Alkoholintoxikationen bei Jugendlichen werden in der öffentlichen Diskussion, und auch unter ExpertInnen sowohl hinsichtlich ihrer Häufigkeit, als auch Problematik sehr unterschiedlich bewertet. Die vorliegende Studie lieferte dazu erstmals fundierte Daten für das Bundesland Oberösterreich. Die Studie war qualitativ ausgelegt und umfasste sowohl Interviews mit 50 wegen Alkoholisierung stationär in Krankenhäuser aufgenommenen Jugendlichen, als auch 26 ExpertInneninterviews mit ProfessionistInnen aus den Bereichen Krankenhaus, Rettungsdienst, Exekutive, Gastronomie, Sozialversicherung, sowie JugendbetreuerInnen.
Im Hauptteil der Studie wurden 50 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren, die zwischen Juli 2008 und Dezember 2008 aufgrund einer Alkoholintoxikation in einem der teilnehmenden Krankenhäuser (Klinikum der Kreuzschwestern Wels, Landes- Frauen- und Kinderklinik Linz, Landesnervenklinik Wagner-Jauregg Linz, LKH Steyr, LKH Vöcklabruck) stationär behandelt wurden, interviewt. Diese wurden vor der Entlassung aus der Spitalspflege von einem Projektmitarbeiter ausführlich befragt. Im Rahmen eines weiteren Teils der Studie wurden 30 ÄrztInnen und 30 MitarbeiterInnen aus dem Pflegebereich von 15 Krankenhäusern in Oberösterreich interviewt. Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass das in jüngerer Vergangenheit oftmals gezeichnete Bild über jugendliche Alkoholintoxikationen nicht mit der Realität übereinstimmt. Zum einen war der Anteil jener in Spitälern behandelter Jugendlicher, auf die der Ausdruck „KomatrinkerInnen“ zutrifft und bei denen erheblich Lebensgefahr bestand, in der Studie verschwindend gering (1 von 50), und zum anderen handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle um „Unfälle“ in dem Sinn, dass die Kinder und Jugendlichen infolge geringer Erfahrung mit Alkohol und geringer Alkoholtoleranz, ungewollt in einen Zustand stärkerer Intoxikation gekommen sind.
Dass Alkohol, der in unserem Kulturkreis ja eine zentrale Rolle im sozialen und kulturellen Leben der meisten Erwachsenen spielt, auch bei Kindern und Jugendlichen, die beginnen ihr Sozialleben nach den Vorgaben der Erwachsenenwelt zu organisieren, Bedeutung hat, ist an und für sich nicht verwunderlich. Dass in der Anfangsphase, solange im Umgang mit Alkohol Erfahrungswissen fehlt, in diesem Lernprozess auch immer wieder ungewollte Räusche passieren können, ist zu erwarten. Handelt es sich nun um Jugendliche, deren übliches Alkoholkonsumverhalten keinen Anlass zur Sorge gibt, bei denen keine ernsten psycho-sozialen Grundprobleme im Hintergrund stehen und wo anzunehmen ist, dass sich derartige Vorfälle in Zukunft kaum wiederholen werden – was bei immerhin 60% der im Rahmen der Studie erfassten Jugendlichen der Fall war –, so besteht nach der akuten Behandlung der Alkoholintoxikation kein weiterer Behandlungsbedarf.
Anders stellt sich die Situation bei knapp 30% der Jugendlichen dar, die psychosoziale Auffälligkeiten aufwiesen und bei 8%, die zwar psycho-sozial eher unauffällig waren, aber wiederholt „aus Spaß“ schwere Räusche geplant hatten. Letztere Jugendliche sind hinsichtlich ihres Alkoholkonsums als problematisch zu sehen. Sind Auffälligkeiten im eben genannten Sinn erkennbar, ist die Einbeziehung von klinischen PsychologInnen und PsychiaterInnen zu empfehlen. Sind diese an einem Wochenende nicht erreichbar, so ist ev. eine Verlängerung des Aufenthaltes oder eine Zuweisung zu einer Einrichtung mit einer jugendpsychiatrischen Abteilung empfehlenswert. Auch über die verstärkte Einbeziehung von SozialarbeiterInnen oder der Jugendwohlfahrt könnte nachgedacht werden. Welche Interventionen zweckmäßig und möglich sind, sollte dabei unter Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfälle und deren Behandlungsbedarf entschieden werden.
Auch wenn das kein unmittelbares Ergebnis der vorliegenden Studie ist – dazu haben MitarbeiterInnen des Forschungsteams bereits zuvor wiederholt referiert und publiziert –, sollte hier betont werden, dass die immer wieder veröffentlichten Zahlen über mit Alkoholintoxikation in Krankenanstalten behandelten Kinder und Jugendlichen, kein realistisches Bild der tatsächlichen Zahl zulassen, und dass es absolut unzulässig ist aus diesen Zahlenreihen Rückschlüsse auf das Auftreten von schweren Räuschen unter Kindern und Jugendlichen zu ziehen. Um nur einige Gründe dafür zu nennen: Sowohl die ICD-9 als auch die ICD-10 Kriterien sind bezüglich des uns hier interessierenden Kriteriums „Alkoholintoxikation“ viel zu unscharf und widersprüchlich. Die Motivation bei der Diagnoseerstellung zielt nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, sondern auf Abrechnung der Krankenhausleistungen ab. Bezüglich des Kodierungsverhaltens in den Krankenanstalten gibt es massive Modeströmungen, die einen systematischen Bias erzeugen. Dazu kommen noch eine Reihe anderer Faktoren, die die Interpretierbarkeit dieser Zahlen einschränken und auf die im Bericht genauer eingegangen wird.
Eine in Zusammenhang mit der Behandlung von Alkoholisierten in Krankenanstalten wichtige Frage ist auch, wer für die dadurch entstehenden Kosten aufkommt. Im Rahmen der gegenwärtigen Studie zeigte sich, dass anders als z.B. in Wien, wo die Betroffenen für hohe Krankentransport- und Behandlungskosten aufkommen müssen, die finanzielle Belastung der Betroffenen in Oberösterreich zum Zeitpunkt der Erhebung nur gering ist. Den PatientInnen werden zwar die Kosten für den Krankentransport, nicht aber die Behandlungskosten in der Krankenanstalt verrechnet. Da hier aber bloß der Kassentarif zur Anwendung kommt, liegt die finanzielle Belastung für die PatientInnen in Oberösterreich zwischen 27 Euro und 100 Euro. Eine oberösterreichische Spezialität ist, dass die Spitalskosten unter gewissen Umständen von Gastronomiebetrieben, denen von der Krankenkasse ein Mitverschulden angelastet wurde, am Regressweg eingetrieben werden.
Die Frage wie hier rechtskonform vorzugehen ist, ist angesichts der moderaten Kosten für die PatientInnen in Oberösterreich nicht so zentral wie in Wien, wo die Kosten durchwegs vierstellige Eurobeträge ausmachen. Seit einem OGH-Urteil, das recht eindeutig festlegt, dass alle Kosten von den Krankenkassen zu übernehmen sind, gewinnt die Frage aber auch für Oberösterreich an Bedeutung.