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Laudatio Ranga Yogeshwar
anlässlich der Verleihung des Meridian-Filmpreises bei der
Festveranstaltung im Humboldt-Saal Görlitz am Samstag, d. 15.
März 2014 (Wilhelm Barthlott)
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Sehr geehrter Herr Früh,
Sehr geehrter Herr Neumann,
Lieber Herr Xylander,
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
vor allem aber:
Lieber Ranga Yogeshwar,
Im Herbst vergangenen Jahres fragte mich Professor Xylander, ob ich bereit wäre, heute
anlässlich der Verleihung des Meridian-Filmpreises an Ranga Yogeshwar die Laudatio zu
halten. Meine Freude und Zusage waren ganz spontan und ich bedanke mich für die
ehrenvolle Aufgabe - aber vielleicht war die schnelle Zusage doch etwas leichtsinnig, dachte
ich bei der Vorbereitung für heute. Das bedarf einer Erklärung.
Für die schnelle Zusage gab es zwei Gründe. Der erste ist Ranga Yogeshwar selbst - er ist ein
begnadeter Wissenschafts-Vermittler, den ich aufrichtig bewundere. Wir brauchen dringend
Persönlichkeiten wie Ranga Yogeshwar. Zum anderen kam die Anfrage von Senckenberg aus
Görlitz – einer Institution, die ich hoch schätze; ich war viele Jahre Mitglied im
Wissenschaftlichen Beirat und habe dieses wunderschöne Museum mehrfach besucht: ich
freue mich sehr, wieder hier in dieser Stadt zu sein.
Und leichtsinnig war es trotzdem. Das Phänomen Ranga Yogeshwar ist noch viel komplexer
und vielschichtiger als ich dachte. Schon der erste Blick bei Google war schlichtweg
entmutigend: über eine Million Treffer unter seinem Namen. Glanz und Elend des Internets.
Aber ich habe einen großen Vorteil: von meinem Institut in Bonn durfte ich schon beinahe
von Beginn an seine Kariere im nahen Köln beim WDR verfolgen. Ich hatte das Glück, an
einigen seiner Fernsehsendungen mitzuarbeiten, und er war einige Male, oft mit seiner
liebenswürdigen Frau Uschi und den vier Kindern, bei uns im Botanischen Garten Bonn zu
Gast. Das erleichtert die Aufgabe.
Rheinische
Friedrich-Wilhelms
Universität Bonn
Nees-Institut
für Biodiversität
der Pflanzen
Das Phänomen Ranga Yogeshwar – ich umfange seine ganze Spannweite mit den Titeln von
nur zwei seiner vielen Publikationen. Die erste heißt: Search for the 2-Photon decay of a new
light penetrating particle n-questionable-axion-questionable at a nuclear reactor - so der
Titel des Originalbeitrages 1982, erschienen leicht verändert in der Zeitschrift für Physik im
Oktober 1983.
Alles klar? Klagen sie bitte nicht, daß der Titel in Englisch ist – auch in deutscher Übersetzung
bleibt er unverständlich. Wahrscheinlich gibt es nur einen in diesem Raum, der den
komplexen Inhalt aus der Kernphysik erklären könnte: Ranga Yogeshwar.
Und jetzt der zweite Titel, dreißig Jahre später und ein Bestseller: Warum der Apfel vom
Baum fällt. Das klingt nun wiederum doch zu schlicht und einfältig und bedarf doch wohl
gar keiner Erklärung – aber um es zu verstehen, muss man etwas von Pflanzen-Physiologie
und Äthylen-Produktion, aber noch mehr von Physik verstehen - man kommt hier schnell
von Isaac Newton zu Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Auch hier ist Ranga
Yogeshwar möglicherweise der einzige im Raum, der mit seinem - manchmal geradezu
erschreckenden - enzyklopädischen Wissen die umfassende Antwort geben kann.
Die alte Binsenweisheit der Apfel fällt nicht weit vom Stamm ist dagegen leicht zu verstehen
– auch bei Ranga Yogeshwar. Lassen Sie mich deshalb mit seiner Herkunft beginnen.
Ranganathan Yogeshwar wird im Mai 1959 in Luxemburg geboren, väterlicherseits indischer,
mütterlicherseits luxemburgischer Abstammung. Es gibt einen mächtigen Großvater, Shiyali
Ranganathan, ein indischer Mathematikprofessor und Bibliothekswissenschaftler, der den
Begriff „Informationslogistik“ prägte und weltweit als Erfinder der sogenannten Colon-
Klassifikation bekannt ist.
Ranga Yogeshwars Vater ist Diplomphysiker, die künstlerisch begabte Mutter stammt aus
einer Familie luxemburgischer Ärzte und Ingenieure. Erbliche Vorbelastung könnte man
sagen – genetisch gewissermaßen bestätigt durch seinen Zwillingsbruder Pierre Yogeshwar,
der im Grenzgebiet von Physik und Mathematik in München promovierte. Oder in den
gleichen Worten: der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Die Grundschule in Indien und dann in Luxemburg, dort Abitur am Lycée Classique Diekirch.
Gleichzeitig Klavier-Studium am Konservatorium der Stadt Luxemburg. Nebenbei bessert er
als Organist sein Taschengeld auf. Die Musik spielte bei Ranga Yogeshwar immer eine große
Rolle – und heute ist sie durch seine Frau Ursula, eine Sopranistin, in der Familie verankert.
Aber die Liebe zur Beobachtung der Natur war wohl stärker, ich zitiere: „Schon als Kind
konnte ich stundenlang einem Regenwurm beim Essen zuschauen und vergaß schon mal die
Hausaufgaben“. Langweilig, könnte man glauben - aber wer hat schon einmal den Mund
eines Regenwurmes gesehen?
Also Studium an der Technischen Hochschule Aachen mit dem Schwerpunkt
Elementarteilchenphysik und Astrophysik, experimentelle Arbeiten an der nahegelegenen
Kernforschungsanlage Jülich, dann Forschungsarbeiten am Schweizerischen Institut für
Nuklearforschung und bei CERN in Genf. Aber auch schon kritische Interessen: der junge
Diplom-Physiker, der so gut erklären kann und bereits eine Vorlesung seines Chefs
vertretungsweise übernimmt, macht auf die Gefahren der Kernenergie aufmerksam, wie sich
Kommilitonen erinnern. Für die Karriere als Atomphysiker damals vielleicht keine
förderlichen Aktivitäten. Ab 1983 folgten dann auch erste journalistische Arbeiten in
Printmedien und beim Hörfunk.
1985 einjähriger Aufenthalt in Indien, er leitet unter anderem Seminare und Konferenzen
beim Indian Institute of Science in Bangalore.
Zurück in Deutschland– für den jungen Physiker an der Kernforschungsanlage Jülich war die
Reaktorkatastrophe von Tschernobyl am 6. April 1986 ein Schicksalsdatum. Beim WDR
plante der langjährige Moderator der „Hobbythek“ und des Umweltmagazins „Dschungel“
Jean Pütz eine Sondersendung – und der Kernphysiker Ranga Yogeshwar fand seinen Weg in
die Studios des Westdeutschen Rundfunks in Köln, ab 1987 als Redakteur. Ich darf aus dieser
Zeit einen weiteren bedeutenden Namen nennen: Alfred Thorwarth, der 1982 das Umwelt-
und Wissenschaftsmagazin Globus geschaffen hatte, später wurde daraus die Sendung W
wie Wissen. Die Moderationen übernahmen vor allem Alfred Thorwarth, Jean Pütz und
Ranga Yogeshwar.
Mit Alfred Thorwarth hatte ich damals relativ viel zu tun: er produzierte mehrere große
Sendungen zum Thema Umwelt und Biodiversität. Zu einem Arbeitsgespräch fuhr ich im
Sommer 1990 zum Apellhofplatz in Köln in sein Büro beim WDR – Alfred Thorwarth öffnete
die Tür, und neben dem Schreibtisch stand Ranga Yogeshwar. Ich erinnere mich an dieses
Detail so genau, weil ich bei dieser ersten Begegnung maßlos verblüfft war: ich dachte er sei
ein Schülerpraktikant aus der Mittelstufe eines Kölner Gymnasiums. Ich glaube, Ranga sah
immer nur halb so alt aus wie er ist – und auch dieser jugendliche Charme in Verbindung
mit einem unglaublichen wissenschaftlichen Detailwissen ist einer der Schlüssel seines
Erfolges.
Ich steckte bei meiner eigenen Forschungsarbeit damals in einer schwierigen Situation.
Jahrzehntelang hatte ich mich mit der Nanostruktur biologischer Grenzflächen beschäftigt
und zu Beginn der neunziger Jahre den Lotus-Effekt beschrieben: eine Möglichkeit,
technische selbstreinigende Oberflächen – zum Beispiel Farben und Lacke – zu entwickeln.
Aber die Ergebnisse unserer Grundlagenforschung verstießen vollkommen gegen die damals
üblichen Lehrbuchmeinungen und damals existierenden industriellen Technologien: es
gelang nicht, den physikalisch doch relativ komplexen Sachverhalt Ingenieuren und
möglichen Industriepartnern zu vermitteln.
Lange bevor die Arbeiten dann weltweit anerkannt wurden war es Ranga Yogeshwar, der das
physikalische Prinzip sofort durchschaute. Es waren wohl weit über ein Dutzend Sendungen,
mit denen er ab 1992 den Weg für eine Umsetzung ebnete: angefangen von Globus, der
Hobbythek bis hin zu Auftritten mit Günther Jauch bei Thyssen-Krupp, Frank Elsner in Die
Große Show der Naturwunder, Quarks & Co oder Wissen vor Acht. Dafür schulde ich größten
Dank, lieber Ranga Yogeshwar. Ich zitiere wörtlich aus einem Interview: Wissenschaft, die
nicht vermittelt wird, ist tot. Das gilt nicht nur für Nanotechnologie und Bionik, sondern auch
für uns als
Biodiversitätsforscher: lieber Herr Xylander, wir stehen hier im Naturkundlichen Museum in
Görlitz an einem Ort, der Wissenschaft treibt und vermittelt. Ranga Yogeshwar hat 2009 mit
gutem Grund den Ehrendoktor der Universität Wuppertal erhalten – nicht für seine
Wissenschaft, sondern für die Wissenschaftsvermittlung. Im Übrigen fällt hier eine für ihn
charakteristische Bescheidenheit auf: Dr. Yogeshwar benutzt seinen Titel kaum.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
eigentlich bin ich damit noch gar nicht zum Kern der Tätigkeiten von Ranga Yogeshwar
vorgedrungen. Er ist einer der bedeutendsten Wissenschaftsjournalisten und in unserer
Medienlandschaft omnipräsent. Natürlich gibt es auch Kritik – Die Welt online hat sie im
November 2013 in bösartiger Form kondensiert: Wozu braucht man Wissensvermittler im
Fernsehen überhaupt? Die Antwort erspare ich mir. Aus meinem eigenen Elfenbeinturm der
Wissenschaft kommt manchmal aber eine andere Kritik: Wissenschaft im trivialen
Unterhaltungsfernsehen sei prinzipiell nicht seriös zu vermitteln. Ich muß dabei immer an
den berühmten französischen Pionier der Insekten- und Verhaltensforschung denken, Jean-
Henri Fabre. Seine zehnbändigen Souvenirs Entomologiques waren vor über 100 Jahren ein
Beststeller und sogar für den Nobelpreis für Literatur vorgeschlagen – aber von der
Wissenschaft wurde er kaum zur Kenntnis genommen. Ich zitiere Fabre: Man hat mir Zeit
meines Lebens vorgeworfen, dass eine Seite, die man ohne Mühe und mit Vergnügen lesen
kann, nicht die wissenschaftliche Wahrheit enthalten könne. Die gleiche Kritik wie manchmal
heute an Wissenschafts-Sendungen - der gleich große Irrtum, damals wie heute.
Von seinen zahlreichen Bestseller-Büchern bis zu Artikeln in Nature, von Moderationen über
Talkshows bis zu der Fülle von geschätzt weit über 1000 Fernsehsendungen: ein großartiger
Vermittler von Wissen und Wissenschaft. Die Tätigkeit in Kuratorien und Stiftungen, die
Preise und Auszeichnungen will ich nicht aufzählen – aber ein Blick ins Internet reicht. Alle
meine Studenten lieben Quarks & Co, selbst in der Schule sind die Sendungen ein wichtiger
Gesprächs- oder sogar Unterrichtsstoff. Sie kennen Ranga Yogeshwar alle ganz persönlich
von den Abendbesuchen auf dem Bildschirm in Ihrem Wohnzimmer – deswegen sind Sie
hierher gekommen. Und Sie haben vielleicht schon den Nachmittag hier mit Ranga
Yogeshwar und seinen Filmen verbracht.
Ich selbst schaue mit Ausnahme der Nachrichten nur unregelmäßig Fernsehen. Dazu
gehören aber auch Beiträge von Ranga Yogeshwar. Einige davon bleiben unauslöschlich in
Erinnerung. Zum Beispiel wie er mit einem bionischen Gekkomaten 2006 die spiegelglatte
Fassade eines Düsseldorfer Hochhauses erklimmt: ein physikalischer Sachverhalt wird im
wahrsten Sinn des Wortes atemberaubend vermittelt. Infotainment in seiner besten Form.
Ranga Yogeshwar hat seine Sendungen oft mit größtem physischem Einsatz und hohem
persönlichen Risiko gestaltet. Er ist kein Naturfilmer im klassischen Sinne, aber der Meridian-
Naturfilmpreis ist für diese herausragenden Leistungen mehr als angemessen.
Ich sehe heute die Rolle der Medien zunehmend kritisch. Der Nutzer von vielleicht 1000
Kanälen, die ich zum Beispiel jeden Abend über Satellit empfangen könnte, hat eine
ungeahnte Möglichkeit, sich hervorragend zu informieren, zu unterhalten - und zu
verdummen und sich manipulieren zu lassen, ohne es zu merken. Ich zitiere nochmals Ranga
Yogeshwar: Heute ertrinken wir in einem Informationsmeer. Es ist atemberaubend, wie viel
Falsches zu finden ist und man musss darauf achten, dass man dadurch in seinem eigenen
Handeln nicht beeinflusst wird. Und dann weiter: Alles ist unglaublich intransparent. Das ist
nicht gut für unsere Gesellschaft.
Er trifft die Kernpunkte - und hier beobachte ich bei Ranga Yogeshwar eine erstaunliche
Entwicklung, gewissermaßen weg von der Physik. Kaum war im Sommer letzten Jahres die
Rolle der NSA, aber auch von Google, Facebook und anderen mit schwerwiegenden
Eingriffen in unser aller Privatsphäre offensichtlich geworden, wurde Ranga Yogeswhar aktiv.
Alarmiert unterbrach er seinen Sommerurlaub und setzte sich im Hintergrund dafür ein, dass
dieses Thema eine entsprechende Beachtung fand. Seine Auftritte in den Talkshows von
Günther Jauch und Reinhold Beckmann, die Diskussionen unter anderem mit dem
ehemaligen amerikanischen Botschafter Kornblum, sind eine Meisterleistung. Und damit
wieder verbunden, seine Fähigkeit der Vermittlung eines komplexen Sachverhaltes auf einer
Ebene, die uns alltäglich betrifft und ganz persönlich betroffen macht: die beinahe live-
Demonstration seines präparierten Mobil-Telefons, das am Tage vorher ganztags mit seinem
Einverständnis abgehört worden war. Zitat: Ich finde das skandalös. Empört euch. Diese
Beiträge – ich denke hier vor allem noch an seine Diskussionen mit Frank Schirrmacher und
die Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – halte ich für Meisterleistungen eines
kritischen Wissenschafts-Journalismus.
Lieber Ranga,
als Botaniker sollte ich vermutlich nun zum Schluss einen Blumenstrauß mitbringen – aber
das ist halt nichts gegen den Kleinplaneten Nummer 20 522, der dir gewidmet den Namen
Yogeshwar trägt. Er ist sicher in der geliebten Sternwarte im Garten in Hennef präsent.
Aber auch wir Biologen haben mächtige Geschenke für die Ewigkeit. Bei der letzten
Expedition zusammen mit meinem Kollegen Eberhard Fischer in einen unerforschten
Regenwald auf Madagaskar fanden wir Erstaunliches: unter anderem eine neue Pflanzenart,
die trotz des Web of Science und Google Earth den Menschen verborgen geblieben war.
Eine unbekannte Spezies der Gattung Impatiens - lateinisch Ungeduld, oder auf Deutsch
Springkraut, und noch dazu aus der Familie der Balsam-Gewächse. Mit höchst zierlichen,
aber strahlend- leuchtenden Blüten. Was könnte besser zu dir passen? Es wird nun in dem
seit Carl von Linné über 250 Jahre geführten Großen Buch der Naturwunder als Impatiens
yogeshwari geführt.
Aber das ist nicht das Thema von hier und heute: das ist der Meridian-Naturfilmpreis, der an
eine herausragende Persönlichkeit verliehen wird. Ich hoffe, ich konnte Ihnen dies
vermitteln und bedanke mich für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit.
Wilhelm Barthlott