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ZUR DISKUSSION GESTELLT / SPERRVERMERKE BEI ABSCHLUSSARBEITEN }
Sperrvermerke
bei Abschlussarbeiten
Ein Kommentar. Weshalb Sperrvermerke kritisch hinterfragt werden sollten.
Nane Kratzke
Einleitung
Stein des Anstoßes für diesen Beitrag war eine der
letzten Bachelorarbeiten, die ich unlängst betreut
habe. Sie hat aber letztlich nure in sich stetig füllendes
„Fass zum Überlaufen“ gebracht. Ich bin Profes-
sor für Informatik an der FachhochschuleLübeck
und zugleich Studiengangsleiter des Studiengangs
Informatik/Softwaretechnik. Um es gleich vorweg-
zunehmen, ich schreibe hier nicht im Namen der
Fachhochschule Lübeck, nicht in Funktion der Stu-
diengangsleitung Informatik, noch in sonst einer
durch die Fachhochschule Lübeck mir zugewiesenen
Aufgabe. Ich schreibe hier meine ganz persönliche
Meinung!
Ich betreue – wie viele meiner Kollegen an ande-
ren Hochschulen – Bachelor- und Masterarbeiten,
die in kleinen oder mittleren Unternehmen ge-
schrieben werden. So auch diese. EineArbeit für ein
Unternehmen, welches unter anderem interessante
Fragestellungen ressourcenschonender Bewässe-
rung bearbeitet und innovative Lösungen hierfür
entwickelt und anbietet. Für dieses Unternehmen
sollte eine bestehende App für Smartphones weiter-
entwickeltwerden, mittels derer mansolarbetriebene
Pumpen steuern und überwachen kann.
Weder die Fachhochschule Lübeck noch das
Unternehmen soll an den Pranger gestellt werden,
daher ist insbesondere Name und Ort dieses Un-
ternehmens nicht von Belang. Unternehmen und
Fachhochschule sind bitte als Beispiele zu verste-
hen. Der gleiche Sachverhalt passiert an vielen
Hochschulen, Tag für Tag. Der Missstand, den ich
hier ankreiden möchte, liegt auch nicht bei den
Unternehmen. Er liegt bei uns. Er liegt bei denen,
die Abschlussarbeiten an Hochschulen und Uni-
versitäten betreuen und allzu nachsichtig mit der
Vergabe von Sperrvermerken sind. Und das sind
meiner Erfahrung nach viele Hochschullehrer, mich
eingeschlossen.
Bei fraglicher Abschlussarbeit stand zu keinem
Zeitpunkt der Betreuung die Vergabe eines generel-
len Sperrvermerks zur Diskussion. Kurz vor Abgabe
tauchte der Sperrvermerk auf einmal wie selbstver-
ständlich auf. Kommentarlos, nicht abgestimmt.Die
Irritation war groß, als ich diesen „doch üblichen“
Formalismus hinterfragte.
An der Fachhochschule Lübeck haben wir
Vordrucke, und die diesbezügliche Standardformu-
lierung lautet:
Ich versichere, dass ich die Arbeit selbständig, ohne
fremde Hilfe verfasst habe. Bei der Abfassung der
Arbeit sind nur die angegebenen Quellen benutzt
worden. Wörtlich oder dem Sinne nach entnommene
Stellen sind als solche gekennzeichnet. Ich bin da-
mit einverstanden, dass meine Arbeit veröffentlicht
wird, insbesondere dass die Arbeit Dritten zur Ein-
sichtnahme vorgelegt oder Kopien der Arbeit zur
Weitergabe an Dritte angefertigt werden.(Standard-
erklärung, Fachhochschule Lübeck, Fachbereich
Elektrotechnik und Informatik)
Bei Abschlussarbeiten in Unternehmen, wird der
Passus: ,,Ich bin damit einverstanden, dass meine
Arbeit veröffentlicht wird“ meiner Erfahrung nach
regelmäßig durch pauschale Sperrvermerke ersetzt,
die sich sinngemäß darauf berufen, dass die Ar-
DOI 10.1007/s00287-015-0888-7
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
Nane Kratzke
Fachhochschule Lübeck,
Mönkhofer Weg 239, 23562 Lübeck
E-Mail: nane.kratzke@fh-luebeck.de
Informatik_Spektrum_38_5_2015 409
{SPERRVERMERKE BEI ABSCHLUSSARBEITEN
Zusammenfassung
Werden Bachelor- oder Masterarbeiten in
Unternehmen geschrieben, werden diese häu-
fig mit Sperrvermerken versehen, um die
Interessen der Unternehmen zu schützen.
Solche Abschlussarbeiten bearbeiten häufig
interessante und äußerst praxisrelevante Frage-
stellungen. Erkenntnisse und Lösungsansätze
gelangen jedoch kaum an das Licht der Öf-
fentlichkeit. Insbesondere an Fachhochschulen
wird das Schreiben von Abschlussarbeiten in
Unternehmen gefördert und gerne gesehen.
Praxisrelevante Fragestellungen finden sich nun
mal häufig in Unternehmen. Sperrvermerke
werden dabei von den meisten Hochschulleh-
rern mittlerweile als normal hingenommen,
ganz selten nur hinterfragt. Sperrvermerke för-
dern aber eine alles andere als akademische Art
des Umgangs mit Wissen. Mit Sperrvermer-
ken erziehen wir unsere Studierenden dazu, ihr
Wissen und ihre Erkenntnisse nicht mehr zu
teilen, sondern es als Al leinstellungsmerkmal zu
begreifen. Sollte ein Studium aber letztendlich
nicht den Drang vermitteln, sein Wissen mit
anderen zu teilen (und dadurch zu mehren), als
das Bedürfnis, es wegzuschließen? Die Praxis
der Sperrvermerke sieht anders aus.
beit vertrauliche Firmeninformationen beinhalten
(könnte) und daher eine Veröffentlichung unter-
sagen. Häufig müssen Studierende entsprechende
Vertraulichkeitsvereinbarungen unterzeichnen.
Manchmal sogar deren Hochschulbetreuer. Wenn
man die Sperrvermerke genau liest, wird man
(sogar) häufig feststellen (müssen), dass streng ge-
nommen nicht einmal Erst- und Zweitkorrektor die
Arbeit einsehen dürften.
Im vorliegenden Fall einer Abschlussarbeit eines
internationalen Studienprogramms wurde folgende
Formulierung seitens der Firma gewünscht.
This bachelor thesis contains [company] internal
and confidential information [...]. The disclosure
of the contents of the thesis and any accompanying
drawings and data as a whole or in part, is strictly
prohibited.
Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie Sperrvermerke
unternehmensseitig häufig eingesetzt werden,
unreflektiert und reflexartig. Ich bin überzeugt,
dass eine in einem Unternehmen angefertigte Ab-
schlussarbeit nicht automatisch einem derartigen
Sperrvermerk unterliegen muss. So wird es aber
häufig gehandhabt.
Grundsätzlich müssten sich Hochschulene igent-
lich auf ihre Standardformulierungen berufen, die
üblicherweisedie Publikationerlauben.Unklarbleibt
mir, warum Hochschulen offenbar kaum Prozesse
oder Richtlinien zum Umgang mit Sperrvermerken
definieren und gegenüber Unternehmen durchset-
zen. Es mag daran liegen, dass manHochschullehrern
nicht in die Art und Weise der Durchführ ung und Be-
treuung von Abschlussarbeiten hineinreden möchte.
Die Freiheit von Forschung und Lehre ist ja ein hohes
Gut. Der Hochschullehrer diesbezüglich auch recht
schnell verstimmt. Es mag aber auch einfach daran
liegen, dass man fürchtet, weniger praxisrelevante
Abschlussarbeiten ausschreiben zu können, da man
weniger Unternehmen findet.
Beide Ansätze (pauschaler Sperrvermerk vs.
pauschale Veröffentlichung) sind bei Abschlussar-
beiten in Unternehmen entweder wider den Sinn
eines Studiums (teile und mehre dadurch Dein Wis-
sen) oder unrealistisch (bzw. kontraproduktiv, da sie
vom Grundsatz her zu befürwortende Abschlussar-
beiten in Unternehmen quasi unmöglich machen).
Es muss ein für beide Seiten gangbarer Mittelweg
gefunden werden.
Vorliegender Beitrag sensibilisiert dazu, pau-
schale Sperrvermerke grundsätzlich erst einmal zu
hinterfragen (Abschn. ,,Warum pauschale Sperrver-
merke zu hinterfragen sind“). Ich möchte aber auch
zeigen, dass sich Geheimhaltungswunsch und Publi-
kation nicht ausschließen müssen, sofern man bereit
ist, Sperrvermerke differenzierter einzusetzen und
zu formulieren (Abschn. ,,Geheimhaltungswunsch
und Publikation schließen sich nicht aus“).
Warum pauschale Sperrvermerke
zu hinterfragen sind
Abschlussarbeiten werden an Hochschulen ge-
schrieben. Und Hochschulen werden (zumindest
in Deutschland) überwiegend aus Steuergeldern fi-
nanziert. Der Steuerzahler sollte also grundsätzlich
Einblick erhalten, was für Resultate im Bereich der
Lehre erzielt werden. Abschlussarbeiten sind solche
Resultate und sollten daher problemlos einsehbar
sein. Sperrvermerke dienen dieser Transparenz
nicht.
410 Informatik_Spektrum_38_5_2015
Auch für Reakkreditierungen von Studien-
gängen ist dies ggf. problematisch. Natürlich
sind Resultate (wie z. B. Abschlussarbeiten) eine
Eingangsgröße bei der Reakkreditierung von Stu-
diengängen. Bei Fachhochschulstudiengängen wird
immer auch die praktische Ausrichtung geprüft,
die sich beispielsweise in einer hohen Zahl an Ab-
schlussarbeiten, die in Unternehmen geschrieben
werden, widerspiegeln kann. Wenn diese aber durch
Sperrvermerke für Reakkreditierungsprozesse nicht
zugänglich sind, wird es schwerer, entsprechende
Schwerpunkte nachzuweisen.
Abschlussarbeiten sind ein Aushängeschild für
die erstellenden Studierenden. Studierende sollten
problemlos ihre eigene Abschlussarbeit bereitstellen
können, beispielsweise in Bewerbungsprozessen,für
Promotionsstipendien oder einfach nur, um ihre
im Studium begonnene Entwicklung anschließend
fortführen zu können. Zunehmend mehr Softwa-
reunternehmen fragen beispielsweise gezielt nach
GitHub Repositories, um die Softwareentwicklungs-
fähigkeiten von Bewerberinnen und Bewerbern
einschätzen zu können. Hier ein exemplarischer
Auszug aus einer Stellenanzeige für einen Software-
entwickler bei der Hypoport AG in Berlin:
,,Was bringt Dir extra Punkte?
– Natürlich interessante Projekte (z. B. auf GitHub)“
(Aus einer Stellenanzeige1der Hypoport AG)
Mit Sperrvermerken nimmt man Absolventinnen
und Absolventen somit auch berufliche Chancen,
sofern sie nicht in dem Unternehmen unterkommen,
in dem sie die Abschlussarbeit geschrieben haben.
Herausragende Abschlussarbeiten können
nicht für Preise vorgeschlagen werden, da immer
eine Jury Einblick in solche Arbeiten haben muss.
Sperrvermerke verhindern somit, dass preiswür-
dige Abschlussarbeiten eine verdiente Auszeichnung
erhalten, denn sie gestatten solch einen Einblick
nicht.
Ein Studium soll zur wissenschaftlichen
Arbeit befähigen. Ein bewährtes und ehernes
wissenschaftliches Prinzip ist nach Popper (Lo-
gik der Forschung), dass Ergebnisse falsifiziert
1http://www.hypoport.de/index.php?id=42&jobID=4871&ref=28 (letzter Zugriff:
27.3.2015).
werden können müssen. Und dieses bedarf der
Bereitstellung (Publikation) solcher Ergebnisse,
damit diese einsehbar und nachprüfbar sind.
Sperrvermerke verhindern also, dass Studie-
rende ihre Abschlussarbeit einem üblichen und
notwendigen Diskurs unterziehen können. Sperr-
vermerke machen Studierendenleistungen somit
wissenschaftlich wertlos. Das sollte nicht die
letzte Erkenntnis eines Studierenden in einem
Studium sein!
Bei der Bearbeitung von Themen aus Unter-
nehmen werden im Informatikumfeld häufig Open
Source Projekte eingesetzt, die der Allgemeinheit
zur Verfügung gestellt werden. Unternehmen nut-
zen mit Abschlussarbeiten solche Ansätze intensiv
(weil sie von Studierenden gerne herangezogen
werden). Gleichzeitig sperren sie aber die Resultate
weg, die ohne diese Open-Source-Projekte vermut-
lich nicht realisierbar gewesen wären. Sie lassen
nicht einmal dokumentieren, wie und wofür diese
Projekte eingesetzt werden. Sperrvermerke – so
eingesetzt – widersprechen dem Grundgedanken
freier Software.
Alle genannten Punkte zeigen, dass mehrere
fundamentale Prinzipien (die Liste ließe sich sicher
fortsetzen)
– Transparenz,
– Reakkreditierungsfähigkeit,
– Referenzierbarkeit eigener Leistung,
– Würdigung herausragender Leistungen,
– Prinzip wissenschaftlichen Arbeitens,
– der Open-Source-Gedanke (nutze, trage bei und
teile)
durch Sperrvermerke beeinträchtigt werden.
Geheimhaltungswunsch
und Publikation schließen sich nicht aus
Dass es sehr wohl überraschende Philosophien mit
dem Schutz geistigen Eigentums geben kann, zeigte
jüngst der Elektroautohersteller Tesla. Tesla hat im
Jahr 2014 um dem Elektroauto zum Durchbruch zu
verhelfen seine Patente für die Konkurrenz freigege-
ben2. Ein eher ungewöhnlich anmutender Schritt im
Automobilbau (und auch anderen Industrien und
Geschäftsfeldern). Wenn man aber davon ausgehen
2http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/elektroautohersteller-tesla-
gibt-seine-patente-frei-12987717.html (letzter Zugriff: 27.3.2015)
Informatik_Spektrum_38_5_2015 411
{SPERRVERMERKE BEI ABSCHLUSSARBEITEN
kann, dass bei diesem Schritt für Tesla nicht nur Mar-
ketingargumente und Altruismus treibende Kräfte
waren, sondern wohl auch nüchternes Gewinnkal-
kül, so scheint mindestens Tesla das Teilen von Ideen
für den Elektromobilitätsmarkt als relevanter zu
erachten als den Schutz eigenen geistigen Eigentums
(welches ungenutzt eben auch nichts bringt).
Auch die Welt der Open Source oder freien
Software ist voll von solchen Beispielen.
– MapReduce, einer der zentralen Algorithmen zur
Verarbeitung von Big Data (publiziert von Google)
– Hadoop, ein Big Data Framework, das u. a.
MapReduce implementiert (ursprünglich von
Ya h o o ! )
– Eclipse, eine quelloffene Software-Entwicklungs-
umgebung, wurde ursprünglich als „IBM Visual
Age for Java“ von IBM entwickelt
– Bootstrap, ein responsive Web Framework von
Twi t t e r
– Brackets, ein Open-Source-Webeditor von Adobe
– VirtualBox, eine Open-Source-
Virtualisierungslösung von Oracle
Die genannten Firmen scheinen recht genau zu wis-
sen, dass der Erfolg ihrer Geschäftsmodelle nicht auf
dem Schutz einzelner Technologien beruht, die ggf.
auch in vollkommen anderen Kontexten wertvolle
Beiträge liefern könnten. Viele Software-Firmen ma-
chen daher nützliche Projekte frei verfügbar, ohne
dabei gleich Firmeninterna preiszugeben.
Wie mir ein Gutachter/eine Gutachterin schrieb,
mag es einen Kulturunterschied zwischen kleinen
und mittleren (aber auch den großen) Techno-
logieunternehmen in Deutschland und den oben
genannten und zumeist in Kalifornien ansässigen
Technologieunternehmen geben. Während kali-
fornische IT-Unternehmen häufig sehr bewusst
steuern, was veröffentlicht werden soll, um daraus
ihre Vorteile zu ziehen (auch Open-Source-Software
bindet ja immer indirekt Kunden, vielleicht sogar
noch subtiler und raffinierter, als es kommerzielle
Produkte machen), scheint bei deutschen Unter-
nehmen oft eine Pauschalhaltung gepaart mit einer
gewissen Gleichgültigkeit vorzuherrschen. Dass
man eine gezielte Veröffentlichung und Freigabe
von Informationen und Software auch als Mar-
ketinginstrument, als Attraktivitätsaspekt bei der
Gewinnung von Personal (Stichwort: Fachkräfte-
mangel), als Vernetzungsmöglichkeit mit Kunden
oder themenverwandten Unternehmen begreifen
kann, scheint in deutschen Unternehmen nicht der
erste Gedanke zu sein, wenn es um Sperrvermerke
geht.
Die klassische Abschlussarbeit in Informatik
besteht üblicherweise aus einem geschriebenem Teil
und einer Implementierung (dem Quellcode). Der
klassische Sperrvermerk umfasst die gesamte Arbeit
– also immer beide Teile. Aber warum eigentlich?
Meiner Erfahrung nach haben Unternehmen
primär Probleme damit, den entstandenen Quell-
code öffentlich zugänglich zu machen. Warum also
nicht den Sperrvermerk nur auf den Quellcode
beziehen? Hochschulen sind primär daran inter-
essiert, die schriftliche Ausarbeitung (das heißt, die
hinter einer Problemlösung stehenden Gedanken-
gänge) zugänglich zu machen. Warum also nicht die
schriftliche Ausarbeitung freigeben? Auch ein Unter-
nehmen kann so darstellen, an welchen innovativen
Ideen gearbeitet wird.
Im Bereich der schriftlichen Ausarbeitung las-
sen sich Sperrvermerke feingranularer einsetzen.
Sperrvermerke könnten bspw. nur auf einzelne sen-
sible Anhänge einer schriftlichen Ausarbeitung
beschränkt werden, dabei sollte die Lesbarkeit der
Arbeit natürlich erhalten bleiben. Gleiches gilt auch
für Quellcode. Sperrvermerke lassen sich auf Exe-
cutables/Binaries, auf den Quellcode als Ganzes
oder nur sensible Teile, oder gar nur auf sensible
Parametersätze beschränken.
Auf diese Weise können unternehmens- und
abschlussarbeitsspezifische Schutzbedürfnisse
angemessen berücksichtigt werden. Nutzt ein
Unternehmen einzelne dieser Sperrvermerksmög-
lichkeiten, so sollten die zu schützenden Inhalte
benannt und nachvollziehbar begründet werden.
Dies zwingt drei Seiten (Studierende, Unternehmen,
Hochschule) dazu, sich Gedanken zu machen, bevor
man Sperrvermerke unreflektiert einsetzt.
Zusammenfassung
Sperrvermerke beeinträchtigen mindestens Trans-
parenz, die Würdigung herausragender Leistungen,
das Prinzip wissenschaftlichen Arbeitens sowie
den Open-Source-Gedanken (nutze, trage bei und
teile). Die in Unternehmen häufig anzutreffende
Meinung (so in einem E-Mail-Wechsel mit mir
wörtlich formuliert): „[...] wenn Bachelorarbeiten
von unserem Unternehmen an Studenten verge-
ben werden, müssen die Interessen von unserem
412 Informatik_Spektrum_38_5_2015
Unternehmen berücksichtig werden und dies be-
deutet ,Sperrvermerk‘ “ (Zitat eines Vice General
Manager, Head of Technology) ist somit mehr als
kritisch zu hinterfragen. Niemand spricht Unterneh-
men Schutzbedürfnisse ab. Jedoch wird kaum ein
Unternehmen angehenden Absolventen echte Fir-
mengeheimnisse und Alleinstellungsmerkmale, auf
denen der Geschäftserfolg des Unternehmens nach-
haltig basiert, zur Realisierung überlassen. Wenn
dennoch Schutzbedürfnisse bestehen, sollten diese
benannt und begründet sowie durch Hochschulen
mittels differenzierter Sperrvermerke sichergestellt
werden. Dies ist möglich. Aber undifferenzierte
Ahnungen, Befürchtungen, Vermutungen, Unsi-
cherheiten – die zumeist maßgebliche Treiber von
Sperrvermerken sind – sind es nicht wert, dafür
bewährte Prinzipien aufzugeben (und dieses impli-
zit auch noch unseren Studierenden als richtig zu
vermitteln). Wenn wir unseren Studierenden nicht
mehr einräumen können, ihre Abschlussarbeiten
(zumindest in Auszügen) voller Stolz zu zeigen, dann
läuft etwas Grundsätzliches schief.
Ich bin aber auch davon überzeugt, dass der
aktuelle „Sperrvermerkswahn“ bei Unternehmen
überwiegend auf Unsicherheit und nicht auf böser
Absicht beruht. Immer alles schützen zu wollen heißt
aber letztlich nur, nicht zu wissen, was schützenswert
ist.
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