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20 Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Heft 1 / 2015
Johannes Glückler / Robert Panitz, Heidelberg
Beobachtung, Begegnung und Beziehung
Die Bildung von Marktintelligenz in der globalen Agenturfotograe
Observation, encounter and relationship. The acquisition of market intelligence in stock pho-
tography. The increasing global extension of the division of creative labour challenges remote
rms to develop the market intelligence necessary to satisfy demand preferences of spatially distant
customers. We distinguish four socio-material situations of learning where each situation implies a
specic combination of three basic social communication technologies: observation (Beobachtung),
encounter (Begegnung), and relationship (Beziehung). This paper assesses the empirical importance
of these communication technologies for the acquisition of market intelligence in stock photography,
a sector of the creative industries. Our analysis is based on a unique global survey of the stock photo
market as well as interviews with picture agencies conducted at several international congresses. Our
ndings demonstrate that picture agencies develop market intelligence predominantly through obser-
vation and relationships over distance rather than through temporary encounter. Although congresses
and trade fairs have grown in number and size over the last decades, their primary function can be
dened as a social relay: During congresses, picture agencies organize innumerable appointments to
rewire their global partnerships which then, after being set in practice, become sources of relational
market intelligence.
Keywords: stock photography, temporary proximity, market intelligence, inter-organizational network
Problem
Die digitale Technologie und die damit verbun-
dene Reduktion von Transaktionskosten haben
gerade in den sogenannten Kreativindustrien
eine Ausdehnung der globalen Arbeitsteilung
begünstigt. Die fortschreitende Technologiever-
fügbarkeit, exible Projektorganisation und mo-
dulare Rekombination vorproduzierter Inhalte
ermöglichen sowohl die Kreativproduktion in
internationalen Projekten als auch den weltwei-
ten Handel mit Kreativgütern. Diese Internatio-
nalisierung bietet auch kleinen Unternehmen
neue Zutrittschancen zum kreativen Dienstleis-
tungsgeschäft (Currah 2003). Die zunehmende
„Demokratisierung digitaler Technologie“ (Ley-
shon 2009) ermöglicht eine neue Form unab-
hängigen Arbeitens, die als Neokunsthandwerk
bezeichnet wird (eberts/norCLiffe 1998). In
Anlehnung an den neo-artisan in traditionel-
len Bereichen des Handwerks und der Indus-
trie (sCott 2006) oder der Qualitätsproduktion
landwirtschaftlicher Güter (sánChez hernán-
dez et al. 2010) wird das Neokunsthandwerk vor
allem im Bereich der Kreativwirtschaft erkannt
(norCLiffe/rendaCe 2003). Neokunsthandwer-
ker wie beispielsweise im Design, in der Foto-
grae oder im Film verfügen über ein großes
Maß an Kontrolle über ihre Arbeit, sowohl bei
der Konzeption als auch bei der Ausführung.
Sie sind vielfach in der Lage, Arbeitsort und
-zeiten eigenständig festzulegen, und verfügen
über eigene Arbeitsmittel zur Ausführung ihrer
kreativen Arbeiten. Amateure, Selbständige und
kleine Unternehmen produzieren auch außerhalb
der Metropolen und der globalen Kernmärkte
eigenständig audiovisuelle Inhalte und exportie-
ren diese im internationalen Handel. Die modu-
lare Produktion vorproduzierter Inhalte löst die
Schnittstellenproblematik der Zusammenarbeit
und erleichtert die internationale Arbeitsteilung
durch den Handel tangibler Zwischenprodukte
(sCott 2004).
Im Fall intermediärer Kreativgüter haben sich
nicht nur die Vertriebstechniken, sondern auch
das Produkt selbst, der Bildinhalt, von materi-
ellen Waren hin zu digitalen Gütern gewandelt,
die mühelos elektronisch produziert, gespei-
chert und verbreitet werden können. Aus diesem
Grunde ist die Agenturfotograe eine besonders
anschauliche Leitbranche für den schnellen und
Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 59 (2015) Heft 1, S. 20–33
Johannes Glückler / Robert Panitz: Beobachtung, Begegnung und Beziehung
Johannes Glückler / Robert Panitz: Beobachtung, Begegnung und Beziehung 21
starken organisatorischen Wandel der Kreativ-
wirtschaft. Die Agenturfotograe bezeichnet die
gewerbliche Vermarktung von Nutzungsrechten
an urheberrechtlich geschützten und vorprodu-
zierten visuellen Inhalten. Der Markt umfasst
Urheber (Fotografen, Kameraleute, Grakdesi-
gner), Bildagenturen und überwiegend gewerb-
liche Bildkunden (Werbeagenturen, Verlage,
Unternehmen). Die Inhalte werden zumeist für
Werbekampagnen, Presse- und Buchveröffent-
lichungen, im Fernsehen, Multimedia oder im
Bereich des corporate publishing lizenziert. Im
Fokus der Analyse stehen intermediäre Bildagen-
turen, die als gewerbliche Vertreter der Urheber
Bildnutzungsrechte an Kunden verkaufen und
einen Teil der Lizenzgebühren als Kompensa-
tion einbehalten. Bildagenturen lösen logisti-
sche bzw. Navigationsprobleme des globalen
Vertriebs visueller Inhalte (GLüCkLer /sánChez
hernández 2014). Im Zuge der Digitalisierung
verzeichnet der Markt für Agentur fotograe seit
Jahren stagnierende Umsätze, eine wachsende
Marktkonzentration und eine zunehmende Aus-
dehnung der räumlichen Arbeitsteilung (GLüCk-
Ler/Panitz 2013).
Die zunehmende räumliche Ausdehnung der
Arbeitsteilung ist allerdings an neue Herausfor-
derungen geknüpft. Die Entfernung – sowohl
räumlich als auch in der Wertschöpfungskette –
zwischen den Urhebern vorproduzierter Inhalte
und den Kunden ist in der Agenturfoto grae grö-
ßer als je zuvor. Da Kunden inzwischen ihre Pro-
duktsuche über das Internet selbst übernommen
haben und in digitalen Datenbanken stöbern,
werden direkte Interaktionen und Beratungs-
telefonate immer seltener (GLüCkLer 2005). In
einem globalen Bildermarkt müssen gerade kon-
sumentenferne Bildanbieter über hinreichendes
Marktwissen verfügen, um Nachfragebedürf-
nisse in entfernten Zielmärkten befriedigen zu
können. Welche Wege gehen Bildagenturen, um
im Zeitalter der Digitalisierung und geringen
Kundenkontakts Wissen über bestehende und
zukünftige Kundenwünsche zu erlangen? Die-
se Frage steht im Mittelpunkt des vorliegenden
Beitrags. Wir unterscheiden zunächst drei sozi-
ale Kommunikationstechnologien – Beobach-
tung, Begegnung und Beziehung, die in unter-
schiedlichen soziomateriellen Situatio nen durch
konkrete Praktiken für den Erwerb von Markt-
wissen eingesetzt werden können. Im Kontext
des globalen Markts für Agenturfotograe nut-
zen wir ein Untersuchungsdesign gemischter
Methoden, um die empirische Bedeutung dieser
Kommunika tionsformen für die Entwicklung
von Markt intelligenz zu ermitteln. Das Konzept
temporärer Nähe weist auf Messen und Kongres-
se als zentrales Instrument der Begegnung hin,
um räumlich getrennte Akteure für kurze Zeit
zusammenzuführen, um Informationen zu tau-
schen, Wissen zu erwerben und Geschäftsbezie-
hungen zu reproduzieren (batheLt et al. 2014;
Gibson/batheLt 2014). Als Grundlage zur Qua-
lizierung von Lernen in der Begegnung dienen
45 persönliche Interviews mit Bildagenturen auf
acht interna tio nalen Kongressveranstaltungen
der Agenturfotograe. Ferner wird eine erst-
malige Gesamtbefragung aller weltweit tätigen
Bildagenturen zur Bewertung der alternativen
Lernformen von Beobachtung und Beziehung
herangezogen. Unsere Analyse zeigt, dass die
Begegnung in temporärer Nähe nicht die primä-
re Lernfunktion zum Erwerb von Marktintelli-
genz erfüllt, sondern als organisatorisches Relais
zur Verschaltung sozialer Beziehungen fungiert,
über die erst im Anschluss in fortdauernder Ko-
operation relevantes Marktwissen ausgetauscht
wird. Der Bedeutungsgewinn von Messen und
Kongressen ist daher im Bildermarkt vornehm-
lich im erhöhten Verschaltungsbedarf bzw.
rewiring (Martin/eisenhardt 2010) einer sich
fortschreitend global integrierenden Agenturfo-
tograe zu erklären.
Marktintelligenz und soziomaterielle
Situationen des Lernens
Marktintelligenz
Das Konzept der Marktintelligenz wurde erst-
mals in den 1970er Jahren formuliert (Moyer
1972) und später in qualitativer Forschung vali-
diert (kohLi/Jaworski 1990). Es beschreibt die
Fähigkeit von Unternehmen, jenseits aktueller
Kundenpräferenzen auch die exogenen Einüsse
der Entstehung dieser Präferenzen zu verstehen,
um nicht nur heutige, sondern auch zukünftige
Bedürfnisse zu antizipieren und eine voraus-
schauende Produktplanung betreiben zu können
(kohLi/Jaworski 1990). Die zunehmende Inter-
nationalisierung setzt Anbieter einer immer grö-
ßeren Vielfältigkeit von Kundenpräferenzen aus
und erfordert eine stärker marktorientierte Un-
ternehmensführung, um Nachfrageunterschie-
de frühzeitig zu erkennen (GLüCkLer/Panitz
2014). So variiert zum Beispiel die Produktivität
der Nutzung des gleichen Guts – beispielsweise
von Maschinen für die industrielle Produktion
– über Regionen und Länder hinweg, und zwar
aufgrund unterschiedlicher Ausbildungsstan-
22 Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Heft 1 / 2015
dards, Arbeitskulturen oder Routinen (GertLer
1993, 2004). Bisherige Arbeiten zeigen, dass
Unternehmen ihre Produkte mit größerem Er-
folg exportieren, wenn sie ihr Produktdesign
an den spezischen Präferenzen internationaler
Kunden ausrichten (MaCPherson 2000).
In der geographischen Forschung wurde das
Konzept erst Ende der 1990er Jahre aufgegriffen
(Cornish 1997) und bislang auf Industriegüter
wie den Maschinenbau oder auf Softwarepro-
dukte, nicht jedoch auf Dienstleistungen oder
die Kreativwirtschaft angewendet. Vor allem
in den Kreativindustrien spielt die Frage der
Marktintelligenz jedoch eine wichtige Rolle.
Wie die Bekleidungsindustrie unterliegt auch
der Bildermarkt Moden und Trends im Hinblick
auf die visuelle Ästhetik. Dabei ist es wichtig
zu verstehen, dass Moden nicht nur von oben
diktiert werden, sondern häug auch als bottom-
up-Prozesse entstehen, die nur schwer zu antizi-
pieren sind und daher ein profundes Marktver-
ständnis erfordern (aaGe/beLussi 2008). Ferner
erschwert die räumliche und soziale Trennung
vom Kunden den Zugang zu wichtigen Feed-
backs, um Hinweise über die Bedürfnisse und
Produkteigenschaften zu erhalten, da es an
Begegnungen wie etwa bei der Produktvorfüh-
rung, der Installation, der Schulung oder des
technischen Supports mangelt. Dennoch zeigen
empirische Arbeiten, dass räumliche Nähe zu
den Konsumenten im Falle von Software keine
notwendige Voraussetzung ist, um erfolgreiche
Produkte zu produzieren (Cornish 1997). Die-
ser Befund regt die Frage an, wie Unternehmen
lernen und Informationen darüber sammeln, um
ihre Produktion auf zukünftig erwartete Bedürf-
nisse auszurichten.
Soziomaterielle Situationen des Lernens
Die Entwicklung von Marktintelligenz repräsen-
tiert einen Lernprozess, in dem Informationen
über Marktbedingungen gesammelt, mithilfe
bestehender Erfahrung und Expertise bewertet
und für die Entwicklung neuer Angebote ver-
wendet werden. In der Innovationsforschung
sind bereits zahlreiche Formen und Praktiken
des Lernens unterschieden worden (aMin/Co-
hendet 2004), wie etwa das learning by doing
(arrow 1962), by using (rosenberG 1982), by
interacting (LundvaLL 1988) oder das learning
by hiring und through training (
beLL 1984).
Im Unterschied zu diesen spezischen Prakti-
ken unterscheiden wir zunächst zwischen vier
soziomateriellen Bedingungen, die sich aus der
Kombination von materieller Kopräsenz und so-
zialer Konnektivität ableiten. Demnach können
zwei Akteure kopräsent oder räumlich getrennt
und durch eine soziale Beziehung miteinander
verbunden oder unverbunden sein (Tab. 1). Jede
dieser vier Situationen ermöglicht den Akteuren
die Nutzung von einer oder mehreren Kommuni-
kationsformen bzw. Lerngelegenheiten, die wir
als Begegnung, Beobachtung und Beziehung
bezeichnen. Während verbundene Akteure in
räumlicher Kopräsenz grundsätzlich über das
volle Spektrum der „Kommunikationstechnolo-
gien“ (storPer/venabLes 2004) verfügen, sind
unverbundene und räumliche getrennte Akteure
allein auf die Beobachtung beschränkt. Jede der
drei Kommunikationsformen bietet Möglichkei-
ten für Marktteilnehmer, ihre Marktintelligenz
weiterzuentwickeln.
Tab. 1: Soziomaterielle Bedingungen und
Kommunikationstechnologien des Lernens
Räumliche Kopräsenz
ja nein
Konnektivtät
ja
Begegnung
Beobachtung
Beziehung
Beobachtung
Beziehung
nein Begegnung
Beobachtung Beobachtung
Quelle: eigener Entwurf
Lernen durch Beobachtung
Das Beobachtungslernen setzt weder räumliche
Kopräsenz noch eine soziale Beziehung oder
auch nur das Bewusstsein eines Akteurs darüber
voraus, dass er beobachtet wird. Diese minimale
Anforderung an das Beobachtungslernen führt
zu der Konsequenz, dass Lernprozesse jenseits
sozialer Interaktion und sozialer Netzwerke
stattnden und sich Akteuren viel weitreichen-
dere Lernchancen bieten als nur im Kreis von
Interaktionspartnern (GLüCkLer 2013). Zwar ist
das learning by observation gerade in räumli-
cher Kopräsenz hervorgehoben worden wie zum
Beispiel im Kontext wissensbasierter Cluster-
ansätze (MaLMberG/MaskeLL 2002), allerdings
nutzen Marktteilnehmer zunehmend die Infor-
mationstechnologien des Internets, um auch
in großer Entfernung wichtige Informationen
über andere Marktteilnehmer zu sammeln. Ein
weiterer Aspekt des Beobachtungslernens liegt
im Motiv des Lernens. Einerseits können der
Transfer von Informationen und die Reproduk-
Johannes Glückler / Robert Panitz: Beobachtung, Begegnung und Beziehung 23
tion von Wissen zwischen den Akteuren explizit
erwünscht sein, wie im Falle einer Meister-Lehr-
ling-Beziehung oder einer Unternehmenskoope-
ration. Andererseits ist die Beobachtung auch
oder gerade in Situationen der Rivalität attrak-
tiv, wenn Unternehmen beispielsweise einem
Marktführer nacheifern, der eigentlich an der
Geheimhaltung eines Wissensvorsprungs inter-
essiert ist. Es ist zu erwarten, dass rivalisieren-
des Lernen (Porter 1990) bzw. die Praxis der
„unfreundlichen Imitation“ (GLüCkLer 2013;
haMMer et al. 2012) eine wichtige Funktion des
Beobachtungslernens in digitalen Gütermärkten
wie der Kreativwirtschaft einnimmt. Denn ge-
rade hier sind vielfältige Informationen unter an-
derem über Inhalte, Trends, Verkaufsstatistiken,
Kommentierungen oder Zugriffskennzahlen
über das Internet verfügbar und somit unabhän-
gig von räumlicher Distanz zu erwerben.
Lernen in Begegnung
Die Begegnung beschreibt soziale Situationen
der physischen Kopräsenz (Tab. 1) und ermög-
licht die reichhaltige Interaktionsform des Ge-
sprächs von Angesicht zu Angesicht. Daher wird
die Begegnung bzw. der face-to-face contact
auch als eine „Kommunikationstechnologie“
(storPer/venabLes 2004, 351) verstanden, die
sich als multiplexe, effektive Möglichkeit für
den Austausch von Informationen, für die Schaf-
fung von Sinnstrukturen, für die Reproduktion
von Wissen sowie für die Schöpfung neuen Wis-
sens darstellt. Gerade die wissensbasierte Regi-
onal- und Clusterforschung hat die Bedeutung
von face-to-face-Kommunikation für regionale
Innovationsprozesse und die räumliche „Kleb-
rigkeit“ von Innovationen hervorgehoben (u. a.
von hiPPeL 1994). In zeitlicher Perspektive
lassen sich darüber hinaus zwei Formen der Be-
gegnung unterscheiden: die wiederholte Begeg-
nung aufgrund von dauerhafter Nachbarschaft in
permanenter räumlicher Nähe und die zeitlich
befristete und nur mittelfristig wiederholbare
Begegnung im Kontext temporärer Kopräsenz
(batheLt et al. 2004; torre/raLLet 2005). In
den letzten Jahren haben zahlreiche Arbeiten auf
die besondere Funktion von Messen und Kon-
gressen für die befristete Begegnung von sonst
räumlich weit entfernten Akteuren hingewiesen
(batheLt/Gibson 2013; batheLt et al. 2014;
MaskeLL 2014; MaskeLL et al. 2006).
Der Begriff des temporären Clusters bezieht sich
auf zeitlich und örtlich begrenzte Zusammentref-
fen von Vertretern mehrerer unabhängiger Un-
ternehmen, die zumindest teilweise miteinander
im Wettbewerb stehen (MaskeLL et al. 2006).
Traditionell wird die Existenz von Messen und
Kongressen mit der Notwendigkeit einer trans-
aktionskostengünstigen Interaktion zwischen
Kunden und Anbietern erklärt (fLorio 1994).
Neben dieser Funktion werden in den letzten Jah-
ren jedoch weitere Faktoren angeführt, die das
Konzept temporärer Cluster erklären. Sie stellen
Marktnähe her und erleichtern den Erwerb von
Marktintelligenz. Der besondere Vorteil tempo-
rärer Cluster liegt dabei in ungerichteten Formen
des Lernens (batheLt/sChuLdt 2008; sChuLdt/
batheLt 2009), die bislang nur als Fühlungsvor-
teile permanenter Cluster diskutiert wurden. Die
für ungerichtete Wissenssuche und Lernprozes-
se erforderliche Fühlung bzw. Nähe kann jedoch
auch über große Entfernung organisiert werden,
wenn räumliche Nähe und kopräsente Kommu-
nikation durch wiederkehrende temporäre Clus-
ter hergestellt werden (torre 2008). Zugleich
weist die empirische Forschung darauf hin, dass
temporäre Cluster so organisiert werden können,
dass ungewollte Lernprozesse und Interaktionen
erschwert oder unterbunden werden (rinaLLo/
GoLfetto 2011).
Da temporäre Cluster schnell getaktet und die
Zusammentreffen mitunter nur von kurzer Dau-
er sind, ist es eine empirische Frage, ob und wie
Marktteilnehmer auf Messen und Kongressen
ausreichend Informationen über internationa-
le Märkte und Trends aufnehmen und somit
Marktintelligenz entwickeln können. Vor allem
in der Kreativbranche, die stark von Moden und
Trends mit zum Teil kurzer Lebensdauer beein-
usst ist, ist es kaum möglich, als fast follower
eines Trends oder einer Mode große Gewin-
ne abzuschöpfen. Vielmehr ist es notwendig,
Trends zu antizipieren und frühzeitig Angebote
zu schaffen, weshalb oberächliche Kenntnis-
se über verschiedene Märkte kaum zielführend
sind.
Eine weitere Funktion der befristeten Begeg-
nung ist ferner in der Herstellung von sozialen
Beziehungen zu sehen (torre 2008). Denn
in dem Maße, in dem Unternehmen in globa-
le Wertschöpfungsketten eingebunden sind,
können Messen und Kongresse wichtige Ins-
trumente der Herstellung und Pege von Ko-
operationsbeziehungen darstellen. Auch in der
Kreativwirtschaft spielen internationale Bezie-
hungen für die Wettbewerbsfähigkeit von Clus-
tern eine wichtige Rolle (batheLt et al. 2004;
Coe/bunneLL 2003; naChuM/keebLe 2003).
24 Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Heft 1 / 2015
Doch wenngleich einige Arbeiten explizit darauf
hinweisen, dass temporäre Nähe die Ausbildung
internationaler Unternehmensbeziehungen bzw.
global pipelines erleichtern (batheLt/sChuLdt
2008; MaskeLL et al. 2006), ist der empirische
Zusammenhang von globalen Wertschöpfungs-
ketten und befristeten Begegnungen in temporä-
rer Nähe kaum näher untersucht.
Lernen in Beziehung
Das Lernen in Beziehungen basiert auf Kom-
munikation und Interaktion in fortdauernden
sozialen Beziehungen. Räumlich ist dies sowohl
in Kopräsenz als auch über Entfernung mög-
lich. Soziale Beziehungen sind eine wesentliche
Voraussetzung, um Interaktionsprobleme über
räumliche Distanz hinweg zu lösen und Erwar-
tungsunsicherheiten zu reduzieren (GLüCkLer
2004). Theoretische Ansätze des Beziehungs-
lernens sind vielfältig, zum Beispiel in Theo-
rien sozialer Netzwerke (burt 2004; obstfeLd
2005; vedres/stark 2010) oder in Ansätzen
strategischer Allianzen (GuLati 1998). Die so-
ziale Beziehung verweist auf das relationale
Moment der Gegenseitigkeit und fortdauernder
Interaktion. So bestehen zwischenbetriebliche
Kooperationen oftmals nicht nur aus handelba-
ren Güter- und Zahlungsströmen, sondern auch
aus untraded interdependencies (storPer 1997),
also institutionalisierten Strukturen so zia ler Be-
ziehungen, in denen beispielsweise aufgrund
ausreichenden Vertrauens Empfehlungen und
Informationen auch ohne Erwartung unmittelba-
rer Gegenleistungen einseitig gegeben werden.
Die Erwiderung einer solchen Gabe (ferrary
2003) kann auch erfolgen, indem ein Partner
die erhaltenen Informationen dazu nutzt, seinen
Partner zukünftig mit verbesserten Produkten zu
beliefern (dyer/hatCh 2006). Der empirische
Befund, dass die Marktintelligenz von Unter-
nehmen unabhängig von der Nähe der Anbieter
zum Zielmarkt sei (Cornish 1997), hat Über-
legungen hin zu einer relationalen Marktintel-
ligenz beügelt (reiffenstein et al. 2002), die
sich auf das Lernen in Beziehungen zwischen
Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette
stützen (Grunert et al. 2002). In Wertschöp-
fungsketten ist für das einzelne Unternehmen
nicht allein die Marktintelligenz in Bezug auf
die direkten Geschäftspartner relevant, sondern
auch im Hinblick auf die Kunden am Ende der
Wertschöpfungskette. Die Wettbewerbsfähigkeit
einer ganzen Wertschöpfungskette hängt somit
von der Fähigkeit der Kettenmitglieder ab, In-
telligenz über die Bedürfnisse der Endnutzer zu
generieren und diese gegebenenfalls weiterzu-
leiten und anzuwenden. Die Marktorientierung
einer Wertschöpfungskette bezieht sich folglich
auf die „generation of intelligence pertaining to
current and future end user needs, dissemination
of this intelligence across chain members, and
chain wide responsiveness to it“ (Grunert et al.
2005, 430). Zur Entwicklung einer kettenweiten
Marktintelligenz ist ein stetiger Austausch zwi-
schen den arbeitsteilig vernetzten Unternehmen
erforderlich.
Die im Folgenden vorgestellte empirische Un-
tersuchung geht der Frage nach, wie Unterneh-
men im Markt für Agenturfotograe unter Be-
dingungen zunehmender räumlicher und sozia-
ler Entfernung zu den Konsumenten den Erwerb
und Erhalt von Marktintelligenz sichern. Welche
Rolle spielen die sozialen Kommunikationstech-
nologien der Beobachtung, der Begegnung und
der Beziehung, um kritische Informationen über
Marktanforderungen zu sammeln und zu verar-
beiten? Wenngleich der Fokus der Analyse auf
der spezischen Lerngelegenheit der Begegnung
auf Messen und Kongressen liegt, wird das em-
pirische Untersuchungsdesign so gestaltet, dass
es eine komparative Bewertung aller drei Lern-
situationen gestattet.
Methoden
Globale Unternehmensbefragung der Bild-
agenturen
Das Analyseziel einer komparativen Bewertung
von Beobachtung, Begegnung und Beziehung
für die Bildung von Marktintelligenz macht für
die vorliegende Studie ein gemischtes Untersu-
chungsdesign erforderlich. Das erste Element
dieses Designs ist eine weltweite Befragung al-
ler identizierten Anbieter von Agenturfotos, die
im Sommer 2012 durchgeführt wurde.1 Von den
weltweit erfassten 2 342 Bildanbietern antworte-
ten 250 Unternehmen, etwas mehr als 10 % aller
Marktteilnehmer. Die Befragten nannten wei-
tere 97 Bildanbieter in dieser Umfrage als Ver-
triebspartner, so dass die Summe der bekannten
und in der Studie zusätzlich genannten Bildan-
bieter eine Marktgröße von 2 439 gewerblichen
Bildanbietern ergab. Gegenstand der elektroni-
schen Primärerhebung waren neben allgemei-
nen Angaben zu den Bildanbietern, wie zum
Beispiel Gründung, Standort, Größe und Inter-
nationalisierung der Agentur, auch wirtschaftli-
che Kennzahlen zu Beschäftigung und Umsatz
Johannes Glückler / Robert Panitz: Beobachtung, Begegnung und Beziehung 25
sowie zu den Beschaffungs- und Vertriebswegen
und der Stufe innerhalb der globalen Wertschöp-
fungskette.
Ferner wurden die drei Lernformen in konkrete
Praktiken operationalisiert, die im Zuge früherer
Untersuchungen und zahlreicher Agenturinter-
views validiert wurden. So repräsentieren die
Analyse von Medienberichten (z. B. Zeitschrif-
ten, Internetblogs) und die aktive Analyse des
Verhaltens von Wettbewerbern (z. B. Analyse
von Such-, Klick- und Verkaufsstatistiken im
Internet) wesentliche Praktiken der Beobach-
tung. Die Begegnung in permanenter Nähe wur-
de über die Bedeutung der Kontakte im lokalen
Umfeld des Unternehmensstandorts erfasst, die
Begegnung in temporärer Nähe über die Bedeu-
tung von Messen und Kongressen. Schließlich
unterscheiden wir das Lernen in Beziehungen
nach den wesentlichen Partnern der Wertschöp-
fungskette: Im Falle der Beziehung zu Bild-
kunden dienen Meetings, Telefonkonferenzen,
Kundenanfragen und Kundenbefragungen als
Indikatoren für konkrete Interaktionen, im Fal-
le der Beziehungen zu Vertriebspartnern waren
dies Gespräche und Dokumente über Verkaufs-
statistiken und aus Suchanfragen abgeleitete
Themenlisten für neue Bildinhalte. Die Unter-
scheidung dieser Praktiken erlaubt es, Aussagen
über die Wichtigkeit der verschiedenen Lernfor-
men für die Entwicklung von Marktintelligenz
zu treffen. Die einzelnen Praktiken wurden hin-
sichtlich ihrer Bedeutung für die Entwicklung
von Marktintelligenz entlang einer siebenstu-
gen Likert-Skala zwischen eins (unwichtig) und
sieben (wichtig) bewertet.
Unternehmensinterviews auf internationalen
Messen und Kongressen
Jenseits der standardisierten Bewertung alterna-
tiver Lerngelegenheiten wurden über 40 quali-
tative Interviews mit Vertretern von Bildage-
nturen, Bildproduzenten und Bildkäufern auf
acht internationalen Messen und Kongressen
geführt. Sie dienten dazu, die spezische Be-
deutung temporärer Begegnung für die Markt-
teilnehmer zu ermitteln und Wahrnehmung und
Verhalten der Besucher und Aussteller auf den
Messen zu reektieren. Die besuchten Veranstal-
tungen sind in Tab. 2 nach Teilnehmerstruktur,
Organisation und Aktivitäten sowie der Anzahl
der dort geführten Interviews dokumentiert. Alle
acht Veranstaltungen erwiesen sich als Ereig-
nisse mit hoher Frequenz und Intensität sozia-
ler Begegnungen. Die Interviews litten immer
wieder unter Störeinüssen, so dass Befragte die
Interviews abbrachen, um sowohl terminierte
als auch ungeplante Gespräche mit Geschäfts-
partnern wahrnehmen zu können. Daher sind
in Tab. 2 nur die 45 digital aufgezeichneten und
vollständigen Interviews ohne die zahlreichen
Hintergrundgespräche gelistet. Im Zuge einer
kommunikativen Validierung (fLiCk 2010) wur-
den die interpretierten Ergebnisse den Interview-
partnern auf Folgeveranstaltungen, insbesondere
dem globalen Leitkongress der CEPIC, zur Dis-
kussion gestellt.
Tab. 2: Besuchte Messen und Kongresse im Markt für Agenturfotograe 2010–2014
Ort Jahr Teilnehmer Organisator Aktivitäten Interviews*
CEPIC
Congress
wechselnd
Europa
2012
2013
2014
Bildagenturen Verband europäischer
Bildagenturen
Vorträge, Messe,
bilaterale Treffen 19
PACA
Conference New York 2011 Bildagenturen Verband amerikani-
scher Bildagenturen
bilaterale Treffen und
Vorträge, Messe 12
Stock-
inRussia Moskau 2011
Russische
Fotografen
(Microstock)
Russische Unternehmen
(Stockfotoproduzenten
und Bildagenturen)
Konferenz 6
PICTAday wechselnd
Deutschland
2010
2013 Bildagenturen
Bundesverband der
Pressebild-Agenturen
und Bild archive e.V.
Messe 5
Frankfurter
Buchmesse
Frankfurt
am Main 2013
Bildagenturen
und Buch-
verlage
Ausstellungs- und Messe
GmbH des Börsenvereins
des Deutschen Buchhandels
Messe 3
* Aufgeführt sind lediglich dokumentierte und aufgezeichnete Interviews. Darüber hinaus fanden zahlreiche Hintergrund-
gespräche statt.
Quelle: eigene Erhebung
26 Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Heft 1 / 2015
Messen und Kongresse in der globalen
Agenturfotograe
Mithilfe der globalen Unternehmensbefragung
und eigenen Recherchen wurden weltweit 34
Messe- und Kongressveranstaltungen identi-
ziert, die Markteilnehmer auf unterschiedli-
chen Wertschöpfungsstufen zusammenbringen.
Je nach Besucher- und Ausstellergruppen lassen
sich entlang der globalen Vertriebskette drei
Veranstaltungstypen unterscheiden: (1) Produkt-
orientierte Veranstaltungen organisieren die Be-
gegnung zwischen Urhebern kreativer Inhalte
(Produzenten) und den meist internationalen
Bildagenturen (Händlern). Demgegenüber bil-
den (2) marktorientierte Veranstaltungen die
Schnittstelle zwischen Bildagenturen und Bild-
kunden (Verlage und Werbeagenturen). Schließ-
lich dienen (3) intermediäre Kongresse als Foren
für den Austausch der Bildagenturen unterein-
ander (Tab. 3).
Auffällig ist, dass die Zahl der produkt- und
marktorientierten Messen und Kongresse deut-
lich überwiegt. Da der Bildermarkt selbst eine
verhältnismäßig kleine Branche darstellt, sind
zahlreiche produktorientierte und marktorien-
tierte Messen vielmehr Fotografenmessen oder
Bildkundenmessen. Hierbei nutzen Bildanbieter
die Chance, Präsenz zu zeigen und mit den Kun-
den und Lieferanten ins Gespräch zu kommen.
Typische Beispiele sind das Arles Foto festival
oder die Frankfurter Buchmesse. Darüber hin-
aus zeichnen sich produkt- und marktorientierte
Messen insofern durch eine stärkere Regionali-
tät aus, als Bildanbieter zumeist aus der Region
bzw. dem Land des jeweiligen Veranstaltungs-
ortes stammen. Schließlich wird auch eine
gewisse Fluktuation der Veranstaltungen da-
rin deutlich, dass einige Messen seit längerem
nicht mehr stattfanden, während die Mehrzahl
der Veranstaltungen erst nach Beginn der Ein-
führung digitaler Bildportale im Jahr 1995 neu
eröffneten. Den 12 produkt- und 21 marktorien-
tierten Veranstaltungen stehen nur zwei inter-
mediäre Kongresse gegenüber. Je nach Zweck
werden unterschiedliche Typen von Veranstal-
tungen unterschieden. So dienen Messen und
Ausstellungen zur Präsentation der eigenen Pro-
dukte und Leistungen, während Konferenzen
und Kongresse eher zur Aussprache, Diskussion
und Schulung dienen (CEC/IAPCO 1992). Eine
derartige Klassizierung ist innerhalb der Bild-
industrie nur bedingt sinnvoll, da ebenso wie in
andern Branchen (batheLt/henn 2014) zahlrei-
che Veranstaltungen trotz ihrer Bezeichnungen
die Charakteristika anderer Veranstaltungstypen
beinhalten. So ist zum Beispiel auf dem CEPIC-
Kongress neben Vortragsangeboten ein Ausstel-
lungsbereich eingerichtet, der den Charakter die-
ser Veranstaltung zu großen Teilen formt.
Die große Bedeutung von Bildmessen und -kon-
gressen unterstreicht die hohe Anzahl an neuen
Veranstaltungen in den letzten zwanzig Jahren.
Gerade die intermediären Kongresse der PACA
und der CEPIC fungieren als globale Leitkon-
gresse der Agenturfotograe, an denen der je-
weils größte Teil aller Bildagenturen teilnimmt
und die im Lauf der Jahre stets gewachsen sind.
Tab. 3: Typen von Messen und Kongressen der Agenturfotograe
Produktorientierte Marktorientierte Intermediäre
Anzahl 12 21 2
seit 1995 gegründet 7 (58 %) 13 (62 %) 2 (100 %)
Bildanbieter Regional Regional International
Aussteller Fotografen Bildkäufer/Bildanbieter Bildanbieter
Veranstaltungen Photokina; Arles Fotofestival;
Visa pour l’Image; Internatio-
nales Naturfoto-Festival der
GDT; PhotoImage Brazil;
PhotoEspaña; Update; Lumix
Festival; User Generated Con-
fe
rence and Expo, San Jose
2009;
StockinRussia;
Micro stock Expo; Photoexpo
Leipziger Buchmesse; NAB; Frankfurter
Buchmesse; Hanseboot; MIPTV; ITB;
World Publishing Expo (IFRA Expo & Con-
ference); MIPCOM; Realscreen; BAPLA
Picture Buyers’ Fair; Picturehouse (UK);
News Xchange; PICTA; Picturehouse (US);
Visual Connections Image Expo; Pixxday
France; DRUPA; PICTAday; Photo Fringe;
pixxday Suisse; NL image Fair
PACA Con-
ference*;
CEPIC
Conference
* Der internationale PACA-Kongress fand 1995 das erste Mal statt. Es gab jedoch Vorgängerveranstaltungen der gleichen
Organisatoren seit den 1950er Jahren.
Quelle: eigene Erhebung
Johannes Glückler / Robert Panitz: Beobachtung, Begegnung und Beziehung 27
Während 1999 noch 150 Teilnehmer auf dem
CEPIC-Kongress registriert waren, nahmen
2013 bereits 480 Teilnehmer aus 287 Unterneh-
men und aus 31 Ländern teil. Die wachsende Be-
deutung von Bildmessen und -kongressen lässt
sich auch anhand der globalen Unternehmensbe-
fragung ablesen. 57 % aller Befragten wünsch-
ten sich noch weitere und häugere Veranstal-
tungen. Die herausragende Position der CEPIC-
und der PACA-Kongresse ist daran zu erkennen,
dass beinahe 50 % aller Befragten in den letzten
fünf Jahren an den CEPIC-Kongressen und 23 %
an den PACA-Kongressen teilgenommen haben.
Alle weiteren Veranstaltungen der Bildindust-
rie wurden von weniger als 20 % der befragten
Bildanbieter besucht.
Relationale Marktintelligenz: Lernen
im globalen Vertriebsnetz
Die quantitative Analyse der Bewertungen aus
der globalen Unternehmensbefragung zeigt, dass
Bildagenturen sowohl der Beobachtung als auch
der Beziehung die größte Bedeutung für die Ge-
winnung von Marktintelligenz zumessen (Tab.
4). Auch die Interviews, die während internatio-
naler Kongresse geführt wurden, illustrieren die
hohe Bedeutung des Lernens in Beziehungen.
So erläuterte der Gründer einer Bildagentur auf
der CEPIC, wie wichtig gerade kritische Rück-
meldungen in den Beziehungen zu gewerblichen
Bildkunden sind: „Clients tell us. Like a young
architect [called and said]: ‘what the bloody hell
you got there? There are 50 years old pictures in
your style’. He knew what he wanted. I looked
and everything was very pale, everything was
very white, no dramatic lighting […].“ (Bild-
agent, CEPIC London, Mai 2012).
Auch die dauerhaften Beziehungen zu Ver-
triebspartnern sind wichtige Quellen zur Orien-
tierung und Spezialisierung der Produktion und
Auswahl von Bildern. So liefern unter anderen
regelmäßige Treffen und E-Mails von Part-
neragenturen, die untereinander formale Ver-
triebspartnerschaften unterhalten, wichtige In-
formationen über Trends, Moden und Marktent-
wicklungen: „[…] von allen Agenturen, die wir
vertreten, erhalten wir Newsletter, die uns auf
Trends aufmerksam machen, und diese Newslet
-
ter und Trend-Avisi durchforsten unsere Redak
-
teure […].“ (Bildagent, CEPIC Berlin, Juni 2014)
Wenngleich die Agenturen das Lernen in Be-
ziehungen als wichtigste Lernform beurteilen,
so zeigen sich Unterschiede der Gewichtungen
in Abhängigkeit von der jeweiligen Wertschöp-
fungsstufe der Agenturen. Bildanbieter im End-
kundengeschäft schreiben den eigenen Bildkun-
den und den Medien eine höhere Bedeutung zu
als Bildanbieter, die hauptsächlich über Partner-
verkäufe ihre Umsätze generieren. Deren wich-
tigste Beziehungen sind ihre Vertriebspartner. Da
die Anzahl an internationalen sowie nationalen
Partnerschaften in den letzten Jahren stark ange-
stiegen ist, nimmt die Bedeutung von Partnern
für die Gewinnung von Marktintelligenz entlang
der Wertschöpfungskette fortwährend zu.
Als zweite Quelle von Marktintelligenz beton-
ten Interviewpartner wiederholt die gezielte
Beobachtung des Marktes und wichtiger Wett-
bewerber über das Internet und die Auswertung
von Verkaufszahlen. Das Beobachtungslernen
ermöglicht es, im Windschatten erfolgreicher
Produkte durch Imitation selbst gut verwertba-
res Material anzubieten. Ein russischer Stockfo-
tograf illustriert diesen Lernprozess, der völlig
orts- und entfernungsunabhängig allein durch
Recherchen und Auswertungen im Internet er-
folgt: „[…] when you start your business, the
best way to learn something is to copy success-
ful work. So sometimes we bring our own ideas
and sometimes we’re looking into the portfolio
of Andres, Yuri, Pressphoto […] and some more
people that I like what they’re doing. And we’re
trying to reach some objectives such as light-
ning, colors, maybe emotions. We are trying not
to do the same, but to reach this quality, seeing
how successful people are doing their shots.“
(Microstock-Fotograf, Moskau, Oktober 2011)
Qualitative Bewertungen von Trends und Pro-
dukten werden zumeist mit quantitativen Aus-
wertungen von Verkaufszahlen kombiniert, um
deren Bedeutung abzuschätzen. So erläutert der
Geschäftsführer einer Bildagentur, mit welchen
Instrumenten er sowohl die Beobachtung als
auch die Beziehung als wichtige Quellen für die
Weiterentwicklung von Marktintelligenz nutzt:
„Our creative research is a combination of quan-
titative and qualitative data. We have sales re-
ports, so we can see how our content is selling,
we are looking at trendy magazines, photogra-
phy trends and styles and we do talk to clients
as well.“ (Geschäftsführer einer Bildagentur,
PACA New York, Oktober 2010)
Im Gegensatz zu der hervorgehobenen Bedeu-
tung von Beziehungs- und Beobachtungslernen,
das zumeist über räumliche Distanz praktiziert
28 Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Heft 1 / 2015
wird, spielt die Begegnung eine deutlich ge-
ringere Rolle für den Erwerb von Marktintel-
ligenz. Wenngleich die Agenturen Messen und
Kongresse noch etwas wichtiger einschätzen
als die permanente Nähe im eigenen lokalen
Standortumfeld, fällt die Bedeutung temporärer
Nähe doch deutlich hinter dem Beziehungs- und
Beobachtungslernen zurück (Tab. 4). Gemessen
an der siebenstugen Likert-Skala, die zwischen
eins (unwichtig) und sieben (wichtig) variiert,
illustrieren Mediane von 3,0 (eher unwichtig)
im Falle des lokalen Standortumfelds und 4,0
(neutral) im Falle der Messen und Kongresse,
dass stets die Mehrheit der Befragten den Nut-
zen des Begegnungslernens für die Bildung von
Marktintelligenz skeptisch beurteilten. Dieses
Ergebnis muss angesichts der zunehmenden
Globalisierung des Bildermarktes, der wach-
senden internationalen Märkte und der stei-
genden Bedeutung von Bildmessen und -kon-
gressen überraschen. Wenn temporäre Nähe im
Bildermarkt nicht primär zur Entwicklung von
Marktintelligenz beiträgt, welchen alternativen
Nutzen erzielen Kongress- und Messebesucher?
Kongresse als soziale Relais: Die
Verschaltung des globalen Vertriebs-
netzwerks
In der globalen Unternehmensbefragung bewer-
teten die Agenturen den Nutzen ihrer bisherigen
Kongressbesuche im Vergleich zahlreicher mög-
licher Ziele und Motive (Tab. 5): Dabei zeigte
sich, dass Bildanbieter die Veranstaltungen sel-
ten nutzen, um Kunden, Technologien, Bildpro-
duzenten oder neue Mitarbeiter zu akquirieren.
Stattdessen protieren die Agenturen von der
eigenen Sichtbarkeit und der Wahrnehmung von
Markttrends, die im Lichte der Interviews aller-
dings weniger gut nachzuvollziehen sind. Zwar
schafft die persönliche Begegnung auf den Ver-
anstaltungen viele Beobachtungsmöglichkeiten
und ungeplante Kontakte, jedoch sprachen die
Interviewpartner oft erst nach expliziter Nach-
frage über die Rolle der Kongresse für die Ent-
wicklung von Marktintelligenz. Stellvertretend
konstatiert ein Bildagent, dass er die CEPIC
nicht besuche, um neue visuelle Inhalte oder
Trends kennenzulernen, die er längst im Inter-
net verfolgt und ausgewertet habe, sondern um
sein Vertriebsnetzwerk zu entwickeln: „I am not
look ing at visual content on congresses. I am
looking at content in the privacy of my house
during the time that I have. Here I need to net-
work with as many different people as possible.
In previous CEPICs like in Florence I had 71
meetings in three days.“ (Gründer einer Bild-
agentur, CEPIC London, Mai 2012)
Demnach erzielt er den größten Nutzen auf den
Kongressen durch die Anbahnung und Pege
von Kooperationsvereinbarungen mit anderen
Bildagenturen oder Bildkunden zum Vertrieb
von Bildbeständen. Diese vielfach in den Inter-
views dokumentierten Aussagen sind auch kon-
sistent mit den Ergebnissen der globalen Unter-
nehmensbefragung: In der Pege und Neuge-
Tab. 4: Wie lernen Sie über Kundenpräferenzen und neue Marktentwicklungen?
Endkundengeschäft Partnergeschäft Gesamt
Lerngelegenheiten Median N Median N Median N
Lernen durch Beobachtung
durch Medien (z. B. Zeitschriften, Internetblogs) 6,0 113 5,0 33 6,0 146
durch unsere Wettbewerber (z. B. Analyse von Such-,
Klick- und Verkaufsstatistiken durch das Internet)
4,0 109 4,0 34 4,0 143
Lernen in Begegnung
durch Messe- und Kongressbesuche 4,0 105 4,5 32 4,0 137
durch Kontakte im lokalen Umfeld unseres Agentur-
standorts
3,0 101 3,0 30 3,0 131
Lernen in Beziehung
durch unsere eigenen Bildkunden (z. B. Meetings, Tele-
fonkonferenzen, Kundenanfragen und -befragungen)
6,0 115 5,0 34 6,0 149
durch unsere Vertriebspartner (z. B. Verkaufsstatistiken
und Anregungen von Vertriebspartnern)
5,0 106 6,0 34 5,0 140
Quelle: eigene Erhebung
Johannes Glückler / Robert Panitz: Beobachtung, Begegnung und Beziehung 29
winnung von Partnerschaften liegt der größte
Nutzen der Begegnung auf Kongressen (Tab. 5).
Während aktuelle Trends und Marktentwicklun-
gen leicht und viel besser im Internet zu verfol-
gen sind, messen Bildagenten der Sondierung
und Verhandlung von Kooperationen sowie dem
Aufbau und der Pege von Vertrauen mit neuen
und bestehenden Geschäftspartnern die größte
Bedeutung zu: „Es geht um den Aufbau von Be-
ziehungen. Ich verbringe 95 % meiner Zeit im
Gespräch mit allen Menschen auf dieser Konfe-
renz am Telefon, sehe mir die Websites an, die
unsere Inhalte repräsentieren, aber nichts geht
über Treffen von Angesicht zu Angesicht. Von
außen könnten Sie meinen, dass es von begrenz-
tem Wert ist, aber es hat tatsächlich eine Menge
Wert, diese Kommunikation von Angesicht zu
Angesicht. Denn wenn Sie mit jemandem einen
Vertrag machen, dann werden Sie ihm in die Au-
gen schauen und sicherstellen, dass Sie etwas
gemeinsam tun werden, es geht darum, Vertrau-
en aufzubauen.“ (Geschäftsführer einer Bild-
agentur, PACA New York, Oktober 2011)
Die Messen und Kongresse der Agenturfotogra-
e dienen nicht primär als Informationsmarkt-
plätze, sondern als Kontakt- und Beziehungs-
börsen. Hierfür eignen sich in besonderem Maße
die Leitkongresse der PACA und der CEPIC, die
einen Zugang zum Großteil des Angebots an po-
tenziellen Partnern bieten. Von geschätzten 2 439
Bildanbietern im Jahre 2012 waren ca. 350 Bild-
anbieter auf der CEPIC in London 2012 als Aus-
steller vertreten. Dies entspricht mehr als 14 %
aller weltweiten Marktteilnehmer. Die Unterneh-
mensbefragung zeigt, dass Bildanbieter, die in
den letzten Jahren einen der beiden internationa-
len Kongresse besucht haben, deutlich mehr in-
ternationale Partnerschaften unterhalten als Bild-
anbieter, die diese Kongresse in den letzten fünf
Jahren nicht besucht haben. Die stetige Ausdeh-
nung der internationalen Wertschöpfungskette
durch eine zunehmende Zahl von Vertriebspart-
nerschaften führt dazu, dass ein Großteil der neu-
en Bilder im Portfolio eines Bildanbieters nicht
ursprüngliches Material von Fotografen oder
Filmemachern ist, sondern von Partneragenturen
übernommen wird. Aus den Angaben der Agen-
turen über die Beschaffung neuer Inhalte in der
Unternehmensumfrage lässt sich für das Jahr
2012 ermitteln, dass 82 % des neuen Bildmate-
rials von Partneragenturen stammte und somit
bereits am Markt verfügbar war. Diese Entwick-
lung dokumentiert einerseits die rasant wachsen-
de Verechtung eines globalen Vertriebsnetz-
werks (G
LüCkLer
2010), andererseits führt sie
zu einer massiven Duplikation von Bildbestän-
den, die in immer stärkerem Wettbewerb von
unterschiedlichen Anbietern zu beziehen sind.
Umso wichtiger sind folglich die Begegnungen
während der Kongresse, um verlässliche Part-
nerschaften zu schmieden und zu erhalten, wie
der Geschäftsführer einer deutschen Bildagen-
tur auf der PACA ausführt: „Fast alle Agenturen
vermarkten fast alle Kollektionen, das ist eines
der Probleme unserer Branche. Um die Chance
zu erhöhen, dass sich die eigenen Inhalte im Ver-
gleich zur Konkurrenz durch andere Produzenten
verkaufen, müssen wir sehr starke Beziehungen
zu den Agenturen aufbauen. Ihnen helfen, unse-
re Inhalte zu verstehen, ist sehr wichtig. Wenn
wir also zur PACA oder CEPIC fahren, machen
wir Präsentationen für die Verkaufsteams. Wir
gehen zum Beispiel zum Corbis-Büro in New
Tab. 5: Welchen Nutzen haben Sie durch die Teilnahme an Messen und Kongressen erfahren?
Median N Stdandardabw.
Akquisition von neuen Kunden 3,0 123 2,096
Pege von Kundenbeziehungen 5,0 135 2,036
Akquisition von neuen Partneragenturen 5,0 124 1,965
Pege von Partnerbeziehungen 6,0 137 1,692
Schaffung der eigenen Sichtbarkeit im Markt 5,0 144 1,688
Vergleich und Austausch mit Wettbewerbern 5,0 141 1,616
Beobachtung von Markttrends 5,0 151 1,599
Akquisition von neuer Web- und Bildtechnologie 3,0 134 1,925
Akquisition von neuen Kreatoren 2,0 113 1,763
Pege von Beziehungen zu Bildproduzenten 3,0 113 2,014
Rekrutierung von neuem Personal 1,0 109 1,333
Quelle: eigene Erhebung
30 Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Heft 1 / 2015
York und halten dort eine Präsentation für das
Verkaufsteam über unsere Bilder. So helfen wir
den Bildagenturen, unsere Bilder zu verstehen.
Und es ist auch ein Weg, um unsere Fotografen
mit Informationen versorgen zu können, was und
wie sie fotograeren sollen. Das Verkaufsteam
wird sagen, dass ein bestimmtes Thema sehr
populär bei einer Kundengruppe ist. Sie mögen
diesen Stil oder sie wollen dieser Art Personen
in den Bildern. Und wir geben das an unsere
Art-Direktoren und Fotografenteams weiter, die
es in ein Brieng verwandeln und fotograeren.
Das ist die Balance zwischen relevanten Bildern
zu fotograeren und sicher zu gehen, dass die-
se sehr, sehr stark auf der Websites der Verteiler
präsent sind.“ (Geschäftsführer einer Bildagen-
tur, PACA New York, Oktober 2011)
Das Zitat zeigt außerdem, wie die Beziehungen zu
Vertriebspartnern als wichtige Quelle für die Bil
-
dung von Marktintelligenz dienen. Agenturen ge
-
winnen wertvolle Informationen über zukünftig
nachgefragte Bildinhalte und reichen diese über
die eigenen Vertriebspartnerschaften bis zu den
Fotografen und Art-Direktoren im Sinne einer re
-
lationalen Marktintelligenz weiter (reiffenstein
et al. 2002). Die Begegnung mit potenziellen
und bestehenden Partnern genießt eine so hohe
Priorität für die meisten Teilnehmer der beiden
Leitkongresse, dass sie oft schon viele Wochen
im Voraus feste Termine vereinbaren und die Zeit
während der Kongresse in außergewöhnlich ho
-
her Taktung und kurzen, eng aufeinander folgen
-
den persönlichen Treffen verplanen. Die zuvor
zitierte Aussage eines Bildagenten auf der CEPIC
in London 2012 illustriert die hohe Dichte und
den schnellen Wechsel geplanter Begegnungen:
71 verabredete Geschäftsgespräche in nur drei
Kongresstagen lassen selbst ohne Pausen durch
-
schnittlich bestenfalls zwanzig Minuten Zeit für
einen Termin. Es ist diese scharfe Taktung und
hohe Verdichtung geplanter Begegnungen, die
ein Verständnis der Leitkongresse als temporä
-
re Orte der periodischen Verschaltung globaler
Vertriebspartnerschaften nahelegt. Die Metapher
des Verschaltens greift zurück auf die Theorie
des rewiring (Martin/eisenhardt 2010), die die
unternehmerische Suche nach Gelegenheiten und
Partnern für Innovationsprozesse beschreibt und
die Fähigkeit betont, stets aus eigener Initiative
neue Verbindungen zu suchen, um neues Wissen
generieren zu können. In diesem Sinne fungie
-
ren temporäre Cluster in der Agenturfotograe
nicht unmittelbar als Lernorte der Marktintelli
-
genz, sondern vielmehr als so zia le Relais, über
die Verbindungen im globalen Vertriebsnetzwerk
periodisch neu verschaltet werden. Während die
Agenturfotograe heute praktisch virtualisiert ist
und überwiegend über das Internet digital ope
-
riert, sind die Agenturen auf die temporäre Be
-
gegnung angewiesen, um ihre nationalen und in
-
ternationalen Partnerbeziehungen zu pegen, zu
kappen oder neu zu initiieren.
Fazit
Wir argumentieren in der vorliegenden Untersu
-
chung, dass die Herausforderungen zur Entwick
-
lung von Marktintelligenz für die Produktion
von kreativen Gütern mit fortschreitender Digi
-
talisierung und Globalisierung angestiegen sind.
Veranstaltungen wie Messen und Kongresse, die
temporäre Nähe zwischen den Marktteilnehmern
schaffen, spielen eine wichtige, wenngleich mit
-
telbare Rolle zum Aufbau von Marktintelligenz.
In Erweiterung der bisherigen Debatte (r
inaLLo
2010; r
inaLLo
/G
oLfetto
2011) erkennen wir die
Bedeutung von Messen und Kongressen im Fall
der Agenturfotograe nicht so sehr im direkten
Austausch von Marktinformationen und -wissen
als vielmehr in der periodischen Verschaltung –
bzw. dem rewiring (M
artin
/ e
isenhardt
2010)
– intermediärer Vertriebspartnerschaften zur Be
-
wältigung einer wachsenden globalen Erschlie
-
ßung und Distribution visueller Inhalte. Diese
Erkenntnis deckt sich mit jüngsten Ergebnissen,
die die Funktion von Messen eher in der Repro
-
duktion als in der diskontinuierlichen Kongu
-
ration von organisatorischen Feldern erkennen
(G
ibson
/b
atheLt
2014).
Im Unterschied zu früheren Arbeiten betrachten
wir nicht die monetären Effekte von Veranstal-
tungen als Marketinginstrumente (G
oPaLakrish
-
na
et al. 1995), sondern die Bedeutung dieser
Veranstaltungen als Orte zur Entwicklung von
Marktintelligenz. Die hier gewonnenen Erkennt-
nisse sind geprägt von den Besonderheiten der
Bildindustrie und lassen sich nur bedingt auf
andere Kontexte übertragen. Die Bildindustrie
ist durch einen ausgeprägten Zwischenhandel
zwischen Akteuren der gleichen Wertschöp-
fungsstufe gekennzeichnet, weshalb gerade die
intermediären Veranstaltungen als Orte der Ver-
schaltung eine außerordentliche Rolle spielen.
Das Verhältnis zwischen den Akteuren auf diesen
Veranstaltungen lässt sich daher weder eindeutig
den „inter-rm business negotiations“ noch den
„producer-user meetings“ (b
atheLt
/h
enn
2014)
zuordnen. Denn die an den untersuchten Leitkon-
gressen beteiligten Unternehmen treten sowohl
Johannes Glückler / Robert Panitz: Beobachtung, Begegnung und Beziehung 31
als Kunden als auch als Lieferanten auf der glei-
chen Wertschöpfungsstufe auf. Darüber hinaus
handelt die Bildindustrie mit digitalen Gütern,
die sich von tangiblen Gütern dadurch unter-
scheiden, dass sie beliebig oft vervielfältigt und
über das Internet recherchiert werden können.
Die Ergebnisse unserer auf gemischten Me-
thoden begründeten Analyse zeigen, dass das
Beobachtungslernen über das Internet und das
Beziehungslernen über die Wertschöpfungs-
partnerschaften die wichtigsten Quellen für den
Erwerb von Marktintelligenz im Bildermarkt
darstellen. Sowohl die quantitative als auch die
qualitative Analyse bezeugen demgegenüber,
dass die Begegnung auf Messen und Kongres-
sen weniger dem Erwerb von Marktintelligenz
als vielmehr der Initiierung und Pege von Ver-
triebspartnerschaften mit anderen Agenturen
dient. Somit ist die entscheidende Bedeutung
temporärer Nähe für den Erwerb von Markt-
intelligenz eher indirekter Natur: Durch die
Vertiefung der Arbeitsteilung verlängern sich
die Vertriebswege und zugleich wächst die Zahl
potenzieller Vertriebspartner. Dies bewirkt eine
zunehmende Distanz zu den Bildkunden in der
Wertschöpfungskette und steigert das Bedürfnis
nach Informationen zur Erhaltung von Marktin-
telligenz. Bildmessen und -kongresse dienen in
erster Linie als soziale Relais, über die alte Kon-
takte gepegt und/oder neue Kontakte geschal-
tet werden. Jenseits des operativen Vertriebsge-
schäfts, den traded interdependencies (storPer
1997), nutzen produktionsseitige Bildagenturen
anschließend ihre Partnerschaften intensiv zur
Sondierung und Abschätzung von themati-
schen und stilistischen Gelegenheiten für neue
nachfrageorientierte visuelle Inhalte. Dieser
Austausch benötigt jedoch eine vertrauensvolle
Basis, die erst durch längere Zusammenarbeit
und wiederholte Treffen entsteht. Daher ist tem-
poräre Nähe bzw. die befristete Begegnung der
Marktteilnehmer in der Agenturfotograe tief
eingebettet in fortdauernde Strukturen von Wert-
schöpfungspartnerschaften, die ihrerseits durch
temporäre Nähe fortwährend rekonstituiert und
neu verschaltet werden.
Danksagung
Wir danken Martina Jordan für die Mitwirkung bei den
empirischen Erhebungen und die gewinnbringende wissen-
schaftliche Unterstützung im Zuge der Forschungsarbeiten
sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die nan-
zielle Unterstützung dieses Vorhabens.
Anmerkung
1 Die globale Unternehmensbefragung ist überhaupt die
erste weltumspannende Erhebung, die nachweislich in
der Agenturfotograe durchgeführt wurde. Die Erhebung
beruht auf einem seit 2005 kontinuierlich recherchierten
und gepegten Unternehmensverzeichnis, das mit groß-
zügiger Unterstützung der weltweit größten Verbände der
Bildagenturen in den USA und Europa sowie wiederhol-
ter Teilerhebungen erstellt wurde. Nähere Informationen
zur Methodik und Erhebung sind zu nden in GLüCkLer/
Panitz 2013.
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