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Zweiwertigkeit und Mehrwertigkeit – Einige Vorschläge zu einer Soziologie der Polykontexturalität

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Abstract

Luhmann entwirft in »Soziale Systeme« eine Theorie sich wechselseitig beobachtender sozialer Systeme. Dabei greift er jedoch auf Figuren der Subjektphilosophie zurück, die insofern Probleme der Subjekttheorie mittransportieren, als dass auch soziale Systeme letztlich in sich gefangen sind. Lösungsvorschläge wie strukturelle Kopplung oder Interpenetration bleiben hier unzureichend. Der Artikel schlägt vor, das Problem mit Gotthard Günther formallogisch zu interpretieren: In einer zweiwertigen Logik kann es nur eine Instanz der Reflexion und eine Instanz des Reflektierten geben. Einen Ausweg bietet Günther mit einer mehrwertigen Logik an, die eine wechselseitige Reflexion von Reflexionsbeziehungen beschreibbar macht. Indem die Einheit der Unterscheidung (von System und Umwelt) nicht in die Unterscheidung zurück geführt wird (dem System zugerechnet), können weitere Reflexionspositionen angenommen werden. Dies würde die Möglichkeit einer radikal deontologierten Protosoziologie bieten, die auf der einen Seite zwar den sicheren ontologischen Ausgangspunkt eines sozialen Systems oder eines Subjekts verliert, auf der anderen Seite jedoch ein hohes Potential an analytischen Möglichkeiten gewinnt.
Zweiwertigkeit und Mehrwertigkeit
Autoren: Till Jansen
Erschienen 2014 in Zeitschrift für Theoretische Soziologie (ISSN 2195-0695), Ausgabe 01,
Jahr 2014, Seite 1 - 23
Alle Artikel dieser Ausgabe
Differenzierung und Entdifferenzierung
Zweiwertigkeit und Mehrwertigkeit
Unity lost? Die gegenwärtige Krise der europäischen Institutionen
Auf Karl Polanyis Spuren
Ein "hayekianisches" Europa?
Gekaufte Zeit, geborgte Theorie
Geld, Kredit und "Pumpkapitalismus"
Enttäuschte Hoffnungen
Was, wenn es viel mehr Positives gäbe?
Marktkritik als Kapitalismusanalyse?
Die Krise des demokratischen Kapitalismus
"Gekaufte Zeit" in soziologischer und sozioökonomischer Perspektive
Replik
20 »Die Soziologie steckt in einer Theoriekrise«
Beltz Juventa | Zeitschrift für Theoretische Soziologie 1/2014
Till Jansen
Zweiwertigkeit und Mehrwertigkeit
Einige Vorschläge zu einer Soziologie der Polykontexturalität1
Zusammenfassung: Luhmann entwirft in »Soziale Systeme« eine Theorie sich wechselseitig beob-
achtender sozialer Systeme. Dabei greift er jedoch auf Figuren der Subjektphilosophie zurück, die inso-
fern Probleme der Subjekttheorie mittransportieren, als dass auch soziale Systeme letztlich in sich ge-
fangen sind. Lösungsvorschläge wie strukturelle Kopplung oder Interpenetration bleiben hier unzurei-
chend. Der Artikel schlägt vor, das Problem mit Gotthard Günther formallogisch zu interpretieren: In
einer zweiwertigen Logik kann es nur eine Instanz der Reflexion und eine Instanz des Reflektierten ge-
ben. Einen Ausweg bietet Günther mit einer mehrwertigen Logik an, die eine wechselseitige Reflexion
von Reflexionsbeziehungen beschreibbar macht. Indem die Einheit der Unterscheidung (von System
und Umwelt) nicht in die Unterscheidung zurück geführt wird (dem System zugerechnet), können wei-
tere Reflexionspositionen angenommen werden. Dies würde die Möglichkeit einer radikal deontolo-
gierten Protosoziologie bieten, die auf der einen Seite zwar den sicheren ontologischen Ausgangspunkt
eines sozialen Systems oder eines Subjekts verliert, auf der anderen Seite jedoch ein hohes Potential an
analytischen Möglichkeiten gewinnt.
Schlagworte: Mehrwertige Logik, Gotthard Günther, Polykontexturalität, Niklas Luhmann, System-
theorie
Two-valued or many-valued? – Some propositions towards a polycontextural sociology
Abstract: Luhmann proposes that social systems observe each other. As he heavily draws on concepts
stemming from idealism his theory has similar problems – social systems remain monadic. Luhmanns
attempts to solve these problems using ideas like structural coupling or interpenetration stay insuffi-
cient. Drawing from Gotthard Günther I propose to interpret the problem anew using formal logics:
Within two-valued logics there is only room for one reflexive (subject or system) and one reflected po-
sition (object or environment). This makes a relation between more than one reflexive position virtually
impossible. Gotthard Günther offers a solution by interpreting the difference between both positions
not as a re-entry but as accretive. By not tracing back the unity of the relation back to one side (system
or subject) he may observe more reflexive positions. Following this idea it becomes possible to develop
a consequently de-ontologized proto-sociology that on the one hand gives up the secure habour of sub-
ject or social system, but on the other hand gains a high potential of analytical possibilities.
Keywords: Many-valued logics, Gotthard Günther, polycontexturality, Niklas Luhmann, systems theory
1 Ich möchte Jonathan Harth, Franca Kneier und Werner Vogd für wertvolle Hinweise zu diesem
Artikel danken.
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Beltz Juventa | Zeitschrift für Theoretische Soziologie 1/2014
Einleitung
Luhmann legt mit »Soziale Systeme« eine Theorie vor, die den Anspruch hat, mit der
»alteuropäischen« Tradition zu brechen und einen radikalisiert deontologisierten Aus-
gangspunkt einzunehmen. Eine »Epistemologie von »naturalen« Operationen« (Luh-
mann 1984: 244) wird gegenüber einer subjekttheoretischen Tradition stark gemacht. In
einer solchen Systemtheorie kann »Beobachten, Beschreiben, Erkennen keine »metaphy-
sische«, subjektive Sonderstellung in Anspruch« nehmen (Luhmann 1984: 244f.). Ganz
entgegengesetzt der kantianischen und cartesianischen Tradition würde in ihr nicht von
einem »erkenntnistheoretischen Zweifel« ausgegangen (Luhmann 1984: 30). Die System-
theorie sucht so explizit maximale Distanz zur »alteuropäischen« Tradition der Subjekt-
theorie zu gewinnen.
Dennoch übernimmt die Systemtheorie wesentliche Elemente der Subjekttheorie, die
eben auch jener Probleme bereiten (Kastl 1998). Denn im Kern ersetzt die Systemtheorie
den Subjektbegriff nur »durch den Begriff des selbstreferentiellen Systems« (Luhmann
1984: 51), der dem Subjektbegriff konzeptuell so nah ist, dass er dieselben Probleme hat
(Habermas 1988).
»Zum einen konzipiert sie [die Systemtheorie; T. J.] Systeme nach dem Reflexionsmo-
dell der Tradition als operativ geschlossene Einheiten, die je selbst das subjectum ihrer
Welt sind;zum anderen konzipiert sie Systeme, die in dieser Geschlossenheit gefan-
gen bleiben und deshalb je nur in ein äußerliches Verhältnis, in eine letztlich unüber-
windliche Differenz zu anderen Systemen treten.« (Nassehi 2012: 17)2
Die Selbstreferentialität sozialer Systeme erlaubt nur eine Fremdreferenz auf eine selbste-
referentiell konstituierte Umwelt – mithin auf sich selbst. Ohne ihre eigenen theoreti-
schen Voraussetzungen zu verletzen, kann ihr damit nicht gelingen, was ihr eigentliches
Anliegen ist – nämlich die Relation sozialer Reflexionsinstanzen unter einander zu stu-
dieren (Nassehi 2012: 17).
Ich möchte im Folgenden argumentieren, dass dieses Grundproblem formallogisch
rekonstruiert und im Rekurs auf die mehrwertige Logik von Gotthard Günther umgan-
gen werden kann. Dies würde den Systembegriff zugunsten eines rein formalen Argu-
ments suspendieren, gleichzeitig jedoch das Anliegen der Systemtheorie bewahren. Resul-
tat wäre eine postklassische Protosoziologie, die wesentlich flexibler und empirienäher
wäre als der Vorschlag Luhmanns, indem sie die Deontologisierung in der Theoriebildung
weiter vorantreibt.
Der Artikel ist wie folgt aufgebaut: In dem nächsten Abschnitt werde ich das zentrale
Problem der Systemtheorie, das aus der Verwendung der Anfangsunterscheidung von
System und Umwelt resultiert und dessen Konsequenzen für eine soziologische System-
theorie diskutieren. Dabei greife ich auf die Wissenschaftslehre Fichtes als Vergleichs-
horizont zurück, um die strukturelle Homologie zwischen Systemtheorie und einer The-
orie des transzendentalen Subjekts aufzuzeigen (1). Die Systemtheorie weist hier diesel-
2 So auch Baecker 2013: 127.
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ben Probleme auf wie die Subjekttheorie. Die Einheit der Differenz von Reflexion und
Reflektiertem, von System und Umwelt, von Subjekt und Objekt wird stets durch den
Rückbezug auf die Reflexion hergestellt. Dies führt in der Systemtheorie dazu, dass Be-
ziehungen zwischen verschiedenen Systemen nicht schlüssig formuliert werden können.
Im nächsten Abschnitt (2) reformuliere ich das zugrunde liegende Problem in An-
schluss an Gotthard Günther formallogisch, um daraufhin (3) eine ebenso formallogi-
sche Lösung für dieses Problem anzubieten: Das zugrunde liegende Problem beider The-
orieformen lässt sich insofern als problematisch betrachten, da die Einheit der Unter-
scheidung auf einer Seite der Unterscheidung verortet wird oder aber in der Bewegung
zwischen beiden: Die Einheit von Reflexion und Reflektiertem ist Reflexion oder re-
entry bzw. Dialektik. Diese Gleichsetzung führt zur Konstruktion einer Zweiwertigkeit
von System und Umwelt, bzw. Subjekt und Objekt, die, monadisch abgeschlossen, keinen
Weg nach draußen erlauben. Ein Weg aus diesen zweiwertigen Subjekten, bzw. Systemen,
lässt sich jedoch finden, wenn man mit Günther den Akt Unterscheidung selbst als »ak-
kretiv« begreift und nicht vollständig auf einer Seite der Unterscheidung bindet (also die
Unterscheidung von Reflexion und Reflektiertem nicht vollständig auf Seiten der Refle-
xion verortet) (Günther 2000 [1979]: 5): Anstatt sie in die Unterscheidung zurück zu füh-
ren, öffnet sie eine neue zweiwertige Unterscheidung, die dann nicht mehr identisch mit
der Ausgangsunterscheidung ist. Günther benutzt hier den Begriff der Kontextur, als »a
logical domain of a strictly two-valued structure« (Günther 1979c: 291).3
Im letzten Abschnitt möchte ich einige mögliche Konsequenzen des vorgebrachten
Vorschlags für die Soziologie thematisieren (4). Zunächst hätte die Grundlegung der
Soziologie auf einer Logik, die schon immer außerhalb ihrer selbst ist und schon im-
mer eine Vielzahl von Reflexionsperspektiven abzubilden vermag, eine unbestreitbare
Attraktivität. Gleichzeitig kostet dieser Schritt jedoch den festen anschaulichen Grund
unter den Füßen, da weder System noch Subjekt oder einer anderen Reflexionsinstanz
ein ontologischer Vorrang eingeräumt werden kann. Kontexturen sind dann nur noch
Reflexionsinstanzen, die weder Subjekt noch System sein müssen. Eine Protosoziologie,
die in diesem Sinne nur noch auf formallogischen Voraussetzungen aufbaut und von
einem anschaulichen Unterbau absieht, würde jedoch ein hohes Maß an empirischer und
theoretischer Rekombinationsfähigkeit gewinnen.
1 Ausgangspunkt: transzendentale Systeme?
Kastl (1998) hat den Theorieentwurf, den Luhmann mit »Soziale Systeme« vorlegt, »fich-
teanisch« genannt und damit den Kern der Probleme von Luhmanns Theorieanlage wohl
sehr präzise beschrieben. Das »Sich-Setzen« des Subjekts bei Fichte, jene »Thathand-
lung«, in der das Bewusstsein sich in die Welt bringt, erinnert schon in der Theorieästhe-
3 Schon an diesem Zitat wird deutlich, dass nicht Luhmann Günther nicht richtig verstanden hat,
wie Bühl (2003: 9) kritisiert, sondern Bühl Günther nicht, wenn er Kontexturen als mehr denn
zweiwertig begreift.
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tik nicht wenig an den berühmten Satz aus »Soziale Systeme«: »Die folgenden Überle-
gungen gehen davon aus, dass es Systeme gibt« (Luhmann 1984: 30). Bei Fichte wie bei
Luhmann findet sich eine apodiktisch gesetzte Instanz, die unhintergehbar die Reflexion
in die Welt bringt – Reflexion auf sich und auf anderes: Reflexion, welche die Welt kons-
tituiert (bei Luhmann als Beobachterabhängigkeit jeder Beobachtung).
Fichte beginnt seine Überlegungen mit dem »Sich-Selbst-Setzen« der Reflexion.
»Das Ich setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses bloßen Setzens durchs sich selbst;
und umgekehrt: Das Ich ist, und es setzt sein Sein, vermöge seines bloßen Seins. Es ist
zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung; das Tätige, und das, was
durch die Tätigkeit hervorgebracht wird; Handlung, und Tat sind Eins und ebendas-
selbe; und daher ist das: Ich bin Ausdruck einer Tathandlung.« (Fichte 1997: 24)
Dieses Ich bildet den Ausgangspunkt und ihm entgegen gesetzt wird ein Nicht-Ich, das
als Differenz zum Ich immer mit diesem zusammen gedacht werden muss. Das Bewusst-
sein richtet sich auf etwas, trennt sich selbst von etwas und ist nur in dieser Trennung. In
der Folge wirft Fichte die Frage nach der Einheit der Differenz auf und kommt zu dem
Schluss, dass Ich und Nicht-Ich einander entgegen gesetzt sind, dies jedoch nur zu einem
bestimmten Teil. Die Einheit wird im transzendentalen Subjekt gesehen. Ich und Nicht-
Ich sind dann eine Binnenspaltung eines selbstreferentiell geschlossenen Ichs.4
Luhmanns Konstruktion des Verhältnisses von System und Umwelt geht mit dieser
Frage strukturell äquivalent um. Das System, als autopoietisches, ist es selbst und Grund
seiner selbst. Es setzt sich selbst und ist es Selbst. Gleichzeitig setzt es jedoch ebenfalls das
ihm Entgegengesetze, das Nicht-System, die Umwelt. Diese ist zum einen dem System
entgegen gesetzt. Zum anderen jedoch ist sie vom System abhängig, da von ihm geschaf-
fen und insofern – Fichte (1997: 24f.) würde sagen material – identisch. Das System ist
damit die Identität der Differenz von System und Umwelt, von Ich und Nicht-Ich. Die
Differenz von System und Umwelt findet ihre Einheit im System. Wie im Fall Fichtes
handelt es sich bei Luhmanns Theorieanlage also ebenfalls um den Entwurf eines selbst-
referentiell geschlossenen Systems, das in sich eine Binnendifferenz von Umwelt und
System aufbaut.
Von der grundlegenden Theoriearchitektur her, könnte man sagen, sind die Theorien
von Fichte und Luhmann somit formal identisch. Ein A setzt sich selbst und ist damit es
selbst als Gesetztes und Bewegung des Setzens. Ihm entgegen gesetzt findet sich ein ~A
als Gegenständlich reflektiertes. Diese Differenz ist jedoch nur zum Teil als Differenz zu
denken, zum anderen Teil als Einheit: »Nur in Einem Teile sind Gleiche entgegen gesetzt,
und Entgegengesetzte gleich« (Fichte 1997: 32). Die Einheit wird dann bei Fichte durch
das absolute Subjekt geschaffen, das die Differenz reflektiert und so wieder zusammen
führt. Bei Luhmann erfüllt das System diese Funktion, insofern es zur Reflexion der eige-
nen System/Umwelt-Differenz fähig ist. In beiden Fällen wird die Frage, wie ein komplett
selbstreferentiell geschlossener Zusammenhang den Kollaps in der Paradoxie vermeidet
4 Die Ähnlichkeit mit Spencer-Browns (1997) Aufforderung, eine Unterscheidung zu treffen, ist hier
dann nicht zufällig (vgl. Baecker 2013: 82).
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24 »Die Soziologie steckt in einer Theoriekrise«
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durch den Entwurf einer Binnendifferenzierung gelöst, bei der ein Teil vom konstituie-
renden System so behandelt wird, als sei er nicht durch das System konstituiert (Nicht-
Ich, Umwelt).
Der Unterschied zwischen Fichte und Luhmann liegt vor allem darin, dass Luhmann
die Unterscheidung von System und Umwelt als außerhalb seiner selbst setzt. Wo Fichtes
Subjekt sich selbst setzt, geht Luhmann davon aus, »dass es Systeme gibt« (Luhmann
1984: 30). Bei Fichte setzt sich also die Reflexion selbst. Bei Luhmann setzt eine Reflexion
ein Reflektiertes, das als Reflexion konstruiert wird. Das führt dann zum seltsamen on-
tologischen Status von Luhmanns Systemen (Christis 2001). Die differenztheoretische
Intention mündet hier in der Identitätstheorie. Zwar betont Luhmann immer wieder,
dass es sich bei der Differenz zwischen System und Umwelt um keine ontologische han-
delt, doch ist gerade eben jener Beginn der Überlegung eine ontologische Setzung. Über-
setzt man dieses »es gibt« formallogisch, so wäre ein Existenzquantor anzulegen. Systeme
sind in diesem Sinne in der Welt vorfindbare Dinge. In der Folge bekommen Systeme zu-
nehmend Eigenschafen von Seiendem, verfügen etwa über Elemente, bestehen aus die-
sen und reproduzieren sich selbst, indem sie eben diese Elemente herstellen – der Begriff
der Autopoiesis hat nur insofern Sinn, als dass etwas produziert werden kann (vgl. auch
Baltzer 1999: 82f.). Das intendierte Anliegen einer Differenztheorie stößt damit an der
Idee naturaler Operationen an eine Grenze. »Eine Ontologisierung des Systembegriffs
liegt tatsächlich insofern vor, als Luhmann das Sein von etwas je als Operation von real
existierenden Systemen denkt und so an die klassische Fragestellung der Ontologie/Me-
taphysik anschließt« (Nassehi 1992: 53). Gleichzeitig betont Luhmann jedoch, dass seine
Theorie eben eine deontologisierte sei. Das verweist dann darauf, dass auch Systeme
Konstruktionen von Beobachtern sind, und nur Beobachter Ontologien anfertigen (Nas-
sehi 1992: 60ff.). Die Aussage, »dass es Systeme gibt«, ist dann also nichts weiter als der
Hinweis auf die Operation des Beobachters, mithin von Luhmann selbst (bzw. seines
Textes). Ist dem aber so, dann ist der Satz: »die folgenden Überlegungen gehen davon aus,
dass es Systeme gibt« (Luhmann 1984: 30), nichts anderes als Fichtes Position: Ein Sys-
tem scheidet sich von einer Umwelt, in der es Systeme konstruiert. Nur fängt Luhmann
dann auf der Seite des Nicht-Ich an, während Fichte zunächst mit dem Ich beginnt. In
Konsequenz sind Systeme dann jedoch quasi-Subjekte, die, wie auch das Subjekt, der
Welt zugrunde liegen (vgl. Fuchs 2003).
Diese Anfangsunterscheidung für ein sehr »alteuropäisches« Theoriedesign führt bei
Luhmann strukturell zu demselben Problem, das sich in der Subjektphilosophie stellt:
»Wenn »Subjekt« heißt: Sich selbst und damit der Welt zugrundeliegend, kann es kein
anderes Subjekt geben« (Luhmann 1997b: 158). Anders ausgedrückt, jedes andere Sub-
jekt, das ein Subjekt in der Welt vorfindet, ist kein anderes Subjekt, sondern nur im Kon-
struktionsbereich des Subjekts verortet. Als Reflektiertes ist es abhängig von der Reflexi-
onsinstanz. Jedes System also, das ein System in seiner Umwelt beobachtet, beobachtet
dort kein System, sondern eben nur seine eigene Umwelt, da ein System sich dadurch
auszeichnet, das es seine eigene System/Umwelt-Differenz praktiziert.5
5 So sagt denn auch Baecker (2013: 126): »Die Theorie des Beobachters ist die Theorie einer radikalen
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Die Subjektphilosophie hatte genau dieses Problem mit der Intersubjektivität (am
Beispiel von Husserl vgl. etwa Schütz 1957). Luhmann versucht diesem Problem im Fall
der Intersubjektivität zu begegnen, indem er zum einen die Systemrelativität aller Beob-
achtung einräumt sowie zum anderen Kommunikation als eigenes Quasi-Subjekt zwi-
schen zwei psychische Systeme schaltet. Es stimme zwar, so Luhmann, dass ein (hier)
psychisches System ein anderes psychisches System nur in seiner Umwelt beobachten
kann und damit die wechselseitige Beobachtung je nach Systemreferenz eine andere sei.
»Alles, was man als »inter« bezeichnen könnte, wird über Systemgrenzen hinweg beob-
achtet und ist daher für jedes System ein anderes »inter«. Es gibt danach keine systemfrei
objektivierbare, keine ontologische Welt« (Luhmann 1997c: 178). Eine Beziehung zwi-
schen zwei psychischen Systemen ist als Ganze hier dennoch zu finden, wenn man Kom-
munikation als eigenes System auffasst, das seine eigene System/Umwelt-Differenz be-
treibt. Auch wenn das »Inter« zwischen zwei psychischen Systemen dann systemrelativ
immer anders beobachtet wird, kann das soziale System dann jedoch als Einheit be-
schrieben werden, da es sich als autopoietisches System selbst beobachtet. Das »Inter«
beobachtet sich selbst. Es ist System, womit davon ausgegangen werden kann, dass es die-
ses »Inter« als sich selbst konstruierende Einheit gibt.
Gleichwohl, wenn Luhmann auch behauptet, das Problem der Intersubjektivität ge-
löst zu haben, so ist es letztlich doch nur verschoben worden. Hat die Idee der Intersub-
jektivität das Problem, dass Intersubjektivität nur heißt, dass zwei Subjekte irgendetwas
selbstähnliches in ihrer Umwelt konstruieren (genau besehen sogar nur die Konstruktion
zweier sich gegenseitig beobachtender Abhängiger, die in der Umwelt eines Subjekts kon-
struiert werden), aber kein Bezug zwischen den Subjekten entsteht, so fehlt nun die Ein-
heit der Relation zwischen psychischem System und sozialem System. Beide konstruie-
ren das je andere in der Umwelt. Diese ist aber immer nur systemrelativ zu denken. Wo
also früher die Einheit der Beziehung zwischen zwei Subjekten fehlte, so fehlt sie nun zu-
sätzlich noch zwischen psychischen Systemen und sozialen Systemen. Es wurde nur die
Anzahl der Monaden erhöht. Darüber hinaus bedarf selbst die Beobachtung, dass sich
zwei psychische Systeme beobachten, eines Beobachters, was die wechselseitige Beobach-
tung der psychischen Systeme zur Konstruktionsleistung eines Dritten macht.
Luhmann versucht dieses Problem in »Soziale Systeme« mit dem Konzept der
Interpenetration,6 später mit dem Konzept der strukturellen Kopplung zu lösen. Im We-
sentlichen läuft dies auf die Annahme hinaus, dass Systeme auf Elemente anderer Sys-
Subjektivierung, die es laufend ermöglicht, Ich zu sagen, ohne dass man wüsste, wer damit gemeint
ist. Diese Paradoxie löst sich erst auf, wenn wir es mit konkreten Beobachtungen zu tun haben, die
es uns ermöglichen, Zurechnungen auf Beobachter vorzunehmen, mit denen wir uns selbst ins Spiel
bringen, denn jede dieser Zurechnungen wird nicht an den adressierten Beobachter, sondern nur an
uns selbst hängen bleiben.«
6 Der Begriff der Interpenetration, der ursprünglich von Parsons eingeführt wurde, bekommt hier
somit bei Luhmann eine neue Bedeutung, da er sich auf eine spezifische theoretische Problemlage
bezieht (Autopoiesis), die so bei Parsons nicht vorliegt, dafür aber eine bestimmte Problemlage
nicht besteht (AGIL-Schema), die bei Parsons vorliegt (Künzler 1990; vgl. auch Luhmann 1978,
1981).
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teme zurückgreifen und »in einzelnen Elementen konvergieren« (Luhmann 1984: 293).
Die theoretischen Folgeprobleme sind jedoch schwerwiegend, wenn man annimmt, dass
autopoietische Systeme solche sind, die ihre Elemente selbst produzieren. Überschnei-
dung von Elementen sind nicht anzunehmen, wenn man davon ausgeht, »daß kein Sys-
tem Operationen außerhalb der Systemgrenzen, also Operationen in seiner Umwelt voll-
ziehen kann;und das heißt ganz konsequent, daß kein System durch eigene Operationen
sich selbst mit der Umwelt verknüpfen kann« (Luhmann 1987: 313) und ein System ent-
weder autopoietisch ist oder nicht (Luhmann 1987: 318). Sobald Systeme ihre Elemente
selbst herstellen, kann es per definitionem keine systemübergreifende Elementidentität
geben (Jung 2009: 50f.).
Das zugrunde liegende Problem ist, dass eine Theorie, die auf der System/Umwelt-
Differenz aufbaut, keine Instanz dafür hat, die Einheit einer Konstruktion zu beschrei-
ben, die zwei Systeme verbindet. Denn eine Systemreferenz ist hier nicht anzugeben. So-
bald sie angegeben wird, ist die strukturelle Kopplung für jedes System eine andere und
mithin nur noch die Konstruktionsleistung eines Systems. Mit Renn (2006: 99f.) könnte
man treffend sagen, strukturelle Kopplungen sind bestenfalls »systemintern eingebildete
Kopplungen.« Denn Interpenetration und strukturelle Kopplung als Einheit sind nur von
einem Beobachter zu beschreiben, der jedoch dann auch nur noch Aussagen über seine
Umwelt macht.
Auch die Idee der strukturellen Kopplung als wechselseitige Beobachtung ist nicht
möglich. So ist denn etwa auch ein Konzept wie Person, das psychische und soziale Sys-
teme koppeln soll, unvorstellbar, da es Personen als Einheit nicht geben kann (Luhmann
1997a). Es gäbe dann eine Person für die Psyche und eine Person für die Kommunika-
tion.
Wenn dieses Problem auch zunächst einmal praktisch irrelevant wirkt – immerhin
hat die Subjektphilosophie ja mehrere Jahrhunderte recht gut funktioniert, gibt es für die
Soziologie doch einige Konsequenzen. Dabei geht es letztlich immer um die Frage nach
gesellschaftlicher Integration (Renn 2006: 104ff). Konkret stellt sich beispielsweise die
Frage nach der Systemdifferenzierung. Wenn jedes System autopoietisch ist, wie ist es
dann möglich, dass ein System sich differenziert? Ist ein Subsystem auch als autopoie-
tisch zu verstehen? Dann wäre es wohl kein Subsystem, da es sich ja vollständig selbst-
ständig reproduziert und das Metasystem hier genauso wenig Steuerungsmöglichkeit
hätte wie bei jedem anderen System. Oder ist es kein autopoietisches System? Wäre dem
so, dann handelt es sich um kein Subsystem. Diese Frage betrifft die gesamte Steuerungs-
debatte der Systemtheorie (vgl. etwa Luhmann 1993; Willke 1994, 1995).
Von vielleicht noch höherer Bedeutung sind die Konsequenzen auf der Ebene der Ge-
sellschaftstheorie, da sie hier, aufgrund der Konzeption von Funktionssystemen als ge-
bunden an Medium und Code, besonders sichtbar werden. Wirtschaft ist dann etwa
Kommunikation im Medium Geld, Wissenschaft ist Kommunikation im Medium Wahr-
heit, Politik ist Kommunikation im Medium Macht. Dies führt für jeden Empiriker bei-
nahe zwangsläufig zu der Anmerkung, dass es doch in der Politik mehr gebe als Macht
– nämlich auch Geld, Liebe, öffentliche Aufmerksamkeit etc., in der Wissenschaft nicht
nur Wahrheit – sondern eben auch finanzielle Probleme, Fragen der Erziehung und po-
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litische Grabenkämpfe – und in der Wirtschaft mehr als nur Geld – von den Machtkämp-
fen ganz zu schweigen, werden hier auch die Waren bereitgestellt mit denen Knappheit
bearbeitet wird (Knorr-Cetina 1992). Bei Luhmann tritt dieses Problem etwa auf, wenn
ganze Organisationskomplexe wie etwa die staatliche Verwaltung ins Funktionssystem
der Politik gelegt werden (Luhmann 2000a: 228ff).
Letztlich hat man hier zwei Möglichkeiten, die beide mit den Grundannahmen der
Theorie kollidieren. Entweder man weist darauf hin, dass nicht alle Kommunikation ei-
nes Funktionssystems in einem Medium erfolgen muss und betrachtet etwa Organisatio-
nen entsprechend als innerhalb eines Funktionssystems befindlich. Oder man sieht
Funktionssysteme auf die Kommunikation innerhalb eines Codes beschränkt (Wirt-
schaft etwa ausschließlich als Kommunikation im Medium Geld) und konzipiert Organi-
sationen in der Umwelt von Funktionssystemen.
Im ersten Fall kann man dann noch die Folgeentscheidung treffen, ob auch anders co-
dierte Kommunikation in dem Funktionssystem denkbar ist oder nicht. Kann es etwa
auch Kommunikation im Medium Geld innerhalb des politischen Systems geben? Ver-
neint man diese Frage wie etwa Kieserling (2005)7, führt dies zu der seltsamen Konse-
quenz, dass zwar eine politische Partei innerhalb eines Funktionssystems verortet wird,
nur ihre gesamte Buchhaltung nicht. Ebenso wenig ihr Kontakt mit den Massenmedien.
PR-Arbeit wäre dann also nicht mehr in der Politik möglich. Auch think tanks wären –
zumindest ihre inhaltliche Arbeit – ebenso wenig wie radial christliche oder islamische
Politik denkbar. Darüber hinaus entsteht eine Vielzahl von Schnittstellen zwischen den
Funktionssystemen. Sie sind dann als partiell identisch zu betrachten. Der Kaffeklatsch
in der öffentlichen Verwaltung wäre dann sowohl dem politischen wie auch dem rechtli-
chen Funktionssystem zuzurechnen (Bora 2001), während der Rest der Kommunikation
innerhalb der Verwaltung auf die Funktionssysteme aufgeilt werden müsste. Die andere
Alternative würde die gesamte Organisation zum Schnittfeld machen. Politik und Wirt-
schaft wären dann in der Verwaltung identisch, Wirtschaft und Politik in der öffentlichen
Wirtschaft (Edeling 2002). Das würde in radikaler Form die Frage nach Autopoiesis und
(Selbst-)steuerung aufwerfen.
In der zweiten Alternative wären eben jene Schnittfelder nicht als Schnittfelder von
Funktionssystemen zu betrachten, sondern als getrennte Systeme. Krankenhäuser würden
dann Wirtschaft und Krankenbehandlung – und vermutlich auch noch Wissenschaft und
Verwaltung (Knudsen 2007) nur noch koppeln, wären aber als eigene Systeme in der Um-
welt der Funktionssysteme zu betrachten (Lieckweg 2001; Nassehi 2002; Kneer 2001). Al-
lerdings würde auch diese Entscheidung einige Probleme zeitigen. Zunächst würde fast
sämtliche Reflexivität aus den Funktionssystemen in die Organisation verlagert werden.
»Die bloße Rekursivität der Funktionssysteme versorgt sich durch die Reflexivität von Or-
ganisationssystemen mit Strukturvorgaben« (Nassehi 2002: 461). Funktionssysteme wären
dann nichts weiter als eine Sukzession mehr oder weniger stupider Operationen und die
interessanten Punkte, nämlich eben jene »Strukturvorgaben«, wären in den Bereich der
7 »Notwendig für die Inklusion einer Kommunikation ist also nicht, daß sie den Codes ihres Systems
verwendet, wohl aber, daß sie keine andere Codierung verwendet« (Kieserling 2005: 435).
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28 »Die Soziologie steckt in einer Theoriekrise«
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strukturellen Kopplung verschobenen – eben jenen Bereich, den es in der Theorie nicht
geben darf. Konsequenter Weise müsste man dies dann auch noch weiterführen und auf
die Organisation selbst anwenden. Interaktionen dürften nicht als innerhalb einer Organi-
sation befindlich betrachtet werden (Kieserling 1999) – physisches Verhalten erst recht
nicht – sondern müssten als separate Interaktionssysteme angesehen werden, welche die
Entscheidungsautopoiesis mit »Strukturvorgaben« versorgen. Auch hier stellt sich dann
wieder die Frage, was denn der Autopoiesis des Systems unterworfen ist. Luhmanns Werk
bleibt in dieser Hinsicht unklar, wenn etwa auch Nicht-Entscheidungskommunikation, so-
gar körperliches Verhalten der Organisation zugerechnet wird (Luhmann 2000b: 63f.).
Verwendet man die Konzepte von Autopoiesis und operativer Schließung jedoch konse-
quent, dann wäre letztlich die gesamte Struktur des Systems aus dem System in den Be-
reich der strukturellen Kopplung verschoben (Kastl 1998).
2 Problem: zweiwertige Logiken
Ich möchte im vorliegenden Artikel im Anschluss an Gotthard Günther (1976a, 1979a,
1980) die These aufstellen, dass dieses Problem im Theoriedesign nur umgangen werden
kann, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich den logischen Voraussetzungen so-
wohl des deutschen Idealismus wie auch der Systemtheorie nähert. Möchte man das von
Luhmann erreichte Abstraktions- und Reflexionsniveau nicht aufgeben, so der Vor-
schlag, muss man es noch weiter treiben, um das Anliegen der Systemtheorie einzuholen.
Dazu möchte ich das Problem, das bisher anschaulich diskutiert wurde, zunächst formal-
logisch interpretieren. Fichte (1997) bietet hier mit seiner klaren Unterscheidung von A
und ~A einen guten Ausgangspunkt, da Luhmanns Theoriedesign in der logischen
Grundverfassung praktisch identisch ist. Beide beginnen mit einer guten Portion Dezisi-
onismus, der Setzung eines A. Zentral ist, dass sich sowohl Systeme wie auch Fichtes Sub-
jekt selbst setzen und damit sowohl Setzendes als auch Gesetztes sind. Es gibt, um mit
Günther zu sprechen, ein Reflexionsgefälle zwischen A und ~A. Indem A ~A konstitu-
iert, schafft es gleichzeitig dessen Form. Eine Umwelt wird durch das System konstituiert.
Das eigentlich Interessante ist die Frage nach der Einheit der Unterscheidung. Die
»alteuropäische« Antwort auf diese Frage liegt wieder auf der Seite von A: Die Einheit
von Reflexion und Reflektiertem ist das Reflektierende. Oder: Das System ist die Einheit
von System und Umwelt. Während diese Interpretation unmittelbar evident erscheint,
erweist sie sich interessanter Weise als formallogisch unzureichend, da die Einheit von A
und ~A ausschließlich in den identischen Anteilen beider Seiten gefunden werden. Un-
terschlagen wird dabei jedoch das, was Günther »Reflexionsüberschuss« nennt (Günther
1978: 239). Formal lässt sich dieser in dem Negator finden (Günther 1963: 36, 1976c: 25,
1978: 17). Der Negator konstituiert den Unterschied zwischen A und ~A, indem er A von
sich selbst scheidet. Der Negator ist bei Fichte die Reflexionsbewegung, die Reflektieren-
des und Reflektiertes in einen Zusammenhang stellt, logisch jedoch nicht mehr abbildbar
ist. Bei Luhmann ist das Dritte das System, das eine Differenz von System und Umwelt
praktiziert. Später wird sie durch den re-entry formalisiert (etwa Luhmann 1990: 82ff.).
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Zweiwertigkeit und Mehrwertigkeit 29
Beltz Juventa | Zeitschrift für Theoretische Soziologie 1/2014
Die Formalisierungen von Fichte wie auch die formtheoretische Formalisierung füh-
ren dabei auf je ihre Art zu den Problemen dieser Interpretation. Formallogisch trennt
Fichte sein Subjekt (A) von der Selbstreflexion (~), welche die Einheit von Reflektiertem
und Reflektierendem betrachtet. Das führt zu Problemen, da der Operator ~ mit dem
Operand A identifiziert wird. Das Subjekt als Reflektierendes wie auch das Subjekt als
Selbstreflexion wären dann identisch. Formal wird also ein Operand mit einem Operator
gleichgesetzt. A, gesetzt als Subjekt/System, wäre dann plötzlich auch ~A, als sich selbst
reflektierendes Subjekt. Bei Luhmann wird dies noch deutlicher: A als System in Diffe-
renz zur Umwelt ist identisch mit dem Negator, der die Einheit von System und Umwelt
bildet.
Das Formkalkül Spencer-Browns (1997) hat dieses Problem auch, da es sich mit einer
Form begnügt, die gleichzeitig Operand und Operator ist. Das Reflexionsgefälle, dass im
vorherigen Fall von A zu ~A verläuft, ~A also als abhängig konstituiert, findet sich hier
zwischen markiertem Innenraum der Form und unmarkiertem Außenraum. Der Hin-
weis auf die Einheit der Unterscheidung, der im klassischen Kalkül im Negator verbor-
gen bleibt, findet sich hier in der Figur des re-entry (Spencer-Brown 1997: 56). Dieses
führt zu einem kontrollieren Wechsel zwischen Innen- und Außenraum der Unterschei-
dung in der Oszillator-Funktion. Damit ist dann aber hier nichts anderes geschehen als
der Hinweis auf den Negator, der in der klassischen Logik durch nichts als sich selbst ab-
gebildet wird. Die Grenze des Kalküls führt in das Kalkül etwas ein, was das Kalkül selbst
transzendiert: Zeit als »traditionell bewährte Technik« zum Umgang mit Paradoxien
(Baecker 2013: 62).
In der Folge wundert es dann auch nicht, dass Spencer-Brown den re-entry, den er in-
nerhalb des Kalküls hergeleitet hat, nicht mehr mit den Mitteln des Kalküls abbilden
kann. Er führt ein neues Zeichen ein, das über die ursprüngliche Form hinausgeht und
den re-entry darstellt und im Kalkül (ebenso wie der Negator) nur sich selbst abbildet.
Mit mathematischer Präzision weist Spencer-Brown hier die Unvollständigkeit seines ei-
genen Kalküls nach (da für Zeit ein neuer Wert eingeführt werden muss, der nicht herge-
leitet wurde), das schließlich in einer Formalisierung von Zeitverläufen gipfelt, in der die
ursprünglichen Unterscheidungen nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Genau
genommen wählt Spencer-Brown damit den Weg Hegels und löst die Differenz in der
Bewegung der Dialektik auf (Baecker 2013: 156). Letztlich ist damit aber nur gesagt, dass
etwas entsteht, das in der eigenen Logik nicht mehr abbildbar ist. Die Oszillation zwi-
schen zwei Werten ist nur Ausdruck der Unmöglichkeit der Bezeichnung eines dritten.
Das theoretische Problem der Monadologie sowohl von Subjektphilosophie wie auch
von Systemtheorie besteht also formallogisch darin, dass der Reflexionsüberschuss des
jeweiligen Kalküls innerhalb des Kalküls attribuiert wird. Es tritt ein Wert auf, der im
Kalkül nicht gefasst werden kann. Dieser Wert wird jedoch wieder in das Kalkül ge-
zwängt und führt in beiden Fällen zur Identifikation des Reflexionsüberschusses mit
dem Reflektierenden, bzw. der Oszillation zwischen beiden Polen, die dann die Einheit
der Selbstreflexion herstellt. In einer realistischen Epistemologie wäre es hingegen wohl
eine Identifikation des Reflexionsüberschusses mit dem Reflektierten. Die Einheit von
Reflexion und Reflektiertem würde dann nicht in der (Selbst-)Reflexion gesucht werden,
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30 »Die Soziologie steckt in einer Theoriekrise«
Beltz Juventa | Zeitschrift für Theoretische Soziologie 1/2014
sondern im Sein(!) von Reflektiertem und Reflektierendem (vgl. Günther 1963: 38ff.). Es
wäre der Hinweis, dass beiden Seiten das tatsächliche und reale Sein gemeinsam ist, nicht
aber die Reflexion.
Das erste Problem ist damit die Inkommensurabilität der logischen Grundannah-
men auf denen beide Theorien aufbauen. Selbst und Selbstreflexion werden als Aus-
gangspunkt und Einheit konstituierend gesetzt, sind als solche jedoch nicht formulier-
bar. Darüber hinaus tritt ein weiteres Problem auf. Es geht um die Möglichkeit von B –
die Frage nach der Möglichkeit eines anderen Subjekts. Die Unterscheidung von A und
~A und die Rückführung des Negators auf A produziert nicht nur logische Widersprü-
che. Darüber hinaus schließt sie ein zweites Subjekt als Reflexionsinstanz aus, wie bereits
im vorherigen Kapitel diskutiert. Formal stellt sich das Problem folgendermaßen dar:
Ein zweites Subjekt muss als B angenommen werden, das von einem ~B unterschieden
ist. Stellt sich jedoch die Frage nach dem Verhältnis von A und B (mithin nach Intersub-
jektivität oder struktureller Kopplung/Interpenetration), so bleiben drei verschiedene
Möglichkeiten. Zunächst besteht die Möglichkeit, A mit B gleich zu setzen. Dann sind
jedoch beide Subjekte identisch. Alternativ kann B als ~A aufgefasst werden. Dann je-
doch ist B ein Derivat von A, ein von A abhängiges Konstrukt. Als letzte Möglichkeit
kann die Unterscheidung von B und ~B als vollständig verschieden angenommen wer-
den, also keine Relation zwischen beiden hergestellt werden. Dann besteht jedoch nicht
nur eben keine Beziehung zwischen beiden, sondern zudem Identität, da beide jeweils
eine völlig eigene Welt bilden, die jedoch nicht von einander unterschieden werden kön-
nen, da sie strukturell identisch sind. Mehrere Subjekte sind dann immer nur ein Sub-
jekt. Nichts anderes meint Luhmann, wenn er sagt, dass »›Subjekt‹ heißt: sich selbst und
damit der Welt zugrunde liegend« und dass es entsprechend »kein anderes Subjekt ge-
ben« kann (Luhmann 1997b: 158).
Die Formtheorie geht in dieser Bewegung dann noch ein Stück weiter, indem sie von
sozialen Systemen abstrahiert und sich nur noch auf Beobachtungen und Beobachter be-
zieht, die nirgendwo mehr in der Welt verortet werden. Anders als soziale Systeme, die
wenigstens noch Kommunikationen als Elemente vorweisen, bleibt in der Formtheorie
nur noch die abstrakte Differenz, die durch die Aufforderung, eine Unterscheidung zu
treffen, entsteht (Spencer-Brown 1997: 3). A wird von ~A unterschieden und der re-
entry führt die Differenz wieder in sich selbst zurück (vgl. hierzu auch ausführlich
Baecker 2013). Wo bei Luhmann dies wohl eher im Sinne von Fichte geschieht und ein
soziales System relativ fest die Einheit der Differenz stiftet, ist der re-entry eher nahe an
Hegels Absoluten konstruiert, der »lebendigen Einheit« (Hegel 1999b: 27) von Denken
und Gedachtem in der Bewegung: »Es ist das Werden seiner selbst, der Kreis, der sein
Ende als seinen Zweck voraussetzt und zum Anfange hat, und nur durch die Ausführung
sein Ende wirklich ist« (Hegel 1999a: XXI). Die Formen, die damit konstruiert werden,
sind dann in sich geschlossene Monaden, die nicht in Kontakt treten können. Struktu-
relle Kopplung ist dann hier unter keinen Umständen mehr denkbar, weil die Anschau-
ung, das ontologische Korrelat fehlt (die Vorstellung von Elementen, die sich überschnei-
den können). Vielmehr bleiben die Formen dann mehr oder weniger auf »merkwürdige
We is e ornamental« (Zill 2005) nebeneinander stehen. Es scheint das Absolute der Kom-
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Zweiwertigkeit und Mehrwertigkeit 31
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munikation, der Organisation oder der Kultur entdeckt – manchmal auch gleich mehrere
Absolute pro Begriff, ohne dass ein Kontakt zwischen diesen überhaupt nur denkbar
wäre (Baecker 2005).
Die Grundanlage einer zweiwertigen Logik, die ihre Einheit wieder in sich selbst ein-
führt, ist freilich ein Problem, dem Luhmann immer wieder zu begegnen versucht hat.
Die immer wiederkehrende Betonung von Beobachtungen zweiter Ordnung wie auch die
Übernahme der Idee einer polykontexturalen Gesellschaft von Gotthard Günther trägt in
empirischer Hinsicht diesem Problem Rechnung. Insofern ist die Systemtheorie Luh-
manns als Gesellschaftstheorie sicher keine rein zweiwertige (Bühl 2003), da sie immer
wieder die Verschachtelung multipler Logiken betont. Dennoch bleibt es ein Problem in
der logischen Grundstruktur der Systemtheorie. Und die Konsequenzen bleiben damit
nicht nur rein protosoziologischer Natur, sondern führen eben auch zu harten Konse-
quenzen in der Gesellschaftstheorie, da Luhmann letztlich immer wieder bei der Schlie-
ßung der Systeme landet und nicht bei ihrer Verbindung.
3 Mehrwertigkeit
Die oben genannten Probleme bewegen sich damit innerhalb der Zweiwertigkeit von
Sein und »Negativität« (Hegel 1999a: XXV) als Reflexion. Anschaulich betrachtet han-
delt es sich um ein ständiges Verschieben von Reflexivität und Reflektiertem, von Gesetz-
tem und Negiertem. Dies wird nicht zuletzt in der eben angesprochenen Frage deutlich,
ob es sich bei Systemen nun eben um Seiendes oder um Setzendes, um in der Welt Seien-
des (also in Pluralitäten vorfindbares) oder um eine singuläre Welt (als Einheit von Sys-
tem und Umwelt) handelt. Auf anschaulicher Ebene ist diesem Problem so schwer auszu-
weichen, weil es sich damit vermutlich um die Differenz handelt, in der wir denken, in
der Polarität von Sein und Nichts (Günther 1979b: 198; Hegel 1999b). Damit ist selbst
jede Differenztheorie immer damit konfrontiert, mit Identitäten zu arbeiten, da Identitä-
ten als Korrelat von Differenzen das sind, worüber wir reden. Genau dieses Problem
führt denn auch bei Luhmann dazu, dass immer mehr identitätstheoretische Konzepte
Eingang in die Differenztheorie finden.
Anschaulich ist dieses Problem daher nicht zu lösen – was wohl auch den Anstoß zur
Entwicklung der Formtheorie gegeben hat. Mit Günther (1976b) jedoch ließe sich eine
formallogische Lösung anbieten, welche die Anschaulichkeit suspendiert. Dies würde die
Möglichkeit der Umsetzung Luhmanns differenztheoretischer Intention bieten, ohne
dass man sich dabei die identitätstheoretischen Folgeprobleme einhandeln würde. Dazu
müsste zunächst der Doppelcharakter des Negators anerkannt werden, ohne den Negator
innerhalb des Unterschieds von A und ~A subsummieren zu wollen. In Anlehnung an
die Quantenphysik ließe sich von einer Operand/Operator-Dualität sprechen: Je nach-
dem, welche Perspektive gerade angelegt wird, verhält sich der Negator als Operand oder
als Operator. Verhält sich der Negator als Operator, so schließt er die Unterscheidung auf
und wird selbst unsichtbar. Verhält er sich hingegen als Operand, schließt er die Unter-
scheidung ab und bezeichnet sie als Einheit. In dieser Situation wird er selbst als Konsti-
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32 »Die Soziologie steckt in einer Theoriekrise«
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tuent der Einheit der Unterscheidung sichtbar. In diesem Sinne betrachtet man den Ne-
gator auch als »akkretive« Operation (Günther 2000 [1979]: 5). Der Negator als Operator
überführt die Unterscheidung von A und ~A in einen neuen Unterschied. Dieser Schritt
ist insofern konsequent, als dass er vermeidet, den Negator entweder mit A oder aber mit
~A zu identifizieren. Das Problem der Inkommensurabilität des Kalküls wäre damit ge-
löst. Ebenso wäre ein Schritt nach draußen getan, denn akzeptiert man diesen Schritt, ge-
schieht Folgendes: Die Einheit der Zweiwertigkeit von A und ~A, konstituiert durch den
Negator, wird ein Wert in einer neuen Zweiwertigkeit. Die Einheit von Reflektiertem und
Reflexion wird also als Einheit von A und ~A bezeichnet als B, das wiederum von einem
~B unterschieden wird. Die Lösung bei der Frage nach der Konstitution einer anderen
Reflexionsinstanz wird so also in der Identifikation von B mit dem Negator gesucht.
Beim frühen Günther (1978, 1963) ist der Hinweis auf den Negator zunächst der Hin-
weis auf das »Du« – obwohl auch hier schon eingeräumt wird, dass, sobald man sich auf
diese Art der Argumentation einlässt, ein »Du« als dritter Wert keinesfalls ausreicht
(Günther 1963: 79f.). Denn rein formal kann es sich bei der Einheit von Reflektiertem
und Reflexion sowohl um Selbst- wie auch um Fremdreflexion handeln. Die Feststellung,
da ist etwas, das von etwas reflektiert wird, kann ebenso gut von einem »Du« wie von ei-
nem »Ich« gedacht werden. Wenn man so möchte, ist es eine logische Formalisierung
von Heideggers (1993) Feststellung, dass das Dasein schon immer ekstatisch sei, weil es
über sich hinaus ragt – nur ist Günthers Vorschlag weit allgemeiner, da sie in der Konse-
quenz nur noch abstrakte Reflexionsbeziehungen meint.
Genau genommen ist die Konstitution eines B im Unterschied zu einem A jedoch
kein »Du« im Unterschied zu einem »Ich« mehr – zumindest nicht mehr im Sinne der
Subjektphilosophie. Die Unterscheidung von A und ~A als Subjekt bzw. System hat ihren
ontologischen Vorrang aus der Figur der kritischen Reflexion (Descartes/Kant) oder der
Idee einer Systemtheorie als Universaltheorie gewonnen. Nur aufgrund dieser jeweiligen
Argumentationen – oder Setzungen – ist ihnen ein ontologischer Vorrangstatus als ein-
zige Reflexionsinstanzen zugekommen. Die Schließung des Subjekts hat ein tertium non
datur konstituiert, das keine weiteren Werte zugelassen hat und so Grundlage der Welt
wurde. Mit der bisherigen Argumentation ist dem Subjekt jedoch eben dieser Status ge-
nommen. Daher kann es als Reflexionsinstanz keinen ontologischen Vorrangstatus mehr
bekommen. Dasselbe gilt für die Systemtheorie, wenn man akzeptiert, dass sie dieselben
Probleme hat. Sie funktioniert nur, weil es auch hier nur ein System geben kann, das der
Welt zugrunde liegt. Die Interpretation neuer logischer Räume als »Du«, wie dies häufig
angenommen wird (etwa bei Ort 2007, 2012), greift somit zu kurz.
Nimmt man den Gedanken Günthers, dass die Negation über die Zweiwertigkeit hi-
naus reicht, jedoch ernst, führt dies zu einer konsequenten Verabschiedung von einer un-
terliegenden Anschaulichkeit. Es gibt keinen Grund, die Operand/Operator-Dualität des
Negators auf die Interpretation von »Ich« und »Du« zu beschränken, also auf Subjekte,
die einander beobachten. Dies setzt eine Bindung an eben genau jene Zweiwertigkeit von
Reflexion und Reflektiertem voraus, die in der ersten Zweiwertigkeit angelegt ist. Genau
besehen handelt es sich nur um eine Verdopplung der Unterscheidung von Sein und Re-
flektierendem. Eröffnet man jedoch tatsächlich einen neuen logischen Raum, so verliert
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Zweiwertigkeit und Mehrwertigkeit 33
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man die unterliegende Anschaulichkeit von Ich, Du und Es, da eine neue Zweiwertigkeit
nicht mehr die Zweiwertigkeit von Sein und Reflexion, von res und intellectus, von Sys-
tem und Umwelt ist. Es entsteht ein logischer Raum, der sich der Anschauung entzieht
und über dessen Inhalte nicht mehr gesagt werden kann, sie seien oder sie seien nicht
(etwa bei Günther 1979c, 2000 [1979]). Daher ist die hier vorgeschlagene Lösung des
Problems tatsächlich in aller Konsequenz formallogisch. Sie kann nicht wieder auf An-
schaulichkeit zurückgeführt werden.
Günther verwendet in seinen späteren Werken den Begriff der Kontextur (Günther
1979b, 1979c), um diesen Sachverhalt zu beschreiben. Eine Kontextur ist eine Zweiwer-
tigkeit, die durch einen Negator geöffnet und geschlossen wird. Und das kann zunächst
einmal alles sein. Es kann sich um ein Ich oder ein Du im Sinne von denkenden, adres-
sierbaren Systemen oder Subjekten handeln. Eine Kontextur kann jedoch ebenso ein
Staat, eine Organisation, eine Religion sein, die als Reflexionsinstanz auftritt. Ebenso lie-
ßen sich auch Semantiken in dieser Form beschreiben, Prozessabläufe oder aber Dis-
kurse. Der Hinweis darauf, dass eine bestimmte Handlung illegal ist, dass sie unmora-
lisch ist, dass sie gewinnbringend oder moralisch ist, öffnet eine neue Kontextur, da eine
neue Zweiwertigkeit angelegt wird (Günther 1979c). Hier muss dann auch Maschinen
oder Gegenständen der Status einer solchen Kontextur eingeräumt werden, wenn sie em-
pirisch als eine solche auftreten. Die Möglichkeiten, die Maschinen in Differenz zu einem
Akteur bieten können, müssen als Kontextur gefasst werden (etwa Latour 2010). Die Un-
terscheidung von angemessenem und nicht angemessenem Verhalten kann ebenso auf-
treten wie Nicht-Spieler-Charaktere in Computerspielen. Organisationen und Staaten
können wie Tiere als Kontexturen erscheinen. Physischer Raum im Sinne von Anwesen-
heit und Abwesenheit kann relevant werden, gleichermaßen die Identifikation der Zuge-
hörigkeit zur Arbeiterklasse. Nur kann keiner dieser Unterscheidungen ein ontologischer
Primat oder überhaupt irgendein ontologischer Status eingeräumt werden (da eine Kon-
textur nicht »ist«, ist die Rede von ihr dann keine Rede (logos) vom Sein (on)). Die Un-
terscheidung von Bourgoisie und Proletariat wäre damit gleichrangig mit der Unter-
scheidung von warm und kalt.
4 Mehrwertige Soziologie?
Der Vorschlag Günthers hat also unbestreitbar die Attraktivität, den Weg aus der Ge-
schlossenheit von Subjekt und System zu bieten. Nimmt man diesen Vorschlag ernst,
landet man dann jedoch in einer gewissen Bodenlosigkeit. Die Unterscheidung zwi-
schen bewachsen und nicht bewachsen kann dann unter Umständen von höherer Re-
levanz sein als die Unterscheidung von Ich und Du – nämlich wenn über die richtige
Art, ein Grasdach zu decken, diskutiert wird. Das Subjekt kann dann unter Umständen
völlig verschwinden und nur dann auftauchen, wenn es darum geht, Abweichung
kenntlich zu machen und auszuschalten. Soziale Ordnung würde in dieser Hinsicht
nicht auf Subjektivität aufbauen, sondern die Konstruktion von Subjektivität nutzen,
um soziale Ordnung aufrecht zu erhalten, indem alle Subjekte (als Welthorizonte) aus-
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34 »Die Soziologie steckt in einer Theoriekrise«
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geschlossen werden. Einem Ich kann dann ein Prozess als Du gegenüber stehen und
einer Akte kann derselbe ontologische Status (oder ein höherer) wie einem Subjekt ein-
geräumt werden.
Ähnlich der Bewegung der Quantenphysik, die damit ihren Anfang nahm, dass für
ein Problem eine rein mathematische Lösung gefunden wurde, der keine Anschauung
unterlag (Vogd 2014: 49ff.), könnte man hier davon reden, dass die Anschauung zuguns-
ten des Formalismus suspendiert wird. Wo man sich ein Subjekt noch recht gut vorstellen
kann und auch ein System als Ablauf kommunikativer Akte analog zum Denkprozess
metaphorisch gut vorstellbar ist, ist eine Kontextur nicht anschaulich vorstellbar. Von ihr
kann nicht entsprechend gesagt werden, sie sei. Es gibt sie nicht, da die Kategorie des
Seins oder Nicht-Seins auch nur wieder als eine Kontextur zu betrachten ist. Selbst wenn
von einem Subjekt als Einheit der Differenz von Reflexion und Reflektiertem die Rede ist
oder von einem System als Einheit der Differenz von System und Umwelt, ist die Aussage
nur noch eine logische Aussage, die ontologisch so zu verstehen ist wie etwa eine Aussage
über Wahrscheinlichkeiten.8 Wenn etwas wahrscheinlich oder unwahrscheinlich mit ei-
nem bestimmten Wert ist, dann ist es weder, noch ist es nicht. Ebenso verhält es sich mit
Kontexturen – selbst mit jenen, die man sich noch anschaulich vorstellen kann, wie bei-
spielsweise Ich und Du. Hier kann man zwar schlüssig in den symbolischen Interaktions-
mus einrasten (Blumer 1969). Doch bleibt dies letztlich nur ein temporäres Phänomen,
das man nicht als gegeben voraussetzen, sondern wieder suspendieren können muss. Es
muss von Ich und Du gesagt werden, dass sie weder sind, noch dass sie nicht sind. Und
das ist wohl das Problem des Vorschlags von Günther: Wir würden eine mehrwertige Lo-
gik annehmen, die sich der Anschauung entzieht. Der Zusammenhang kann dann nur
noch als irgendwie empirisch feststellbar immer neu beobachtet werden, ohne dass es für
diesen Zusammenhang jedoch eine zugrunde liegende Anschauung geben würde. Selbst
in Fällen, in denen eine Anschauung vorliegt, kann diese weder als Realität (als Zurech-
nung des Reflexionsüberschusses auf das Reflektierte) noch als Konstruktion (als Zu-
rechnung des Reflexionsüberschusses auf das Reflektierende) betrachtet werden. Schlüs-
sigkeit würde sich dann nur noch über eine deontologisierte Hermeneutik und/oder
über einen logischen Formalismus ergeben.
Dieser Verlust der Anschauung ist zwar ein Problem. Allerdings nur in der Hinsicht,
als dass die Handhabung schwieriger wird, gleichzeitig mit der Abstraktion jedoch auch
das Auflösungsvermögen steigt. Das beste Beispiel dafür ist eben jene Quantenphysik,
die genau diese Bewegung erfolgreich gemacht hat. Mit der Heisenberg’ schen Unbe-
stimmtheitsrelation wurde der Zusammenhang zwischen Berechnung, Anschauung und
Experiment in der Physik aufgegeben. Entweder man ist in der Lage, ein Experiment zu
berechnen und hat dann keine anschauliche Vorstellung mehr von dem, was da passiert
– das beste Beispiel ist Schrödingers tote und lebendige Katze. Oder man treibt eine be-
stimmte Vorstellung voran, probiert diese empirisch aus und gerät so zu neuen Erkennt-
nissen, die aber nicht mehr voll berechenbar sind (Vogd 2014: 145ff.).
8 Was freilich aufgrund unserer Sprache nicht davon entbindet, von ihr wie von einem Objekt zu
schreiben. Mit Fuchs (2001) könnte man dann folgende Notation verwenden: Kontextur.
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Dennoch stellt sich die Frage, wie brauchbar eine solche Soziologie sei. Schon die Sys-
temtheorie hat Probleme damit, eine eigene empirische Forschung zu ermöglichen. Viel-
mehr legt sie näher, die eigenen Unterscheidungen immer wieder deduktiv auf neue Ge-
genstände zu wenden. Die Zahl der empirischen Studien scheint hier überschaubar (etwa
Vogd 2004b, 2005a; Nassehi 1995; von Groddeck 2010) und ein empirischer Zugang wird
fast ausnahmslos über andere Theorien als Brücke gesucht (etwa Schneider 1992, 1995;
Nassehi 1997a, 1997b; Vogd 2005b, 2007, 2011). Theoretische Weiterentwicklungen, die
noch stärker in Richtung Deontologisierung gehen und in einem Grad formallogisch ge-
führt werden, wie dies hier der Fall ist, wecken nicht gerade den Eindruck, dass sie der
Empirie näher sind als der sowieso schon abstrakte Theorieapparat der Systemtheorie.
Demgegenüber möchte ich an dieser Stelle das Argument stark machen, dass eine So-
ziologie, die sich an Günthers Begrifflichkeit der Kontexturen orientiert und so versucht,
das systemtheoretisch Vorhaben umzusetzen, indem sie konsequent auf die Analyse von
Reflexionsbeziehungen setzt, wesentlich empirienäher ist, als es die Systemtheorie (oder
die Formtheorie) je sein kann. Hierfür möchte ich zwei Gründe anführen.
Der erste Grund ist die Umstellung auf Offenheit gegenüber Geschlossenheit. Wäh-
rend die Systemtheorie (oder auch die Subjekttheorie) den Weg aus einem System hinaus
immer erst mühsam mithilfe von theoretisch instabilen Konstrukten wie struktureller
Kopplung schaffen muss, ist er in den Grundfiguren von Günther von vorn herein ange-
legt. Eine Kontextur weist immer schon über sich hinaus. Damit ist nicht die Geschlos-
senheit Gegenstand, sondern die Relationierung von Reflexionsbeziehungen.
Der zweite Grund liegt in der radialisierten Deontologisierung des Kontexturbegriffs.
Soziale Systeme sind letztlich noch ontologisch gedacht, wenn dies auch stets negiert
wird. Es »gibt« sie – freilich nur als Differenz. Dennoch werden sie von Luhmann als Sei-
ende behandelt: Sie verfügen über Elemente, haben ein Gedächtnis etc. Es gibt verschie-
dene Typen, Interaktionen, Organisationen, Gesellschaften und Funktionssysteme. Diese
greifen wiederum auf Medien zurück, die aus Elementen bestehen. Systeme finden ein-
ander in einer Umwelt vor. Sie sind gleich russischer Matrjoschkas ineinander geschach-
telt. Kontexturen sind hingegen nur logisch Koordinaten. Zwar lässt es sich nicht verhin-
dern, von ihnen objektivistisch zu reden. Doch werden mit dem Hinweis darauf, dass
schon diese Rede unangemessen ist zum einen Frage unterlaufen wie die, welches System
denn nun in welches gehöre (s.o.). Viel wichtiger ist jedoch, dass eine solche Reflexions-
koordinate praktisch alles sein kann und in der empirischen Arbeit gefüllt werden muss.
Der Kontexturbegriff unterbindet damit quasi jede Diskussion über Elemente, Ele-
mentidentität, letztlich um Essenz und Wesen eines Systems. Stattdessen verweist er im-
mer wieder auf empirisch beobachtbare Beziehungen. Damit wäre ein Schritt weiter in
Richtung der Deontologisierung getan. Die Arbeit mit der hier vorgeschlagenen Unter-
scheidung wäre damit schon immer eine empirische, weil sie zunächst empirisch rekon-
struieren muss, was eigentlich als Reflexionsinstanz in einer bestimmten Situation vor-
findbar ist.
Darüber hinaus wäre dann noch anzumerken, dass, wenn man ein solches soziologi-
sches Interesse in der Tradition der Systemtheorie verortet, hier die Theorie natürlich
nicht identisch ist mit der Analyseform (Fuchs 2003: 209). Auch wenn man mit dem Hin-
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36 »Die Soziologie steckt in einer Theoriekrise«
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weis auf die theoretischen Probleme der System/Umwelt-Differenz dieselbe als Aus-
gangspunkt suspendiert, bleibt die funktionale Analyse als kybernetische Methode beste-
hen (Bateson 1967). Es würde weiterhin darum gehen, welche Probleme wie bearbeitet
werden. Insofern geht es nicht nur um Beschreibung und auch nicht um Formalisierung
in einem mehrwertigen Kalkül.9 Viel eher geht es darum, das eigentliche Anliegen einer
soziologischen Systemtheorie umsetzen zu können, nämlich das Beobachten wechselsei-
tiger Beobachtungen – nur dass dazu eben der Beobachter, bzw. das System als ontolo-
gisch sicherer Ausgangspunkt suspendiert werden müsste.
Damit rückt der Blick dann auf all jene Strukturen, die aus den Beziehungen verschie-
dener Kontexturen resultieren und deren funktionaler Verschränkungen. Günther
spricht hier von »compound contexturalities« oder von »Verbundkontexturen« (Günther
1979b: 290f., 1979c: 191f.). Es handelt sich um zweiwertige logische Räume, die auf ein-
ander verweisen und in diesem Verweis dadurch Stabilität aufbauen, dass sie den Refle-
xionsüberschuss der jeweils gekoppelten Kontexturen absorbieren. Das einfachste und
anschaulichste Beispiel hierfür wäre wohl eine Situation doppelter Kontingenz, in wel-
cher der Raum der Kommunikation seine Einheit dadurch sichert, dass der Reflexions-
überschuss in zwei beteiligten Personen gebunden wird. Umgekehrt beobachten
die Personen als reflexive Adressen einander, aber immer vermittelt über die dritte Kon-
textur der Kommunikation. Ebenso wären aber naturwissenschaftliche Versuchsanord-
nungen und Wissenschaftler sowie die Interaktionsbeziehungen zwischen beiden als
Verbundkontextur zu betrachten (etwa Latour 1987). Diese könnte dann etwa erweitert
werden durch den Hinweis auf wissenschaftliche Diskurse und auf Logiken der Drittmit-
telakquise. Ebenso ließen sich wirtschaftliche und medizinische Rationalität als Kontex-
turen betrachten, die in einer Logik der Krankenbehandlung einander gegenüber stehen
(Vogd 2004a) oder Arbeitnehmer- und Anteilseignerbank, die einander in einer Logik
der Aufsichtsratsarbeit vermittelt werden (Jansen 2012, 2013).
Eine Soziologie der Polykontexturalität würde sich wohl in der Folge dafür entschei-
den, wie der Reflexionsüberschuss verschiedener inkommensurabler Kontexturen in ei-
ner weiteren Kontextur gebunden wird. Es ginge damit in gewisser Weise um die Analyse
von Übersetzungsverhältnissen (Renn 2006: 408ff.). Zentral sind dabei sowohl der Ge-
danke der Inkommensurabilität wie auch der Gedanke der Vermittlung in einer dritten
Kontextur – jeweils im funktionalen Bezug auf die Frage der Einheit der je anderen. Dies
kann etwa die Interaktion zwischen Akteur und Maschine sein, die auf die Struktur der
Maschine wie auf die Struktur des Akteurs hinweist, die in der Interaktion in ein produk-
tives Verhältnis gestellt werden. Es kann sich um die Vermittlung medizinischer, ökono-
mischer und organisationaler Kontextur in medizinischer Interaktion handeln. Es kann
sich um die Frage handeln, wie verschiedene Personen zu funktionablen Gremien gebun-
den werden. Dies alles mit dem Hinweis, auf die weiter bestehende Inkommensurabilität,
9 Insofern unterscheidet sich der hier vorgebrachte Vorschlag – trotz vieler Parallelen – auch vom
Vorschlag Espositos (2011). Es geht gerade nicht darum, etwas in ein Kalkül zu überführen und so
abzubilden, wie dies die Formtheorie macht. Vielmehr muss eine mehrwertige Soziologie in dem
hier vorgeschlagenen Sinne hermeneutisch vorgehen (Günther 1978: 112).
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Zweiwertigkeit und Mehrwertigkeit 37
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die in der Bearbeitung nicht aufgehoben wird, sondern immer nur situativ neu den Re-
flexionsüberschuss der jeweiligen logischen Räume bindet.
Fazit
Hauptanliegen des Artikels war es, die Idee einer mehrwertigen Logik als protosoziologi-
sche Grundlage stark zu machen. Im Anschluss an Günther würde man so einige der
fundamentalen Probleme der Systemtheorie ausräumen können – dabei freilich der im-
mer noch relativ hohen Anschaulichkeit der Systemtheorie verlustig gehen. Durch die
Interpretation des Negators als akkretive Operation, die immer schon über jede angelegte
Differenz hinaus weist, gelänge man auf sehr unsicheren Untergrund, in dem feste Figu-
ren wie Subjekte oder Systeme, aber auch Akteure und vermutlich sogar Organisationen,
Staaten, Gesellschaften immer schon dazu verleiten, über sie selbst hinaus zu gehen.
Der letzte Abschnitt sollte vor allem auf die praktische Relevanz in der Empirie und
Theoriebildung hinweisen. Es handelt sich bei den vorgestellten Überlegungen keines-
falls um ein Glasperlenspiel mit philosophischen Problemen, die keine soziologische
Konsequenz haben. Vielmehr hätte – und das ist vielleicht der zentrale Punkt der bishe-
rigen Argumentation – gerade eine so grundlegende Unterscheidung wesentliche Folgen
für die praktische Arbeit. Das Problem der Systemtheorie wäre in diesem Sinne nicht da-
rauf zurückzuführen, dass sie überhaupt mit Hochabstraktionen arbeitet, sondern dass
diese Hochabstraktionen solche sind, welche die Arbeit mit der Theorie automatisch
nach innen richten. Im Fall der Formtheorie ließe sich sagen, dass deren monadische An-
mutung »keine Frage des Abstraktionsgrades« ist (Zill 2005). Wie sich von Descartes
über Kant, Fichte, Schelling – zum Teil auch Hegel – und Husserl eine Philosophie ent-
wickelt hat, die immer wieder Probleme hatte aus dem Subjekt hinaus zu kommen, hat
die Systemtheorie Probleme damit, aus dem System heraus zu kommen. Die Entschei-
dung für Geschlossenheit ist insofern das Problem, nicht jedoch die Hochabstraktion.
Und dieses Problem kann über die Möglichkeiten einer mehrwertigen Logik bearbeitet
werden. Darüber hinaus liegen die Konsequenzen in der Anwendung – sei es nun Empi-
rie oder Theorie – in den enorm hohen dynamischen Möglichkeiten einer mehrwertigen
Logik. Eine konsequente Deontologisierung von Reflexionspositionen hält ein Rekombi-
nationspotential theoretischer Formen und empirischer Fragen bereit, das innerhalb ei-
ner klassischen Zweiwertigkeit nur schwer zu formulieren ist.
Die Begriffe der Kontextur und der Verbundkontextur sind in diesem Sinne Vor-
schläge, die in Verbindung mit der kybernetischen Methode soziologische Arbeit anlei-
ten können. Sie bieten eine – aufgrund unseres Denkens wohl unumgängliche (Günther
1979b: 198) – »Minimalontologie« (Fuchs 2003: 208), die empirische und theoretische
Arbeit dann möglich macht, dabei jedoch immer sofort zum Kreuzen von der Seite der
Gegenständlichkeit zur Seite der Reflexion auffordert. Die Attraktivität der Begriffe liegt
somit darin, dass sie immer über sich hinaus weisen. Sie fordern situativ stets neue Be-
stimmung.
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Einige Formen der empirischen Arbeit und der Theoriearbeit weisen hier sicher Par-
allelen zu bestehenden Vorhaben auf. So liegt die Idee der immer wieder neuen Suche
nach Reflexionsinstanzen und ihren Beziehungen sicher nahe am ameisenhaften Vorge-
hen einer ANT (etwa Latour 1987, 2010). Wie in der ANT ginge es hier um Sozialität
nicht als Realität, sondern als Zirkularität (Latour 2006: 565), um die Analyse rekursiver
Systeme von Verweisungen, im Prozess der Verweisung sozial stabile Einheiten produ-
zieren. Der Unterschied würde hier wohl vor allem in der radikalen Deontologisierung
und der konsequenten Verabschiedung des Akteurs als zentrale Figur liegen. Der Relati-
onierung von seienden Einheiten und die Apologie des Wissens der Akteure um ihr ei-
genes Handeln wäre die Hermeneutik mehrwertiger Reflexionsverhältnisse (Günther
1978: 112) entgegenzustellen, der Positivsprache des Seienden in einer »Aktant-Rhizom-
Ontologie« (Latour 2006: 565, 2010: 24), die Negativsprache der Reflexion (Günther
2000 [1979]; Baecker 2010). Während es der ANT so um eine ethnographische Deskrip-
tion des common sense der Akteure geht, würde es hier eher darum gehen, die latenten
Funktionsbezüge freizulegen, welche die Reflexionsbeziehungen untereinander verbin-
den – unter Ausklammerung des Akteurbegriffs.
Ebenso weist die mehrwertige Logik Günthers dann Ähnlichkeiten zu einer formthe-
oretisch informierten Soziologie auf, die ebenso wie die ANT darauf pocht, im »Verhält-
nis zu Körpern, Gehirnen, Bewußtsein, sozialen Systemen und künstlich intelligenten
Maschinen und Algorithmen, deren Eigensinn zu respektieren« (Baecker 2013: 9). Je-
doch ginge es hier nicht um die Schließung der Formtheorie (etwa Baecker 2005). Es
ginge dann nicht um das Hegel’ sche Absolute, das in einer Form ausgedrückt wird, son-
dern um die Verweise verschiedener Kontexturen untereinander, auf deren funktionale
Verschränkung. Die Analyserichtung wäre dann umgekehrt, weg von der monadischen
Schließung, hin zu einer dynamischen Relationierung. Die Parallelen würden dann eher
im Bereich einer formtheoretisch informierten Kultursoziologie liegen, die letztlich für
Günther (2000 [1979]) statt für Spencer-Brown optiert, die Form ausklammert und sich
stattdessen der empirischen Öffnung und der Reflexion von Reflexionsverhältnissen zu-
wendet (Baecker 2013: 263).
Darüber hinaus gibt es sicher einige Anschlussmöglichkeiten zu neueren Entwicklun-
gen in der Netzwerktheorie, die auf die dynamische Relationierung von Identitäten setzt
(White 2008). Nicht ohne Zufall ist die Kritik aus dieser Richtung an der Luhmann’ schen
Systemtheorie ebenso wie hier auf ihre Geschlossenheit gerichtet (White/Fontevilla 2011).
Wenn die Theorie hier aber wesentliche Anknüpfungspunkte gibt, geht die Empirie, die
letztlich einem ontologisch vorfindbaren Akteur verhaftet ist, eine gänzlich andere Rich-
tung (etwa White 1981). Generell ließe sich jedoch sagen, dass das, was unter dem Titel
einer »relationalen Soziologie« behandelt wird, mit Sicherheit viele Anschlussmöglich-
keiten bietet (als Überblick vgl. etwa Fuhse/Mützel 2010).
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Anschrift:
Till Jansen
Wittener Institut für Familienunternehmen
Universität Witten/Herdecke
Alfred-Herrhausen-Str. 50
D-58448 Witten
till.jansen@uni-wh.de
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... Tatsächlich geht er jedoch auf eine deutlich längere Entwicklung zurück, die mit der Erweiterung der Dokumentarischen Methode um system-wie rahmentheoretische Überlegungen begann (siehe etwa Vogd 2004bVogd , 2007aVogd , 2010Vogd , 2011. Die Umstellung von der Dokumentarischen Methode auf eine stärker an Gotthard Günther orientierte Theorie erfolgte dabei nach und nach (Jansen und Vogd 2013;Jansen 2014;Vogd 2017), die Reflexion des methodischen Vorgehens noch etwas später (Jansen et al. 2015Vogd und Harth 2019). ...
... Cassirer (1994, S. 360) schreibt (mit der selbstverständlichen Zurechnung auf das Bewusstsein) hierzu: "Befragt man die unmittelbare Erfahrung, die noch von keinem Moment der Reflexion durchsetzt ist, so zeigt es sich, dass ihr der Gegensatz des ‚Subjektiven' und ‚Objektiven' noch völlig fremd ist. Für sie gibt es nur eine Stufe des ‚Daseins' schlechthin, die alle Inhalte 16 Das hätte zur Folge, dass man einfach eine neue Klasse von Systemen identifiziert und die Rede vom Menschen und dem Subjekt durch eine System-Ontologie ersetzt (Jansen 2014). 17 Während eine semantische Antinomie mit Wahrheitsbegriffen operiert (siehe etwa das Paradoxon des Epimenides), funktionieren ontologische Antinomien mit Mengen (etwa Russels Antinomie). ...
... So sehr Luhmann beteuert, sich von der alteuropäischen Tradition metaphysischen Denkens verabschiedet zu haben, so wenig hat er es in logischer Hinsicht tatsächlich getan (vgl. Bühl 2000;Jansen 2014;Kastl 1998 ...
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(…) Der Band ist also auf dreifache Weise zugänglich. Zum einen erlaubt er eine thematische Orientierung an (paradoxalen) Begrifflichkeiten bzw. Semantiken, zum anderen gibt die strukturelle Ebenenlogik von Theorie, Semantik, Interaktion, Profession und Organisation eine Ordnung vor, und schließlich kann man danach fragen, wie die verschiedenen Beiträge an Paradoxien herangehen, was sie sozusagen mit Paradoxien vorhaben. Da die Herangehensweisen in der Regel nicht schon aus den Beitragstiteln hervorgehen, können die folgenden knappen Hinweise hilfreich für diejenigen sein, die sich primär für die operativen Zugänge zu Paradoxien interessieren. Diese sind hier grob und ohne systematischen Anspruch von eher grundlagentheoretischen zu eher anwendungsbezogenen Herangehensweisen angeordnet. Fragt man also, was die Beiträge mit Paradoxien ‚machen‘, könnte man – wohlgemerkt hoch reduktionistisch, somit riskant informativ – sagen: - ordnen, systematisieren, differenzieren (Epp, Vehse, Binder/Krönig/Tenorth) - ideengeschichtlich zurückverfolgen (Oelkers, Binder/Krönig/Tenorth) - grundlagentheoretisch erforschen (Andersen/Knudsen/Sandager) - als epistemologischen Motor nutzen (Wittig) - reflektieren, bewusst machen (Beier, Morrin) - als Pseudoparadoxien aufdecken (Redecker, Herzog) - auf Basis axiomatischer Grundlagenkritik reformulieren (Sauerbrey) - professionell bearbeitbar machen (Zeinz/Kopmann, Morrin) - entschärfen, zur Balance bringen (Drieschner/Gaus, Vehse) - dialektisch aufheben (Duncker) - durch Umformung in Dilemmata entparadoxieren (Wendt) - als problematische Lösungen analysieren (Kollmer) - als unbearbeitbar ausweisen (Betschart) - für Ausbildung (Emmenegger), für Bildungsprozesse nutzen (Laub) Noch komprimierter: Im vorliegenden Sammelband werden Thesen zum pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen „Paradoxiemanagement“ (Bin- der 2016) in folgender Hinsicht bearbeitet: - plausibilisierend, ergänzend und vertiefend sowie ihnen widersprechend - laborhaft theoretisierend sowie kontextualisierend - binnenperspektivisch sowie den Blick in Umwelten weitend
... Die soziologische Systemtheorie Niklas Luhmanns bietet hingegen zumindest prinzipiell einen rein 3 kommunikationstheoretischen Ansatz für die Integration nicht-menschlicher Teilnehmer. 1 Diese Perspektive ist jedoch trotz ihres Potentials nicht gründlich genug ausgearbeitet. Dies verwundert umso mehr, weil doch die Systemtheorie Luhmanns damit angetreten war, soziologische Theorie vom humanistischen Erbe zu befreien und sozusagen produktiv ‚dehumanisiert' ausgerichtet zu sein -wie schwierig dieses Unterfangen jedoch auch Luhmann fällt, ist unter anderem in Jansen (2014) nachzulesen. Daher ist zu fragen, ob die Systemtheorie nicht doch einem (impliziten) humanistischen Bias unterlegen ist. ...
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Dieser Beitrag greift ein Thema auf, das die Soziologie bereits seit einigen Jahren beschäftigt: Es ist die Frage nach der Konzeption von Kommunikation mit nicht-menschlichen Interaktionspartnern. Es interessiert vor allem, inwiefern technische Artefakte, bzw. so genannte intelligente Maschinen als potentielle Kommunikationspartner gelten können. Bislang jedenfalls hat noch kein theoretischer Vorschlag zu einer überzeugenden und gemeinhin anerkannten Lösung geführt.
... While we do not necessarily have to share the multiple ontological assumptions, the built-in ontology of psychic systems and the exclusion of any materiality (Baraldi, 1993;Schoeneborn, 2011;Schoeneborn et al., 2014) that Luhmann's theory implies-actually, the proposed approach would not be fully compatible with a Luhmannian perspective on agency (Blaschke, 2015), his notion of communication resolves our second problem; assuming that communication produces its own ontology that differs from that of any other contexture involved. Only in this reduced way it is suggested as a point of departure (Jansen, 2014). We may observe which other contextures communication draws upon, which entities are referred to as being actions and which are referred to as being actors and-this is important to note-which entities are simply things, not connected to any other ontology but only a part of the ontology that the communication itself produces. ...
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Nonhuman agency has become an increasingly important issue in communication theory. While the approach proposed by the Montreal School has advanced research in the subject to a remarkable degree, it does not take reflexivity of actors into account. On the one hand, this makes the identification of actors to a certain degree arbitrary and the concept of actors too wide. On the other hand, it underestimates actors as it neglects actors' capacity to propose their own ontology. In order to cope with these issues while maintaining the notion of nonhuman agency as proposed by Cooren et al., I would like to propose a de-ontologized notion of communication and agency based on the work of Gotthard Günther (e.g. 1976a, 1979a) and Niklas Luhmann.
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Vogd thematisiert vor dem Hintergrund der westlichen Buddhismus-Rezeption eine als »negativsprachlich« bezeichnete Form der Unaussprechlichkeit, hebt deren leiblichen Implikationen hervor und erläutert deren soteriologisches Potenzial. Auf der Grundlage eines systemtheoretisch fundierten Kommunikationsverständnisses gelangt Vogd in der Analyse buddhistischer Heilslehren zu einem spezifischen Verständnis der Verknüpfung von Leiblichkeit mit einer besonderen Erfahrung von »Leere«, die jenseits verbalisierbarer Inhalte retrospektiv eine Sinnaufladung erfahren kann und die als nibbāna bezeichnet wird. Die Differenz von subjektiver Erfahrung und sozial verfügbarer Kommunikationsformen tritt in diesem Beispiel mit großer Deutlichkeit zutage. Die Analyse bietet, über den Fall buddhistischer Heillehren hinaus, erhebliches Übertragungspotenzial auf andere Bereiche, die mit dem Ausdruck »religiöser Erfahrung« kaum mehr zutreffend beschrieben werden können.
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Verwaltungshochschulen sollen – verstärkt seit der Programmatik des Bolognaprozesses – für die Verwaltung ausbilden. Die Zielperspektive lautet dabei „Employebility“. In diesem Sinne wird für das Themenfeld „Führen – Managen – Leiten“ ein soziologisch informiertes Führungsverständnis vorgeschlagen, das systematisch aus der organisationalen Komplexität bzw. Multirationalität der Verwaltungen abgeleitet wird. Für eine ertragreiche Vermittlung dieses Führungsverständnisses werden dann die curricular-inhaltlichen Schwerpunkte sowie die notwendigen methodisch-didaktischen Lernarrangements diskutiert. Dabei wird zugleich wird deutlich gemacht, dass eine um „Employebility“-bemühte Ausbildung von einem hieran ansetzenden Weiterbildungsangebot vervollständigt werden sollte. Dass es für eine solche Programmatik an den Hochschulen selbst eines Organisationsentwicklungs-Prozesses bedarf, ähnlich wie er gerne der arbeitenden Verwaltung anempfohlen wird, versteht sich.
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Die dokumentarische Methode ist bezüglich der ihr zugrunde liegenden Metatheorie gut auf Felder wie Generationen oder Milieus abgestimmt, was ihr dort besonders valide Analysen ermöglicht. Gerade im Fall formaler Organisationen sind soziale Praxen jedoch nur bedingt auf konjunktive Erfahrungsräume zurückzuführen. Vielmehr bekommen hier auch explizite Wissensbestände und Praxen zwischen unterschiedlichen Wissensräumen eine hohe Bedeutung. In diesem Beitrag wird im Anschluss an Gotthard GÜNTHER eine metatheoretische Konzeption für rekonstruktive Forschung in organisationalen Settings entwickelt. Soziale Praxis wird hier als das Prozessieren unterschiedlicher latenter und manifester Wissensbestände mit- und gegeneinander gefasst. Mit den Begriffen der Kontextur und der transjunktionalen Operation wird eine schlanke, aber gleichzeitig hoch abstrakte Metatheorie vorgeschlagen, die eine Analyse dieser Prozesse ermöglicht. Am Beispiel des Familienmanagements einer Unternehmerfamilie werden die Möglichkeiten dieser Methode vorgestellt. URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs150141
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Die Systemtheorie Niklas Luhmanns beansprucht, einen Paradigmenwechsel von einer Identitäts- zu einer Differenzlogik zu vollziehen. Kann Sinn aber tatsächlich differenzlogisch verstanden werden? Das Buch widmet sich dieser Frage anhand zweier zentraler Erklärungsdefizite: Einerseits sind in den Kommunikationsprozessen zwischen Funktionssystemen Sinnstrukturen zu finden, die nicht differenzlogisch erklärt werden können (»Hybridisierung«, dargelegt an einer objektiv-hermeneutischen Analyse des »The President's Council on Bioethics«). Andererseits zeigt eine Exegese des Sinnbegriffs, dass Luhmann sich identitätslogischer Konzepte bedient, um die System/Umwelt-Wechselwirkung zu erklären.
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Der Band stellt die relationale Soziologie als einen innovativen Theorie- und Forschungsansatz für aktuelle soziologische Diskussionen vor. Allgemein geht es der relationalen Soziologie um die theoretische Modellierung und empirische Analyse von sozialen Netzwerken als sozio-kulturelle Formationen – Netzwerkstruktur wird als verwoben mit kulturellen Mustern gedacht. Die internationalen Beiträge des Bandes zeigen theoretische und empirische Richtungen auf, mit denen der reine Strukturalismus der Netzwerkforschung überwunden werden kann. Dabei wird die Netzwerkforschung u.a. mit der Systemtheorie, der Soziologie der Konventionen und der Akteur-Netzwerk-Theorie in fruchtbare Verbindung gebracht. Mit Beiträgen von Harrison White, Roger Häußling, Ronald L. Breiger, Stephan Fuchs, Dirk Baecker, Sophie Mützel, Jan A. Fuhse, Athanasios Karafillidis, Boris Holzer, Christian Stegbauer, Patrick Aspers, Rainer Diaz-Bone, John Levi Martin und Monica Lee.
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In this completely revised edition of one of the foundational texts of network sociology, Harrison White refines and enlarges his groundbreaking theory of how social structure and culture emerge from the chaos and uncertainty of social life. Incorporating new contributions from a group of young sociologists and many fascinating and novel case studies, Identity and Control is the only major book of social theory that links social structure with the lived experience of individuals, providing a rich perspective on the kinds of social formations that develop in the process. Going beyond traditional sociological dichotomies such as agency/structure, individual/society, or micro/macro, Identity and Control presents a toolbox of concepts that will be useful to a wide range of social scientists, as well as those working in public policy, management, or associational life and, beyond, to any reader who is interested in understanding the dynamics of social life.
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Die zentrale Bedeutung der Intersubjektivität wurde von Husserl bereits im ersten Band der Ideen 1 anläßlich der Analyse der natürlichen Einstellung klargestellt. Die objektive raum-zeitliche Wirklichkeit einer Umwelt, die nicht nur für mich, sondern auch für andere Ich-Subjekte als ein und dieselbe Welt gilt, ist in ihrer Unbezweifeltheit ein Element der Generalthesis der natürlichen Einstellung. Zu dieser gehört es auch, daß ich die anderen Ich-Subjekte als Nebenmenschen auffasse, denen die nämliche objektive Welt, wenn auch in verschiedenen Auffassungsweisen und Klarheitsgraden, so zum Bewußtsein kommt wie mir selbst, weiters auch, daß ich mich mit ihnen verständigen kann (Par. 29). Wie ist nun im Rahmen der natürlichen Einstellung intersubjektives Einverständnis prinzipiell möglich ?