Wirtschaftliche und politische Entwicklungen haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu grossen Veränderungen auf allen Ebenen geführt (z.B. wirtschaftliche Globalisierung, Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft). Auf der individuellen Ebene sind statt klaren Normen und fixen Abläufen Wahlfreiheit, Offenheit und Flexibilität getreten, was mehr Entscheidungen und Anpassungsfähigkeit auf Seiten der Person verlangt. Was die Veränderungen auf der individuellen Ebene und im Verlauf des Berufslebens bedeuten, ist noch wenig untersucht worden. Wie wurden und werden diese Anpassungen beispielsweise von der Generation, die heute im mittleren Erwachsenenalter (ca. 45-55-jährig) steht, bewältigt? Um solche Fragen zu beantworten, braucht es Längsschnittdaten, welche Berufsverläufe über eine längere Zeit verfolgen. Anhand der Daten der Zürcher-Längsschnittstudie, welche eine repräsentative Deutschschweizer Stichprobe mit dem Jahrgang 1963 umfasst, konnten in einem ersten Projekt verschiedene Aspekte von Laufbahnen vom 15. bis zum 49. Lebensjahr beschrieben werden. Wichtige Fragen blieben jedoch offen, die mit diesem Folgeprojekt geklärt werden sollten. Durch eine Erweiterung der Stichprobe sollte es möglich sein, insbesondere auch Fragen betreffend Laufbahnmustern und Berufsverläufen bestimmter Personen- und Berufsgruppen genauer zu analysieren. Zusätzlich sollten zentrale Aspekte der Persönlichkeit erneut untersucht werden. Neu wurden auch die aktuelle Lebenssituation und gesundheitliche Aspekte differenziert erhoben. Der Rücklauf beträgt für die gesamte Stichprobe 71%: 806 Personen haben erneut teilgenommen, und von diesen Personen liegen nun Angaben über ihre Berufslaufbahn und deren Determinanten vom 15. bis zum 52 Lebensjahr vor. Durch die differenzierte Erfassung der Berufslaufbahn und einer Vielzahl von psychosozialen Merkmalen aus der Jugendzeit und im mittleren Erwachsenenalter war es möglich, Laufbahnen unter einer ganzheitlichen, entwicklungspsychologischen Sicht zu betrachten. Die Ergebnisse zeigen, dass wir erwartungsgemäss sowohl Kontinuität wie auch Wandel finden. Erstaunlich ist aber doch die grosse Kontinuität resp. Anpassungsfähigkeit und kontinuierliche Weiterentwicklung, die sich in unseren Daten zeigt. Die erste Berufswahl und die erste Berufsausbildung sind wegweisend für die weitere Entwicklung. Trotzdem sind danach noch vielfältige Anpassungen und Veränderungen möglich. Die berufliche Laufbahn konnte sehr differenziert untersucht werden und es ist gelungen, verschiedene klare Muster in Berufsverläufen zu identifizieren. Die Muster unterscheiden sich deutlich zwischen den Geschlechtern und teilweise zwischen wirtschaftlichen Sektoren/Ausbildungsberufen. Während sich bei Frauen im Durchschnitt mehr Kontinuität abzeichnet, fallen bei Männern mehr berufliche Wechsel auf (z.B. in Richtung Spezialisierung und Aufstieg). Die Durchlässigkeit im Schweizer Bildungssystem zeigt sich auch in unseren Daten; viel Personen bilden sich weiter auf Fachhochschulniveau oder in der höheren Berufsbildung. Erstaunlich war die grosse Adaptationsfähigkeit der Personen, welche sich oft unabhängig von ihrem beruflichen Werdegang, möglichen Schicksalsschlägen oder ihrer aktuellen Lebenslage in verschiedenen Lebensbereichen gut entwickelt haben. Je nach Sektor verlaufen Laufbahnen auch unterschiedlich: Im Dienstleistungssektor kann eher von Kontinuität ausgegangen werden, während im Produktionssektor (Industrie, Gewerbe) eher Anpassungen in Form von Weiterbildung und Weiterentwicklung notwendig sind. Dennoch gibt es Gruppen von Personen, welche schwierigere Entwicklungen zeigen: Dies zeigt sich teilweise bereits bei Verhaltensproblemen in der Schule (erfasst durch die Einschätzung der Lehrpersonen), bei Auffälligkeiten im Bereich Suchtverhalten mit 15 Jahren, oder auch bei weniger erfolgreichen schulischen Laufbahnen (tiefe Schulabschlüsse). Einzelne Laufbahnmuster stehen weiter mit möglichen gesundheitlichen Problemen in einem Zusammenhang: Speziell die Gruppe der handwerklich-technischen Berufe beklagt sich über
gesundheitliche Probleme, wahrscheinlich mitverursacht durch jahrzehntelange körperliche Beanspruchung. Einzigartig an der Studie war die Wiederholungsmessung der Persönlichkeit im Alter von 52 Jahren. Es zeigte sich, dass sich Persönlichkeitsmerkmale teilweise (manchmal auch beruflich bedingt) verändern, aber auch stabil bleiben und die Jugendpersönlichkeit damit ein guter Prädiktor für die Vorhersage der Laufbahn sein kann. Interessant war der Befund, dass die Passung zwischen Persönlichkeit und Berufstätigkeit (gemessen nach den Berufsfeldern von J. Holland) insgesamt sehr gross ist über die Laufbahn sogar teilweise noch zunimmt. Trotz Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und dem Druck nach Flexibilisierung und ständiger Veränderung bleibt die Persönlichkeit eine wichtige Steuergrösse beruflicher Entscheidungen. Unsere Studie zeigt eine Reihe von Ressourcen und auch Risikofaktoren für berufliche Entwicklungsverläufe und die spätere Lebenssituation (z.B. auch im Bereich Gesundheit) auf: Dies sind zum einen bekannte strukturelle Merkmale (Herkunftsfamilie, absolvierte Schulbildung) und persönliche Merkmale (Intelligenz, Selbstwirksamkeit, Instrumentalität, etc.), aber auch weitere bisher weniger beachtete Merkmale erwiesen sich als relevant: Bedeutung von Unterbrüchen in der Berufslaufbahn, Investition in Aus- und Weiterbildung, «Job-Involvement» (Arbeitsumfang), Prädiktionskraft von «sozio-emotionalen-Kompetenzen», Aspekte sozialer Unterstützung, etc. Die Ergebnisse sind bedeutsam auf verschiedenen Ebenen und für verschiedene Zielgruppen: Die Ergebnisse stellen beispielsweise auf der Ebene Berufsbildung und Arbeitsmarkt eine Bestätigung für den eingeschlagenen Weg dar. Die Berufsbildung bildet offenbar eine gute Grundlage und Voraussetzung. Das System ist zudem durchlässig genug, um dies zu ermöglichen. Sie weisen aber auch auf sensible Punkte im System hin, wo noch Handlungsbedarf besteht, z.B. Diversity-Management von weniger privilegierten Gruppen. Ansätze zur Steigerung der Work-Life-Balance v.a. bei den Frauen sind weiter zu suchen, damit ihr Potenzial der Schweizer Wirtschaft möglichst kontinuierlich zur Verfügung steht; dies kann den Bereich Arbeitsausgestaltung betreffen (z.B. Arbeitsumfang), gezielte Unterstützung durch Vorgesetzte, aber auch Begleitung durch geeignete Karriereberatung. Damit könnte auch der Fachkräftemangel speziell im Gesundheits- und in anderen Dienstleistungsbereichen teilweise entschärft werden. Eine breite Palette weiterer Handlungsempfehlungen können für verschiedene Bereiche formuliert werden, wie für die Schule (z.B. Wichtigkeit von Abschlüssen, Karriereaspiration, Aufbau sozio-emotionale-Kompetenzen), das Elternhaus (z.B. im Bereich Erziehungsstil, Förderung von Autonomie) und die Berufsbildung und Wirtschaft (z.B. Aufbau von guten Beziehungen).