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ARBEITS-
Zeitschrift für
UND SOZIALRECHT
www.manz.at/zas
ZAS
Schriftleitung Theodor Tomandl, Martin Risak
Redaktion Helwig Aubauer, Rolf Gleißner, Beatrix Karl,
Harald Kaszanits, Thomas Neumann Jänner 2015 01
Schwerpunktbeiträge
Abgrenzungsfragen zwischen
unterschiedlichen Formen
der Erwerbstätigkeit
Die Grenze zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit
aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht Susanne Auer-Mayer £4
Crowdwork Martin Risak £11
Beitrag
Die neuen Regeln gegen
Unterentlohnung Rolf Gleißner £19
Rechtsprechung
Arbeitsvertragliche Verfallsfrist von drei Monaten zulässig
Caroline Graf-Schimek £32
Zulässigkeit und Anfechtbarkeit einer unmittelbar nach Entlassung
abgeschlossenen Auflösungsvereinbarung Michael Rück £36
Rückkehr aus Elternkarenz: Unbefristete Nachbesetzung
kein Kündigungsgrund Felix Schörghofer £41
Checkliste
Arbeits- und Sozialrechts-Änderungsgesetz 2014
Thomas Dullinger £45
ISSN 0044-2321 P.b.b. Verlag Manz 1230 Wien, Gutheil Schoder Gasse 17, Plus.Zeitung 06 Z 036881 P
1–48
ZAS [2015]01 ÜMartin Risak ÜCrowdwork 11
[ARBEITSRECHT]
Crowdwork
Erste rechtliche Annäherungen an eine „neue“Arbeitsform1)
Entwicklungen der Kommunikations- und Informationstechnologie führen nicht nur
zu grundlegenden Veränderungen bei Normalarbeitsverhältnissen, die entgrenzt und
flexibilisiert werden, sondern auch zum Entstehen „neuer“Arbeitsformen, die häufig
in der Grauzone zwischen Arbeitsvertrag und Selbständigkeit zu verorten sind. Vor
allem das sog „Crowdwork“kann die Art, wie Arbeit zu leisten ist, grundlegend
verändern.
Von Martin Risak
Inhaltsübersicht:
A. Was ist Crowdwork?
1. Das Phänomen
2. Die Gründe und die Auswirkungen
B. Die Vertragsverhältnisse beim Crowdwork
1. Die Prüfungsrahmen: die analoge und
die digitale Welt
2. Vertragsverhältnis zwischen CW und CS
3. Vertragsverhältnis zwischen CW und
Mittelsperson/CSP-B
4. Vertragsverhältnis zwischen CS und CSP-B
C. Welches Recht ist anwendbar?
D. Vertragskette oder durchgängiges
Arbeitsverhältnis?
E. (Keine) Anwendung des HeimArbG
F. Ausblick
A. Was ist Crowdwork?
1. Das Phänomen
Tätigkeiten, die ursprünglich durch einzelne Vertrags-
partner_innen (idR AN) erbracht wurden, sollen beim
Crowdwork nicht mehr von diesen selbst geleistet, son-
dern in der Form „ausgelagert“(outgesourced) werden,
dass sie einer größeren Anzahl von Personen (der
Crowd) über eine internetbasierte Crowdsourcing-
Plattform (CSP)2) angeboten werden. Dieser Vorgang
wird als Crowdsourcing bezeichnet,3) die Auftragge-
ber_innen als Crowdsourcer_innen (CS), für welche
die Crowdworker_innen (CW) oder Crowdsourcees
Leistungen erbringen. Diese treten jedoch zumeist
nicht direkt miteinander in Kontakt; das Verhältnis
zwischen ihnen wird vielmehr über eine Intermediä-
rin, die CSP, mittelbar abgewickelt.4) Ü
1) Eine frühere, Aspekte österr Rechts nicht einbeziehende Version
wurde als Working Paper „Crowdwork –Eine erste Annäherung
an eine ‚neue‘Arbeitsform“für das 7th Annual Legal Seminar des
European Labour Law Network „New Forms of Employment and
EU Law“verfasst, das am 27. und 28. 11. 2014 in Den Haag/Nie-
derlande stattgefunden hat.
2) Siehe zur wohl bekanntesten Amazons Mechanical Turk (www.
mturk.com) Strube, Vom Outsourcing zum Crowdsourcing, in Ben-
ner, Crowdwork –zurück in die Zukunft (2014) 75 ff.
3) Dieser Begriff leitet sich aus einer Kombination der Worte outsour-
cing und crowd her, die erstmals von Howe (The Rise of Crowd-
sourcing, Wired Mag 2006, 14.6, 1) verwendet wurde.
4) Vgl Leimeister/Zogaj/Blohm, Crowdwork –digitale Wertschöpfung
in der Wolke, in Benner, Crowdwork –zurück in die Zukunft
(2014) 15ff.
ZAS 2015/3
§ 1151 ABGB
Arbeitsvertrag;
Crowdwork;
Crowdsourcing
ZAS
12 ÜMartin Risak ÜCrowdwork ZAS [2015]01
[ARBEITSRECHT]
Crowd
Crowdsourcer_in
(CS)
Crowdsourcing-
Plattform
(CSP)
Crowdworker_innen (CW)
Abbildung 1: Crowdsourcing
Crowdsourcing von Arbeitsleistungen wird, zumindest
in seiner externen Form (dazu sogleich), in Österreich
derzeit noch wenig praktiziert und ist auch im Ausland
in der Praxis wohl noch nicht unbedingt weit verbrei-
tet. Andererseits sollen bei Amazons Mechanical Turk
rund 500.000 CW tätig sein;5) gar 700.000 Personen
sollen nach Eigenangabe bei der größten deutschen
Plattform Clickworker registriert sein.6) Crowdwork fin-
det als Phänomen zunehmend Interesse vor allem in
der Literatur, wo es unter den unterschiedlichsten As-
pekten beleuchtet wird.7) Der Aufsatz möchte zur Dis-
kussion beitragen, indem er diese neuartige Arbeits-
form mit dem in Österreich geltenden Recht aus einer
arbeitsrechtlichen Perspektive konfrontiert.
Crowdsourcing kann intern oder extern erfolgen, je
nachdem ob eine unternehmensinterne Belegschaft als
Crowd fungiert (wie zB bei IBM oder Daimler8)) oder
sich die Crowd aus beliebigen Individuen (externe
Crowd) zusammensetzt. Beim externen Crowdsourcing
wird zumeist auf CSP Dritter zurückgegriffen, die über
eine aktive Crowd verfügen. In der Folge wird nur noch
das externe Crowdsourcing behandelt, da das interne
an bestehende Arbeitsverhältnisse anknüpft und damit
weniger grundlegende Probleme aufwirft. Aber selbst
dabei kommt es zu grundsätzlichen Veränderungen,
da bei dieser Form der Arbeitsorganisation die Verant-
wortung für die faktische Beschäftigung zumindest zT
auf die AN verlagert wird –diese sollen Projekte und
Tätigkeiten selbstverantwortlich auf den Plattformen
finden. Dies wirkt sich auf ihre Entlohnung und den
beruflichen Aufstieg aus; bei mangelnder Auslastung
steht dann auch die Kündigungsdrohung im Raum.
Dies führt zu einer Verlagerung des eigentlich den
AG treffenden wirtschaftlichen Risikos auf die AN,
die insb in den 1980er-Jahren im Zusammenhang
mit der Arbeit auf Abruf und der sog „kapazitätsorien-
tierten variablen Arbeitszeit“(KAPOVAZ) diskutiert
wurde,9) woran mE angeschlossen werden kann.
Die Bandbreite der an externe Crowds vergebenen
Arbeitsaufgaben ist weit.10) Sie reicht von sehr einfa-
chen, repetitiven Tätigkeiten, die gering entlohnt wer-
den und deren Abwicklung stark standardisiert bzw
automatisiert ist (sog Microtasks, wie das Beschriften
und Beschreiben von Bildern, Kategorisierung von Da-
ten und Produkten, Übersetzen oder Korrektur von
kurzen Texten), über komplexere und zeitaufwändi-
gere, wie das Testen von Softwareprodukten oder das
Finden von Fehlern auf einer Website, bis hin zu qua-
lifizierten Tätigkeiten, wie das Erstellen von Pro-
grammcodes oder Produktdesigns.
Die Form, in der die Arbeitsaufträge auf den Platt-
formen angeboten werden, variiert ebenfalls. Gemein-
samer Nenner ist jedoch, dass zumeist irgendeine
Form des Wettbewerbs zwischen den CW intendiert
ist. Microtasks sind schnell abzuarbeiten und stellen
eine Art digitalisierter Akkordarbeit dar. Das zeigt sich
schon in dem Umstand, dass die Ausschreibungen zur
Orientierung häufig nicht nur ein Entgelt, sondern
auch eine Zeitvorgabe enthalten. Die CS haben nach
den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der
CSP zumeist das Recht, die Arbeit ohne Gründe und
ohne Bezahlung abzulehnen.11) Projektarbeit wird zu-
meist in Form von Preisen für den besten Beitrag aus-
gelobt, die anderen Einreicher_innen gehen leer aus.12)
Bisweilen bestehen auch zusammenarbeitsbasierte An-
sätze, bei denen ein/e CW einen Beitrag einreicht und
andere diesen dann –idR mit Hilfe einer Kommentar-
funktion –verändern und erweitern können.13)
5) Marvit, How Crowdworkers Became the Ghost in the Digital Ma-
chine, The Nation (24. 2. 2014, online www.thenation.com/article/
178241/how-crowdworkers-became-ghosts-digital-machine
[9. 12. 2014]).
6) www.clickworker.com/de (11. 12. 2014): „700.000 Workers on De-
mand. 136 Länder, 30 Sprachen –Unser internationales Online-
Netzwerk von über 700.000 Clickworkern erstellt Texte, recher-
chiert, verifiziert, kategorisiert, taggt und bearbeitet für Sie Daten
in großen Mengen.“
7) Siehe dazu insb die umfangreiche Literaturstudie Leimeister/Zogaj,
Neue Arbeitsorganisation durch Crowdsourcing –Eine Literaturstu-
die, Arbeitspapier Nr 287 der Hans Böckler-Stifung (2013), www.
boeckler.de/pdf/p_arbp_287.pdf (9. 12. 2014).
8) Öhrler/Spies, Crowdworking in der Automobilindustrie, in Benner,
Crowdwork 43; Schäfer in Benner, Crowdwork 61.
9) Dazu insb Rebhahn, Zur Überwälzung des Wirtschaftsrisikos auf
den Arbeitnehmer bei Arbeit auf Abruf, in FS Schnorr (1988) 225
mzN des Meinungsstands.
10) Dazu Felstiner, Working the Crowd: Employment and Labour Law in
the Crowdsourcing Industry (2011) 143 (159); Leimeister/Zogaj/
Blohm in Benner, Crowdwork 20.
11) So zB bei Mechanical Turk, s Strube in Benner, Crowdwork 83.
12) Im Gegensatz zu den bisher üblichen Wettbewerben der Kreativin-
dustrie (zB Architektur) wird nicht ein Projekt beurteilt, sondern das
fertige Produkt (zB ein Logo oder ein Werbetext) eingereicht.
13) Leimeister/Zogaj/Blohm in Benner, Crowdwork 27.
Auch die CW sind von ihrer Interessenlage her
nicht homogen, sondern lassen sich im Wesentlichen
in drei Gruppen unterteilen:
ÜPersonen, die andere Einkommensquellen haben
und sich auf diese Weise etwas „dazuverdienen“
(zB Studierende, Pensionist_innen oder Haus-
frauen/-männer);
ÜPersonen, für die Crowdwork die einzige oder zu-
mindest die wesentliche Einkommensquelle dar-
stellt, wobei es auch hier Unterschiede gibt, nämlich
–zwischen idR gut qualifizierten Personen, für die
Crowdwork nur eine Übergangslösung darstellt,
und
–jenen, die auf diese Weise dauerhaft arbeiten, da
sie ansonsten von Arbeitslosigkeit bedroht wä-
ren;
ÜPersonen, die vom regulären Arbeitsmarkt wegen
Behinderungen und sozialer Ausgrenzung ausge-
schlossen sind.14)
2. Die Gründe und die Auswirkungen
Unternehmen bedienen sich des Crowdsourcing vor al-
lem, um sich Arbeitskräftepotenziale zu erschließen,
die ihnen bei anderen Formen der Leistungserbrin-
gung nicht zu Verfügung stehen, und machen sich
auf diese Weise die sogenannte „kollektive Intelligenz“
zu Nutze. Andererseits wollen sie auch Effizienzsteige-
rungen und Kosteneinsparungen bewirken. Bei Micro-
tasks werden etwa komplexe Arbeitsaufgaben in sehr
kleine Teilaufgaben aufgebrochen, die online relativ
leicht und ohne besondere Qualifikation mit wenig
Zeitaufwand zu erledigen sind. Bisweilen wird deshalb
von digitaler Akkordarbeit und Neo-Taylorismus ge-
sprochen.15) Auf die prekäre Situation zumindest eines
Teils der CW weisen Bezeichnungen wie digital slaves
oder die Benennung der Plattformen als digital sweat-
shops hin.16)
Die Verbindung zwischen der Crowd und dem/der
CS, die Crowdsourcing-Plattform (CSP), ist für diese
Art der Arbeitsabwicklung essentiell: sie stellt sowohl
die Crowd als auch die Infrastruktur für die Auftrags-
bearbeitung zur Verfügung. Häufig muss über deren
Interface gearbeitet werden, damit effiziente Arbeits-
leistung sichergestellt wird. Sie leiten die fertig bearbei-
teten Arbeitsaufträge an den/die CS ebenso weiter wie
die Zahlung an die CW; eine direkte Kommunikation
zwischen CS und CW ist zumeist nicht vorgesehen.
Auf diese Weise wird eine internetbasierte Alterna-
tive zur Aufgabenbearbeitung außerhalb der örtlichen
Strukturen eines Betriebs möglich, die keinen direkten
Kontakt zwischen den Leistungserbringer_innen (CW)
und den Personen, für die die Leistung erbracht wird
(CS), erfordert. Über das Outsourcing, dh die Auslage-
rung von Teiltätigkeiten eines Unternehmens an spezi-
alisierte Dienstleister_innen, sowie die Arbeitskräfte-
überlassung hinaus wird damit eine weitere Option er-
öffnet, die nicht mehr auf Norm-Arbeitsverträgen be-
ruht. Es sollen –zumindest auf den ersten Blick –
Selbständige, die CW, Arbeitsleistungen in Eigenver-
antwortung und zumindest formal selbstbestimmt für
andere erbringen. Sie leisten zwar, wie typische Selb-
ständige, für eine größere Anzahl von Personen –an-
ders ist jedoch die in vieler Hinsicht ihnen überlegene
Intermediärin, die CSP.Das unterscheidet diese Ar-
beitsform von anderen bisher vor allem in der Lit be-
handelten Formen, wie Tele-Arbeit und dislozierte
Leistungserbringung mit Hilfe von Kommunikations-
instrumenten ohne Zwischenschaltung einer Mittels-
person.17)
CW sind, ähnlich wie konventionelle AN gegenüber
ihren AG, in mannigfaltiger Form von der CSP bzw de-
ren Betreiberin (CSP-B) wirtschaftlich in dem Sinne
abhängig, dass sie aus dem aus dem Vertragsverhält-
nis mit der Plattform erzielten Einkommen typischer-
weise ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die Plattfor-
men streben dabei zumeist über Reputationsmechanis-
men (dh Bewertungen, die von angenommenen und
bezahlten Leistungserbringungen abhängen) langfris-
tige Beziehungen insb mit regelmäßig arbeitenden
und gute Leistungen erbringenden CW an. Die attrak-
tiveren und besserbezahlten tasks werden idR nur an
jene Personen vergeben, die eine höhere Reputation
aufweisen.18) Dass die Reputation (zB positiv erledigte
tasks) zwischen den CSP, die miteinander im Wettbe-
werb stehen, nicht transferierbar ist, versteht sich von
selbst. Häufig bestehen in einzelnen Wirtschaftsseg-
menten wegen der hohen Investitions- und Infrastruk-
turkosten nur wenige Plattformen und damit eine do-
minante Anbieterin, sodass ein Wechsel auch selten
tunlich erscheint.
Da die ökonomische Situation der CW, für die diese
Art der Leistungserbringung die Haupteinkommens-
quelle darstellt, mit AN vergleichbar ist, stellt sich
vor allem die Frage nach der Sicherung eines Min-
desteinkommens.19) Verschärfend kommt hinzu, dass
bei international agierenden CSP ein direkter Wettbe-
werb zwischen Personen aus Ländern mit unterschied-
lich hohen Lebenshaltungskosten besteht.20)
B. Die Vertragsverhältnisse beim Crowdwork
1. Die Prüfungsrahmen:
die analoge und die digitale Welt
Bei der folgenden Analyse der beim Crowdwork vorlie-
genden Vertragsverhältnisse soll nur auf den Fall der
sog Mikrotasks eingegangen werden, dh der Konstella-
tion, dass komplexe Arbeitsaufgaben in sehr kleine
Teilaufgaben aufgebrochen werden, die relativ leicht
mit wenig Zeitaufwand zu erledigen sind. Als Beispiel
soll das „Taggen“von Daunenjacken in einem Beklei-
dungs-Katalog gewählt werden; die CW sollen ein Eti-
ZAS [2015]01 ÜMartin Risak ÜCrowdwork 13
[ARBEITSRECHT]
14) Vgl spamgirl, Sechs Dollar die Stunde sind das absolute Minimum,
in Benner, Crowdwork 99.
15) Leimeister/Zogaj/Blohm in Benner, Crowdwork 32.
16) Vgl Leimeister/Zogaj, Neue Arbeitsorganisation durch Crowdsour-
cing 84.
17) Dazu insb Trost, Der Arbeitnehmer in eigener Wohnung, ZAS 1991,
181; Melzer-Azodanloo, Tele-Arbeitsrecht (2001).
18) Strube in Benner, Crowdwork 81.
19) So zB die Turker-Nation-Aktivistin spamgirl in Benner, Crowdwork
109; Cherry, Mindestlohn für Crowdarbeit, in Benner, Crowdwork
231.
20) Mildernd wirken dabei allenfalls bestehende Sprachbarrieren, wobei
englischsprachig agierende Crowdworking-Plattformen zumindest
potenziell auf die große Anzahl indischer Crowdworker zugreifen
können.
ZAS
14 ÜMartin Risak ÜCrowdwork ZAS [2015]01
[ARBEITSRECHT]
kett mit dem Wort „Daunenjacke“auf allen dort ent-
haltenen derartigen Kleidungsstücken anbringen.21)
Bei der nachfolgenden Analyse soll zur besseren Il-
lustration zuerst geprüft werden, wie die einzelnen
rechtlichen Beziehungen in der analogen Welt ausse-
hen würden. Es ist dabei an ein Schwarzes Brett zu
denken, das in einer Werkshalle hängt und an dem sich
gelbe Zettel mit den Arbeitsaufträgen (tasks) finden.
Die CW besitzen einen Schlüssel, der ihnen Zugang
zum Schwarzen Brett und zur Werkshalle ermöglicht,
die von der Mittelsperson zur Verfügung gestellt wird.
Die Zettel mit den tasks werden von den CW, die einen
Schlüssel zu dieser Halle haben, heruntergenommen
und zeitnah in der Halle erledigt. Im konkreten Fall
setzen sie sich dort an einen Tisch und kleben die
zur Verfügung gestellten Etiketten in den dort auflie-
genden Katalog. Das Ergebnis (der getaggte Katalog)
wird dann bei der Mittelsperson abgegeben, die diesen
dann ebenso an den/die CS weiterleitet und dem/der
CW das Entgelt auszahlt.
Wird nun ein task-Zettel heruntergenommen, so
sollen jedenfalls die daneben von der Mittelsperson
ausgehängten Allgemeinen Geschäftsbedingungen
(AGB) zur Anwendung kommen. Schon bei der Aus-
händigung des einen Zutritt zur Werkshalle verschaf-
fenden Schlüssels wurden diese als Rahmenvertrag ver-
einbart, der noch keine der beiden Vertragsparteien
(wer auch immer das sein mag) zu einem Tätigwerden
oder einer Bezahlung verpflichtet.
Nachdem diese analoge Konstellation behandelt
wurde, ist darauf einzugehen, ob es einen Unterschied
macht, dass die Abwicklung in der digitalen Welt statt-
findet. Die CW begeben sich nicht physisch zum
Schwarzen Brett mit den tasks, sondern nur virtuell, in-
dem sie sich von einem von ihnen selbst gewählten Ort
dort via Internet einloggen. Dies führt dazu, dass sie
sich zum selben Zeitpunkt sowohl zu Hause als auch
auf der Plattform (der „virtuellen Werkshalle“) befin-
den. Unterschiede ergeben sich dabei auch daraus, dass
aufgrund der leichten Zugänglichkeit der Plattform per
Internet eine weitaus größere Crowd zur Verfügung
steht,22) was einerseits den Wettbewerbsdruck inner-
halb der CW erhöht und andererseits die CSP bzw de-
ren CSP-B von einzelnen individuellen CW unabhän-
giger macht. Da die Tätigkeit computerbasiert stattfin-
det, können vielfältige Kontrollen erfolgen, auch eine
automatisierte Qualitätsprüfung des Ergebnisses ist
leichter möglich.
2. Vertragsverhältnis zwischen CW und CS
Crowdworker_innen
(CW)
Crowdsourcer_in
(CS)
Plattform-
Betreiber_in
(CS
P
-B)
Direktes Vertragsverhältnis oder nicht?
Crowdsourcing-
Abbildung 2: Das Verhältnis Crowdworker_innen –Crowdsourcer_in
a) Die analoge Welt: Die auf dem Schwarzen Brett aus-
gehängten task-Zettel können rechtlich mehrere unter-
schiedliche Bedeutungen haben:
ÜDer Zettel kann einerseits ein Angebot darstellen,
das in der Folge durch Entsprechung, dh durch
Leistungserbringung gem § 864 Abs 1 ABGB, ange-
nommen wird.
ÜAndererseits kann dieser aber auch eine Aufforde-
rung an die Crowd sein, ein Angebot zu machen,
das darin besteht, dass die Leistung in der Werks-
halle erbracht und das Ergebnis zur Annahme ange-
boten wird.
ÜEgal, wie dies rechtlich konstruiert wird, jedenfalls
soll der/die Vertragspartner_in, sei es nun die Mit-
telsperson oder auch der/die CS, nach den zur An-
wendung kommenden Allgemeinen Geschäftsbe-
dingungen (AGB) die Möglichkeit haben, die er-
brachte Leistung ohne Entgeltpflicht abzulehnen.
Dies entweder deshalb, weil noch gar kein Vertrag
zustande gekommen ist, oder weil ein Recht zur
21) Dies dient dazu, dass bei einer Suche in einem Online-Katalog bei
der Eingabe „Daunenjacke“alle derartigen Kleidungsstücke ausge-
worfen werden.
22) Anders als in der analogen Welt ist auch der Raum für auf tasks war-
tende CW nicht beschränkt.
ZAS [2015]01 ÜMartin Risak ÜCrowdwork 15
[ARBEITSRECHT]
Verweigerung der Leistungsannahme besteht, des-
sen Ausübung zu einem Wegfall des Vertrags füh-
ren soll.
ÜWird nun die Leistung angenommen, so kann der
Vertrag –je nach Intensität des Einflusses des Ver-
tragspartners bzw der Vertragspartnerin auf die
Leistungserbringung –ein Dienstvertrag oder ein
Werkvertrag sein.
ÜAls Alternative dazu kann der Aushang des task am
Schwarzen Brett auch als Auslobung gem § 860
ABGB, dh die an einen unbestimmten Personen-
kreis gerichtete Verpflichtung, bei Vornahme einer
bestimmten Handlung, insb eines Erfolgs, eine Be-
lohnung zu bezahlen, gedeutet werden. Je nach
Ausgestaltung kommt dann entweder jene Person
zum Zug, die die erste Leistung erbringt, oder wenn
die Auslobung in Form eines Preisausschreibens er-
folgt, das eine Frist zur Leistungserbringung ent-
hält, entscheidet der/die Auslobende.
Damit es zu einem direkten Vertragsverhältnis zwi-
schen dem/der CW und den CS kommt, ist es wesent-
lich, dass die Mittelsperson zu jedem Zeitpunkt als
Vertreterin des/der CS auftritt und nach außen hin
in dessen/deren Namen und Rechnung handelt. Da-
gegen spricht, dass sie die Werkshalle, in der gearbei-
tet werden muss, ebenso zur Verfügung stellt wie die
Schlüssel und die Bedingungen, unter denen die Leis-
tung erbracht werden soll (die AGB). Da zu keinem
Zeitpunkt der/die CS selbst in Erscheinung tritt (der
Aushang wird ebenso durch die Mittelsperson wahrge-
nommen wie die Annahme des erledigten task), ist es
mE nicht argumentierbar, dass hier irgendeine Form
der Vermittlung eines Vertrags zwischen CS und CW
durch die Mittelsperson vorliegt.
Es spricht deshalb vieles dafür, dass lediglich ein
Vertragsverhältnis zwischen dem/der CW und der
Mittelsperson zustande kommt und gerade kein direk-
tes Vertragsverhältnis zwischen CW und CS. Das Ar-
beitsergebnis wird hier an die Mittelsperson geliefert,
die auch die Qualitätskontrolle vornimmt und den
CW direkt entlohnt.23) In diesem Fall besteht ein Ver-
tragsverhältnis lediglich zwischen der Mittelsperson
und dem/der CS, der/die CW ist funktional der/die
Subauftragnehmer_in der Mittelsperson.
b) Die digitale Welt: Der Unterschied besteht darin,
dass die CW sich nicht physisch in die Werkshalle der
CSP begeben müssen, sondern nur virtuell durch Ein-
loggen auf der Plattform. Diese „virtuelle Werkshalle“
wird ebenso von der CSP-B zur Verfügung gestellt wie
die AGB, im Rahmen derer die Abwicklung der tasks
stattfindet. Die CW bringen dabei aber auch Betriebs-
mittel mit ein, nämlich ihre Computer und den Inter-
netanschluss. Um entgegen dem naheliegenden An-
schein ein Vertragsverhältnis zwischen der CSP-B
und den CW zu vermeiden, kommt es auch hier we-
sentlich darauf an, ob und wie kommuniziert wird,
dass diese nur als Stellvertreterin der/des CS auftritt.
3. Vertragsverhältnis zwischen CW und Mittelsperson/CSP-B
Crowdworker_innen
(CW)
Crowdsourcer_in
(CS)
Crowdsourcing-
Plattform-
Betreiberin
(CS
P
-B)
Abbildung 3: Das Verhältnis Crowdworker_innen –Mittelsperson/Crowdsourcing-Plattform-Betreiber_in
a) Die analoge Welt: Stellt die Mittelsperson lediglich
die Infrastruktur bei, in deren Umgebung ein Rechts-
verhältnis zwischen CW und CS zu Stande kommt,
das dann als von der Mittelsperson als Stellvertreterin
des/der CS erfolgt, dann liegt ein Auftragsverhältnis
gem § 1002 ABGB vor. Dieses ist idR nur vom/von
der CS zu bezahlen. Als Arbeitskräfteüberlassung ist
dieses Verhältnis mE wegen der mangelnden Einglie-
derung in den Betrieb des/der CS und dessen/deren
mangelnder Weisungsrechte nicht zu qualifizieren.
Wird der task nicht gegenüber dem/der CS, son-
dern der Mittelsperson erbracht,24) so ist zu prüfen,
23) So nach Strube in Benner, Crowdwork 84 bei der deutschen Platt-
form Clickworker.
24) Diese Beurteilung kann sich auch dann ergeben, wenn zu dem
Schluss gekommen wird, dass trotz eines formalen direkten recht-
lichen Verhältnisses zwischen dem/der CW und dem CS aufgrund
ZAS
16 ÜMartin Risak ÜCrowdwork ZAS [2015]01
[ARBEITSRECHT]
ob diese rechtliche Beziehung als Arbeitsverhältnis zu
beurteilen ist. Dies wäre nur der Fall, wenn die Arbeit
in einem Verhältnis persönlicher Abhängigkeit er-
bracht wird. Die die Arbeit leistende Person muss bei
ihrer Tätigkeit in einen fremden Betriebsorganismus
eingegliedert sein und dem Weisungsrecht des Leis-
tungsempfängers bzw der Leistungsempfängerin un-
terliegen.25) Bei der Beurteilung als Arbeitsverhältnis
ist zu berücksichtigen, dass dieses idR nur von sehr
kurzer Dauer ist und danach der/die CW entweder
wieder zum Schwarzen Brett auf die Suche nach tasks
geht oder die Halle verlassen wird.
b) Die virtuelle Welt: Die Besonderheit liegt wiede-
rum darin, dass die Leistungserbringung internetba-
siert disloziert stattfindet. Die CW müssen die Werks-
halle nicht physisch aufsuchen, sondern können dies
online von zu Hause oder einem sonstigen selbstge-
wählten Ort mit Internetverbindung aus tun. Damit
steht dem/der CSP-B eine weitaus größere Anzahl an
potenziellen Vertragspartner_innen zur Verfügung
als in der realen Welt, womit die Freiheit der CW, ein-
zelne tasks anzunehmen oder nicht, noch mehr als in
der analogen Welt als tatsächlich vorliegend einzustu-
fen ist. Da die Erledigung der tasks unter Verwendung
eines von der CSP zur Verfügung gestellten Interface
stattzufinden hat, ist diese einer Tätigkeit in der
Werkshalle der Mittelsperson insb dann vergleichbar,
wenn das Interface Kontrollmechanismen aufweist.26)
Dazu kommt die Möglichkeit der Disziplinierung
durch Bewertungen der CW auf der Plattform, die sich
auf deren Potenzial auswirkt, zukünftige tasks zu er-
bringen. Ebenso in die Beurteilung ist einzubeziehen,
dass uU eine weitere Determinierung arbeitsbezoge-
nen Verhaltens bspw durch Zeitvorgaben (dh wie viel
Zeit für die Erledigung kalkuliert wurde) erfolgt. In
Kombination kann daher eine so starke Fremdbestim-
mung durch die CSP-B vorliegen, dass die Erledigung
des tasks in persönlicher Abhängigkeit erfolgt, die un-
abhängig von der gewählten Bezeichnung und rechtli-
chen Konstruktion als Arbeitsvertrag zu beurteilen ist.
Schwierigkeiten treten dabei aber ua deshalb auf,
weil in der Praxis der Mikrotasks idR zahlreiche anein-
andergereihte, sehr kurze (oft nur einige Minuten dau-
ernde) befristete Arbeitsverhältnisse vorliegen. Darauf
wird unter Pkt D. eingegangen.
4. Vertragsverhältnis zwischen CS und CSP-B
Crowdworker_innen
(CW)
Crowdsourcer_in
(CS)
Crowdsourcing-
Plattform-
Betreiber_in
(CS
P
-B)
Abbildung 4: Das Verhältnis Crowdsourcer_in –Mittelsperson/Crowdsourcing-Plattformbetreiber_in
Bei Bestehen eines
direkten Verhältnisses
von CW und
CS liegt idR eine Geschäftsbesorgung iSd §§ 1002 ff
ABGB der Mittelsperson/CSP-B für den/die CS vor, die
jedenfalls die Stellvertretung im Zusammenhang mit
dem Vertragsabschluss und dessen Abwicklung beinhal-
tet. Da dabei auch die Infrastruktur, dh die Werkshalle
und das Schwarze Brett bzw die Internetplattform, zur
Verfügung gestellt wird und darüber hinaus häufig noch
weitere Leistungen erbracht werden, wie eine Voraus-
wahl der Crowd, eine Zerlegung der Arbeitsaufgabe in
kleinere Portionen, die Zahlungsabwicklung, die Beistel-
lung eines Rahmenvertrags oder auch die Qualitäts-
kontrolle, ist von einem kombinierten Vertragsverhält-
nis auszugehen, das neben der Stellvertretung insb auch
Elemente eines Werkvertrags enthalten wird.
Besteht hingegen kein direktes Verhältnis zwischen
den CW und dem/der CS, dann ist die Mittelsperson
für die Leistungserbringung (zB das Taggen des Kata-
logs) selbst verantwortlich. Es besteht somit der idR
als Werkvertrag zu qualifizierende Vertrag zwischen
dem/der CS und der Mittelsperson, die sich zu dessen
Erfüllung der Crowd bedient.
In beiden Konstellationen macht es mE keinen Un-
terschied, ob das Crowdsourcing in der realen oder der
digitalen Welt erfolgt, weshalb diese Konstellationen
hier zusammen behandelt wurden.
des wahren wirtschaftlichen Gehalts und der Abwicklung des Ver-
hältnisses dieses eigentlich zwischen dem/der CW und der Mittels-
person besteht.
25) Dazu zB Brodil/Risak/Wolf, Arbeitsrecht in Grundzügen8(2013)
Rz 38 ff.
26) So sollen Plattformen in regelmäßigen Abständen screenshots der
Bildschirme der Crowdworker vornehmen; vgl Kittur et al, Die Zu-
kunft der Crowdarbeit, in Benner, Crowdwork 173 (200).
C. Welches Recht ist anwendbar?
Sind nun die Vertragspartner_innen im Zusammen-
hang mit Crowdsourcing und Crowdwork nicht alle
im selben Land ansässig, so stellt sich die Frage nach
der anwendbaren Rechtsordnung. Diese ist bei einer
Beziehung zu Österreich unter Heranziehung der VO
(EG) 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhält-
nisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) zu lösen. Der-
nach gilt grds gem Art 3 die freie Rechtswahl. In der
Praxis findet sich in den AGB der CSP eine Wahl der
Rechtsordnung jenes Staates, in der deren Betreiberin
ihren Sitz hat.
Das Prinzip der freien Rechtswahl gilt jedoch für
Verbraucherverträge und (Individual-)Arbeitsverträge
eingeschränkt (Art 6, 8). Für diese Verträge darf das
Schutzniveau, das mangels Rechtswahl zur Anwen-
dung kommen würde, nicht unterschritten werden.
Ein Verbrauchervertrag liegt jedoch im Fall des
Crowdwork nicht vor, da die damit im Zusammenhang
stehenden Verträge gerade der beruflichen oder ge-
werblichen Tätigkeit der CW zugerechnet werden
können und somit nicht der Legaldefinition des Art 6
Rom I-VO entsprechen.27)
Wenn ein Arbeitsvertrag bzw mehrere befristete
Arbeitsverträge zwischen dem/der CW und der CSP-B
abgeschlossen werden, darf nach Art 8 Rom I-VO die
Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass AN
(hier: CW) der Schutz entzogen wird, der ihnen man-
gels Rechtswahl zugestanden wäre. Daher kommen zu-
mindest die (relativ) zwingenden Bestimmungen der
Arbeitsrechtsordnung des Staats zur Anwendung, in
dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird. Arbeiten
CW bspw von ihrer Wohnung in Österreich aus, müss-
ten sohin zumindest die relativ zwingenden arbeits-
rechtlichen Bestimmungen zur Anwendung kommen.
D. Vertragskette oder durchgängiges
Arbeitsverhältnis?
Wird das Vertragsverhältnis zwischen CW und CSP-B
als Arbeitsverhältnis bzw als eine Kette von Arbeitsver-
trägen eingestuft, so werden dadurch zahlreiche Pro-
bleme aufgeworfen, von denen hier nur eines heraus-
gegriffen werden soll: Es geht dabei um die Frage, ob
beim Crowdwork eine Kette von sehr kurzfristigen Ar-
beitsverträgen vorliegt oder ein durchgängiges Arbeits-
verhältnis.
Eingangs ist dabei zu klären, ob sehr kurzfristige
Leistungserbringungen, wie sie im Bereich der Micro-
tasks stattfinden, überhaupt wegen ihrer geringen, oft
nur Minuten währenden Dauer Arbeitsverträge sein
können. Schon Tomandl28) geht bei seiner grundlegen-
den Untersuchung zu den Wesensmerkmalen des Ar-
beitsvertrags davon aus, dass die „Dauer“ein durchaus
unzureichendes Abgrenzungskriterium sei, das gegen-
über den Merkmalen der persönlichen Abhängigkeit
zurücktreten müsse. Auch Rebhahn29) betont, dass Ar-
beitsverträge auch nur für ganz kurze Zeit abgeschlos-
sen werden können, uU auch nur für Stunden oder ei-
nen Tag. An die sehr kurzen, bisweilen nur ein paar
Minuten dauernden, Microtasks wurde dabei aber
noch nicht gedacht. Dies lässt die Frage nach einer Mi-
nimaldauer eines Arbeitsvertrags wieder aufleben. Im
Kern geht es dabei darum, ob eine persönliche Abhän-
gigkeit auch bei so kurzfristiger Leistungserbringung
möglich sein kann. Ich meine ja, wenn die Art der Leis-
tungserbringung sehr stark determiniert ist, wenig
Freiräume bietet und die Kontrolldichte sehr hoch
ist. Dass diese Kontrolle automatisiert, bspw durch
die Erstellung von screenshots, der Auswertung von
Arbeitsschritten oder von Eingabemustern, erfolgt, än-
dert daran nichts. Im Rahmen der Prüfung des Typus-
begriffs des AN30) kann daher mE die untypisch kurze
Dauer durch ein hohes Maß an Fremdbestimmtheit
bei der Leistungserbringung ausgeglichen werden.
Die zweite Frage ist jene, ob eine Kette von Arbeits-
verträgen oder ein durchgängiges Vertragsverhältnis
vorliegt. Dabei ist wesentlich, ob CW zu einem Min-
destausmaß an Arbeitsleistung verpflichtet sind, oder
es völlig in ihrem Ermessen liegt, ob und in welchem
Ausmaß gearbeitet wird. Es stellt einen wesentlichen
Bestandteil des Geschäftsmodells des externen Crowd-
sourcing dar, dass nicht proaktiv auf die CW zugegan-
gen wird, sondern lediglich einzelne tasks generell an-
geboten werden. Wenn jeweils nur ein in sich geschlos-
senes Arbeitsverhältnis ohne jede Bedachtnahme auf
zukünftige Einsätze vereinbart wird, nimmt die Judika-
tur eine Vertragskette an, wenn dies nicht nur in sehr
langen Abständen geschieht. Wenn derartige „Ketten-
dienstverträge“nicht sachlich gerechtfertigt werden
können, werden sie als ein durchgängiges Arbeitsver-
hältnis angesehen.31)
Ein sachlicher Rechtfertigungsgrund besteht vor al-
lem darin, dass sich AN nicht auf unbestimmte Zeit
verpflichten wollen oder die neuerliche Befristung im
Interesse der AN liegt.32) Eine solche Flexibilität für
die einzelnen CW liegt der Organisation des Crowd-
work zugrunde, sodass mE nach herkömmlichen Krite-
rien von einer Kette von zulässig befristeten Arbeits-
verhältnissen und nicht von einem durchgängigen Ar-
beitsvertrag auszugehen ist.
E. (Keine) Anwendung des HeimArbG
Wird das Vorliegen eines Arbeitsvertrags hingegen
verneint, so drängt sich die Frage auf, ob auf Crowd-
work nicht das Heimarbeitsgesetz (HeimArbG) An-
wendung findet. Dieses begegnet einem ähnlichen
Phänomen, nämlich der Leistungserbringung in eige-
ner Wohnung in einer Situation von Verhandlungsun-
gleichgewichten. Lederer beschreibt die ökonomischen
Bedingungen bei der Heimarbeit am Ende des 19. bzw
am Anfang des 20. Jahrhunderts, die jener der CW im
21. Jahrhundert gar nicht so unähnlich ist, folgender-
maßen: „Der unorganisierten Masse von Heimarbeitern
gelang es eben nicht, bei ihren wirtschaftlich überlegenen
Unternehmern die ihren Arbeitsleistungen entsprechen-
den Verdienste durchzusetzen. Diese gedrückte ökono-
mische Lage wirkte wieder höchst ungünstig auf die ge-
ZAS [2015]01 ÜMartin Risak ÜCrowdwork 17
[ARBEITSRECHT]
27) Klebe/Neugebauer, Crowdsourcing: Für eine Handvoll Dollar oder
Workers of the crowd unite? AuR 2014, 4 (5).
28) Wesensmerkmale des Arbeitsvertrages (1971) 56 (58).
29) ZellKomm2§ 1151 ABGB Rz 77 a, 121.
30) So bspw Kietaibl, Arbeitsrecht I8(2013) 26.
31) Dazu bspw Windisch-Graetz, Arbeitsrecht II8(2013) 46 mwN.
32) So zB zuletzt OGH 8 ObA 50/13 f öRdA 2014/34 (Risak) = ZAS
2014/51 (Ogriseg) –fallweise Beschäftigung.
sundheitlichen Verhältnisse der Heimarbeiter zurück.
Überlange Arbeitszeiten,33) unzureichende Ernährung,
sanitätswidrige Behausungen und Werkstätten, endlich
der durch Saisonschwankungen herbeigeführte stete
Wechsel zwischen Überbeschäftigung und Arbeitslosig-
keit unterhöhlten immer mehr die Existenz der Heimar-
beiter, denen schließlich die staatliche Schutzgesetzge-
bung zu Hilfe kommen mußte.“34)
Das derzeit gültige HeimArbG 1961,35) das auf das
G über die Regelung der Arbeits- und Lohnverhält-
nisse bei der Heimarbeit 191836) zurückgeht und insb
auch Mindestlohnbestimmungen enthält, ist nach des-
sen § 1 auf Heimarbeit jeder Art, ausgenommen der
Heimarbeit im Rahmen der land- und forstwirtschaft-
lichen Produktion, anzuwenden. Als Heimarbeiter iSd
§ 2 Z 1 HeimArbG ist anzusehen, wer, ohne Gewerbe-
treibender nach den Bestimmungen der Gewerbeord-
nung zu sein, in eigener Wohnung oder selbst gewähl-
ter Arbeitsstätte im Auftrag und für Rechnung von
Personen, die Heimarbeit vergeben, mit der Herstel-
lung, Bearbeitung, Verarbeitung oder Verpackung
von Waren beschäftigt ist. Der Begriff der „Waren“
ist dabei weit auszulegen.37) Die Rsp hat in diesem Zu-
sammenhang zB das Adressieren von Briefumschlä-
gen38) oder auch die Zusammenfassung von Adressen
in Listen39) als möglichen Gegenstand der Heimarbeit
anerkannt. Die Grundlage für die Leistungserbringung
ist irrelevant, lediglich die Vereinbarung eines Arbeits-
vertrags würde die Anwendung des HeimArbG aus-
schließen.40) Dies überzeugt insoweit, als ansonsten
wegen der Anwendung des Arbeitsrechts kein zusätz-
licher Schutzbedarf besteht, der durch das HeimArbG
abgedeckt werden müsste.41) Die Rsp42) spricht davon,
dass Basis von Heimarbeit auch eine Kette von Werk-
verträgen sein könne. Es müsse sich daraus aber ein
„besonderes Beschäftigungsverhältnis“ergeben, dem
ein Element der Dauer und der Regelmäßigkeit inne-
wohnen müsse. Deshalb kann die ausnahmsweise
Übernahme eines einzelnen Auftrags dieses nicht be-
gründen. Die Rsp führt darüber hinaus noch an, dass
Heimarbeiter_innen außerdem eine Leistungsver-
pflichtung treffen müsse,43) was in der Lit zu Recht kri-
tisiert wird.44)
Noch weit problematischer für die Anwendung des
HeimArbG auf Crowdwork ist, dass die Rsp nicht-ma-
nuelle Tätigkeiten vom Geltungsbereich des HeimArbG
ausnimmt. So wurde judiziert, dass Übersetzungsarbei-
ten für ein Übersetzungsbüro45) ebensowenig Heimar-
beit darstellen wie die Übertragung von Diktataufnah-
men auf einer vom Unternehmer zur Verfügung gestell-
ten Schreibmaschine zu Hause.46) Dies könne nämlich
nicht mehr unter die Formulierung „Waren herstellen,
bearbeiten, verarbeiten oder verpacken“subsumiert
werden. Damit unterliegt schon allein wegen des Fokus
des HeimArbG auf manuelle Tätigkeiten die typischer-
weise in Form von Crowdwork erbrachte Arbeitsleis-
tung nicht diesem Gesetz.47)
Schon 1992 wurde deshalb von Trost48) zu Recht be-
funden,dass die österr Heimarbeitsgesetzgebung des-
halb ihren Geltungsbereich betreffend jedenfalls re-
formbedürftig sei. Ihre im Zusammenhang mit dem
Aufkommen von Telearbeit und Computerheimarbeit
gemachten Vorschläge sind heute im Zusammenhang
mit dem (externen) Crowdsourcing aktueller denn je:
„Dabei muß jedenfalls die Herauslösung des Heimar-
beitsbegriffs aus dem engen Zusammenhang mit der
Warenproduktion als Wesenskriterium empfohlen wer-
den, da der Bezug zur Warenproduktion im engsten
Sinn –wie die Vergangenheit gezeigt hat –zu unbilligen
Ausgrenzungen aus dem Heimarbeitsbegriff führen
mußte. Ebenso darf die Art der Tätigkeit in der Zukunft
nicht mehr eng umrissen werden, so daß auch etwa
künftig in Erscheinung tretende neue Tätigkeiten nicht
von vornherein außer Betracht bleiben müßten. Und
schließlich bleibt noch festzuhalten, daß eine gezielte
Ausklammerung der Angestelltentätigkeit aus dem
Heimarbeitsbegriff jeglicher rationaler Grundlage ent-
behrt.“Es ist zu hoffen, dass die Schutzbedürftigkeit
zumindest eines Teils der CW von der Gesetzgebung
erkannt und durch die Ausweitung des HeimArbG da-
rauf reagiert wird.
F. Ausblick
Crowdwork ist die Form neuer „Arbeit“, die zu einer
grundlegenden Veränderung der Art der Arbeitser-
bringung führen kann und dabei ein großes Risiko
schlechter Arbeits- und Entgeltbedingungen für die
Leistungserbringer birgt. Es besteht jedenfalls ein Be-
darf an weiter gehender Forschung, sowohl was die
vielfältigen Erscheinungsformen von Crowdwork und
deren soziale Auswirkungen anbelangt, als auch hin-
sichtlich der damit verbundenen Rechtsfragen. Dieser
Beitrag versteht sich lediglich als eine erste Annähe-
rung an diese und zeigt, dass eine tiefergehende Ausei-
nandersetzung sehr lohnend erscheint.
Derzeit werden von CW aus rechtlicher Sicht fol-
gende zwei Themenbereiche als vordringlich verbesse-
rungsbedürftig wahrgenommen: die Höhe der Entloh-
nung sowie die sehr einseitig formulierten AGB der
CSP (insb das Recht, Leistungen ohne Nennung eines
Grundes und ohne Bezahlung abzulehnen, und die da-
mit verbundene schlechte Bewertung der CW).49)
Zumindest die Problematik eines Mindestlohns löst
sich, wenn das Vertragsverhältnis zwischen CW und
CSP-B als Arbeitsvertrag einzuordnen ist, da diesfalls
kollektivvertragliche Mindestlohnvorschriften bzw bei
ZAS
18 ÜMartin Risak ÜCrowdwork ZAS [2015]01
[ARBEITSRECHT]
33) In der dazugehörigen Fußnote findet sich: „Oft mußten die Heimar-
beiter 14 bis 16 Stunden lang täglich arbeiten, um sich den notwen-
digsten Lebensunterhalt zu schaffen.“
34) Lederer, Grundriss2362.
35) BGBl 1961/105 idF BGBl I 2009/74; dieses stellt eine Wiederver-
lautbarung des HeimArbG 1954, BGBl 1954/66 dar.
36) StGBl 1918/140.
37) OGH 10 ObS 332/99 t ZAS 2001/11 (Tomandl).
38) VwGH 598/72 ZAS 1974, 106 (Holzer).
39) VwGH 606/66 Arb 8256.
40) OGH 10 ObS 332/99 t ZAS 2001/11 (Tomandl) im Zusammenhang
mit der Verweisung einer Arbeiterin auf Heimarbeit.
41) So zu Recht Tomandl, ZAS 2001, 91.
42) VwGH 598/72 ZAS 1974, 107 (Holzer).
43) So VwGH 598/72 ZAS 1974, 108 (krit diesbezüglich Holzer).
44) So Holzer, ZAS 1974, 109.
45) VwGH 0835/72 VwSlg 8307 (A).
46) VwGH 153/80 öRdA 1982, 220.
47) Siehe zu diesem Kriterium Egger, Telearbeit –ein neues Phänomen
in der Arbeitswelt, öRdA 1987, 97 (101); Trost, öRdA 1992, 28.
48) Trost, öRdA 1992, 29.
49) Vgl spamgirl in Benner, Crowdwork 104; Irani/Silberman, Turkopti-
con, in Benner, Crowdwork 146.
ZAS [2015]01 19
AG ohne Sitz in Österreich § 7 AVRAG zur Anwen-
dung kommen. Weitere untersuchungswürdige ar-
beitsrechtliche Problemstellungen resultieren aus den
beim Crowdwork vorherrschenden sehr kurzfristigen
Leistungserbringungen und betreffen insb den Arbeits-
zeitschutz, den Urlaubsanspruch sowie die betriebliche
Mitbestimmung. Auch bestehen –insb gegenüber im
Ausland ansässigen Plattformen –faktische Probleme
bei der Rechtsdurchsetzung.
Für jene CW, die nicht als AN zu qualifizieren sind,
besteht derzeit ein massives Schutzdefizit, das durch
Einbeziehung in den Geltungsbereich des HeimArbG
ausgeglichen werden könnte.
Abhilfe gegen unfaire Klauseln in den AGB der
Plattformen kann nach geltender Rechtslage die In-
haltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB bieten, wobei
eine eingehende Prüfung typischer Klauseln sehr loh-
nend wäre.50) Eine Berufung auf das KSchG scheidet
hingegen mE aus, da dieses auf AN und arbeitnehmer-
ähnliche Personen gem § 1 Abs 4 KSchG ebenso wenig
Anwendung findet wie bei Geschäften zwischen zwei
Unternehmer_innen.
Ü
ÜIn Kürze
ÜBeim Crowdsourcing werden einzelne Tätigkeiten
(tasks) in der Form „ausgelagert“(outgesourced), dass
sie einer größeren Anzahl von Personen (der crowd)
über eine internetbasierte Plattform angeboten wer-
den. Die Crowdworker (CW) treten dabei nicht direkt
mit den Crowdsourcern (CS) in Kontakt, sondern das
Verhältnis zwischen ihnen wird über die Crowdsour-
cing-Plattform (CSP) abgewickelt.
ÜCrowdwork kann zu einer grundlegenden Veränderung
der Art der Arbeitserbringung führen und birgt ein
großes Risiko schlechter Arbeits- und Entgeltbedin-
gungen für die Leistungserbringer_innen in sich.
ÜDerzeit werden aus rechtlicher Sicht vor allem zwei
Themenbereiche als vordringlich verbesserungsbe-
dürftig angesehen: die Höhe der Entlohnung sowie die
sehr einseitig formulierten AGB der CSP.
ÜBei einer mE gut argumentierbaren Qualifikation des
Vertragsverhältnisses zwischen CW und CSP-Betrei-
ber als Arbeitsvertrag kommen zumindest kollektiv-
vertragliche Mindestlohnvorschriften zur Anwendung.
ÜFür jene CW, die nicht als AN zu qualifizieren sind,
besteht derzeit ein massives Schutzdefizit, das durch
eine Einbeziehung in den Geltungsbereich des
HeimArbG ausgeglichen werden könnte.
ÜZum Thema
Über den Autor:
Dr. Martin Risak ist ao. Universitätsprofessor am Institut für
Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien.
Kontaktadresse: Schenkenstraße 8–10, 1010 Wien.
Tel: +43 (0)1 4277-35604, Fax: +43 (0)1 4277-9356,
E-Mail: martin.risak@univie.ac.at,
Internet: www.univie.ac.at/arbeitsrecht
Vom selben Autor erschienen (Auswahl):
Einseitige Entgeltgestaltung im Arbeitsrecht (2008); Austrian
Labour Law (2010); Praxishandbuch Arbeitsvertragsgestal-
tung (2011, gem mit Gerlach, Schrank und Höfle); Arbeitsrecht
in Grundzügen (8. Aufl, 2013, gem mit Brodil und Wolf);
Praxishandbuch Gleitzeit (2. Aufl, 2013, gem mit Jöst, Patka
und David).
Literatur:
Benner, Crowdwork –zurück in die Zukunft? (2014); Felstiner,
Working the Crowd: Employment and Labour Law in the
Crowdsourcing Industry (2011); Klebe/Neugebauer, Crowd-
sourcing: Für eine Handvoll Dollar oder Workers of the crowd
unite? AuR 2014, 4; Leimeister/Zogaj, Neue Arbeits-
organisation durch Crowdsourcing (2013).
50) Vgl zur deutschen Rechtslage Däubler, Crowdworker –Schutz
auch außerhalb des Arbeitsrechts? in Benner, Crowdwork 243
(248).