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D as Konzept der Ökosystemleistungen hat sich als sehr ge-
eignet erwiesen, jeweils eigene disziplinäre Perspekti-
ven um die Perspektiven von anderen Disziplinen zu ergän-
zen und in Richtung einer holistischen Betrachtungsweise zu
überschreiten. Wenn über dreißig Wissenschaftler(inne)n aus
mehr als zehn verschiedenen Disziplinen in einem Verbund-
projekt zusammenarbeiten, ist dies kein geringer Anspruch [1].
Naturwissenschaftler(innen) finden im Ökosystemleis-
tungskonzept Ansatzpunkte, ihre Mess- und Modellergeb-
nisse in physischen Größen einzubringen. Sozialwissenschaft-
ler finden insbesondere unter den bereitstellenden und kultu-
rellen Ökosystemleistungen zentrale Größen, auf die Akteure,
die mit Landmanagemententscheidungen befasst sind, Bezug
nehmen. Für Landwirte beispielsweise stehen die Erträge an
Nahrungsmitteln und Biomasse im Mittelpunkt ihrer Inter-
essen, für Forstwirte die Holzerträge. Für Naturschützer sind
es die Auswirkungen auf die Biodiversität, für Erholungssu-
chende u.
a. das Landschaftsbild, für Wasserwirtschaftler die
Nährstoffeinträge in die Gewässer und für Klimaforscher die
Auswirkungen auf den Kohlenstoffhaushalt, die für sie jeweils
im Zentrum stehen. Allen Beteiligten macht das Ökosystem-
leistungskonzept klar, dass sie nicht die alleinigen Nutzer des
betreffenden Ökosystems sind, sondern dass ihre Nutzungen
Auswirkungen auf andere Nutzer haben und auf den Zustand
des Ökosystems insgesamt. Dies ist im Praxisalltag nicht au-
tomatisch der Fall und damit eine didaktische Leistung dieses
Konzeptes bzw. seiner Vermittlung und Diskussion.
Holistische Betrachtungsweise
Neben einer multikriteriellen Betrachtungsweise wird im
Projekt CC-LandStraD auch eine umfassende ökonomische
Analyse durchgeführt, die sich zum Ziel gesetzt hat, möglichst
viele der Ökosystemleistungen monetär zu bewerten. Idee hin-
ter diesem Forschungsansatz ist es, mit der Monetarisierung
eine einheitliche Bewertungsdimension anzubieten, auf deren
Grundlage die vieldimensionalen Auswirkungen von Landma-
nagemententscheidungen untereinander leichter verglichen
werden können. Auf dem Weg zu dieser vereinfachenden Ver-
einheitlichung müssen natürlich, ebenso wie bei der Multikri-
terienanalyse, Gewichtungen und Bewertungen getroffen wer-
den. Während dies bei der Multikriterienanalyse in der Regel
entweder mithilfe von Expertenurteilen oder im Rahmen ei-
ner gemeinsamen Diskussion innerhalb der Gruppe der an der
Bewertung oder Entscheidungsfindung beteiligten Individuen
vollzogen wird, stützt sich die hier durchgeführte ökonomische
Analyse im Wesentlichen auf drei Ansätze zur Erfassung von
Präferenzen. Dies sind (i) die Beobachtung von Markttransak-
tionen (gehandelte Mengen und realisierte Preise), (ii) die zur
Sicherstellung bestimmter Umweltsystemzustände an anderer
Stelle in Kauf genommenen Kosten (Vermeidungskosten) so-
wie (iii) die im Rahmen einer großangelegten repräsentativen
Befragungsstudie geäußerten Zahlungsbereitschaften zur Auf-
rechterhaltung oder Verbesserung von Ökosystemleistungen.
Die dahinterstehende Frage ist eine zweifellos anthropozen-
trische: In welcher Richtung und in welchem Ausmaß beein-
flussen Änderungen in der Bereitstellung von Ökosystemleis-
tungen die gesellschaftliche Wohlfahrt? Die Übersetzung in
monetäre Werte dient dabei nur einer Vereinfachung der Kom-
munikation über die Richtung und das Ausmaß der Wertschät-
zung der betrachteten Ökosystemleistungen. Entscheidend ist
die Abbildung und Berücksichtigung der Präferenzen– seien
sie nun über Markttransaktionen, politische Prozesse oder di-
rekt in einer Befragung geäußert worden.
Dimensionen der Bewertung
Damit wird eine der zentralen Herausforderungen die-
ses umfassenden Bewertungsansatzes deutlich: Wie können
diese sehr verschiedenen Bewertungsdimensionen auf einen
gemeinsamen Nenner gebracht werden? Gilt es dabei doch,
nicht nur Äpfel und Birnen, sondern auch noch Biomasse, Ni-
tratbelastung, Klimawirkungen und Biodiversitätsveränderun-
gen zu vergleichen.
Wohlfahrtswirkungen auf Gütermärkten können mithilfe
des Rentenkonzeptes abgebildet werden. Umweltgesetzge-
bung oder Steuerpolitik haben Einfluss auf die Angebots- und
Nachfragebedingungen auf den Gütermärkten. Mit einer Ver-
schiebung von Angebots- oder Nachfragefunktionen sind Än-
derungen der Konsumenten- und Produzentenrenten verbun-
Holistische Bewertung von Ökosystemleistungen
Äpfel, Birnen und Biodiversität
Entscheidungen zum Landmanagement haben
stets vieldimensionale Auswirkungen. Das
Konzept der Ökosystemleistungen erleichtert
die Verständigung in interdisziplinären Teams
und kann so dabei helfen, diese Auswirkungen
besser zu verstehen.
Von Jesko Hirschfeld und Julian Sagebiel
25ÖkologischesWirtschaften . ()
SCHWERPUNKT: ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN
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den, die wiederum Aufschluss geben über die Wohlfahrtsef-
fekte für die Marktteilnehmer.
Da Märkte jedoch zum Teil starken Verzerrungen unterlie-
gen, muss bei der Ableitung der Wohlfahrtseffekte unterschie-
den werden, ob die einzel- oder die gesamtwirtschaft lichen
Effekte in die Bewertung einbezogen werden sollen. Für den
Einbezug der einzelwirtschaftlichen Effekte spricht ihre unmit-
telbare Relevanz für die betroffenen Marktteilnehmer. Würden
beispielsweise Auflagen eingeführt, die den Anbau von Mais
auf einen bestimmten Prozentsatz der landwirtschaftlichen
Fläche in einer bestimmten Region beschränken würden, müs-
sten sowohl Maisproduzenten als auch Maisabnehmer (in ers-
ter Linie Biogasanlagenbetreiber) auf Teile ihrer Produzenten-
und Konsumentenrenten verzichten– es entstünde damit aus
ihrer Sicht ein Verlust. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist zu
berücksichtigen, dass die Nachfrage nach Energiemais durch
das Erneuerbare Energien Gesetz und die damit verbundenen
Einspeisevergütungen für Energie aus Biomasse in diesem
Umfang erst geschaffen wurde. Doch dies ist beileibe nicht die
einzige Verzerrung auf den Agrarmärkten und eine gesamt-
wirtschaftliche Bewertung der Wohlfahrtseffekte von Agrarum-
weltpolitiken ist damit eine hochkomplexe Herausforderung.
Vermeidungskosten können als Untergrenze für die gesell-
schaftliche Wertschätzung der Vermeidung (beispielsweise
von Gewässerverunreinigungen) verstanden werden. Entschei-
dungen zu Investitionen in Vermeidungstechnologien oder
auch die gesetzliche Rahmensetzung, die solche Investitionen
notwendig machen (zum Beispiel in Kläranlagen), sind in po-
litischen Prozessen getroffen worden. Wo das politische Sys-
tem nicht völlig an den Präferenzen der Bevölkerung vorbei
funktioniert, sollte das Ausmaß der Vermeidungsanstrengun-
gen also Ergebnis einer politischen Willensbildung und damit
ein Abbild kollektiver Präferenzen darstellen. Das Integral un-
ter der Grenzvermeidungskostenkurve gibt damit einen annä-
hernden Eindruck von der Zahlungsbereitschaft einer Gesell-
schaft für das Ausmaß der Vermeidung bzw. der Bewahrung
der Qualität der entsprechenden Ökosystemleistung (zum Bei-
spiel Regulation des Nährstoffhaushalts).
Kulturelle Ökosystemleistungen werden in der Regel nicht
auf Märkten gehandelt und es stehen auch nur begrenzte Mög-
lichkeiten zur Verfügung, aus Verhaltensbeobachtungen auf
die Präferenzen und Zahlungsbereitschaften in Bezug auf
diese Ökosystemleistungen zu schließen. Die Wertschätzung
gegenüber einem regionstypischen Landschaftsbild oder der
Erhaltung der Biodiversität lässt sich nicht unmittelbar aus
Markttransaktionen ableiten. Die Zahlungsbereitschaft für die
Erhaltung oder Verbesserung kultureller Ökosystemleistun-
gen kann daher in vielen Fällen nur durch Befragungsstudien
ermittelt werden. Populär, jedoch auch rasch fachlicher Kri-
tik ausgesetzt, war hierzu zunächst vor allem die Methode der
kontingenten Bewertung, bei der direkt nach der Zahlungs-
bereitschaft beispielsweise für die Erhaltung oder Wiederan-
siedlung einer bestimmten Art in einer bestimmten Region
gefragt wurde. Aktuell werden methodisch weiter entwickelte
Auswahlexperimente (choice experiments) bevorzugt, bei de-
nen die Befragten sich zwischen mehreren Alternativen ent-
scheiden müssen, die durch eine ganze Reihe von Attributen
in verschiedenen Ausprägungen charakterisiert werden und
für die jeweils unterschiedliche Zahlungsbeträge vorgesehen
sind. Ergebnisse dieser Befragungsstudien sind Zahlungsbe-
reitschaften, also Konsumentenrenten als Integral unter einer
empirisch abgeleiteten Nachfragekurve nach den in der expe-
rimentellen Auswahlsituation angesprochenen Ökosystemleis-
tungen.
Ökonomie versus Naturschutz?
Nun sind die Einwände gegen eine solche Vorgehensweise
zahlreich und Ludwig Trepl hat in seinem Beitrag in diesem
Heft das Konzept der Ökosystemleistungen im Allgemeinen
und der kulturellen Ökosystemleistungen im Besonderen in-
frage gestellt. Die auch von Thomas Fatheuer geäußerte Mah-
nung, die ökonomische Betrachtung der Natur könne in eine
Erosion ethisch oder kulturell begründeter Ansätze führen, ist
aus ethischer und naturschutzfachlicher Sicht verständlich und
nachvollziehbar. Die Frage ist, wie es ganz ohne eine ökonomi-
sche Bewertung gelingen kann, dem Naturschutz und der Be-
wahrung von Biodiversität in politischen Entscheidungsprozes-
sen einen solchen Stellenwert zu verschaffen, dass dieser von
Ethikern und Naturschützern nicht weiter zu beklagen wäre.
Eine vorläufige Auswertung der Befragungsstudie im Rah-
men des CC-LandStraD-Projektes ergibt nach vorsichtigen
ersten Hochrechnungen der statistischen Auswertungen eine
Zahlungsbereitschaft von mehreren Milliarden Euro pro Jahr
für die Erhaltung und Verbesserung der Biodiversität und des
Landschaftsbildes in Deutschland. Dieses Ergebnis kann man
als Beispiel einer bedenklichen Ökonomisierung der Natur be-
trachten. Oder aber als deutliches Votum für eine Stärkung des
Naturschutzes.
Anmerkungen
[] Der Artikel gibt Zwischenergebnisse aus dem vom BMBF geförderten
Projekt „Wechselwirkungen zwischen Landnutzung und Klimawandel
(CC-LandStraD)“ wieder (FKZ LLC). Informationen im Internet:
www.cc-landstrad.de
AUTOREN
+
KONTAKT
Dr.
Jesko Hirschfeld und Julian Sagebiel sind
Mitarbeiter des Forschungsfeldes Umwelt -
ökonomie und Umweltpolitik am Institut für
ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW).
IÖW, Potsdamer Str. , Berlin.
Tel.: + -, E-Mail: jesko.hirschfeld@ioew.de,
julian.sagebiel@ioew.de; Website: www.ioew.de
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SCHWERPUNKT: ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN