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Ilse Achilles & Gerda Pighin. 2008. Vernäht und zugeflixt! Von Verspre-
chern, Flüchen, Dialekten & Co. Mannheim: Dudenverlag. 192 S.
Susanne Oberholzer Universität Zürich
Deutsches Seminar
Schönberggasse 9
CH-8001 Zürich
susanneoberholzer@uzh.ch
Die Journalistinnen Ilse Achilles und Gerda Pighin legen mit diesem Werk
ein Buch vor, das „amüsante Einblicke in die Welt der Sprache“eröffnen
und „mit Halbwissen und Vorurteilen“(hintere Umschlagsseite) aufräumen
will. In Auftrag gegeben wurde das Werk von der Deutschen Gesellschaft
für Sprachwissenschaft (DGfS). So kommen in den einzelnen Kapiteln je-
weils eine Sprachwissenschaftlerin bzw. ein Sprachwissenschaftler als Exper-
tin/Experte zu Wort, und im Anhang sind die Namen der DGfS-Mitglieder
nachzulesen, die die Autorinnen wissenschaftlich begleitet haben. Ziel des
Werkes sei es, so entnimmt man dem Vorwort, das „Basiswissen der Sprach-
wissenschaftler“an „das Licht der breiten Öffentlichkeit“zu bringen, denn
die Erkenntnisse, die in der Sprachwissenschaft gewonnen werden, erreich-
ten die breite Öffentlichkeit „leider viel zu selten“(S. 6). Die in der Presse
diskutierten sprachlichen Themen reflektierten „den Stand der sprachwis-
senschaftlichen Erkenntnisse […] oft nur unzureichend“(S. 7), und genau
hier möchte man mit dem Buch Vernäht und zugeflixt! ansetzen.
In den zwölf Kapiteln nähern sich Ilse Achilles und Gerda Pighin ver-
schiedenen Teilgebieten der Sprachwissenschaft. Kapitel 1 ist dem Sprach-
wandel gewidmet, der als etwas Natürliches geschildert und anhand vieler
Beispiele, auch aus anderen Sprachen, erläutert wird. Kapitel 2 handelt von
der Jugendsprache bzw. von den Jugendsprachen, denn die eine Jugend-
sprache gebe es nicht. Typische Merkmale von Jugendsprachen werden aufge-
zeigt und mögliche Gründe für diese Sprachvariation genannt. In Kapitel 3
ist von Dialekten die Rede. Hier werden die große Vielfalt der Dialekte im
deutschsprachigen Raum, deren unterschiedlicher Gebrauch, mögliche In-
terferenzen mit der Standardsprache sowie die Sprachkompetenz im All-
gemeinen thematisiert. Kapitel 4 handelt vom richtigen Schreiben, von der
deutschen Orthographie, aber auch von der Orthographie in anderen
europäischen Sprachen. Ebenfalls Eingang in dieses Kapitel haben SMS-
Kurzschreibungen sowie Emoticons gefunden. In Kapitel 5 geht es um den
Spracherwerb bei Kindern und um die Frage, in welcher Reihenfolge welche
Teilbereiche der Sprache erworben werden. Kapitel 6 thematisiert die (ver-
schiedenen Formen der) Mehrsprachigkeit und zeigt auf, wie Kinder zur
Mehrsprachigkeit gelangen und welche Auswirkungen Mehrsprachigkeit auf
ihre Sprachkompetenzen hat. Schreiben und Schrift sind Gegenstand von
ZRS, Band 4, Heft 1
© Walter de Gruyter 2012 DOI 10.1515/zrs-2012-0001
Kapitel 7, wobei hier auch auf den Aufbau deutscher Wörter, insbesondere
auf die Silbenstruktur, eingegangen wird. Fremdwörter sind das Thema in
Kapitel 8, das sehr differenziert aufzeigt, aus welchen Sprachen und auf wel-
che Weise Fremdwörter in die deutsche Sprache gelangen. Thematisiert
wird auch die Anzahl neuer Fremdwörter im Verhältnis zum gesamten
deutschen Wortschatz. Kapitel 9 handelt vom Fluchen und Schimpfen und
zeigt diesbezügliche kulturelle Unterschiede zwischen verschiedenen Spra-
chen auf. Kapitel 10 befasst sich mit Versprechern, wobei deutlich gemacht
wird, dass diese trotz ihrer Unvorhersehbarkeit gewissen Regeln folgen.
Kapitel 11 behandelt die Gebärdensprache und deren Ursprünge sowie die
Unterschiede zwischen gesprochener und gebärdeter Sprache. Das letzte Ka-
pitel handelt von Computerübersetzungsprogrammen und zeigt deren Ein-
satzdomänen und Grenzen auf.
Das Themenspektrum des Buches ist breit, sehr breit sogar, doch es
fehlt der rote Faden. Zwar werden einige Kapitel mit Querverweisen ver-
bunden (wie beispielsweise das Kapitel über Spracherwerb mit dem Kapitel
über Mehrsprachigkeit oder das Kapitel über Sprachwandel mit demjenigen
über Dialekte), doch wird man als Leserin den Eindruck nicht los, den man
bereits beim Lesen des Buchuntertitels –Von Versprechern, Flüchen, Dialek-
ten & Co. –gewinnt: dass hier eine etwas gar zu bunt zusammengewürfelte
Mischung an linguistischen Themen entstanden ist und Themen neben-
einander stehen, die nicht viel miteinander zu tun haben.
Das Buch reiht sich in eine Serie von Veröffentlichungen neueren Da-
tums ein, die sich der deutschen Sprache widmen und in einem lockeren
Ton sprachliche Phänomene abhandeln. Der Autor, der diese Art der
Sprachbeschreibung am meisten geprägt, wenn nicht gar initiiert hat, ist der
einer breiten Öffentlichkeit bekannte Bastian Sick, dessen Bücher ein sol-
cher Verkaufsschlager geworden sind, dass er gar mit einer eigenen Bühnen-
schau durch die Lande zieht. Auf Autoren wie Sick spielen die Autorinnen
vermutlich auch an, wenn sie schreiben:
„Manche der […] diskutierten Themen werden auch immer wieder in der Presse
angesprochen, aber den Stand der sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse reflektieren
diese Darstellungen und Diskussion oft nur unzureichend.“(S. 7)
Denn Sick hat sich in seinen Büchern u. a. des Themas Sprachwandel, aber
auch der Fremdwortproblematik und der deutschen Rechtschreibung ange-
nommen, hat diese Themen aber allesamt nicht-wissenschaftlich behandelt.
Achilles und Pighin erwähnen Sick explizit im Kapitel über Sprachwandel
und charakterisieren seinen Schreibstil als „wortreich und amüsant“(S. 21).
Man gewinnt den Eindruck, dass sie diesen Schreibstil nachzuahmen ver-
suchen, um ein möglichst großes Lesepublikum anzusprechen. Leider führt
das aber dazu, dass sie öfter über das Ziel hinausschießen und sich einer
inadäquaten Sprache bedienen.
Susanne Oberholzer2
Stilistisch bildet das Buch denn auch keine Einheit: Sprachwissenschaft-
lich fundierte Teile, die in adäquatem Stil vorgelegt werden, wechseln ab
mit salopp und zum Teil in völlig unpassendem Stil formulierten Passagen.
Dies führt dazu, dass die eher wissenschaftlich ausgerichteten Abschnitte
sich an ein gebildetes Publikum wenden (so werden mehrmals Fachbegriffe
nicht erklärt) und wohl kaum allgemein verständlich sind (z. B. „Flexions-
klasse“, S. 76, „Phonetikprofessor“, S. 22, oder „indogermanische Sprachen“,
S. 26), während andere Abschnitte sprachlich inadäquat und anbiedernd
wirken: „Auch durch Ironie verändern Kids ihren Wortschatz“(S. 34) oder
„Manchmal reden die Computer-Kids, die Chatter und Simser nämlich auch mit-
einander, so richtig von Mensch zu Mensch. Aber, wen wunderts, natürlich in ihrem
Chat- und SMS-Slang.“(S. 63)
Das gilt auch für die Anekdoten und Witze, mit denen einzelne Kapitel
beginnen (vgl. „Unter Rundfunksprechern und -redakteuren kursiert folgen-
de Geschichte“, S. 149), sowie für Titel und Untertitel wie „Peace, Alter,
ich wollte dich nicht dissen, ey!“(S. 29). Streckenweise ähnelt das Buch
einem Ratgeber für besorgte Eltern; so beispielsweise in Kapitel 6, wo drei
Modelle vorgestellt werden, wie Kinder mehrsprachig erzogen werden kön-
nen, oder in Kapitel 7, wo beim Thema Legasthenie auf Informationen für
Eltern verwiesen und unter der weiterführenden Literatur u. a. der Link des
Bundesverbandes Legasthenie und Dyskalkulie e.V. aufgeführt wird. Ebenso
werden im Kapitel über Jugendsprache die Eltern beruhigt, dass die auf den
ersten Blick diskriminierenden Anreden nur „Frotzeleien“(S. 34) seien.
Doch trotz dieser Kritik ist zu sagen: Es gibt einige Passagen, in denen
das Buch sehr gut aufzeigt, mit welchen Forschungsgebieten sich die Lin-
guistik befasst, und in denen es den Autorinnen gelingt, auf einfache Art
und Weise verschiedene Gesichtspunkte dieser Gebiete kurz und verständ-
lich zu erklären (wie in den Kapiteln über Fremdwörter, Sprachwandel und
Spracherwerb). Aber leider werden diese Passagen von den übrigen, in um-
gangssprachlichem Ton geschriebenen klar abgetrennt. Dazu tragen auch
Formulierungen bei wie „Forscher haben festgestellt“(S. 125), „Doch Lin-
guisten sind der Ansicht“(S. 47) oder „Für die Wissenschaftler“(S. 14).
Diese lassen den Elfenbeinturm, aus dem man die Wissenschaft mit dem
Buch holen möchte (vgl. S. 5), wieder in die Höhe wachsen. Das geschieht
auch durch die ständige Anführung der Titel der Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler, die zu Wort kommen (z. B. „erklärt Professor Butt“, S. 15).
Schade ist zudem, dass das Buch in gewissen Teilen sich derart an das
breite Publikum anzubiedern beginnt, dass sich Ungenauigkeiten oder gar
Fehler einschleichen, wie in den folgenden Fällen:
„Durch Kontakte zwischen unterschiedlichen Sprachen bzw. Menschen, die ins Land
kommen, ohne die Landessprache zu sprechen, können sogar neue ‚Mischsprachen‘
entstehen, die Linguisten als Pidgins und Kreolsprachen bezeichnen.“(S. 24)
Ilse Achilles & Gerda Pighin. Vernäht und zugeflixt! 3
Diese Gleichsetzung ist falsch: Pidgins sind Mischsprachen ohne mutter-
sprachliche Sprecherinnen und Sprecher, Kreolsprachen sind ehemalige Pid-
gins, die von Kindern als Muttersprache erlernt werden.
Auch wenn das letztgenannte Beispiel einen anderen Eindruck erwe-
cken mag: Das Buch ist über weite Teile deutschlandzentriert, Österreich
wird völlig ausgeblendet, Liechtenstein nur im Zusammenhang mit dem
Nicht-Gebrauch des Eszett genannt. Was die Schweiz betrifft, so hat diese
im Kapitel über Dialekte einen eher unrühmlichen Auftritt, weil fast alles,
was dort über die Deutschschweizer Sprachsituation und das Schweizerdeut-
sche geschrieben wird, ungenau oder falsch ist. So ist von den „Zürichern“
(S. 44) statt den „Zürchern“, von den „Schweizerdeutschen“(S. 47) statt
den „Deutschschweizern“die Rede, und es wird behauptet, dass „knapp 90
Prozent der Einwohner […] alemannisch bzw. Schwyzerdütsch in allen Va-
rietäten“sprächen und viele davon „sogar ausschließlich Dialekt und keine
Hochsprache“(S. 39). Beide Aussagen sind unzutreffend. Zudem kommen
gerade in diesem Kapitel zahlreiche Allgemeinplätze sowie sprachliche Un-
genauigkeiten vor: Man brauche einen „Dolmetscher, um einheimische Dia-
lektsprecher zu verstehen“(S. 43), je weiter die Regionen auseinanderlägen,
Dialekt und Standardsprache seien „zwei unterschiedliche Sprachvarianten“
(S. 48) statt ‚Sprachvarietäten‘(Varianten sind die Elemente, in denen sich
Varietäten unterscheiden, z. B. Lexeme).
Unklar ist im Verlauf der Lektüre auch der Stellenwert der jeweils am
Ende eines Kapitels angegebenen Literatur, die in „Literatur zum Weiter-
lesen“und „Weitere Literatur“aufgeteilt ist. Einmal sind zehn Werke an-
geben, einmal zwei, einmal stehen noch einige Internetadressen daneben,
einmal sogar Filme. Das führt dazu, dass z. B. im Kapitel zum Sprachwandel
das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache von Kluge und das
Werk Der weiße Neger Wumbaba kehrt zurück.Zweites Handbuch des Ver-
hörens von Axel Hacke direkt nebeneinander stehen. Es handelt sich also
nicht ausschließlich um wissenschaftliche Literatur, auf die verwiesen wird,
und der Unterschied zwischen „Literatur zum Weiterlesen“und „Weitere
Literatur“bleibt im Dunkeln.
Der Duden-Verlag steht für Qualität, und diese erwartet man als Lese-
rin auch vom vorliegenden Buch. Leider kann das Buch Vernäht und zuge-
flixt diese Erwartung nicht erfüllen. Die Idee, Erkenntnisse der Sprachwis-
senschaft vom Elfenbeinturm sozusagen auf die Straße hinunter zu holen
und einem breiten Publikum in adäquater Weise zu präsentieren, ist zwar
gut und lobenswert. Teilweise ist das den beiden Autorinnen gelungen,
wenn auch, wie erwähnt, der Elfenbeinturm sich immer wieder bemerkbar
macht, weil nicht-wissenschaftliche Passagen allzu deutlich von wissen-
schaftlichen abgesetzt werden. Diese Brüche zwischen den anekdotischen
und den wissenschaftlichen Teilen des Buches sind in verschiedenen Kapi-
teln aber zu groß, um das Buch als aus einem Guss erscheinen zu lassen.
Der Gesamteindruck bleibt ein zwiespältiger: In einer saloppen Manier zu
Susanne Oberholzer4
schreiben führt zwar zu hohen Leserzahlen, wie Sick gezeigt hat, aber leider
auch dazu, dass das Wissenschaftliche teilweise auf der Strecke bleibt.
Anita Auer. 2009. The Subjunctive in the Age of Prescriptivism.English and
German Developments during the Eighteenth Century (Palgrave Studies in
Language History and Language Change). Houndmills, Basingstoke: Pal-
grave Macmillan. xiv, 221 S.
Anja Voeste Justus-Liebig-Universität Gießen
Institut für Germanistik
Otto-Behaghel-Str. 10B
D-35394 Gießen
anja.voeste@germanistik.uni-giessen.de
Anita Auer widmet sich in ihrer Studie dem Gebrauch des synthetischen
Konjunktivs im Englischen und Deutschen sowie seiner Einbettung in den
metasprachlichen Diskurs der Grammatikschreibung des 18. Jahrhunderts.
Die Publikation ist aus ihrer Dissertationsschrift von 2005 hervorgegangen,
die von Sylvia Adamson (Sheffield) und Martin Durrell (Manchester) be-
treut wurde. Auers Ziel ist es, den Rückgang der synthetischen Modusfor-
men und ihren Ersatz durch Indikativ und analytische Konstruktionen in
beiden Sprachen zu dokumentieren und die möglichen soziolinguistischen
Hintergründe auszuleuchten. Betrachtet werden dabei zwei im Grundsatz
sehr unterschiedliche Ausschnitte aus Standardisierungsprozessen. Mit dem
synthetischen Konjunktiv wählt Auer für ihre Untersuchung eine gramma-
tische Form, deren Verwendung in England bereits langfristig rückläufig
war, noch bevor die Sprachlehren das Thema aufgriffen. Eine mögliche Ein-
flussnahme der Grammatiker des 18. Jahrhunderts kann somit nicht als
Auslöser, sondern nur als positiver oder negativer Verstärker des Langzeit-
trends in Frage kommen. Anders im deutschen Fallbeispiel: Hier sieht Auer
die Grammatikschreibung des 18. Jahrhunderts als wesentlichen auslösenden
Impulsgeber der Standardisierung an, was a fortiori für das österreichische
Deutsch im Zeitalter Maria Theresias gelten kann, das daher in der Studie
besondere Berücksichtigung findet.
Auer gründet ihre Gebrauchsanalysen auf die historischen Korpora AR-
CHER (hier: britisches Englisch, verschiedene Textsorten, 1700-1900) und
GerManC (deutsche Zeitungen, 1650-1800), die sie um eigene Korpora
englischer Gedichte (1683-1796) und österreichischer Predigten, Wochen-
schriften, Berichte und Zeitungen (1710-1799) ergänzt. Für das Englische
ZRS, Band 4, Heft 1
© Walter de Gruyter 2012 DOI 10.1515/zrs-2012-0002
Anita Auer. The Subjunctive in the Age of Prescriptivism. 5
Available via license: CC BY-NC-ND 3.0
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