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Mit Leidenschaft kommt man heute nicht weit
Wolfgang Haber im Gespräch mit Udo Weilacher, Januar 2013
Udo Weilacher: Lieber Herr Profes-
sor Haber, zunächst einmal herzlichen
Glückwunsch zu Ihrer Ehrenmitglied-
schaft im Alumni-Club Landschaft der
TU München! Kein anderer Profes-
sor hat sich länger für den Aufbau
der Landschaftsökologie an unserer
Universität eingesetzt als Sie. Fast
30 Jahre lenkten Sie die Geschicke
Ihres Instituts, und noch heute, 20
Jahre nach Ihrer Emeritierung sind Sie
ein gefragter, sehr kompetenter und
verlässlicher Ratgeber in Fachkrei-
sen innerhalb und außerhalb der TU
München.
Mit welchen Zielen vor Augen über-
nahmen Sie 1966 die Leitung des
neu gegründeten Instituts für Land-
schaftspege an der TU München?
Wolfgang Haber: Carl Ludwig
Schreiber war 1966 der einzige Ordi-
narius im Studiengang Garten- und
Landschaftsgestaltung, genoss einen
sehr guten Ruf als Gartenarchitekt
und war für ökologische Themen sehr
aufgeschlossen. Da die Zahl der Stu-
dierenden kontinuierlich stieg, wollte
Schreiber einen zweiten Lehrstuhl
einrichten, der der Ökologie gewidmet
sein sollte. Ich weiß nicht, wie er auf
mich aufmerksam wurde. Seit 1962
war ich als Kustos am Landesmuse-
um für Naturkunde in Münster tätig.
Mit dem Gartendirektor in Münster
war Schreiber gut befreundet; er hatte
dort den großen Waldfriedhof Lauhei-
de gestaltet. Ohne weitere Erklärung
lud er mich im Sommer 1965 zu einem
Treffen in das Haus des Gartendi-
rektors ein. Wir sprachen dort über
ökologische Gestaltung und Dendro-
logie, denn ich kannte als Mitglied der
Dendrologischen Gesellschaft bereits
viele Parkanlagen. Ein halbes Jahr
später erhielt ich die Einladung zu ei-
nem Probevortrag in Weihenstephan.
Ihnen war also nicht bewusst, dass
an der TU München eine Stelle zu
besetzen war?
Nein, und ich rechnete mir keinerlei
Chancen aus. Ich war am Museum in
Münster auch für die wissenschaftli-
chen Grundlagen des Naturschutzes in
Westfalen zuständig, berichtete daher
im Rahmen meines Vortrages über
Managementverfahren im Naturschutz,
und das kam offenbar sehr gut an.
Einige Monate später erhielt ich über-
raschend den Ruf an die TU und sollte
sofort den Lehrstuhl kommissarisch
übernehmen. Professor Schreiber war
der Überzeugung, dass Garten- und
Landschaftsgestaltung ohne ökolo-
gische Ansätze eine Fehlentwicklung
sei, und deshalb sollte ich den ange-
henden Garten- und Landschaftsge-
staltern ökologisches Basiswissen
vermitteln. Im Sommersemester 1966
hielt ich bereits erste Vorlesungen.
Als ich im Ministerium über meine
Berufung verhandelte, fragte mich
der zuständige Referent nach der
gewünschten Lehrstuhlbezeichnung.
„Landschaftsökologie“ sagte ich.
„Das versteht kein Mensch.“, ant-
wortete er, „Können Sie nicht etwas
anderes wählen? Der Lehrstuhl von
Professor Buchwald in Hannover
heißt ‚Landschaftspege und Na-
turschutz’ - wollen Sie Ihren nicht
auch so nennen?“ „Gut, dann nur
Landschaftspege. Den Naturschutz
lassen wir weg, denn der gehört für
mich zur Landschaftspege.“ Das
wurde akzeptiert, aber später, im
Zuge der Hochschulreform von 1972
habe ich die Umbenennung in „Land-
schaftsökologie“ vorgenommen. Im
September 1966 erhielt ich von Gerd
Albers, Ordinarius für Städtebau und
damaliger Rektor der TU München
meine Ernennungsurkunde.
Ihre Museumserfahrung war offen-
sichtlich die ideale Voraussetzung
dafür, dass Sie komplexe Lehrinhalte
viel anschaulicher vermitteln konnten,
als ein habilitierter Wissenschaftler.
Da haben Sie völlig Recht. Im Landes-
museum habe ich gelernt, komplizier-
te Zusammenhänge aus Ökologie und
Biologie auf einem sub-akademischen
Niveau den Besuchern verständlich
zu machen. Schon mein Doktorvater,
der Botaniker Heinrich Walter von
der Landwirtschaftlichen Hochschule
Stuttgart-Hohenheim legte immer gro-
ßen Wert darauf, dass sich seine Dok-
toranden verständlich ausdrückten.
Das Ziel, eine tragfähige ökologische
Grundlehre zu bieten, haben Sie nach-
weislich erreicht, aber welches waren
Ihre schmerzlichsten Misserfolge?
Schon nach 5 Jahren wurde ich zum
Dekan der Fakultät für Landwirtschaft
gewählt, und wollte auch die Landwir-
te mit ökologischen Grundlagen ver-
traut machen. Dafür entwickelte ich
speziell das Konzept der differenzier-
ten Landnutzung, aber das setzte sich
nicht durch, was mich enttäuschte.
Das Ziel, in der Landwirtschaftspoli-
tik die Grundsätze der Ökologie und
Prinzipien vielfältiger Landnutzung
zu verankern, wurde bis heute nicht
erreicht. Die einussreiche Agrarlobby
will diese Prinzipien offenbar nicht
kapieren, weil sie ökonomische Nach-
teile fürchtet, doch das ist absolut
falsch. Mein Konzept wurde von allen
fachlichen Beratungsgremien, zum
Beispiel vom Sachverständigenrat
für Umweltfragen befürwortet. Jetzt
besteht im Rahmen der Agrarreform
die Chance, Teile des Konzeptes doch
noch umzusetzen.
Andere Ziele habe ich erreicht. Gera-
de in den 70er Jahren, als der Um-
weltschutz euphorisch diskutiert wur-
de, war es mir wichtig, die Faktenlage
nie unberücksichtigt zu lassen. Wir
haben natürlich auch Biotopkartierun-
gen durchgeführt, aber ich habe im-
mer betont: Biotope müssen gepegt
und gestaltet werden. Sie müssen
Udo Weilacher ist Pro-
fessor für Landschaftsar-
chitektur und industrielle
Landschaft
Wolfgang Haber ist
emeritierter Professor für
Landschaftsökologie
© Tobias Kramer (6)
4 5nodium #5nodium #54 5
Im Gespräch
sich in die Landschaft einfügen, so-
dass ein ökologisch und gestalterisch
gutes Gesamtgefüge entsteht. Viele
meiner früheren Studierenden bestä-
tigen heute, dass mir die Vermittlung
dieser Auffassung gelungen ist.
Heute hat man den Eindruck, dass
sich die Landschaftsökologie aus
gestalterischen Fragen bevorzugt
heraushält. Wie kommt das?
Das liegt wohl daran, dass die Ökolo-
gie lange Zeit rein funktional ausge-
richtet war. Man dachte hauptsächlich
an Energieüsse, Stoffkreisläufe und
ähnliche Zusammenhänge. In der
Naturschutzpraxis war man auf die
Erhaltung einzelner Arten xiert, aber
alle anderen Aspekte, darunter auch
landschaftsgestalterische Fragestel-
lungen wurden einfach ignoriert. Ich
bin gegen diese einseitige Auffassung
von Biodiversität im Artenschutz und
gegen die einseitige Betrachtung
von Landschaft als Ökosystem. Das
Gestalterische gehört zur Landschaft
einfach dazu.
Wie hat sich das Studium der Land-
schaftsökologie, der Landschafts-
planung an der TU München seit den
60er Jahren verändert?
Anfang der 70er Jahre wurde die
Aufteilung des ehemals gemeinsa-
men Studiums nach 4 Semestern
in zwei Vertiefungsrichtungen be-
schlossen, nämlich in Garten- und
Landschaftsarchitektur (später nur
noch Landschaftsarchitektur) und
Landschaftsökologie. Ich habe die
strikte Trennung zwischen beiden
Richtungen nie befürwortet und ver-
trat in der Landschaftsökologie immer
die Meinung, dass man nicht nur das
Ökosystem mit seinen Elementen und
Funktion betrachten darf, sondern
auch die Gestaltung berücksichtigen
muss.
Noch heute glauben die Einen, dass
wir ohne Spezialisierung keine kon-
kurrenzfähigen Fachleute qualizie-
ren, und die Anderen meinen, dass
es falsch sei, einseitig qualizierte
Fachspezialisten auszubilden, die
die Gesamtheit von Landschaft nicht
mitdenkt. Wie sehen Sie das?
Die Tendenz zur Spezialisierung hat
sich in den vergangenen Jahren leider
verstärkt und dagegen muss man
angehen. Gerade die Ausrichtung des
Naturschutzes auf Biodiversität ist
in diesem Zusammenhang ein gro-
ßes Problem. Die Betrachtung von
Landschaftsvielfalt, von Gestalt- und
Strukturvielfalt kommt dabei viel zu
kurz. Auch in der nüchternen Wissen-
schaft gibt es Modeströmungen und
die Biodiversität ist eine davon. Wenn
man immer nur bestimmte Aspekte
isoliert voneinander betrachtet und
sich auf Themen wie Klimaschutz,
Biomasse und Energiewende konzent-
riert, verliert man die Gesamtsicht aus
dem Auge.
Biodiversität könnte aber doch ei-
gentlich die Basis für gesamtheitliche
Umweltbetrachtungen liefern, oder ist
das falsch?
Nein. Im Grunde haben Sie völlig
Recht, aber die Biodiversität ist gera-
de im Anwendungsbereich sehr stark
auf Artenschutz ausgerichtet. Das
hat einen einfachen Grund: Für Arten
existiert eine allgemein anerkannte
Systematik, aber für andere Bereiche,
wie etwa für Strukturen oder Land-
schaft nicht. Deshalb konzentriert
man sich auf Arten und endet damit in
einer Sackgasse.
Lassen Sie uns nochmals die interdis-
ziplinäre Zusammenarbeit an der TU
München etwas beleuchten. Von Carl
Ludwig Schreiber haben wir schon
einiges gehört. Wie gestaltete sich
Ihre Zusammenarbeit mit Günther
Grzimek?
Als Grzimek 1972 als Nachfolger von
Schreiber berufen wurde, war ich De-
kan und leitete auch die Berufungs-
kommission, in der auch Architekten
und Bauingenieure mitwirkten. Wir
waren fest davon überzeugt, dass die
industrielle Landschaft ein beson-
ders zukunftsweisendes Thema sei.
Deshalb war für uns der Gartenbaudi-
rektor von Essen, Dr. Helmut Klausch,
unbestritten der ideale Kandidat. Er
hatte sehr viel für die Grünplanung im
Ruhrgebiet erreicht. Klausch bekam
den Ruf an die TU München, wurde
aber anlässlich eines Besuchs an der
Technischen Universität Hannover, wo
er bei Heinrich Wiepking und Werner
Lendholt studiert hatte, zufällig Zeuge
einer aggressiven Demonstration von
68er Studenten. Schockiert von die-
sem Erlebnis wollte er nichts mehr mit
Hochschule zu tun haben und lehnte
den Ruf ab. Die Berufung vom zweit-
platzierten Günther Grzimek wollte
Alwin Seifert verhindern, um die Stelle
mit dem Münchner Gartenarchitekten
Ludwig Roemer zu besetzen. Seifert
hat seinen beachtlichen Einuss bis
ins Ministerium genutzt, um sein Ziel
6 7nodium #5nodium #56 7
Im Gespräch
zu erreichen. Roemer, damals bereits
über 60 Jahre alt, war Seifert seit
Langem freundschaftlich verbunden,
galt als solider Gartenarchitekt, hatte
aber keine Konzeptionen über die
Gartenarchitektur hinaus.
Als Dekan habe ich mich gegen
Seifert für die Berufung von Grzimek
eingesetzt, und bin gut mit ihm
ausgekommen. Um uns näher ken-
nenzulernen, machte ich mit ihm eine
ganztägige Begehung des Olympia-
geländes. Dabei wurde mir klar, dass
dieser Mann wirklich große Dinge
vorhat. Schon bald nach der Berufung
von Grzimek waren wir konfrontiert
mit steigenden Studentenzahlen, die
sich innerhalb von 3 Jahren verzehn-
fachten. Wir mussten 1973 in aller
Eile einen numerus clausus einführen,
stellten fest, dass 2 Lehrstühle nicht
mehr reichten und setzten einen zwei-
ten Lehrstuhl für die Landschafts-
architektur durch. Einen vakanten
Lehrstuhl für Mineralölchemie holten
wir als Stelle in unseren Bereich,
allerdings als sogenannten „nack-
ten“ Lehrstuhl. Die ganze personelle
Ausstattung des Lehrstuhls blieb bei
der Chemiefakultät. Nach und nach
gelang es uns aber, den Lehrstuhl, auf
den Christoph Valentien 1980 berufen
wurde, besser auszustatten.
Wolfgang Haber hat immer erfolgreich
den Dialog zwischen Landschaftsar-
chitektur und –ökologie gepegt. Was
ist das Geheimnis dieses Erfolges?
Meine Art, mit Menschen umzugehen.
Persönlichkeiten prägen stets die
Art der Zusammenarbeit, und in der
Landschaftsarchitektur hat man es
mit künstlerisch inspirierten Men-
schen zu tun, die im Unterschied zu
nüchternen Naturwissenschaftlern
zu gewisser Egozentrik neigen. Ich
gehe aber - soweit mir das gelingt -
auf jeden ein, und habe stets nach
Möglichkeiten gesucht, mich als
Ökologe an interdisziplinären Projekt-
gesprächen zu beteiligen. Peter Latz
war zwar schwierig als Mensch, aber
als Grzimek 1981 aufhörte und es um
die Berufung des Nachfolgers ging,
habe ich mich für ihn eingesetzt. Latz’
Berufungsvortrag war unmöglich, und
die Kollegen der Landwirtschaft mein-
ten, man könne ihn nicht an die TU
München berufen. „Der Mann kommt
hierher.“, verlangte ich. „Der hat gran-
diose Ideen, auch wenn er sie nicht so
verständlich machen kann, aber den
müssen wir haben!“ Das wurde dann
von der Fakultät akzeptiert.
Sie sind in regem Kontakt mit vielen
ehemaligen Studentinnen und Stu-
denten. Auf welche Ihrer Ehemaligen
sind Sie besonders stolz, und was
zeichnete sie als Studenten beson-
ders aus?
Viele Studierende haben nach dem
Diplom promoviert, oder gründeten
als Gestalter ihre eigenen Büros und
sind sehr erfolgreich. Bis heute tragen
sie meine Ideen mit, und holen sich
immer mal wieder Rat bei mir. Eine
weitere Gruppe bilden die Absolven-
ten, die in die Behörden gingen, vor
allem in die Umweltämter und neuen
Ministerien in den 70er Jahren. Auch
dort arbeiten Ehemalige erfolgreich,
vor allem im ökologischen Bereich.
Und die dritte Gruppe sind die Pro-
fessoren. Aus den Absolventen beider
Vertiefungsrichtungen meiner Zeit
sind etwa 20 Professoren an Univer-
sitäten und Fachhochschulen hervor-
gegangen. Viele Ehemalige betonen,
dass ein wesentlicher Grund für ihren
beruichen Erfolg jene Gesamtsicht
gewesen sei, die ich ihnen in Lehre
und Forschung an der TU München
vermittelte.
Welche Voraussetzungen sollten Stu-
dieninteressenten Ihrer Ansicht nach
erfüllen, um ein erfolgreiches Studium
in Landschaftsplanung und Land-
schaftsarchitektur zu absolvieren?
Man muss zuerst einmal mit Natur
im weitesten Sinne etwas vertraut
sein und gewisse Zusammenhänge
verstehen. Wenn jemand von Anfang
an nur an einem Aspekt interessiert
ist, zum Beispiel an Klima- oder Ar-
tenschutz, dann ist das nicht so gut,
denn das lenkt von der Gesamtsicht
ab. In vergangenen Eignungsfest-
stellungsgesprächen lernte ich zum
Beispiel eine junge Frau kennen, die
Schmetterlinge züchtete. Sie kannte
beeindruckender Weise sämtliche
Futterpanzen der Schmetterlings-
raupen. „Warum kommen Sie denn
ausgerechnet hierher und gehen nicht
in die Biologie?“, fragte ich und sie
antwortete: „Die Biologie von heute
ist mir viel zu spezialisiert. Ich suche
etwas, wo ich darüber hinaus gehen
kann und das erwarte oder vermute
ich hier.“
Wenn Sie heute nochmal mit dem
Studium beginnen könnten – würden
Sie wieder Botanik, Zoologie, Chemie
und Geographie studieren?
Nein. Als ich Anfang der 50er Jahre
studierte, gab es ja noch keine Ökolo-
gie. Als ich 1947 aus der Kriegsgefan-
genschaft nach Hause kam und 1949
mein Abitur nachgeholt hatte, wollte
ich eigentlich Forstwissenschaft
studieren. Ich war der Meinung, dass
man dort die Gesamtsicht kennen-
lernt, denn Wald ist ein langlebiges
Gebilde, das sorgsam bewirtschaftet
und gepegt werden muss. Aber beim
Forststudium in Hannoversch Münden
bei Göttingen herrschte ein solcher
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Im Gespräch
Andrang, dass ich keinen Studien-
platz bekam. Professor Theodor
Schmucker, der dortige Forstbota-
niker, riet mir, ich solle Botanik und
Zoologie studieren, und dann könne
ich immer noch in andere Bereiche
wechseln. Heute würde ich mir einen
Studiengang wie Landschaftsgestal-
tung oder Landschaftspege suchen,
in dem die ganzheitliche Ökologie
gelehrt wird.
Wie schätzen Sie die aktuelle Ent-
wicklung an der TU München im Hin-
blick auf unser Fachgebiet ein?
Die derzeitige Entwicklungstendenz
der Exzellenz-Universität zu immer
höherer Spezialisierung sehe ich
kritisch. Evaluierungskriterien wie
Drittmittelaufkommen und Anzahl von
Veröffentlichungen in Peer-Review-
Publikationen sind einem Fachgebiet
wie unserem nicht angemessen. Die
Bedeutung der Gesamtsicht wird zwar
langsam wieder erkannt, weil man im
Detailwissen heute zu ertrinken droht,
aber im Moment herrscht kein beson-
ders gutes Klima für Studienfächer wie
unsere. Es ist gerade mal 10 Jahre her,
dass der Präsident der TU München
den Studiengang Landschaftsarchitek-
tur und Landschaftsplanung auösen
und an die Fachhochschule verschie-
ben wollte. Professor Herrmann sagte
mir damals: „Ein solcher Studiengang
passt nicht an eine moderne Techni-
sche Exzellenz-Universität.“ Als ich
ihn fragte: „Wie kommen Sie denn
darauf?“, konnte er mir seine Ansicht
nicht überzeugend begründen. Wahr-
scheinlich ist vielen Wissenschaftlern
die Anwendungsorientierung unseres
Fachgebietes irgendwie fremd.
Ein Grund mehr, einen gut aufge-
stellten, national und international
vernetzten Alumni-Club aufzubauen,
aber nochmal ganz frech gefragt:
Wenn Sie heute die Chance hätten,
noch einmal etwas ganz anderes zu
studieren, wozu hätten Sie Lust? ...
Malerei? Pädagogik oder ähnliches?
Herr Haber, ich frage nach Ihrer Lei-
denschaft!
Mit Leidenschaft und dergleichen
kommt man heute nicht weit. Ich
schreibe zur Zeit einen Artikel über
Naturschutzpolitik und „The Econo-
mics of Ecosystems and Biodiversity“,
kurz TEEB genannt. Alles soll heute
ökonomisch bewertet werden, auch
das Glücksempnden beim Anblick
einer schönen Landschaft. Dabei
wird immer nur nach Funktionalitäten
gefragt, und zum Beispiel der Wald in
einer Landschaft danach beurteilt, ob
er zur Verbesserung der Grundwas-
serqualität oder zur CO2-Speicherung
beiträgt. Aber das Walderlebnis, etwa
der Genuss von Vogelgesang und von
Waldschatten an einem heißen Som-
mertag werden dabei vollkommen
missachtet.
Ihre kritische Sicht gilt also auch dem
Konzept der Ecosystem Services,
bei dem Ökosystemdienstleistungen
erfasst und bewertet werden?
Ganz genau. Alleine schon dieser
Ausdruck „Dienstleistung“ und die
Vorstellung, dass wir die Natur be-
nutzen, damit sie uns Dienste leistet,
ist im Grunde absonderlich. Daneben
stehen „Leistung“ oder „Funktion“
heute im Mittelpunkt wissenschaftli-
cher Betrachtungen von Landschaft,
aber nicht die Begeisterung über
ihre Schönheit. Mir ist es anderer-
seits wichtig, dass man die Ökologie
als Wissenschaft richtig versteht.
Der „grüne Mantel“, in den man die
Ökologie gerne hüllt, missfällt mir. Er
weckt die Illusion, dass mit „grün“ im-
mer Alles gut sei, ganz gleich wie es
aussieht und wie es auf Dauer wirkt.
Wenn ich an der TU München noch im
Amt wäre, würde ich großen Wert dar-
auf legen, dass die Ökologie nüchtern
dargestellt wird, mit den Grenzen, die
sie uns setzt, aber auch mit den Mög-
lichkeiten, die sie uns eröffnet.
Lieber Herr Professor Haber, herzli-
chen Dank für dieses anregende und
aufschlussreiche Gespräch. Schön,
dass wir Sie als Ehrenmitglied in unse-
rem Alumni-Club haben dürfen – das
ist uns wirklich eine besondere Ehre.
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Im Gespräch