, in der eine solche Wissensabfrage
geschieht, ist eine standardisierte Prüfsituation (Klausur, praktische Tests etc.). Kompetenzen
zeigen sich ausschließlich im Denken und Handeln im Angesicht von offenen und dynamischen
Situationen. Dergestalt vollzieht sich die (Selbst)Erkenntnis der eigenen Kompetenzen auch aus-
schließlich in solchen Situationen. Anders gesagt: Kompetenzen können im Prinzip nur erfasst
werden durch das Denken und Handeln am Ort des Geschehens und nicht in bzw. durch vor-
oder nachgelagerte Wissenstests oder Wissensabfragen.
Dass Wissen und Kompetenzen sich auf unterschiedliche Weise zeigen und dementsprechend
unterschiedlich geprüft / gemessen werden müssen, ist der eine Aspekt, den es bei der (Selbst)Er-
kenntnis dieser Aspekte der eigenen Personalität zu beachten gilt. Ein zweiter Punkt hierbei ist, in-
wieweit man in einem bestimmten Bereich »nur« Wissen oder »bereits« Kompetenzen besitzt. Um
diesen Punkt besser zu verstehen, sei ein kleiner Exkurs in die gegenwärtige Bildungsdiskussion
in Europa erlaubt: Im Zuge der Integration zu einem gesamteuropäischen Bildungsbereich, dem
so genannten Bologna-Prozess, wird zunehmend gefordert, dass während eines Studiums auch
die Befähigung, im ihrem späteren Beruf zu handeln, mit einem Wort: die Berufsbefähigung der
Studierenden auf- und ausgebaut werden soll. In einem weiteren Verständnis ist damit gemeint:
Die Arbeitswelt der Zukunft wird neue und sehr hohe Anforderungen an das sich re-
duzierende Arbeitskräftepotenzial unserer Gesellschaft stellen. Gerade die Intensivie-
rung von kreativer Denk-, Koordinations-, Orientierungs- und Kommunikationsarbeit
über längere Zeiträume setzt neben sich ständig wandelnden fachlichen und sozia-
len Fähigkeiten ein hohes Maß an körperlicher und mentaler Leistungsfähigkeit und
-bereitschaft voraus. Als negative Folgeerscheinung dieser Entwicklungen – für viele
Menschen eine Überforderung – lässt sich bereits heute unter anderem eine Zunah-
me der psychischen Belastungen und Erkrankungen in der Arbeitswelt beobachten.
Die zentrale Herausforderung der Zukunft besteht demnach darin, die Potenziale
jedes Einzelnen effektiver zu entdecken, zu fördern und zu nutzen, ohne die Men-
schen dabei zu überfordern, sondern vielmehr ihr Wohlergehen zu gewährleisten.
So wird sich die Beschäftigungsfähigkeit einer Person in Zukunft auch nicht mehr
ausschließlich an ihrem generellen Bildungs- oder Qualikationsstand messen.
49Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
19 Der Steinbeis-Hochschule ist gerade dieser Aspekt besonders wichtig. Dies wurde von der FIBAA bereits an
anderer Stelle besonders hervorgehoben und gelobt.
20 Vgl. dazu: »Denn alle diese Gegenstände lerntest du nicht zum Zwecke ihrer gewerbsmäßigen Ausübung,
um einst selber als Meister in ihnen aufzutreten, sondern zum Zwecke deiner Bildung, wie es sich für einen
freien Mann geziemt, welcher ganz aus eigenen Mitteln und seinen eigenen Zwecken lebt. (Platon, »Prota -
goras«, in: Sämtliche Werke Bd. 1: 61)
21 Der Begriff »Studienmodul« bzw. »Modul« soll verstanden sein als ein in sich abgeschlossener, formal struk-
turierter Lernprozess mit: thematisch bestimmten Lernen und Lehren; festgelegten kohärenten Lernergeb -
nissen; vorgegebener Arbeitsbelastung (ausgedrückt in Leistungspunkten); eindeutigen Beurteilungs kriterien.
»Moderne [Berufsbefähigung]« in diesem Verständnis wird sich in Zukunft vielmehr
daran messen, inwieweit eine Person zu jeder Zeit ihres Lebens über die physischen
und mentalen Voraussetzungen, die geistigen und kreativen Fähigkeiten und die fach-
lichen und sozialen (Schlüssel-)Kompetenzen verfügt, die es ihr ermöglichen, sich
aktiv und kreativ auf dem Arbeitsmarkt zu engagieren und gleichzeitig an anderen ge-
sellschaftlichen Wertschaffungsprozessen zu beteiligen. (Bertelsmann-Stiftung 2010)
Im Folgenden wollen wir beim Begriff Berufsbefähigung analytisch unterscheiden zwischen einer
heuristischen »Berufsfähigkeit« und einer epistemologischen »Berufsfertigkeit«, welche einen
spezischen Beruf im Blick hat.19
Ziel […] akademischer Ausbildung ist nicht die Berufsfertigkeit in dem Sinne, dass
der Absolvent oder die Absolventin unmittelbar einen bestimmten Arbeitsplatz voll
kompetent wahrnehmen kann, sondern »Berufsfähigkeit« nämlich die Befähigung,
sich in spezische, aber auch sich wandelnde beruiche Anforderungen dauer-
haft einzunden, die Fähigkeit zu haben, sich in der Praxis wissenschaftsgelei-
tet selbstständig weiterzuentwickeln. Die jeweils konkrete »Berufsfertigkeit« ver-
schleißt sehr rasch, die »Berufsfähigkeit«, sofern wissenschaftsbasiert und dies
auf hohem Fachniveau, verschleißt nicht. (Weber, Merx 2005: 21)20
Ein Hauptziel der Bologna-Erklärung von 1999 ist die Optimierung der Efzienz und Effektivität
des tertiären Bildungssektors in Europa. Als wichtiger Schritt hierzu sollen alle Studienmodule auf
der Basis von Lernergebnissen beschrieben werden.21 Dies geschieht vor dem Hintergrund ei-
nes Paradigmenwechsels in den Bildungswissenschaften weg vom traditionellen »lehrzentrierten
Ansatz« zu einem »studien- bzw. lernzentrierten Ansatz«. Neu an diesem studien- bzw. lernzent-
rierten Ansatz ist, dass nicht mehr der Input des Lehrenden im Fokus steht; vielmehr geht es um
den Output des Lernenden, um das Lernergebnis. Lernen soll hier deniert sein als psychischer
Prozess, bei dem eine Person eine Information bzw. eine Reihe von Informationen (= der Input
z. B. in Form von tertiärer »Lehre«) in ihrer Innenwelt verarbeitet und hierdurch eben diese Innen-
welt auf irgendeine Weise modiziert wird. Das Ergebnis dieser Modizierung der Innenwelt ist,
dass die Person hiernach etwas weiß, versteht und / oder in der Lage ist, etwas zu tun, was diese
Person vorher noch nicht oder nicht dergestalt wusste, verstand oder tun konnte.
50 Die schöpferische Kraft der Bildung
Übertragen auf die Beschreibung von Studienmodulen, bedeutet dies: Ein traditionelles Lehrziel
gibt die allgemeine Absicht oder Intention des Moduls an. Ein Lernziel beschreibt hingegen, dass
die Innenwelt eines Studierenden potenziell am Ende eines Moduls in einer bestimmten Weise
umgestaltet worden ist und sich diese Umgestaltung darin zeigt, dass der Studierende nunmehr
etwas weiß, versteht und / oder in der Lage ist, etwas zu tun, was diese Person vorher noch nicht
oder nicht dergestalt wusste, verstand oder tun konnte.
Als Referenz für den Umgang mit Lernzielen im tertiären Bildungsbereich soll im Folgenden der
DAAD (Deutscher akademischer Austauschdienst) dienen. Der DAAD bezieht sich beim Formu-
lieren und Bewerten von Lernzielen auf die Erkenntnisse des Bildungsforschers Benjamin Bloom.
Dessen bekanntester Beitrag zur Bildungsdiskussion war die Darstellung der Niveaustufen des
Denkverhaltens, von der einfachen Wiederholung von Fakten auf der untersten Stufe bis zum Eva-
luationsprozess auf der höchsten Stufe. (Bloom 1972) Blooms Taxonomie ist kein einfaches Klassi-
kationsschema: In seiner Hierarchie wird jede Niveaustufe durch die Befähigung bestimmt, auf der
oder den Ebenen darunter operieren zu können. Damit ein Lernender z. B. Wissen auf der Stufe
3 anwenden kann, muss er / sie die Stufe 2 genommen haben also sowohl über das notwendige
Wissen verfügen als auch verstehen. Die Taxonomie nach Bloom enthält folgende, aufeinander
aufbauende Stufen:
1. Stufe »Wissen«
Die Fähigkeit, sich an Informationen erinnern zu können.
2. Stufe »Verstehen«
Die Fähigkeit, erinnerte Informationen zu begreifen.22
3. Stufe »Anwenden«
Die Fähigkeit, begriffene Informationen nutzen zu können.
4. Stufe »Analysieren«
Die Fähigkeit, Informationen in ihre Bestandteile zu zerlegen, um
z. B. Zwischenbeziehungen und Vorstellungen herauszuarbeiten.
5. Stufe »Synthetisieren«
Die Fähigkeit, Teile zusammenzufügen.
6. Stufe »Evaluieren«
Die Fähigkeit, den Wert von Lehrmaterialen für einen bestimmten Zweck zu beurteilen.
51Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
16 | Der Zusammenhang zwischen Wissen, Qualifikation und Kompetenz
22 Im eigentlichen Sinne kann hier erst von »Wissen« gesprochen werden, insofern Wissen dadurch entsteht,
dass eine Mensch Informationen in seinen Erfahrungskontext aufnimmt, d. h. in seine Denk-, Gefühls-, Hand-
lungs- und Wollensstruktur.
23 Da an der Steinbeis-Hochschule durch das Projekt-Kompetenz-Studium vor allem Kompetenzen entwickelt
werden sollen, liegen die Schwerpunkte der Lernziele folgerichtig auf den Stufen 4, 5 und 6.
24 Qualifikationen sind heute freilich noch aus einem weiteren Grund nicht vollkommen obsolet geworden;
solange es kein adäquates und allgemein anerkanntes Instrument zur Kompetenzmessung gibt, bleibt eine
durch ein Zeugnis / Zertifikat etc. belegte Qualifikation bis auf Weiteres die Zugangsvoraussetzung zu be-
stimmten Berufen bzw. Tätigkeiten.
Für die Taxonomie nach Bloom gilt: Indem ein Studierender die Stufen 1 bis 3 nimmt, entwickelt er
Wissen bzw. Qualikationen und damit Berufsfertigkeit. Indem ein Studierender die Stufen 4 bis 6
erreicht, entwickelt er Kompetenzen und damit im eigentlichen Sinne erst »Berufsfähigkeit«.23 Der
Begriff »Berufsbefähigung« umfasst daher die Elemente Wissen, Qualikation und Kompetenzen.
Durch die Taxonomie wird so ein Zusammenhang zwischen Wissen, Qualikation und Kompeten-
zen deutlich: Kompetenz kann nur entwickeln, wer Wissen erworben und Qualikationen ausge-
bildet hat.24 In diesem Sinne könnte man »Wissen« und »Qualikationen« als epistemischen und
Kompetenzen als heuristischen Teil einer ganzheitlichen Bildung verstehen.
52 Die schöpferische Kraft der Bildung
17 | Taxonomie von Berufsfertigkeit und Berufsfähigkeit
An dieser Stelle wird weiterhin ersichtlich, dass die Entwicklung von Berufsfähigkeit und hier vor
allem die Entwicklung (hin zu) einer unternehmerischen Persönlichkeit nicht durch ein Lehr- / Lern-
Paradigma geleistet werden kann, das den Fokus der Ausbildung allein auf die Stufen 1 bis 3
setzt. Erst ein kompetenzorientiertes Lehr-/ Lern- Paradigma, bei dem der Schwerpunkt auf den
Stufen 4 bis 6 liegt, kann dies leisten.25
Wir verwenden in dieser Arbeit die Systematik nach Erpenbeck und Heyse (2007b: 159), um die ver-
schiedenen Ausprägungen von Kompetenzen zu unterscheiden. Erpenbeck und Heyse differenzieren
hierbei zunächst zwischen: fachlich-methodische Kompetenz, personale Kompetenz, sozial-kommu-
nikative Kompetenz. Als Modizierung der von ihnen genannten vierten Kompetenzklasse, der aktivi-
täts- und umsetzungsbezogenen Kompetenz, sprechen wir von »unternehmerischer Kompetenz«. Vor
dem Hintergrund der Taxonomie nach Bloom und der Komplementarität von Wissen, Qualikationen
und Kompetenzen kann so auch von fachlich-methodischer, personaler, sozial-kommunikativer und un-
ternehmerischer Befähigung gesprochen werden, welche bei Individuen unterschiedlich ausgebildet
sein können. Um Lernziele bezüglich der Berufsbefähigung angemessen formulieren und beurteilen zu
können, muss die oben erläuterte Taxonomie nach Bloom ergänzt bzw. modiziert werden. Auch bei
der nun folgenden Taxonomie gilt: Nur dann, wenn das Lernziel einer Stufe erreicht worden ist, kann der
Studierende sich dem Erreichen der nächsten Stufe annehmen. Eine solche Taxonomie, mittels derer
Lernziele in Bezug auf die Berufsbefähigung formuliert und bewertet werden können, enthält dabei
folgende Stufen: (Vgl. Mergenthaler 2009)
53Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
Die Taxonomie bei der »unternehmerischer Befähigung« hat dabei folgende Gestalt:
Analog gestaltet sich die Taxonomie der weiteren Befähigungen:26
25 Heute rückt verstärkt der auf Stufe 6 erwähnte normative Aspekt (soziales, ökologisches Folgebewusstsein)
beim Beurteilen von Handlungsmöglichkeiten in den Mittelpunkt.
26 Da Bloom die Ausprägung allgemeiner akademischer Fähigkeiten zu fassen versucht, verwundert es nicht,
dass es große Übereinstimmungen gibt zwischen seiner Taxonomie und der folgenden Taxonomie fachlich-
methodischer Fähigkeiten.
54 Die schöpferische Kraft der Bildung
55Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
Die Befähigung zu handeln bedeutet, dass Menschen durch ihre Fertigkeiten und Fähigkeiten
im unternehmerischen, fachlich-methodischen, personalen und sozial-kommunikativen Bereich
am Leben und an der Welt aktiv und gestaltend Teil haben können. Berufsbefähigung bedeutet,
dass Menschen durch ihre Fertigkeiten und Fähigkeiten im unternehmerischen, fachlich-metho-
dischen, personalen und sozial-kommunikativen Bereich in ihrem Beruf Nutzen stiften können.
Dabei ist zu beachten, dass von Berufsfähigkeit im engerem Sinne erst dann gesprochen kann,
wenn ein Mensch Kompetenzen in diesen Bereichen besitzt, d. h. ein Verhalten zeigt, das den je-
weiligen Stufen 4 mit 6 zugeordnet werden kann. Die Stufen 1 mit 3 kennzeichnen hingegen jenen
Zustand, der weiter oben als »Berufsfertigkeit« beschrieben worden ist. Wie bereits oben bespro-
chen, kann eine Stufe erst und nur dann erreicht werden, wenn man bereits die vorhergehende(n)
Stufe(n) genommen hat. Dies impliziert, dass zu einer ausgesprochenen Berufsfähigkeit auch
eine ausgesprochene Berufsfertigkeit gehört. Durch die Fähigkeit selbstorganisiert neue Denk-
und Handlungsmuster zu generieren und in sein Gedächtnis zu speichern, gerät jedoch die eigene
Berufsfertigkeit zu einem fortlaufenden und selbstorganisierten work-in-progress.
FAZIT
Bei der (Selbst)Erkenntnis der eigenen Personalität hinsichtlich der Aspekte Wissen und Kompe-
tenzen gilt es zweierlei zu beachten: 1. Wissen und Kompetenzen müssen auf unterschiedliche
Weise geprüft / gemessen werden. 2. Wissen und Kompetenzen können als Ausprägungen auf
einem Kontinuum der Berufs- bzw. Handlungsbefähigung gesehen werden, das von »Wissen
reproduzieren« über »Wissen transferieren / synthetisieren« bis zu »Wissen evaluieren« reicht.
Je nachdem, wo sich ein Mensch mit seinen Dispositionen in diesem Kontinuum bendet, kann
dieser Mensch bezüglich dieser Dispositionen z. B. als »Kenner« oder »Könner« bzw. als »Laie«
oder »Experte« bezeichnet werden.
18 | (Selbst)Erkenntnis von Personalität (Teil 1)
56 Die schöpferische Kraft der Bildung
Berufsbefähigung bedeutet, dass Menschen durch ihre Fertigkeiten (=Qualikationen) und Fä-
higkeiten (=Kompetenzen) in ihrem Beruf Nutzen stiften können. Dabei werden Fähigkeiten bzw.
Kompetenzen und dabei eben vor allem unternehmerische Kompetenz in Zukunft v. a. immer
wichtiger: Die befragten CEOs in der Global CEO Study 2010 (IBM 2010a und b) rechnen damit,
dass die Welt im Allgemeinen und das Wirtschaftsleben im Speziellen eklatant dynamischer,
unsicherer, komplexer und strukturell anders werden. (IBM 2010b: 15) Um in dieser Situation
Nutzen stiften zu können, bedarf es zunehmend der Befähigung heuristisch zu denken und zu
handeln, d. h. der Befähigung dem Neuen und Anderen selbstorganisiert entgegen zu treten. An-
gesichts einer zunehmend dynamischen Wirtschaft werden auch Lebensläufe in Zukunft immer
dynamischer und bunter verlaufen: Freie Mitarbeit in einem Projekt (Open Innovation), Festan-
stellung, partielle oder vollständige Selbstständigkeit – so könnte ein prototypischer Lebenslauf in
Zukunft aussehen. Vor diesem Hintergrund erhellt sich, warum wir in diesem Kapitel von »Berufs-
befähigung« und nicht von »Beschäftigungsbefähigung« bzw. »Employability« sprechen: Wer im
Arbeitsmarkt der Zukunft erfolgreich sein will, muss sich darauf einstellen, nicht immer eingestellt
zu sein, muss darauf gefasst sein, dass er sein selbstständiges Handeln und Urteilen bisweilen
oder dauerhaft auch rechtlich als Selbstständiger vollzieht. »Employability« ist ein Teilbereich der
»Berufsbefähigung«, welcher eben auch selbstständige Tätigkeiten mit einbezieht; »Employability«
ist eine, aber eben nicht die einzige Folge davon, dass ein Mensch allgemeine akademische und
allgemeine unternehmerische Kompetenzen entwickelt hat.
Innovationen stellen den größtmöglichen unternehmerischen Nutzen dar, werden durch sie doch
die gegenwärtige und zukünftige Wettbewerbsfähigkeit gesichert und ausgebaut. Der größte Bei-
trag zur Steigerung der eigenen Berufsfähigkeit besteht daher darin, zum einen die Disposition zu
innovieren, d. h. die eigenen unternehmerischen Kompetenzen zu stärken und diese Disposition
auch tatsächlich durch Innovationen zu zeigen.27
57Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
27 Denn: »Wenn an Ihrer Arbeit nichts Besonderes ist, können Sie sich noch so sehr anstrengen – Sie werden
nicht wahrgenommen und letzten Endes immer weniger Geld dafür erhalten.« (Peters 2007: 237)
3.2 DIE (SELBST)ERKENNTNIS DES EIGENEN TEMPERAMENTS,
DES EIGENEN CHARAKTERS UND DER EIGENEN WERTE
Für die Bestimmung der Ausprägung der Elemente Temperament, Charakter und Werte sind
zahlreiche Werkzeuge und Testverfahren erfunden worden. Wir wollen an dieser Stelle nicht noch
ein Verfahren hinzufügen, sondern grundsätzlich klären, welche Fragestellungen bzw. Konzepte
bezüglich der genannten Elemente uns am fruchtbarsten erscheinen.
Temperament kann man auch verstehen als inneren Antrieb nach dem eigenen Mündig-Sein.
Das spezische Temperament eines Menschen ergibt sich daraus, wie groß das im Menschen
selbst zu verortende Anliegen ist, sich in die Welt einzubringen. Eine wirkliche Messung bzw.
Darstellung des jeweiligen Temperaments kann sich ausschließlich aus den Taten und niemals
nur aus den Worten eines Menschen ergeben.
Der Charakter eines Menschen, d. h. dessen konstante Einstellungen, Handlungsweisen und individu-
elle Besonderheiten ist das Ergebnis des synergetischen Zusammenwirkens folgender Aspekte: (Vgl.
Faix, Rütter, Wollstadt 1995: 75)
– der Mensch als Naturwesen (der Mensch in seiner Naturalität),
– der Menschen als Gattungswesen (der Mensch in seiner Gattung),
– der Menschen als Kulturwesen (der Mensch in seiner Kultur),
– der Menschen als Gesellschaftswesen (der Mensch in der Gesellschaft),
– der Mensch als Geisteswesen (Betrachtung der geistesgegebenen Potenzen wie
Rationalität, Intellektualität, Intuitivität, Kreativität, Verstand, Vernunft, Bewusstsein,
Selbstbewusstsein, Reexivität, Selbsttranszendenz, Religiosität),
– der Mensch als Eigenwesen (der Mensch in seiner Individualität).
Der Mensch durchläuft bei der Entwicklung seines je spezischen Charakters in der Regel immer
eine ähnliche Stufenabfolge: Der Mensch wird als Artgenosse geboren, entwickelt sich im Laufe
des Lebens zu einem rollenbehafteten, eingepassten Bürger, um sich schließlich aus dieser Ein-
gepasstheit herauszubewegen und selbst zu verwirklichen:
Um den je spezischen Charakter eines Menschen in seiner Ganzheit zu erfassen, sollte er über
den gesamten zugleich menschengemeinsamen und je spezischen Bildungsweg reektieren,
den sein Charakter gegangen ist. Anders gesagt, sollte der Mensch ein ganzheitliches Selbst-
Bewusst-Sein über sich selbst im Sinne eines Natur-, Kultur- und Geisteswesen entwickeln.
(Vgl. im Folgenden Faix, Laier 1991: 110f.)29
58 Die schöpferische Kraft der Bildung
– Selbst-Bewusst-Sein über sich im Sinne eines Naturwesen: Der Mensch ist eingebettet
in seine Natur: in seine Emotionen, Instinkte, Triebe. Diese muss er verstehen und wahr-
nehmen. »[Konrad] Lorenz hat die evolutionäre Situation des Menschen treffend cha-
rakterisiert: ›Die Selektion hat den Menschen unter die Arme gefasst und ihn auf die
Füße gestellt und dann die Hände von ihm weggezogen. Und jetzt: Stehe oder falle –
wie es dir gelingt!‹ Der Mensch fällt aber nur dann nicht, wenn er die Gesetze der Natur,
insbesondere auch seiner eigenen Natur besser versteht.« (Cube 1998: 14) Selbst-
Bewusst-Sein in diesem Sinne ermöglicht es dem Menschen zudem, aktiv auf seine
Instinkte Einuss zu nehmen, handelt es sich dabei doch um reine Verhaltensdispositionen.
– Selbst-Bewusst-Sein über sich im Sinne eines Kulturwesen: Neben seiner Natur wird
der Mensch immer auch beeinusst von seiner Kultur. Sein Verhalten ist abhängig von
den jeweiligen sozialen Rollen, die er einnimmt. Als Führungskraft verhält der Mensch
sich z. B. anders als Mitarbeiter in einem Stab. Zudem wird sein Wertesystem kontinu-
ierlich durch Umwelterfahrung beeinusst. Selbst-Bewusst-Sein ermöglicht demnach
eine bewusste Wahrnehmung der eigenen Rollen und Werte. Auf dieser Basis kann
eine Zusammenarbeit mit anderen durch aktives Zutun bzw. Steuern koniktfrei und
effektiv ablaufen.
– Selbst-Bewusst-Sein über sich im Sinne eines Geisteswesen: Schließlich muss der
Mensch sich als Geistes- und Eigenwesen begreifen. Er muss sich seiner Spiritualität
bewusst werden, seine Ziele wie zum Beispiel Weisheit aktiv in der Welt verfolgen und
verantwortlich handeln.
19 | Der Bildungsweg des Charakters28
59Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
28 An dieser Stelle sollen jene Menschen genannt sein, die an dem genannten Buch und dem zugrunde liegen -
den Konzept mitgearbeitet haben: Hartmut Binder, Andrea und Stefan Fischer-Fels, Katrin Himmel-Heimisch,
Brigitta Sticher-Gil sowie Theodor Rütter.
29 Faix und Laier (1991: 109) definieren dies auch als »Soziale Kompetenz«, als »der rote Faden, der sich durch sämtliche
Lebensbereiche zieht und uns erst das Zusammenleben mit anderen ermöglicht.« Die vier Stufen dieser so verstan-
denen sozialen Kompetenz gestalten sich dabei so: 1. Selbst-Bewusst-Sein als Mensch – der in die Natur eigebettet
ist und von seinen Genen, Trieben und Instinkten immer wieder ge- und verleitet wird – der in einem bestimmten
Umfeld aufgewachsen ist und einem Kulturkreis angehört, der seine Denk- und Verhaltensweisen prägt – der im
Laufe seiner Sozialisation Werte gebildet hat – der individuelle Bedürfnisse hat 2. Verantwortungs-Bewusst-Sein –
Vernunft entwickeln: sich als Teil der menschlichen Gemeinschaft und der Natur erkennen und bei sämtlichen
Handlungen die Auswirkungen auf andere Menschen – auch auf zukünftige Generationen – und die Natur mitbe-
denken – Eine lebenswerte Moral entwickeln als fortwährenden Prozess der aktiven Auseinandersetzung der
eigenen, inneren Werte mit den Werten der Gesellschaft und überlieferten ethischen Werten – Individuelle Bedürf-
nisse und Ziele in Übereinstimmung mit der eigenen Moral bringen 3. Mündig-Sein – Seine Gedanken, Wünsche,
Empfindungen und Einstellungen selbst-bewusst und zielstrebig in die Welt einbringen – Fähig sein, sich in den
verschiedenen sozialen Situationen angemessen zu präsentieren. Dazu gehören grundlegende Kenntnisse der
Kommunikation und Rhetorik genauso wie Kenntnisse über mögliche Störungen des Kommunikationsprozesses,
Unterschiede zwischen Eigen- und Fremdbild, Sensibilisierung der Wahrnehmungsfähigkeit und ein gezielter
Vertrauensaufbau 4. Selbst-Wirklich-Werden und sozial kompetent handeln – Aus den kognitiven und psychischen
Erkenntnissen des Bewusstseins, gerüstet mit dem Handwerkszeug der Mündigkeit eine Handlungsstrategie entwi-
ckeln, bei der die persönlichen Werte, die innere Verantwortung mit den ureigensten Bedürfnissen und den An-
sprüchen, die die unterschiedlichen menschlichen Gemeinschaften (Familie, Betrieb, Freundeskreis etc.) an jeden
von uns stellen, in Einklang gebracht werden.
Durch eine Stärkung des Selbst-Bewusst-Seins kann der Mensch seine Bedürfnisse intensiver
erkennen, darauf aufbauend für sich fruchtbringende Ziele denieren und sich schließlich wirk-
samer in die Welt einbringen. Er weiß, wie er selber seiner Natur, Kultur und seinem Geist nach
funktioniert und kann sich dem entsprechend besser verorten und die angemessenen Maßnahmen
ergreifen und somit auch die Nachhaltigkeit seiner Handlungen garantieren.
Der Mensch ist nicht als ein in sich geschlossenes System zu verstehen. Er steht in ständiger Inter-
aktion mit seiner Umwelt. Die eigenen Werte und Ziele haben einen Einuss auf die Gemeinschaft.
Deren Werte und Ziele wiederum wirken zurück auf das einzelne Individuum. Unter Moral ist letzt-
endlich das verantwortliche und nutzbringende Handeln zu verstehen. Früher konnte die Moral als
soziale Norm erheblichen Einuss auf den Menschen nehmen. Heute, wo der Mensch vor allem
nach (scheinbarer) Selbstverwirklichung strebt und sich weniger von Institutionen wie der Kirche
und ähnlichen prägen lässt, muss dieses moralische Handeln aus ihm selber kommen.
60 Die schöpferische Kraft der Bildung
Die Erkenntnis bzw. Denition eigener Werte ergibt sich heute durch zwei ineinander verwobene
Prozesse, dessen Ziel Verantwortungs-Bewusst-Sein heißt: Zunächst gilt es die eigenen Ziele
als Ergebnis der eigenen Bedürfnisse als Natur-, Kultur- und Geisteswesen wahrzunehmen. Hier-
nach gilt es zu klären, wie diese Bedürfnisse in Einklang zu bringen sind mit dem Auftrag, mora-
lisch, d. h. der Gemeinschaft gegenüber verantwortlich und nutzenbringend zu handeln.
FAZIT
Die (Selbst)Erkenntnis der eigenen Personalität im Sinne des eigenen Temperaments, des eigenen
Charakters und der eigenen Werte ergibt sich aus den Fragestellungen bzw. Konzepten Mündig-
Sein, Selbst-Bewusst-Sein und Verantwortungs-Bewusst-Sein.
20 | Die Entwicklung von Verantwortungs-Bewusst-Sein früher und heute
61Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
21 | (Selbst)Erkenntnis von Personalität (Teil 2)
4 ÜBER DAS BILDUNGSIDEAL
»SCHÖPFERISCHE PERSÖNLICHKEIT«
Um Projekte im Sinne der Schumpeter´schen Unternehmensentwicklung überhaupt entwickeln
und durchführen zu können, braucht es Menschen, welche die Fähigkeit besitzen, auf Unbe-
kanntes bzw. Neues mit der (Aus)Gestaltung und Umsetzung des so noch nicht bzw. nie Dage-
wesenen zu reagieren. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens nachhaltig zu sichern und
auszubauen obliegt den Menschen, die sich den Innovations-Projekten annehmen und zwar in
allen Bereichen im Unternehmen, nicht nur den Mitarbeitern aus der Abteilung »Forschung und
Entwicklung«. Als besonders wertvoll gelten dabei jene Menschen, welche neuerdings als »Talente«
bezeichnet werden.
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Begriff »Talent« gerade in der deutschen
Geistesgeschichte eine völlig andere, durchaus negative Bedeutung inne hat. So hat die Herab-
setzung des Begriffs »Talent« zu Gunsten des Begriffs des »Genies« eine lange Tradition: »Das
Genie unterscheidet sich von dem Talente weniger durch die Menge neuer Gedanken, als da-
durch, dass es dieselben fruchtbringend macht und sie immer auf der rechten Stelle hat; mit einem
Wort, dass bei ihm alles zum Ganzen wird, indes das Talent lauter, wenn auch schöne, Teile
hervorbringt«. (Grillparzer zitiert in Eisler Bd. 1: 373) Für Schopenhauer ist Genie die überschie-
ßende Fähigkeit der Intuition, durch die ein Mensch die Welt objektiver und reiner aufzufassen
vermag; der Vorzug des Talents liegt »mehr in der größern Gewandtheit und Schärfe der dis-
kursiven […] Erkenntnis« der Welt. Entspringen die Werke des Genies aus der Anschauung, so
gehen die des Talents aus Begriffen, d. h. aus »Teilvorstellungen«, hervor, bleiben deshalb dem
62 Die schöpferische Kraft der Bildung
»gegenwärtige[n] Bedürfnis« und der »Zeitgenossenschaft« verhaftet und somit bloß subjektiv.
(Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung Bd. 4: 445f.) Kurzum: Ein Genie zeigt durch
seine Ganzheitlichkeit »jene produktive Kraft, wodurch Taten entstehen, die vor Gott und der
Natur sich zeigen können und die eben deswegen Folge haben und von Dauer sind«. (Goethe,
Gespräche mit Eckermann vom 11. 3. 1828) Ein Talent hingegen schafft zwar auch Großartiges,
dabei jedoch immer nur Kurzlebiges und auf seinen Bereich Beschränktes.
Weiterhin sei darauf hingewiesen, dass der inationäre Gebrauch des Begriffs »Talent« – am besten
noch in seiner anglizistischen Ausprägung und Aussprache – womöglich eine Modeerscheinung
ist, ein publikumswirksames Schlagwort (»Buzz-Wort«), das vielleicht bald als abgedroschen
gelten wird. Es seien an dieser Stelle noch folgende Einwände gegen den Begriff »Talent« an-
geführt: Der Begriff »Talent« transportiert – zumindest in der deutschen Sprache – auch diese
Bedeutungen: Talente zeigen sich oftmals in dem, was man schon immer gut konnte, bezeichnen
Fähigkeiten, die einem »in die Wiege gelegt worden«, von Geburt an einem Menschen eigen
sind. Freilich wiegt dieses Erbe sehr schwer; wir sind jedoch der festen Überzeugung, dass
Menschen bestimmte Fähigkeiten ebenso im Laufe seines Lebens aneignen, erlernen können,
wenngleich dies mitunter viel Beharrlichkeit und Selbstdisziplin verlangt. Das deutsche Wort »Ta-
lente« impliziert weiterhin, dass Fähigkeiten »schlummern«, auch ein Leben lang »verborgen«
bleiben, also vorhanden sein und sich in einem stillen Wollen zeigen können, aber sich nicht in
Taten, nicht in »Performance« zeigen.
Als Business School legen wir bei unserem Bildungsauftrag den Fokus auf die Bildung von und
zu Entrepreneuren, also auf Innovatoren reinster Güte. Nach unserer Ansicht zeichnen sich En-
trepreneure vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Persönlichkeitsbegriffs dadurch aus,
dass sie »schöpferische Persönlichkeiten« haben und sind. Eine schöpferische Persönlichkeit
im Sinn eines Habens und Seins entwickelt sich dabei unserer Ansicht nach erst und nur aus dem
synergetischen Zusammenwirken folgender Elemente:
– unternehmerisches Wissen / Qualikationen
– unternehmerisches Kompetenzprol
– unternehmerisches Temperament
– unternehmerischer Charakter
– unternehmerische Ethik.
63Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
22 | Elemente einer schöpferischen Persönlichkeit
Die Manifestation des synergetischen Zusammenwirkens aller oben genannten Elemente sind
Handlungen, welche von einer Sozietät dahingehend beurteilt werden, welchen Nutzenbeitrag
diese Handlungen für die Sozietät darstellen. Die Folge dieses sozialen Prozesses besteht zum
einen darin, dass der Handelnde und dessen Handlungen durch die Sozietät eine bestimmte
Wertschätzung erfahren (Ansehen, Charisma); zum anderen gewinnt der Handelnde durch sein
Tun Einuss auf diese Sozietät (Autorität).
In diesem Sinne kann der Begriff »schöpferische Persönlichkeit« in einem zweifachen, dabei komple-
mentären Sinne verstanden werden: 1. Alle oben genannten Aspekte in sich zu vereinen, bedeu-
tet, dass man eine schöpferische Persönlichkeit hat. 2. Die sachlich-emotionale Wertschätzung von
Handlung und Handelnden durch andere bedeutet, dass man eine schöpferische Persönlichkeit ist.
64 Die schöpferische Kraft der Bildung
4.1 SCHÖPFERISCHE PERSÖNLICHKEITEN?
In einem ersten Schritt wollen wir zunächst fragen: Wer sind schöpferische Persönlichkeiten und
wo lassen sie sich nden? Zunächst sei gemutmaßt, dass schöpferische Persönlichkeiten zum
einen etwas sehr Kostbares besitzen bzw. sind und zum anderen sehr rar sind. Es sei weiter
angenommen, dass die Kostbarkeit von schöpferischen Persönlichkeiten darin besteht, dass sie
eine außergewöhnliche Befähigung haben und daher Außergewöhnliches leisten. Es gibt jedoch
unzählige Weisen, den Begriff »schöpferische Persönlichkeit« zu fassen, da es unzählige Bereiche
gibt, wo man außergewöhnliche Befähigung zeigen kann; nachfolgend eine kleine Auswahl:
– Technik
– Handwerk
– Wissenschaft und Bildung (Forschung und Lehre)
– Medizin (Ärzte, Pegepersonal etc.)
– sozio-politischer Bereich (Politik, Einrichtungen des Gemeinwohls, NGOs etc.)
– Kultur (Musik, Malerei, Literatur, Film, Theater etc.)
– Sport
– Unternehmen (Manager, Unternehmer, Fach- und Führungskräfte)
– etc. pp., das heißt: überall…
Ebenso unzählig sind die Begabungen / Befähigungen, die man als »außerordentlich« bezeichnen
könnte. Noch stärker als beim verwandten Begriff »Intelligenz« kann Begabung in vielfacher und
dabei unterschiedlichster Form auftreten.30
Schöpferische Persönlichkeiten gelten als außerordentlich befähigte Menschen, welche Außeror-
dentliches bewirken, indem sie Außerordentliches leisten – dies scheint die allgemeinste aller mögli-
chen Denitionen zu sein. In dieser Arbeit geht es darum, den Begriff »schöpferische Persönlichkeit«
in Zusammenhang mit dem Begriff »Innovation« zu bringen. Daher soll die nun folgende Denition
von »schöpferischer Persönlichkeit« als eine Denition im engeren Sinne verstanden werden, näm-
lich aus Sicht von Unternehmen, welche durch Innovationen ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig
sichern und steigern wollen.31
Eine erste Annäherung an eine Realdenition eines so verstandenen Begriffs »schöpferische Per-
sönlichkeit« ergibt sich durch folgende Überlegung: Die (westliche) Gesellschaft wandelt sich seit
Mitte des 20. Jahrhunderts in einem rasanten Tempo. »In welcher Gesellschaft benden wir uns
eigentlich gerade?«, mag sich der ein oder andere fragen angesichts der sich rasch wechseln-
den Etiketten, die der Gesellschaft angeheftet werden: Risikogesellschaft, Erlebnisgesellschaft,
Non-stop-Gesellschaft, Multioptionsgesellschaft, Mediengesellschaft oder…? Inmitten all dieser
auf einen einzigen Namen verdichteten (und mehr oder weniger angebrachten) soziologischen
Zeitdiagnosen ragt ein Begriff heraus, der so treffend wie kein anderer diese unsere Gesellschaft
beschreibt: Wissensgesellschaft. Was bedeutet dieser Begriff? Eine der zentralen Entwicklungen
65Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
30 Bisweilen wird heute von »multiplen Intelligenzen« gesprochen; neben dem klassischen Intelligenz-Quotienten,
der v. a. sinnbildlich für analytische Fähigkeiten steht, existieren heute bis zu 120 verschiedene Formen von
Intelligenzen.
31 Wie bereits gesagt, ist unsere Definition des Begriffs »schöpferische Persönlichkeiten« eine enge, mit dem
Begriff »Innovation« verknüpfte Definition. Selbstredend sind außerordentlich fähige und befähigte Menschen
in Organisationen (Unternehmen, Verwaltung, Parteien, Gewerkschaften, NGOs etc.) auch in anderen Bereichen
und Tätigkeitsfeldern zu finden.
der vergangenen Jahrzehnte in entwickelten Volkswirtschaften wie z. B. in Deutschland ist der
Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Dieser wirtschaftliche Strukturwandel
führt zu einer Ausweitung des Dienstleistungssektors bei gleichzeitigem Rückgang von Landwirt-
schaft und Industrie.
Mit dem Strukturwandel verschieben sich auch die Tätigkeitsstrukturen: So beträgt der Arbeits-
kräftebedarf für produktionsorientierte Tätigkeiten und primäre Dienstleistungen, welcher in den
90er-Jahren noch drei Viertel des Gesamtbedarfs ausmachte, bereits 2010 nur noch zwei Drittel.
In dem gleichen Umfang werden sekundäre Dienstleistungen wie Betreuung, Beratung, Lehre,
Management sowie Forschung und Entwicklung an Bedeutung gewinnen.
23 | Arbeitsplätze in Deutschland: Entwicklungen nach Tätigkeiten 1995–2010
66 Die schöpferische Kraft der Bildung
24 | Arbeitsplätze in Deutschland: Entwicklung nach Qualifikationsniveau 1995–2010
Mit dem Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft steigen ebenso die Anfor-
derungen an das Qualikationsniveau der Arbeitskräfte. 2010 macht der Anteil der höher qualizierten
Tätigkeiten (Führungsaufgaben, Organisation, qualizierte Forschung und Entwicklung etc.) bereits
über 40% sämtlicher Berufstätigkeiten aus; der Anteil mittel qualizierter Tätigkeiten bleibt während-
dessen weitgehend stabil, der Anteil der einfachen (Hilfs-) Tätigkeiten geht zurück. Kurzum bedeutet
das: »Die für entwickelte Gesellschaften relevante Form der Arbeit wird daher Wissensarbeit sein!«
(Oelsnitz u. a. 2007: 37)
Der Wissensarbeiter ist die Leitgur der fortgeschrittenen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts.
Nonaka und Takeuchi (1997: 171) unterscheiden hierbei zunächst drei Typen von Wissensarbeitern.
1. Der Wissenspraktiker, der aufgrund seines Expertenstatus, wegen besonderer Erfahrung oder
Außenkontakten den »operativen Kern« der Wissensarbeit bildet. 2. Der Wissensingenieur, der
die Schnittstelle zum Wissenspraktiker bildet und dafür sorgt, dass Wissen auch genutzt werden
kann. 3. Der Wissensverwalter (oder besser »Wissensmanager«), der die Ziele und den Rahmen
der Wissensteuerung wahrnimmt, d. h. die anderen beiden Wissensarbeiter-Gruppen koordiniert.
Als vierte Gruppe sollten noch die Wissensvermittler, Wissensberater und Wissensschaffer hinzu-
gefügt werden; diese leisten »symbolanalytische Dienste«, d. h. sie stellen nicht-standardisierte
Produkte her, die auf Symbolen (Daten, Wörtern, audio-visuelle Darstellungen) basieren. Zu die-
sem Wissensarbeiter-Typus gehören u. a. Wissenschaftler, Anwälte, Journalisten, PR-Manager,
Investment-Banker, Unternehmensberater, also Menschen, die Probleme lösen, beraten oder
vermitteln, somit Tätigkeiten ausüben, die mit analytischen oder rhetorischen »Werkzeugen«
ausgeübt werden. (Vgl. Reich 1993: 194f.)32
67Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
32 Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit schätzt den Anteil der
»Knowledge Workers« im Jahr 2010 auf 40% (IAB 1999: 3). Ein OECD-Bericht vermutet Steigerungsraten in
den EU-Ländern und USA von jährlich 3,3% (OECD 2001: 56). Oelsnitz u. a. (2007: 35) gehen davon aus, dass
rund ein Drittel der Arbeitsplätze als wissensbasiert bezeichnet werden können – Tendenz steigend: So prog-
nostiziert das »Zukunftsinstitut«, dass in naher Zeit nur noch ein Drittel der Arbeitsplätze »traditionell« d. h.
nach dem industriegesellschaftlichen Modell organisiert sein werden; dagegen werden rund zwei Drittel der
Arbeitsplätze in irgendeiner Weise mit dem Produktionsfaktor »Wissen« zu tun haben.
Manchmal wird heute noch zwischen »Wissensarbeiter« und »Kreativarbeiter« unterschieden.
Diese Unterscheidung ist eher analytischer denn wirklicher Natur: Das Werk von Kreativarbeitern
ist kein Creatio ex nihilo, keine Schöpfung aus Nichts. Kreativität bedeutet die Fähigkeit schöpfe-
rischen Denkens also die Fähigkeit Ideen zu haben. Insofern man nicht annimmt, dass Ideen dem
Menschen von göttlicher Seite eingegeben werden, von einem elysischen Ort in das menschliche
Bewusstsein einfallen, muss angenommen werden: Die Eingabe, der Einfall ist das Ergebnis eines
Prozesses, bei dem Wissen, das ein Mensch bereits im Kopf hat, von eben jenem Menschen
auf eine neue oder so noch nicht kombinierte Weise verknüpft wird. Der Unterschied zwischen
dem »klassischen« und dem kreativen Wissensarbeiter liegt somit darin, dass sie zum einen
auf verschiedene Weisen mit Wissen umgehen und dass sie zum anderen jeweils an verschie-
denen Stellen in den Innovationsprozess eingreifen. Die Arbeit des Kreativarbeiters steht vor
dem Innovationsprozess, ist dieser Prozess doch deniert als die Verwirklichung von Ideen. So
wichtig die Arbeit des Kreativarbeiters ist: Eine Idee – und sei sie auch noch so grandios – bleibt
wirkungs- und folgenlos, solange man sich ihrer nicht annehmen und sie Wirklichkeit werden
lässt. Als schöpferische Persönlichkeiten unter den genannten Wissensarbeitern verstehen wir
all jene Menschen, welche Innovationsprozesse in Gang setzen, gestalten und daher zu einem
wertschöpfenden Ende führen.
So gesehen besitzt der Begriff der »schöpferischen Persönlichkeit« große Übereinstimmung hin-
sichtlich der Begriffe »Entrepreneur« und »Entrepreneurship«: Entrepreneurship bedeutet in ei-
nem engeren Sinn den Gründungsprozess neuer Unternehmen. In einem weiteren und in dieser
Arbeit so verstandenen Sinn bedeutet Entrepreneurship allgemein unternehmerisches Denken
und Handeln. Nach unserer Meinung ist dies vor allem ein Denken und Handeln, durch das Inno-
vationen im Sinne Schumpeters entstehen oder anders gesagt: Unternehmerisches Denken und
Handeln bezeichnet die »Imagination, Entwicklung und Realisierung eigener Ziele und Visionen
[im Sinne Schumpeters] in einem durch Wettbewerb bestimmten Umfeld.« (Diensberg 2001: 65).
Entrepreneure sind daher nach unserer Ansicht vor allem (potenzielle) »Agenten des Wandels«
(Fueglistaller, Müller, Volery 2008: 3), die Ressourcen aller Art neu kombinieren und auf den
Markt bringen. Nach unserem Verständnis ist Entrepreneurship dabei weder abhängig von Stelle
oder Status: »Entrepreneurship is a process by which individuals – either on their own or inside
organisation – pursue opportunities without regard to the resources they currently control. […]
It is typical of the entrepreneur to nd a way.«. (Stevenson, Jarillo 1990: 23)
68 Die schöpferische Kraft der Bildung
Eine differenzierte Denition eines so verstandenen Begriffs einer »schöpferischen Persönlich-
keit« bietet die folgende Darstellung:
Schöpferische Persönlichkeiten können zunächst unterschieden werden in »High Potentials«
und »High Performer«. Der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen besteht hierin: High-
Potentials sind Menschen, die in Konturen haben erkennen lassen, dass sie das Zeug zum Ent-
repreneur hätten, dass sie innovativ sein könnten, wenn ihnen die Chance dazu gegeben wird.33
High-Performer sind Menschen, die ihre Befähigung zum Entrepreneur bereits (mehrfach) bewiesen
haben, d. h. schon (mehrfach) Innovationsprozesse initiiert, geleitet und verantwortet haben. Neben
der Unterscheidung, in welchem Ausmaß Menschen bereits innovativ tätig waren, lässt sich noch
unterscheiden, in welcher Rolle sie dies getan haben. Zunächst lässt sich hier differenzieren zwi-
schen Menschen, die aktiv am Innovationsprozess beteiligt sind und Menschen, die darüber hinaus
diese Innovationsprozesse leiten. Es geht also auf der einen Seite um Menschen, die als Mitglied
eines Teams, als Inhaber einer Stabsstelle etc. ihr Wissen, Können und Wollen einsetzen, um Inno-
vationen hervorzubringen. Auf der anderen Seite geht es um Menschen, die Innovationsprozesse
initiieren, steuern und anführen, die Innovationen letztlich zu verantworten haben.
25 | Schöpferische Persönlichkeit und Innovation: eine differenzierte Sichtweise
69Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
33 Ein wesentliches Merkmal von Mitgliedern der Gruppe der High Potentials ist ihre eher geringe Berufserfahrung.
Während und auch kurz nach ihrer Ausbildung stellt sich ihnen oft die Frage, ob sie denn tatsächlich in der
Position für Innovationen sind und ob sie in ihrer Rolle z. B. als ein nach dem dualen Prinzip Studierender
denn über genug Macht verfügten, Innovationsprojekte tatsächlich umzusetzen. Aufgrund der vielen positiven
Erfahrungen mit unseren Studierenden schließen wir uns hierbei dem – zugegeben etwas reißerischen und
nicht immer leicht umzusetzenden – Aufruf von Tom Peters an: »Um etwas »auf die Beine zu stellen«, braucht
man keine ›Macht‹ und keine ›Position‹. SONDERN LEIDENSCHAFT, FANTASIE und BEHARRLICHKEIT.« (Peters
2007: 203) Darüber hinaus wollen wir uns an dieser Stelle auch diesem – ebenso etwas reißerischen und
nicht immer leicht umzusetzenden – Appell von Peters anschließen: »Um eine große Chance zu nutzen,
braucht man kein offizielles Projekt.« Entrepreneurship bedeutet auch, dass man sich die »dicken Bretter«, die
man bohren will, um es sich selbst und anderen zu beweisen, selbst suchen muss.
Die Mitglieder der ersten Gruppe können idealtypisch danach unterschieden werden, wann bzw. wo sie
am Innovationsprozess aktiv beteiligt sind. Im Falle der Innovation eines Produkts oder einer Dienst-
leistung böten sich beispielsweise folgende Phasen für das innovative Tätigwerden von schöpferischen
Persönlichkeiten dieses Typus: Ideengenerierung oder Ideensammlung (Scouting), Ideenbewertung,
Entwicklung, Tests mit Kunden, Marketing, Vertrieb. Die zweite Gruppe kann noch einmal unterschieden
werden in Intrapreneure und Unternehmer.
Der Intrapreneur ist »Innovationsmanager«, der »Unternehmer im Unternehmen«. Er setzt Inno-
vationen im Sinne des Unternehmens um und steht in einem abhängigen Verhältnis zum Unter-
nehmen, trägt aber auch keine existentiellen Risiken. Im Gegensatz hierzu wird der Entrepreneur
im engeren Sinne verstanden, der Unternehmer, der seine Ideen in einer eigenen Unternehmung
realisiert und auch das existenzielle Risiko trägt. (Higgins, Wiese 2009: 240) Überspitzt aus-
gedrückt: Während der Intrapreneur sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er in einem Un-
ternehmen nach großen und innovativen Herausforderungen sucht, sucht der Unternehmer auf
eigene Faust und in der gesamten Welt nach diesen »dicken Brettern«.
4.2 WAS ZEICHNET SCHÖPFERISCHE PERSÖNLICHKEITEN AUS?
»Wer sind schöpferische Persönlichkeiten und wo sind sie zu nden?« Die Antworten, welche im
vorigen Kapitel gegeben wurden, bilden den ersten Teil einer Realdenition des Begriffs »schöp-
ferische Persönlichkeit«. In diesem Kapitel wird die Realdenition nun vervollständigt, indem
eine Antwort darauf gegeben werden soll auf die Frage: »Was braucht es, um eine schöpferische
Persönlichkeit zu sein bzw. zu werden?
Eine weitere Annäherung an eine Realdenition des Begriffs »schöpferische Persönlichkeit« er-
gibt sich durch folgende Überlegung: Erste Auswertungen eines ifo-Innovationstests zur Ausbil-
dungsstruktur belegen signikante Zusammenhänge zwischen dem Wachstum und dem Human-
vermögen von Unternehmen. (Falck 2008) Unternehmen, die erfolgreich innovieren, haben einen
70 Die schöpferische Kraft der Bildung
26 | Unternehmerisches Wissen
hohen Anteil an hoch gebildeten Beschäftigten. Auch wenn die Befunde nicht kausal gedeutet
werden dürfen,34 scheint es einen engen Zusammenhang zu geben zwischen erfolgreichen Inno-
vations-Projekten sowie dem Wissen und der Kompetenz der Menschen, die an diesen Projekten
beteiligt sind. Insofern es einen engen Zusammenhang zu geben scheint zwischen Wachstum
und dem Wissen und der Kompetenz der Menschen, die in Unternehmen beschäftigt sind; und
insofern schöpferische Persönlichkeiten deshalb so gesucht sind, da sie einen wesentlichen An-
teil an der Entwicklung und Verwirklichung von Innovationen und damit am Wachstum eines
Unternehmens haben, gilt zunächst: Schöpferische Persönlichkeiten sind Menschen, die über
mehr / größeres Wissen und mehr / größere Kompetenzen als der Durchschnitt verfügen.
4.2.1 UNTERNEHMERISCHES WISSEN,
UNTERNEHMERISCHE QUALIFIKATIONEN
Die Basis für Innovationen bildet Wissen. Für Innovationen bedarf es dabei vor allem der Wissens-
arten Allgemeinwissen, interkulturelles Wissen und Fachwissen.
71Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
34 Bei der Interpretation der Befunde muss berücksichtigt werden, dass es sich bei den hier berichteten
Zusammen hängen zwischen den Innovationsaktivitäten der Unternehmen einerseits und der Qualifikations-
struktur und den Kompetenzen ihrer Mitarbeiter andererseits um rein deskriptive Zusammenhänge handelt.
Die Reihenfolge der verschiedenen Wissensbegriffe ist nicht zufällig, sondern orientiert sich an dem
Bildungsverständnis von Wilhelm von Humboldt. Dieses versteht sich aus historischer Perspektive
als Gegenreaktion auf einen überzogenen Utilitarismus der späteren Aufklärungspädagogik.
»Erziehung« im Geiste der Aufklärung galt und gilt immer noch einem pädagogischen, zweckge-
richteten Prozess: Durch Erziehung sollen Menschen vor allem zielgerichtet und standeskonform
brauchbar gemacht werden für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. »Bildung« hingegen war und
ist mehr, denn Bildung soll zur Vollkommenheit, zu Freiheit und Glück führen, zu einem höheren
Zweck – nämlich zur Emanzipation des Menschengeschlechts. Nach Humboldt soll der Mensch
hierzu zuerst allgemein und dann beruich gebildet werden. Eine Humboldt fälschlicherweise
zugewiesene Ablehnung von Fachwissen bzw. beruicher Bildung ist hier nicht zu erkennen, sehr
wohl aber eine Wertigkeit und Stufenfolge von Allgemeinbildung und Spezialbildung (wie es bei
ihm heißt). Erst spätere Generationen von Pädagogen entwerfen daraus die radikale und bis heute
oft unversöhnliche Frontstellung von Vollkommenheit und Brauchbarkeit, von Allgemeinwissen
und berufsbezogenem, d. h. fachlichem Wissen. (Vgl. Gruber 2005: 2)
Ein breites Allgemeinwissen ist gerade bei Innovationstätigkeiten von enormer Wichtigkeit. Erst
durch diese Allgemeinbildung ist es nämlich möglich, unterschiedliche Zugänge zu einem Pro-
blem zu nutzen oder verschiedene Wirkungen einer Entscheidung / Handlung etc. zu erkennen.
Ohne eine mehrdimensionale Denkweise wird man komplexen Realphänomenen nicht gerecht,
wird man diese nicht in ihrer Ganzheit verstehen können.
Innovationen sind heute in der Regel das Ergebnis von Teamarbeit. Im Zuge der Globalisierung
kommen die Mitglieder solcher Teams einerseits immer häuger aus verschiedenen Ländern mit
bisweilen völlig verschiedenen Kulturen. Zum anderen sollen diese Teams oftmals Innovationen
hervorbringen, die immer häuger in Länder mit bisweilen völlig anderen Kulturen als der eigenen
Kultur exportiert werden sollen. In beiden Fällen ist eine spezielle Form des Allgemeinwissens,
nämlich interkulturelles Wissen also das Wissen um die Verschiedenheit und mitunter diametrale
Andersartigkeit der Kulturen von großer Wichtigkeit, um erfolgreiche Innovationen zu schaffen.
Zum interkulturellen Wissen gehört darüber hinaus die Möglichkeit, mit Menschen anderer Kul-
turen zu interagieren d. h. interkulturelles Wissen umfasst ebenso Sprachkenntnisse und das
Wissen um Gepogenheiten, Etiketten etc.
Unzweifelhaft brauchen Menschen, um Innovationen hervorbringen zu können, ein tiefes fach-
liches Verständnis von dem Objekt, das Realität werden soll. Unter Fachwissen sollen alle jene in
den eigenen Erfahrungskontext aufgenommenen Informationen gelten, welche berufstypischen
Aufgaben und Sachverhalte zuzuordnen sind. Hierzu gehören: (Vgl. Pirntke 2010: 168)
72 Die schöpferische Kraft der Bildung
– Kenntnis der fachspezischen Ausdrücke und Fachtermini (Fachsprache)
– Kenntnis der fachspezischen Methoden und Verfahren, Hilfsmittel und Werkzeuge
und deren sachgemäße Verwendung.
– Kenntnis der in einem Fach behandelten Themen und Sachverhalte (Sachkunde,
Überblick über das ganze Fachgebiet)
– Kenntnis der das Sachgebiet betreffenden Standards und des Rechtsrahmens
– Kenntnis der vom Umgang mit der Sache ausgehenden Gefahren und Risiken,
und die daraus resultierenden Vorsichts-, Schutzmaßnahmen und Vorkehrungen,
und das Bewusstsein der Verantwortung und Haftung.
Da es bei Innovationen um mehr geht als um die reine Entwicklung, sondern eben auch um die
erfolgreiche Vermarktung, reicht fundiertes und aktuelles Fachwissen im engeren Sinne nicht
aus. Im Falle einer Produktinnovation ist so rein technisches Wissen zu wenig für eine erfolgreiche
Innovation: Es reicht nicht aus, zu wissen, wie ein innovatives Produkt hergestellt werden kann;
für Innovationen muss das Fachwissen im engeren Sinne ergänzt werden um betriebswirtschaft-
liches Wissen bzw. Erkenntnisse aus der Managementlehre.
Als unternehmerische Qualikationen gelten alle Elemente, welche bereits weiter oben unter dem
Aspekt »unternehmerisches Wissen« genannt worden sind. In Abgrenzung zum vollumfänglich
selbstorganisiert erschlossenen unternehmerischen Wissen, unterliegen unternehmerische Qua-
likationen einer gewissen Kanonisierung. Das bedeutet: Inhalt und Umfang des Wissens sowie
die Kontrolle des Lernerfolgs sind beim Aspekt »unternehmerisches Wissen« vom Lernenden
mehr oder minder selbst und frei wählbar; Inhalt und Umfang des Wissens beim Aspekt »unter-
nehmerische Qualikationen« werden von Institutionen vorgegeben z. B. in Form von Lehrplänen
und Prüfungsordnungen.
4.2.2 UNTERNEHMERISCHES KOMPETENZPROFIL
Um Innovationen hervorzubringen, benötigen Menschen mehr als »nur« Qualikationen. Eine
Qualikation ist ein Beleg darüber, dass ein Mensch ein bestimmtes Wissen bzw. Können in
einer arrangierten und damit künstlichen Situation gezeigt hat. Qualikationen waren gerade im
Industriezeitalter der Schlüssel zu Arbeit und Aufstieg:
In der Industriegesellschaft der letzten 200 Jahre dominiert standardisierte Arbeit.
Das charakteristische, fordistisch-tayloristische Produktions- und Arbeitsregime
prägt einen kulturellen Typus des Lernens, der sich aus dem arbeitsteiligen Ver-
ständnis der Fließbandarbeit ableitet. […] Die Aufteilung des Arbeitsprozesses in
viele kleinteilige Module und die Zuweisung einzelner Module an einzelne Per-
sonen bringt eine eigene Lernkultur hervor. Eine Lernkultur der Qualizierung,
in dem Sinne, dass Menschen sich mit dem, wofür sie sich qualizieren an die
73Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
geforderten Tätigkeiten anpassen müssen. (Qualizierung als Anpassungsleistung).
[…] D. h. Lernen ndet in der Regel innerhalb von Leitplanken statt. Die Leitplanken
markieren einen Entwicklungspfad, der für den Einzelnen (und seine Umwelt)
schon zu Beginn klar ist und dessen Ende und Ergebnis mehr oder weniger
bekannt ist. Hierbei besteht die Vorstellung, dass der Mensch sich nur einmal
qualiziert – nämlich im Übergang von Schule zu Beruf (Ausbildung), um sich
dann weiter im vorgegeben Rahmen fein zu justieren. In separierten, normierba-
ren und »Position für Position abzuarbeitenden Prüfungssituationen« werden die
Qualikationen sichtbar. Sie spiegeln das jeweils aktuelle (am Input angelehnte)
Wissen und die jeweils gegenwärtig trainierten Fertigkeiten wider. Wie mechani-
sche Leistungsparameter kann man beide Merkmale messen, werten, abfallende
Leistungspositionen identizieren und durch Weiterbildungsmaßnahmen erneu-
ern, auffrischen, aktualisieren. Qualikationen sind »Positionen eines gleichsam
mechanisch abgeforderten Prüfungshandelns, sind Wissens- und Fertigkeitsposi-
tionen. (Borner 2007: 1)
Eine Qualikation beweist, dass dieser Mensch in einer phänomenologisch ähnlichen Situation
mit eben diesem Wissen und Können aufwarten könnte. Das Problem ist nun aber: 1. Angesichts
des Phänomens der Gegenwartsschrumpfung verfällt Gelerntes und sicher Geglaubtes immer
schneller. 2. Genau in diesen Situationen, da man Neuem gegenübersteht und darauf reagieren
oder gar Neues hervorbringen soll, reichen Qualikationen nicht (mehr) aus.35 Vielmehr hängt die
Fähigkeit zu innovieren, aufs Engste zusammen mit dem Begriff »Kompetenz«.36
Von der Qualikation zur Kompetenz – so lautet seit einigen Jahren das Credo der
Lernforscher. Nach wie vor sind zwar Qualikationen gefragt, aber nicht mehr als
Endprodukt von Ausbildung, sondern als Eintrittskarte für eine Kompetenzentwick-
lung. Was ist nun das Besondere an Kompetenzen? Kompetenzen kann man nur
selbst – in neuartigen, offenen Problemsituationen kreativ handelnd – erwerben.
Ja, man kann Kompetenzen geradezu als die Fähigkeiten beschreiben, in solchen
35 Ein ähnliches Schicksal wie der Begriff »Qualifikation« haben auch »Traditionen«: Die formelhafte Begründung
eines Tuns, das »so wird das gemacht, weil es immer so gemacht worden ist« verliert an Bedeutung in einer
posttraditionalen Sozialordnung.
36 Der Begriff Kompetenz hat neben der oben im Text genannten Bedeutung noch eine andere: Kompetenz
bedeutet auch für etwas zuständig oder verantwortlich zu sein. Insofern könnte man sagen, dass Qualifikationen
dazu führen, dass man Kompetenzen also Befugnisse erhält (z. B. ist ein MBA-Titel eine mögliche formale
Qualifikation, die zu einer Führungsposition führt). Staudt und Kriegesmann (1999: 3) zufolge konstituiert
sich Handeln aus einer Trias: 1. Handlungsfähigkeit als kognitive Basis, 2. Handlungsbereitschaft als motiva-
tionale Grundlage und schließlich 3. Zuständigkeit als organisatorische Legitimation. Letzteres, also die
Positionierung des Menschen innerhalb der Unternehmensorganisation, die Zuweisung von Zuständigkeiten,
ist ein entscheidendes Merkmal einer arbeitsteiligen Organisation bzw. Gesellschaft.
74 Die schöpferische Kraft der Bildung
unsicheren, offenen Situationen selbstorganisiert handeln zu können, ohne be-
kannte Lösungswege »qualiziert« abzuarbeiten, ohne das Resultat schon von
vornherein zu kennen. (Erpenbeck, Sauter 2007b)
Schöpferische Persönlichkeiten zeichnen sich nach unserem Verständnis dadurch aus, dass ihre
fachlich-methodischen, personalen und sozial-kommunikativen Kompetenzen ausgesprochen
ausgebildet sind. Neben diesen37 sind bei schöpferischen Persönlichkeiten jedoch auch und vor
allem die unternehmerischen Kompetenzen besonders ausgeprägt. Es sind nämlich gerade diese
unternehmerischen Kompetenzen, welche Entrepreneure auszeichnen, also jene Menschen, die
nach Schumpeter die Conditio sine qua non, die Verursacher von Innovationen und damit von
organischem und damit nachhaltigem Wachstum sind.
Wir kommen [zu dem, was…] als das eigentliche Grundphänomen der wirtschaftli-
chen Entwicklung bezeichnet werden kann, zum Wesen der Unternehmerfunktion
und des Verhaltens der Wirtschaftssubjekte, die ihre Träger sind. Unternehmung
nennen wir die Durchsetzung neuer Kombinationen […], Unternehmer [bzw. En-
trepreneure] die Wirtschaftssubjekte, deren Funktion die Durchsetzung neuer
Kombinationen ist und die dabei das aktive Element sind. (Schumpeter 1952: 109)
Von Unternehmern und auch von Führungskräften erwartet man durch selbstorganisiertes Han-
deln Problemlösungen zu entwickeln (Anpassung an die Umwelt); darüber hinaus erwartet man
von ihnen, selbstorganisiert Neues hervorzubringen (Veränderung der Umwelt). »Die neuen
Managementaufgaben fokussieren auf die Entwicklung von neuem Wissen zur Lösung neuer
Probleme.« (Prahalad, Krishnan 2009: 288)38 Neben der Entwicklung allgemeiner unternehme-
rischer Kompetenzen haben wir als Business School darüber hinaus eine Vorstellung darüber,
welche speziellen Kompetenzen in welchem Ausmaß solche schöpferischen Persönlichkeiten haben
sollen, die Innovationsprozesse initiieren, steuern und anführen, die also Innovationen letztlich zu
verantworten haben. Aus eigenen Erfahrungen und den Anforderungsprolen von Führungskräften
von Großunternehmen wurden hierzu an unserer Business School, der School of International
Business and Entrepreneurship (SIBE), 16 Teilkompetenzen ermittelt (Vgl. Faix, Schulten, Auer
2009: 157).
75Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
Diese Teilkompetenzen sind:
27 | Das spezielle Kompetenzprofil einer schöpferischen Persönlichkeit
37 Freilich bilden die vier Fähigkeits-Bereiche eine Ganzheit. Dass der Komplex »unternehmerische Fähigkeiten«
bzw. »unternehmerische Kompetenzen« hier gesondert dargestellt werden, liegt daran, dass wir den Begriffen
»Innovation« und Entrepreneur herausragende Rollen in dieser Arbeit reserviert haben.
38 Vgl. dazu folgende Empfehlung aus der IBM Global CEO Studie 2010: »Seien Sie Vorbild für bahnbrechende
Ideen. Praktizieren und fördern Sie Experimentierfreude auf allen Ebenen des Unternehmens. Drängen Sie mit
revolutionären Innovationen, die Ihr Unternehmen von der breiten Masse abheben, an die Spitze. Analysieren
und hinterfragen Sie, was andere tun – spüren Sie Technologie- und Kundentrends auf. Erarbeiten Sie Szenarien,
um Reaktionen auf verschiedene künftige Gegebenheiten zu planen.« (IBM 2010: 32)
76 Die schöpferische Kraft der Bildung
Um diese Begriffe nicht als zutiefst erklärungsbedürftige Schlagwörter stehen zu lassen,
sind diese Begriffe an der SIBE in folgender Weise deniert worden: (Vgl. Keim, Wittmann
2009: 430f.)
ergebnisorientiertes
Handeln
ρVerfolgt und realisiert Ziele bewusst mit großer Willensstärke, Beharr-
lichkeit und Aktivität und gibt sich erst zufrieden, wenn klare
Ergebnisse vorliegen.
ρNimmt auf alle Teilaspekte des zum Ziel führenden Handelns aktiv Einfluss.
ρLegt bei zeitweiligen Schwierigkeiten bei der Sicherung der Ergebnisse
eine große Ausdauer an den Tag.
ρWird durch die Erwartung von konkreten Ergebnissen motiviert.
Loyalität / Integrität ρSteht klar zum Unternehmen und zu den Mitarbeitern / Kollegen –
sowohl in positiven als auch in kritischen Situationen.
ρIst gegenüber Führungskräften offen und kooperationsbereit.
ρSetzt sich für das Unternehmen und seine Ziele ein, identifiziert sich mit
den Produkten / Dienstleistungen des Unternehmens und vertritt diese
mit Überzeugung.
ρVertritt das Unternehmen in der Öffentlichkeit aktiv und hält eigene
Unzufriedenheiten mit dem Unternehmen zurück.
analytische Fähigkeiten ρBesitzt eine rasche Auffassungsgabe, beherrscht Methoden des abstrakten
Denkens und kann sich klar ausdrücken.
ρKann Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden, die Informations-
flut verdichten, Sachverhalte schnell auf den Punkt bringen, Tendenzen
und Zusammenhänge erkennen und richtige Schlüsse und Strategien
daraus ableiten.
ρVersteht es mit Zahlen, Daten und Fakten sicher umzugehen und aus der
Informations- und Datenvielfalt ein klar strukturiertes Bild zu zeichnen.
Problemlösungsfähigkeit
ρIdentifiziert problematische Situations-, Prozess- und Zielstrukturen,
löst Aufgaben und Probleme intensiv zupackend durch Rückgriff auf
den eigenen sowie auf den im Unternehmen vorhandenen fachlichen
und methodischen Wissens.
ρBringt die erkannten Probleme in kreative Diskussionen der Arbeits-
gruppe oder des Unternehmens ein. Gestaltet Kommunikations- und
Leitungsstrukturen dem erkannten Problemtyp entsprechend effektiv.
ρInitiiert systematisch-methodische Vorgehensweisen bzw. Prozesse soweit
Problemlösungsprozesse mit einzelnen Personen oder (Projekt-)Gruppen.
Grenzt dabei Risiken systematisch ein und löst komplexe Probleme in
bearbeitbare Teilprobleme bzw. schritte auf.
Zuverlässigkeit ρEntwickelt eine hohe Eigenverantwortung und (Arbeits-)Disziplin, ein
starkes Pflichtgefühl und Aufgabenbewusstsein und ist vertrauenswürdig.
Hat eine idealorientierte Arbeitseinstellung und handelt wertgeleitet, mit
hohen Ansprüchen an sich selbst und andere, setzt sich dafür ein, wichtige
Werte in der Unternehmenskultur zu verankern.
ρSetzt als richtig Erkanntes möglichst schnell und energisch durch und
hält dabei Emotionen und Wertungen aus sachlichen Aussagen heraus.
ρUnterstützt die Wahrung der Unternehmensinteressen durch eigenes
wirtschaftliches Verhalten und hohe Loyalität, thematisiert Fehler und
Probleme, wenn diese das Unternehmen gefährden.
77Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
Entscheidungsfähigkeit
ρIst gerne bereit, Entscheidungen zu treffen und sie konsequent umzu-
setzen.
ρNimmt alternative Handlungsmöglichkeiten aktiv wahr, ist fähig, Alter-
nativen erkenntnismäßig und wertmäßig zu beurteilen.
ρKann sich in Fällen nicht berechenbarer Entscheidungen sowohl auf eine
Analyse als auch auf seine Intuition beziehen.
ρKann klare Prioritäten setzen.
Gestaltungswille
ρHat Freude daran, Systeme und Prozesse aktiv zu gestalten. Lässt sich
durch Herausforderungen motivieren und besitzt den Willen, Lösungen
auch gegen Widerstände durchzusetzen.
ρKann Projekte bedarfsgerecht auswählen, setzt klare Prioritäten in der Ent-
wicklung von Lösungen.
ρIst in der Lage, systematisch ganzheitliche Problemlösungen zu entwi-
ckeln, kann dabei Wissen und Ideen anderer systematisch generieren,
weiterentwickeln und in die Lösung integrieren.
ρKann komplexe Vorhaben termingerecht, kostengünstig und in hoher
Qualität umsetzen und ist in der Lage komplexe Prozesse zu koordinie-
ren und zu organisieren.
Kommunikationsfähigkeit ρKnüpft gerne Kontakte und kommuniziert mit Menschen, geht offen und
wohlwollen, aber mit der notwendigen Distanz, auf andere Menschen zu.
ρRespektiert die Mitmenschen, hört gut zu und geht auf die Gesprächs-
partner ein, begegnet Einwänden sachlich und mit Frustrationstoleranz.
ρBesitzt eine hohe Überzeugungsfähigkeit.
ρKann seine Kommunikation der Zielgruppe anpassen, kann den Prozess
der Zielfindung überzeugend steuern und vermittelt Ziele plausibel;
achtet darauf, dass die Mitarbeiter und Kollegen die Ziele kennen und
verinnerlichen.
Initiative
ρZeigt im gesamten Arbeitsprozess, aber auch im Privatleben, hohes per-
sönliches Engagement.
ρEntwickelt eigene Zielvorstellungen und Ideen und setzt sich aktiv und
erfolgreich dafür ein.
ρEignet sich das dafür notwendige Wissen an.
ρDie eigenen Aktivitäten finden bei anderen hohe Akzeptanz.
Einsatzbereitschaft
ρSetzt sich selbstlos und verantwortungsbewusst für gemeinsame Unter-
nehmens- und Arbeitsziele sowie im Privatleben ein.
ρStellt hohe Forderungen an die eigenen Anstrengungen und die der Mit-
arbeiter und Kollegen.
ρWirkt durch sein Handeln für andere als Vorbild.
ρKann andere zu tatkräftigen Handlungen bewegen.
78 Die schöpferische Kraft der Bildung
ganzheitliches Denken ρRichtet das Denken nicht nur auf fachlich-methodische Details der eige-
nen Arbeit, sondern auf deren umfassende Inhalte, Zusammenhänge und
Hintergründe.
ρKann über die eigene Arbeitsgruppe und das eigene Unternehmen hin-
ausgehen; erkennt und betrachtet das nähere und weitere Umfeld der
Aufgabenstellung.
ρBeachtet dabei nicht nur die im engeren Sinne fachlichen, sondern auch
die die ethischen, ökonomischen, politischen, sozialen und ökologischen
Wechselbeziehungen des eigenen Handelns.
ρDie Persönlichkeit integriert das Fachliche und ordnet sich ihm nicht
einfach unter.
Konfliktlösungsfähigkeit
ρErkennt die Interessensgegensätze anderer und kennt die eigene
Interessen lage.
ρBesitzt die nötige Einsicht und Toleranz, andere Interessen unvorein-
genommen zu prüfen und die eigenen kritisch zu hinterfragen.
ρFührt konfliktäre Gespräche mit Kollegen, Führungskräften, Kunden
etc. sensibel und hält Konflikte aus. Besitzt Überzeugungsfähigkeit, löst
Widerstände und Blockaden durch überzeugende Argumentation auf,
schafft Vertrauen und wirkt sicher im Auftreten.
ρLöst Konflikte nicht auf Kosten der widerstreitenden Parteien, sondern so,
dass deren Eigenverantwortung, Kreativität und soziale Kommunikation
zunimmt, ist deshalb eine Persönlichkeit, die in Konfliktfällen, gerne als
Vermittler aufgesucht wird.
Teamfähigkeit ρIst bereit und in der Lage, in Gruppen / Teams zu arbeiten, geht auf andere
offen und wohlwollend, aber ohne Distanzlosigkeit zu.
ρVeranlasst die offene Darlegung anderer Sichtweisen und Meinungen,
hört gut zu und geht auf Gesprächspartner ein, begegnet Einwände sach-
lich und frustrationstolerant; hält andere Sichtweisen und Meinungen aus
und ist in der Lage, sie in die Gruppenprozesse einzubinden.
ρIst konsensfähig und setzt sich auch bei Differenzen für gemeinsame
Lösungen ein, überzeugt durch Argumente.
ρWirkt vermittelnd zwischen eigenem Leistungsniveau, durchschnittlichem
Leistungsniveau der Gruppe und sozialen Leistungs- und Wertvorgaben.
Akquisitionsstärke ρGeht auf andere Personen aktiv und initiativreich zu; versteht und
beeinflusst andere durch intensive und kontinuierliche Kommunikation.
ρEntwickelt spezifische Lösungsvorschläge und vermittelt das Gefühl der
vollen Einbeziehung der Personen, auf die sich seine Arbeit bezieht.
ρErkennt schnell Wesentliches und setzt sich dafür selbstständig ein,
kann Personen und Kontakte nach ihrer Bedeutsamkeit priorisieren.
ρStellt sich auf Besonderheiten seines Gegenüber ein; beendet Gespräche
mit konkreten Vereinbarungen (weiteres Vorgehen, Termin etc.)
79Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
4.2.3 UNTERNEHMERISCHES TEMPERAMENT, UNTERNEHMERISCHER
CHARAKTER UND UNTERNEHMERISCHE WERTE / ETHIK
Nach unserem Verständnis zeichnen sich all jene Menschen, welche (schöpferische) Persön-
lichkeiten sind, auch und gerade dadurch aus, dass sie Individuen im positivsten aller Sinne
sind. (Schöpferische) Persönlichkeiten sind nicht nur wertvoll, sondern auch widerspenstig, sie
strotzen nicht nur so von Qualität, sondern auch von Querköpgkeit.39 In ihren Werken stecken
immer auch Werte und in ihrem Nachdenken spiegelt sich immer auch Nachhaltigkeit. Sie sind
Individualisten, die ihr Wissen, Können und Wollen einsetzen, um für sich und für andere, die
Vision des »guten Lebens« möglich zu machen. Als solche Individualisten besitzen schöpferische
Persönlichkeiten ein unternehmerisches Temperament, unternehmerischen Charakter und
unternehmerische Werte bzw. eine unternehmerische Ethik.
Temperament hat seinen wesentlichen Ursprung in der je spezischen Disposition der Triebe
des Menschen. Gerade der Explorations- bzw. Neugiertrieb scheint eine wesentliche Bedingung
für das unternehmerische Temperament, schafft und verschafft der Neugiertrieb doch Lust daran,
Neues zu nden, Unbekanntes in Bekanntes zu verwandeln und – »da das Unbekannte mit
Belastbarkeit ρOrganisiert bei Unbestimmtheiten, Schwierigkeiten, Widerständen und
unter Stress für einen überschaubaren Zeitraum.
ρHält auch unter solchen komplizierten Bedingungen an Vorhaben fest und
fühlt sich durch erhöhte Anforderungen herausgefordert und aktiviert.
ρMacht durch sein Verhalten auch anderen Mut, sich Belastungen zu stellen
und dies als Herausforderungen für die Entwicklung der eigenen Person
oder der Gruppe, Abteilung etc. anzunehmen.
ρBetrachtet zurückliegende Konflikte und kritische Bewährungssituationen
als persönliche Entwicklungs- und Reifeimpulse und versucht, sachlich
zu handeln; ist psychisch stabil genug, um auftretenden Stress positiv
zu verarbeiten.
Innovationsfreudigkeit
ρSucht und realisiert aktiv positive Veränderungen von Produkten / Dienst-
leistungen, Produktions- und Organisationsmethoden, Marktbeziehungen
und übergreifende Vernetzungen, stellt sich Problem- und Handlungssitu-
ationen mit offenem Ausgang bewusst und gern.
ρIst Neuem gegenüber auch außerhalb der Arbeitssphäre, im sozialen
Umfeld im Freizeitbereich, in der Privatsphäre aufgeschlossen, setzt
Neuerungen gern aktiv um.
ρErbringt in Situationen, die für Veränderungen offen sind, oft die besten
und kreativsten Leistungen.
ρErweitert durch den intensiven Gewinn von Erfahrungen, durch Lernen
und Umweltexploration kontinuierlich die Voraussetzungen, um innova-
tiv wirken zu können.
39 In den USA spricht man von diesen Menschen auch als »Wild Ducks«.
80 Die schöpferische Kraft der Bildung
Unsicherheit verbunden ist – Unsicherheit in Sicherheit« (Cube 1998: 12). Unternehmerisches
Temperament zeigen nach unserer Auffassung daher Menschen, die aus Möglichkeiten Wirklich-
keit machen wollen, die ihre Komfortzonen verlassen, sich dem Neuen stellen, ohne von Angst
überwältigt zu werden, um ihre schöpferischen Kräfte zu entfalten.40 (Vgl. Horx 2009, 301) Es ist
genau dieses unternehmerische Temperament, welches Schumpeter meint, wenn er den Entre-
preneur in dieser Weise beschreibt:
Der Entrepreneur ist aus anderem Holz geschnitzt. Wo andere vor Unbekanntem
zurückweichen, macht er sich daran, neue Wege zu beschreiten. Dass er sich
dabei ständig in unsicheren, undurchsichtigen Situationen bewegt, schreckt ihn
nicht. […] Sein starker Wille, seine überdurchschnittliche Energie verhindert, dass
sich der Entrepreneur der allzumenschlichen Bequemlichkeit und Abneigung ge-
gen Neues geschlagen gibt. So schafft er inmitten der alltäglichen Plackerei noch
Raum und Zeit, um seine [innovativen] Pläne […] Wirklichkeit werden zu lassen,
selbst wenn seine Umwelt ihn für einen Träumer […] hält. (Schäfer 2008: 59–60)
Während der Manager über das notwendige Handwerk, das Wissen, die Qualikationen und die
Kompetenzen verfügt, hat der Entrepreneur zudem ein unternehmerisches Temperament, hat
also neben dem entsprechenden Wissen und Können vor allem auch das Wollen, die Leiden-
schaft zum Handeln und zum Umsetzen. (Vgl. Baschera 2008)
The manager administers, the [entrepreneur] innovates.
The manager is a copy, the [entrepreneur] is an original.
The manager maintains; the [entrepreneur] develops.
The manager focuses on system and structure; the [entrepreneur] focuses on people.
The manager relies on control, the [entrepreneur] inspires trust.
The manager has a short-range view; the [entrepreneur] has a long-range perspective.
The manager asks how and when, the [entrepreneur] asks what and why.
The manager has his or her eye always on the bottom line; the [entrepreneur] eye
is on the horizon.
The manager imitates; the [entrepreneur] originates.
The manager accepts the status quo; the [entrepreneur] challenges it.
The manager is the classic good soldier; the [entrepreneur] is his or her own person.
The manager does things right; the [entrepreneur] does the right thing.
(Bennis 2009: 42).
Ein »unternehmerischer Charakter« zeichnet sich nach unserer Meinung vor allem durch folgende
Aspekte aus:
– Ein Mensch mit einem unternehmerischen Charakter, kann Veränderungen standhalten,
ohne sich selbst zu verlieren: Ein solcher Mensch besitzt jenes Potenzial, sich trotz aller
81Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
Stürme des Lebens im Innersten gleich zu bleiben; ein Mensch mit einem unternehmer -
ischen Charakter besitzt also jene Fähigkeit, sich einen Kern bestehend aus Regeln,
Normen, Werten, Überzeugungen und Glaubenssätzen aufrecht zu erhalten, auch wenn
sich im Laufe des Lebens die Anforderungen und Erwartungen grundlegend ändern.
– Ein Mensch mit einem unternehmerischen Charakter besitzt eine ausgeprägte Individualität
und beteiligt sich aktiv mit seinen angeborenen Begabungen und seinen erworbenen
Kenntnissen und Fähigkeiten an der Gestaltung unserer Welt. Ein solcher Mensch erbringt
im eigenen wie im gesellschaftlichen Interesse Leistungen und übernimmt wertebewusst
Verantwortung in Unternehmen, im öffentlichen Leben sowie im privaten Kreis. (Vgl. Spoun,
Wunderlich 2005: 293)41
– Ein Mensch mit einem unternehmerischen Charakter ist artikulationsfähig, kann sich
selbst ein Urteil bilden und stellt sich auf verschiedene Situationen (soziale, kulturelle,
wirtschaftliche, private) ein. (Vgl. Nida-Rümelin 2006: 36)
Warum braucht es diesen unternehmerischen Charakter ausgerechnet bei Innovationen? Das
Neue schafft die Verantwortung, sich mit den Risiken42 des Neuen auseinander zu setzen, d. h.:
Wer Neues schafft muss die möglichen (oftmals irreversiblen) intendierten und unintendierten
Folgen (und mitunter Katastrophen!) seiner Entscheidung, dieses Neue zu schaffen, antizipieren
und beurteilen.43 Wie soll man sich entscheiden, wenn es keine standardisierte Patentlösung,
kein Manual gibt? Entscheidungen für oder gegen eine Handlung können in solchen Situationen
alleine von Menschen getroffen werden, die fähig sind, Zusammenhänge nicht nur analytisch,
sondern auch und vor allem normativ zu erfassen, sich eigenständig ein Urteil zu bilden und
Entscheidungen zu verantworten.
40 So verstanden weißt der Begriff »unternehmerisches Temperament« große Übereinstimmung zum Begriff der
»aktivitätsbezogenen Kompetenz« nach Erpenbeck und Heyse: »[Die aktivitätsbezogene Kompetenz ist dafür
verantwortlich], wie tatsächliche Handlungen willensmäßig aktiviert werden. Man kann diese Kompetenz
daher im Sinne eines eigenständigen Aktivitätsniveaus (wie bei einem Lautstärkeregler) verstehen.« (Erpenbeck,
Rosenstiel 2003: XVI) Die Autoren scheinen die allzu große Nähe zu Begriffen wie Temperament oder Motivation
erkannt zu haben und haben diese Passage in ihrer aktuellen Definition der aktivitätsbezogenen Kompetenz
gestrichen. (Vgl. dazu Erpenbeck, Heyse 2007b: 159)
41 Für die soziale Rolle »Mitarbeiter in einem Unternehmen« sind schöpferische Persönlichkeiten so v. a. unter
jenen Menschen zu finden »with the ability, engagement, and aspiration to rise and succeed in more senior,
more critical position«. (Corporate Leadership Council 2005: 5)
42 Von einem Risiko soll gesprochen werden, »wenn eine Entscheidung ausgemacht werden kann, ohne die es
nicht zu dem Schaden kommen könnte«. (Luhmann 1991: 25)
43 Ulrich Beck, der »Schöpfer« des Begriffs »Risikogesellschaft«, spricht mittlerweile von einer »Weltrisikogesell-
schaft« (Beck 2007), bei der die Entscheidungsträger nicht nur regionale, sondern globale Folgen bedenken
müssen – eine schier unmenschliche Komplexität!
82 Die schöpferische Kraft der Bildung
Schöpferische Persönlichkeiten gelten als diejenigen, welche maßgeblich an Innovationen, d. h. am
besseren Neuen oder neuen Besseren beteiligt sind. Daher müssen schöpferische Persönlichkeiten
nicht nur Wissen erwerben und Kompetenzen entwickeln, sondern auch ein kohärentes Welt- und
Selbstbild für sich entwickeln (können), sich auf Grundlage von Selbsterkenntnis und eigenen Werten
erreichbare Ziele setzen (können) und die Kraft und den Mut entwickeln (können), diese Ziele auch
zu erreichen.
Im Kontext von Innovationen und unternehmerischen Handelns erachten wir die Werte Vertrauen,
Toleranz, Nachhaltigkeit, Konsequenz, Respekt für besonders wichtig:
– Vertrauen ist jene »Hypothese künftigen Verhaltens« (Simmel 1908 / 1992: 393) jener
»mittlere Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen um [die Handlungen des vertrauten]
Menschen« (ebd.); Vertrauen ist kurzum jener Glaube an einen Menschen, der immer
dann besonders bedeutsam wird, wenn dieser Mensch, dem man Vertrauen schenkt,
in einer neuen oder so noch nicht dagewesene Situation handeln muss.
– Toleranz soll hier verstanden werden im Sinne von »to honour the otherness in the
other« (Bauman 1991: 235). Toleranz ist besonders gefragt in Situationen, für die es
keine Matrize, keinen Standard, kein Richtig oder Falsch gibt. Denn in solchen Situationen
können Menschen nicht gemäß (allgemein) geltender Regeln und Normen handeln,
sondern nur selbstorganisiert vor dem Hintergrund von zutiefst subjektiven Vorstellungen
des Erwünschten.
– Nachhaltigkeit soll verstanden sein als ein Streben, den sozialen, ökologischen, wirt-
schaftlichen Wohlstand jetziger und zukünftiger Generation zu erhalten und auszubauen.
Alle diese Formen des Wohlstands sind angesichts unserer rapide und tiefgreifend ver-
ändernden Welt letztlich von der Innovationsfähigkeit und –tätigkeit von Menschen
angewiesen, vom fortlaufenden Prozess, bei dem neues oder so noch nicht angewandtes
Wissen soziale, ökologische und / oder wirtschaftliche Wirklichkeit wird.
– Konsequenz bedeutet zweierlei: 1. das unbedingte Wollen, dass wissenschaftliches Wissen
unternehmerische Folgen hat; 2. das Folgebewusstsein, das Antizipieren, dass und welche
unternehmerischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen dieser Transfer haben könnte.
– Auch und gerade in multikulturellen Teams sind gegenseitiges Vertrauen und gegenseitiger
Respekt wichtige Elemente für innovatives Denken und Handeln. Daher gehört zum
interkulturellen Wissen auch eine tiefe Überzeugung, nämlich: Wir müssen zum einen
das kulturelle Anderssein kennen, das uns auf der Oberäche vermeintlich voneinander
unterscheidet; zum anderen müssen wir uns aber auch vor allem jener menschengemein-
samen Rechte und Pichten des Zusammenlebens und auch das Zusammenarbeitens
bewusst werden und unser Handeln danach ausrichten. Niemand mag betrogen, belogen,
ausgenutzt, ohne Respekt behandelt werden, ganz gleich, welchem Kulturkreis er oder
sie entstammt; und jeder Mensch auf diesem Planeten mag Ehrlich- und Aufrichtigkeit,
Anerkennung, Wertschätzung.
83Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
Ein System, das sich aus den eben beschriebenen Werten und daraus abgeleiteten Normen und
Regeln ergibt, nennen wir unternehmerische Ethik.
FAZIT
Innovationen sind keine anonymen Vorgänge. Um Projekte im Sinne der Schumpeter’schen Un-
ternehmensentwicklung überhaupt entwickeln und durchführen zu können, ist es von entschei-
dender Bedeutung, dem wesentlichen Erfolgsfaktor für die Unternehmensentwicklung besondere
Beachtung zu schenken: jenen Menschen, die eine schöpferische Persönlichkeit haben und sind,
also jenen Menschen, durch die der Innovationsprozess überhaupt erst initiiert, vollzogen und
abgeschlossen wird:
28 | Schöpferische Persönlichkeiten im Innovationsprozess
Vor dem Hintergrund des Begriffs Innovation lautet die Denition unseres Bildungsideals »schöpfe-
rische Persönlichkeit« zusammengefasst: Als schöpferische Persönlichkeiten können all jene Men-
schen bezeichnet werden, welche, nachdem sie durch ihre breite Bildung umsichtig die möglichen
komplexen Folgen ihrer Entscheidungen durchdacht und vor dem Hintergrund ihrer Werte beurteilt
haben, die Kompetenzen und auch die Kraft und den Mut haben, mit ihrem reichhaltigen, selbstorga-
nisiert erarbeiteten, ständig wachsenden Wissen, Ziele zu formulieren und in der Lage sind, Wissen
84 Die schöpferische Kraft der Bildung
Wirklichkeit werden zu lassen in Situationen, für die es keine Matrize, keinen Standard, kein Richtig
oder Falsch gibt. Durch ihr Wissen, Können und Wollen sowie durch ihr Wesen und ihr Tun nehmen
schöpferische Persönlichkeiten innerhalb von Gemeinschaften zwangsläug eine führende Rolle ein.
(Vgl. Faix, Mergenthaler 2009: 15)44
An dieser Stelle möchten wir noch zwei Dinge ganz deutlich betonen:
1. Schöpferische Persönlichkeiten gelten im ökonomischen Kontext als besonders wertvolle,
da wertschaffende Menschen. Das evolutionäre und revolutionäre Potenzial von
schöpferischen Persönlichkeiten ist jedoch nicht alleine auf diesen Kontext beschränkt.
Alle gesellschaftlichen Bereiche wie Kultur, Politik, Sport, Gemeinwesen etc., ja auch
die Gesellschaft insgesamt sind auf Innovationen und damit auf Menschen angewiesen,
welche das Wissen, das Können und das Wollen besitzen, Ideen in die Tat umzusetzen.
2. Überspitzt ausgedrückt lautet die Denition des Begriffs »schöpferische Persönlichkeit«:
Schöpferische Persönlichkeiten sind Menschen, die über mehr / größeres Wissen und
mehr / größere Kompetenzen als der Durchschnitt und darüber hinaus über die Persön-
lichkeit eines »Machers« verfügen und diese ihnen mitgegebenen und selbst erarbeiteten
reichen Gaben dazu einsetzen, Ideen und Wissen wertschöpfende Wirklichkeit werden
zu lassen. Einer solchen Denition könnte man die Instrumentalisierung von Menschen
vorwerfen, werden Menschen doch hier alleine als »Wissens- und Potenzialträger« be-
trachtet, die allein deshalb so wertvoll sind, weil sie ihr exorbitantes Wissen und ihre
grandiosen Kompetenzen Werkzeugen gleich zur Wertschöpfung einsetzen. Mitunter
kommt hier der Verdacht auf, dass hier Individuen reduziert werden auf Objekte, die all
jene von außen als notwendig erachteten Fähigkeiten reichlich besitzen, die all jene von
außen herangetragenen Anforderungen übererfüllen.
Wir bekennen hier ganz deutlich: Jeder Mensch ist durch die Würde seines Menschseins unersetzlich
und unmessbar. Mit unserer Denition des Begriffs »schöpferische Persönlichkeit« wollen wir Men-
schen nicht zu bloßen Funktionsträgern degradieren. Wir erwehren uns dagegen, dass Menschen
auf »totale Anschlussfähigkeit ans System getrimmt« (Grigat 2010: 250) werden. Wir erwehren uns
dagegen, dass Menschen alleine durch ihre Funktionalität für gesellschaftliche Zwecke deniert wer-
den, dass sie als Subjekt jenseits der aktuellen gesellschafts- oder marktrelevanten Anforderungen
nicht existieren.45 Gleichwohl wollen wir – und das verstehen wir als einen unserer Aufträge als Bil-
dungsinstitution – ein uns erstrebenswert erscheinendes Bildungsziel vorstellen. Dass wir hierbei das
Bildungsziel »schöpferische Persönlichkeit« entwerfen, hat viel damit zu tun, weil wir uns der Meinung
des britischen Schriftstellers Joseph Addison anschließen: »Die wesentlichen Dinge, um in diesem
Leben Glück zu erlangen, sind: etwas zu vollbringen, etwas zu lieben und auf etwas zu hoffen.« Für
den erstgenannten Aspekt eines geglückten Lebens – das Vollbringen von etwas – ist das Haben und
Sein einer »schöpferischen Persönlichkeit« sicherlich sehr zuträglich.
85Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
44 Dieses Bildungsideal findet sich in Teilen in den obersten Bildungszielen vieler Bundesländer, so z. B. in jenen,
welche vom Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung 2003 veröffentlicht worden sind. (Vgl. ISB,
2003, 17). Bildung soll hier vor allem dies bewirken: Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein, soziale Verantwor
tung, die Wahrung der Würde des Menschen und der Völkerverständigung, die Entfaltung der eigenen Person. Der
junge Mensch soll dementsprechend: versuchen, sich selbst zu erkennen; sich selbst gegenüber aufrichtig sein;
Selbstvertrauen gewinnen; erfahren, dass es glücklich machen kann, Schwierigkeiten zu meistern und etwas zu
leisten; Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung üben; lernen, Schuld einzugehen und anzunehmen; zu eigenen Über -
zeugungen gelangen und zu einer Sinngebung seines Lebens finden; zu seinen Gewissensentscheidungen stehen;
den Anforderungen anderer gerecht werden, aber auch nach ihrer Berechtigung fragen und sie gegebenenfalls ab-
weisen; eigene Wünsche, Ansprüche, Rechte gegen Angriffe verteidigen, aber auch auf sie verzichten können;
über die eigene Rolle in verschiedenen Sozialbeziehungen und die damit verbundenen Anforderungen nachdenken.
45 Die Kritik am Kompetenzbegriff fällt vielfach ähnlich aus. Was dabei oft nicht beachtet wird: Kompetenzen
zeigen sich freilich nicht nur in beruflichen Situationen, sondern im Prinzip überall im Leben: Als politischer
Staatsbürger, als Teil einer Familie, als Mitglied einer Gruppe, im Urlaub – überall dort, wo Menschen dem
Neuen erfolgreich gegenüberstehen, beweisen sie Kompetenz.
5 ÜBER EINE GANZHEITLICHE
BILDUNG (ZU) EINER SCHÖPFERISCHEN
PERSÖNLICHKEIT
Bei der Bildung des Menschen gilt es zu beachten, dass sie von außen zwar zu befördern, aber nur
vom Subjekt selbst zu verwirklichen ist. Bildung an Menschen weiterzugeben bedeutet folgerichtig
Bedingungen zu schaffen, unter denen es Menschen möglich ist, z. B. eine schöpferische Persönlich-
keit im Sinne eines Habens und Seins zu entwickeln. Diesem Aspekt bewusst, soll im folgenden Ka-
pitel ein Modell angerissen sein, das nach unserer Ansicht die Entwicklung (zu) einer schöpferischen
Persönlichkeit befördert. Ein Bildungsmodell wird dabei nach unserer Denition durch folgende Be-
standteile gebildet: 1. eine theoretische Grundlage in Form einer Bildungsphilosophie, 2. eine Metho-
dologie, gebildet aus einzelnen Bildungsmethoden und 3. ein Messverfahren, das den Bildungserfolg
Lernenden und damit auch die Wirksamkeit des gesamten Bildungsmodells evaluiert.
Vorausschicken möchten wir Folgendes: Zum einen lassen sich nicht alle Unterrichtsinhalte auf
der Grundlage dieses Modells sachgerecht und praktikabel lehren und lernen. Zum anderen gilt
es, auch und gerade bei der Bildung jenen berühmten Satz von C.G. Jung zu verinnerlichen, dass
jeder Mensch eine Ausnahme von der Regel ist. Der beiden eben genannten Argumente eingedenk
kann und soll das von uns genannte Konzept keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben;
dieses Konzept ist ausdrücklich keine Universalmethode, die immer und für jeden zutreffend ist.
Die Wahl des Bildungskonzepts bzw. einzelner Bestandteile eines solchen muss den Inhalten und
Zielen sowie dem Wesen und den Bedürfnissen der Lernenden entsprechen; vielfältige Inhalte und
Probleme sowie die große Achtung vor der Individualität des Menschen erfordern Konzeptpluralität.
Allerdings halten wir das vorgestellte Konzept durchaus für eines, das sich bei der Bildung (zu)
einer schöpferischen Persönlichkeit als durchaus fruchtbar erweist.
86 Die schöpferische Kraft der Bildung
5.1 BILDUNGSPHILOSOPHIE: GEMÄSSIGTER PRAGMATISMUS
Im Mittelpunkt der philosophischen Denkrichtung des Pragmatismus stehen Handlungen: Sie
bilden den Ursprung aller Dinge und aller Erkenntnisse. (Schreier 1986: 21, 24f.) Die praktischen
Konsequenzen und Wirkungen einer Handlung (oder allgemeiner: eines Geschehens, Ereig-
nens) bestimmen nicht nur alles konkrete Sein in der Lebenswelt der Menschen, sondern auch,
was die Bedeutung oder die Wahrheit von Begriffen, Aussagen und Meinungen ausmacht. Kurz-
um: Die Praxis bildet das Fundament für alles. Dies gilt auch und gerade für Theorien, denn der
Wert jeder Erkenntnis misst sich am Nutzen, den diese für das Handeln des Menschen und für
die Praxis des Lebens besitzt (Jank / Meyer 1994: 119 f). Hauptvertreter des Pragmatismus sind
Charles Sanders Peirce, William James, Herbert Mead und John Dewey. (Russel 1996: 398). Für
Peirce rückte das Intersubjektive ins Zentrum des philosophischen Interesses, James widmete
sich dem Partikularen und Mead der Sprachgeste. Dewey hingegen transferierte die Gedanken
des Pragmatismus (und des psychologischen Funktionalismus) auf den Erziehungs– und Bil-
dungsprozess. (Schreier 1986: 21)
Theorien bilden einen instrumentellen, nämlich einen an der Nützlichkeit für den Menschen ge-
messenen Charakter. Erkenntnisse, die dem Anspruch zur Bewältigung von Lebenssituationen
nicht gerecht werden, gelten als irrelevant und unüberprüfbar. Die Erfahrung bildet stattdessen
die zentrale philosophisch-pädagogischen Kategorie. Das Credo der Erziehungs- und Bildungs-
philosophie nach Dewey lautet daher: »Ein Gramm Erfahrung ist besser als eine Tonne Theorie,
einfach deswegen, weil jede Theorie nur in der Erfahrung lebendige und der Nachprüfung zu-
gängliche Bedeutung hat« (Dewey 1949 / 2000: 193).
Der Begriff Erfahrung betont das subjektive Element der Auseinandersetzung des Individuums
mit der jeweils spezisch erlebten Welt. Das Bildungsobjekt begegnet dem Subjekt so nicht nur
als rein gedankliche Vorstellung oder als symbolischer Inhalt (als Text, Bild- oder Tonaufnahme
etc.); und das Subjekt verarbeitet das Objekt dementsprechend nicht bloß passiv konsumierend.
Vielmehr rückt das Objekt dem Subjekt buchstäblich auf den Leib: Das Subjekt sieht sich tatsäch-
lich in seiner Lebenswelt mit dem Objekt konfrontiert, reagiert auf dieses und erlebt das Objekt
damit durch sein eigenes Handeln. Erfahrungen entstehen somit im Wirkungskreislauf zwischen
der Welt und dem Menschen. Aus und durch Erfahrungen zu lernen bedeutet daher, dass der
Mensch aus diesen tatsächlichen Begegnungen Erkenntnisse zieht und diese dafür nutzt, sein
Repertoire von Denk- und Handlungsmustern auszubauen.
Konikthafte oder neue Situationen bei der Interaktion zwischen Mensch und Welt können durch
deren »projective Erfahrung« also durch geistige Vorstellung, Probehandeln und im Spiel bewäl-
tigt werden. (Knoll 1984: 664) Von besonderer Bedeutung betrachten wir dabei die projective
Erfahrung während eines Spiels. Den Begriff »Spiel« wollen wir in Anlehnung an Hunzinga
(1938 / 1991) und Eibl-Eibesfeldt (1986) denieren. Ein Spiel besteht so aus mehr oder minder
selbstgewählte Handlung oder Beschäftigung, die vollzogen wird innerhalb gewisser festgesetzter
87Werner G. Faix | Jens Mergenthaler
Grenzen von Zeit und Raum und nach mehr oder minder freiwillig angenommenen, aber unbedingt
bindenden Regeln. Das Eingehen in einem Spiel geht dabei einher mit einem Gefühl der emoti-
onalen Labilisierung, der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des »Andersseins« als
das »gewöhnliche Leben«. (Vgl. Hunzinga 1939 / 2004: 37) Eine wesentliche Voraussetzung für
das Spielen ist, »dass die dem Ernstverhalten zugrunde liegenden motivierenden Systeme nicht
durch starke physiologische Bedürfnisse (Hunger) und / oder