Der folgende Aufsatz stützt sich auf Erfahrungen mit psychoanalytischer Arbeit im Strafvollzug und in einer Drogenberatungsstelle. Kriminologie scheint lange für die Psychoanalyse kein Thema gewesen zu sein. In Lehrbüchern werden Brandstiftung, Sexual- und Tötungsdelikte unter den Begriffen "Sadismus" oder "antisoziale Persönlichkeitsstörung" abgehandelt, obwohl sie weder psychodynamisch noch phänomenologisch damit identisch wären. Die psychoanalytischen Forschungen beziehen sich mehrheitlich auf die Gesamtheit der Kriminellen, die aber nosologisch keine Einheit bilden. Welche Ursachen vermuten wir hinter der offenkundigen Unerforschtheit dieser Themen? Die "Unreinheit" der stigmatisierten Klientel und deren Tabubrüchen haftet auch an Fachleuten, die versuchen zu verstehen und nicht bloss moralisierend verurteilen. Indessen ist das Gefängnis als Asyl für (temporär) »unerwünschte Existenzen«, der Ort, wo wir die Ergebnisse gesellschaftlicher Verdrängung und Abspaltung am besten beobachten können. Gefängnisse sind multikulturelle, hochverdichtete Zwangsgemeinschaften mit Insassen aller Kontinente. Sehr viele wichtige internationale und regionale Konflikte finden ihren Niederschlag in der Kriminalität. Deshalb bieten Gefängnisse als Projektionen der Welt für die Ethnopsychoanalyse ein ideales Forschungsfeld.