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Didaktik: Niemandsland oder Spielwiese der Verhaltensauffälligenpädagogik? Plädoyer für einen Unterricht als lebensweltorientierten Gesamtzusammenhang. Sonderpädagogik, 27(2), 92-103

Authors:

Abstract

Beeinflussungsmöglichkeiten für auffällige Verhaltensweisen, Persönlichkeitsmerkmale usw. werden üblicherweise eher auf dem Gebiet der Erziehung, der Therapie oder in der formalen Organisation des Unterrichts gesehen, kaum jedoch in der Auseinandersetzung mit spezifischen Themen, die allerdings anders aufbereitet werden müssen, als von den Fachdidaktiken (der allgemeinen Schulen) vorgesehen. Innovative didaktische Positionen sonnen sich im Licht des Neuen und Interessanten, versäumen jedoch zu begründen, wie sie sinnvoller Bestandteil von Unterricht im Sinne des täglichen Bearbeitens von Themen sein können. Faßt man Verhaltensauffälligkeiten als Ausdruck von Lebensweltproblemen auf, die auch zu somatischen Sedimenten/ Manifestationen führen können, dann ist von der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit diesen Themen auch eine Verhaltensänderung zu erwarten. Es wird die These vertreten, daß sich diese Themen durch die Analyse der jeweiligen lebensweltlichen Strukturen auffinden lassen und daß sie zum Dreh- und Angelpunkt des Unterrichts und der sonstigen, ergänzenden didaktischen Aktivitäten gemacht werden müssen.
Didaktisch-methodischer Beitrag
Didaktik: Niemandsland oder Spielwiese
der Verhaltensauffälligenpädagogik? -
Plädoyer für einen Unterricht als
lebensweltorientiertem Gesamtzusammenhang
Joachim Bröcher
Zusammenfassung
Beeinflussungsmöglichkeiten für auffällige
Verhaltensweisen, Persönlichkeitsmerkmale
usw. werden üblicherweise eher auf dem Ge-
biet der Erziehung, der Therapie oder in der
formalen Organisation des Unterrichts gese-
hen, kaum jedoch in der Auseinandersetzung
mit spezifischen Themen, die allerdings an-
ders aufbereitet werden müssen, als von den
Fachdidaktiken (der allgemeinen Schulen)
vorgesehen. Innovative didaktische Positionen
sonnen sich im Licht des Neuen und Interes-
santen, versäumen jedoch zu begründen, wie
sie sinnvoller Bestandteil von Unterricht im
Sinne des täglichen Bearbeitens von Themen
sein können. Faßt man Verhaltensauffiillig-
keiten als Ausdruck von Lebensweltproble-
men auf, die auch zu somatischen Sedimen-
ten/ Manifestationen führen können, dann ist
von der unterrichtlichen Auseinandersetzung
mit diesen Themen auch eine Verhaltens-
änderung zu erwarten. Es wird die These ver-
treten, daß sich diese Themen durch die Ana-
lyse der jeweiligen lebensweltlichen Struktu-
ren auffinden lassen, und daß sie zum Dreh-
und Angelpunkt des Unterrichts und der son-
stigen, ergänzenden didaktischen Aktivitäten
gemacht werden müssen. Die Lebenswelt-
analyse kann sich in besonderer Weise auf
(alltags-)ästhetische Prozesse stützen. Es sind
die formalen Dimensionen ,,Offenheit" und
,,Projektorientierung", die sich als grundlegend
fi.ir didaktische Konstruktionen erweisen. Der
thematisch vorstrukturierte Handlungsrahmen
fällt sich im Zuge eines prozeßhaften Ge-
schehens mit Inhalten, Problemen usw., die
sich aus der Analyse der Lebenswelten der
Schüler ableiten. Den ,,Neuen Somatismus"
(Shusterman) im Bereich der Didaktik betref-
fend, stellt sich die Frage, wie sich die körper-
orientierten Verfahren sinnvoll in unterrichtli-
che Prozesse integrieren lassen.
Unterricht in der Erziehungshilfe:
Didaktik als Niemandsland?
Forschung: Dominanz von Erziehung und
Therapie gegenüber Unterricht
Auf dem Fachgebiet der Verhaltensaufftilli-
genpädagogik hat sich inzwischen ein enormer
Komplex wissenschaftlichen Wissens zu The-
men wie Förderung, Therapie, Beratung usw.
angesammelt. Zum Bereich des Unterrichts
finden sich dagegen nur relativ wenig Arbei-
ten. Goetze & Gatzemeyer (1992, 17) analy-
sierten die Beiträge zur Verhaltensauffälligen-
pädagogik in 5 bekannten deutschsprachigen
Fachzeitschriften über einen Zeitraum von 10
Jahren. Nur 6,3% der Veröffentlichungen be-
zogen sich auf Unterricht. Die Analyse von
Schulkonzepten (Schulen fiir Erziehungshilfe)
durch Petermann et al. (1993) zeigt die Domi-
nanz bestimmter Sozialformen (Gruppenarbeit
usw.) sowie methodischer Prinzipien (Hand-
lungsorientierung, Differenzierung usw.). Un-
ter dem inhaltlichen Aspekt des Unterrichts
zetgten sichjedoch keine besonderen Schwer-
punktsetzungen.
Warten auf ein umfassendes Modell
Ein umfassendes Modell für den Unterricht an
Schulen für Erziehungshilfe gibt es bisher
nicht (Hußlein 1987, 26). Demnach bliebe nur
der Rückgriff auf die allgemeinen didakti-
schen Modelle. Doch schränkt Hußlein hier
wiederum ein: ,,Allerdings wird die Mehrzahl
92 Sonderpddagogik 27. Jg. 1997, Heft 2, S. 92-103
Didaktik: Niemandsland oder Spielwiese der Verhaltensauffcilligenpridagogik?
der bekannten didaktischen Theorien der be-
sonderen Lebensgeschichte und -situation von
Problemschülern weniger gerecht" (ebd.). Es
muß also weiter an einer speziellen Didaktik
für sog. verhaltensauffällige Schüler gearbei-
tet werden.
Positionen zur ,,Form(6 des Unterrichts
sind vorhanden
Vorschläge zu den formalen Strukturen des
Unterrichts wurden gemacht. Kluge (1969)
orientiert sich etwa an der Sozialform des
Gruppenunterrichts (P. Petersen). Schumacher
(1975) setzt auf die ,,Durchstrukturierung" des
Unterrichts. Neukäter (1980, 1989) erbrachte
den empirischen Nachweis, daß während ei-
ner projektorientierten Lemphase die Schüler
signifikant mehr unterrichtsbezogenes Ver-
halten und weniger störendes Sozialverhalten
äußern. Goetze (1989) und Goetze & Jäger
(1991) applizierten die Prinzipien offenen Un-
terrichts auf den Bereich der Schule für Er-
ziehungshilfe.
Die Vernachlässigung der thematischen
Dimension des Unterrichts
Unterrichtliche Themenbearbeitungen, die als
spezifisch fiir die Schule fiir Erziehungshilfe
anzusehen wären, beziehen sich nach Kluge
(1976, l46f .) ,,auf die Auseinandersetzungs-
fühigkeit und -bereitschaft Verhaltensauffül-
liger mit ihren physischen, sozialen, kulturel-
len und weltanschaulichen Erfahrungen [...]
auf Berufschancen [. . .] Freizeitaktivitäten [. . .]
auf Sexualfragen [...] und Erziehungsproble-
me" (a.a.O., 150f.). Anhand welcher konkre-
ter Unterrichtsthemen und wie genau dies er-
folgen soll, ist bis heute allerdings offen
geblieben. Der psychoanalytisch geprägte Ent-
wurf von Bittner, Ertle & Schmidt (1974)
impliziert zwar, daß es im Unterricht mit Ver-
haltensauffülligen um eine Art,,Konflikthilfe
im Vorfeld des Therapeutischen" gehen soll;
eine systematische Verknüpfung von KonJlikt-
themen und Unterrichtsinhalten bleibt jedoch
aus. Die Autoren (S. 52) halten es für nicht
erwiesen, daß ,,Fächer oder Themen über In-
halt bzw. Struktur psychische Probleme ab-
bauen" können. Mit Hußlein (1989, 480) läßt
sich resümierend feststellen: ,,Über den Stel-
lenwert der Unterrichtsflicher flir die schuli-
sche Förderung Verhaltensgestörter findet sich
wenig Erwähnenswertes. Fragen kreisen ein-
zig um ihre besondere Gewichtung." Einzelne
Fächer werden dagegen ihrer sog. therapeuti-
schen Wirkungen wegen hervorgehoben.
,,Kunsterziehung, Musik, Werken, Bewe-
gungserziehung und Sport erhalten hier deut-
liche Präferenzen" (vgl. ebd.). Ein für unsere
Fragestellung interessanter Ansatz ist die Päd-
agogische Kunsttherapie (Richter 1984), denn
hier werden fachspezifische und allgemeine
sonderpädagogische Zielsetzungen - auf dem
Wege der Umstrukturierung von lnhalt-Ziel-
Verbindungen - miteinander verknüpft. Die
eigentümlichen Lebenskonflikte von verhal-
tensaufflälligen Schülem werden zum Anlaß
für entsprechende Themenstellungen genom-
men, die auf der Basis von ästhetischen Pro-
zessen realisiert werden (a.a.O., 155ff.).
Therapeutische Systeme plus
Fachdidaktiken gleich
sonderpädagogischer Unterricht?
Als pädagogisch-therapeutische Bezugssyste-
me fiir den schulischen Umgang mit Verhal-
tensauffülligen (im Sinne von Erziehung und
Therapie) haben sich psychoanalytische, indi-
vidualpsychologische, verhaltenstherapeuti-
sche und klientenzentrierte Theorieansätze
etabliert. Es entsteht der Eindruck, es ließe
sich thematisch wie an einer allgemeinen
Schule vorgehen, wenn eine Lehrkraft nur über
die entsprechenden therapeutischen Reper-
toires, die sich meist auf das zu ändernde Lem-
und Sozialverhalten richten, verfügt. Die o.g.
pädagogisch-therapeutischen Systeme und
die, fr.ir die allgemeine Schule entwickelten
Fachdidaktiken lassen sich jedoch nicht ein-
fach ns, einem sonderpädagogischen Unter-
richt addieren. Der Sonderschullehrer, der ana-
log zur klientenzentrierten Therapie,,Akzep-
tanz",,,Empathie" und,,Wertschätzung" prak-
tiziert, steht vor der Schwierigkeit, einen the-
matischen Kontext zur Aufnahme entwick-
lungsftirdernder Beziehungen erst schaffen zu
müssen, ohne daß von erziehungstherapeu-
tischer Seite (2.B. Fitting & Kluge 1981) ge-
sagt werden würde, in welcher Weise sich die
Themen und Inhalte der Unterrichtsfticher da-
für eignen oder wie sie aufbereitet werden
müssen, damit sie überhaupt eine Basis für die
klientenzentriärten Interventionen abgeben
können. Interaktionsübungen. Übungen zum
sozialen Lernen, Konflikt- und Beratungsge-
spräche und sonstige kommunikative Verfah-
93
Joachim Bröcher
ren scheinen nach dem erziehungstherapeu-
tischen Ansatz eher additiv zum Unterricht zu
laufen, der prinzipiell noch als ein herkömmli-
cher erscheint.
Die Reduzierung der Didaktik
auf eine pädagogische Haltung
Es stellt sich die Frage, ob sich positive Bezie-
hungen zwischen Lehrern und sog. auffälligen
Schülern, die in ihren Herkunftsmilieus die
Meta-Kommunikation kaum erlemt haben,
überhaupt auf diesem Wege, d.h. ohne den ge-
zielten Rückgriff auf spezielle didaktische
(thematisch fundierte) Konstruktionen, her-
stellen lassen. Die kommunikativen Verfahren
müßten unseres Erachtens direkt auf die
soziokulturellen Kontexte (Jugendszenen;
Musik, Kleidung, Sprache der Jugendlichen;
Rechtsradikalismus, Gewalt, Sexualität,
Fremdheits- und Zerrissenheitserfahrungen
von ausländischen oder ausgesiedelten Schü-
lern usw.) bezogen werden, damit die sonder-
pädagogischen Interventionen und die Di-
daktiken der Unterrichtsflächer nicht vonein-
ander abgekoppelt werden und nebeneinander
herlaufen. Didaktik darf nicht auf eine pädago-
gische Haltung reduziert werden, wie etwa bei
A. Kluge (1995): ,,Die Methode bin ich."
Didaktik umfaßt heute mehr
als Unterricht im engeren Sinne
Die Didaktik der Schule für Erziehungshilfe
muß relativ weit gefaßt werden, d.h. über Un-
terricht im engeren Sinne (Vermittlung von be-
stimmten Inhalten, Kulturtechniken usw.) hin-
ausgehend. Es erscheint daher ratsam, Klafki
(1985, 39) in seinem erweiterten Didaktik-
begriff zu folgen (,,alle Formen intentionaler
[zielgerichteter], systematisch vorbedachter
<Lehre> fim weitesten Sinne von reflektierter
Lern-Hilfel und das auf im Zusammenhang
mit solcher <Lehre» sich vollziehende Ler-
nen"), weil gerade an einer Schule frir Er-
ziehungshilfe vielftiltige andere Lehr-Lem-
Formen, etwa Beratungsgespräche, therapie-
ähnliche Einzel- und Kleingruppenflorderun-
gen u.a.m. stattfinden, die über die herkömm-
lichen Vorstellungen von Unterricht hinausge-
hen.
Didaktisches Handwerkszeug
für die Gegenwart
Wie läßt sich in der Gegenwart ein brauchba-
res didaktisches Handwerkszeug für den tägli-
chen Unterricht zusammenstellen? Was wir
bis zum Beginn der Postmodeme - bereits zur
Verfügung hatten, sind Forlführungen, Varia-
tionen bzw. Adaptationen spezieller pädago-
gischer und didaktischer Modellansätze, die
sich seit der Reformpädagogik und im Zuge
der Alternativschulbewegung entwickelt ha-
ben (2.B. Projektunterricht, Erlebnispädago-
gik, offener Unterricht, Freiarbeit, Wochen-
planunterricht, Spielpädagogik, handelnder
Unterricht, Rollenspiel usw.). Ferner standen
uns Aufbereitungen aus einer Reihe mit Spra-
che arbeitender älterer und neuerer Modelle
aus dem Bereich der Psychotherapie zur Ver-
fiigung. Hierbei handelt es sich meist um
Theorieansätze und/ oder Handlungsmodelle,
die aufdie klqssischen psychologischen Schu-
len zunickgehen (vgl. z.B. psychoanalyische
Pädagogik, Themenzentrierte Interaktion, Ge-
stalttherapie/ -pädagogik, Erziehungstherapie,
personenzentrierter Unterricht, Verhaltens-
therapie/ -modifi kation, Spieltherapie, Psycho-
drama, Katathymes Bilderleben, systemische
Familienberatung u.a.). Darüberhinaus finden
sich Aufbereitungen aus dem Bereich der sog.
künstlerischen Therapien (Musiktherapie,
Kunsttherapie, Gestaltungstherapie u.a.). In-
zwischen hat sich der Markt der Theorien,
Ideen, Methoden, Verfahren usw. weiter auf-
gefächert. Man nehme Einsicht in die verfüg-
baren Handbücher (vor allem Goetze &
Neukäter 1989), Reader (2.B. Fitting & Saßen-
rath-Döpke 1993), Tagungsberichte (r.8.
Goetze 1987; Benkmann, Saueressig & Beier
1 990; Förderverein der Astrid-Lindgren-Schu-
le 1993) und Tagungsprogramme (2.8. Verhal-
tensauffällig, na und? 1993; Heiwo, 1995
Sonderpädagogik neu denken, 1995; Pädago-
gik in Bewegung II, 1995; Schulische Er-
ziehungshilfe - grenzüberschreitend, 1996
u.a.).
Zur Kritik innovativer Trends:
Didaktik als Spielwiese?
Erweiterung des didaktischen Repertoires:
Modetherapien und Somatik des Erlebens
Zl dem o.g. Repertoire kommen inzwischen
etliche'Ansätze hinzu und zwar zunächst aus
den Bereichen Weiterbildung, Kommunika-
tionstraining und Beratung . Ztsätzlich halten
sog. Modetherapien (2.8. Neurolinguistisches
94
Didaktik: Niemandsland oder Spielwiese der Verhaltensauf.frilligenpddagogik?
Programmieren) und Methoden aus anderen
Bildungsbereichen, wie z.B. das der Fremd-
sprachendidaktik entstammende,,Superleam-
ing" (vgl. A. Kluge 7993),Einrugin das Fach-
gebiet. Sonderschullehrer und Schulleiter be-
legen Fortbildungen oder Zusatzausbildungen
in Brain-Gym oder NLP. Im Ztge der ,,soma-
tischen Wende in der heutigen Kultur" (Shu-
sterman 1994,243) kommt es ferner zu Adap-
tationen aus den Repertoires verschiedener
Körpertherapien bzw. Entspannungstechniken
(Autogenes Training, progressive Muskelent-
spannung, Yoga, Meditation usw.). Diese -
neuerdings auch im Bereich der Didaktik an-
gewendeten - körperorientierten Verfahren er-
scheinen in Form einer ,,Somatik des Er-
lebens", d.h. die Körperpraktiken richten sich
auf die Qualität des Körpererlebens (a.a.O.,
246f.) (v91. z.B. Heinzel 1987; Schürmann
1993; Schulte 1993 oder Struck 1993). Es ist
sicher richtig, daß der Körper im Kontext
schulischen Lernens stärker zur Geltung ge-
bracht wird, denn die lebensweltlichen Erfah-
rungen fiihren auch zu somatischen Manife-
stationen bzw. Sedimenten, doch stellt sich die
Frage, wie die Dimension des Körpers zu ei-
nem sinnvollen Bestandteil des Unterrichts
gemacht werden kann und wie die milieu-
spezifischen Sichtweisen des Körpers bzw. die
durch die bisherige Sozialisation der Schüler
gegebenen Körperpraktiken (vgl. hierzu Bour-
dieu 1993, 301f., 517f.) dabei Benicksich-
tigung finden, denn die Somatik des Erlebens
ist den meisten verhaltensauffülligen Schülern
eher fremd und wir halten sie in reiner Form,
aufgrund der relativ festgefi.igten alltagsästhe-
tischen Schemata (Schulze 1992), auch nicht
flir ohne weiteres vermittelbar.
Innovationen als Griff ins Visionäre?
Greift die Pädagogik mangels einer in die Pra-
xis umsetzbaren Unterrichtstheorie ins Visio-
näre? ,,Trommeln" (Fritze 1989), ,,Edu-Kine-
stetik" (Tast 1993) oder: ,,Wenn Gestalten ge-
stalten" (Franze 1995) lauten Tagungs-Work-
shops. Die Frage ist, was die jeweiligen Ver-
fahren im Kontext einer speziellen Didaktik
für sog. verhaltensaufflällige Schüler zu leisten
vermögen, wie die Verfahren gegebenenfalls
zu modifizieren sind und vor allem: wie sie
mit den Themenbearbeitungsprozessen des
Unterrichts sinnvoll verknüpft werden können,
inwieweit sie in der Lage sind, die jeweiligen
Strukturen der Lebenswelten zu erschließen,
in denen Schülerinnen und Schüler psycho-
soziale Auf{?illigkeiten entwickeln.
Fluchttendenzen: Weg von den tristen
Lebenswelten der Stigmatisierten und
Chancenlosen?
Eine eher eskapistische didaktische Innovati-
on ist in der durch Kluge (1994/95; 1995) ge-
prägten,,Enrichmentpädagogik" zu sehen (vgl.
auch Frielinghaus 1995). Der Enrichment-An-
satz hat seine Wurzeln in der US-amerikani-
schen Hochbegabtenfürderung (gifted edu-
cation). Fragebögen, Checklisten, Problemlö-
sungsmodelle usw. eröffnen zwar neue didak-
tische Perspektiven, doch steht die wissen-
schaftliche Legitimierung der Übenragbarkeit
des ,,Enrichment Triad Models" (Renzulli
1977), das sich ja um zusätzliche Impulse, An-
regungen für didaktisch unterversorgte hoch-
intelligente und hochmotivierte Heranwach-
sende bemüht (enrichment : Anreicherung),
auf den Bereich der Schule für Erziehungshilfe
noch aus. Selbst wenn man einräumt, daß sich
unter den auffüllig gewordenen Schülem eini-
ge mit überdurchschnittlicher Intelligenz be-
finden, wäre die Brauchbarkeit des Enrich-
ment-Ansatzes noch nicht erwiesen, da die
lebensweltlichen Kontexte von Auffläl1igsein,
Auffülligwerden usw. durch das Enrichment-
Modell nicht berücksichtigt werden. Renzulli
fragt: Was können wir zusritzlich zrr regulä-
ren Didaktik anbieten, während unsere Erfah-
rung ja ist, daß die reguläre Didaktik bei sog.
verhaltensauffälligen Schülern eben nicht
funktioniert. Es kann deshalb nicht darum ge-
hen, die üblichen didaktischen Prozesse um et-
was anzureichern, bevor diese selbst nicht
qualitativ anders gestaltet werden, nämlich
nach Maßgabe der in den Lebenswelten der
Heranwachsenden aufgefundenen Phänome-
ne. Dies vor allem deshalb, weil in den mei-
sten Fällen bei den Schülerinnen und Schülem,
die an eine Schule für Erziehungshilfe über-
wiesen werden, von hoher Motivation, dem
zweiten Kriterium flir die Anwendbarkeit des
Enrichmentansatzes (neben der hohen Intelli-
genz), zunächst nicht die Rede sein kann. Die
psychosozialen Aufftilligkeiten der hochintel-
ligenten Kind'er und Jugendlichen, wie sie von
Kluge und seinen Mitarbeitern in den sog.
,,Universitären Sommercamps" seit 1985 ge-
fordert werden, weisen im Vergleich zur Schü-
95
Joachim Bröcher
lerschaft der Sonderschulen nicht nur einen
überdurchschnittlich hohen soziokulturellen
Hintergrund auf (vgl. die empirische Untersu-
chung von Bröcher 1989,329f.), sondern auch
wesentlich geringfügigere (alienfalls neuroti-
sche) Konfliktbelastungen, die ja von den
Campteilnehmern auf recht hohem wissen-
schaftlichem oder künstlerischem Niveau be-
arbeitet bzw. sublimiert werden (vgl. Bröcher,
Griffel & Kluge 1987; Bröcher 1989). Zwi-
schen den elaborierten,'soziokulturell reichen
Lebenswelten der von Kluge anvisierten Ztel-
gruppe (,,intelligenzbegabte Minderheiten und
Benachteiligte", ders. 19941 95) und den tri-
sten, konfliktträchtigen Lebenswelten der so-
zial Benachteiligten, Delinquenten, Stigmati-
sierten und Chancenlosen, wie wir sie an den
Sonderschulen finden, gibt es de facto keine
Uberschneidung. Die Verlagerung der sonder-
pädagogisch-didaktischen Forschung auf das
Gebiet der Hochbegabtenforderung erscheint
somit mehr als fragwürdig. Das Fachgebiet der
Verhaltensaufftilligenpädagogik umzubenen-
nen in ,,Angewandte Begabtenforderung und
Außergewöhnliches Lernen" (Kluge) ist zwar
innovativ, wird jedoch den aktuellen wissen-
schaftlichen wie praktischen Notwendigkeiten
nicht gerecht.
Lernen in neuen Dimensionen,
jedoch ohne Bezug zur Lebenswelt?
,,Methodenwerkstatt" (Kluge 1995) oder,,Ler-
nen in neuen Dimensionen" (Kluge & Franze
1995) sind Titel, die ein Amalgam aus Kom-
munikationspsychologie, Lernbiologie, Su-
perlearning, Themenzentrierter Interaktion,
Gestalttherapie/ -pädagogik und Gesprächs-
therapie etc. als ,,sanfte Didaktik" (Kluge &
Fratzen, S.34ff.) anbieten. Zukünftige Son-
derpädagogen werden zum Selbststudium ei-
nes bestimmten Spektrums an Theorien und
Modellen methodisch angeleitet. Entspre-
chend werden von den Autoren ,,Aufzeich-
nungsmethoden" und Leitfäden zum ,,Struktu-
rieren von Arbeitssitzungen" vermittelt (2.8.
Kluge, S. 70ff.). Leitsätze, die sich durch die
in den o.g. Studienbriefen vermittelte Didak-
tik ziehen, lauten:,,Strukturiertes Arbeiten"
und ,,Lernen durch Erleben". Den eingangs
von Kluge (S.33) genannten pädagogischen
Zielvorstellungen wie ,,Entwicklung der
Schülerpersönlichkeit" folgen Methoden, die
zwar in erster Linie eine Art Hochschul-
didaktik darstellen, die jedoch indirekt auch
dem Ableiten einer Sonderschuldidaktik die-
nen sollen. Die Umsetzung der an der Hoch-
schule erfahrenen Didaktik auf die Ebene des
Unterrichts an einer Schule für Erziehungs-
hilfe wird dabei als Transferaufgabe an die
Studierenden verstanden. Kluge und Franze
scheinen vorauszusetzen, daß dieser Transfer
ohne Probleme vonstatten gehen kann, ohne
zu benicksichtigen, daß der psychosoziale
Lebenszusammenhang, der soziokulturelle
Hintergrund auffälliger Schülerinnen und
Schüler ein anderer ist als derjenige von Stu-
dierenden einer Hochschule. Das ließe sich
etwa an den unterschiedlichen alltagsästhe-
tischen, milieuspezihschen Sozialisations-
verläufen aufweisen (vgl. Bourdier 1979;
Schulze 1992 wa.).
Didaktik und alltagsästhetische
Sozialisation
Die von Franzen empfohlene Meditations-
musik von ,,Kitaro" ist ein Beispiel für ein
Medium, das im Bereich des ,,Selbstverwirk-
lichungsmilieus" (Schulze 1992, 312ff.), zl
dem auch viele Sektoren der pädagogischen
bzw. therapeutischen Aus- und Fortbildung
gerechnet werden können, weite Verbreitung
gefunden hat. Kindern und Jugendlichen, die
einem benachteiligten Sozialmilieu (,,Unter-
haltungsmilieu", Schulze, S. 322ff.) entstam-
men, schien - eigenen didaktischen Versuchen
nach zu urteilen - diese Art von Meditations-
musik ähnlich fremd und unzugänglich wie die
in Zusammenhang mit dem Superlearning
empfohlene Barockmusik, die eher der ästhe-
tischen Sozialisation im Bereich des - sozio-
kulturell hoch angesiedelten - ,,Niveaumi-
lieus" (Schulze, S. 283ff. ) entsprechen dürfte.
Es stellt sich die Frage, wie nach der ,,sanften
Didaktik" eine Verknüpfung mit den Lebens-
problemen und den Lebenskontexten von
Schülerinnen und Schülem. wie sie eine Schu-
le flir Erziehungshilfe besuchen, aussehen
könnte? Eine sonderschulspezifische Didaktik
kann zwar ,,Lernen durch Erleben" intendie-
ren, doch muß auch geklärt werden, welche
Inhalte bzw. Themen mit den Schülem erar-
beitet werden sollen. Geht es um die unter-
richtliche Auseinandersetzung mit den Bruch-
stellen entlang der jugendlichen Biographie,
d.h. um Themen wie Gewalt, Sexualität, Iden-
tität, die Ablösung aus dem Elternhaus usw.
96
Didaktik: Niemandsland oder Spielwiese der Verhaltensauffrilligenpridagogik?
oder dienen die ,,Lernkonzerte" (Kluge &
Franze) bloß der besseren Vermittlung der tra-
ditionellen Unterrichtsinhalte?
Eklektizismus, Historizismus und
postmoderne Beliebigkeit
Verfahren wie Entspannungstraining, Focu-
sing, Meditation, Biofeedback - als didakti-
sche Realisationen des ,,neuen Somatismus"
(Shusterman, S. 243) verweisen auf die
Innovationssucht von Teilbereichen des Fach-
gebietes. Nahezu alles, was Bildungsmarkt
und Therapieszefie ztr bieten haben, wird in
einer affirmativen Weise auf den Bereich der
Didaktik der Schule fiir Erziehungshilfe über-
tragen. Die Notwendigkeit der Begründung
und Legitimierung der eingesetzten Methoden
und Verfahren wird offenbar kaum gesehen.
Sieht man Verfahren wie körperorientierte
Kommunikation, Neurolinguistisches Pro-
grammieren, Edu-Kinestetik, Phantasie- und
Traumreisen usw. darüberhinaus als Linien in
einem übergeordneten kulturgeschichtlichen
Kontext, entsteht der Eindruck, daß die durch
die Protestbewegung in den sechziger Jahren
initiierte Emanzipationspädagogik, die Anfang
der siebziger Jahre zur Aufnahme von Selbst-
und Mitbestimmung als Lernziele und gesell-
schaftlicher Erfahrungen als Inhalte in die Bil-
dungspläne fi.ihrte, dann zunehmend einem
,,narzißtisch orientierten Selbstverwirkli-
chungskult" verfiel, schließlich seit den acht-
ziger Jahren in ,,postmodemer Beliebigkeit"
(Glaser 1991, 339) geendet ist. Der pädagogi-
sche Blick richtet sich - analog zu den allge-
meinen kulturellen Veränderungen - zuneh-
mend nach innen. Es ließe sich mit Glaser
(1992, 363) kritisch anmerken: ,,Das Eintau-
chen in die Innerlichkeit 1äßt Wirklichkeit ver-
gessen."
Was auf der einen Seite im positiven Sinne
als Pluralismus, als,,Theorienvielfalt" (Feyer-
abend 1975, 39;, a1s ,,antidogmatische Beweg-
lichkeit", als ,,Überzeugung von den Vielfach-
wahrheiten, die nebeneinander stehen" (Gla-
ser, S. 384f.) erscheint, markiert auf der an-
deren Seite den ,,postmodemen lndifferenz-
punkt" (a.a.O., 388), nach dem es keine allge-
meinen Regeln, keine verbindlichen Maßstä-
be mehr gibt. Der postmoderne Pluralismus,
von seinen Kritikem als Eklektizismus und
Beliebigkeitskult gegeißelt, zeigt sich, wie in
der Kultur im allgemeinen, hier in der Didak-
tik der Schule für Erziehungshilfe im beson-
deren (,,anything goes"). Das didaktische Ge-
schehen ist vielfach durch Eklektizismus und
Historizismus bezüg1ich der verwendeten
Theorieelemente, Methoden und Verfahren
gekennzeichnet, die in ihrer additiven Gesamt-
heit dann das Sonderpädagogische ausmachen
sollen. Drucken ,,nach Freinet" im Fach
Deutsch, eine spieltherapeutisch orientierte
Förderstunde mit der Schulsozialarbeiterin,
psychomotorische Übungen mit einer Spezia-
listin, Musikmalen im Fach Kunst, Wahrneh-
mungsübungen aus dem Bereich der,,Sensori-
schen Integration" im Sport. Das alles ergibt
keinen thematischen Zusammenhang. Es ließe
sich kritisch einwenden, daß es sich hier um
die willkürliche Plünderung, die prinzipienlo-
se Ausschlachtung methodischer Ansätze der
Vergangenheit von Montessori oder Freinet
bis hin zum ,,Neurolinguistischen Program-
mieren" handelt. Die Suche nach neuen didak-
tischen Ansatzpunkten und der alltägliche
Pragmatismus manifestieren sich zum Teil in
einer Arbeitsblatt-"Frei"arbeit, die in ihrer ru-
dimentären Gestalt kaum noch auf ihre (re-
formpädagogischen) Ursprünge bezogen wer-
den kann. Der Rückgriff auf das sog. ,,Super-
learning", einer Methode, die im Kontext des
Fremdsprachenlernens wohl ihren Platz be-
sitzt, in Zusammenhang mit den Lebens-
problemen Heranwachsender, die - diesen
Lebensproblemen zum Trotz - zum Lernen
gebracht werden sollen, gleicht wohl eher ei-
nem Griff in die didaktische Trickkiste.
Theoriemüdigkeit und Farbigkeitsbedarf
Sah sich die Didaktik der siebziger Jahre noch
unter besonderen Begründungszwängen, ist
inzwischen offenbar eine,,Theoriemüdigkeit"
(Glaser, S. 389) eingetreten. Es gilt aus dem
,,Zirkel der Frustration" auszubrechen, es zeigt
sich ein ,,Farbigkeitsbedarf' (a.a.O., 376ff .):
Es wird mit den Schülern getrommelt oder
zum Rechnen wird ein barockes ,,Lernkonzert"
gegeben. Es werden jeweils kurzfristig Mo-
mente von Spannung, Erleben und Intensität
in den Unterricht (oder in die Seminare) ein-
geflihrt, die jedoch keine Gesamtgestalt erge-
ben, sondern thematisch unverbunden, frag-
mentieft nebdneinander stehen bleiben. ,,Der
Farbigkeitsbedarf der Postmoderne ist an ei-
nem Farbebekennen wenig interessiert"
(a.a.O., 363). Das Prinzip der Interdependenz,
97
Joachim Bröcher
des Aufeinanderabgestimmtseins aller didak-
tischen Entscheidungen, ist außer Kraft ge-
setzt. Es fehlt das integrierende Element. Das
können nur Inhalte bzw. Themen sein, die sich
aus den realen Lebenswelten der Schülerinnen
und Schüler herleiten.
Die Lebenswelt als Dreh- und
Angelpunkt der Didaktik
Sonderpädagogische Didaktik und
allgemeine Didaktik
Die ,,Entscheidungsfelder" im Sinne der Berli-
ner Schule, d.h. Intentionen, Inhalte, Metho-
den und Medien (Heimann 1962) sind auch für
den Bereich des Unterrichts an Schulen ftir
Erziehungshilfe grundlegend. Dasselbe gilt für
die sog.,,Bedingungsfelder" des Unterrichts,
d.h. dessen,,anthropologisch-psychologische
und soziokulturelle Voraussetzungen" sowie
filr die Prinzipien der Interdependenz und der
Variabilität (Schulz 1965, 44ff.). Allerdings
müssen unter sonderpädagogischem Blick-
winkel die anthropologisch-psychologischen
und soziokulturellen Voraussetzungen des Un-
terrichts noch eingehender erforscht werden,
denn hier liegt die eigentliche Bezugsquelle,
aus der sich Unterrichtsinhalte und -themen
schöpfen lassen. Dies geschieht nach unserem
eigenen Arbeitsansatz vor allem über die Ana-
lyse von alltagsästhetischen Prozessen bzw.
Phänomenen und ästhetisch-bildhaften Pro-
duktionen, zum Teil auch freien Texten und
Tagebuchaufzeichnungen. Aus den hier ge-
wonnenen Erkenntnissen lassen sich Schluß-
folgerungen flir veränderte, modiftzierte Zie-
le, Inhalte und Methoden ableiten. Vor allem
die Prinzipien offener Unterrichtsplanung sind
fiir die Konstruktion einer lebensweltorien-
tierten Didaktik von Bedeutung: Beteiligung
der Schüler an den unterrichtlichen Entschei-
dungen, Einbeziehung der Erfahrungen, Fra-
gen und Anliegen der Schüler, Berücksichti-
gung der unterschiedlichen Ausgangslage der
Schüler usw. (Schittko 1980, 655). Die zu erfi-
wickelnde sonderschulspezifische Didaktik
läßt sich in den übergeordneten Rahmen "kri-
tisch-konstruktiver Didaktik" einfügen, wie
sie von Klafki (1985) dargestellt worden ist.
Sie übernimmt innerhalb dieses übergeordne-
ten Systems eine vermittelnde, überbrücken-
de und erkenntnisfördernde Aufgabe. Sie steht
gleichermaßen im Dienste von Sozialisations-
forschung, d.h. der Erforschung der Alltags-
welten der Heranwachsenden, wie auch der
Institutionsforschung, d.h. sie betreibt die
Analyse schulischer Strukturen, Regelungen,
Spielräume, Begrenzungen, Veränderungs-
möglichkeiten usw. (a.a.O., 40).
Anknüpfen an der subjektiven
Wahrnehmungs- und Erfahrungswelt
Geht es also - auf der Basis eines ,,system-
ökologischen Paradi_rmas" (Theunissen) - dar-
um, die ,.Bedeutung des Handelns einer Per-
son in ihrer Lebensu'elt zu erfassen" (a.a.O.,
62f.), um didaktisch. d.h. verstehend und be-
einflussend an die Phänomene psychosozialer
Aufftilligkeit heranzukommen, dann muß die
,,subjektive \\'ahmehmungs- und Erfahrungs-
welt" (Theunissen 1992) der Schülerinnen und
Schüler zum Dreh- und Angelpunkt der didak-
tischen Reflerion. Planung usw. gemacht wer-
den. Die Lebenss'elt der Kinder und Jugendli-
chen läßt sich in Enr eiterung der durch Schütz
und Luckmann ( 19"5 ) entwickelten Kategori-
en nach räumlich-ökologischen, sozialen bzw.
soziokulturellen und zeitlich-biographischen
Strukturen analvsieren (r'g1. Bröcher 1997).
Die Lebensu'elt Iäßt sich als ein prozeßhaftes
Geschehen auflässen. in dem sich thematische
Strukturierungen t..Daseinsthemen", Thomae)
herausbilden. Handeln 1äßt sich als Eingreifen
in die Lebensq elt r erstehen. als Reaktion auf
Lebensprobleme t..Daseinstechniken" bzw.
,,Reaktionsformen". ebd.), die sich an ,,Ent-
wicklungsaufgaben" { Havighurst) oder,,psy-
chosozialen Knsen" tErikson) festmachen las-
sen. Daseinsthemen und Daseinstechniken
sind Phänomene. die in den verschiedenen
,,ökologischen Zonen" (Bronfenbrenner), in
denen sich ein Heranri achsender bewegt, auf-
zufinden sind. Je nach ,{nzahl der betretenen
Zonen (Familie. Schule. Freizeitgruppen
usw.), ihrer konkreten -{usgestaltung und Dif-
ferenziertheit sos.ie der Wechselbeziehungen
mit anderen Zonen (..\'lesosysteme") ergeben
sich unterschiedliche Variationen an Lebens-
themen und diesbezüglichem Handeln.
(Alltags-)Asthetik als Schlüssel für die
Konstruktion didaktischer Einheiten
Den (alltags-)ästhetischen Aktivitäten kommt
eine besondere heuristische Funktion fiir die
lebensweltorientierte Didaktik zu. Die ,,Ge-
98
-r
Didahik: Niemandsland oder Spielwiese ..
samtheit der Aspekte, in denen eine bestimm-
te Lebenslage kognitiv repräsentiert ist" (Tho-
mae 1988, 23),läßt sich in besonderer Weise
aus den ästhetischen Objektivationen (Zeich-
nungen, Collagen, Malereien, Tagebucheintra-
gungen usw.) erschließen. In Ergänzutg ztt
diesen - durch den Schulunterricht initiierten
- Produktionsformen erscheint es ratsam, die
mit hoher Motivation verknüpften alltags-
ästhetischen Aktivitäten der Schülerinnen und
Schüler mit in die Untersuchung aufzuneh-
men, d.h. deren Umgang mit ,,Erlebnisange-
boten" (Schulze) wie Musik, Gameboys, Vi-
deos, Skateboards, Kleidung, Accessoires,
Computerprogrammen usw. Vieles spricht da-
für, daß die lebensgeschichtlichen, biographi-
schen Prozesse durch die alltagsästhetischen
Phänomene repräsentiert, verdichtet und aus-
gedrückt, transportiert werden, daß das Bio-
graphische sozusagen in das Alltagsästhe-
tische eingeschmolzen wird. Die Bereiche des
Bildhaften und Alltagsästhetischen führen im
diagnostischen Sinne zu den eigentlichen
Konfliktthemen und den auf diese gerichteten
Bewältigungsmechanismen (vg1. Bröcher
1995,1996). Ferner bieten sich hier in beson-
derer Weise Bearbeitungsmöglichkeiten für
die sich einstellenden konflikthaften Themen
(vgl. Bröcher 1993, 1994, 1997): Liebe und
Sexualität, Ablösung aus dem Elternhaus, be-
rufliche Zukunft, ethnische und/ oder ge-
schlechtliche Identität, Entwurzelungs- und
Zerrissenheitserfahrungen usw. Das Ziel ist,
veränderte, entwicklungsfördernde Richtun-
gen im Umgang mit diesen Themen auszulo-
ten und darüberhinaus, soweit wie möglich, zu
einer sachbezogenen Arbeitsweise am jewei-
ligen Themenzusammenhang überzuleiten
(vgl. auch Theunissen 1992,145).
Song-Texte als Manifestationen
lebensrveltlich relevanter Themen
Ein Schüler bringt eine Musikkassette der
,,Prinzen" mit und möchte ein paar Stücke dar-
aus vorspielen. Die Texte der Prinzen reflek-
tieren Themen rvie ldentität, Morai, Gewalt,
Geld, Liebe, Komiption, Angst u.a. Sie spie-
geln das Lebensgefühl speziell derjenigen Ju-
gendlichen, die biographische Diskontinui-
täten erleben und die die Bnichigkeit der ge-
sellschaftlichen Lebenszusammenhänge zu
spüren bekommen. Diese oder ähnliche The-
men" wie sie sich auch aus vielen anderen
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99
Joachim Bröcher
Songtexten, Musik- und Videoclips, jugend-
kulturellen Phänomenen usf. ableiten lassen,
ermöglichen sowohl schülerorientierte Ein-
stiege und sachbezogene, wissenschaftsorien-
tierte Weiterführungen. Konkrete Handlungs-
möglichkeiten sind gegeben. Die ,,Prinzen"-
Lieder lassen sich etwa als Playback-Show in-
szenieren. Hierzu muß eine Musikanlage zu-
sammengestellt werden, E,-Gitarren lassen
sich aus Holz aussägen und farblich gestalten,
ebenso lassen sich Kostüme entwerfen und
herstellen. Die Schüler in unserem Beispiel
traten bei verschiedenen Gelegenheiten auch
vor Publikum auf (Sommertheater, Univer-
sitätsseminar o.ä.).
Das lebensweltlich relevante Thema
ftirdert auch die Disziplin
Je motivierender ein Thema ist, desto mehr er-
übrigen sich verhaltensbezogene Interventio-
nen. Die Lebenseinstellungen, Verhaltensmu-
ster usw. von Punks, Sprayern, Skatem, Heavy
Metals, Skin Heads, Hooligans usw., deren
Musik, Sprache, Kleidung usw., der Rechtsra-
dikalismus, die Lebenssituation von Auslän-
dem und Minderheiten, Liebe, Gewalt, Sexua-
lität und ihre Varianten usw. sind motivieren-
de Themen, weil sie direkt in der Lebenswelt
der jugendlichen Schülerinnen und Schüler
vorkommen bzw. verankert sind. In diesen
Themen spiegeln sich Wünsche, Angste und
psychosoziale Konflikte wider. Bei jüngeren
Schülern sind es oft phantastische Inhalte wie
Planeten, Weltraum, Roboter, Ritter, moderne
Heldenhguren u.a., an denen die Lebensthe-
men, Wünsche, Angste und Projektionen fest-
gemacht werden. Auch Theunissen (1992,
145) betont diesen Zusammenhang zwischen
Unterrichtsstoff und der Lebenssituation der
Schüler. Wir brauchen also nicht zuerst eine
ruhige Arbeitsatmosphäre - mit Hilfe welcher
Methoden sollte man sie auch herstellen? - um
dann mit einem Unterrichtsthema zu beginnen.
Es ist genau umkehrt. Echte - und nicht aufge-
zwungene - Disziplin ist nur durch das Bear-
beiten motivierender, in der Lebenswelt ver-
ankerter Themen möglich. Handlungsorien-
tierte und symbolische Ztgänge sind hierin
zwingend erforderlich, um dann zu stärker in-
tellektuell-kognitiven Auseinandersetzungs-
formen überzuleiten. Das für das eigene Le-
bensschicksal als existentiell erfahrene Thema
bindet die Schüler an den Lemprozeß.
100
Beispiel für einen didaktischen
Handlungsrahmen: ,,Ritter und Helden -
früher und heute'o
Durch die Konstruktion fticherübergreifender
und längerfristiger ,,Handlungsrahmen"
(W. Kuhn) werden vielseitige Lemaktivitäten,
individuelle Schu'erpunktsetzungen und
Arbeitsrichtungen möglich. Während die ei-
nen allein fi-ir sich arbeiten, tun sich andere, je
nach Situation. zusammen. Das Lesen oder
Erstellen von Texten. das Herstellen einer
Wandzeitung, ästhetisch-bildhafte Auseinan-
dersetzungformen usw. - etwa zu dem Hand-
lungsrahmen ..Ritter und Helden - früher und
heute" sind parallel möglich. In gewissen Ab-
ständen werden diejenigen Schüler zu Ge-
sprächsrunden zusammengefaßt, die bereits
über das erforderliche Lernverhalten verfügen,
um Ergebnisse auszutauschen und den weite-
ren Arbeitsprozeß abzustecken. Eine kontinu-
ierliche - in den Lernprozeß integrierte - Be-
ratung fürdert das -\rbeits- bzw. Sozialver-
halten. In vielen Siruationen werden sich -
ausgelöst durch die besonderen Themenbear-
beitungen - Gelegenheiten zu explorativen
Gesprächen bieten. die durchaus therapeuti-
schen Charakter aut\'eisen können. Vieles
von dem. was an Vorschlägen und Empfeh-
lungen für die Bereiche Förderung oder The-
rapie gemacht s.orden ist, läßt sich in einen
solchen Arbeitsrahmen integrieren. Zu denken
ist unter dem Thema Helden etwa an Rollen-
spiele oder szenische Spiele, in denen Verhal-
tensmuster reflektien. Größenphantasien the-
matisiert oder \{indenr ertigkeitsgefühle kom-
pensiert werden können. Auf der Basis päd-
agogisch-kunsfi herapeutr scher Verfahren (vgl.
Richter 1984) kann der Körper miteinbezogen
werden, über das Herstellen und Ausgestalten
von Körperumrißbildern. das Herstellen von
Bat-Man oder Superman-Kostümen, Masken
usw., die wiederum in Inszenierungen, Spie-
len usw. Verw.enduns finden. Wie wird der ei-
gene Körper von den Heranwachsenden in den
Helden-Rollen erlebt? Fühlen sie sich stark
oder schwach? Zeigen sich Neigungen, ande-
re zu überwältigen? Zeigen sich Sehnsüchte
nach Schutz oder Rettung? Treten muskuläre
Spannungen oder andere somatische Empfin-
dungen aufl Wer therapeutische (auch körper-
therapeutische) Qualifikationen didaktisch
einsetzen will und kann, hat hier ein weites
Feld vor sich. Das therapeutische Wissen wird
Didaktik: Niemandsland oder Spielwiese der Verhaltensauffrilligenpddagogik?
quasi mit in die unterrichtlichen Prozesse ein-
geschmolzen, statt daß es additiv, aber ohne
organische Verbindung, an den Unterricht an-
gehängt wird. Das ganze Thema läßt sich fer-
ner unter sachbezogenem Aspekt in Richtung
Geschichte (Ritter, Rittersagen, Ausbildung
und Wertvorstellungen eines Ritters usw.)
oder in Richtung auf die zeitgenössischen Me-
dien verzweigen (Analyse moderner Helden-
figuren in Comics, Zeichentrickfilmen usw.).
Das bislang verstreute Know-How der sonder-
pädagogischen Didaktik (i.w.S.) läßt sich hier
bündeln und in dem projektartig-offen ange-
legten Handlungsrahmen verwirklichen.
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A nschrifr des Verfassers :
Dr. Joachim Bröcher
Heddinghausen 99 A
D-51588 Nümbrecht
103
... Bröcher 1993 a, 1994, 1997 f). Um den bildhaften Ausdruck zu fördern, ist man häufig gut beraten, Hilfsmittel anzubieten: Zufallsverfahren, einklebbare und zu verändernde Bildteile, das Projizieren von aus der Kunst entlehnten Figurationen mit einem Overheadprojektor, die wiederum er-gänzt und umgestaltet werden können.Abbildung 4 zeigl eine mrt dem sogenannten,,Mobilen Bildsystem"(Bröcher 1991 e, 2000 f) erstellte künstlerische Arbeit eines '16jährigen Schülers aus dem Bereich der Erziehungshilfe. Abbildung 5 stammt aus dem Unterricht von Karin Jung-Bröcher. ...
Chapter
Full-text available
Wir können mittlerweile eine Vielzahl von Perspektiven auf den schulischen Förderschwerpunkt der emotionalen und sozialen Entwicklung einnehmen, mit Blick auf die Wissenschaft und im Hinblick auf das praxisorientierte Handlungswissen. Das Buchkapitel in der erweiterten Neuauflage von "Lebenswelt und Didaktik" (2022, S. 383-394) wird die folgenden 30 Perspektiven stichwortartig charakterisieren und ausgewählte Literatur angeben. Hier ein Kurzüberblick: 1. Psychiatrisches oder medizinisches Paradigma (seit dem 18. Jahrhundert). 2. Erfahrungsbasiertes Lernen (seit etwa 1900). 3. Tiefenpsychologisch-sozialisationstheoretisches Paradigma (etwa seit den 1960er Jahren). 4. Humanistisch-klientenzentrierter Ansatz (seit den 1960er Jahren). 5. Bindungsbasiertes Arbeiten (seit 1960er Jahren). 6. Behavioristisch-lerntheoretisches Paradigma (etwa seit den 1970er Jahren). 7. Sozialwissenschaftlich-interaktionstheoretisches Paradigma (Labeling Approach) (in den 1970er Jahren). 8. Critical Race Studies (seit den 1970er Jahren, in den USA). 9. Europäische und internationale Lernräume (seit den 1970er Jahren). 10. Kritisch-konstruktive Bildungs- und Erziehungswissenschaft (seit den 1980er Jahren). 11. Systemökologisch-lebensweltorientiertes Paradigma (seit den 1980er Jahren). 12. Konstruktivistisches Modell (in den 1990er Jahren). 13. Motive von Postmoderne (in den 1990er Jahren). 14. Resilienz-Modell (seit den 1990er Jahren bis etwa 2010). 15. Disability Studies (seit den 1980er Jahren in USA und UK, seit 2000 in Deutschland). 16. Gender- und Queer Studies (seit 1990 Jahren). 17. Neuere Kindheitswissenschaften (seit den späten 1990er Jahren). 18. Heterogenitäts- bzw. Inklusions-Modell (seit 2000). 19. Konfrontative und paramilitärische Pädagogik (in USA seit etwa 1975, in Deutschland seit etwa 2000). 20. Kritische Diskursanalyse (seit 1990er Jahren). 21. Teaching for Social Justice und Student Voice (seit den 1990er Jahren). 22. Postkoloniale Perspektive (seit den 1990er Jahren). 23. Philosophische Perspektive. 24. Kulturgeografische, humangeografisch-sozialökologische Perspektive (seit etwa 2000). 25. Organisationstheoretisches Modell (seit ca. 2000). 26. Emotionales und soziales Lernen durch Sport und Kampfkunst (seit etwa 2000). 27. Creative City, Emotion and Space, Cultural Mapping, Commoning (seit ca. 2000). 28. Digitale Behavior Monitoring-Systeme, Tracking- und Rating-Systeme (seit 2013-2014). 29. Emotionale und soziale Geografien in kulturellen Produktionen: Räume der Reflexion und Transformation (eigentlich seit dem 19. Jahrhundert, als pädagogischer Ansatz seit etwa 2020). 30. Transformation von Pädagogik und Gesellschaft (seit ca. 2020).
Chapter
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Das Buch "Lebenswelt und Didaktik" trat nie mit dem Anspruch auf, etwas übergreifend und zu allen Zeiten Anwendbares und Wiederholbares entworfen zu haben. Es ging darum, die pädagogische Perspektive zu erweitern und den bis dahin an den Universitäten gelehrten Handlungsmodellen etwas hinzuzufügen, was es bis dahin nicht gab. Ich war mir bereits beim Niederschreiben des besonderen Anspruchs bewusst, den das Ganze hatte. Wer so etwas im Feld der angewandten Pädagogik selbst machen wollte, musste schon eine vergleichbare Begeisterung für bildhafte, symbolische, alltagsästhetische und jugendkulturelle Themen und Phänomene haben, wie ich sie eben in jenen Jahren hatte, von 1989 bis 1996, der Zeit also, aus der die ausgewerteten Materialien stammen. Wer selbst so etwas machen wollte, musste zugleich von bestimmten theoretischen Diskursen, etwa von den Texten von Jean-Paul Sartre, Pierre Bourdieu, Michel Foucault oder Paul Virilio, inspiriert sein und musste vielleicht sogar Pasolinis "Ragazzi di Vita" oder Burgess‘ "A Clockwork Orange" gelesen haben. Wer so etwas wie die Lebensweltorientierte Didaktik anwenden wollte, brauchte nicht nur viel Mut, sich immer wieder aufs Neue einzulassen, auf herausfordernde Themen und Kommunikationen, die oftmals, hinsichtlich ihres philosophischen Tiefgangs, weit über das an Schulen Übliche hinausgingen, ferner bedurfte es Empathie und Imagination, wenn es um das Verstehen der jugendlichen Lebenswelten ging, aber auch Entschlossenheit und didaktischen Einfallsreichtum, wenn es galt, von hier aus neue und andere Formen eines curricularen Unterrichts zu entwickeln, handlungsbezogen, projektorientiert. Nun kamen Verlag und Autor überein, den Text noch einmal neu bereitzustellen und in die Diskussion zu bringen, zum einen als Open Access Version, zum anderen in Form eines gedruckten Buches. Es sollten dabei nur formale Aktualisierungen vorgenommen werden, bei gleichgebliebenem Inhalt und identischen Literaturbezügen. Alles andere hätte eine vollständige Neubearbeitung erfordert, bei der allerdings der besondere Sound der 1990er Jahre verlorengegangen wäre. Leider ließen sich so die, noch in Ansätzen vorhandenen, Störungsbegriffe, wie sie zu der Zeit noch unhinterfragt üblich waren und verwendet wurden, nicht aus dem Text tilgen, wenngleich ich die damalige Praxis der Etikettierung, Kategorisierung und Pathologisierung bereits in der Erstauflage von 1997 einer deutlichen Kritik unterzogen habe. Doch der Text enthält, trotz allem, noch die längst überholten Bezeichnungen für das Fachgebiet, wie auch für die Schulform, um die es geht. Immerhin konnte das Wort „verhaltensauffälligen“ im Untertitel, nun bei der Neuauflage, kursiv gesetzt werden, um meine heutige Distanz zu dieser Art von sprachlicher Benennung und Zuschreibung immerhin deutlich zum Ausdruck zu bringen. Um den Text, der vor 25 Jahren entstanden ist, mit der Gegenwart zu verbinden und zugleich einen Ausblick in die Zukunft zu geben, habe ich ein Nachwort verfasst und dieser Neuauflage hinzugefügt. Ist Lebenswelt und Didaktik nun also als ein historisches Modell zu betrachten? Hat das Buch noch eine Relevanz für die Gegenwart und die Zukunft der Pädagogik und Didaktik der emotionalen und sozialen Entwicklung? Zunächst ist zu sagen, dass die sieben Jahre an Schulen, aus denen das Material, auf dem das Buch aufgebaut ist, stammt, nicht voll umfänglich in dem Buch enthalten sind. Die gesamte inhaltliche Komplexität dessen, was die damalige schulische und pädagogische Realität war, konnte natürlich nicht in dieses Buch eingehen. Es gab auch andere Versuche, andere Themen, andere Problemstellungen, etwa das Thema Leitung einer Schule, Schulorganisation, kollektive Lern- und Reflexionsprozesse, Themen, die ich später, in anderen Publikationen, aufgegriffen und bearbeitet habe. Es gab auch Fragmenthaftes und Gescheitertes. Das Problem in den Bildungswissenschaften ist, dass wir häufig meinen, einen schönen, in sich abgerundeten Modellentwurf liefern zu müssen. Wir bauen dann alles so zusammen, dass es abgerundet, stimmig und in sich geschlossen erscheint, weil das anscheinend so von uns erwartet wird oder weil das, zumindest in den 90er Jahren, noch so üblich zu sein schien. Nach 1997 kamen auf meiner Seite andere pädagogische Felder hinzu, mit anderen Anforderungen, unter anderem im Bereich der inklusiven Beschulung, aber auch die konfrontative Pädagogik, autoritäre, paramilitärische Schulkulturen u. a. Etwas Vergleichbares wie in den Jahren, in denen "Lebenswelt und Didaktik" entstand, begann jedoch im Spätsommer 2004 und endete im Frühjahr 2006, weil ich dann den Weg Richtung Schulleitung ging. Was ich in dieser spezialisierten Förderschule mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung erlebte, diesmal in einer großen deutschen Metropole, hatte aber, im Vergleich zu dem, was ich aus den 90er Jahren und den mittelgroßen Städten oder Kleinstädten kannte, in denen ich bis dahin gearbeitet hatte, eine neue und andere Qualität. Die jungen Männer, die ich hier unterrichtete, konfrontierten mich mit noch massiveren Themen und Verhaltensweisen, und zwar mit einer solchen Wucht, dass es so ohne Weiteres gar nicht möglich gewesen wäre, einfach mit dem in "Lebenswelt und Didaktik" entwickelten Modell fortzufahren und lediglich einige zeitbezogene Aktualisierungen und Ergänzungen hinzuzufügen. Diese Jugendlichen sprengten zunächst den gesamten pädagogischen und schulischen Rahmen und ich fing in sehr kleinen Schritten an, mit den jungen Männern gemeinsam einen neuen Weg zu suchen und zu gehen, mit vielen Rückschritten und kleinen Fortschritten, die viel Zeit brauchten. Natürlich spielte auch hier der Lebensweltbezug eine sehr wichtige Rolle, aber es sollte so ohne Weiteres keine vorzeigbaren Unterrichtsergebnisse, keine am Schreibtisch durchgeplanten und dann in die pädagogische Praxis umgesetzten didaktischen Handlungsrahmen, keine in sich abgerundeten Lehr-Lern-Prozesse geben, die etwa als Best Practice-Beispiele für Seminare hätten dienen können, die ich ja all die Jahre parallel an Universitäten gab, in Gießen, Köln, Hamburg, München und Halle. Was ich hier erlebte, schien eher dafür zu sprechen, dass die Zeit in sich geschlossener Handlungsmodelle endgültig vorbei war. Das ist auch die Schlussfolgerung, die ich am Ende des Nachworts ziehe. Doch was haben wir dann in der Hand? Woran können wir uns orientieren und wie können wir in Zukunft in diesem Feld pädagogisch und didaktisch arbeiten? Ich habe abschließend eine Reihe von Perspektiven definiert und beschrieben, aus denen wir auf die pädagogische Arbeit blicken können, um die es hier geht. Ich teile nicht alle, in dieser Übersicht dargelegten, Perspektiven, Paradigmen und Modelle in gleicher Weise. Bei manchen von ihnen regt sich bei mir auch Widerspruch, doch die Erfahrung aus fast zwei Jahrzehnten an den verschiedenen Schulen, und, daraus resultierend, die Überzeugung, dass es bedeutsam ist, die Lebenswelten der heutigen Jugendlichen, bei denen emotionale und soziale Thematiken besonders hervortreten, gemeinsam zu erkunden, mit Empathie und didaktischem Einfallsreichtum, um dann Übergänge in die Welt des curricularen Lernens schrittweise zu schaffen, bleiben. Darüber hinaus benötigen wir aber deutlich mehr und andere Perspektiven, um der Komplexität des Ganzen gerecht zu werden, im Reflektieren und im Handeln. Ich freue mich auf eine kritische und kontroverse Diskussion meiner Thesen, mit den Studierenden an der Europa-Universität Flensburg, auch mit den Lehrer_innen, Schulleiter_innen, Schulpsycholog_innen und Schulsozialpädagog_innen, während der gemeinsamen konzeptionellen Arbeit und Reflexionsprozesse an den Schulen, die ich seit einigen Jahren begleite und berate. Was unter anderem auch von der Lebensweltorientierten Didaktik bleibt, ist die Erfahrung, dass es sinnvoller ist, kulturelle Bezüge über die pädagogische Arbeit herzustellen, statt additiv zum Unterricht, quasi um diesen abzusichern, psychologische Interventionen zu implementieren, wie es oftmals im Wissenschaftsbetrieb gelehrt wird. Im Feld der Kultur, und dazu wären dann ja auch all die Räume zu rechnen, in denen sich junge Menschen von sich aus bewegen, können sie sich ausdrücken und spiegeln, vielleicht mit der Zeit tiefergehend erkennen und, nach und nach, ihr Leben anders betrachten und gestalten, als sie es bisher getan haben, wenn sie dabei weitblickende pädagogische Begleitung haben und die hier stattfindenden Kommunikationen als sinnhaft erfahren. Kultur und Raum waren im Grunde die handlungsleitenden Konzepte von "Lebenswelt und Didaktik", und sind es noch.
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Die Lebensweltorientierte Didaktik entstand seit 1989 in der schulischen Praxis des sog. Förderschwerpunkts der emotionalen und sozialen Entwicklung. Dabei wurden Lernräume aufgespannt, in denen gestalterische, alltagsästhetische, mediale und jugendkulturelle Prozesse dazu dienten, die Lebenswelten und Lebensthemen sowie den jugendlichen Umgang damit zu rekonstruieren. Von hier aus wurden Übergänge in sachorientiertes und curriculares Lernen geschaffen. Dieser korrigierten und in formaler Hinsicht aktualisierten Neuauflage wurde ein ausführliches Nachwort hinzugefügt, um die 90er Jahre mit der Zeit nach 2000 zu verbinden, bis hin zur Gegenwart emotionalen und sozialen Lernens, in Wissenschaft und pädagogischer Praxis. Am Ende des Ganzen steht die folgende Erkenntnis: Die Zeit der in sich geschlossenen pädagogischen Handlungsmodelle ist endgültig vorbei. Was wir heute, aufgrund der gesellschaftlichen Komplexität benötigen, ist eine mehrperspektivische Betrachtung. Raum, Kultur und Lebensthema, die Kernkonzepte aus „Lebenswelt und Didaktik“, werden aber weiter eine wesentliche Rolle spielen. Im Zuge der sich vorbereitenden Transformation des Bildungssystems wird ihre Bedeutung sogar noch zunehmen.
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The model »Lifeworld-oriented Didactics« (in German: »Lebensweltorientierte Didaktik«) has been developed by Joachim Broecher, through his own educational practice as a classroom teacher during the 1990s while teaching in West Germany in both urban and rural specialized schools for children and youth with emotional, social, and behavioral needs. Active with participation and dialogue, this educational and didactic approach encourages the students to share their social, cultural and biographical experiences. Working cooperatively, students engage in experiential, hands-on, and person-centered learning activities utilizing creative arts, play, self-expression and self-exploration around topics within youth culture, media and everyday aesthetics -- areas that have a central role in this educational work. As a majority of the children and youth in the field of special or inclusive education reject traditional school learning, they embrace the experiential, hands-on, person-centered learning activities in connection with Lifeworld-oriented Didactics. These activities first serve to build educational relationships and create a basis for curricular learning, which is then initiated step by step through interwining both levels of learning. Broecher‘s model is based upon the educational ideals of freedom, emancipation, autonomy, co-determination, and solidarity, as they have been defined in Wolfgang Klafki's (1985) critical-contructive educational sciences approach, drawing from the philosophies of the Classical period, Enlightenment and encorporating the critical theory of the Frankfurt School. Lifeworld-oriented Didactics is not only an enabling, empowering, non-labeling, non-categorizing approach for challenging classrooms and school settings, but also it's purpose is to contribute to existing research by exploring the »torn world of the social«, as it has been described by Axel Honneth in his social-philosophical discourses. Lifeworld-oriented Didactics is based on qualitative research principles and draws from field studies, ethnographical studies, and uses collaborative cultural mapping as a methodology. Winfried Kuhn and Ulrike Kocks, the former leaders of the teachers' College in Düsseldorf, Germany, provided their teacher trainees (J.B. was one of them) with an interdisciplinary educational framework. This longterm, project-oriented, flexible didactic structure, in which person-centered and curricular learning unites with counseling efforts around learning and social behavior, and integrates with life issues and coping strategies. Early criticisms of this model, by a certain part of the academic world, included the argument that not every teacher knows about working with the diversified field of creative arts, youth culture etc., so the model is not replicable. Additionally: the researcher (J.B.), who developed the model, participated in his own field research, thus he was lacking the neccessary distance. This critique viewed the whole approach as lacking reliability scientifically because it was not measurable and not repeatable. Other concerns were the unspairingly open documentation of the conflict-loaden biographies and life stories of a majority of students. However despite these criticisms, this didactic model, at least temporarily, became part of pre-service teacher education at the universities of Gießen, Cologne, Halle, Hamburg and Munich with Joachim Broecher's lecturing, during the years 1998-2008. The students of these universities were more than interested and motivated to discuss the opportunities and challenges which came with this didactic approach. The contributions, questions, proposals and ideas of these students in pre-service teacher education, in special education and inclusive education, became a strong, encouraging factor for the further development of the model. Furthermore, a series of productive cooperative relationships were established within the German children and youth welfare system, in cities like Berlin, Frankfurt or Potsdam. Through these cooperations Lifeworld-oriented Didactics became a conceptual element of programs and research projects with the focus on prevention and intervention in connection with school dropout and truancy. Further development of the original model of the 1990s might include connecting it with international approaches, e.g. Teaching for Social Justice, Urban Education, Experiential Education, Citizenship Education, Student Voice-Models, Hip Hop and Rap Pedagogies, Gender- and Queer Studies, Critical Discourse Analysis, or Critical Race Studies. Lifeworld-oriented Didactics could also be linked with some single components of School-wide Positive Behavior Support, like Check & Connect, Choice-Making, Opportunities-to-Respond, and Behavior-specific Praise. Also this model could connect with some selected social skills trainings focused on self-regulation or self-management, even if the general structure of both models is completely contrary. Contrasts such as those found in evidence-based practices, hermetical structure, behavior-orientation versus open educational and didactic structure, with an orientation to the lifeworld, to youth cultures, media and digital worlds, also integrate philosophical inquiry in the educational work. The Lifeworld-oriented Didactics model also strives to understand what is happening beneath the surface of the pure behavior, in terms of emotions, identities, internal troubles and conflicts. Building from the model of the 1990s, a modern contemporary design considers digital worlds, virtual realities, social networks, youth cultures, and more. The didactical framework of the model is open and flexible in structure, interdisciplinary, and is relevant particular with its intertwine of experiential, subject-centered learning activities, curricular learning activities, and with emphasis on the reflection on the youths' existing patterns of learning behavior and social behavior, their internal and external conflicts, their emotional troubles and concerns, and their coping strategies in dealing with their life issues.
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Theoretisch basiert die seit den 1990er Jahren von Joachim Bröcher entwickelte Lebensweltorientierte Didaktik auf der—am Bildungsideal der Freiheit, der Emanzipation, der Selbst– und Mitbestimmung und der Solidaritätsfähigkeit des Einzelnen ausgerichteten—kritisch-konstruktiven Erziehungs– und Bildungswissenschaft, wie sie von Wolfgang Klafki (1927-2016), von 1963 bis 1992 Professor an der Philipps-Universität in Marburg, seit 1985 ausgearbeitet worden ist. Die Lebensweltorientierte Didaktik versteht sich nicht nur als pädagogisches Handlungsmodell, sondern will selbst auch Beiträge zur Forschung leisten, indem sie die „zerrissene Welt des Sozialen“ (Axel Honneth) mit der Absicht einer positiven Veränderung ausleuchtet (qualitativ, gesellschaftskritisch). Gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen werden ihre Lebenswelten (vgl. die Konzeptualisierung der Lebenswelt bei Schütz und Luckmann, im Anschluss an Husserl) und die hierin liegenden Daseins– und Lebensthemen (im Sinne von Hans Thomae) sowie die eingesetzten Daseinstechniken bzw. Auseinandersetzungsstrategien (Thomae) untersucht. Bei alldem spielen symbolbildende Prozesse (Spiel, Zeichnen, Malen und Gestalten, Jugendkultur, Jugendsprache, Medien, Musik, virtuelle Welten, Welt der virtuellen Spiele, Alltagsästhetik, Körperkulte, Mode, Tattoos etc.) eine zentrale Rolle (vgl. Helmut Hartwig u.a.). Die Lebensweltorientierte Didaktik sucht dann im nächsten Schritt nach Übergängen und Anknüpfungspunkten für curriculares, sachbezogenes Lernen in den Unterrichtsfächern. Subjektzentriertes Arbeiten wird mit sachorientiertem Lernen verschränkt. Lernen vollzieht sich im Sinne Klafkis exemplarisch, es hat Gegenwarts– und Zukunftsbedeutung. Je mehr Konfliktpotenzial, desto mehr Subjektbezug. Mit Bezug auf Paolo Freire lässt sich hier auch von generativen didaktischen Themen sprechen, die aufgefunden und bearbeitet werden müssen. Generative Themen sind Themen, die für die Kinder, Jugendlichen und ihre Familien und Communities von existenzieller Bedeutung sind. Generative Themen haben immer eine soziale und kulturelle Komponente, sie sind niemals rein psychologisch zu sehen. Winfried Kuhn und Ulrike Kocks, in den 1990er Jahren Leiter_innen des Düsseldorfer Studienseminars, entwickelten das Konzept des fächerübergreifenden Handlungsrahmens, d.h. es werden längerfristige, projektartige, prozesshafte und variable didaktische Einheiten kreiert, in denen mal mehr die Subjektanliegen geklärt und mal mehr die Sachanliegen weiter vorangebracht werden, je nach Situation, je nachdem, was möglich ist. Es findet eine in den didaktischen Prozess integrierte pädagogische Reflexion zu den Daseinsthemen, Lebenskonflikten, inklusive ihrer sozialen und kulturellen Hintergründe etc. statt, wie auch zu den Daseinstechniken, die sich als Lern-, Arbeits– und Sozialverhalten zu erkennen geben. Auch die von Jean-Paul Sartre in „Das Sein und das Nichts“ explizierten existentialistischen Konzepte (die Art der Beziehungsgestaltung, um solche Reflexionen überhaupt in Gang zu bringen, die Gespräche über Vergangenheit, Faktizität und Transzendenz, das Überschreiten des Alten und das Entwerfen des Neuen etc.) gingen in die Lebensweltorientierte Didaktik ein.
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Die Lebensweltorientierte Didaktik wurde von Joachim Bröcher seit Anfang der 1990er Jahre aus der pädagogischen Praxis an spezialsierten Förderschulen heraus entwickelt, während seiner Jahre als Lehrer, in der Großstadt (Köln, Solingen) und auf dem Land (Oberbergischer Kreis, Nordrhein-Westfalen), später auch in inklusiven Settings an Grundschulen und Hauptschulen. Die Modell– und Konzeptentwicklung vollzog sich in hohem Maße dialogisch-partizipativ, d.h. unter maximaler Einbindung und Mitgestaltung der unterrichteten Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung, oftmals zusätzlich mit Förderbedarf im Lernen. Das Modell ist von der Forschungsmethodik her qualitativ fundiert, subjektzentriert ausgerichtet und orientiert sich an Feldforschung und Handlungsforschung. Theoretisch basiert die Lebensweltorientierte Didaktik auf der am Bildungsideal der Freiheit, der Emanzipation, der Selbst– und Mitbestimmung und der Solidaritätsfähigkeit des Einzelnen ausgerichteten kritisch-konstruktiven Erziehungs– und Bildungswissenschaft, wie sie von Wolfgang Klafki seit 1985 formuliert und ausgearbeitet worden ist. Die Lebensweltorientierte Didaktik versteht sich nicht nur als pädagogisches Handlungsmodell, sondern will selbst auch Beiträge zur Forschung leisten, indem sie die „zerrissene Welt des Sozialen“ (Axel Honneth) mit der Absicht einer positiven Veränderung ausleuchtet. Gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen werden ihre Lebenswelten und die hierin liegenden Daseins– und Lebensthemen sowie die eingesetzten Daseinstechniken bzw. Auseinandersetzungsstrategien untersucht. Bei alldem spielen symbolbildende Prozesse (Spiel, Zeichnen, Malen und Gestalten, Jugendkultur, Umgang mit Medien, Alltagsästhetik) eine zentrale Rolle. Die Lebensweltorientierte Didaktik sucht dann im nächsten Schritt nach Übergängen und Anknüpfungspunkten für curriculares, sachbezogenes Lernen in den Unterrichtsfächern. Subjektzentriertes Arbeiten wird mit sachorientiertem Lernen verschränkt. Winfried Kuhn und Ulrike Kocks, die damaligen Leiter_innen des Düsseldorfer Studienseminars entwickelten hierzu das Konzept des fächerübergreifenden Handlungsrahmens. Dabei handelt es sich um längerfristige, projektartige didaktische Einheiten, in denen mal mehr die Subjektanliegen geklärt und mal mehr die Sachanliegen weiter vorangebracht werden, je nach Situation, je nachdem, was möglich ist, und ebenfalls eine in den didaktischen Prozess integrierte Beratung zum Lern-, Arbeits– und Sozialverhalten stattfindet. Die Lebensweltorientierte Didaktik hatte schon früh ihre Kritiker, insbesondere aus dem rein akademischen Lehr-/Forschungsbetrieb. Argumente gegen dieses Modell waren: Nicht jeder kenne sich mit bildhafter Symbolik aus, insofern sei das nicht durch andere wiederholbar, sodann: der Forscher (J.B.) habe sich zugleich als Lehrer im Feld befunden, folglich habe ihm die notwendige Distanz gefehlt (Würde man eine solche Kritik auch gegenüber einem Forscher in der Medizin äußern, der zugleich als Arzt in der Praxis tätig ist und dort seine Erfahrung sammelt?) Vor allem: Das Ganze sei wissenschaftlich nicht haltbar, da nicht überprüfbar, nicht messbar und nicht wiederholbar, die altbekannte Ablehnung qualitativer Forschung durch das empirisch-quantitative Lager. Andere stießen sich an der schonungslosen Dokumentation des teils sehr konflikthaften Lebensgeschehens (Sex & Crime). Zugleich war die Lebensweltorientierte Didaktik Gegenstand der universitären Lehre im Förderschwerpunkt der emotionalen und sozialen Entwicklung, parallel zur Arbeit an den Schulen, an der Justus-Liebig-Universität Gießen, an der Universität zu Köln (hier im Bereich Kunst), an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, an der Universität Hamburg und an der Ludwig-Maximilians-Universität München (1998-2008). Die Studierenden aller dieser genannten Universitäten waren stets überaus interessiert und motiviert, wenn es darum ging die Lebensweltorientierte Didaktik, ihre Möglichkeiten und die sich stellenden Herausforderungen zu diskutieren. Die Skepsis der etablierten, älteren Generation von rein akademischen Hochschullehrer/innen (auch einiger Jüngerer im Elfenbeinturm der Wissenschaft) gegenüber der Lebensweltorientierten Didaktik teilten sie ganz und gar nicht. Insofern waren auch die Beiträge und Gedanken dieser Generation von Studierenden für die weitere Entwicklung des Modells von großer Bedeutung, denn sie wirkten als Treiber und erzeugten Motivation, weiterzumachen. Ferner ergaben sich eine Reihe von sehr fruchtbaren Kooperationen mit der Welt der Kinder– und Jugendhilfe bzw. Sozialpädagogik (Landeskooperationsstelle Schule-Jugendhilfe, Potsdam; Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Frankfurt am Main), in deren Verlauf die Lebensweltorientierte Didaktik auch in die Konzeptentwicklung auf dem Gebiet der Prävention und Intervention bei Schulverweigerung bzw. Schulabsentismus einging (z.B. Projekt "Coole Schule"). Möglichkeiten der Weiterentwicklung könnten darin liegen, die Lebensweltorientierte Didaktik mit internationalen Modellen (Teaching for Social Justice, Urban Education, Experiential Education, Citizenship Education, Student Voice-Modelle, Hip Hop und Rap Pedagogies) zu verknüpfen, auch einige Komponenten aus dem Bereich Positive Behavior Support einzubauen, sowie das Ganze zeitgemäß zu aktualisieren, denn auch die Weiterentwicklung der Medien, sozialen Netzwerke, Jugendkulturen etc. erfordert neue didaktische Formen. Aber die Lebensthemen, an denen sich die jungen Menschen oftmals aufreiben und dabei durch Einsatz problematischer Daseinstechniken „auffällig“ werden, dürften noch dieselben sein….
Chapter
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How der sonderpädagogischen Didaktik (i.w.S.) läßt sich hier bündeln und in dem projektartig-offen angelegten Handlungsrahmen verwirklichen
  • Verstreute Das Bislang
  • Know
Das bislang verstreute Know-How der sonderpädagogischen Didaktik (i.w.S.) läßt sich hier bündeln und in dem projektartig-offen angelegten Handlungsrahmen verwirklichen.
Neue Wege in der Erziehungshilfe
  • Literatur Benkmann
  • K.-H Saueressig
  • K Beier
Literatur Benkmann, K.-H., Saueressig, K. & Beier, H. (Hrsg.) (1990). Neue Wege in der Erziehungshilfe. Dortmund: VDS-Landesver- band.
In: Deutscher Bildungsrat (Hrsg.). Gutachten und Studien der Bildungskommission 35, Sonderpäd
  • Schule Und Unterricht Bei Verhaltensgestörten Kindern
Schule und Unterricht bei verhaltensgestörten Kindern. In: Deutscher Bildungsrat (Hrsg.). Gutachten und Studien der Bildungskommission 35, Sonderpäd. 4., Stuttgart.
Die feinen Unterschiede
  • P Bourdieu
Bourdieu, P. (1979). Die feinen Unterschiede.
Kreative Intelligenz und Lernen
  • J Bröcher
Bröcher, J. (1989). Kreative Intelligenz und Lernen. München: K.G. Saur.
Von den dunklen Seiten der Adoleszenz
  • J Bröcher
Bröcher, J. (1993). Von den dunklen Seiten der Adoleszenz. Zeitschrift für Musik-, Tanz-und Kunsttherapie 4, 102-109.