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Mentalisieren im System. Anwendungsbezogene Fragen in der mentalisierungsbasierten Familien- und Paartherapie.

Authors:

Abstract

Die Anwendung mentalisierungsbasierter Interventionen ist ein hoffnungsvoller neuer Ansatz in der Paar- und Familientherapie. Dabei stehen vor allem praktische Fragen im Mittelpunkt: Wie lassen sich Therapieziele so formulieren, dass Mentalisieren gefördert wird? Wie können Interventionen auf besondere Widerstandsphänomene in der Paar- und Familientherapie zugeschnitten werden? Wie kann der Sitzungsabschluss mithilfe von mentalisierungsbasierter therapeutischer Haltung gestaltet werden? Zu guter Letzt gehen wir auf mögliche Widersprüche oder Ergänzungen bei der Kombination systemtheoretischer und mentalisierungsbasierter Therapieansätze ein. Aus unserer Sicht erfahren beide Haltungen einige Modifikationen und Präzisierungen in ihrer gekoppelten Anwendung.
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Familien
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Übersicht:Die Anwendung mentali-
sierungsbasierter Interventionen ist ein
hoffnungsvoller neuer Ansatz in der
Paar- und Familientherapie. Dabei ste-
hen vor allem praktische Fragen im Mit-
telpunkt: Wie lassen sich Therapieziele
so formulieren, dass Mentalisieren ge-
fördert wird? Wie können Interventio-
nen auf besondere Widerstandsphäno-
mene in der Paar- und Familientherapie
zugeschnitten werden? Wie kann der
Sitzungsabschluss mithilfe von menta-
lisierungsbasierter therapeutischer Hal-
tung gestaltet werden? Zu guter Letzt
gehen wir auf mögliche Widersprüche
oder Ergänzungen bei der Kombination
systemtheoretischer und mentalisie-
rungsbasierter Therapieansätze ein. Aus
unserer Sicht erfahren beide Haltungen
einige Modifikationen und Präzisierun-
gen in ihrer gekoppelten Anwendung.
Schlüsselwörter: Mentalisieren, men-
talised based  treatment (MBT), prämen-
talistische Modi, challenging, Kontrakt-
bildung
Einleitung
Die mentalisierungsbasierte Therapie
(MBT) scheint sich in der ambulanten
wie tagesklinischen und stationären
psychodynamischen Einzel- und Grup-
penpsychotherapie (MBGT) inzwischen
mehr und mehr zu etablieren, und dies
nicht nur bei Patienten mit Persönlich-
keitsstörungen (Bateman & Fonagy,
2000; Allen et al., 2008, 2011; Schultz-
Venrath, 2008, 2013). MBT-Interven-
tionen werden in der Familien- und
Paartherapie dagegen bisher lediglich
vereinzelt eingesetzt (Rottländer, 2012;
Asen & Fonagy, 2012, 2014; Cordes,
2011).
Mentalisierungsfördernde Interven-
tionen in den Kontext der Arbeit mit
Systemen zu überführen, wird seit
etwa zehn Jahren praktiziert, insbe-
sondere von Fearon und Mitarbeitern
(2006), Asen & Fonagy (2012, 2014) so-
wie Rottländer (2012). Der Aspekt des
Mentalisierens ist zentral geworden in
der Arbeit mit Paaren und Familien –
dabei scheint gerade der Kontext fami-
liärer und paarbezogener Interaktio-
nen besonders häufig mit dem Verlust
des Mentalisierens verbunden zu sein.
In der vorliegenden Arbeit möchten
wir anhand einiger Beispiele darlegen,
auf welche Weise MBT-Interventionen
in typischen Praxissituationen in der
Arbeit mit Paar- und Mehr-Personen-
Settings eingesetzt werden können. Es
gibt eine Reihe von Unterschieden ge-
genüber Interventionen in mentalisie-
rungsbasierter Gruppenpsychothera-
pie (MBGT) (Schultz-Venrath, 2008;
Karterud et al., 2013), da Paare und
Familien ihre Konflikte bereits »mit-
bringen«, während diese in Gruppen-
psychotherapien häufiger erst in der
aktuellen Übertragungssituation ma-
nifest werden. Auch die Frequenz der
Sitzungen macht andere Interventions-
strategien erforderlich.
Rottländer (2012) hat darauf hinge-
wiesen, dass eine Paarbeziehung zwar
als die wichtigste und intensivste Be-
ziehung gilt, die mit der Erwartung
verknüpft ist, dass sich die Partner in-
und auswendig kennen und deshalb
die Partnerschaft ein Eldorado des
Mentalisierens sei. Paartherapeuten ha -
ben gleichwohl häufiger die Erfahrung
gemacht, dass gegenseitiges Mentali-
sieren wenig gepflegt wird. Vom Part-
ner kenne man zwar die ärgerlichen
Verhaltensweisen, aber über dessen in-
nere Welt, seine Motive, Gefühle und
Sichtweisen hinter diesem Verhalten
oft erstaunlich wenig.
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Mentalisieren im System
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Dies weist schon, wie auch das
Mehr-Personen-Setting in der Famili-
entherapie, darauf hin, dass hier an-
dere Widerstandsphänomene als in
der Einzel- oder Gruppenpsychothera-
pie begünstigt werden (Kreische, 2008).
Diese machen eine besondere Auswahl
an MBT-Interventionen erforderlich.
Ziel unseres Artikels ist es, hierfür ein
Problembewusstsein zu schaffen und
lösungsorientierte Vorschläge zu erar-
beiten.
Lose dem Ablauf einer Familienthe-
rapie-Sitzung folgend, werden wir uns
zunächst dem Thema »Formulierung
von Therapiezielen und Inhalten mit-
hilfe mentalisierungsfördernder Inter-
ventionen« zuwenden. Daran anschlie-
ßend stellen wir mögliche Interventi-
onstechniken vor, um über praktische
Fragen zur Kontrakt-Bildung zu eini-
gen grundsätzlichen Überlegungen be-
züglich der Koppelung einer system-
theoretischen und mentalisierungs-
basierten therapeutischen Haltung zu
kommen.
Mentalisieren heißt, sich auf die in-
neren, »mentalen« Zustände (Gedan-
ken, Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse,
Überzeugungen etc.) von sich selbst
und anderen zu beziehen, diese als
dem Verhalten zugrundeliegend zu be-
greifen und darüber nachdenken zu
können (Fonagy, 1991; Fonagy et al.,
2004; Schultz-Venrath, 2013; Euler &
Schultz-Venrath, 2014). Damit Psycho-
therapien überhaupt wirken können,
ist es besonders bedeutsam, die Vor-
stufen noch nicht gelungenen Mentali-
sierens, die »prämentalistischen Modi«,
zu kennen.
Teleologischer Modus
In diesem entwicklungsgeschichtlich
»frühen« Zustand ist der Mensch auf
eine unmittelbar körperlich spürbare
Befriedigung seiner Bedürfnisse ange-
wiesen und ausschließlich auf dieses
Bedürfnis fokussiert. Die Umwelt wird
nur insofern wahrgenommen, als sie
mit diesem Bedarf in Zusammenhang
steht. In späteren Lebensphasen (»Ich
fühle mich nur dann geliebt, wenn du
in meiner Nähe bist«) kann der teleolo-
gische Modus auch im Sinne des »Miss-
brauchs von Mentalisieren« eingesetzt
werden, etwa um konkrete Ziele beim
anderen zu erreichen, ohne selbst zu-
zulassen, den anderen darüber hinaus
wahrzunehmen (Beispiel: Hochstapler
oder Heiratsschwindler).
Äquivalenzmodus
In diesem mentalen Zustand nimmt
der Mensch seine Innenwelt gegenüber
der Außenwelt als identisch wahr. Im
Äquivalenzmodus werden Menschen
und manchmal auch Dinge als allum-
fassend im Sinne einer Selbst-Objekt-
Differenzierungsstörung wahrgenom-
men, sodass eine relativierende Wahr-
nehmung oder Beschreibung kaum
möglich ist (Beispiel: verliebt sein). Im
späteren Erleben ist der
Äquivalenz-
modus erkennbar an konkretistischen
sprachlichen Beschreibungen oder An -
alogien, etwa wenn ein depressiver Pa-
tient der festen Überzeugung ist, dass
er schuld daran ist, dass seine Familie
aufgrund seines Versagens verarmt.
Gedanken werden für real und wahr
gehalten.
Als-ob-Modus
Während das kindliche Spiel meist ei-
nen »gesunden« Als-ob-Modus für die
Selbstentwicklung erfordert, wird die-
ser Modus pathologisch, wenn Innen-
welt und Außenwelt als rigide getrennt
und zusammenhanglos voneinander
wahrgenommen werden. Das innere
Erleben erscheint als irrelevant und
spielerisch irreal. In späteren Lebenssi-
tuationen wird über mentale Zustände
auf wenig lebendige, meist klischee-
hafte Art und Weise berichtet. Beschrei-
bungen bleiben vom Affekt distanziert,
zeigen sich im Therapieverlauf flüchtig
sowie einseitig gesellschaftlichen Co-
dierungen (»Psychojargon«) entlehnt
und gehen mit »Pseudomentalisieren«
einher.
Therapieziele mithilfe
von MBT definieren
Im Rahmen der Paar- und Familienthe-
rapie werden typische Therapieziele
regelmäßig in zwei Bereichen formu-
liert. Diese betreffen Fragen
1. zur individuellen Entwicklung und
2. zur Klärung oder Entwicklung rele-
vanter Beziehungen.
Um möglichst individuelle, fallbezoge-
ne Formulierungen zu finden oder um
einzelne »Etappen« zu diesen Thera-
piezielen so konkret wie möglich zu
beschreiben, sollten Therapie-Anliegen
bereits so formuliert werden, dass sie
Mentalisieren fördern.
Eigener Affekte und Intentionen
in der Familie gewahr werden
Konflikt-Szenarien zwischen Paaren
oder in Familien erfahren bereits eine
erste Linderung, wenn es gelingt, statt
eines Vorwurfs gegenüber anderen
eigenes Affekterleben zu äußern. Das
setzt allerdings voraus, es auch ad-
äquat wahrnehmen zu können, was
bei »beschleunigter« Interaktion be-
reits eine anspruchsvolle Aufgabe sein
kann. Der Entwicklungsschritt besteht
darin, einen Affekt »wahrzunehmen«,
statt sich bloß »entlang eines Affektes
zu verhalten«.
Affekte und Intentionen
anderer Familienmitglieder
gewahr werden
Wesentliche Voraussetzung, um Kon-
flikte konstruktiv zu lösen, ist die situ-
ationsbezogene (statt generalisierende)
Wahrnehmung mentaler Zustände des
Gegenübers. Dadurch kann überhaupt
erst eine Art »Interessensausgleich«
möglich gemacht werden.
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Modulation eigener Affekt-
zustände – Steuerung von
Verhalten
Bekanntermaßen lässt sich ein Affekt-
zustand nicht durch eine bloße Wil-
lensanstrengung umkehren oder we-
sentlich verändern. Damit es gelingt,
das eigene Verhalten zu steuern, müs-
sen mentale Zustände adäquat im In-
neren zugeordnet werden. Affekte las-
sen sich dann modulieren, wenn aus
einem nach sofortigem Vollzug drän-
genden Handlungsimpuls ein kom-
munizierbarer Gefühlszustand wird.
Dieser entfaltet in der Regel weniger
destruktive Wirkung als die Impuls-
handlung und ermöglicht, dass das Ge-
genüber konstruktiver reagieren kann.
Mehr Empathie für Wünsche
und Interessen der anderen
Dem Partner oder anderen Familien-
mitgliedern entgegenzukommen, kann
besser gelingen, wenn die Wünsche
und Erwartungen dieser anderen mög-
lichst genau und konkret wahrgenom-
men werden. Die konkrete szenische
Eigene Affekte
Einen eigenen Affekt wahrzunehmen,
zuzuordnen und zu äußern ist bereits
eine Leistung des Mentalisierens, wel-
che nicht vorausgesetzt werden darf.
In der therapeutischen Arbeit ist es an
diesem Punkt wesentlich, zwischen
der Äußerung basaler, einfacher Af-
fekte und der Beschreibung komplexer
Gefühlszustände mit »Kontext-Bezug«
(z. B. »sich im Stich gelassen« oder »zu-
rückgewiesen« fühlen) zu unterschei-
den.
Affekte des anderen
Die Wahrnehmung der Affekte des an-
deren, insbesondere in konflikthaften
Situationen in der Familie, erfordert in
der Regel aktive therapeutische Arbeit
in Form von Fragestellungen, die zum
Mitteilungsbedürfnis der KlientInnen
gegenläufig sind. Hierbei ist das Stil-
mittel der zirkulären Fragen (Simon et
al., 1999) besonders bedeutsam. Rott-
länder (2012) vertritt die Auffassung,
dass es praktikabler sei, zunächst line-
ar (im Sinne von »nicht-zirkulär«) nach
den eigenen Affekten der KlientInnen
zu fragen, um dann zum zirkulären
Frageprinzip überzugehen.
Aus unserer Sicht besteht eine Alter-
native darin, von Anfang an zirkulär
nach den Affekten des anderen zu fra-
gen und damit Ebene 2 und 3 quasi
zu subsumieren. Wir gehen davon aus,
dass es einem Klienten wesentlich
leichter fällt, seine eigenen Affekte
wahrzunehmen, wenn der andere sei-
ne Eindrücke mitteilt, auch wenn diese
Rückmeldung als nicht ganz zutref-
fend empfunden wird. Dabei würde
der entwicklungspsychologischen Hy-
pothese Rechnung getragen, dass int-
rapsychische Affektwahrnehmung von
Beginn des Lebens an ein Ergebnis in-
tersubjektiver Abstimmungsprozesse
ist (Ammaniti & Gallese, 2014). Die
Wahrnehmung eigener und anderer
Gefühlszustände kann somit nicht in
eine zeitlich oder logisch lineare Ab -
folge gebracht werden.
»
Gegenseitige Spiegelung von Intentionen und
Affekten steigert Toleranz gegenüber Aufschub
oder Versagung von Wünschen
Vorstellung darüber, was sich der Part-
ner beispielsweise unter »Verständnis«
oder »Zuhören« vorstellt, ermöglicht
eine Entscheidung darüber, ob man
dem Partner die Erfüllung dieser Wün-
sche realistisch in Aussicht stellen
kann.
Kinder sind eher in der Lage, auf
eine Wunscherfüllung zu warten,
wenn sie sich bezüglich ihrer Intentio-
nen und Bedürfnisse anerkannt und
gespiegelt sehen. Ähnlich wird in Paar-
und Familienbeziehungen die Versa-
gung von Wünschen vor allem dann
als besondere Kränkung erlebt, wenn
der Wunsch als vom anderen ignoriert
oder abgewertet erlebt wird. Wird die
Intentionalität des Partners gespiegelt,
so eröffnet sich ein Potenzial, auch in
Paarbeziehungen, hinsichtlich Auf-
schub von oder Verzicht auf Wünsche
zu größeren Spielräumen zu gelangen.
Den Fokus in der
thera peutischen Auf-
merksamkeit setzen
Rottländer (2012) vertritt ein Modell,
Schwerpunkte mentalisierenden Inter-
esses in der Therapie prozesshaft zu
verschieben. Dem Modell liegt die
Vorstel lung zugrunde, dass im thera-
peutischen Geschehen zunächst an
bewusst seinsnäheren mentalen Zu-
ständen gearbeitet werden sollte, im
weiteren therapeutischen Verlauf aber
auch auf bewusstseinsfernere mentale
Zustände fokussiert werden kann. Da-
bei lassen sich Bereiche und Themen
von größerer und geringerer Bewusst-
seinsnähe in folgender Weise abstufen.
Verhalten des anderen
Dieses ist für einen selbst in familiären
Beziehungen meist am direktesten
wahrnehmbar. KlientInnen in Paar-
oder Familientherapien wählen oft
sehr ausführliche Beschreibungen,
auch ohne besondere Stimulation
durch einen Moderator. Häufig müs-
sen die langen Schilderungen nach
ange messener Zeit eher unterbunden
werden, um Raum für Mentalisieren
im engeren Sinne zu schaffen.
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Familien 
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Wirkung des eigenen Verhaltens
Die Wirkung des eigenen Verhaltens
auf andere einzuschätzen oder über-
haupt auf die Idee zu kommen, dass
sich Absicht und Wirkung eigenen
Verhal tens voneinander unterscheiden
könnten, ist mit Rottländer (2012) als
eine fortgeschrittene Leistung des
Mentalisierens anzusehen. Hierzu ist
es oft auch notwendig, bisherige Mus-
ter von Verhaltensmodi wahrzuneh-
men. Die Wirkung der eigenen Hand-
lung hängt eben auch davon ab, wel-
ches weitere Geschehen der Partner
daraufhin erwartet oder befürchtet. In-
sofern hängt die Erwartung auch von
der gemeinsamen Erfahrung ab; die
Wirkung eigenen Verhaltens einzu-
schätzen erfordert u. a., sich die Erfah-
rungen des anderen quasi aus dessen
Perspektive zu vergegenwärtigen.
Abfolge von
Interventionen
Das Schema der aufeinander aufbau-
enden Entwicklungsstufen mentalisie-
render Aufmerksamkeit lässt sich aus
unserer Sicht in eine Abfolge von Inter-
ventionsthemen einer mentalisierungs-
basierten Familien- oder Paartherapie
»übersetzen«.
Fragen nach typischen Alltags-
situationen mit wesentlichen
Affektzuständen
Diese werden möglichst konkret (wenn
nötig, mit der Methode des »stop and
rewind«) erhoben, um von verallge-
meinernden und letztlich konfliktmei-
denden Schilderungen (typischerweise
im »Als-ob-Modus«) abzukommen
und wesentliches Material auch emo-
tional zu aktualisieren.
Frage nach dem Affektzustand
des anderen
Nach unseren klinischen Erfahrungen
haben wir uns dafür entschieden, die
Affektzustände beider (in einer Paar-
therapie) oder aller KlientInnen (in
einer Familientherapie) in einem Ar-
beitsschritt zu erkunden, indem nach
der zirkulären Frage an den einen über
die Emotion des anderen anschließend
der Abgleich direkt erfragt wird.
Frage nach Bewertungen des
anderen
Die Wirkung des eigenen Handelns be-
misst sich letztlich an der Bewertung
durch andere. Diese Bewertungen las-
sen sich erfragen: »Was, glauben Sie,
hatte Ihre Frau denn für ein Anliegen
an Sie, als sie Sie anrief, um von dem
Streit mit Ihrem Sohn Lukas zu berich-
ten?«
Eine solche Frage zielt darauf ab, in
Erfahrung zu bringen, wie der Mann
die Handlung seiner Frau (Anruf) be-
wertet.
Frage nach Grundannahmen
oder Erwartungen bzgl. der
Situation
Bei unpassend scheinenden Bewertun-
gen kann man sich für den Erfahrungs-
hintergrund des »Bewerters« interes-
sieren. So kann die »Geschichte« von
Bewertungen nachvollziehbarer wer-
den, denn biografisch bedingte Grund-
annahmen beeinflussen heutige Be-
wertungen.
Hierzu ist etwa die Frage möglich:
»Welchen Wunsch hinsichtlich Lukas
könnte Ihr Mann denn bisher haupt-
sächlich bei Ihnen wahrgenommen
haben Oder konkreter (aber auch
»geschlossener«): »Könnte Ihr Mann
früher einmal die Erfahrung gemacht
haben, dass Sie sich gegenüber Lukas
mehr Hilfe von ihm wünschten?«
Diese vier Ebenen von Fragen (Situ-
ation, Affekt, Auswertung, Grundan-
nahmen) lassen sich analog zu Rott-
länders (2012) Ebenen fortschreitender
Mentalisierung als geeignetes Modell
für eine Familien- oder Paartherapie
formulieren, in der die Mentalisie-
rungsmöglichkeiten des Klientensys-
tems fortschreitend zunehmen.
Außer zirkulären Fragestellungen
gibt es natürlich noch andere Interven-
tionen, um das Mentalisieren zu för-
dern, wie z. B. übende Verfahren
(Kirsch, 2014). Diese könnten insbeson-
dere in die Arbeit mit ganzen Familien
und kleineren Kindern sinnvoll einbe-
zogen werden. Sie genauer darzustel-
len, würde jedoch den Umfang dieses
Beitrags sprengen.
Leitideen einer menta-
lisierenden Haltung
Von der Arbeitsgruppe um Fearon
(2006) gibt es sieben Leitideen für die
Arbeit von mentalisierungsbasierten
Familientherapeuten:
Identifizierung, Betonung und An-
erkennung kompetenten Mentali-
sierens
Interesse daran zeigen, was andere
fühlen und denken. Angemessen-
heit der Gedanken und Gefühle er-
fragen
Unterbrechen und neu ansetzen,
z. B. bei nicht-mentalisierenden In-
teraktionen nach Gefühlen fragen
Identifizierung und Besprechung
bevorzugter Narrative, in denen
nicht mentalisiert wird
Identifizierung und Benennung ver-
borgener Gefühlszustände
Arbeit mit hypothetischen und kon-
trafaktischen Annahmen, z. B. der
Frage: »Was wäre, wenn . . .?«
Explizite Arbeit des Therapeuten
mit dem eigenen Selbst im Sinne
von »self disclosure«: Der Thera-
peut teilt seine eigenen möglichen
Befindlichkeiten bezüglich der Si -
tuationen, die die KlientInnen be-
schreiben, authentisch mit (»Mich
würde das ärgerlich machen« oder:
»Mich besorgt diese Äußerung«).
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Familien
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
Diese Ideen lassen sich als Grundhal-
tung mentalisierungsbasierter Fami-
lientherapie verstehen. Unsere Arbeit
geht inhaltlich nur insofern darüber
hinaus , als sie für spezielle Probleme
in der Umsetzung einer mentalisie-
rungsfördernden therapeutischen Hal-
tung praktische Lösungen vorschlägt.
KlientInnen mit Per-
sönlichkeitsstörungen
in Paar- und Familien-
therapien
Auch wenn aus systemtheoretischer
Sicht die Beschreibung von Krank-
heitsbildern nicht mit deren Wirklich-
keit gleichgesetzt werden darf, kann
es als Ergebnis sozialer Übereinkunft
von Wahrnehmung angesehen wer-
den, dass es Gruppen von KlientInnen
gibt, die sich im Kontext therapeuti-
scher Arbeit ähnlich verhalten wie die
von Bateman & Fonagy (2008) unter-
suchten PatientInnen. Diese zeigen be-
stimmte Charakteristika, welche be-
sondere Herausforderungen, aber auch
Möglichkeiten für das therapeutische
Setting bieten.
PatientInnen mit Persönlichkeits-
störungen, insbesondere mit Bor-
derline- und antisozialen Persön-
lichkeitsstörungen oder ADHS im
Erwachsenenalter, weisen häufiger
eine stärkere Affektlabilität und
Impul sivität auf. Diese wiederum
gehen mit eingeschränkten Mög-
lichkeiten von Verhaltenssteuerung
und einer geringeren Bereitschaft
zur reflektierenden Haltung im
thera peutischen Kontext einher. Im
Rahmen des Äquivalenzmodus se-
hen wir eine geringere Toleranz
gegen über Abstraktion und hypo-
thetischen Fragestellungen, statt-
dessen sind gemäß klinischer Er-
fahrung die Anforderungen an den
Therapeuten, Spannungsregulation
auszuüben, höher. Wenn die Neu-
gier der KlientInnen bezüglich einer
bilanzierenden oder metakommu-
nikativen Position gering ist, bleiben
KlientInnen auf ihren Spannungen
zunächst »sitzen« und müssen dort
»abgeholt« werden.
Im Als-ob-Modus ist eine ausge-
prägte Vermeidung der KlientInnen
zu bemerken, Konflikte zu aktuali-
sieren und mit sich selbst in Verbin-
dung zu bringen. Diese Vermeidung
ist in der Regel mit einem hohen
Angstniveau, aber auch mit einer af-
fektiven Indifferenz gekoppelt. Dies
erklärt sich so, dass sie innere und
äußere Vorgänge im Als-ob-Modus
als getrennt voneinander erleben.
Die Compliance gegenüber nieder-
frequentem Setting (Sitzungen in
drei- bis vierwöchentlichem Ab-
stand) ist geringer, die Gefahr, Ter-
mine zu versäumen, höher, ins-
besondere im Zusammenhang mit
besonderer Vulnerabilität gegen-
über Kränkungen im therapeuti-
schen Prozess.
Das Bedürfnis nach Affektregulie-
rung und Akzeptanz eigener Inten-
tionalität erscheint vorherrschend
gegenüber der Suche nach »neuen«
Perspektiven und Ideen.
Die »Zufriedenheit« der KlientInnen
mit dem Familiengespräch hängt
wesentlich von der wertschätzen-
den Atmosphäre ab, in der auch
»schwierigere« (im Sinne von »kon-
flikthaften«) Themen besprochen
werden können.
Das Inventar mentalisierungsfördern-
der Interventionen ist insbesondere für
KlientInnen entwickelt worden, wie sie
oben beschrieben worden sind. Da de-
ren typische Eigenschaften und inter-
aktionellen Charakteristika natürlich
auch in Paar- und Familientherapien
auftreten, erscheint uns dessen Trans-
fer in die Arbeit mit Paaren und Fami-
lien naheliegend.
Von der Entwicklungs-
psychologie zu aktu-
ellen therapeutischen
Interventionen
Für die Konzipierung mentalisierungs-
fördernder Interventionen waren nicht
zuletzt Ergebnisse der frühkindlichen
Entwicklungsforschungen maßgeblich.
Aus ihnen wurden Hypothesen ab-
geleitet, in welchem interpersonalen
Zusammenhang sich Affektwahrneh-
mung, Affektsteuerung, Fremdwahr-
nehmung und schließlich die Reflexion
über mentale Zustände konstituieren.
Die Entwicklung zu einer reflek-
tierenden Position wird von allen Au-
toren darin gesehen, dass das Kind
zwischen beiden prämentalistischen
Sichtweisen (»Äquivalenzmodus« und
»Als-ob-Modus«) auf die Umwelt qua-
si hin und her changiert. Durch den
Wechsel zwischen den Grundannah-
men werden beide Annahmen dann
in ihrer »Wirklichkeitssetzung« relati-
viert. Die größere innere Beweglichkeit
ermöglicht es schließlich, mentale Zu-
stände in der Unterscheidung zwi-
schen Subjekt und Umwelt wahrzu-
nehmen und zuzuordnen.
Nach dem MBT-Modell werden die
frühkindlichen Entwicklungsstufen im
therapeutischen Prozess nachvollzo-
gen, um Mentalisieren zu fördern. Der
Wechsel zwischen prämentalistischen
Grundannahmen wird daher auch im
therapeutischen Setting eingesetzt, be-
vor Reflexion zu entdecken ist. Auf den
angebotenen Modus in der Familie
wird mit einem gegensätzlichen Ar-
beitsmodus durch den Therapeuten
geantwortet, was Bateman & Fonagy
(2006, 2008, 2012) »contrary moves«
(Gegenbewegungen) nennen (vgl. Tab.).
Gemeint ist damit, dass der Therapeut
einen Klienten, der beispielsweise in
eine negativistisch-rigide, sich selbst
wegen Schamgefühlen verachtende
Selbstreflexion gerät, mit der Frage
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
nach einer Objekt-Perspektive unter-
brechen sollte: »Was meinen Sie, wie
das auf Ihre Lebensgefährtin/Ihre Frau/
auf mich als Therapeut wirkt?« Umge-
kehrt könnte ein Klient, der nur über
andere schimpft, gefragt werden, ob
er vielleicht gerade von sich spreche,
wenn er andere so entwerten müsse.
Familientherapeutische
Interven tionen beim
Äquivalenz modus
Der Äquivalenzmodus ist z. B. erkenn-
bar an einer affektiv machtvoll vorge-
tragenen Vorwurfshaltung innerhalb
der Familie. Das muss die Familie nicht
durchgängig beschreiben, trifft aber
auf Situationen zu, in denen die Be-
teiligten zu ihren Vorwürfen zunächst
wenig innere Distanz oder Relativie-
rung gewinnen können. Die Familie
kann dabei die Fantasie haben, dass
es nach jahrelangem Konflikterleben,
welches wie ein »Stellungskrieg« erlebt
wurde, im ersten Familiengespräch
nun zur »endgültigen Entscheidungs-
schlacht« komme. Seitens des Thera-
peuten gilt hier: »Störungen haben kei-
nen Vorrang!« Denn der Affektvortrag
des einen ist immer auch der Vorwurf
an den anderen. Gewährt man hier zu
viel Raum, ist die notwendige »All-Par-
teilichkeit« gefährdet. Stattdessen gilt
es hier, Vorwürfe aktiv zu unterbre-
chen und zurückzukehren zur zirkulä-
ren Fragestellung nach dem ersten Af-
fekt (»stop and rewind«). Im Prinzip
erinnert die therapeutische Arbeit hier
an eine »Staumauer«, die den Zufluss
von Affekten verlangsamt und steuert.
Gelingen diese Interventionen, wird
eine im Äquivalenzmodus befindliche
Familie zur Distanzierung von eige-
nem, als universal fantasiertem Af -
fekterleben bewegt. Ein Perspektiven-
wechsel wird dann eher über eine
kognitionsnähere Haltung ermöglicht.
Die Vorstellung dabei ist, Erregung
(oder »arousal«) eher zu dämpfen, um
ein mittleres arousal-Niveau anzusteu-
ern, welches besonders dazu geeignet
scheint, gelingendes Mentalisieren zu
fördern (»Nicht zu heiß und nicht zu
kalt«!).
Eine sehr wirkungsvolle Interventi-
on ist die von Bateman eingeführte so-
genannte »Mentalizing Hand«, womit
gemeint ist, dass neben der manchmal
auch lautstark eingesetzten Therapeu-
ten-Äußerung »Stopp« gleichzeitig die
rechte Hand gehoben wird, um eine
nicht-mentalisierende Kommunikation
auch wirklich »markiert« zu unterbre-
chen. Für den Umgang mit besonderer
Erregung und damit schwerer Zugäng-
lichkeit für jedweden therapeutischen
Beitrag haben wir im Folgenden drei
ähnliche Möglichkeiten zur Interven-
tion zusammengestellt, welche als
sprachliches Äquivalent (oder Ergän-
zung) zur »Mentalizing Hand« einge-
setzt werden können:
»Einen Moment, danach frage ich Sie
auch gleich noch, aber erst einmal woll-
te ich von Ihrer Frau hören, wie sie die
Situation erlebt hat«.
»Halt, einen Moment bitte, ich habe
manchmal eine etwas lange Leitung.
Können Sie mir noch mal kurz schildern,
was Sie genau zu Ihrem Mann gesagt
haben?«
»Hier muss ich kurz einhaken! Wenn
Sie mich gar nicht zu Wort kommen
lassen , werden Sie nachher das Gefühl
haben , dass hier im Gespräch alles wie
sonst gewesen ist und Sie gar keine
neuen Erfahrungen gemacht haben«.
Das Prinzip dieser Interventionen ist,
Begrenzungen durchzusetzen, dabei
aber Vorwurfshaltungen zu vermei-
den; stattdessen empfiehlt es sich eher,
wenn möglich, eine selbstironische
Haltung einzunehmen. Solche Inter-
ventionen sollten quasi »eingeübt«
werden, um auch bei hohem Tempo
des Gesprächsverlaufs angewandt wer-
den zu können.
Im Äquivalenzmodus kann sich die
Gesprächssituation insgesamt zwar
stärker beruhigt, jedoch trotzdem noch
festgefahren zeigen hinsichtlich Kon-
kretismus und mangelnder Möglich-
keit zu Metaphorik und Mentalisie-
rung. Auch eine rigide, mechanische
Auffassung der KlientInnen von Prob-
lemen und deren effizienter Lösung
kann als Merkmal des Äquivalenzmo-
dus verstanden werden. Hier sind im
Sinne mentalisierungsbasierter Arbeit
hypothetische Fragen möglich. Sie bil-
den eine Analogie zum bekannten
MBT-Stilmittel »playing with reality«.
Es empfiehlt sich aber, eine gewisse
Einfachheit und Nähe zur momentanen
Auffassung und Sprache der KlientIn-
nen zu bewahren, damit die Familien-
mitglieder an die Metaphern und hy-
pothetischen Szenarien »ankoppeln«
können.
Familientherapeutische
Interven tionen beim
»Als-ob-Modus«
Im »Als-ob-Modus« neigen Familien
und KlientInnen zu verallgemeinern-
den Floskeln ohne sichtbaren Affekt-
bezug (im Sinne eines »Pseudo-Men-
talisierens«) und dazu, aktualisierte
Konfliktdarstellungen zu vermeiden.
Patient Therapeut
Zeigt sich wissend Zeigt sich unwissend
Äußert sich selbstreflexiv
Fragt danach, wie andere das sehen/fühlen würden
Wirkt emotional distanziert Äußert seine emotionale Nähe/Verwicklung
Äußert seine Gewissheit Äußert seinen Zweifel
Tab.: »Contrary moves« (Gegenbewegungen), modifiziert nach Bateman & Fonagy (2012,
S. 70 f.)
134 dynamik
Familien



Ein gutes Beispiel ist die häufig ver-
wendete Floskel im Sinne von »psy-
chobubbling«: »Wir müssen unsere
Bezie hung aufarbeiten!« Hier wird
pseudotherapeutische Sprache quasi
imitiert: Es entsteht keine Wirkung auf
emotionales Erleben, sondern Innen-
welt und Außenwelt bleiben getrennt
und ohne Bezug zueinander.
Die therapeutischen Fragen sollten
für eine alltagsnahe Konkretisierung
sorgen, bezogen auf die obige Frage
etwa: »In welchen konkreten Situatio-
nen des Alltags wäre das besonders
wichtig?«
Ein anderes Beispiel:
Sie: ». . . das fühlt sich für mich an wie
das innere Kind, das nicht satt wird . .
Th. (zu ihm): »Wovon hätte Ihre Frau
denn gerne mehr?«
Er: »Weiß ich jetzt auch nicht . .
Th. (zu ihm): »Hat Ihre Frau denn
vorher schon mal darüber gesprochen?«
Insgesamt empfehlen wir in der Um-
setzung der »contrary moves« gegen-
über dem »Als-ob-Modus« eine eher
zugehende und konfliktforcierende
Haltung mit dem Ziel, das »arousal«
tendenziell zu erhöhen, um das er-
wähnte optimale mittlere Niveau von
Erregung anzustreben.
Mentalisierungsfördernde
Fragetech niken in der Arbeit mit
Familien und Paaren
Zirkuläre Fragestellungen weisen eine
wesentliche Paralle zwischen systemi-
scher Methodik und MBT auf. Der
Unter schied besteht nach Rottländer
(2012) jedoch darin, dass beide ver-
schiedene Zwecke verfolgen. MBT-ori-
entierte Interventionen mit zirkulären
Fragen sollten vordringlich das Menta-
lisieren in Familien anregen und weni-
ger der Hypothesenbildung des Thera-
peuten dienen. Hier geben wir jedoch
zu bedenken, dass sich beide Zwecke
grundsätzlich ergänzen und in der Pra-
xis keiner besonderen Priorisierung be-
dürfen. Aus unserer Sicht besteht ein
größerer Unterschied zwischen syste-
mischen und MBT-orientierten Frage-
techniken in der Fokus-Setzung: MBT-
typisch ist eine therapeutische Refle-
xion über das Arousal-Niveau und den
prämentalistischen Affektzustand der
Familie, der dem Therapeuten eine
Entscheidung abverlangt, wie viel Re-
flexion und Abstraktion (z. B. über
komplexe Zusammenhänge oder hy-
pothetische Szenarien) die Familie be-
reits bewältigen kann bzw. inwieweit
erst noch Spannungsregulation und
Klärung von Affekten im Vordergrund
stehen.
An der üblichen systemischen Pra-
xis kritisieren wir, dass Anlass und
Metho dik von Spannungsregulation
zu wenig konzeptualisiert sind und
systemische Fragen einen hohen Ab -
straktionsgrad einführen, mit manch-
mal komplizierten und ausführlichen
Fragestellungen, welche die Familie in
erster Linie kognitiv beschäftigen. Dies
führt häufig dazu, dass relevantes Af-
fekt-Geschehen nicht aktualisiert wird,
was sich an den vorgelegten Beispielen
von Simon & Rech-Simon (2009) gut
belegen lässt. MBT-Interventionen in
Familiensystemen sollten sich in ver-
schiedener Hinsicht um Präzision hin-
sichtlich der Förderung des Mentalisie-
rens bemühen:
Eine klare Entscheidung in der An-
sprache: Wen frage ich was?
Eine Präzision in der Fokus-Set-
zung: Geht es um eine konkrete Si-
tuation, innerhalb derer eine Inter-
aktion stattgefunden hat, um einen
Affekt, um Grundannahmen und
Erwartungen oder um ein hypothe-
tisches Szenario?
Weniger zielführend sind in diesem
Zusammenhang »Warum«-Fragen, auch
wenn sie in der therapeutischen Praxis
meist nicht vermieden werden können.
Allgemeine Fragen nach Kausalitäten
bleiben in der Regel nicht nur unspe-
zifisch hinsichtlich der Ebenen oder
Klassifikation von Ursachen. Verhal-
tensphänomene können darüber hin-
aus in den zugrundeliegenden Struk-
turen, in den Absichten der handelnden
Personen und auch in den unmittelbar
wirksamen Affektzuständen begrün-
det liegen. Bleibt die Frage nach der
oben beschriebenen Ursachen-Ebene
unspezifisch, sucht sich der Gefragte
die für ihn »bequemste« dieser Ebenen
aus. So gewinnt man keine neuen In-
formationen. Ein Beispiel:
Th.: »Was meinen Sie, warum hat Ihr
Mann der Lehrerin berichtet, dass Sie
jetzt in der Tagesklinik sind?«
Sie: »Weil er eben bescheuert ist!«
Die Patientin antwortet mit einer mög-
lichen strukturbezogenen Ursache,
während der Therapeut eher nach ei-
ner »Wirk«-Ursache fragte. Die Se-
quenz setzte sich wie folgt fort:
Th.: »Was könnte denn Ihren Mann in
der Situation bewogen haben, das der
Lehrerin zu erzählen?«
Sie: »Vielleicht hat er in dem Mo-
ment einfach nicht gewusst, was er der
Lehrerin sonst hätte sagen sollen.«
Im zweiten Versuch fokussiert der The-
rapeut auf die möglichen Motive des
Ehemanns (schließt Struktur-Ursachen
also aus). Die Patientin kann trotzdem
noch nicht über die Intention des Ehe-
mannes, aber zumindest über dessen
vermuteten mentalen Zustand in der
gefragten Situation nachdenken.
Weiterhin sollten eher affektfokus-
sierte Fragen die Beteiligten anregen,
Wünsche des Partners an sich selbst
wahrzunehmen und auszusprechen,
ohne sich unter dem direkten Druck zu
sehen, diese Wünsche auch zu erfüllen.
Dabei gilt es – gerade zu Anfang einer
Therapie –, den Unterschied zwischen
Wahrnehmung und Anerkennung der
Intentionalität des Partners gegenüber
konkreter Wunscherfüllung mit der
Fragestellung explizit zu markieren,
etwa in diesem Sinn:
Th.: »Was würde sich Ihre Frau denn
wünschen, wie Sie sich dann verhalten
sollten – auch wenn Sie das noch nicht
abliefern können?«
135
dynamik
Familien 


Mit Widerstand
gegen über Menta-
lisieren umgehen
Jedem praktisch tätigen Familienthera-
peuten sind in der Arbeit mit Familien
und Paaren Widerstandsphänomene
gegenüber Mentalisierung bestens ver-
traut. Fonagy und Mitarbeiter (Fonagy
et al., 2004) unterscheiden dabei zwi-
schen einer originären Mentalisie-
rungsunfähigkeit und einer »Reakti-
onsbildung gegen Mentalisierung«.
Letztere ist geeignet, therapeutische
Fantasien anzuregen, da sie dem Klien-
tensystem mehr Ressourcen unter-
stellt. Von der Möglichkeit der Reak-
tionsbildung ausgehend, möchten wir
im Folgenden Strategien zusammen-
stellen, wie TherapeutInnen mit Wi-
derstandsphänomenen umgehen kön-
nen.
Erkennbar sind Widerstandsphäno-
mene z. B. durch »unpassende« Ant-
worten auf zirkuläre Fragen.
Beispiel:
Th.: »Was wirft Ihre Frau Ihnen denn in
Konflikten am häufigsten vor?«
Er: »Meine Frau ist in Konflikten qua-
si unberechenbar
Ein weiteres Widerstandsphänomen ist
»Missverstehen«. Dazu ein Beispiel:
Th.: »Was könnte Ihr Mann denn be-
fürchten, wie Sie auf seine Kritik reagie-
ren würden, wenn er sie denn äußerte?«
Sie: »Mein Mann hat da überhaupt
nichts zu befürchten, aber er sagt ja nie
etwas . .
Als möglicher Widerstand ist das Miss-
verstehen der Therapeuten-Frage
durch die Ehefrau zu werten. Der The-
rapeut fragt nach möglichen Befürch-
tungen des Ehemanns, die Frau ant-
wortet ausweichend (»aber er sagt ja
nie etwas«).
Widerstandsphänomene sind ge-
rade zu Anfang einer Therapie, u. a.
durch ein noch zu geringes Vertrauen
der KlientInnen in die »allparteiliche
Positionierung« des Therapeuten und
in dessen Fähigkeit, das Geschehen
passend zu rahmen, zu beobachten.
Dabei ist nicht das zu geringe Vertrau-
en als Widerstand zu sehen, sondern
ein daraus resultierendes Festhalten an
nicht-mentalisierenden Zuschreibun-
gen, die trotz Bemühungen der Thera-
peutInnen zunächst aufrechterhalten
werden. In der bereits erwähnten Fan-
tasie der KlientInnen bezüglich (eines
endgültigen) »Gewinnens oder Verlie-
rens« im »Mehr-Personen-Therapie-
Kontext« überwiegt das Motiv, kei-
nesfalls »Terrain im Konflikt« durch
Neugier auf eigene mentale Zustände
und die der anderen preiszugeben.
In der systemischen Therapie ist der
Widerstandsbegriff eher umstritten.
Mögliche Schwierigkeiten des Mentali-
sierens oder in Bezug auf das Therapie-
Setting, so der Einwand, werden ein-
seitig den KlientInnen zugeschrieben.
Wir empfehlen daher Interventionen
im Sinne des »challenging«, die hier als
Ergän zung des Reservoirs therapeuti-
schen Handelns gemeint sind. Damit
sind unkonventionelle, manchmal
durchaus freche, bzw. unverschämte
Fragen gemeint, die die KlientInnen
aus ihrem Modus herausbewegen soll-
ten (s. u.).
Als Interventionsprinzip gegenüber
Widerstandsphänomenen schlagen wir
eine Haltung vor, welche einerseits von
Hartnäckigkeit und Willen des Thera-
peuten gekennzeichnet ist, sein Setting
und seine Methodik durchzusetzen,
andererseits aber ohne defizitäre Zu-
schreibungen und Vorwürfe an die Kli-
entInnen auskommt. Stattdessen emp-
fehlen wir eine lebendige, neugierige
Zugewandtheit sowie Experimentier-
freude und Humor im affektiven Aus-
druck des Therapeuten.
Ein Interventionsbeispiel für »Hart-
näckigkeit«:
Th.: »Wie hat sich Ihr Mann denn ge-
fühlt, als er Sie morgens um 6 Uhr aus
der Kneipe wiederkommen hörte?«
Sie: »Das hat mein Mann letzten
Monat genauso gemacht, da habe ich
mich auch nicht beschwert . .
Th.: »Danach frage ich gleich auch
noch, trotzdem interessiert mich noch
mal genau das Gefühl, welches Ihr
Mann in dem Moment hatte. Was mei-
nen Sie . . .?«
Sie: »Wahrscheinlich nicht so gut . .
Fragen zu wiederholen und die Situati-
on zu präzisieren, dürfte gerade zu Be-
ginn einer Therapie für Paar- und Fa-
milientherapeuten selbstverständlich
sein. Sollte diese Hartnäckigkeit jedoch
nicht dazu führen, dass Mentalisieren
gefördert wird, bietet sich als nächste
Möglichkeit die Technik des sogenann-
ten »challenging« an. Damit ist ein ir-
ritierendes Infragestellen, das Hinter-
fragen unberechtigter oder falscher
Überzeugungen gemeint. Es unter-
scheidet sich deutlich von konventio-
nell-klassischen psychotherapeutischen
Interventionen, setzt aber voraus, dass
die Kohäsion hinreichend gegeben ist.
Zwischen »challenging« und authen-
tisch-markiertem, notfalls auch ver-
fremdendem Spiegeln von Affekten
gibt es eine gemeinsame Schnittmenge.
Diese ist jedoch noch nicht sehr dif-
ferenziert beschrie ben, weil sich das ei-
gentliche »challenging« auf die Spra-
che und das Spiegeln von Affekten auf
die Mimik bezieht. Ein therapeutischer
Kontext eröffnet sich häufig durch hu-
morvolles »challenging« als pointierte
Infragestellung einzelner Aspekte der
Äußerungen der KlientInnen. So ent-
steht ein
Möglichkeits- und Übergangs-
raum, wie
in folgendem Beispiel:
Th.: »Als Sie vorgestern im Gespräch
mit Ihrer Frau das Zimmer verließen,
wie ist es Ihrer Frau damit gegangen?«
Er: »Vielleicht können Sie mir das
sagen . .
Th.: »Ich glaube, Sie kennen Ihre Frau
schon viel länger als ich, deshalb frage
ich Sie als Experten, wie könnte sich Ihre
Frau in der Situation gefühlt haben?«
Er: »Weiß ich nicht . .
Th.: »Ist Ihre Frau da für Sie wie ein
Buch mit sieben Siegeln?«
Er und sie lachen leicht verlegen.
Er: »Ja, irgendwie schon . .
136 dynamik
Familien



Der therapeutische Fortschritt in dieser
Sequenz besteht darin, dass sich der
Affektzustand der Beteiligten verän-
dert: von zunächst zornigem Wider-
stand hin zu größerer Unsicherheit
und möglichem vorsichtigem Interesse
daran, warum die Partner einander an
diesem Punkt wenig einschätzen kön-
nen.
Eine weitere Variante des »challen-
ging« besteht darin, gegenüber Wider-
standsverhalten »unwahrscheinliche«
Affekte bei den PatientInnen zu be-
schreiben, um so Widerspruch und Le-
bendigkeit zu provozieren:
Th.: »Wie könnte sich Ihre Frau wohl
gefühlt haben, als Sie sie auf die unge-
spülten Teller in der Küche aufmerksam
machten?«
Er: »Weiß ich nicht . .
Th.: »War sie da ganz dankbar für
Ihren Hinweis?« (beide lächelnd)
Er: »Nein, natürlich nicht . .
Getreu der Entwicklungstheorie des
Mentalisierungsmodells ist auch in der
therapeutischen Situation weniger die
genaue Zuschreibung maßgebend für
gelingende Affektabstimmung, son-
dern das fortwährende Bemühen dar-
um, einen Dialog über mentale Zustän-
de zu induzieren.
Als weitere Möglichkeit einer MBT-
Intervention bleibt eine »dogged man-
ner«, eine gewisse Hartnäckigkeit, nach
mentalen Zuständen zu forschen und
den Fokus in der therapeutischen Situ-
ation durchzusetzen. Im familienthe-
rapeutischen Kontext könnte das wie
folgt aussehen:
Th.: »Wie könnte sich Ihr Sohn gefühlt
haben, als er Ihre Abneigung gegen sei-
ne Freundin bemerkte?«
Sie: »Keine Ahnung!!«
Th.: »Wie hätten Sie sich denn mit 20
Jahren gefühlt, wenn Ihnen das bei Ihren
Eltern passiert wäre?«
Sie: »Schlecht, vermutlich.«
Th.: »Und wie könnte es dann Ihrem
Sohn gegangen sein?«
Sie: »Vermutlich auch nicht gut . .
Die hier vorgestellten Interventionen
gegenüber widerständigem Verhalten
erheben natürlich keinen Anspruch auf
Vollständigkeit und garantieren auch
keinen Erfolg. Sie sollen aber das Au-
genmerk auf Alltagsphänomene in der
Paar- und Familientherapie lenken, wo
gut durchdachte Interventionen nicht
zu »funktionieren« scheinen. Thera-
peutInnen möchten wir dazu anregen,
mit bisher vielleicht als »ungewöhn-
lich« oder »unpassend« angesehenem
Verhalten zu experimentieren.
Anerkennung und
Umdeutung
Angesichts der besonderen Kränkbar-
keit von KlientInnen mit Behandlungs-
schwerpunkt »Persönlichkeitsstörung«
werden im Verlauf der Therapie Inter-
ventionen zur Regulierung von Krän-
kungsaffekten besonders bedeutsam.
Vielen PraktikerInnen dürfte dabei
vertraut sein, den Kontext von Verhal-
ten zu nutzen, um dieses in einem an-
deren Rahmen zu sehen und damit
»Entwertungsdruck« zu reduzieren.
Als »Klassiker« solcher Umdeutung
kann dabei der Weg vom Vorwurf zum
Beziehungswunsch angesehen wer-
den. Hier ein Beispiel:
Sie: »Nie spricht er mit mir . .
Th. (zu ihm): »Was glauben Sie denn,
worüber Ihre Frau gerne mit Ihnen spre-
chen würde?«
Hier wird, um ein Freud-Zitat abzu-
wandeln, das »Kupfer der Suggestion
mit dem Gold der Mentalisierung ge-
mischt«: Die Suggestion ist dabei die
Gleichsetzung von Klage-Inhalt und
Wunsch, was sachlich und praktisch
keineswegs selbstverständlich ist.
Er: »Vielleicht darüber, was sie so über
den Tag erlebt hat?«
Th. (zu ihm): »Und warum, glauben
Sie, ist es Ihrer Frau wichtig, mit Ihnen
darüber zu sprechen . . .?«
Wird die therapeutische Annahme,
dass die Frau einen Beziehungswunsch
äußert, von ihm hingenommen, kann
er, statt sich gegen ihren Vorwurf zu
verteidigen, über ihre positive Bezie-
hungsfantasie zu ihm nachdenken.
Dies wiederum kann ihn positive Inti-
mität direkt erfahren lassen.
Weitere Bereiche des
Mentalisierens in der
Therapie
Die oben genannten Frage-Beispiele
zielen vorwiegend auf das Affekt-Erle-
ben. Mentalisieren bezieht sich aber
auch auf weitere mentale Zustände,
wie z. B. Grundüberzeugungen und
Inten tionen, welche ebenfalls Gegen-
stand des therapeutischen Prozesses
werden können.
Affekterleben ist vielleicht für the-
rapeutische Interventionen am leich-
testen zugänglich, wenn Mentalisieren
gerade zu Beginn einer Therapie ein-
geschränkt ist. Das Affekterleben ist
aus Sicht der Patienten eher bewusst-
seinsnah, sowohl in Zuständen großer
Aufregung als auch beim Fehlen einer
solchen. Weiterhin sind auch für den
Therapeuten zu Beginn einer Thera-
pie bei geringem anamnestischen
Wissen – Affekte besonders leicht be-
obachtbar.
Einer späteren Arbeit ist vorbehal-
ten, mentale Zustände und Prozesse
im fortgeschritteneren Therapieverlauf
noch differenzierter in den therapeuti-
schen Blick zu nehmen.
Sitzungsabschluss
und Vereinbarung
eines Kontrakts
Wird im Rahmen einer mentalisie-
rungsbasierten Familientherapie ein
Therapiekontrakt vereinbart, muss am
Ende des Erstgesprächs eine wesent-
138 dynamik
Familien



liche Besonderheit des Settings mit-
bedacht werden: Paar- und Fami-
lientherapeuten arbeiten mit einer
vergleichsweise niedrigen Sitzungs-
frequenz, d. h. mit einem drei- bis vier-
wöchentlichen Abstand zwischen den
Sitzungen. Eine Überlegung dabei ist,
dass entscheidende Fortschritte (auch
hinsichtlich des Mentalisierens) eher
zwischen den Sitzungen stattfinden.
Bei niedriger Sitzungsfrequenz steht
man allerdings vor der Herausforde-
rung, gegen Ende der ersten Sitzung
eine länger andauernde Trennung vor-
zubereiten. Hier gilt es, die Kohäsion
der KlientInnen zum therapeutischen
Setting so zu stärken, dass der Kontakt
überdauert.
Therapieziele formulieren
Für den Kontrakt ist es wesentlich, sich
auf Therapieziele zu einigen, die so-
wohl die Anliegen der KlientInnen
berück sichtigen als auch von den The-
rapeutInnen als angemessen und rea-
listisch für den weiteren Therapiepro-
zess angesehen werden. Dazu schlagen
wir eine einleitende Frage vor, wie
etwa: »Wenn Sie häufiger kommen
würden, was sollte sich dann in Ihrem
Alltag ändern?«
Als bedeutsam sehen wir an, bei der
Beantwortung dieser Frage keine Ver-
neinungen zuzulassen, sondern eine
positive Formulierung der Therapie-
ziele zu unterstützen. Bei der thera-
peutischen Unterstützung von Formu-
lierungen lässt sich eine manipulative
Steuerung leider nie ganz ausschlie-
ßen, trotzdem sollten im Rahmen einer
mentalisierungsfördernden Gesprächs-
führung die Fragen möglichst offen
bleiben, wie folgende Sequenz zeigen
soll:
Er: »Als Erfolg für regelmäßige Sitzun-
gen würde ich ansehen, wenn wir uns
nicht mehr so oft streiten würden«.
Th. (zu ihm): »Und was sollte dann
stattdessen bei Ihnen zu Hause passie-
ren?«
Er: »Ich weiß jetzt nicht . .
Th. (zu ihm): »Würden Sie als Paar
dann lieber schweigen wollen, statt zu
streiten?«
Er: »Nein, vielleicht wieder mehr
miteinander unternehmen . .
Vom Therapieziel zum Kontrakt
Der Schritt vom Therapieziel zum
Kontrakt besteht aus unserer Erfah-
rung im Wesentlichen darin, dass der
Therapeut zu Therapiezielen Stellung
nimmt, die die KlientInnen zuvor ge-
nannt haben, d. h. er äußert, ob er die
genannten Ziele im Rahmen seiner
Möglichkeiten für realistisch hält. Ist
dies nicht der Fall, hat er die Mög-
lichkeit, einen relativierenden eigenen
Vorschlag zu machen und zu sehen, ob
er hierfür eine belastbare Zustimmung
der KlientInnen einholen kann. Bei der
Formulierung solcher eher vorsichtig
angelegten Therapieziele kann der Ver-
weis auf mentalisierungsorientierte
Vorhaben sehr hilfreich sein, wie fol-
gendes Beispiel zeigt:
Th. (zu beiden): »Ich habe jetzt gehört,
dass Sie (zu Ehefrau) sich mehr Gesprä-
che im Alltag wünschen und Sie (zu
Ehemann) wieder mehr körperliche
Nähe zu Ihrer Frau. Beides kann ich gut
verstehen, und es ist ja auch positiv, dass
diese Wünsche aneinander noch da
sind. Da Sie beide aber schon so lange
darauf verzichten mussten, wissen wir
jetzt noch nicht, wie viel Entgegenkom-
men jedem von Ihnen da möglich sein
wird. Ich denke, eine mögliche Wirkung
der Therapie könnte zunächst sein, dass
Sie leichter miteinander in Kontakt
kommen, auch wenn Sie zunächst noch
Enttäuschungen miteinander erleben
werden. Wäre dies trotzdem ein attrak-
tives Ziel, wofür es sich lohnen würde,
noch öfters hierher zu kommen?«
Der Abschluss von Sitzungen
Für den »Sitzungsabschluss« ist es aus
unserer Sicht notwendig, bezüglich ei-
niger Fragen zur therapeutischen Posi-
tion klar Stellung zu beziehen. Zu be-
denken ist zunächst, dass in unserem
bisherigen Konzept einer MBT-Fami-
lientherapie keine ausführliche erklä-
rende Einführung vorgesehen ist. Da-
mit können die KlientInnen nur an-
hand ihrer Erfahrungen aus der ersten
Sitzung Antworten auf ihre Fragen
bzgl. des therapeutischen Prozesses
und der Wirkung der therapeutischen
Arbeit finden.
Weiterhin haben die KlientInnen bei
einer bis zum Ende einer Sitzung strin-
gent angewandten mentalisierungsba-
sierten Fragetechnik möglicherweise
noch wenig Vorstellung davon, wie
kompetent der Therapeut ist. Kompe-
tenz ist hierbei als subjektiver Wert zu
verstehen, was bedeutet, wie konkret
die KlientInnen den Therapeuten/die
Therapeutin als zugewandt und beru-
higend erleben statt aufgeregt und
möglicherweise überfordert.
Schließlich haben KlientInnen häu-
fig Angst vor dem Sitzungsabschluss
und der darauffolgenden längeren
Trennung, in der sie sich mit ihren Pro-
blemen wieder sehr alleine fühlen kön-
nen.
Unter Beachtung dieser Rahmen-
bedingungen schlagen wir, indem wir
wiederum MBT-orientierte Zielformu-
lierungen nutzen, für eine abschließen-
de Intervention vor:
Th. (vor der ca. dreiminütigen Sitzungs-
pause): »Gibt es vor Ende der Sitzung
noch eine wichtige Frage oder ein wich-
tiges Anliegen an mich?«
Sie (nach der Pause): »Was meinen
Sie, haben wir eine Chance, unsere Be-
ziehung zu retten?«
Th.: Ȇber die weitere Beziehung
entscheidet letztendlich jeder von Ihnen
für sich. Die Therapie bei mir kann Ihnen
aber vielleicht dabei helfen, dass Ihnen
Ihre eigene Entscheidung oder die Ihres
Partners verständlicher wird.«
Die dreiminütige Sitzungspause nach
ungefähr zwei Dritteln der Sitzungs-
zeit dient beiden Seiten dazu, über die
bisherige Sitzung zu reflektieren, eine
139
dynamik
Familien 


Entscheidung bzgl. des weiteren the-
rapeutischen Prozesses zu finden und
wichtige Fragen oder Anliegen zu for-
mulieren.
Die Frage der Klientin in obigem
Beispiel zeigt, wie sie eine sehr persön-
liche Entscheidung an den Therapeu-
ten delegiert. Sie spiegelt ein Erleben
von Abhängigkeit, welches mit einer
Trennungsangst gegenüber dem The-
rapeuten gut in Verbindung zu bringen
ist.
Hinsichtlich der Methodik grenzen
wir uns ab gegenüber den »großen«
Abschluss-Interventionen bisheriger
systemtheoretischer Praxis (Simon &
Rech-Simon, 2009) mit ausführlicherer
Stellungnahme und möglichen »Haus-
aufgaben«. Uns erscheint es schwierig,
bei einem längeren Text das Dilemma
möglicher Rückfragen anschließend zu
lösen. Lässt man Rückfragen zu, kann
das Sitzungsende quasi »ausfransen«
und die Intervention des (angstbesetz-
ten) Sitzungsabschlusses verwässern.
Rückfragen abzulehnen könnte Verlas-
senheitsangst oder Ärger steigern, die
zu diesem Zeitpunkt der Therapie die
Kohäsion schwächen könnten.
Die Situation des Sitzungsabschlus-
ses erfordert grundsätzlich, an einigen
Stellen vom stringenten Frage-Konzept
des Mentalisierungsmodells abzuwei-
chen und klärende Antworten mit dem
Verweis auf mentalisierungsorientierte
Behandlungsziele zu kombinieren.
Systemtheorie und
Mentalisierungs-
modell: Widerspruch
oder Ergänzung?
Im Rahmen des Mentalisierungsmo-
dells wird die Familie als ein Ort be-
schrieben, an dem erste und wesentli-
che Erfahrungen bezüglich psychischer
Entwicklung und Struktur gemacht
werden, wie es Fonagy & Mitarbeiter
(2004) in ihrem Jahrhundertwerk empi-
risch belegt haben. Dabei wird implizit
der Eindruck erweckt, dass dieses auch
der Zweck von Familien sei. Die Sys-
temtheorie beobachtet dagegen eher
die Verflechtung des Systems Familie
mit äußeren systemischen Zusam-
menhängen (»Exo«-System nach von
Schlippe & Schweitzer, 2013), aus de-
nen sich Anforderungen an die Familie
ergeben, die mit den internen emotio-
nalen Bedürfnissen der Familie in Kon-
kurrenz geraten können. Deshalb wird
in der systemischen Therapie der Er-
fassung des Überweisungskontextes so
viel Bedeutung beigemessen.
Insgesamt bezeichnet die System-
theorie, vor allem in radikaler Ausle-
gung, wie z. B. durch Niklas Luhmann,
als »System« ausschließlich das Ge-
schehen zwischen den Personen. Die
handelnden Personen selbst gehören
nicht zum System, sondern bilden des-
sen »relevante Umwelt«. Folglich ste-
hen die kommunikativen »Eigenbewe-
gungen« zwischen den Personen und
deren mögliche Regelhaftigkeit (»Red-
undanz«) im Fokus einer systemischen
Therapie.
Im Mentalisierungsmodell geht es
dagegen in besonderer Weise um das
Subjekt und darum, wie sich eine
Struktur des Selbst entwickelt, indem
Repräsentanzen gebildet werden. Zwar
ist die individuelle Entwicklung von
der interpersonellen nicht trennbar,
Letztere geht ihr sogar voraus; die
Reprä sentanzen für Affekte, Gefühle,
Selbst und Objekt werden aber in der
einzelnen Psyche verortet und nicht in
einem abstrakten Raum zwischen den
Personen.
Diese Unterschiede sind hier natür-
lich sehr vereinfacht und verkürzt dar-
gestellt und verdienen es, an anderer
Stelle grundsätzlicher aufgearbeitet zu
werden. Hinsichtlich der praktischen
Relevanz halten wir fest, dass die Sys-
temtheorie tendenziell mehr Ressour-
cen dafür mitbringt, dass ihre Reprä-
sentanten über die Wahl des Settings
und die therapeutische Positionierung
in einem Mehr-Personen-Kontext ent-
scheiden und Therapieziele auch im
Hinblick auf einen größeren Kontext
verhandeln können.
MBT-Interventionen entfalten dage-
gen ihre Potenz, indem sie therapeu-
tische Mikro-Prozesse gestalten, ins-
besondere durch die Möglichkeit,
komplizierte Affekte und Impulse di-
rekt zu regulieren, wofür genau aus-
gewertete Erfahrungen und konkretes
Handwerkszeug vorliegen. Unabhän-
WERKZEUGKASTEN
Menschen mit Persönlichkeitsstörungen zeigen gegenüber Kränkungen eine
besondere Verletzlichkeit. Hier sind Interventionen, die die Selbstakzeptanz
und die Akzeptanz untereinander fördern, besonders bedeutsam.
Mentalisierungsbasierte Überlegungen bieten besondere Möglichkeiten,
allpar teiliche Formulierungen für Therapieziele zu finden.
Im Therapieverlauf sollte auf das aktuelle Mentalisierungsniveau der Klient-
Innen bzw. PatientInnen, aber auch dasjenige des Therapeuten fokussiert
werden.
Bei Widerstand gegen Mentalisieren ist die Erprobung besonderer Interven-
tionen, z. B. »challenging« oder Humor, sinnvoll.
Zum Sitzungsabschluss im Erstgespräch ist die Trennungsangst der Klient-
Innen bzw. PatientInnen zu beachten. Statt ausführlicher kognitionsorientier-
ter Abschlussinterventionen empfehlen wir einfache Verweise auf Ziele hin-
sichtlich des Mentalisierens für die weitere Behandlung.
Systemtheorie eignet sich besonders gut dafür, Therapieziele in einem
größeren Kontext zu vereinbaren. Verbessertes Mentalisieren ist Voraus-
setzung dafür, fast alle möglichen Therapieziele zu erreichen.
140 dynamik
Familien



gig davon, inwieweit MBT-Methoden
explizit konzeptualisiert und ange-
wandt werden, entscheidet gelingende
Mentalisierung in der Regel darüber,
ob sinnvolle Therapieziele erreicht
werden können.
Abschließend bilanzieren wir, dass
beide Theorien zwar unterschiedliche
Dinge fokussieren, aber keinen wesent-
lichen sachlichen oder logischen Anta-
gonismus zueinander bilden. Um das
Bild von »Theorien als Landkarten« zu
bemühen, stellen beide Theorien un-
terschiedliche Aspekte der äußeren
Reali tät dar, treffen aber keine gegen-
sätzlichen Aussagen über denselben
Gegenstand. So sehen wir uns ermu-
tigt, in unserer Arbeit beide Theorie-
systeme für die Paar- und Familien-
therapie zu nutzen und die therapeu-
tischen Methoden gemäß praktischer
Erfordernisse miteinander zu kombi-
nieren, ohne Fragen konkreter Urhe-
berschaft oder Herkunft therapeuti-
scher Interventionen genau zu klären.
Die therapeutische Konsistenz ergibt
sich dabei aus der Kontinuität zwi-
schen Bindung an das Klientensystem,
Kontraktbildung und Einsatz für die
vereinbarten Therapieziele.
ÎSummary
MentalisingtheSystem
Application-related issues in mentalisati-
on-basedfamilyandcoupletherapy
The application of mentalisation-based
interventions is a promising new ap-
proach in couple and family therapy.
The central issues are mostly practical
in nature. How can therapy goals be
worded in a way that encourages men-
talizing? How can interventions be
tailored to the resistance phenomena
encountered in couple and family the-
rapy? How can session closure be
handled with the aid of a mentalisa-
tion-based therapeutic attitude? The
article concludes with a discussion of
potential contradictions or supplemen-
tations in the combination of system-
theoretic and mentalisation-based the-
rapy approaches. In the authors’ view,
both approaches are modified and re -
fined when they are used together.
Keywords: mentalising, mentalisation-
based treatment (MBT), pre-mentalist
modes, challenging, contract formation
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

Anschrift des Verfassers
Ansgar Cordes
Evangelisches Krankenhaus
Bergisch Gladbach
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie
und Psychosomatik
Ferrenbergstr. 24
51465 Bergisch Gladbach
a.cordes@evk.de
Jahrgang 1967, Diplom- Sozialarbeiter,
Systemischer Therapeut, Supervisor
(Ausbildung bei der APF-Köln, Dach-
verband: SG). Hauptberuf: Sozial- und
Familientherapeut in der Klinik für Psy-
chiatrie, Psychotherapie und Psycho-
somatik. Nebenberufliche Tätigkeit:
Super vision, Paar- und Familienthera-
pie, Coaching für Berufstätige, Fort-
bildungen.
Anschrift des Verfassers
Prof. Dr. med. Ulrich Schultz-Venrath
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie
und Psychosomatik EVK – Koopera-
tionsklinik der Universität Witten/
Herdecke
Fakultät für Gesundheit
Ferrenbergstr. 24
51465 Bergisch Gladbach
schultzvenrath@freenet.de
Arzt für Psychotherapeutische Medizin
(DGPM) und Nervenheilkunde (DGN),
Psychoanalytiker (DPV/DGPT/IPA),
Gruppenlehranalytiker (D3G, GASI).
Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psy-
chotherapie und Psychosomatik, Evan-
gelisches Krankenhaus Bergisch Glad-
bach, Professor für Psychosomatik an
der privaten Universität Witten/Herde-
cke. Gründungs- und ehemaliges Vor-
standsmitglied in der Deutschen Ge-
sellschaft für Gruppenanalyse und
Gruppenpsychotherapie (D3G) sowie
in der Deutschen Arbeitsgemeinschaft
für Tageskliniken in Psychiatrie, Psycho-
therapie und Psychosomatik (DATPPP).
Zahlreiche Veröffentlichungen zu
Medizin im Nationalsozialismus, zum
Terrorismus-Problem, zur Psychosoma-
tik und Psychotherapie neurologischer
Erkrankungen, einschließlich Neuro-
Psychoanalyse, zur Geschichte der
Psycho somatik, Psychoanalyse und
Gruppenanalyse sowie zur mentalisie-
rungsbasierten Einzel- und Gruppen-
psychotherapie (Lehrbuch Mentalisie-
ren Psychotherapien wirksam gestal-
ten, 2. Aufl. 2014).
... " Research on couple therapy shows that therapeutic processes that initiate changes at the emotional, cognitive and behavioral levels in parallel, prove effective (Greenberg and Johnson, 1986;Christensen, 1988;Greenberg et al., 2010). In the mentalization concept, perceiving, classifying and communicating one's own affects is seen as an achievement, as is perceiving the emotions of the partner (Cordes and Schultz-Venrath, 2015). This enables them to adopt the perspective of the other person and to see the effect of their own behavior from the partner's point of view. ...
Article
Full-text available
In the course of demographic change, the proportion of older people in many countries is rising continuously and more and more people are experiencing a long time together as a couple. In old age, subjective wellbeing and health aspects are associated with partners’ satisfaction with couple relationship. The need for couple counseling in old age is growing in parallel with demographic developments. However, empirical studies on couple therapy with older people in long-term couple relationships exist to date only to a limited extent. The present contribution deals with this knowledge gap. In an explanative two phases design, research has been conducted with long-term couples in couple counseling of which we would like to present here the central qualitative study. The aim is to be able to describe details of these factors. Older couples who have lived in long-term couple relationships were interviewed after using standardized questionnaires concerning the individual and couple-related stress factors and problems at the beginning ( N = 62) and the end ( N = 36) of their couple counseling process. Five couples from this study were the interviewees for the following study. The couples were interviewed separately. In this interview study and central part of this contribution, the stress factors, problem areas and coping processes of the older couples were examined. The results serve as a suggestion for further research and can only be interpreted with caution due to the small sample of five case studies: The central results of the study are summarized in a circular process model and are discussed in the light of relevant theoretical approaches. The culmination of massive chronic and acute strains and losses associated with feelings of excessive demands and desperation gave rise to emotional alienation of the partners. In the course of couple therapy, the partners mutually opened their thoughts and emotions and modified their previous dysfunctional pattern of interaction. Thus, emotional and physical rapprochement of the partners was fostered with the effect that subjective load of the partners and dissatisfaction of the couple relationship decreased, and subjective emotional wellbeing increased. To prevent negative emotions and destructive conflicts with their spouse, some of the interviewed partners actively used avoidance strategies in couple interactions. Upon completion of couple therapy changes in the couple relationships appeared instable as soon as overcharging stress factors occurred again. The results suggest that an approach to couple therapy for older people in long-term couple relationships should prioritize emotional safeness and attachment in couple relationship to facilitate constructive conflict management. The couple therapy process should emphasize emotion regulation strategies based on age-related strengths and consider age-related vulnerabilities. Moreover, long-term couples may benefit from catamnestic consultation appointments to consolidate the developed changes.
... Teleologischer Modus (vgl. Schultz-Venrath 2013, Cordes u. Schultz-Venrath 2015 In diesem entwicklungsgeschichtlich "frühen" Zustand ist der Mensch auf eine unmittelbar körperlich spürbare Befriedigung seiner Bedürfnisse angewiesen und ausschließlich auf dieses Bedürfnis fokussiert. Die Umwelt wird nur insofern wahrgenommen, als sie mit diesem Bedarf in Zusammenhang steht. In späteren Lebensphasen kann Empathie in ...
Article
Full-text available
Zusammenfassung Mentalisieren meint die menschliche Fähigkeit, Gedanken, Gefühle, Überzeugungen und Absichten (also mentale Zustände) bei sich selbst und bei anderen wahrzunehmen, zu er-kennen, darüber nachdenken zu können und schließlich dem Verhalten anderer eine Sinnhaf-tigkeit zuschreiben zu können. Die Anwendung mentalisierungsfördernder Interventionen ist bereits in der Psychotherapie erprobt. In der Paar-und Familientherapie können hiermit individuelle Positionen und Affektzustände sehr situationsbezogen erfasst und Therapie-prozesse dadurch besser gesteuert werden. Abstract Mentalization: Utilizing theory and practice in systemic couple and family therapy Mentalization means the human capacity to perceive and think about thoughts, emotions, beliefs and intentions (i. e. mental states) within oneself and others and eventually to attribute meaningfulness to their actions. Utilizing interventions that encourage mentaliza-tion has already been tried and tested in individual psychotherapy. Implementing them in therapeutic settings with couples and families enables the therapist to capture individual positions and affective states in a very situational way and to direct the therapeutic processes accordingly.
... Dass das Mentalisierungskonzept im Kontext von familiären Systemen zunehmend Beachtung findet, zeigt sich auch in der Entwicklung der Mentalisierungsbasierten Familientherapie (MBT-F) (Asen & Fonagy 2014 beziehungsweise der mentalisierungs-und beziehungsorientierten Kurzzeittherapie SMART (Fearon 2009 et al.). Vereinzelt wird in Veröffentlichungen zum Mentalisieren in familiären Systemen auch auf die Bedeutung des Mentalisierens in Paarbeziehungen hingewiesen (Cordes & Schultz-Venrath 2015, Hantel-Quitmann & Weidtmann 2016, Rottländer 2012. Spezielle Ausführungen zur Paarberatung und -Therapie sind derzeit im narrativen Ansatz von Thompson & Tuch (2013) und in einem Aufsatz von Rottländer (2015), der auch in dieser Ausgabe von Blickpunkt abgedruckt ist, zu finden. ...
Article
Full-text available
Der Artikel sensibilisiert für die Bedeutung des Mentalisierens in partnerschaftlichen Beziehungen. Darauf aufbauend wird der Frage nachgegangen, inwiefern die Verbesserung der Mentalisierungsfähigkeit wesentlicher Kernpunkt in Paarberatungsprozessen ist und welche Interventionen und Haltungen einer mentalisierungsunterstützenden Paarberatung zu Gute kommen können.
Article
Feinfühligkeit von Pädagoginnen und Pädagogen ist ein berufsrelevantes Merkmal, das in der Ausbildung bisher wenig diskutiert wird. Feinfühligkeit kann biologisch durch einen hereditären Rezeptor, der mehr oder weniger empfindlich auf Oxytocin reagiert, erklärt werden. Elterliche Kompetenzen, wie die Fähigkeit zur Mentalisierung und Triangulierung, können feinfühliges Verhalten fördern. Ein Verdrängen von Erinnerungen und – insbesondere negativen – Affekten aus der eigenen Kindheit erschwert ein feinfühliges Verhalten gegenüber Kindern. Paulina-Kernberg-Seminare ermöglichen eine Auseinandersetzung mit eigenem kindlichen Erleben und können dadurch zu feinfühligen Interaktionen mit Kindern beitragen.
Book
Über die Familientherapie hinaus hat sich systemisches Denken weite Arbeitsfelder erschlossen, von der Einzel- und Paartherapie über die Supervision bis zur Organisationsentwicklung, in der Medizin und Sozialarbeit wie im Management und der Politikberatung. Das Buch entwickelt, jederzeit praxisbezogen, die theoretischen Konzepte, die hinter systemischen Denken stehen, macht eingehend vertraut mit den Techniken und Anwendungsmöglichkeiten und veranschaulicht sie an zahlreichen Fallbeispielen. Kontroversen werden aufgegriffen, in der Kritik der systemischen Therapie werden auch künftige Entwicklungslinien und innovative Anwendungsfelder deutlich.
Article
Mentalizing is the process by which we make sense of each other and ourselves, implicitly and explicitly, in terms of subjective states and mental processes. It is a profoundly social construct in the sense that we are attentive to the mental states of those we are with, physically or psychologically. Given the generality of this definition, most mental disorders will inevitably involve some difficulties with mentalization, but it is the application of the concept to the treatment of borderline personality disorder (BPD), a common psychiatric condition with important implications for public health, that has received the most attention. Patients with BPD show reduced capacities to mentalize, which leads to problems with emotional regulation and difficulties in managing impulsivity, especially in the context of interpersonal interactions. Mentalization based treatment (MBT) is a time-limited treatment which structures interventions that promote the further development of mentalizing. It has been tested in research trials and found to be an effective treatment for BPD when delivered by mental health professionals given limited additional training and with moderate levels of supervision. This supports the general utility of MBT in the treatment of BPD within generic mental health services.
Article
This paper addresses a specific aspect of pathological mental functioning in so-called borderline patients. Analytic work with a borderline man is presented to show that an inhibition of, and defences against, the contemplation of one's own and others' mental states may be a hallmark of the resistance encountered in a number of such patients. It is claimed that the analysis of transference and countertransference is a crucial therapeutic factor in tackling this source of resistance. In doing this, the paper draws upon a topical notion from philosophy of mind and recent ideas from child development studies which help to clarify psychoanalytic ideas concerning the nature of the pathology of internal object relations underlying feelings of emptiness and social alienation in borderline functioning.
Article
Psychiatrists have been criticised for failing to develop adequate treatment for personality disorder. Psychotherapeutic treatments are promising, but their effectiveness is uncertain. To investigate the evidence for effectiveness of psychotherapeutic treatment for personality disorder. Systematic literature review. There is evidence for the effectiveness of psychotherapy for personality disorder. Problems of case identification, comorbidity, randomisation, specificity of treatment and outcome measurement are inadequately addressed. Authors mainly relied on cohort studies. Evidence neither suggests superiority of one type of therapy over another nor indicates which subgroups of patients should be offered psychotherapy as in-patient, day patient, or out-patient. New research strategies are needed to show that personality change is both measurable and clinically meaningful. Effectiveness studies using randomised controlled designs are required. The literature suggests that effective treatment should be long-term, integrated, theoretically coherent and focused on compliance.
Mentalization-Based Family Therapy
  • E Asen
  • P Fonagy
Asen, E., & Fonagy, P. (2012). Mentalization-Based Family Therapy. In A. W. Bateman & P. Fonagy (eds.), HandbookofMentalizing in Mental Health Practice (pp. 107 - 128)