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Arbeitsbedingungen und Berichterstattungsfreiheit in journalistischen Organisationen

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Der Mediensektor durchläuft einen fundamentalen Wandlungsprozess: Aufgrund von Finanzierungsproblemen stehen bei traditionellen Medien für Journalismus nur noch in beschränkterem Umfang Ressourcen zur Verfügung. Als potenzielle Lösung für diese sogenannte Medienkrise wird vermehrt eine Medien- oder Journalismusförderung ins Spiel gebracht. Die vorliegende Studie hat sich als Ziel gesetzt, die Arbeitsbedingungen von Journalistinnen und Journalisten sowie Einschränkungen deren professioneller Freiheit bei Schweizer Medienhäusern zu untersuchen (siehe Abschnitt 2). Der Fokus liegt erstens darauf, wie es um die journalistischen Arbeitsbedingungen in Schweizer Redaktionen aus Sicht der Journalistinnen und Journalisten bestellt ist und wie sich die Situation in den letzten Jahren verändert hat. Zweitens wird untersucht, inwiefern die Berichterstattungsfreiheit über das eigene Unternehmen, Werbekunden und Medien-politik aus Sicht der Journalistinnen und Journalisten eingeschränkt ist. Hier wird ebenfalls beleuchtet, wie sich die Situation in den letzten Jahren verändert hat. Die Erhellung dieser Aspekte, an denen sich die Fähigkeit eines Mediums zu kritischer und unbeeinflusster Berichterstattung ablesen lässt, bietet eine wichtige Grundlage für die Debatten um Medienförderung. Methodisch arbeitete die Studie in einem ersten Schritt mit einer Sekundärauswertung vorliegender Interviewdaten sowie mit qualitativen Vorstudien (Gruppendiskussion, Interview) mit Medienschaffenden. Auf Basis dieser Ergebnisse wurde in einem zweiten Schritt eine quantitative Onlinebefragung der Mitglieder des Journalistenverbandes impressum durchgeführt (siehe Abschnitt 3). Die Resultate der Analyse (siehe Abschnitt 4) zeigen deutlich, dass die Mehrheit der Schweizer Journalistinnen und Journalisten eine Verschärfung des ökonomischen Drucks im Medienbereich wahrnimmt, was besonders für Tageszeitungen gilt. In der Romandie und im Tessin ist dies in etwas geringerem Masse der Fall als in der Deutschschweiz. Verschlechterte Arbeitsbedingungen: Zeit für vertiefende Recherchen und die Pflege von Netzwerken bleibt kaum. Die qualitativen Studien deuten klar auf einen Zusammenhang dieser Situation mit dem Rückgang journalistischer Sorgfalt und einer oberflächlicheren Bearbeitung von Themen hin. Bezüglich der Frage nach der Veränderung der Arbeitsbedingungen kann eine leichte Tendenz zu einer Verschlechterung festgestellt werden. Eingeschränkte Berichterstattungsfreiheit: Insgesamt werden eher selten Berichte über Anzeigenkunden veröffentlicht, die für deren Image schädlich sein könnten. Über medienpolitische Themen wird generell wenig berichtet, und wenn, dann meist unter Einfluss der Interessen des eige-nen Unternehmens. Auch ist es üblich, über positive Entwicklungen des eigenen Unternehmens zu berichten, negative Entwicklungen hingegen eher auszuklammern. Die Ergebnisse der Analyse bieten Denkanstösse für die Medienpraxis und die medienpolitische Diskussion in der Schweiz (siehe Abschnitt 5). - Ausbildung: Recherchepraktika könnten unverzichtbare Kompetenzen vermitteln, die im journalistischen Alltag kaum noch erworben werden können. - Direkte Medienförderung: Eine zukunftsgerichtete Anschubfinanzierung neuer journalistischer Projekte und die dauerhafte Unterstützung kleiner Print- und Onlinepublikationen ist zu prüfen. - Strukturelle Diversität: Zur Abfederung der Konsequenzen kommerzieller Abhängigkeiten braucht es unterschiedlich institutionalisierte Medienorganisationen (Service public; Community-Medien). - Medienkritik: Eigenberichterstattung ist eine Überforderung für Medienorganisationen. Der Service public sollte verstärkt medienjournalistische Aufgaben übernehmen.
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FACULTÉ DES SCIENCES
ECONOMIQUES ET SOCIALES
DÉPARTEMENT DES SCIENCES DE LA
COMMUNICATION ET DES MÉDIAS DCM
WIRTSCHAFTS- UND
SOZIALWISSENSCHAFTLICHE FAKULTÄT
DEPARTEMENT FÜR KOMMUNIKATIONS-
WISSENSCHAFT UND MEDIENFORSCHUNG DCM
1/64
Departement für
Kommunikationswissenschaft und Medienforschung DCM
Arbeitsbedingungen und Berichterstattungs-
freiheit in journalistischen Organisationen
Manuel Puppis, Philomen Schönhagen, Silke Fürst, Brigitte Hofstetter & Mike Meissner
1. Executive Summary ...................................................................................................................... 2
2. Forschungsstand und theoretischer Hintergrund .......................................................................... 3
2.1 Medien in der Krise ............................................................................................................. 3
2.2 Journalistische Arbeitsbedingungen in Zeiten von Konvergenz und Krise ......................... 5
2.3 Einschränkungen der Berichterstattungsfreiheit ................................................................. 6
2.4 Grundlage für medienpolitische Entscheidungen ............................................................... 8
3. Methodische Herangehensweise .................................................................................................. 8
3.1 Qualitative Vorstudien ......................................................................................................... 8
3.2 Standardisierte Befragung ................................................................................................ 10
4. Ergebnisse .................................................................................................................................. 13
4.1 Qualitative Vorstudien ....................................................................................................... 14
4.1.1 Arbeitsbedingungen ................................................................................................ 14
4.1.2 Berichterstattungsfreiheit ........................................................................................ 16
4.2 Quantitative Befragung ..................................................................................................... 18
4.2.1 Zunahme des ökonomischen Drucks ..................................................................... 18
4.2.2 Arbeitsbedingungen ................................................................................................ 21
4.2.3 Berichterstattungsfreiheit gegenüber Medienpolitik ............................................... 25
4.2.4 Berichterstattungsfreiheit gegenüber Medienunternehmen ................................... 27
4.2.5 Berichterstattungsfreiheit gegenüber Werbekunden .............................................. 30
4.3 Quantitative Befragung: Zusatzauswertungen .................................................................. 33
4.3.1 Zusatzauswertung Differenzierung nach Ressorts ................................................. 33
4.3.2 Zusatzauswertung Onlinemedien ........................................................................... 36
4.3.3 Zusatzauswertung Svizzera italiana ....................................................................... 38
5. Konklusion ................................................................................................................................... 41
5.1 Zusammenfassung und Beantwortung der Fragestellungen ............................................ 41
5.2 Ausblick und Handlungsempfehlungen ............................................................................ 43
Literatur.................................................................................................................................................. 46
Anhang .................................................................................................................................................. 52
Leitfaden Gruppendiskussion/Interview (gekürzt) ....................................................................... 52
Fragebogen Onlinebefragung ..................................................................................................... 53
Freiburg/Fribourg, 02.12.2014
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1. Executive Summary
Der Mediensektor durchläuft einen fundamentalen Wandlungsprozess: Aufgrund von Finanzierungs-
problemen stehen bei traditionellen Medien für Journalismus nur noch in beschränkterem Umfang
Ressourcen zur Verfügung. Als potenzielle Lösung für diese sogenannte Medienkrise wird vermehrt
eine Medien- oder Journalismusförderung ins Spiel gebracht.
Die vorliegende Studie hat sich als Ziel gesetzt, die Arbeitsbedingungen von Journalistinnen und
Journalisten sowie Einschränkungen deren professioneller Freiheit bei Schweizer Medienhäusern zu
untersuchen (siehe Abschnitt 2). Der Fokus liegt erstens darauf, wie es um die journalistischen
Arbeitsbedingungen in Schweizer Redaktionen aus Sicht der Journalistinnen und Journalisten
bestellt ist und wie sich die Situation in den letzten Jahren verändert hat. Zweitens wird untersucht,
inwiefern die Berichterstattungsfreiheit über das eigene Unternehmen, Werbekunden und Medien-
politik aus Sicht der Journalistinnen und Journalisten eingeschränkt ist. Hier wird ebenfalls beleuchtet,
wie sich die Situation in den letzten Jahren verändert hat. Die Erhellung dieser Aspekte, an denen sich
die Fähigkeit eines Mediums zu kritischer und unbeeinflusster Berichterstattung ablesen lässt, bietet
eine wichtige Grundlage für die Debatten um Medienförderung.
Methodisch arbeitete die Studie in einem ersten Schritt mit einer Sekundärauswertung vorliegender
Interviewdaten sowie mit qualitativen Vorstudien (Gruppendiskussion, Interview) mit Medienschaf-
fenden. Auf Basis dieser Ergebnisse wurde in einem zweiten Schritt eine quantitative Onlinebefra-
gung der Mitglieder des Journalistenverbandes impressum durchgeführt (siehe Abschnitt 3).
Die Resultate der Analyse (siehe Abschnitt 4) zeigen deutlich, dass die Mehrheit der Schweizer Jour-
nalistinnen und Journalisten eine Verschärfung des ökonomischen Drucks im Medienbereich
wahrnimmt, was besonders für Tageszeitungen gilt. In der Romandie und im Tessin ist dies in etwas
geringerem Masse der Fall als in der Deutschschweiz.
Verschlechterte Arbeitsbedingungen: Zeit für vertiefende Recherchen und die Pflege von Netz-
werken bleibt kaum. Die qualitativen Studien deuten klar auf einen Zusammenhang dieser Situa-
tion mit dem Rückgang journalistischer Sorgfalt und einer oberflächlicheren Bearbeitung von The-
men hin. Bezüglich der Frage nach der Veränderung der Arbeitsbedingungen kann eine leichte
Tendenz zu einer Verschlechterung festgestellt werden.
Eingeschränkte Berichterstattungsfreiheit: Insgesamt werden eher selten Berichte über Anzei-
genkunden veröffentlicht, die für deren Image schädlich sein könnten. Über medienpolitische The-
men wird generell wenig berichtet, und wenn, dann meist unter Einfluss der Interessen des eige-
nen Unternehmens. Auch ist es üblich, über positive Entwicklungen des eigenen Unternehmens zu
berichten, negative Entwicklungen hingegen eher auszuklammern.
Die Ergebnisse der Analyse bieten Denkanstösse für die Medienpraxis und die medienpolitische
Diskussion in der Schweiz (siehe Abschnitt 5).
Ausbildung: Recherchepraktika könnten unverzichtbare Kompetenzen vermitteln, die im journalis-
tischen Alltag kaum noch erworben werden können.
Direkte Medienförderung: Eine zukunftsgerichtete Anschubfinanzierung neuer journalistischer
Projekte und die dauerhafte Unterstützung kleiner Print- und Onlinepublikationen ist zu prüfen.
Strukturelle Diversität: Zur Abfederung der Konsequenzen kommerzieller Abhängigkeiten braucht
es unterschiedlich institutionalisierte Medienorganisationen (Service public; Community-Medien).
Medienkritik: Eigenberichterstattung ist eine Überforderung für Medienorganisationen. Der Ser-
vice public sollte verstärkt medienjournalistische Aufgaben übernehmen.
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2. Forschungsstand und theoretischer Hintergrund
2.1 Medien in der Krise
Mediensysteme westlicher Demokratien stehen im Wandel. Insbesondere die Tagespresse wurde von
einer konjunkturellen wie strukturellen Krise erfasst (vgl. W. A. Meier & Leonarz 2011). Besonders
betroffen von diesen Veränderungen ist der Zeitungsmarkt. Die Gesamtauflage der Schweizer Kauf-
zeitungen ist von 4.26 Mio. im Jahr 1995 auf 3.29 Mio. im Jahr 2013 gefallen (vgl. Bundesamt für
Statistik 2014). Gleichzeitig hat auch die Zahlungsbereitschaft der Nutzerinnen und Nutzer für journa-
listische Inhalte abgenommen. Zudem sind die Werbeumsätze rückläufig. Der Nettowerbeumsatz der
Tageszeitungen ist in der Schweiz von 2008 bis 2013 um ein Drittel auf noch CHF 718 Mio. zurückge-
gangen (vgl. Stiftung Werbestatistik Schweiz 2014). Zwar nimmt der Online-Werbeumsatz zu: Auf
einem vergleichsweise tiefen Niveau ist allein von 2012 bis 2013 ein Anstieg des Werbeumsatzes von
12 Prozent zu verzeichnen. Doch damit lassen sich die wegfallenden Anzeigenerlöse bisher nicht
kompensieren. Die für Journalismus zur Verfügung stehenden Ressourcen sind folglich stark im
Abnehmen begriffen (vgl. Downie Jr. & Schudson 2009; Franklin 2010: 442; Haas 2010: 65-69; Jarren
et al. 2012; McChesney & Nichols 2010; McChesney & Pickard 2011; W. A. Meier et al. 2012; Ruß-
Mohl 2009: 17-22; Weischenberg 2010: 32f.). Auch im Schweizer Journalismus kam es in den ver-
gangenen Jahren vor allem bei regionalen und überregionalen Titeln zu zahlreichen Sparrunden, in
deren Verlauf Korrespondentenbüros geschlossen und Redaktionen zum Teil massiv verkleinert oder
zusammengelegt wurden. Gleichzeitig hat sich die Konzentration der Medienbranche weiter fortge-
setzt: Wenige grosse Unternehmen (insbesondere Tamedia, Ringier und die NZZ-Mediengruppe)
beherrschen einen Grossteil des Zeitungsmarktes. Radio und Fernsehen bieten, vom öffentlichen
Rundfunk abgesehen, durch ihre primär kommerzielle Ausrichtung keinen hinreichenden journalisti-
schen Ersatz.
In diesem Zusammenhang werden Befürchtungen über negative Auswirkungen der Medienkrise
für die Demokratie geäussert (vgl. Curran 2010). So würden die finanziellen Schwierigkeiten von
Tageszeitungen die Kontroll- und Kritikfunktion der Medien schwächen. Gerade für ein föderalisti-
sches politisches System wie die Schweiz sind Probleme zu befürchten, denn durch die schwinden-
den Ressourcen nehmen die Möglichkeiten ab, kritisch und umfassend über das politische Gesche-
hen auf allen föderalen Ebenen zu berichten: «As journalists are laid off and newspapers cut back or
shut down, whole sectors of our civic life go dark» (Nichols & McChesney 2009). Doch nicht nur politi-
sche Informationen, Kommentare und Debatten, welche notwendig sind, damit Bürgerinnen und r-
ger ihre gewählten Repräsentanten zur Rechenschaft ziehen können, dürften so zu kurz kommen.
Auch dürfte die Abhängigkeit der Journalistinnen und Journalisten von den von Unternehmen wie
Verwaltung bereitgestellten Medienmitteilungen und PR-Materialien noch einmal zunehmen (vgl.
Franklin 2010: 444; Ruß-Mohl 2011: 89-93). Die bisherige Forschung verdeutlicht, dass die finanzielle
Schwächung der Tagespresse deren publizistische Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (vgl. die Beiträge
in fög 2014; Leonarz 2012; W. A. Meier et al. 2012). Auch das Jahrbuch «Qualität der Medien» zeigt,
dass aufgrund mangelnder Ressourcen und gestiegenem Aktualitätsdruck die Berichterstattung epi-
sodischer geworden ist und weniger Hintergrundinformationen und Zusammenhänge zu politischen,
wirtschaftlichen und kulturellen Sachverhalten vermittelt werden. Diese Einordnungsleistung, die in
demokratischen Gesellschaften eine zentrale Funktion innehat, haben insbesondere die Abonne-
ments- wie auch die Gratispresse seit 2010 kontinuierlich reduziert (vgl. fög 2014).
Immer wieder werden das Internet und die gegenwärtige Wirtschaftskrise als Gründe für die kon-
statierte Medienkrise genannt. Doch diese Argumentation greift deutlich zu kurz. Gerade am Beispiel
der USA, wo die Krise sich am deutlichsten manifestiert hat und Zeitungen in zahlreichen Städten und
Regionen ihr Erscheinen einstellen mussten, zeigt sich, dass die Probleme der Printmedien oftmals
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hausgemacht waren und in der kommerziellen Institutionalisierung von Medienorganisationen zu
sehen sind (vgl. McChesney & Nichols 2010: 27-33). Die Besitzer der durch Konzentrationsprozesse
entstandenen Monopolzeitungen investierten ihre Gewinne nicht in die Redaktionen, sondern began-
nen, bei der Berichterstattung zu sparen und sich hohe Dividenden auszuzahlen (vgl. Franklin 2010:
446; Simon 2009: 38). Mit dieser Strategie aber wurde die Daseinsberechtigung von Tageszeitungen
nämlich die kritische und umfassende Berichterstattung über das Geschehen in ihrem Verbreitungs-
gebiet fundamental infrage gestellt. Die Tageszeitungen waren nicht nur in den USA also inhaltlich
bereits deutlich geschwächt, als durch die neue Onlinekonkurrenz und den konjunkturellen
Abschwung die Werbeeinnahmen wegbrachen. Die wegfallenden Anzeigenerlöse mit höheren Ein-
nahmen auf dem Lesermarkt zu kompensieren, gestaltet sich nun aber alles andere als einfach. Ganz
abgesehen von der viel beklagten Gratismentalität, die durch die kostenlose Bereitstellung journalisti-
scher Inhalte auf den eigenen Websites und in manchen Ländern wie beispielsweise der Schweiz
durch die Verteilung kostenloser ‹Pendlerzeitungen› massgeblich gefördert wurde (vgl. Imhof 2012:
72; W. A. Meier & Leonarz 2011: 2), stellt sich die viel grundsätzlichere Frage, ob nach all den Spar-
runden überhaupt noch eine journalistische Leistung erbracht wird, für die es sich zu zahlen lohnt.
«Instead of a news report so essential to the high-end readers that they might even amid the turmoil
of the Internet still charge for their product online and off, American newspapers will soon be offering
a shell of themselves in a market unwilling to pay for such […]» (Simon 2008).
Angesichts der Probleme der traditionellen Presse wird oftmals das Internet als Alternative propa-
giert. Bürgerjournalismus, Blogs und andere neue Onlineangebote sollen die Lücke füllen, welche die
herkömmlichen Medien hinterlassen, und gleichzeitig gesellschaftlichen Gruppierungen Zugang zur
Öffentlichkeit verschaffen, welche von den Massenmedien bisher zu wenig berücksichtigt wurden
(kritisch dazu Bosshart & Schönhagen 2013; Curran 2010: 446f.; Downey & Fenton 2003; Engesser &
Wimmer 2009; Franklin 2010: 446; Neuberger et al. 2009b; Schenk et al. 2014). Ohne die zahlreichen
neuen Angebote und ihr demokratisches Potenzial gering zu schätzen einen Ausweg aus der
Medienkrise stellen sie nicht dar. Bürgerjournalismus bietet allenfalls eine Ergänzung, aber keinen
Ersatz für professionellen Journalismus. So richten sich Blogs beispielsweise in der Regel an
Nischenpublika und sind thematisch begrenzt (vgl. Künzler & Schade 2009). Zudem sind Social Media
oftmals von den Leistungen klassischer Massenmedien abhängig: Ein beachtlicher Teil der auf Twitter
und Facebook geteilten Informationen verweisen auf von grossen Medienhäusern erstelle Inhalte (vgl.
McChesney & Nichols 2010; Neuberger & Lobigs 2010). Weiter ist zu bedenken, dass auch im Inter-
net die bekannten Medienkonzerne eine zentrale Rolle spielen. «Internet traffic mostly gravitates to
sites that aggregate and reproduce existing journalism, and the web is dominated by a handful of
players, not unlike old media. Indeed, they are largely the same players» (Nichols & McChesney
2010). Die führenden Medienorganisationen im Zeitungs- und Rundfunksektor betreiben die meist
besuchten Nachrichtenwebsites im Internet (für die Schweiz vgl. NET-Metrix 2014). Neue, alternative
Stimmen kommen im Netz zwar vor, finden aber weitaus weniger Beachtung als die dominanten
Medienmarken (vgl. Curran 2010: 469; Neuberger 2009: 66). Die neuen Onlineangebote können pro-
fessionellen Journalismus also nicht ersetzen, doch das soll nicht negieren, dass das Internet von
grosser Bedeutung für den Mediensektor ist. Zum einen ist davon auszugehen, dass das Internet in
Kombination mit neuen Lesegeräten künftig dem Papier den Rang als Vertriebskanal ablaufen wird.
Damit lassen sich auch die in der Zeitungsproduktion und -distribution anfallenden Fixkosten ent-
scheidend senken. Zum anderen können auch neue professionelle journalistische Angebote entste-
hen, die in Konkurrenz mit bestehenden Verlagen und Rundfunkorganisationen treten.
Der Vertriebskanal online oder nicht ist aber gar nicht die entscheidende Frage. Völlig unabhängig
davon, ob es sich um Printmedien, Radio, Fernsehen oder Onlineangebote handelt: Professioneller
tagesaktueller Journalismus ist auf eine mit ausreichenden Ressourcen ausgestattete Redaktion
angewiesen und das ist teuer. Dabei ist fraglich, ob die bisherige marktliche Finanzierung von
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Medienorganisationen über Anzeigen und Verkaufserlöse weiterhin ausreichen wird. Hinsichtlich der
Werbeeinnahmen besteht eine harte Konkurrenz mit nicht-journalistischen Angeboten wie Suchma-
schinen oder sozialen Netzwerken. «Advertising has shifted not from traditional news media to their
satellite news websites, but has leapfrogged instead to other parts of the Web which have nothing to
do with journalism» (Curran 2010: 468). Folglich nimmt der Anteil des Journalismus am Werbekuchen
online wie offline ab. Medienorganisationen sind deshalb auf die Gewinnung zahlender Leserinnen
und Leser angewiesen, die auch bereit sind, sich als Abonnenten für eine gewisse Dauer zu binden.
Voraussetzung dafür sind aber exklusive Inhalte, an denen stark gespart wurde.
Wie erfolgreich die Suche nach neuen Bezahlmodellen sein wird, ist derzeit noch offen. Während
einige Autoren überzeugt sind, dass mittels Onlineabonnements, Flatrates (pauschale Gebühr für die
Nutzung journalistischer Leistungen im Netz) und Micropayments (Bezahlung einzelner Artikel) «der
Kraftakt gelingen [werde], anspruchsvolle Publika weiterhin beziehungsweise wieder zur Kasse zu
bitten» (Ruß-Mohl 2009: 253), sind andere skeptischer. Sie beurteilen die Erfolgsaussichten soge-
nannter Paywalls überaus kritisch, da dadurch die Nutzerzahlen und damit die jetzt schon bescheide-
nen Werbeeinnahmen direkt in Mitleidenschaft gezogen würden (vgl. Curran 2010: 467; Franklin
2010: 448). Weiter wäre ein gemeinsames Vorgehen aller Verleger notwendig, und sogar dann
bestünde in europäischen Ländern eine Konkurrenz etwa durch die frei zugänglichen Onlineangebote
des öffentlichen Rundfunks (vgl. Franklin 2010: 447f.; McChesney & Nichols 2010: 70-75). Und ob
neue Werbeformen (behavioral targeting; native advertising) sowie neue Einnahmequellen wie die
Verwertung des Long Tail oder der Verkauf von Nutzerdaten (Data Mining) zu den erhofften Einnah-
men führen werden, ist noch völlig unklar.
2.2 Journalistische Arbeitsbedingungen in Zeiten von Konvergenz und Krise
Trotz Beteuerungen, mit weniger Ressourcen mehr leisten zu können («doing more with less»), wird
argumentiert, dass es schlicht nicht möglich sei, mit immer weniger Ressourcen die Qualität aufrecht-
zuerhalten und gleichzeitig auch noch Onlinekanäle zu bespielen: «You do less with less and more
with more. That’s why they call it more» (David Simon, zitiert in Lanahan 2008: 31). Entsprechend
dürfte die Medienkrise auch Einfluss auf die Arbeitsbedingungen von Journalistinnen und Journalisten
haben.
Studien aus den USA und Europa legen beispielsweise nahe, dass eine Umsetzung crossmedialer
Produktions- und Distributionsstrategien in Redaktionen zu einer Zunahme der Arbeitsbelastung und
des Zeitdrucks führen (vgl. Compton & Benedetti 2010: 494f.; K. Meier 2007: 11; Mitchelstein &
Boczkowski 2009: 568f.). Denn zum einen gehen aufgrund des Kostendrucks redaktionelle Restruktu-
rierungen hin zu crossmedialer Nachrichtenproduktion mit einem substanziellen Stellenabbau einher.
Zum anderen wird von den Journalistinnen und Journalisten erwartet, dass insbesondere auf den
verschiedenen Onlinekanälen laufend neue Nachrichten publiziert werden. Zwar wird davon ausge-
gangen, dass in konvergent strukturierten Redaktionen dank einer stärkeren Zusammenarbeit und
verbesserter Kommunikation Synergien im Bereich der Informationsbeschaffung möglich sind, und so
mehr Themen umfangreicher recherchiert und folglich mehr exklusive Geschichten produziert werden
können (vgl. K. Meier 2007). Einige Studien weisen aber darauf hin, dass unter dem Outputdruck und
den neuen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung, welche das Internet bereitstelle, sich die
Recherchearbeit stark verändert habe (vgl. Fenton & Witschge 2011: 158; Keel et al. 2010: 10f.).
Einerseits habe sich mit den neuen Kommunikationskanälen, die das Web 2.0 biete, die Interaktion
zwischen den Journalistinnen und Journalisten und ihren Quellen reduziert, schreiben Fenton und
Witschge (2011: 158). Dies habe aber einen «cut-and-paste journalism» (Erdal 2009: 228) zur Folge,
der stärker von Nachrichtenagenturen und Pressemitteilungen abhängig sei (vgl. auch Franklin 2010:
445). Andererseits habe die Ko-Orientierung aufgrund der Vielzahl an online zugänglichen Medien-
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quellen zugenommen (vgl. Keel et al. 2010: 31). Als Folge dessen werden negative Auswirkungen auf
die Berichterstattung erwartet, wie etwa ein Rückgang der Themen- und Meinungsvielfalt (vgl. Beck et
al. 2010; Compton & Benedetti 2010; Fenton & Witschge 2011).
Einige Autoren halten aber fest, dass mit konvergenten Redaktionsstrukturen nicht nur Sparpotenziale
ausgelotet würden. Ziel sei es auch, eine Optimierung der Arbeitsbedingungen mittels einer flexibleren
Arbeitsorganisation und flacheren Hierarchien zu erzielen. Ferner soll durch eine konvergente Organi-
sationsstruktur auch die Koordination in den Redaktionen verbessert sowie eine situative Anpassung
der journalistischen Arbeitsprozesse erleichtert werden (vgl. García Avilés et al. 2014; García Avilés et
al. 2009; K. Meier 2010). Die Studie von García Avilés und Carjaval (2008) deutet aber darauf hin,
dass der Koordinationsaufwand ansteigt, da die Abstimmung der Arbeitsabläufe aufgrund der unter-
schiedlichen Publikationstermine der verschiedenen Distributionskanäle viel komplexer geworden ist.
Ferner machen einige Autoren darauf aufmerksam, dass bei der Zusammenführung vormals getrenn-
ter Redaktionen unterschiedliche Arbeitsweisen und -routinen sowie unterschiedliche Qualitätsvorstel-
lungen der Journalistinnen und Journalisten aufeinanderprallen (vgl. Erdal 2009; Loosen 2005; K.
Meier 2007; Schmitz Weiss & Domingo 2010): «Journalists suddenly have to serve a new medium
with a different rhythm and news cycle, a distinct writing style and format, and a deviating set of
norms» (Tameling & Broersma 2013: 20). Und obwohl mit der Etablierung konvergenter Redaktionen
ein besseres Umfeld für die publizistische Arbeit geschaffen werden soll (vgl. K. Meier 2007: 17),
erweist sich die crossmediale Nachrichtenproduktion als eine grosse Herausforderung für die Journa-
listinnen und Journalisten: «It is difficult for the same journalist to carry out a quality job in all media,
for each of them demands skills and competences that are only achieved with dedication and experi-
ence» (García Avilés & Carvajal 2008: 237). Ob diese Kompetenzen und Erfahrungen unter dem
erwähnten Zeitdruck und dem höheren Arbeitsvolumen etabliert werden können, ist ungewiss.
Ghersetti (2014) zeigt jedenfalls in ihrer Analyse der Wahlberichterstattung in schwedischen Tageszei-
tungen und in den entsprechenden Online-Pendants, dass redaktionelle Konvergenz primär zu identi-
schen Inhalten auf den verschiedenen Distributionskanälen führt.
Erste Ergebnisse von Expertenbefragungen im Rahmen eines laufenden Nationalfondsprojekts zeigen
vergleichbare Folgen für die journalistische Arbeit in der Schweiz auf. Durch eine vermehrte Orientie-
rung an Renditeerwartungen kommt es u. a. zu einer Verkleinerung von Redaktionen, wodurch diese
«anfälliger für Einflüsse der vergrösserten PR-Stäbe von privaten und öffentlichen Organisationen»
würden. Journalistinnen und Journalisten würden verstärkt in ökonomischen Kategorien denken und
«die Schranken zwischen Redaktionen und wirtschaftlichen Bereichen durchlässiger» (Künzler &
Studer 2013: 173). Zudem stünde bei Umstrukturierungen von Redaktionen vor allem auch die Reali-
sierung von Sparzielen im Vordergrund (vgl. Hofstetter 2013). Dies zeigt auch das Protestschreiben
von 121 Redaktoren des Tages-Anzeigers, worin diese u. a. «eine Arbeitsbelastung weit über das
korrekte Mass hinaus» beklagen (Marti 2013).
Entsprechend lautet die erste Fragestellung dieser Studie, wie es um die journalistischen Arbeitsbe-
dingungen in Schweizer Redaktionen aus Sicht der Journalistinnen und Journalisten bestellt ist und
wie sich die Situation in den letzten Jahren verändert hat.
2.3 Einschränkungen der Berichterstattungsfreiheit
In Zeiten des Sparens stellt sich auch nochmals verschärft die Frage, inwiefern dadurch die Bericht-
erstattungsfreiheit innerhalb von Redaktionen beeinträchtigt wird. Generell wird in der Literatur
davon ausgegangen, dass die Möglichkeiten, kritisch und unabhängig von Beeinflussungsversuchen
über Werbekunden, das eigene Unternehmen sowie Mediensystem und Medienpolitik zu berichten,
deutlich eingeschränkt sind.
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So konnte erstens ein Einfluss der Werbefinanzierung auf Medieninhalte aufgezeigt werden. Über
einen strukturellen Einfluss hinaus, der aufgrund des Interesses der Werbewirtschaft an einem geeig-
neten Werbeumfeld und an der Erreichung einer bestimmten Zielgruppe einen werblich definierten
Zielgruppenjournalismus begünstigt (vgl. Bagdikian 2000; Baker 1994; Heinrich 1999; Kiefer 2005), ist
auch ein instrumenteller Einfluss teilweise nachgewiesen worden (vgl. Porlezza 2014; Reimann &
Schopf 2012). Entsprechend ist im Falle grosser Anzeigenkunden auch mit einer gewissen Zurückhal-
tung bezüglich kritischer Berichterstattung zu rechnen. Studien machen deutlich, dass die ökonomi-
schen Eigeninteressen von Medienunternehmern für die Berichterstattung durchaus von Bedeutung
sind (vgl. Kepplinger 2000): Einer kritischen und unabhängigen Berichterstattung über Werbekunden
sind also gewisse Grenzen gesetzt (vgl. Turow 1994: 35).
Zweitens konnte empirisch auch nachgewiesen werden, dass die Eigenberichterstattung häufig von
Unternehmensinteressen geleitet ist. So konnte in Studien gezeigt werden, dass die Berichterstattung
über die wirtschaftliche Entwicklung des eigenen Medienunternehmens (vgl. Herkman 2004) und über
Fusionen von Medienunternehmen (vgl. Beck 2001; Kemner et al. 2008; Müller & Donsbach 2006)
von den ökonomischen Interessen des Unternehmens, dem ein Medium gehört, beeinflusst ist.
Und drittens scheint dies auch auf die Berichterstattung über medienpolitische Themen zuzutref-
fen. Über Lobbying zur Beeinflussung des politischen Prozesses hinaus, wird auch die Berichterstat-
tung über Medienpolitik deutlich von den Partikularinteressen des Medienunternehmens geprägt (vgl.
Freedman 2008, 2010; McChesney 2008; Snider & Page 2003). Die wenigen empirischen Untersu-
chungen in diesem Bereich weisen entweder eine verzerrte Berichterstattung («media policy bias»)
oder gar eine fehlende Berichterstattung («media policy silence») nach (vgl. Gilens & Hertzman 2000;
Pratte & Whiting 1986; Snider & Page 2003; Weiß 1985, 1986, 1988):
«Corporate media are in an ideal position to control the public perception, or lack thereof, of any
possible debate regarding the control and structure of the media. The media have shown two basic
responses to efforts to challenge their legitimacy. First, they simply ignore the issues or provide it
minimal coverage. […] Second, the […] media distort the issues to suit their own purposes»
(McChesney 2008: 349f.).
In diesem Zusammenhang wird auch vom sogenannten «second face of power» (Bachrach & Baratz
1962) gesprochen: Zusätzlich zur sichtbaren Ausübung von Macht, beispielsweise in Form von Lobby-
ing, wird versucht, die medienpolitische Agenda zu beeinflussen und unliebsame Themen und Pro-
bleme als «non-issues» zu definieren und damit ein «non-decision-making» im Interesse der Medien-
unternehmen zu erreichen. Eine Strategie hierzu ist es, unliebsame medienpolitische Ideen als unver-
einbar mit der Medienfreiheit zu bezeichnen und sie so zu delegitimieren (vgl. McChesney 2008). Es
kann entsprechend vermutet werden, dass damit auch die Berichterstattung über das Onlineangebot
der SRG (vgl. Schweizer et al. 2014) und neue Konzepte der Medienförderung von einem Bias betrof-
fen sind.
Bisher gibt es indes keine Forschung zur Frage, inwiefern die Medienkrise diese Tendenzen verstärkt
hat. Anekdotische Evidenzen von Journalistinnen und Journalisten deuten aber darauf hin, dass die
Möglichkeiten frei zu berichten immer stärker eingeschränkt werden. Genannt wurden in Gesprächen
mit Vertretern des Journalistenverbandes impressum u. a. die inhaltliche Einmischung von kommer-
ziellen Kunden der Medienunternehmen (Anzeigenkunden) und der steigende Zeitdruck, der eigen-
ständige Recherchen oder die Überprüfung von Medienmitteilungen teilweise ganz verunmöglicht
von einer Vertiefung ins jeweilige Thema ganz zu schweigen. Auch steige der Druck zur «Selbstzen-
sur» durch die Angst, das eigene Unternehmen durch kritische Berichterstattung wirtschaftlich zu
schädigen. Solche Reaktionen sind aus der Forschung bekannt (vgl. Höchli 2010: 259-274), die zeigt,
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dass «sich Medienschaffende häufig eine Art Selbst- oder Vorzensur auf[erlegen], um keine persönli-
chen Nachteile befürchten zu müssen» (Siegert et al. 2010: 527).
Entsprechend lautet die zweite Fragestellung dieser Studie, inwiefern die Berichterstattungsfreiheit
über das eigene Unternehmen, Werbekunden und Medienpolitik aus Sicht der Journalistinnen und
Journalisten eingeschränkt ist und wie sich die Situation in den letzten Jahren verändert hat.
2.4 Grundlage für medienpolitische Entscheidungen
Für die Schweizer Medienpolitik besteht dringender Bedarf nach wissenschaftlich gesicherten
Erkenntnissen über die Entwicklung der journalistischen Arbeitsbedingungen und Einschränkungen
der Berichterstattungsfreiheit in Redaktionen.
Medienunternehmen in der Schweiz befinden sich weiterhin in einer massiven Finanzierungskrise.
Neue Geschäftsmodelle sind noch nicht gefunden worden, die Erfolgsaussichten von Paywalls oder
Data Mining sind ungewiss. Sofern sich diese Krise auf die journalistische Leistung und Qualität aus-
wirkt, wofür vieles spricht, dann stellt sich auch die Frage, inwiefern Medienförderung einen Ausweg
aus der Krise darstellen könnte. So wurde in vergangenen Studien vorgeschlagen, in Anbetracht der
Medienfinanzierungskrise und des zweifelhaften Erfolgs indirekter Massnahmen eine direkt-selektive
Medienförderung einzuführen (vgl. Künzler et al. 2013).
Mit der vorliegenden Studie soll ein Beitrag dazu geleistet werden, dass dem Bundesamt für Kommu-
nikation, aber auch der Eidgenössischen Medienkommission und der Politik eine solide Grundlage für
Entscheidungen über die künftige Ausgestaltung des Schweizer Mediensystems zur Verfügung steht.
3. Methodische Herangehensweise
Das Projekt wurde mit einer Kombination aus qualitativen und quantitativen Methoden durchge-
führt. Im Rahmen qualitativer Vorstudien wurden erste Erkenntnisse gewonnen, die als Basis für die
Entwicklung des standardisierten Fragebogens, also des Instruments der anschliessenden Onlinebe-
fragung der Mitglieder von impressum dienten. Dazu wurden eine Gruppendiskussion mit drei
Deutschschweizer Journalistinnen und Journalisten sowie ein teilstandardisiertes Interview mit einem
Westschweizer Journalisten durchgeführt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verfügen zum Teil
über langjährige Erfahrung in unterschiedlichen Redaktionen und Medienhäusern. Zudem wurden 24
Leitfadeninterviews mit Chefredaktoren sowie Journalistinnen und Journalisten aus vier Deutsch- und
zwei Westschweizer Redaktionen, die im Rahmen eines vom Nationalfonds finanzierten Projekts 2013
durchgeführt worden waren, mit Blick auf die geplante Befragung ausgewertet.
1
Ein solcher Metho-
denmix erlaubt eine fundierte Fragebogenentwicklung.
3.1 Qualitative Vorstudien
Als Grundlage für die Entwicklung des Onlinefragebogens wurden eine Gruppendiskussion und ein
teilstandardisiertes Interview durchgeführt.
Bei der Gruppendiskussion manchmal auch Fokusgruppe genannt handelt es sich um eine in
der empirischen Sozialwissenschaft relativ junge Methode. Lamnek (2005: 69-77) nennt unter ande-
1
Es handelte sich um das Teilprojekt «Journalistisches Handeln im Kontext des Strukturwandels der Medien-
landschaft und der Finanzkrise» (Leitung: Prof. Dr. Philomen Schönhagen und Prof. Dr. Dominique Bourgeois,
Durchführung: lic. rer. soc. Brigitte Hofstetter), das im Rahmen des Sinergia-Projekts «Krise und Wandel der
Medien in der Schweiz» auf verschiedenen Ebenen Ursachen, Formen und Folgen der strukturellen Krise von
Medien in der Schweiz untersuchte. Das Projekt wurde Ende April 2014 abgeschlossen.
9/64
rem die Durchführung von Pretests und die Evaluation anderer methodischer Instrumente als zentrale
Einsatzbereiche von Gruppendiskussionen. Daneben könnten sie als Korrektiv und Komplement zu
anderen Erhebungsmethoden (insbesondere Befragung) eingesetzt werden. Teilnehmerinnen und
Teilnehmer können grundsätzlich Angehörige einer Realgruppe oder einer Ad-hoc-Gruppe sein; in
letzterem Fall können die Teilnehmer nach den Kriterien der Homogenität oder Heterogenität ausge-
wählt werden (vgl. Kühn & Koschel 2011: 76-83; Lamnek 2005: 104-109). Für die hier durchgeführte
Gruppendiskussion wurde eine Ad-hoc-Gruppe gebildet, d. h. die Teilnehmer wurden nach bestimm-
ten Vorgaben der Forschenden rekrutiert. Dabei wurde sowohl auf Homogenität (langjährige Journa-
list/innen) und Heterogenität (Teilnehmer aus verschiedenen Redaktionen) geachtet.
Teilstandardisierte Interviews basieren auf Alltagsgesprächen. Dennoch gibt es zwei wesentliche
Unterschiede: Einerseits besteht eine klare Rollenteilung zwischen Interviewer und Interviewtem,
andererseits handelt es sich um ein strukturiertes Gespräch mit einem bestimmten Zweck (vgl. Kvale
1996: 6, 131; Mason 2002: 67). Durch die Interviews soll die Perspektive der Interviewten «auf das
Handlungsfeld, ihre zugrunde liegenden Orientierungen und Handlungsmuster» (Liebold & Trinczek
2002: 58) erhoben werden. Gruppendiskussionen wie Interviews dienen nicht der reinen Wissensab-
frage. Vielmehr stehen die kommunikative Erschliessung und analytische Rekonstruktion von subjek-
tiven Wissensbeständen, Relevanzstrukturen, Sichtweisen, Interpretationen und Routinen im Zentrum
(vgl. Bogner & Menz 2002: 37f., 43f.; Meuser & Nagel 1991: 452f.).
Der für Gruppendiskussion und Interview entwickelte Leitfaden stellt sicher, dass alle wichtigen
Aspekte berücksichtigt werden. Der Leitfaden übersetzt, basierend auf theoretischen Vorüberlegun-
gen, die Forschungsfragen in Interviewfragen. Die Themen stammen folglich aus der bestehenden
Literatur, dem Vorwissen des Forschers und informeller Vorarbeit. Der Leitfaden gibt die abzudecken-
den Themen vor und umfasst mögliche Fragen, doch stellt er kein zwingendes Ablaufmodell dar.
Vielmehr belässt er dem Interviewer Flexibilität und Entscheidungsfreiheit bezüglich Fragenreihen-
folge und Frageform (vgl. Gläser & Laudel 2004: 138; Kühn & Koschel 2011: 100-104; Kvale 1996: 27,
129; Meuser & Nagel 1991: 449). In Gruppendiskussionen kommt dem Moderator eine entscheidende
Rolle zu, damit sich die Diskussion möglichst offen unter den Teilnehmern entwickeln kann. Demzu-
folge soll sich der Moderator zwar richtungsgebend, unterstützend und ausgleichend verhalten, jedoch
gleichzeitig diplomatisch, fachlich kompetent und meinungslos auftreten (vgl. Bogner & Leuthold 2009:
164f.).
Vor diesem Hintergrund wurde ein Leitfaden für die Vorstudie (Gruppendiskussion und Interview) ent-
wickelt. Dieser enthielt Fragen bezüglich der journalistischen Arbeitsbedingungen sowie hinsichtlich
des zweiten Erkenntnisziels des vorliegenden Projekts, der Berichterstattungsfreiheit in Schweizer
Redaktionen. Der Leitfaden wurde mit einem Journalisten in einem Pretest auf seine Validität geprüft
sowie vorgängig mit anderen Forschern besprochen, um missverständliche Fragen zu eruieren und
den Ablauf der Themen zu optimieren.
Die knapp zweistündige Gruppendiskussion und das eineinhalbstündige Interview wurden für die
Auswertung transkribiert und anschliessend mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (vgl.
Fürst et al. 2015; Mayring 2010; Nawratil & Schönhagen 2009).
Zusätzlich zu diesen neu durchgeführten Gesprächen wurden teilstandardisierte Interviews, die im
Rahmen des Sinergia-Projekts «Journalistisches Handeln im Kontext des Strukturwandels der
Medienlandschaft und der Finanzkrise» durchgeführt worden waren, gezielt mit Blick auf veränderte
Arbeitsbedingungen zweitausgewertet. Für das Sinergia-Projekt wurden sechs Verlagsleiter, sechs
Chefredaktoren sowie 18 Journalistinnen und Journalisten aus sechs Schweizer Medienhäusern
10/64
befragt.
2
Die Befragten arbeiten (oder arbeiteten) in der frankophonen Redaktion der meistgelesenen
Zeitung der Schweiz, der Gratiszeitung 20 Minuten/20 minutes, bei der Boulevardzeitung Blick, beim
ebenfalls überregional verbreiteten Tages-Anzeiger sowie bei drei regionalen Zeitungen
(L’Express/L’Impartial, Bieler Tagblatt, Aargauer Zeitung). Das Hauptinteresse dieser Interviews galt
der Umstellung dieser Redaktionen auf crossmediales Produzieren und den damit verbundenen Fol-
gen für die Arbeitsbedingungen und Arbeitsweisen in den Redaktionen. Mit dem Ziel, unterschiedliche
Stadien der Umstellung hin zu verstärkter crossmedialer Nachrichtenproduktion zu berücksichtigen,
erfolgte die Auswahl der Fälle nach einer Analyse von Geschäftsberichten, Organisationsdiagrammen,
Pressemitteilungen und Pressetexten. Die Interviewpartner wurden nach der Positionstechnik gewählt,
mit welcher die zu Interviewenden gemäss ihrer formalen Position in den untersuchten Organisationen
ermittelt werden (vgl. Schmid 1995: 315).
Die Interviews, die als Transkripte in normaler Schriftsprache ohne aufwendige Notationssysteme
vorlagen, wurden anhand eines deduktiv (aus Fragestellung, theoretischen Überlegungen und For-
schungsstand) und induktiv (aus dem Datenmaterial) entwickelten Kategorienschemas durchgearbei-
tet und die Textpassagen den jeweiligen festgelegten Kategorien zugeordnet (vgl. Lamnek 2005: 506;
Mason 2002: 159ff.; Mayring 2010; Nawratil & Schönhagen 2009). Diese inhaltliche Kategorisierung
als Form der qualitativen Inhaltsanalyse wurde mit der Software MAXQDA (vgl. Kuckartz 2010) reali-
siert, die eine Zuordnung von Textpassagen zu Kategorien in übersichtlicher Weise erlaubt. Für die
vorliegende Untersuchung wurden insbesondere die Textpassagen jener Kategorien inhaltlich mitei-
nander verglichen, die Hinweise auf die Arbeitsbedingungen in konvergenten Redaktionen liefern. Mit
dem hier verfolgten thematischen Vergleich werden Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Widersprü-
che herausgearbeitet und verdichtet. Dabei gilt es, durch den Vergleich verschiedener Gruppen von
Interviewten auch mögliche Muster und Grundtendenzen aufzudecken (vgl. Lamnek 2005: 404; Lie-
bold & Trinczek 2002: 53f.; Rubin & Rubin 2005: 201, 208). Die sechs Interviews mit Verlagsleitern
werden in der nachfolgenden Darstellung der Ergebnisse (Abschnitt 4.1) nicht berücksichtigt. Diese
enthalten in Bezug auf Arbeitsbedingungen wenig bis gar keine Hinweise, da die Verlagsleiterinnen
und -leiter in erster Linie nach den Motiven und Zielen redaktioneller Reorganisation und nach den
realisierten Veränderungen in der redaktionellen Struktur befragt wurden.
Die Ergebnisse aus den 24 Interviews wurden von der Gruppendiskussion und den Aussagen des
Interviewpartners durchwegs unterstrichen. Auf Basis dieser Auswertungen und des Forschungsstan-
des zu Arbeitsbedingungen (vgl. Compton & Benedetti 2010; K. Meier 2007; Mitchelstein &
Boczkowski 2009) und Berichterstattungsfreiheit (vgl. etwa Freedman 2010; Kemner et al. 2008;
McChesney 2008; Porlezza 2014) wurde dann der standardisierte Fragebogen für die Onlinebefra-
gung entwickelt.
3.2 Standardisierte Befragung
Auf Basis dieser Vorarbeiten wurde ein Entwurf des standardisierten Fragebogens für die Onlinebe-
fragung ausgearbeitet (zur Methode siehe Möhring & Schlütz 2010; Scholl 2009). Die Untersuchung
zielt darauf, die Arbeitsbedingungen und die redaktionelle Berichterstattungsfreiheit sowohl mit Blick
auf den Status quo als auch mit Blick auf einen möglichen Wandel zu erfassen. Um eine möglichst
hohe Rücklaufquote zu gewährleisten, wurde der Fragebogen so konzipiert, dass er in etwa zwölf
Minuten zu beantworten war. Konzeptionell besteht der Fragebogen aus vier Dimensionen, nament-
lich der Messung bzw. Erhebung
2
Sechs der 18 JournalistInnen waren so genannte Aussteiger, die die betreffenden Redaktionen während oder
nach einer Restrukturierung in Richtung redaktioneller Konvergenz verlassen hatten. Von ihnen erhofften wir
uns einen anderen und womöglich kritischeren Blick auf die Folgen dieser Umstrukturierungen.
11/64
von redaktionellen Ressourcenkürzungen und der Zunahme des ökonomischen Drucks (Abfrage
von Wandel);
der Arbeitsbedingungen der befragten Journalistinnen und Journalisten (Abfrage von Gegenwart
und Wandel);
der redaktionellen Berichterstattungsfreiheit mit Blick auf Berichte über das eigene Medienunter-
nehmen, über Medienpolitik und über Werbekunden sowie die Berichterstattungsfreiheit mit Blick
auf Themen, die für den Befragten und seine Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion von
herausragender Bedeutung sind (Abfrage von Gegenwart und Wandel);
von Hintergrundinformationen, die für die Auswertung der Daten von Bedeutung sind, wie etwa
Ressortzugehörigkeit, sprachregionale Zielgruppe des Mediums etc. (Abfrage von Gegenwart).
Die Einschätzungen zur Gegenwart wurden auf einer sechsstufigen, endverbalisierten Skala abgefragt
(0 = gar nicht, 5 = sehr stark/sehr häufig). Für die Abfrage des Wandels (Veränderung in den letzten
fünf Jahren) wurde eine elfstufige Skala zugrunde gelegt (-5 = abgenommen, 0 = gleichgeblieben,
5 = zugenommen).
In einem ersten Schritt wurde der Fragebogenentwurf einem Pretest mit fünf Journalistinnen und
Journalisten unterzogen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der qualitativen Vorstudie sowie aus-
gewählte Medien- und Politikjournalisten stellten sich zur Verfügung, um die Beantwortungsdauer zu
testen und den Fragebogen hinsichtlich Verständlichkeit und potenziell fehlender Aspekte kritisch zu
prüfen. Daraufhin wurden einzelne Fragen präziser und allgemein verständlicher formuliert. Tieferge-
hende Veränderungen am Fragebogen mussten nicht vorgenommen werden. Im zweiten Schritt
wurde die abschliessende Version des Fragebogens (siehe Anhang) ins Französische übersetzt, um
für die Befragung der Westschweizer Journalistinnen und Journalisten eingesetzt werden zu können.
Aufgrund beschränkter Ressourcen wurde von einer Übersetzung ins Italienische abgesehen. Italie-
nischsprachige Journalistinnen und Journalisten wurden in den Anschreiben in italienischer Sprache
angesprochen und konnten zwischen einem deutsch- oder französischsprachigen Fragebogen frei
wählen.
Durch die Unterstützung des Journalistenverbandes impressum (5'060 Mitglieder) konnte auf mehr als
die Hälfte aller Personen zugegriffen werden, die in der Schweiz in unterschiedlichen Journalistenver-
bänden eingetragen sind (vgl. Keel 2011: 99). Die Schweizer Journalistenverbände organisieren die
Interessen von Journalistinnen und Journalisten, haben jedoch auch Mitglieder, die nicht oder nicht
mehr im Journalismus tätig sind. Die Grundgesamtheit unserer Studie musste daher genauer definiert
werden. Sie besteht aus allen Mitgliedern des Schweizer Journalistenverbandes impressum (Voll-
erhebung), die
in einer Schweizer Redaktion tätig sind;
nicht ausschliesslich, aber zumindest hauptsächlich für eine Redaktion tätig sind;
zwischen 20 und 65 Jahre alt sind;
und über eine E-Mail Adresse zur Onlinebefragung eingeladen werden konnten.
Diese Auswahlkriterien begründen sich zum einen dadurch, dass die Mitgliedschaft bei impressum
weder an eine Tätigkeit als Journalist/in noch an eine Tätigkeit in der Schweiz gebunden ist. Zum
anderen zielt die Studie auf die gegenwärtigen und vergangenen Prozesse und Strukturen in journalis-
tischen Redaktionen. Daher musste sichergestellt werden, dass die Befragten gegenwärtig haupt-
sächlich in einer Redaktion tätig sind und zugleich mehrjährige journalistische Erfahrungen haben.
Von den ursprünglich 5'060 Kontaktdaten bilden 3'282 Personen die Grundgesamtheit unserer Studie
(siehe Tabelle 1).
12/64
Tabelle 1: Von der Gesamtheit der Kontaktdaten zur Grundgesamtheit der Studie
Personenstatus
Mitglieder bei impressum
Mitglieder ohne gültige E-Mail-Adresse
Mitglieder mit Tätigkeit für Auslandspresse
Mitglieder, die älter als 65 Jahre oder jünger als 20 Jahre sind
Mitglieder, die nicht im Journalismus tätig sind
Mitglieder, die nicht hauptsächlich für eine Redaktion arbeiten
Grundgesamtheit der Studie
Anhand der Kontaktdaten war in vielen Fällen nicht zu erkennen, ob eine Person im Journalismus tätig
ist. Auch konnte aus den Kontaktdaten nicht geschlossen werden, ob eine Person hauptsächlich für
eine Redaktion arbeitet. Entsprechend wurden zu Beginn der Onlinebefragung Filterfragen eingesetzt.
Jene Personen, die bei diesen Fragen angaben, dass sie «nicht (mehr) als Journalist/in tätig» sind,
«nur Gelegenheitsjournalist/isind oder nicht «mehrheitlich für einen bestimmten Medientyp» arbei-
ten, wurden von allen weiteren Fragen und damit als Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Befragung
ausgeschlossen. Da diese Fragen (Frageblock B und C, siehe Anhang) für die Auswahl der Befragten
wichtig waren, wurde an dieser Stelle ein Antwortzwang gesetzt. Alle anderen Fragen, die in diesem
Bericht ausgewertet werden, mussten von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht zwingend
beantwortet, sondern konnten übersprungen werden.
Die Onlinebefragung wurde mit EFS Survey durchgeführt. Kurz bevor die Teilnehmerinnen und Teil-
nehmer per E-Mail zur Befragung eingeladen wurden, erhielten sie einen Newsletter von impressum,
der die Befragung ankündigte und zur Teilnahme an der Studie aufrief.
3
Die Onlinebefragung wurde
am 11.06.2014 gestartet und endete mit dem 15.07.2014. Innerhalb dieses Zeitraums erhielten die
Befragten zwei Erinnerungsnachrichten. Insgesamt nahmen 1'128 Journalistinnen und Journalisten an
der Befragung teil, was eine sehr zufriedenstellende Rücklaufquote von rund 34 % ergibt.
Tabelle 2 dokumentiert die Zusammensetzung der Netto-Stichprobe hinsichtlich der unterschiedlichen
Medientypen und Sprachräume, für welche die Redaktionen hauptsächlich publizieren, sowie hinsicht-
lich der Funktion, die der/die Befragte innerhalb der Redaktion ausübt.
Die Befragten wurden sowohl in den E-Mail-Einladungen zur Befragung als auch auf der Begrüs-
sungsseite der Onlinebefragung darauf hingewiesen, dass ihre Antworten anonym und streng vertrau-
lich behandelt werden. Des Weiteren wurde deutlich darauf hingewiesen, dass keine Rückschlüsse
auf den Namen ihrer Redaktion gezogen werden können. Dies sollte die Teilnehmerinnen und Teil-
nehmer ermutigen, angesichts sensibler Fragen zu Arbeitsbedingungen und Berichterstattungsfreiheit
möglichst offen und ehrlich zu antworten.
Nach Abschluss der Befragung wurden die Daten bereinigt. Als Teilnehmerinnen und Teilnehmer der
Studie zählen alle diejenigen, die mindestens die ersten drei Frageblöcke (A bis C) ausgefüllt haben.
Im Rahmen dieses Berichtes werden deskriptive Daten vorgestellt und erläutert. Dabei wird insbeson-
dere eine vergleichende Betrachtung zwischen verschiedenen Medientypen und Sprachräumen vor-
genommen. Die Datenauswertung erfolgte mit der Statistiksoftware SPSS.
3
Impressum-Newsletter vom 11.06.2014: «Online-Befragung der Uni Freiburg zu Umbrüchen im Journalis-
mus». URL: http://www.impressum.ch/impressum-de/i-news/i-Express/2014/140606.html.
13/64
Tabelle 2: Anteile der Befragten differenziert nach Medientypen, Sprachraum und Funktion
des Befragten
Medientyp
Fallzahl (n)
Anteil in %
National verbreitete Tageszeitung (z. B. Tages-Anzeiger)
132
12 %
Lokal bzw. regional verbreitete Tageszeitung (z. B. St. Galler Tagblatt)
253
22 %
Gratis-Pendler-Zeitung
22
2 %
Gratis-Lokalanzeiger
19
2 %
Wochenzeitung/Sonntagszeitung
104
9 %
Illustrierte/Zeitschrift
127
11 %
Mitgliedschafts-, Verbands-/Fachpresse; Kundenzeitungen/-magazine
121
11 %
Öffentliches Fernsehen (SRG)
67
6 %
Öffentliches Radio (SRG)
67
6 %
Privates Fernsehen
31
3 %
Privates Radio
66
6 %
Reines Onlinemedium
40
4 %
Nachrichtenagentur/Presse- und Mediendienst
65
6 %
Sonstige
14
1 %
Sprachraum
Fallzahl (n)
Anteil in %
Deutschsprachige Schweiz
439
39 %
Französischsprachige Schweiz
381
34 %
Italienischsprachige Schweiz
56
5 %
Rätoromanische Schweiz
3
0 %
Keine Angabe
249
22 %
Funktion des/der Befragten
Fallzahl (n)
Anteil in %
Freie(r) Journalist/in
228
20 %
Feste(r) Mitarbeiter/in
612
54 %
Ressortleiter/in
149
13 %
Chefredaktor/in
139
12 %
4. Ergebnisse
Im Folgenden werden die Ergebnisse aus den qualitativen Vorstudien sowie der standardisierten
Befragung in drei Unterkapiteln dargestellt. Dabei stehen die Arbeitsbedingungen sowie die Bericht-
erstattungsfreiheit im Fokus. Bei der standardisierten Befragung wird zusätzlich der ökonomische
Druck betrachtet. Daran schliessen sich Zusatzauswertungen hinsichtlich Ressorts, Online-Medien
und der italienischsprachigen Schweiz an.
14/64
4.1 Qualitative Vorstudien
4.1.1 Arbeitsbedingungen
Bezüglich der Arbeitsbedingungen wurde in den Interviews und der Gruppendiskussion insbesondere
beklagt, dass die zeitlichen Ressourcen für die «Königsdisziplin» Recherche in den letzten Jahren
stark beschnitten worden seien, insbesondere bei Tageszeitungen, weniger bei Wochen- oder Sonn-
tagszeitungen. Zwar gebe es auch Ausnahmen in einzelnen Ressorts sowie für einzelne Journalistin-
nen und Journalisten («top guns» oder «sénateurs», «Elite»); und aus den Interviews der Sinergia-
Studie geht hervor, dass in crossmedial (v. a. Print/Online) arbeitenden Redaktionen mittels einer
neuen Arbeitsteilung versucht wird, Journalistinnen und Journalisten für längere Recherchen freizu-
spielen, die exklusive Geschichten oder vertiefende Analysen ausgewählter Beiträge ermöglichen
sollen. Diesem Anspruch stehen jedoch Aussagen entgegen, die darauf hinweisen, dass im Allgemei-
nen für die Recherche von Geschichten nur noch ein oder maximal zwei Tage zur Verfügung stünden.
«Der Kampf, die Seiten und Sites mit Inhalten zu füllen, der ist täglich da», schildert der Chefredaktor
einer regionalen Tageszeitung. Praktisch alle im Rahmen des Sinergia-Projekts interviewten Journa-
listinnen, Journalisten und Chefredaktoren weisen allerdings auf einen verbesserten Informationsaus-
tausch in konvergenten Redaktionen hin, der im Bereich der Recherche Synergien erzeuge. Darauf
verweisen auch einige Autoren internationaler Studien (vgl. Erdal 2009; K. Meier 2007). Trotzdem
bleibt das Problem der fehlenden Zeit für die Beschaffung von vielfältigen Informationen, um ein
Thema aus unterschiedlichen und widerstreitenden Blickwickeln darstellen zu können. Dieser
Umstand wird auf die starken personellen Einschnitte zurückgeführt, die einige Redaktionen und Res-
sorts hinnehmen mussten, aber auch auf die zeitgleiche Erweiterung der Berichterstattung auf Online-
und Social-Media-Kanäle. Um mit den vorhandenen Ressourcen Sites und Seiten zu füllen und über
Twitter, Facebook & Co. zu verbreiten, erhöhe sich der «Output-Druck». In der Gruppendiskussion
war in diesem Zusammenhang, wenn auch explizit als Zuspitzung, von einer «Industrialisierung der
Medien» die Rede. Als Folge dessen werden primär Ad-hoc-Recherchen gemacht und die Möglich-
keit, über mehrere Tage hinweg einen Beitrag recherchieren zu können, werde immer seltener. The-
men, die interessant wären, aber nicht von heute auf morgen recherchiert werden können, fallen ent-
weder weg oder werden trotzdem innerhalb eines Tages druckfertig gemacht.
Einige Aussagen legen nahe, dass diese festgestellten kürzeren Recherchephasen letztendlich auch
die Schaffung und Pflege eines Netzwerkes von Informanten behindern. Es bleibe kaum mehr
Raum für informelle Gespräche nach Pressekonferenzen, die für den zeitintensiven Aufbau eines
umfassenden Netzwerkes von Bedeutung sind. Ohne ausgesprochen gute Verbindungen zu Perso-
nen beispielsweise aus Politik und Wirtschaft sei jedoch kein investigativer Journalismus möglich. Es
verringere sich die Chance, zu eigenen und interessanten Geschichten zu gelangen, die gesellschaft-
lich relevante Sachverhalte aufgreifen. «Für einen guten Journalismus sind wir auf ein Netzwerk von
Informanten angewiesen, dieses aber bricht zusehends zusammen und mit ihm der Zugang zu wichti-
gen Informationen», bedauert ein Journalist einer Regionalzeitung. Ein guter Zugang zu Quellen und
Informationen sei «das A und O» vor allem im lokalen Journalismus, der insgesamt weniger auf Agen-
turmaterial zurückgreifen kann. Die Journalistinnen und Journalisten seien aber hierfür zu wenig
unterwegs und darüber hinaus immer öfter unzureichend informiert, um solche Verbindungen umset-
zen und pflegen zu können. Diese Entwicklung stehe jedoch nicht ausschliesslich mit dem Zusam-
menwachsen mehrerer Kanäle in einem Newsroom in Zusammenhang. Es wird bemerkt, dass dies
auch an der Zunahme und Professionalisierung der Pressestellen von Unternehmen und Verbänden
liege, die den Zugang zu Informationen jenseits der Pressestellen immer schwieriger mache. Wenn
aber Journalistinnen und Journalisten in ihrem geografischen oder thematischen Gebiet gut verwurzelt
seien, dann gelangten sie nach wie vor an exklusive Informationen und gehaltvolle Geschichten, wie
15/64
zwei Journalisten präzisieren. Die dazu notwendigen Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, sei auf-
grund des Zeitdrucks aber kaum mehr möglich, wird in den Interviews mehrfach erwähnt. Ein
Gesprächsteilnehmer in der Gruppendiskussion gab aber zu bedenken, dass die Journalistinnen und
Journalisten sich «weitgehend selbst ans Pult binden». Gewiss weil man zum einen zwischen den
Geschichten unter Termindruck stehe, zum anderen aber auch aus Bequemlichkeit, die durch die
Abrufbarkeit von Informationen via digitaler Kanäle begünstigt wird. Damit wird in den Redaktionen
jene zentrale Ressource abgebaut, mit welcher originäre Geschichten produziert und gesellschaftlich
relevante Themen differenziert bearbeitet werden können. Als Folge dessen steigt die in der For-
schungsliteratur diskutierte Gefahr eines zunehmend von Agentur- und Pressemitteilungen sowie
Onlinerecherche abhängigen «cut-and-paste journalism» (Erdal 2009: 228), der die Berichterstattung
«schon ein bisschen langweiliger» mache. Die verstärkte Internetrecherche wurde dabei als «Compu-
terleierei» und «copier-coller» bezeichnet. Das führe zu einer immer grösseren Gleichförmigkeit der
diversen Medien («suivisme»): «[…] alle schreiben sich irgendwie ab, und surfen im Netz rum». Ein
Interviewpartner einer Westschweizer Zeitung meint dazu treffend, man müsse immer mehr Onlinein-
halte produzieren, aber zugleich würden Onlineinhalte auch zunehmend die primäre Informations-
quelle. Viele Journalistinnen und Journalisten würden nur noch schauen, was für Informationen das
Internet hergebe, «die telefonieren nicht mehr oder nur noch wenig». Ausserdem multiplizieren sich
durch das Abschreiben von bereits Abgeschriebenem die Fehler, ergänzt eine Teilnehmerin der
Gruppendiskussion. Ein Aussteiger weist zudem darauf hin, dass es gerade für Neueinsteiger verlo-
ckend sei, auf diese Weise die Vorgesetzten mit schnellen Geschichten, bspw. für den Gratis- oder
Onlinekanal, zu beeindrucken. Das höhere Arbeitstempo wurde in der Gruppendiskussion nicht nur
auf den Ausbau der Onlinemedien, sondern auch auf die verschärfte Konkurrenzsituation zurückge-
führt.
Dass eine vertiefte und kritische Analyse der Informationen und Quellen leide, wird auch auf den
Ausbau bzw. auf den zunehmenden Fokus auf digitale Kommunikationsplattformen zurückgeführt.
Gerade in crossmedial arbeitenden Redaktionen und Ressorts werde auf Generalisten gesetzt, auf
einen «journaliste à tout faire». Journalistinnen und Journalisten werden dazu angehalten, für alle
Kanäle, off- wie online, zu arbeiten. Dass alle Journalistinnen und Journalisten alles machen sollen,
führe aber immer wieder zu mangelhaften Resultaten (vgl. dazu auch Marti 2013). Es sei keinesfalls
gegeben, ergänzt ein Journalist in der Gruppendiskussion, dass ein Tageszeitungsjournalist wisse,
wie er eine Geschichte bspw. für eine Sonntagszeitung schreiben soll. Zudem fehle es den crossme-
dial arbeitenden Journalistinnen und Journalisten schlicht an Zeit, um mehrere Kanäle «ausreichend
und zeitlich sinnvoll zu bespielen». Gleichzeitig wird befürchtet, dass journalistische Generalisten am
Ende von allem ein wenig, aber nichts richtig machen können. Insbesondere in kleineren Redaktionen
würden die Möglichkeiten zur Spezialisierung abnehmen. Mit dem Abbau von Fachkenntnissen sowie
einem Rückgang der Netzwerke von Informanten werden aber jene klassischen Kompetenzen abge-
baut, die exklusive Geschichten und vertiefende Analysen ermöglichen und dem Nutzer einen Mehr-
wert gegenüber den gratis verfügbaren Kurznachrichten bieten würden. Ausserdem nehme die Identi-
fikation der Journalistinnen und Journalisten mit dem Produkt ab, wenn man für mehrere Kanäle
gleichzeitig liefern müsse.
Darüber hinaus erhöhe das gleichzeitige Bedienen mehrerer Kanäle bzw. Produkte die Arbeitsbelas-
tung und den Zeitdruck in der gesamten Redaktion. Man wolle mit immer weniger Ressourcen
immer mehr Output leisten. Dann «werden die Tage entweder unendlich lange oder irgendwo werden
Abstriche gemacht», bemerkt ein Printjournalist, der seit kurzer Zeit auch für den Onlinekanal Beiträge
produziert. In konvergenten Redaktionen mit den vorhandenen personellen Ressourcen den Quali-
tätsansprüchen aller Kanäle gerecht zu werden, sei eine grosse Herausforderung, das bestätigt auch
ein Chefredaktor. Zwar sieht die Hälfte der im Rahmen der Sinergia-Studie befragten Journalistinnen
und Journalisten der deutsch- und französischsprachigen Schweiz (exkl. Aussteiger) aufgrund der
16/64
Konvergenz im Onlinebereich inhaltliche Verbesserungen, gleichzeitig aber wird eine sukzessive
Anpassung der Arbeitsprozesse der gesamten Redaktion hin zu Schnelligkeit vor Gründlichkeit kon-
statiert. Die von den Onlinemedien geförderte schnelle Übermittlung von Inhalten, die weitgehend auf
(gekürzten) Agentur-, Presse- und Polizeimeldungen basieren, führe neben einer verminderten
Rechercheleistung und einem vermehrten Rückgriff auf Onlinequellen zu einer höheren Fehleranfäl-
ligkeit (zum Beispiel aufgrund unzureichender Überprüfung der Quellen und Informationen) sowie
geringerer Kreativität. Und auch wenn nach wie vor eher Abstriche für Online- als für Offline-Beiträge
gemacht würden, wie einige Journalisten betonen, nehme die Sorgfalt insgesamt ab bzw. die Fehler-
quote auf allen Kanälen zu. Die Berichterstattung werde mehr und mehr zu einem «work in progress»,
zumal online die Meldungen im Prinzip jederzeit korrigiert werden können. Aus diesem Grund werde
aber insgesamt weniger tief gehend geprüft, bisweilen auch aufgrund der Anforderung, Beiträge g-
lichst schnell zu publizieren. In diesem Kontext wurden Begriffe wie «Blitz-Journalismus» und «High-
Speed-Journalismus» verwendet, die den verstärkten Aktualitätsdruck und das damit verbundene
oberflächlichere Arbeiten («Wissenshäppchen») deutlich zum Ausdruck bringen.
Verschärfter Wettbewerb und zunehmender ökonomischer Druck entstehen unter anderem durch
Gratismedien und neue Player in der Kommunikationsbranche (Google, Yahoo, Amazon und Co.),
welche auch die allmähliche Auflösung des traditionellen Geschäftsmodells bedingen. Die Medien
befänden sich in einem Transformationsprozess. Aufgrund dessen orientiere man sich bei der Aus-
wahl und Darstellung der Themen on- wie auch offline auch vermehrt an direkten Nutzerreaktionen
wie Klickraten und Kommentarhäufigkeiten. Dadurch werde die Auswahl von Themen in zuneh-
mendem Masse von der grösstmöglichen Akzeptanz der Inhalte (Klickraten) und nicht mehr von deren
Relevanz abhängig gemacht. Dies habe eine stärkere Boulevardisierung zur Folge, die allerdings
teilweise, im Hinblick auf Lesernähe, auch als positiv betrachtet wurde.
Trotz dieser positiven Stimmen deuten die Aussagen zu den Arbeitsbedingungen in Schweizer Redak-
tionen im Grossen und Ganzen auf Einbussen im Bereich der Recherche, der Informations- und Quel-
lenprüfung hin, die im Wesentlichen auf unzureichende personelle und zeitliche sowie finanzielle (z. B.
für Recherchereisen) Ressourcen zurückgeführt werden. Dies hat Folgen für die Sorgfalt, Tiefe und
Relevanz der Berichterstattung.
4.1.2 Berichterstattungsfreiheit
Mit Blick auf die Berichterstattungsfreiheit zeichnen die Aussagen der Gruppendiskussion ein viel-
schichtiges Bild. In Bezug auf Einflussnahmen von Anzeigenkunden auf die Berichterstattung wur-
den insbesondere in den Themenbereichen Auto, Reisen und Lifestyle entsprechende Erfahrungen
gemacht: «Das ist manchmal wie Weihnachten, da kommen riesige Pakete an, voller Produkte». Tat-
sächlich werde dann versucht, das eine oder andere Produkt «in eine Geschichte zu verpacken». Als
besonders problematisch eingeschätzt wird in diesem Zusammenhang vor allem, dass ein und der-
/dieselbe Journalist/in sowohl die Publireportage als auch den redaktionellen Beitrag schreibe. Das sei
zwar nicht neu, nur würden in diesen Ressorts, als Folge des Personalabbaus und fehlender Res-
sourcen für Reisen, die Inhalte zunehmend von freien Journalistinnen und Journalisten realisiert. Dies
sei insofern bedenklich, da freie Journalistinnen und Journalisten «wie Kleinunternehmer» zum Teil
anderen Selektions- und Darstellungslogiken folgten, die stärker an Eigeninteressen orientiert seien.
Einige Äusserungen weisen aber auch darauf hin, dass in anderen Ressorts ebenfalls Beeinflus-
sungs- und Druckversuche seitens der Anzeigenkunden und Firmen bestehen und sogar zugenom-
men haben. Diese verfolgten heute «mit hochgerüsteten PR-Abteilungen […] wie die Wachhunde
jeden Satz und jede Bewegung», als Folge dessen würden schneller und häufiger unliebsame
Berichte beanstandet. Dies hat zumindest indirekt Einfluss auf die Berichterstattung, und Beiträge
würden durchaus mit Inseraten abgestimmt. Es sei schon vorgekommen, dass «etwas nicht geschrie-
17/64
ben wurde, das ist dann ärgerlich». Von den Gesprächsteilnehmern wurde jedoch betont, dass solche
Fälle selten vorkämen. Ferner wurde im Kontext möglicher Beschwerden seitens der Firmen und
Anzeigenkunden erwähnt, dass diese gerade in kleineren Zeitungen ohne Hausjurist oder mit ent-
sprechend geringeren finanziellen Mitteln zu einer Einschränkung in der Berichterstattung führten, um
möglichen juristischen Massnahmen entgegenzuwirken.
Versuche, auf die Berichterstattung einzuwirken, gebe es aber nicht nur seitens der Wirtschaft bzw.
der Anzeigenkunden, sondern auch vonseiten der Politik. Meist würden diese via Verlagsleitung
oder Chefredaktion stattfinden, zum Beispiel in Form eines Anrufs eines Regierungsrates bei einer
Regionalzeitung oder eines Bundesratssprechers bei einer Sonntagszeitung. Das seien aber auch
eher «Einzelfälle, die eine bestimmte Geschichte haben». Dabei würden auch persönliche Beziehun-
gen klar eine Rolle spielen: «Ich gehe davon aus, dass die meisten Journalistinnen und Journalisten
wissen, welche Leute oder Firmen dem Chefredaktor oder Verleger am Herzen liegen.» Daraus r-
den sich aber eher unspezifische Einflüsse auf die Redaktion ergeben, im Sinne einer Selbstzensur.
In diesem Zusammenhang wurde allerdings Folgendes angemerkt: Wenn «die eine Zeitung [eine
Geschichte] nicht druckt, dann wandert sie zu einer anderen», somit werde «der Auftrag des gesam-
ten Presse- bzw. Mediensystems wieder eingelöst».
Bezüglich der Berichterstattung über das eigene Medienunternehmen lässt sich aus der Gruppen-
diskussion schliessen, dass man tendenziell weniger über das eigene Unternehmen schreibt und
wenn, dann eher positiv. Beispielsweise würden die WEMF-Daten bei der Veröffentlichung vom jewei-
ligen Medium «beschönigt». Kritisch schreiben aber «alle über alle», das liege in der Natur der Sache.
Ein grosser Teil der Berichterstattung über die Medien sei ein «Konkurrenzkampf mit anderen Mit-
teln». Folglich publiziere jede Zeitung dann und wann ein Interview mit dem eigenen Verleger, «da
kommt niemand drum herum». Medienjournalismus werde primär für die Branche gemacht, um «das
Interesse an Titeln zu generieren», aber auch, «um sich als Journalist bekannt zu machen, weil jeder
Verleger dann deinen Namen kennt». Ob sich die Leser gleichermassen für Medienthemen interes-
sierten, sei fraglich.
Zum Thema Medienpolitik wiesen Teilnehmer der Gruppendiskussion darauf hin, dass Verbände
vertrauliche Papiere zielgerichtet jenen Medien zuspielen, von denen eine grössere Berichterstattung
zum jeweiligen Thema erwartet wird. Selbstverständlich werde mit der «Art von vertraulichen Papie-
ren» und den darin enthaltenen Aussagen der «Stream der Geschichte gesteuert». Dabei wurde aber
auch zu bedenken gegeben, dass es sich hierbei um Lobbying handle, wie dies in anderen Branchen
ebenfalls üblich sei. Darüber hinaus schreibe man auch nicht einfach aus der Perspektive der Verle-
ger, deren Position man ja nicht immer im Detail kenne, denn die Mitteilungen, welche die Medien
erhalten, seien «keine Positionspapiere». Zudem «gibt es in der Medienbranche auch divergierende
Interessen». Regionalmedien und kleinere Verlage würden nicht die gleichen Ansinnen verfolgen wie
die «Branchenprimusse» Ringier und Tamedia, und dementsprechend «schiesst man sich gegenseitig
gewaltig in die Knochen». Man sitze aber gewissermassen «im gleichen Boot» und schreibe quasi in
eigener Sache bzw. habe eben eigene Interessen, was anders sei, als wenn man über andere Bran-
chen berichte. Somit ist es durchaus denkbar, dass sich Journalistinnen und Journalisten nicht erlau-
ben können, zugunsten der Presseförderung oder des SRG-Onlineangebots Stellung zu beziehen.
Zudem käme es auch vor, dass «die Teppichetage» dafür sorge, dass bestimmte Themen «beim rich-
tigen Redakteur landen».
Zusammenfassend lassen die Aussagen der Gruppendiskussion erkennen, dass es sowohl seitens
Anzeigenkunden als auch der Politik Versuche gibt, die Berichterstattung zu beeinflussen. Zwar r-
den konkrete Fälle selten vorkommen, Beeinflussungs- und Druckversuche von Anzeigenkunden t-
ten aber zugenommen. Angesprochen wurde ebenfalls die «Schere im Kopf», die sowohl bei wirt-
schaftlichen wie auch bei (medien-)politischen Themen zum Tragen kommt. Bezüglich der Bericht-
18/64
erstattung über medienpolitische Angelegenheiten wurde ferner auf die Rolle von Lobbying und auf
mögliche Steuerungsversuche der Verlagsleitung bzw. der Chefredaktion hingewiesen. Jedoch blie-
ben die Aussagen ambivalent in Bezug auf die Frage, ob diese Formen der Einflussnahme auf den
Medienjournalismus vor dem Hintergrund der medienstrukturellen Veränderungen zugenommen
haben.
4.2 Quantitative Befragung
Im Folgenden wird mittels Daten einer standardisierten Befragung analysiert, inwieweit der ökonomi-
sche Druck innerhalb der Medienbranche in den letzten Jahren zugenommen hat und wie sich die
Arbeitsbedingungen von Schweizer Journalistinnen und Journalisten derzeit gestalten und verändert
haben. Zudem wird mit Blick auf die Berichterstattung über Medienpolitik, das eigene Medienunter-
nehmen und über Werbekunden untersucht, inwieweit die journalistische Berichterstattungsfreiheit
eingeschränkt ist und welche Entwicklungen sich hier zeigen. In der Analyse werden dabei Unter-
schiede zwischen verschiedenen Medientypen sowie zwischen der Deutsch- und der Westschweiz
betrachtet. Die Fragen beziehen sich zum grossen Teil sowohl auf die Gegenwart als auch auf Ver-
änderungen in den letzten fünf Jahren. Um den jeweiligen Bezug optisch erkennbar zu halten, wer-
den die Abbildungen zur Gegenwart jeweils in Blautönen gehalten, jene zum Wandel dagegen in
Orangetönen.
Der Wandel wurde überwiegend mit Blick auf die letzten fünf Jahre abgefragt, da wir
1. annehmen, dass es in den letzten fünf Jahren bedeutende Veränderungen in der gesamten
Medienbranche gegeben hat, nicht nur infolge der Einbrüche auf dem Leser- und Werbemarkt,
sondern auch durch die Umstrukturierung von Redaktionen zu integrierten Newsrooms (vgl.
Schönhagen & Bourgeois 2012);
2. einen Zeitraum untersuchen wollen, für den mit Blick auf die Schweiz noch keine Daten vorliegen.
Die letzten schweizweiten Befragungen von Journalistinnen und Journalisten mit teilweise ähnli-
cher Thematik wurden 1998 bzw. 2008 durchgeführt (vgl. Keel 2011; Marr et al. 2001);
3. davon ausgehen, dass nur eine begrenzte Anzahl an Jahren hinsichtlich spürbarer Veränderungen
erinnert und gut eingeschätzt werden kann;
4. unterstellen, dass es in den Redaktionen eine gewisse Mitarbeiterfluktuation gibt und ein Teil der
Befragten daher erst seit wenigen Jahren in der gegenwärtigen Redaktion arbeitet (und daher über
Veränderungen kaum Auskunft geben kann). Entsprechend werden bei den Auswertungen zum
Wandel nicht die Daten aller Befragten einbezogen. Wir berücksichtigen dabei nur die Antworten
derjenigen, die mindestens seit dem Jahr 2010 in der Redaktion arbeiten, in der sie gegenwärtig
hauptsächlich tätig sind.
Im Anschluss an die Hauptauswertung werden bestimmte Aspekte separat beleuchtet. In diesen
Zusatzauswertungen (siehe Abschnitt 4.3) wird analysiert, inwiefern sich die Antworten der Befragten
danach unterscheiden, welchem Ressort sie innerhalb ihrer Redaktion angehören. Des Weiteren wer-
den zwei Gruppen untersucht, die innerhalb unserer Stichprobe nur mit einer geringen Fallzahl vertre-
ten sind. Dies sind zum einen Journalistinnen und Journalisten, die für reine Onlineredaktionen arbei-
ten und zum anderen jene Befragten, die für italienischsprachige Angebote publizieren.
4.2.1 Zunahme des ökonomischen Drucks
Angesichts der langjährigen öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten zur Medienkrise und
zunehmenden Kommerzialisierung des Journalismus (vgl. W. A. Meier & Jarren 2001; Stadler 2009;
Wyss 2014) wurden die Befragten gebeten, konkrete ökonomisch bedingte Veränderungen in ihrer
Redaktion einzuschätzen. Sie wurden dabei gefragt, inwieweit sich diese Veränderungen in den
19/64
letzten fünf bis zehn Jahren bemerkbar gemacht haben und konnten ihre Antworten auf einer sechs-
stufigen Skala differenzieren (0 = gar nicht, 5 = sehr stark). Zugleich hatten die Befragten die Möglich-
keit, die Fragen mit einem «weiss nicht» zu beantworten. Gefragt wurde erstens danach, inwieweit in
der Redaktion Ressourcenkürzungen stattgefunden haben (Personal- und Sachmittelkürzungen).
Zweitens sollte erfasst werden, inwieweit die redaktionellen Prozesse durch einen Druck zu höherer
Content-Produktion («Die Redaktion muss mehr Beiträge produzieren») und einen zunehmenden
Zeitdruck geprägt werden («Die Zeit für die Produktion einzelner Beiträge ist weniger geworden»). Als
ein weiterer Indikator für ökonomischen Druck wurde die Bedeutung von Klickraten herangezogen. Je
stärker die Befragten der Aussage zustimmen, dass die «Bedeutung von Klickraten für die Auswahl
und Darstellung von Themen» zugenommen hat, umso mehr zeigt sich, dass Journalistinnen und
Journalisten mit ihren Beiträgen eine starke Nachfrage bzw. ökonomisch verwertbare, quantitative
Aufmerksamkeit erzeugen müssen und dadurch in ihrer Arbeit beeinflusst werden. Schliesslich zielte
dieser Frageblock auch auf die Frage, inwieweit die Schweizer Journalistinnen und Journalisten die
ökonomischen Probleme ihres Medienunternehmens wahrnehmen. Mit Blick auf das Kerngeschäft
des Journalismus, nämlich gute journalistische Produkte herzustellen, ist nicht davon auszugehen,
dass sich Journalistinnen und Journalisten mit medienökonomischen Fragen nach dem Wettbewerbs-
feld und der Finanzierung des Medienproduktes auseinandersetzen müssen denn die medienöko-
nomische Effizienz und Vermarktung ist Aufgabe des Medienunternehmens (vgl. Altmeppen 2008). Je
stärker Journalistinnen und Journalisten darum wissen, dass die «Konkurrenz mit anderen Medien
zugenommen hat» und die Finanzierung des eigenen Mediums «unsicherer geworden» ist, desto eher
steht zu befürchten, dass sich der Arbeits- und Vermarktungsdruck auf Journalistinnen und Journalis-
ten erhöhen und deren Berichterstattungsfreiheit beeinflussen könnte.
Die Ergebnisse ergeben ein deutliches Bild: Die Durchschnittswerte aller Antworten bewegen sich im
Spektrum von 2.8 bis 3.4 und indizieren damit, dass die befragten Journalistinnen und Journalisten
über alle abgefragten Variablen hinweg den ökonomischen Druck in starker Weise zu spüren
bekommen (vgl. Tabelle 6 in Abschnitt 4.3.2 zur Übersicht aller Mittelwerte). Dieser Befund lässt sich
verdeutlichen, wenn der Anteil jener Befragten, die bei den genannten Fragen Extremwerte angege-
ben haben (Skalenwerte 4-5), visualisiert wird (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Starke Zunahme des ökonomischen Drucks in den letzten 5 bis 10 Jahren
(Angabe der Extremwerte 4-5 in Prozent; n = 941-1044)
52%
46%
42%
55%
53%
55%
55%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
zunehmend unsichere Finanzierung
Konkurrenz hat zugenommen
steigende Bedeutung von Klickraten
weniger Zeit für Beiträge
höhere Content-Produktion
Sachmittelkürzungen
Personalkürzungen
20/64
Die Angaben der Befragten unterscheiden sich mit Blick auf die verschiedenen Dimensionen nur gra-
duell. Jeweils ungefähr die Hälfte aller Befragten nimmt eine starke bis sehr starke Zunahme des öko-
nomischen Drucks wahr. Betrachtet man nur die Angaben dieser Extremwerte, so unterscheiden sich
die Antworten von Journalistinnen und Journalisten aus der Deutschschweiz und aus der West-
schweiz kaum voneinander (siehe Abb. 11 in Abschnitt 4.3.3). Ausgenommen davon ist der Aspekt
der höheren Content-Produktion, also die Zustimmung zur Aussage «Die Redaktion muss mehr Bei-
träge produzieren (z. B. für mehr Kanäle)». Während 64 % der Journalistinnen und Journalisten aus
deutschsprachigen Redaktionen deutlich zustimmen (Skalenwert 4-5), dass die Redaktion mehr Bei-
träge produzieren muss, sagen dies nur 40 % der Befragten, die für französischsprachige Medien
arbeiten. Dieser signifikante Unterschied lässt sich auch an den Mittelwerten aller Antworten ablesen
(Deutschschweiz: m = 3.7; Romandie: m = 2.9). Zu vermuten ist, dass dieser Unterschied auf die
unterschiedlichen Zeitpunkte der Umstellungen auf integrierte Newsrooms zurückgeht sowie auf
unterschiedliche Strategien, die zu Beginn bei der Produktion von Onlineinhalten verfolgt wurden.
Während in der Westschweiz nur wenige eigene Onlineredaktionen gebildet wurden und dann bereits
früh auf integrierte Newsproduktion umgestellt wurde, wurden in der Deutschschweiz im Verhältnis
stärker eigene Onlineredaktionen eingerichtet und gut ausgestattet. Da die Redaktionen dann im Zuge
der Sparmassnahmen massiv verkleinert und in der Deutschschweiz erst verzögert auf integrierte
Newsrooms umgestellt wurden, stieg in den Redaktionen der Druck, mit weniger Personal mehr
Kanäle bespielen zu müssen. Dies geht aus Aussagen aus den qualitativen Vorstudien dieser Unter-
suchung hervor (siehe Abschnitt 3.1). Die hier nur knapp dargestellten, unterschiedlichen Entwicklun-
gen sind eine mutmassliche Erklärung für die signifikant unterschiedlichen Antworten bezüglich der
höheren Content-Produktion und bedürfen einer vertiefenden Erforschung.
Weitere Unterschiede zwischen den Antworten zeigen sich, wenn verschiedene Medientypen mitei-
nander verglichen werden (siehe Abbildung 2).
Um eine gewisse Übersichtlichkeit zu gewährleisten, beschränken wir uns in der Darstellung auf die
vier wichtigsten Medientypen, jene Medientypen also, die für journalistische Leistungen in der Gesell-
schaft als besonders relevant gelten und die zugleich im Rahmen der Erhebung eine ausreichende
Fallzahl aufweisen. Dies sind die Tagespresse, die Wochenzeitungen und Zeitschriften und der öffent-
liche sowie private Rundfunk. Ausgeklammert werden an dieser Stelle die Antworten der Journalistin-
nen und Journalisten, die für Gratiszeitungen, für die Mitgliedschaftspresse bzw. Kundenzeitungen, für
Nachrichtenagenturen und für reine Onlinemedien arbeiten (zu deren Anteil an unserer Erhebung
siehe Abschnitt 3.2).
Augenfällig ist, dass insbesondere im öffentlichen Rundfunk mehr Beiträge als früher produziert wer-
den müssen und eine zunehmende Konkurrenz mit anderen Medien wahrgenommen wird. Zugleich
sagen 65 % der Journalistinnen und Journalisten im öffentlichen Rundfunk, dass die «Zeit für die Pro-
duktion einzelner Beiträge» deutlich zurückgegangen ist. Dagegen sind Tageszeitungen am stärksten
von Personalkürzungen und Sachmittelkürzungen betroffen. Die Redaktorinnen und Redaktoren der
Tagespresse nehmen ebenfalls in starker Weise wahr, dass die Finanzierung ihres Mediums unsiche-
rer geworden ist. Auch zeigt sich bei den Tageszeitungen am stärksten eine deutlich zunehmende
Orientierung an Klickraten. Die Wochenzeitungen und Zeitschriften sind in vielen Aspekten in ähnli-
cher Weise betroffen, während der private Rundfunk einen geringeren ökonomischen Druck erlebt.
Diese Befunde decken sich mit der bereits vielfach diskutierten Medienkrise (siehe Abschnitt 2.1).
Gleichwohl zeigt sich in der Medienbranche insgesamt die deutliche Entwicklung, dass mit weniger
Personal und Sachmitteln mehr Beiträge produziert werden müssen. Entsprechend steigt der Zeit-
druck in den Redaktionen. Ein grosser Teil der Journalistinnen und Journalisten nimmt medienökono-
mische Belange und Probleme wahr. An der zunehmenden Bedeutung der Klickraten für die Auswahl
und Darstellung von Themen zeigt sich, dass in vielen Redaktionen der Druck wächst, eine möglichst
21/64
hohe Nachfrage zu erzielen. Damit verschieben sich die journalistischen Relevanzkriterien. Während
sich diese Veränderungen auf die jeweilige Redaktion beziehen, in der die befragten Journalistinnen
und Journalisten (hauptsächlich) arbeiten, zielen die Fragen nach den Arbeitsbedingungen auf die
konkrete Situation der Befragten.
Abbildung 2: Starke Zunahme des ökonomischen Drucks differenziert nach Medientypen
(Angabe der Extremwerte 4-5 in Prozent)
4.2.2 Arbeitsbedingungen
Mehr denn je wird darüber diskutiert, inwieweit der Journalismus zu einem «geöffnete[n] Schleusen-
tor» (Neuberger & Kapern 2013: 87) für PR und Werbung geworden ist und sich nicht nur im Online-
bereich ein «Copy-und-Paste-Journalismus» etabliert hat (vgl. Boczkowski 2009; Vobic & Milojevic
2014). Demnach übernehmen Journalistinnen und Journalisten angesichts knapper Ressourcen
zunehmend ungeprüft und ohne Überarbeitungen jene Inhalte, die von externen Instanzen professio-
nell aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden. Die internationale Forschung hat bereits deutliche
Befunde vorgelegt, dass sich die Arbeitsbedingungen im Journalismus verschlechtert haben (vgl.
Compton & Benedetti 2010; Starkman 2010). Demnach haben die zeitlichen Ressourcen so stark
abgenommen, dass infrage steht, ob Journalistinnen und Journalisten ihren Kerntätigkeiten noch in
ausreichender Weise nachgehen können. In Deutschland geben laut einer kürzlich veröffentlichten
Studie drei Viertel der Zeitungsjournalistinnen und -journalisten (n = 432) an, dass sie «oft zu wenig
70%
44%
49%
58%
55%
61%
71%
0% 20% 40% 60% 80% 100%
zunehmend unsichere
Finanzierung
Konkurrenz hat
zugenommen
steigende Bedeutung von
Klickraten
weniger Zeit für Beiträge
höhere Content-Produktion
Sachmittelkürzungen
Personalkürzungen
Tageszeitungen
(lokal und
überregional)
(n=208-226)
Wochenzeitungen
& Zeitschriften
(n=104-125)
öffentlicher
Rundfunk (TV &
Radio) (n=72-82)
privater Rundfunk
(TV & Radio)
(n=55-61)
22/64
Zeit» für Hintergrundrecherchen und das Schreiben ihrer Artikel haben (vgl. IfD-Allensbach 2014: 9;
mit ähnlichen Ergebnissen bereits Kepplinger et al. 2004: 21). Für die Schweiz haben Marr et al.
(2001) und später Keel (2011: 211) nachgewiesen, dass Redaktorinnen und Redaktoren etwa die
Hälfte ihrer Arbeitszeit für journalistische Tätigkeiten im engen Sinne (Recherche, Texten, Produktion,
etc.) aufwenden können. Dieser Anteil an der Arbeitszeit hat sich zwischen den beiden Befragungs-
zeitpunkten 1998 und 2008 nur sehr geringfügig verändert, sodass kaum von einem Wandel gespro-
chen werden kann. Unsere qualitativen Vorstudien legen allerdings nahe, dass sich die Arbeitsbedin-
gungen inzwischen stark verändert haben (siehe Abschnitt 4.1.1). Es fehlen in der Forschung bislang
aber umfassende Daten dazu, wie sich die Arbeitsbedingungen im Schweizer Journalismus gegen-
wärtig gestalten und inwieweit sie sich in den letzten fünf Jahren gewandelt haben.
Die vorliegende Studie setzt an diesem Punkt an und fragt im Unterschied zu vorangegangenen
Untersuchungen (vgl. Keel 2011: 211) nicht nach prozentualen Anteilen unterschiedlicher Tätigkeiten
(wie zum Beispiel technische oder organisatorische, vgl. ebd.), sondern stellt in den Fokus, wie viel
Zeit Journalistinnen und Journalisten für ihre journalistischen Kerntätigkeiten haben. Mit Blick auf
externes Material, wie etwa in Form von Medienmitteilungen sowie Agentur- und Korrespondentenma-
terial, ist hier entsprechend nur jene Zeit von Interesse, die Journalistinnen und Journalisten für deren
«inhaltliche Überarbeitung» zur Verfügung haben. Ergänzend zu den vorliegenden Studien betrachten
wir auch die Zeit dafür, «ein eigenes Netzwerk von Informanten aufzubauen und zu pflegen» als wich-
tigen Bestandteil journalistischer Arbeit, der eigenständige, vielschichtige und exklusive Berichte
ermöglicht (siehe Abschnitt 4.1.1). Von Bedeutung ist darüber hinaus die Zufriedenheit mit den Zeit-
ressourcen, die sich daran erkennen lässt, inwieweit Journalistinnen und Journalisten Zeit haben, «um
alle täglich anfallenden Aufgaben in für mich zufriedenstellender Weise zu erledigen». Mit Blick auf die
Gegenwart wurde bei allen Fragen eine sechsstufige Skala eingesetzt («Ich habe derzeit sehr wenig
(0) bis sehr viel Zeit (5)»). Die Skala beginnt bei «sehr wenig» (und nicht bei «gar keine»), da in die-
sem Bereich nur jene Redaktorinnen und Redaktoren antworten sollten, die für die jeweilige Aufgabe
auch tatsächlich zuständig sind. Jene Befragten, die für bestimmte Aufgaben gar nicht zuständig sind
(etwa Chefredaktorinnen und Chefredaktoren oder auf technische Tätigkeiten spezialisierte Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter), konnten jeweils angeben, dass dies nicht ihre Aufgabe ist. Damit wurde
sichergestellt, dass die Ergebnisse nicht durch Aufgabenspezialisierungen verzerrt werden und die
Angabe geringer Zeitressourcen sinnvoll interpretiert werden kann. Wir betrachten im Folgenden
zunächst die gegenwärtige Situation und unterscheiden dabei nach Medientypen (siehe Abbildung 3).
Die Durchschnittswerte bewegen sich insgesamt im mittleren Bereich. Für grundlegende Aufgaben im
redaktionellen Alltag, wie etwa das «Schreiben eigener Beiträge», bleibt also gegenwärtig nur
begrenzt Zeit. Während für «die Überprüfung von Informationen und Quellen» noch vergleichsweise
viele Ressourcen zur Verfügung stehen, bleibt für «vertiefende Recherchen vor Ort» und für die
Pflege eines eigenen Netzwerkes von Informanten eher wenig Zeit. Die Antworten bezüglich der zeitli-
chen Ressourcen für die inhaltliche Überarbeitung von Agentur- und Korrespondentenmaterial sowie
von Medienmitteilungen sprechen dafür, dass externes Material zu einem gewissen Grad überarbeitet
und nicht unverändert übernommen wird. Bei der Interpretation dieser Durchschnittswerte ist aller-
dings zu berücksichtigen, dass Redaktionen in der Regel in starker Weise auf PR- und Agenturmel-
dungen zurückgreifen. Daher weisen diese Ergebnisse darauf hin, dass die Möglichkeiten zu inhaltli-
chen Überarbeitungen begrenzt sind und für diese Kerntätigkeit tendenziell zu wenig Zeit vorhanden
ist. Die Journalistinnen und Journalisten sind insgesamt mit ihren Zeitressourcen wenig zufrie-
den. Die Befragten haben im Durchschnitt tendenziell wenig Zeit, um ihre täglich anfallenden Aufga-
ben in zufriedenstellender Weise zu erfüllen. Viele Journalistinnen und Journalisten stehen folglich
unter starkem Zeitdruck und verfügen nach eigenem Verständnis nicht über die Ressourcen, um ihre
Arbeit gut zu machen. Damit bestätigen sich die Ergebnisse unserer qualitativen Vorstudien (siehe
Abschnitt 4.1.1).
23/64
Abbildung 3: Gegenwärtige Arbeitsbedingungen differenziert nach Medientypen
(Angabe in Mittelwerten)
Im Vergleich der Medientypen lässt sich erkennen, dass die Tagespresse in einigen Bereichen ver-
gleichsweise schlecht abschneidet. Damit ist gerade jener Bereich betroffen, der gemeinhin mit jour-
nalistischen Leitmedien assoziiert und für das Funktionieren einer Gesellschaft als zentral erachtet
wird (vgl. Blum et al. 2011; Krämer et al. 2009). Beim öffentlichen Rundfunk finden sich tendenziell
bessere Arbeitsbedingungen als beim privaten Rundfunk. Journalistinnen und Journalisten bei
Wochenzeitungen und Zeitschriften haben vergleichsweise viel Zeit «für das Schreiben eigener Bei-
träge» sowie für Informationsüberprüfungen und zeigen im Durchschnitt auch eine etwas höhere
Zufriedenheit mit ihren Zeitressourcen. Dieses Ergebnis ist nicht ganz unerwartet, da die Wochen-
presse keinem täglichen Produktions- und Aktualitätsdruck ausgesetzt ist. Auch haben sich diese
Unterschiede zwischen den Medientypen bereits in unseren qualitativen Vorstudien angedeutet.
Angesichts dieser Befunde stellt sich die Frage, ob die Arbeitsbedingungen vor einigen Jahren besser
waren und sich im Zuge der redaktionellen Ressourcenverknappungen und des verstärkten ökonomi-
schen Drucks verschlechtert haben. Im Vorfeld der Studie wurde vor dem Hintergrund des internatio-
nalen Forschungsstands und der qualitativen Vorstudien von einer tendenziellen Verschlechterung der
Arbeitsbedingungen im Verlauf der letzten fünf Jahre ausgegangen. Um gegenüber dem Untersu-
chungsgegenstand offenzubleiben, wurde der Wandel hier wie auch bei den noch folgenden Frage-
blöcken allerdings in beiden Richtungen abgefragt. Entsprechend wurde eine elfstufige Skala einge-
setzt (-5 = abgenommen, 0 = gleichgeblieben, 5 = zugenommen). Die Ergebnisse sind komplex und
eher überraschend (siehe Abbildung 4).
2.6
3.0
2.1 2.3 2.5 2.6 2.4
0.0
0.5
1.0
1.5
2.0
2.5
3.0
3.5
4.0
4.5
5.0 Tageszeitungen
(lokal und
überregional)
(n=210-272)
Wochenzeitungen
& Zeitschriften
(n=100-159)
öffentlicher
Rundfunk (TV &
Radio) (n=64-99)
privater Rundfunk
(TV & Radio)
(n=66-81)
24/64
Abbildung 4: Wandel von Arbeitsbedingungen (alle Befragten, Angaben in Prozent)
Ein jeweils relativ grosser Anteil der Befragten berichtet, dass ihre Zeit für bestimmte Aufgaben weni-
ger geworden, gleich geblieben oder zugenommen hat. Bezüglich der inhaltlichen Überarbeitung von
Agentur- und PR-Material überwiegt sogar die Anzahl jener, die in diesem Bereich keine Veränderun-
gen ihrer Arbeitsbedingungen beobachten. Vergleicht man nur die Anteile derer, die Veränderungen
wahrnehmen (Zeit hat abgenommen oder zugenommen), so zeigt sich insgesamt die Tendenz, dass
es etwas mehr Journalistinnen und Journalisten gibt, die eine Abnahme ihrer zeitlichen Ressourcen
spüren. Insbesondere Ressourcen für «vertiefende Recherchen vor Ort» und für die Netzwerkpflege
sind in den Redaktionen tendenziell zurückgegangen. Zudem ist die Zufriedenheit mit den eigenen
Zeitressourcen leicht zurückgegangen.
Die Ergebnisse zeigen, dass es bezüglich der Arbeitsbedingungen im Schweizer Journalismus keine
linearen Veränderungen gibt, sondern die Verhältnisse in Teilen gleich bleiben oder vorhandene Res-
sourcen umverteilt werden. Insgesamt zeigt sich jedoch auch eine leichte Tendenz zur Verschlech-
terung der Arbeitsbedingungen. Dies trifft insbesondere auf die Tagespresse zu. In diesem Bereich
hat die Zeit für das «Schreiben eigener Beitrage» überdurchschnittlich stark abgenommen (39 % aller
befragten Journalistinnen und Journalisten von Tageszeitungen). Die Möglichkeiten zur Netzwerk-
pflege haben sich überdurchschnittlich verschlechtert (35 %) und die Zufriedenheit mit den Zeitres-
sourcen hat sich verringert (43 %). Bedenklich sind aber zum Teil auch die Befunde zum öffentlichen
Rundfunk: Ein überdurchschnittlich hoher Anteil der hier arbeitenden Journalistinnen und Journalisten
gibt an, dass die Zeit für Informationsprüfung (35 %) und für Recherchen vor Ort (41 %) abgenommen
hat.
Betrachten wir nur jene Befragten, die abnehmende Zeitressourcen konstatieren, so zeigen sich auch
Unterschiede zwischen Journalistinnen und Journalisten, die für deutsch- oder französischsprachige
Medien arbeiten. In der Romandie gibt es bei allen genannten Aspekten einen höheren Anteil an
Befragten, der abnehmende Zeitressourcen spürt. Diese Differenz beträgt bis zu 8 % und zeigt sich
insbesondere bei der Zeit für Recherchen vor Ort, für die Netzwerkpflege und für das Schreiben eige-
ner Beiträge. Die journalistischen Eigenleistungen gehen damit in der Westschweiz stärker zurück als
in der Deutschschweiz. Die tendenzielle Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verringert nicht nur
die Arbeitsmotivation von Journalistinnen und Journalisten (vgl. Helka 2014), sondern schlägt sich
nachweislich auch auf die Qualität der journalistischen Angebote nieder und ist daher als problema-
36%
22%
21%
32%
37%
29%
34%
34%
53%
54%
42%
36%
44%
35%
29%
25%
25%
26%
27%
27%
31%
0% 20% 40% 60% 80% 100%
Zufriedenheit mit
Zeitressourcen
Medienmitteilungen
überarbeiten
Agenturmaterial überarbeiten
Netzwerkpflege
Recherche vor Ort
Informationsüberprüfung
Beiträge schreiben abgenommen
(n=119-226)
gleich
(n=213-301)
zugenommen
(n=137-193)
25/64
tisch anzusehen (vgl. Beck et al. 2010). In Anschluss an die Annahmen der internationalen Forschung
hat der zunehmende ökonomische Druck nicht nur einen Einfluss auf die journalistischen Arbeitsbe-
dingungen, sondern auch auf die journalistische Autonomie und Berichterstattungsfreiheit (vgl. Reich
& Hanitzsch 2013). Aus einer kürzlich veröffentlichten Studie des Allensbacher Instituts für Demosko-
pie geht hervor, dass die Mehrheit der deutschen Journalistinnen und Journalisten bereits Eingriffe in
die eigene Berichterstattungsfreiheit erlebt hat. Rund die Hälfte der Befragten gibt zudem an, dass die
Berichterstattungsfreiheit in den letzten Jahren zurückgegangen ist (vgl. IfD-Allensbach 2014; vgl.
auch Kepplinger et al. 2004: 5). Insofern stellt sich die Frage, inwieweit Schweizer Journalistinnen und
Journalisten zunehmende Einschränkungen ihrer Berichterstattungsfreiheit gegenüber Werbekunden,
dem eigenen Unternehmen sowie dem Mediensystem und der Medienpolitik wahrnehmen.
4.2.3 Berichterstattungsfreiheit gegenüber Medienpolitik
Journalistische Autonomie und Berichterstattungsfreiheit gelten als fundamentale Voraussetzungen für
einen funktionierenden und guten Journalismus (vgl. Neuberger & Kapern 2013; Reich & Hanitzsch
2013: 135). Zugleich ist aber auch nachgewiesen, dass die journalistische Berichterstattung durch die
wirtschaftlichen und politischen Interessen des zugehörigen Medienunternehmens beeinflusst wird (vgl.
Altmeppen 2008; Freedman 2010; McChesney 2008; Müller & Donsbach 2006; Page 1996; Reich &
Hanitzsch 2013). Die Medienpolitik ist für Journalistinnen und Journalisten per se ein sensibles Thema,
da sie die eigene Branche betrifft und potenziell Interessen des eigenen Medienunternehmens berührt.
Hinzu kommt, dass der Medienjournalismus in der Schweiz in den letzten Jahren deutlich geschwächt
wurde (vgl. Brügger 2012; Imhof 2012: 70). Allerdings gibt es bisher keine Daten dazu, welchen Stellen-
wert medienpolitische Themen im Schweizer Journalismus haben und inwieweit diese Berichterstattung
inhaltlich eingeschränkt ist sowie unter Einfluss des jeweiligen Medienunternehmens steht. Die vorlie-
gende Studie fragte deshalb, inwiefern die Redaktionen über medienpolitische Entwicklungen und Ent-
scheidungen berichten und inwieweit die Journalistinnen und Journalisten sich in ihrer Berichterstattung
frei fühlen, wenn Unternehmensinteressen berührt werden (Skala: 0 = gar nicht, 5 = sehr häufig/ sehr
stark). Medienpolitik besitzt in der Berichterstattung einen eher tiefen Stellenwert (siehe Abbildung 5).
Insgesamt berichten Schweizer Medien in eher geringfügigem Ausmass über medienpolitische
Nachrichten («Wir bringen Nachrichten über medienpolitische Entwicklungen und Entscheidungen»).
Wenn über Medienpolitik berichtet wird, gilt es in einigen Redaktionen als «selbstverständlich […], der
Position des Medienunternehmens zu entsprechen». Da mit dem Bezug auf Selbstverständlichkeiten
eine bewusst scharfe Wortwahl eingesetzt wurde und damit nicht hinterfragbare Abläufe untersucht
werden sollten, verweisen die Mittelwerte hier durchaus auf eine problematische Tendenz in der
Berichterstattung. Engt man diesen Themenkreis auf jene medienpolitischen Entwicklungen und Ent-
scheidungen ein, «die für das eigene Medienunternehmen folgenreich sind», so zeigen sich auch hier
tendenziell Einschränkungen. Einige Redaktionen greifen diese folgenreichen Entwicklungen zwar
auf, jedoch können die Autoren dann nur in einigen Fällen «den Inhalt frei bestimmen» oder das
Thema in «gewünschter Länge behandeln». Bezüglich des Umfangs eines Artikels muss bei der
Interpretation der Daten allerdings berücksichtigt werden, dass es inzwischen bei vielen Themenbe-
reichen genaue redaktionelle Vorgaben bezüglich der Länge eines Beitrages gibt.
26/64
Abbildung 5: Berichterstattungsfreiheit gegenüber Medienpolitik differenziert nach Medientypen
(Angabe in Mittelwerten)
Betrachtet man die Antworten zu den verschiedenen Variablen insgesamt, so zeichnet sich ab, dass
medienpolitischen Themen eine begrenzte Relevanz zugewiesen und die Berichterstattung zugleich
von Unternehmensinteressen beeinflusst wird. Auffällig ist, dass es bezüglich der Adaption der
medienpolitischen Position des Medienunternehmens keine nennenswerten Unterschiede zwischen
den verschiedenen Medientypen gibt. Insofern hängt dieser Einfluss offenkundig nicht von der Finan-
zierungsform und den organisatorischen Eigenheiten ab. Unterschiede zeigen sich dagegen insbe-
sondere bei der Frage, ob überhaupt über medienpolitische Themen berichtet wird. Wochenzeitungen
und Zeitschriften greifen medienpolitische Themen signifikant weniger auf und erlauben den Journalis-
tinnen und Journalisten dabei auch deutlich weniger Freiheit in der Gestaltung des Artikels. Unter-
schiede zwischen Tagespresse und öffentlichem sowie privatem Rundfunk finden sich dagegen kaum.
Auch zeigt sich im Vergleich der Sprachräume nur ein bedeutender Unterschied: In der Romandie
berichtet man deutlich häufiger über medienpolitische Entscheidungen, die für das eigene Medien-
unternehmen folgenreich sind (Romandie: m = 3.0; Deutschschweiz: m = 2.2). Darüber hinaus zeigen
sich mit Blick auf die medienpolitische Berichterstattung starke Unterschiede zwischen den Ressorts,
denen die Befragten angehören (siehe Abschnitt 4.3.1). Es stellt sich nun die Frage, ob sich diese
begrenzte Berichterstattungsfreiheit in den letzten Jahren verschärft hat (siehe Abbildung 6).
2.4 2.5 2.9
2.5 2.3
0.0
0.5
1.0
1.5
2.0
2.5
3.0
3.5
4.0
4.5
5.0 Tageszeitungen
(lokal und
überregional)
(n=274-323)
Wochenzeitungen
& Zeitschriften
(n=149-187)
öffentlicher
Rundfunk (TV &
Radio) (n=94-
110)
privater Rundfunk
(TV & Radio)
(n=81-84)
27/64
Abbildung 6: Wandel der Berichterstattungsfreiheit gegenüber Medienpolitik
(alle Befragten, Angaben in Prozent)
Mehrheitlich zeigt sich in diesem Bereich eine Kontinuität der Berichterstattungsstrukturen: Zwischen
65 und 73 % aller Befragten geben an, dass sich nichts verändert hat. Daneben sagt jeder vierte Teil-
nehmer der Befragung, dass die Thematisierung medienpolitischer Nachrichten in den letzten fünf
Jahren zugenommen hat (was allerdings nicht gleichermassen für jene medienpolitischen Entwicklun-
gen gilt, die für das eigene Medienunternehmen folgenreich sind). Etwa gleich viele Journalistinnen
und Journalisten geben an, dass sich die medienpolitische Berichterstattung nun verstärkt an der
Position des eigenen Medienunternehmens ausrichten muss. Ausserdem sind Journalistinnen und
Journalisten verstärkt in der Gestaltung ihrer Berichte eingeschränkt. Daraus ergibt sich das ambiva-
lente Bild einer tendenziell zunehmenden Berichterstattung über medienpolitische Themen, die
zugleich stärker durch die Interessen des jeweiligen Medienunternehmens geprägt wird. Da nur eine
Minderheit der Befragten Veränderungen wahrnimmt, sind die Varianzen insgesamt zu gering, um
aussagekräftige Unterschiede zwischen verschiedenen Medientypen und Sprachräumen ausmachen
zu können. Auffallend ist lediglich, dass Journalistinnen und Journalisten des privaten Rundfunks in
geringerer Weise eine Abnahme der Berichterstattung sowie der Berichterstattungsfreiheit spüren.
Genau in diesem Medienbereich sind die Berichterstattungsfreiheit und das Interesse an medienpoliti-
schen Themen gegenwärtig allerdings auch am geringsten. Zwischen Publikationen r den deutsch-
sprachigen und französischsprachigen Raum finden sich keine nennenswerten Unterschiede. Diesen
Ergebnissen folgend ist zu erwarten, dass die Berichterstattungsfreiheit noch stärker eingeschränkt
ist, wenn nicht die Medienpolitik, sondern das Medienunternehmen selbst im Fokus der Berichterstat-
tung steht.
4.2.4 Berichterstattungsfreiheit gegenüber Medienunternehmen
Bei Berichten über das eigene Medienhaus konfligiert das Rollenverständnis des Journalisten «als
unbeteiligter Beobachter» (Schönhagen 1999) mit seiner Zugehörigkeit zu einem Medienunterneh-
men, auch wenn Journalismus und Medien prinzipiell getrennt organisiert sind (vgl. Altmeppen 2006,
2008). Pointner (2010: 203) bezeichnet diese Berichterstattungsform angesichts der mangelnden Dis-
tanz daher als «direkte Selbstbeobachtungen» und stellt bezüglich der überregionalen Presse in
Deutschland fest, dass solche Selbstbeobachtungen vor allem bei wirtschaftlichem Erfolg des Unter-
20%
19%
11%
4%
9%
69%
69%
73%
73%
65%
12%
12%
16%
23%
26%
0% 20% 40% 60% 80% 100%
Beitragsinhalt frei bestimmbar
Beitragslänge frei bestimmbar
folgenreiche Entwicklungen
Übernahme der
medienpolitischen Position
medienpolitische Nachrichten abgenommen
(n=25-118)
gleich
(n=401-411)
zugenommen
(n=69-162)
28/64
nehmens stattfinden, in Krisenzeiten dagegen grosse Zurückhaltung vorherrscht. Für die Schweiz hat
Imhof (2012: 70) bereits lapidar festgestellt: «Die kritische Auseinandersetzung unter Medien dessel-
ben Verlagshauses tendiert ohnehin gegen Null.» Anekdotische Beispiele zeigen, dass Berichte über
das eigene Medienhaus auch in der Schweiz vor allem PR-Zwecken dienen (vgl. Höchli 2010: 283ff.).
Auch hat sich diese Tendenz zu einer eher positiven und unkritischen Berichterstattung über das eige-
nen Medienunternehmen in unseren qualitativen Vorstudien gezeigt (siehe Abschnitt 4.1.2). Umfas-
sende empirische Daten liegen dazu aber bislang nicht vor. Sie sind von umso grösserer Relevanz, je
weniger Medienunternehmen einen Medienmarkt dominieren und je höher deren wirtschaftliche Ver-
flechtungen sind. In der Schweiz dominieren wenige Medienunternehmen grosse Teile des Marktes,
insbesondere des Pressemarktes (vgl. Kamber & Imhof 2010; Künzler 2013: 93ff.). Zudem sind die
zehn grössten Multimediaunternehmen in den letzten Jahren «zu sieben zusammengewachsen»
(Kradolfer et al. 2010: 171). Vor diesem Hintergrund soll betrachtet werden, inwieweit Schweizer
Journalistinnen und Journalisten kritisch und unabhängig über das eigene Medienunternehmen
berichten können (siehe Abbildung 7).
Abbildung 7: Berichterstattungsfreiheit gegenüber Medienunternehmen differenziert nach
Medientypen (Angabe in Mittelwerten)
Die Ergebnisse sind sehr deutlich. Die Befragten geben zu einem überwiegenden Teil an, dass sie gar
nicht oder kaum «Nachrichten [bringen], die das eigene Medienunternehmen kritisch beleuchten». Da
dies zumindest in der Tendenz erwartet werden konnte, wurden drei der insgesamt fünf Fragen auf
ein spezifisches Szenario ausgerichtet: «Angenommen, bestimmte Vorgänge in Ihrem Medienunter-
1.4
2.4
1.9 1.7
3.2
0.0
0.5
1.0
1.5
2.0
2.5
3.0
3.5
4.0
4.5
5.0 Tageszeitungen
(lokal und
überregional)
(n=277-325)
Wochenzeitungen
& Zeitschriften
(n=150-190)
öffentlicher
Rundfunk (TV &
Radio) (n=98-112)
privater Rundfunk
(TV & Radio)
(n=82-86)
29/64
nehmen werden in der Öffentlichkeit kritisch beleuchtet (z. B. wirtschaftliche Übernahmen, Personal-
wechsel). Wie geht Ihre Redaktion damit in der eigenen Berichterstattung um?». In diesen Fällen kann
das Medienunternehmen nicht mehr verhindern, dass unliebsame Themen an die Öffentlichkeit
gelangen. Vielmehr stellt sich die Frage, ob und wie die journalistischen Redaktionen dieses Medien-
unternehmens diese Informationen vermitteln bzw. dazu Stellung beziehen können. Auch hier fällt die
Berichterstattungsfreiheit moderat aus: Redaktionen berichten in eher geringem Masse über Vor-
gänge im Medienunternehmen, die in der öffentlichen Kritik stehen. Wenn sie diese Ereignisse jedoch
in ihrer Berichterstattung aufgreifen, so können die jeweiligen Journalistinnen und Journalisten kaum
über Inhalt und Umfang des Berichtes frei bestimmen. Aus unserer Sicht spielt dabei nur eine nach-
geordnete Rolle, ob Medienunternehmen in diesen Fällen explizite Weisungen an die Redaktionen
erteilen oder ob Journalistinnen und Journalisten bzw. die jeweiligen Chefredaktorinnen und Ressort-
leiter die Erwartungen seitens des Medienunternehmens bereits verinnerlicht haben. In beiden Fällen
hat dies zum Ergebnis, dass Nutzer dieser journalistischen Angebote unzureichend über relevante
Entwicklungen im Medienunternehmen informiert werden. Darüber hinaus stimmen die befragten
Journalistinnen und Journalisten in starkem Masse zu, dass es für ihre Redaktion «selbstverständlich
ist […], über positive Meldungen des eigenen Medienunternehmens zu berichten». Die möglichst posi-
tive Darstellung des eigenen Medienunternehmens ist also offenkundig gängige Praxis.
Zwischen den verschiedenen Medientypen bestehen signifikante Unterschiede. Die Möglichkeiten,
öffentliche Kritik am Medienunternehmen aufzugreifen, sind bei der Tagespresse und dem Rundfunk
deutlich höher als bei den Wochenzeitungen und Zeitschriften. Auch haben Journalistinnen und Jour-
nalisten der Wochenpresse eine geringere Freiheit, über den Umfang und den Inhalt ihrer diesbezüg-
lichen Berichte zu bestimmen. Dagegen zeigt sich bezüglich der positiven Berichterstattung, dass
Redaktionen des öffentlichen Rundfunks sich dazu weniger angehalten fühlen als jene des privaten
Rundfunks und der Presse. Differenzen zwischen den Sprachräumen zeigen sich kaum. Auffallend ist
lediglich, dass französischsprachige Angebote im Vergleich zu deutschsprachigen stärker die öffentli-
che Kritik am Medienunternehmen aufgreifen (Romandie: m = 2.5; Deutschschweiz: m = 2.0) und sich
die Journalistinnen und Journalisten in diesen Fällen etwas freier fühlen, über den Inhalt des Beitrags
selbst zu bestimmen (Romandie: m = 1.8; Deutschschweiz: m = 1.5). Im nächsten Schritt schauen wir
uns an, inwieweit die stark begrenzte Berichterstattungsfreiheit gegenüber dem eigenen Medienunter-
nehmen auf Veränderungen in den letzten fünf Jahren zurückgeht. Dabei werden die Daten aller Ant-
wortenden zugrunde gelegt (siehe Abbildung 8).
Es zeigen sich insgesamt nur geringe Veränderungen: 70 bis 75 % der Befragten sagen, dass diese
Strukturen bereits vor fünf Jahren vorhanden waren. Eine bemerkenswerte Veränderung zeigt sich
aber mit Blick auf positive Meldungen über das eigene Medienunternehmen. Rund 27 % der Befragten
geben an, dass es selbstverständlicher geworden ist, dass die Redaktion solche Nachrichten veröf-
fentlicht. Auch nehmen 18 bis 20 % der Befragten wahr, dass Journalistinnen und Journalisten ihrer
Redaktion vor fünf Jahren noch etwas stärker über den Inhalt und die Beitragslänge ihrer Berichte
über das eigene Medienunternehmen bestimmen konnten. Journalistinnen und Journalisten der
Tagespresse erleben bei diesen beiden Aspekten die stärksten Veränderungen: Rund 25 % sehen
hier einen Rückgang der Berichterstattungsfreiheit. Auch zeigt sich, dass die Tagespresse (32 %) und
der öffentliche Rundfunk (31 %) verstärkt «über positive Meldungen des eigenen Medienunterneh-
mens» berichten. Im privaten Rundfunk werden dagegen bei allen abgefragten Dimensionen die
geringsten Veränderungen wahrgenommen. Zwischen den verschiedenen Sprachräumen zeigen sich
keine nennenswerten Unterschiede. Bezüglich der Berichterstattungsfreiheit interessiert uns schliess-
lich, inwieweit sich Journalistinnen und Journalisten durch die Rücksicht auf die Interessen von Wer-
bekunden eingeschränkt fühlen.
30/64
Abbildung 8: Wandel der Berichterstattungsfreiheit gegenüber Medienunternehmen
(alle Befragten, Angaben in Prozent)
4.2.5 Berichterstattungsfreiheit gegenüber Werbekunden
Die Glaubwürdigkeit und Qualität des Journalismus lebt von einer klaren Trennung zwischen dem
redaktionellen und dem nicht-redaktionellen Teil des Angebotes. Zugleich wird wissenschaftlich unter-
sucht (vgl. Pieler 2000) und auch öffentlich diskutiert (vgl. Grob 2014; Lüke 2007), inwieweit die Gren-
zen zwischen Journalismus und Werbung zunehmend aufgeweicht werden, insbesondere in Zeiten
finanzieller Krisen und grösserer Konkurrenz um Werbekunden. Die Frage nach der Einflussnahme
von Werbekunden auf die journalistische Berichterstattung ist jener Bereich, der bezüglich der
Berichterstattungsfreiheit bisher am stärksten erforscht ist. Inhaltsanalytische Studien konnten bisher
ansatzweise nachweisen, dass über Anzeigenkunden positiver und unkritischer berichtet wird und
negative Meldungen über Werbekunden unterdrückt werden (für die Schweizer Gratispresse vgl. Kolb
2010; für die deutsche und österreichische Qualitätspresse vgl. Lagetar & Mühlbauer 2012; Porlezza
2014). Erwartungsgemäss zeigen die Ergebnisse, dass Gratismedien unter einem höheren Werbeein-
fluss stehen als die Qualitätsmedien bzw. bezahlten Tageszeitungen.
Befragungen von Journalistinnen und Journalisten zum Einfluss von Werbekunden liegen dagegen
bislang nur wenige vor (vgl. Kepplinger et al. 2004; Reimann & Schopf 2012; Soley & Craig 1992) und
sie lassen darüber hinaus keine Aussagen für die Schweiz zu. Aus der Schweizer Berufsfeldstudie ist
lediglich bekannt, dass sich jeder fünfte Journalist bei seiner täglichen Arbeit auch «an den Interessen
der Werbewirtschaft» orientiert (Keel 2011: 241). Zudem trägt die Arbeit von Höchli (2010: 228-243)
viele Fallbeispiele für einen Einfluss der Werbewirtschaft auf den Journalismus (aber auch dessen
Widerstände) zusammen, die weit in die Schweizer Pressegeschichte zurückreichen. Befragungen
von Mitarbeitern von Werbeagenturen und Werbeabteilungen zeigen, dass es durchaus Koppelge-
schäfte zwischen Werbekunden und Werbeagenturen auf der einen Seite und Medienunternehmen
auf der anderen Seite gibt (vgl. An & Bergen 2007) auch in der Schweiz (vgl. Siegert & Eberle
2004). Demnach erwarten Werbekunden, dass sie mit der Schaltung von Anzeigen auch einen gewis-
sen Einfluss auf die Berichterstattung nehmen können, und sie sind darin zum Teil erfolgreich. Wir
interessieren uns im Folgenden nicht für die allgemein beobachtbare Zunahme von Sonderbeilagen
etc., denn diese lässt sich weitaus besser inhaltsanalytisch erfassen. Stattdessen fokussieren wir
darauf, inwieweit die Redaktionen negative Nachrichten über Werbekunden unterdrücken und inwie-
3%
20%
18%
12%
11%
70%
70%
71%
75%
73%
27%
10%
10%
13%
16%
0% 20% 40% 60% 80% 100%
positive Meldungen
Beitragsinhalt frei bestimmbar
Beitragslänge frei bestimmbar
öffentliche Kritik
kritische Nachrichten abgenommen
(n=20-114)
gleich
(n=407-455)
zugenommen
(n=59-163)
31/64
weit sie Werbekunden möglichst positiv darstellen und auf deren direkten Druck reagieren. Mit Blick
auf die Gegenwart wurden die Items auf einer sechsstufigen Skala gemessen (0 = gar nicht, 5 = sehr
häufig/sehr stark). Die Ergebnisse werden erneut nach verschiedenen Medientypen differenziert
(siehe Abbildung 9).
Abbildung 9: Berichterstattungsfreiheit gegenüber Werbekunden differenziert nach Medientypen
(Angabe in Mittelwerten)
Es werden eher selten Nachrichten veröffentlicht, «die für das Image unserer Werbekunden schädlich
sein könnten». Dieses Ergebnis zeigt bereits, dass in den Schweizer Medien auf die Interessen von
Werbekunden Rücksicht genommen wird. Unter der Annahme, dass auf grosse Werbekunden
besondere Rücksicht genommen wird, wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studie bei
drei Fragen ein Szenario vor Augen gestellt: «Nehmen wir an, dass negative Meldungen über einen
grossen Werbekunden Ihres Medienunternehmens bekannt werden. Inwieweit greift Ihre Redaktion
das Thema auf?». Die Befragten geben diesbezüglich an, dass ihre Redaktionen eher häufig über
solche negativen Meldungen berichten. Insofern sind Redaktionen zwar häufig bemüht, dem Image
von Werbekunden keinen Schaden zuzufügen; sie unterdrücken aber seltener solche negativen Mel-
dungen, die auch in anderen Medien veröffentlicht und diskutiert werden. Die Journalistinnen und
Journalisten, die solche Beiträge schreiben, können allerdings nur in einigen Fällen frei über die Bei-
tragslänge und den Inhalt bestimmen. In den Redaktionen gilt es eher in geringer Weise als selbstver-
ständlich, «Werbekunden in Medienberichten möglichst positiv darzustellen». Auch «auf den direkten
Druck von Werbekunden» wird nur in begrenzter Weise reagiert (siehe auch Abschnitt 4.1.2). Folgt
man der Wahrnehmung der befragten Journalistinnen und Journalisten, so gibt es zwar durchaus
einen deutlichen Einfluss der Werbekunden, der für die journalistische Berichterstattungsfreiheit als
2.1
3.3
2.6 2.4
1.6 1.6
0.0
0.5
1.0
1.5
2.0
2.5
3.0
3.5
4.0
4.5
5.0 Tageszeitungen
(lokal und
überregional)
(n=273-325)
Wochenzeitungen
& Zeitschriften
(n=152-194)
öffentlicher
Rundfunk (TV &
Radio) (n=84-105)
privater Rundfunk
(TV & Radio)
(n=80-87)
32/64
problematisch einzustufen ist. Dieser Einfluss ist jedoch vor allem dann begrenzt, wenn negative Mel-
dungen über Werbekunden bereits öffentlich bekannt sind und wenn Werbekunden versuchen, durch
direkten Druck Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen.
In diesem Bereich zeigen sich relativ starke Unterschiede zwischen verschiedenen Medientypen. Bei
Wochenzeitungen und Zeitschriften ist der Einfluss der Werbekunden deutlich am stärksten. Die
Wochenpresse vermeidet also, negative Meldungen über Werbekunden zu veröffentlichen, und ver-
sucht diese tendenziell möglichst positiv darzustellen. Betrachtet man nur die Antworten zu Reaktio-
nen auf den direkten Druck von Werbekunden, so wird ersichtlich, dass sowohl die Tages- als auch
die Wochenpresse einem stärkeren Einfluss der Werbekunden unterliegen. Es ist bekannt, dass Wer-
bekunden bei unliebsamer Berichterstattung zum Teil mit dem Entzug von Werbeaufträgen drohen
(vgl. Höchli 2010: 228-243; Siegert & Eberle 2004). Angesichts ihrer finanziellen Lage kann gerade die
Presse dem nicht immer standhalten, was bereits eine bedenkliche Beeinträchtigung der Bericht-
erstattungsfreiheit darstellt. Beim Vergleich zwischen deutschsprachigen und französischsprachigen
Angeboten finden sich keine nennenswerten Unterschiede. Jedoch lässt sich in Teilen ein Wandel des
Einflusses von Werbekunden erkennen. Dabei betrachten wir die Antworten aller Befragten (siehe
Abbildung 10).
Abbildung 10: Wandel der Berichterstattungsfreiheit gegenüber Werbekunden
(alle Befragten, Angaben in Prozent)
Zwar geben zwischen 66 % und 76 % der Befragten an, dass diese Einflüsse in gleicher Weise bereits
vor fünf Jahren vorhanden waren. Allerdings sagt auch ein Viertel der Journalistinnen und Journalis-
ten, dass ihre Redaktion zunehmend mehr Nachrichten bringt, die für das Image der Werbekunden
schädlich sein könnten. Dieser Befund ist überraschend und steht zugleich in einem etwas wider-
sprüchlichen Verhältnis zur Aussage von 26 % aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass Werbe-
kunden zunehmend möglichst positiv dargestellt werden. Zudem gibt knapp ein Drittel aller Befragten
an, dass ihre Redaktion zunehmend auf den Druck von Werbekunden reagiert. Insofern deuten sich
Veränderungen des Werbekundeneinflusses an, jedoch ergeben diese in unserer standardisierten
Erhebung kein konsistentes Bild und legen insofern nahe, dass es in diesem Bereich Forschungs-
bedarf gibt und insbesondere qualitative Studien erforderlich wären.
3%
3%
15%
13%
11%
10%
66%
70%
74%
76%
76%
66%
32%
26%
11%
11%
13%
24%
0% 20% 40% 60% 80% 100%
Reaktion auf direkten Druck
positive Darstellung
Beitragsinhalt frei bestimmbar
Beitragslänge frei bestimmbar
negative Meldungen
schadet deren Image abgenommen
(n=15-84)
gleich (n=370-
418)
zugenommen
(n=58-178)
33/64
Bezüglich der Unterschiede zwischen den verschiedenen Medientypen ist auffällig, dass vor allem die
Wochenpresse (35 %) und die Tageszeitungen (25 %) zunehmend bemüht sind, ihre Werbekunden
positiv darzustellen. Auch sagen 37 % aller Redaktorinnen und Redaktoren der Wochenpresse, dass
vermehrt auf den Druck von Werbekunden eingegangen wird. Bei diesem Einfluss zeigen sich auch
Unterschiede zwischen den Sprachregionen: Im deutschsprachigen Raum nimmt man hier eine stär-
kere Zunahme wahr (35 %) als im französischsprachigen Raum (26 %). Auch ist man im deutschspra-
chigen Raum zunehmend bemüht, Werbekunden möglichst positiv darzustellen (30 % vs. 22 % im
französischsprachigen Raum). Damit wächst der Einfluss der Werbekunden bei deutschsprachigen
Angeboten tendenziell stärker als bei französischsprachigen.
4.3 Quantitative Befragung: Zusatzauswertungen
Zusätzlich zu diesen wichtigsten Ergebnissen der quantitativen Onlinebefragung werden im Folgen-
den spezifische Aspekte in Form von Zusatzauswertungen präsentiert. Dabei gehen wir zunächst der
Frage nach, welchen Einfluss das jeweilige Ressort, für das die Journalistinnen und Journalisten tätig
sind, auf die Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen hat (Abschnitt 4.3.1). Weiter werden die Antwor-
ten zweier Gruppen von Befragten beleuchtet, die innerhalb unserer Stichprobe nur mit einer geringen
Fallzahl vertreten sind. Dies sind zum einen Journalistinnen und Journalisten, die für reine Onlinere-
daktionen arbeiten (n = 40, Abschnitt 4.3.2) und zum anderen jene, die für italienischsprachige Ange-
bote publizieren (n = 56, Abschnitt 4.3.3).
4.3.1 Zusatzauswertung Differenzierung nach Ressorts
Die erste Zusatzauswertung fokussiert auf Unterscheide zwischen verschiedenen Ressorts. Bei der
Onlinebefragung wurde berücksichtigt, dass im Schweizer Journalismus eine zunehmende Aufwei-
chung der Ressortstrukturen stattfindet (vgl. Marr et al. 2001: 139; W. A. Meier & Leonarz 2011: 4).
Deshalb konnten die Befragten neben der Angabe einzelner Ressorts auch antworten, dass sie nicht
spezialisiert, sondern «Allroundesind. Insgesamt 156 Befragte (14 %) gaben an, dass sie ressort-
übergreifend tätig sind. Entsprechend arbeitet die überwiegende Mehrheit der Befragten, die ein Res-
sort angegeben hat, noch immer innerhalb klarer Ressortzuständigkeiten, die hier von näherem Inte-
resse sind.
Obwohl die Fragen an die Teilnehmer in der Regel auf die Redaktion als Einheit zielen, ist zu vermu-
ten, dass Journalisten grosse Teile ihrer Erfahrungen in den jeweiligen Ressorts machen und dadurch
einen spezifischen Blickwinkel auf die Redaktionsstrukturen und -entscheidungen haben. Inwiefern
zeigen sich also zwischen den verschiedenen Ressorts (siehe Tabelle 3) Unterschiede mit Blick auf
die Berichterstattungsfreiheit, die Arbeitsbedingungen und den ökonomischen Druck?
Da ein knappes Drittel (n = 363, 32 %) der Befragten keine Angaben zum Ressort machte, verbleiben
765 Fälle. Für die weitere Auswertung werden nur jene Ressorts berücksichtigt, die eine ausreichende
Fallzahl aufweisen. Dabei handelt es sich um die Ressorts Lokal bzw. Regional, Kultur, Sport,
Lebensart sowie Politik und Wirtschaft. Letztere wurden für die Auswertung in eine Kategorie («Politik
& Wirtschaft») zusammengefasst, da die Ergebnisse sehr ähnlich sind. Durch die Konzentration auf
die genannten Ressorts können 526 Befragte bzw. 69 % derjenigen, die ein Ressort angegeben
haben, für die Auswertung berücksichtigt werden.
34/64
Tabelle 3: Verteilung der Ressorts
Ressort
Fallzahl (n)
Anteil in %
Lokal bzw. Regional
215
19 %
Kultur
88
8 %
Wirtschaft
54
5 %
Politik Inland
49
4 %
Sport
48
4 %
Lebensart (Gesundheit, Ratgeber)
48
4 %
Politik Ausland
24
2 %
Wissenschaft
19
2 %
Medien
15
1 %
People
10
1 %
Sonstige Ressorts
39
4 %
«keine Spezialisierung, ich bin Allrounder»
156
14 %
Keine Angabe
363
32 %
Der ökonomische Wandel wird in den einzelnen Ressorts verschieden wahrgenommen. Dabei wer-
den hier nur die Antworten mit den Ausprägungen 4 und 5 auf einer Skala von 0 (gar nicht) bis 5 (sehr
stark) berücksichtigt, die auf einen besonders starken ökonomischen Wandel schliessen lassen. Es
werden jeweils die Anteile der Antworten je Ressort angegeben. Knapp die Hälfte der Journalistinnen
und Journalisten je Ressort muss deutlich mehr Content für verschiedene Kanäle produzieren, wobei
dies in den Ressorts Politik & Wirtschaft (61 %) sowie Kultur (60 %) am stärksten wahrgenommen
wird. Zudem ist der Zeitdruck für eigene Beiträge gestiegen. Die Kulturjournalistinnen und -journalisten
weisen dabei einen enorm hohen Anteil von 70 % auf, gefolgt von den Journalistinnen und Journalis-
ten im Ressort Lebensart mit 64 %. Sachmittelkürzungen werden in den Ressorts Lebensart (67 %)
und Sport (64 %) besonders stark beobachtet. Allerdings geben auch hier mehr als die Hälfte der
Befragten der anderen Ressorts an, dass sich dies stark verändert hat. Personalkürzungen werden
hingegen ressortübergreifend ähnlich stark (55-61 %) wahrgenommen. Die Finanzierung ihres
Mediums ist vor allem aus Sicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ressorts Politik & Wirt-
schaft (61 %), Lokal (56 %) und Lebensart (55 %) unsicherer geworden. Zudem nehmen die haupt-
sächlich in den Ressorts Politik & Wirtschaft (60 %) sowie Lebensart (59 %) tätigen Befragten einen
zunehmenden Konkurrenzdruck besonders stark wahr, während sich die Werte für diese Aussage
sonst zwischen 34 und 44 % bewegen. Den geringsten Druck nehmen die Journalistinnen und Jour-
nalisten bei der Bedeutung von Klickraten wahr, allerdings gibt es hier deutliche Unterschiede zwi-
schen den Ressorts. Während Lokaljournalistinnen (49 %) und Kulturjournalisten (47 %) hier eine
relativ starke Zunahme ausmachen, ist dies für die Befragten aus dem Ressort Lebensart (30 %) ein
geringeres Problem. Insgesamt haben die Journalistinnen und Journalisten aus den verschiedenen
Ressorts damit unterschiedliche Sichtweisen auf den zunehmenden Druck in ihrer Redaktion.
Zugleich zeigt sich, dass Befragte der Ressorts Politik & Wirtschaft den ökonomischen Druck beson-
ders stark spüren.
Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen können wenige Unterschiede zwischen den Ressorts erkannt
werden. Kaum nennenswerte Unterschiede finden sich für die Überprüfung von Informationen
(m = 2.9-3.1), bei der inhaltlichen Überarbeitung von Medienmitteilungen (m = 2.6-2.8) sowie bezüg-
lich der Zufriedenheit mit Zeitressourcen (m = 2.3-2.6). Dagegen finden sich leichte Unterschiede bei
35/64
der Netzwerkpflege (m = 1.9-2.4), der Recherche vor Ort (m = 1.7-2.2), dem Schreiben eigener Bei-
träge (m = 2.5-2.9) und der Überarbeitung von Agenturmaterial (m = 2.2-2.7). Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Kulturressorts haben die grössten Möglichkeiten zur Pflege eines eigenen Netzwerkes,
während Redaktorinnen und Redaktoren des Lebensart-Ressorts dafür deutlich weniger Zeit finden.
Den Sportjournalistinnen und -journalisten hingegen ist eine Recherche vor Ort fast unmöglich
(m = 1.7), während sich dies bei den anderen Ressorts nur marginal unterscheidet (m = 2.1-2.2).
Diese Beobachtung trifft abgeschwächt auch auf das Schreiben eigener Beiträge zu. Die Journalistin-
nen und Journalisten in den vier Ressorts Politik & Wirtschaft, Lokal, Lebensart sowie Kultur machen
hier sehr ähnliche Angaben (m = 2.7-2.9). Die im Ressort Sport tätigen Personen hingegen haben
auch hier weniger Zeit (m = 2.5). Tendenziell erweisen sich die derzeitigen Arbeitsbedingungen damit
insbesondere für Sportjournalistinnen und -journalisten als schwierig.
Die Journalistinnen und Journalisten im Ressort Politik & Wirtschaft berichten zwar nur eingeschränkt
über Vorgänge, die dem Image der eigenen Werbekunden schaden könnten (m = 2.5), allerdings
deutlich mehr als jene der übrigen untersuchten Ressorts (m = 1.7-1.8). Dort wird eine derartige
Berichterstattung innerhalb der Redaktion kaum wahrgenommen. Da jeweils nach der Situation in der
Redaktion gefragt wurde, spiegeln diese Antworten zwar die Arbeitsweisen der Ressorts wider, sind
aber keine konkreten Aussagen allein über das jeweilige Ressort. Mit Blick auf die weiteren Variablen
zum Werbekundeneinfluss wird deutlich, dass insbesondere die Befragten in den Ressorts Politik &
Wirtschaft (m = 3.4) sowie Lokales (m = 3.1) ein häufiges Aufgreifen negativer Meldungen über Wer-
bekunden wahrnehmen, wenn diese einmal öffentlich geworden sind. Die Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter dieser beiden Ressorts schätzen auch mit Blick auf die Länge und Inhalte der Beiträge die
Berichterstattungsfreiheit am grössten ein. Journalistinnen und Journalisten der Ressorts Sport, Kultur
und Lebensart sehen die Berichterstattung über Werbekunden als stärker eingeschränkt an. Betrach-
ten wir nun, inwieweit sich die Verhältnisse in den letzten fünf Jahren verändert haben. Wie oben dar-
gestellt (siehe Abschnitt 4.2.2), haben sich die Arbeitsbedingungen in den letzten fünf Jahren tenden-
ziell verschlechtert. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeiten zur Recherche vor Ort (siehe Tabelle
4) und für die Netzwerkpflege (siehe Tabelle 5). Dabei lassen sich jeweils Unterschiede zwischen den
einzelnen Ressorts erkennen.
Tabelle 4: Abnahme der Zeit für Recherche vor Ort (innerhalb des jeweiligen Ressorts)
Ressort
Fallzahl (n)
Anteil in %
Sport
41
54 %
Kultur
69
51 %
Politik & Wirtschaft
86
44 %
Lokal bzw. Regional
146
34 %
Lebensart
31
32 %
Tabelle 5: Abnahme der Zeit für Netzwerkpflege (innerhalb des jeweiligen Ressorts)
Ressort
Fallzahl (n)
Anteil in %
Sport
42
41 %
Lebensart
30
37 %
Politik & Wirtschaft
86
41 %
Kultur
69
36 %
Lokal bzw. Regional
142
26 %
36/64
Über die Hälfte aller Sportjournalistinnen und -journalisten berichtet, dass sie weniger Zeit für die
Recherche vor Ort hat. Von der abnehmenden Zeit für Recherche vor Ort sind daneben auch die
Ressorts Kultur sowie Politik & Wirtschaft betroffen. Hinsichtlich der Zeit, die für die Netzwerkpflege
aufgewandt werden kann, stehen die Sportjournalistinnen und -journalisten gemeinsam mit jenen der
Ressorts Politik & Wirtschaft am stärksten unter Druck. Am wenigsten betroffen sind hier die Ressorts
Lokales und Kultur.
4.3.2 Zusatzauswertung Onlinemedien
Die Betrachtung reiner Onlinemedien stellt einen Spezialfall dar. In der Internet- und Journalismusfor-
schung standen lange Zeit vor allem die Online-Ableger traditioneller Medien im Fokus (vgl.
Neuberger 2003: 132). Hier sollen nun separat nur die Antworten jener Journalistinnen und Journalis-
ten ausgewertet werden, die hauptsächlich bei einem «reinen Onlinemedium» arbeiten. Befragte, die
zum Beispiel für srf.ch oder blick.ch arbeiten, sind hier nicht von Interesse. Diese Eingrenzung hat zur
Folge, dass relativ wenige Fälle vorliegen (n = 40, rund 4 % aller Befragten). Dies hat auch damit zu
tun, dass im Unterschied zu Ablegern etablierter Medienangebote (siehe Abschnitt 2.1) reine Online-
medien keine grosse Rolle in der Schweiz spielen. Dieser geringen Fallzahl entsprechend sollten die
folgenden Befunde zurückhaltend interpretiert werden. Da aber bisher kaum Daten bezüglich reiner
Onlinemedien vorhanden sind, ist ein erster Einblick in deren Situation wertvoll.
Zunächst kann angenommen werden, dass Journalistinnen und Journalisten bei reinen Onlinemedien
in geringerem Masse in der Länge ihrer Beiträge eingeschränkt sind. Im Unterschied zu traditionellen
Massenmedien gibt es online keinen «Platzmangel» (Neuberger 2009: 57), entsprechend sind
Onlinebeiträge durchschnittlich deutlich länger als Artikel in Printprodukten (vgl. Quandt 2008).
Gleichwohl ist zu bedenken, dass die Aufmerksamkeit und Zeit der Onlinenutzer begrenzt ist und auf
die Nutzungsgewohnheiten der Leser Rücksicht genommen wird (vgl. Neuberger 2009: 51). Prinzipiell
sind jedoch auch längere Texte zu medienpolitischen oder anderen kritischen Themen möglich. Soll-
ten die Befragten dort eine starke Einschränkung ihrer Berichterstattung wahrnehmen, könnte dies nur
schlecht mit festen Vorgaben für den Umfang von Beiträgen erklärt werden, wie dies vor allem bei
Tages- oder Wochenzeitungen der Fall ist. Die Interpretation einer inhaltlich begründeten Einschrän-
kung wäre dann plausibel. Daneben ist zu vermuten, dass einige reine Onlinemedien in geringerer
Weise den Anspruch haben, die wichtigsten Ereignisse und Themen in ihrer Breite abzubilden (vgl.
Neuberger et al. 2009a: 216ff.) und sich stattdessen stärker auf das Recherchieren und Schreiben
eigener Beiträge konzentrieren.
Zunächst betrachten wir, in welcher Weise Onlinejournalistinnen und -journalisten ökonomisch
bedingte Veränderungen erleben. Die Ergebnisse müssen hier jedoch mit besonderer Vorsicht
betrachtet werden. Zwar beantworteten 37 bis 40 Personen diese Fragen, jedoch arbeitet über die
Hälfte dieser Befragten erst seit 2011 oder später in ihrer derzeitigen Redaktion. Daher können diese
Antworten hier nicht einbezogen werden (siehe Abschnitt 4.2). Damit verbleibt nur eine sehr kleine
Anzahl an aussagekräftigen Antworten (n = 15-17), die sich jedoch deutlich von den Antworten aller
anderen Befragten unterscheiden (siehe Tabelle 6). Auch die Onlinejournalistinnen und -journalisten
haben erlebt, dass die Personal- und Sachmittel in den letzten Jahren deutlich zurückgefahren worden
sind. Ferner steht in den Onlineredaktionen zunehmend weniger Zeit für das Schreiben eigener Bei-
träge zur Verfügung. Vor allem erleben die Onlineredaktorinnen und -redaktoren aber, dass die
Bedeutung von Klickraten zugenommen hat. Wenngleich eine Orientierung an Klickraten gerade im
Onlinebereich naheliegend erscheint, ist hier zu berücksichtigen, dass die Befragten sich vor einigen
Jahren noch weniger an diese rein quantitative Resonanz der Nutzer gebunden fühlten. Die Online-
journalistinnen und -journalisten spüren in überdurchschnittlicher Weise eine zunehmende Konkurrenz
zu anderen Medien und nehmen in besonders starker Weise wahr, dass die Finanzierung ihres
37/64
Mediums unsicherer geworden ist. Die Ergebnisse müssen angesichts der kleinen Fallzahlen mit
grosser Vorsicht interpretiert werden. Sie legen jedoch nahe, dass Onlineredaktorinnen und
-redaktoren überdurchschnittlich stark von ökonomischen Veränderungen betroffen sind und die
Angebote durch den ökonomischen Druck gefährdet sind. Angesichts dessen erscheint eine vertie-
fende Forschung in diesem Bereich notwendig.
Tabelle 6: Zunahme des ökonomischen Drucks in den letzten 5 bis 10 Jahren im Vergleich
(Angabe in Mittelwerten)
Frage
Onlinejournalistinnen und
-journalisten (n = 15-17)
Alle anderen Journalis-
tinnen und Journalisten
(n = 555-625)
Personalkürzungen
3.6
3.1
Sachmittelkürzungen
3.5
3.2
höhere Content-Produktion
2.5
3.4
weniger Zeit für Beiträge
3.4
3.4
steigende Bedeutung von Klickraten
4.1
2.8
Konkurrenzdruck hat zugenommen
4.1
3.1
zunehmend unsichere Finanzierung
4.0
3.3
Betrachten wir nun die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen der Onlinejournalistinnen und -journalisten
(n = 22-29): Im Vergleich zu Redaktorinnen und Redaktoren der traditionellen Medien (siehe Abschnitt
4.2.2) haben Onlinejournalistinnen und -journalisten wie vermutet etwas mehr Zeit dafür, eigene Bei-
träge zu verfassen (m = 3.0). Weniger Zeit steht hingegen für die Recherche vor Ort (m = 2.1) sowie
die Pflege eines eigenen Netzwerkes von Informanten (m = 2.2) zur Verfügung. Damit liegt nahe, dass
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reiner Onlinemedien sich stärker an vorliegendem Material und
anderen Medienberichten orientieren.
Mit Blick auf die Berichterstattungsfreiheit greifen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reiner Online-
medien zwar häufiger negative Meldungen über Werbekunden auf als jene bei den Wochenzeitungen
und Zeitschriften. Im Vergleich zu Tagespresse und Rundfunk ist dies dennoch unterdurchschnittlich
stark ausgeprägt. Ähnliche Verhältnisse zeigen sich auch bei den Möglichkeiten der Journalistinnen
und Journalisten, frei über die Länge solcher Beiträge entscheiden zu können. Folglich trifft die Erwar-
tung nicht zu, dass Onlinejournalistinnen und -journalisten angesichts der höheren Verbreitungskapa-
zitäten eine grössere Freiheit in der Gestaltung der Länge ihrer Artikel geniessen als Journalistinnen
und Journalisten traditioneller Massenmedien (siehe Tabelle 7).
Tabelle 7: Berichterstattung über negative Meldungen über einen Werbekunden und Freiheit
der Beitragslänge differenziert nach Medientypen (Angabe in Mittelwerten)
Medientyp
negative Meldungen
Beitragslänge frei
bestimmbar
reine Onlinemedien, n = 28
2.7
2.5
Tageszeitungen (national & regional), n = 277/278
3.3
2.6
Wochenzeitungen/Zeitschriften, n = 156/152
2.1
1.6
Öffentlicher Rundfunk (TV und Radio), n = 85
3.3
2.3
Privater Rundfunk (TV und Radio), n = 80
3.4
2.3
38/64
Reine Onlinemedien berichten ähnlich häufig über medienpolitische Entscheidungen und Entwicklun-
gen (m = 2.2) wie andere Medien (m = 2.0). Die Onlinejournalistinnen und -journalisten greifen aber
seltener jene medienpolitischen Themen auf, die das eigene Medienunternehmen betreffen (nur bei
der Wochenpresse fällt dies noch geringer aus). Tun sie dies, sind sie aber insgesamt unabhängiger
als ihre Kolleginnen und Kollegen bei anderen Medien. Dies gilt sowohl für die Freiheit, über Länge
und Inhalt der entsprechenden Beiträge zu entscheiden, als auch mit Blick auf die Vorgabe einer
bestimmten medienpolitischen Position seitens des Medienunternehmens (siehe Tabelle 8).
Tabelle 8: Berichterstattung über medienpolitische Entwicklungen und Entscheidungen diffe-
renziert nach Medientypen (Angabe in Mittelwerten)
Medientyp
folgenreiche
Entwicklungen
Beitragslänge
bestimmbar
Beitragsinhalt
bestimmbar
Übernahme
der Position
reine Onlinemedien, n = 30-35
2.5
2.9
2.7
1.9
Tageszeitungen (national &
regional), n = 274-308
2.9
2.5
2.3
2.5
Wochenzeitungen/Zeitschriften,
n = 149-167
1.8
1.8
1.7
2.6
Öffentlicher Rundfunk (TV und
Radio), n = 94-110
2.9
2.2
2.2
2.5
Privater Rundfunk (TV und
Radio), n = 81-83
3.0
2.2
2.7
2.3
Im Vergleich zu den anderen Medien (siehe Abschnitt. 4.2.4) berichten Onlinejournalistinnen und
-journalisten kritischer über das eigene Medienhaus. Sie bringen, wenn auch auf niedrigem Niveau,
häufiger «Nachrichten, die das eigene Medienunternehmen kritisch beleuchten» (m = 1.9, n = 35).
Betrachten wir mögliche Veränderungen bezüglich der Berichterstattungsfreiheit und der Arbeitsbe-
dingungen, so muss erneut berücksichtigt werden, dass die Fallzahlen dabei gering sind und die sich
zeigenden Tendenzen nicht verallgemeinert werden können. Für Onlinejournalistinnen und
-journalisten ist es selbstverständlicher geworden, auf den direkten Druck von Werbekunden zu
reagieren (44 %, n = 16) und positive Meldungen über das eigene Unternehmen zu bringen (37 %,
n = 16). Darüber hinaus hat die Zeit für Recherchen vor Ort (47 %, n = 15) sowie für die Überprüfung
von Informationen (40 %, n = 15) stark abgenommen. Es zeigt sich also, dass die Möglichkeiten
journalistischer Eigenleistungen bei den reinen Onlineredaktionen abnehmen. In diesen Medien
steckt insgesamt journalistisches Potenzial, das jedoch durch finanzielle Einschnitte und ökonomi-
schen Druck eingeschränkt und gefährdet wird. Vertiefende Studien erscheinen auf diesem Gebiet
lohnenswert.
4.3.3 Zusatzauswertung Svizzera italiana
Die Schweiz befindet sich mit ihren vier Landessprachen (deutsch, französisch, italienisch, rätoroma-
nisch) und drei grossen Sprachregionen (Deutschschweiz, Romandie, Svizzera italiana) in einer
besonderen Situation. Dies muss in Studien, die sich mit dem Schweizer Journalismus beschäftigen,
berücksichtigt werden. Dafür wird hier in Anlehnung an Hanitzsch (2007) und Wyss and Keel (2010)
ein vergleichender Ansatz gewählt, der die Sprachregionen als unterschiedliche Journalismuskulturen
versteht. Denn diese unterscheiden sich in ihren historischen, politischen und kulturellen Rahmenbe-
dingungen (vgl. Wyss & Keel 2010: 237). In der Forschung wird angenommen, dass sich diese Unter-
schiede im Zuge der übergreifenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Medien langsam
39/64
aufheben. Jedoch wurden zwischen 1998 und 2008 in den verschiedenen Schweizer Sprachregionen
keine nennenswerten Veränderungen festgestellt (vgl. Wyss & Keel 2010). Ob sich diese Kontinuität
auch gegenwärtig zeigt, werden wir im Folgenden diskutieren, allerdings mit Blick auf andere Aspekte.
Es ist von Interesse, ob der ökonomische Druck in der italienischsprachigen Schweiz ebenso stark
wahrgenommen wird wie in den anderen beiden Sprachregionen (deren Vergleich bisher im Fokus
stand; siehe Abschnitt 4.2). Erst vor diesem Hintergrund können in einem zweiten Schritt die Arbeits-
bedingungen und die Berichterstattungsfreiheit betrachtet werden. Wir betrachten dabei auch jeweils
vergleichend, was sich in welchen Sprachregionen in den letzten fünf Jahren gewandelt hat. Bei der
Interpretation der Ergebnisse müssen allerdings die jeweiligen Fallzahlen berücksichtigt werden. Zwar
bilden die deutschsprachigen Journalistinnen und Journalisten (n = 439; etwa 39 % der Befragten) die
grösste Gruppe. Sie sind angesichts der Grösse der Sprachregionen nach Bevölkerungszahl
(Deutschschweiz 64 %, Romandie 20 %, Svizzera italiana 6 %) aber eher unterrepräsentiert, während
die Journalistinnen und Journalisten französischsprachiger Publikationen (n = 381; ca. 34 %) überre-
präsentiert sind (vgl. Keel 2011: 177; Wyss & Keel 2010: 238). Hingegen sind die italienischsprachi-
gen Journalistinnen und Journalisten etwa dem Grössenanteil der italienischsprachigen Schweiz ent-
sprechend abgebildet (n = 56; rund 5 %). Dennoch ist die Fallzahl für eine statistische Datenanalyse
relativ gering. Die Ergebnisse können daher nur erste Tendenzen aufzeigen.
Betrachten wir den ökonomischen Wandel (siehe Abbildung 11), dann zeigt sich, dass 43 % der
italienischsprachigen Journalistinnen und Journalisten angeben, dass die Finanzierung des eigenen
Mediums «stark» oder «sehr stark» unsicherer geworden ist.
Abbildung 11: Starke Zunahme des ökonomischen Drucks differenziert nach Sprachräumen
(Angabe der Extremwerte 4-5 in Prozent; n = 569-643)
Damit wird diese Verschlechterung zwar etwas weniger wahrgenommen als in den beiden anderen
Sprachräumen, der Druck ist aber deutlich vorhanden. Jedoch hat es in der Svizzera italiana offenbar
45%
57%
51%
48%
47%
37%
43%
0% 20% 40% 60% 80% 100%
steigende Bedeutung von
Klickraten
weniger Zeit für Beiträge
Sachmittelkürzungen
Konkurrenz hat
zugenommen
höhere Content-Produktion
Personalkürzungen
zunehmend unsichere
Finanzierung italienischsprachige
Schweiz (n=42-47)
deutschsprachige
Schweiz (n=304-328)
französischsprachige
Schweiz (n=223-268)
40/64
weniger Personalkürzungen gegeben. Dies mag mit dem relativ kleinen Gebiet mit einer geringen
Anzahl von Beschäftigten zusammenhängen, deren Anzahl nur begrenzt weiter reduziert werden
kann. Einen deutlichen Unterschied gibt es ausserdem bezüglich der Produktion von mehr Inhalten
auf verschiedenen Kanälen. Während hier die deutschsprachigen Befragten eine starke Zunahme
konstatieren, ist diese in den beiden romanischsprachigen Landesteilen deutlich geringer (vgl. dazu
auch Abschnitt 4.2.1). Hingegen sind in der italienischsprachigen Schweiz die Zunahme des Konkur-
renzdrucks mit anderen Medien, die Kürzung von Sachmitteln, der steigende Zeitdruck für eigene
Beiträge und die Orientierung an Klickzahlen den Extremwerten bei den beiden anderen Sprachräu-
men ähnlich und vergegenwärtigen, dass der ökonomische Wandel in der Svizzera italiana vorhanden
ist. Wenn wir nicht die Extremwerte, sondern die Mittelwerte aller Antworten betrachten, so zeigt sich,
dass der Konkurrenzdruck in der Svizzera italiana sogar etwas stärker zugenommen hat als in den
anderen Sprachregionen (m = 3.5, dt. 3.1, frz. 3.1).
Die Arbeitsbedingungen in der italienischsprachigen Schweiz unterscheiden sich im Vergleich mit
den beiden anderen Sprachräumen kaum. Die italienischsprachigen Befragten haben allerdings für
die Überarbeitung sowohl von Agentur- und Korrespondentenmaterial als auch von Medienmitteilun-
gen (je m = 3.0, n = 43-45) etwas mehr Zeit als jene in der Deutschschweiz (je m = 2.5, n = 305-307).
Zwar besteht damit mehr Zeit für diesen Aufgabenbereich, jedoch gehört dieser nicht zum Kern jour-
nalistischer Eigenleistungen und trägt wenig zur Angebotsvielfalt bei (siehe Abschnitt 4.1.1).
Bezüglich der Berichterstattungsfreiheit gibt es ebenfalls nur wenige Unterschiede (siehe Tabelle
9). Ein deutlicher Unterschied besteht in den Reaktionen auf den direkten Druck von Werbekunden. In
der italienischsprachigen Schweiz gibt man diesem Druck stärker nach als in der Deutschschweiz
sowie in der Westschweiz. In den anderen Fällen besteht der Unterschied jeweils nur zu den Journa-
listinnen und Journalisten in der Deutschschweiz; die Werte der italienisch- und französischsprachigen
Befragten sind oftmals sehr ähnlich. Bei der Berichterstattung über Werbekunden können italienisch-
und französischsprachige Journalistinnen und Journalisten weniger frei über den Inhalt bestimmen.
Jedoch greifen sie häufiger solche medienpolitischen Themen auf, die für das eigene Medienunter-
nehmen folgenreich sind.
Tabelle 9: Unterschiede in der Berichterstattungsfreiheit zwischen den Sprachregionen
(Angabe in Mittelwerten)
Sprachregion
Italienischsprachige
Schweiz
(n = 48-52)
Deutschsprachige
Schweiz
(n = 357-399)
Französischspra-
chige Schweiz
(n = 316-353)
Reaktion auf direkten Druck von
Werbekunden
2.3
1.7
1.6
Journalist/in bestimmt frei über den
Inhalt (Werbekunden)
1.9
2.3
1.9
Wir berichten über folgenreiche
medienpolitische Entwicklungen
2.9
2.2
3.0
Wir berichten über kritische Vor-
gänge im eigenen Medienunter-
nehmen
2.5
2.0
2.5
Bei den Arbeitsbedingungen zeigen sich im Vergleich der Sprachregionen geringe Unterschiede hin-
sichtlich des Wandels in den letzten fünf Jahren. Die Zeitressourcen sind in der Romandie etwas
stärker zurückgegangen als in der Deutschschweiz und in der Svizzera italiana (siehe Abschnitt
4.2.2). Mit Blick auf den Wandel der Berichterstattungsfreiheit sind vor allem die Unterschiede zwi-
41/64
schen dem italienisch- und französischsprachigen Raum interessant. In der Svizzera italiana reagiert
man zunehmend stärker auf den direkten Druck von Werbekunden (38 %). Dies hat in der Roman-
die etwas weniger zugenommen (26 %). Ein ähnliches Verhältnis zeigt sich bei der Zunahme bezüg-
lich der möglichst positiven Darstellung von Werbekunden (31 %/22 %). Der in der italienischsprachi-
gen Schweiz zunehmende Einfluss von Werbekunden scheint hier also zu einer Angleichung an die
Situation der französischsprachigen Befragten geführt zu haben. Eine mögliche Erklärung für diesen
stärker wahrgenommenen Druck kann darin gesehen werden, dass sich eine zunehmende Ökonomi-
sierung auf kleinere Regionen, wie die Svizzera italiana, in besonderer Weise auswirkt. Finanziell
geschwächte Medienunternehmen in sehr kleinen Märkten können sich Konflikte mit grossen Werbe-
kunden kaum leisten.
Andererseits gibt es auch positive Entwicklungen bezüglich der Berichterstattungsfreiheit. In der
italienischsprachigen Schweiz hat die Berichterstattung über folgenreiche medienpolitische Entschei-
dungen im Vergleich zu den beiden anderen Sprachregionen stärker zugenommen (it. 26 %, frz.
13 %, dt. 17 %). Dies trifft auch auf die allgemeine medienpolitische Berichterstattung zu (it. 44 %, frz.
26 %, dt. 24 %).
Diese Veränderungen der letzten Jahre und die aktuell ähnlichen Arbeitsbedingungen lassen darauf
schliessen, dass sich die Situation der italienischsprachigen Befragten an jene ihrer Kolleginnen und
Kollegen in den beiden anderen Sprachregionen leicht angenähert hat. Mit Blick auf den verstärkten
Einfluss von Werbekunden im Tessin gibt es zugleich auch Aspekte, in denen sich die Sprachräume
zunehmend voneinander unterscheiden. Bei dieser Interpretation muss berücksichtigt werden, dass
sie auf geringen Fallzahlen basiert und daher lediglich Tendenzen aufgezeigt werden können.
5. Konklusion
5.1 Zusammenfassung und Beantwortung der Fragestellungen
Die Resultate dieser Studie zeigen deutlich, dass die Schweizer Journalistinnen und Journalisten
mehrheitlich eine Verschärfung des ökonomischen Drucks wahrnehmen, speziell bei Tageszeitun-
gen, sowie in den Ressorts Politik und Wirtschaft. Insbesondere werden von über der Hälfte der
Befragten starke Personal- und Sachmittelkürzungen wahrgenommen. Zudem wird mehrheitlich den
Items zugestimmt, dass mehr Inhalte produziert werden müssen sowie weniger Zeit für das Schreiben
eigener Beiträge bleibt. Weiter gehen die Befragten mehrheitlich davon aus, dass die Finanzierung
des Mediums, bei dem sie tätig sind, unsicherer geworden ist. Eine stärkere Orientierung an Klickra-
ten wird besonders stark von Journalistinnen und Journalisten wahrgenommen, die bei Tageszeitun-
gen und in reinen Onlinemedien tätig sind. Sprachregionale Unterschiede sind bezüglich der Wahr-
nehmung des ökonomischen Drucks kaum erkennbar. Darüber hinaus zeichnen die Ergebnisse ins-
gesamt das Bild zum Teil problematischer Arbeitsbedingungen und einer eingeschränkten Bericht-
erstattungsfreiheit.
Mit Blick auf die erste Fragestellung, wie es um die journalistischen Arbeitsbedingungen in
Schweizer Redaktionen aus Sicht der Journalistinnen und Journalisten derzeit bestellt ist und wie sich
die Situation diesbezüglich in den letzten Jahren verändert hat, kann man von einer schwierigen
Situation sprechen, die sich in den letzten Jahren in der Wahrnehmung der Befragten tendenziell ver-
schlechtert hat. Die Ergebnisse bezüglich des Wandels der Arbeitsbedingungen fallen hingegen ins-
gesamt ambivalent aus.
Bereits im Rahmen der qualitativen Vorstudien wurde deutlich, dass die Zunahme der Arbeitsbelas-
tung und des Zeitdrucks der Journalistinnen und Journalisten zu Einschränkungen hinsichtlich vertie-
42/64
fender Recherchen geführt hat. Dies wird durch die Onlinebefragung auf breiterer Basis bestätigt und
gilt in besonderem Masse für Tageszeitungen: Journalistinnen und Journalisten verfügen nur in mittle-
rem Ausmass über zeitliche Ressourcen, um grundlegenden journalistischen Tätigkeiten nachzuge-
hen. Die meisten Ressourcen werden für die Überprüfung von Informationen aufgewendet, ver-
gleichsweise wenig Zeit bleibt für das Schreiben eigener Beiträge und für Recherchen vor Ort.
Betrachtet man die Unterschiede zwischen verschiedenen Ressorts, so scheinen die Sportjournalis-
tinnen und -journalisten in besonderer Weise unter problematischen Arbeitsbedingungen zu leiden.
Die qualitativen Vorstudien weisen darauf hin, dass sich die Arbeitsweisen im Onlinebereich zuneh-
mend auf jene im Offlinebereich übertragen und dadurch neben der Sorgfalt auch der Aufbau eines
umfassenden Netzwerks von Informanten leidet. Letzteres wird auch durch die Onlinebefragung
bestätigt. Hinsichtlich eines Wandels der Arbeitsbedingungen zeigt die Onlinebefragung jedoch über
alle abgefragten Items hinweg ein komplexes Bild. Eine jeweils etwa gleich hohe Anzahl der Befragten
gibt an, dass ihre zeitlichen Ressourcen für bestimmte Tätigkeiten abgenommen oder zugenommen
haben oder gleich geblieben sind. Dies zeigt, dass sich die Aufgabenbereiche und mit ihnen die
Verteilung der Ressourcen innerhalb der Redaktionen verschoben haben. Allerdings sind insgesamt
sowohl die Ressourcen für Recherchen vor Ort als auch die Zufriedenheit mit den Zeitressourcen
etwas zurückgegangen. Insbesondere bei der Tagespresse zeigt sich eine Verschlechterung der
Arbeitsbedingungen. Zudem gilt dies in etwas stärkerem Masse für die West- als für die Deutsch-
schweiz.
Die zweite Forschungsfrage befasst sich damit, inwieweit die Berichterstattungsfreiheit über
Werbekunden, das eigene Unternehmen und Medienpolitik aus Sicht der Journalistinnen und
Journalisten eingeschränkt ist und wie sich die Situation diesbezüglich in den letzten Jahren verändert
hat. Zusammenfassend kann die Berichterstattungsfreiheit in den Schweizer Redaktionen als einge-
schränkt bezeichnet werden. Bezüglich der Veränderung oder Kontinuität dieser Situation ergibt sich
auch hier ein ambivalentes Bild.
Einflussversuche von Anzeigenkunden wurden in der Gruppendiskussion als üblich dargestellt. Auf
direkte Druckversuche werde jedoch eher selten reagiert, was auch laut Onlinebefragung der Fall ist.
Andererseits zeigt sich, dass eher selten Nachrichten veröffentlicht werden, die für das Image von
Werbekunden schädlich sein könnten. Zum Teil gilt es gar als selbstverständlich, Werbekunden in
Medienberichten möglichst positiv darzustellen. Der grösste Einfluss besteht bei Wochenzeitungen
und Zeitschriften. Ein Blick auf die Sprachregionen zeigt, dass besonders in Tessiner Redaktionen auf
Druck von Werbekunden reagiert wird. Bedenklich stimmt ebenfalls, dass der Einfluss von Werbekun-
den auch in den Ressorts Politik und Wirtschaft sowie im Lokalen wahrgenommen wird (wenngleich
weniger) und nicht nur in Ressorts wie z. B. Lebensart, Auto oder Mode. Die Mehrheit der Befragten
sieht eine Kontinuität dieser Einflüsse, es ergeben sich jedoch auch widersprüchliche Hinweise, die
vertiefender Erforschung bedürfen. Gemäss der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Gruppendis-
kussion und der Onlinebefragung berichten Schweizer Journalistinnen und Journalisten kaum über
medienpolitische Entscheidungen, und sie müssen in solchen Berichten nicht selten die medienpoliti-
sche Position des eigenen Medienunternehmens einnehmen. Dabei zeigen sich keine nennenswerten
Unterschiede zwischen den verschiedenen Medientypen. Bezüglich Veränderungen in den letzten fünf
Jahren ergibt sich das ambivalente Bild einer tendenziell zunehmenden Berichterstattung über
medienpolitische Themen, die zugleich stärker durch die Interessen des jeweiligen Medienunterneh-
mens geprägt wird. Dem erwähnten Einfluss der Unternehmensinteressen bei medienpolitischer
Berichterstattung entsprechend gilt es als weitgehend selbstverständlich