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Boletus
Pilzkundliehe
Zeitschrift
Band 33 ·
Heft
1 · 2011
Herausgeber:
Arbeitsgemeinschaft Mykologie Mecklenburg-Vorpommern (A
MM
V)
Arbeitsgemeinschaft sächsischer Mykologen e.
V.
(AGsM)
LFA
My
kologie im NABU-Landesverband Sachsen-Anhalt e.
V.
Pilzkundliehe Arbeitsgemeinschaft Berlin-Brandenburg e.V. (PABB)
Thüringer Arbeitsgemeinschaft Mykol
og
ie e.V. (ThAM)
Boletus, Band 33, Heft 1, Seite 7 - 19
JESKO KLEINE, PETER RÖNSCH, SABINE RÖNSCH & FELIX HAMPE
Bemerkenswerte Telamonia-Funde bei der Vogtlandtagung 2010
KLEINE, J., RÖNSCH, P., RÖNSCH, S. & HAMPE, F. (2011): Some interesting Telamonia collections at the
mycological conference Vogtlandtagung 2010. Boletus 33(1): 7-19
Abstract: With Cortinarius balaustinus F
R., Cortinarius cremeolaniger ORTON, and Cortinarius
venustus KARSTEN three rather easily recognisable species of the subgenus Telamonia s.l. are presented. All
species were found during the mycological conference Vogtlandtagung 2010 in south-western Saxony
(Germany). Taxonomic, nomenclatural, and ecological aspects of these species and of some related fungi
are discussed in detail.
Key words: fungi, Telamonia, Cortinarius balaustinus, Cortinarius cremeolaniger, Cortinarius
venustus, Germany
Zusammenfassung: Mit Cortinarius balaustinus F
R., Cortinarius cremeolaniger ORTON und
Cortinarius venustus K
ARSTEN werden drei gut kenntliche Arten der Untergattung Telamonia s. l., die
während der Vogtlandtagung 2010 gefunden wurden, vorgestellt und hiermit verbundene taxonomische,
nomenklatorische und ökologische Aspekte diskutiert.
1. Einleitung
Der ungewöhnliche Witterungsverlauf im
Sommer 2010, in dem einem heißen und
trockenen Juli ein sehr niederschlagsreicher
August folgte, sorgte bei der vom 2. 9. bis
5. 9. in Theuma abgehaltenen Vogtlandta-
gung dafür, dass die Tagungsteilnehmer von
einem wohl überdurchschnittlich reichen
Aspekt vergleichsweise selten fruktifizie-
render Pilzarten profitieren konnten. Unter
diesen günstigen Voraussetzungen wurden
auch interessante Arten der Gattung Corti-
narius, insbesondere aus der aufgrund der
erheblichen Bestimmungsschwierigkeiten
bei der mykologischen Arbeit nur unzurei-
chend berücksichtigten Untergattung Tela-
monia (FR.) TROG s.l., beobachtet. In diesem
Beitrag sollen Funde von drei auffälligen
und verhältnismäßig leicht zu bestimmen-
den, wenn auch seltenen Arten vorgestellt
und diskutiert werden.
2. Anmerkungen zum Taxon Telamonia
Telamonia wurde von FRIES 1838 als eine
von sechs Tribus der von ihm in ihrer auch
heute noch gültigen Umgrenzung gefassten
Gattung Cortinarius eingeführt. In den von
späteren Autoren vorgeschlagenen infrage-
nerischen Gliederungen dieser größten und
wohl komplexesten Blätterpilzgattung wurde
ihre Abgrenzung zu den weiteren Subgenera,
hier vor allem Hydrocybe, Inoloma und
Sericeocybe, sehr unterschiedlich beurteilt,
wobei das Merkmal der Hygrophanität eine
zentrale Rolle spielte. Eine extreme Verein-
fachung stellte schließlich das von BRAND-
RUD & al. (1989 ff.) verwendete Konzept
mit nur vier Untergattungen (Cortinarius,
Myxacium, Phlegmacium, Telamonia) dar, in
dem Telamonia gewissermaßen als Auffang-
becken für alle Arten herhalten musste, die
sich zu keiner der anderen drei verhältnis-
mäßig gut festgelegten Untergattungen
stellen ließen. Dieser Untergattungsbegriff
ist in der vorliegenden Arbeit mit Telamonia
s. l. gekennzeichnet.
In den letzten Jahren konnte die infragene-
rische Systematik mit Hilfe von DNA-Se-
quenzierungen auf eine erheblich solidere
Grundlage gestellt werden. Dabei erwies
sich Telamonia s.l. erwartungsgemäß als
8 Boletus, Band 33 (1), 2011
polyphyletisch. Ein innerhalb der Arten-
gruppe abgegrenzter großer Verwandt-
schaftskreis lässt sich jedoch als Subgenus
Telamonia s. str. definieren, da er mit C. tor-
vus (FR. : FR.) FR. die Typusart der Unter-
gattung enthält (vgl. NISKANEN 2008).
Aufgrund des noch immer sehr lückenhaften
taxonomischen Bearbeitungsstands und der
erheblichen Bestimmungsschwierigkeiten
sind die Kenntnisse zur Verbreitung telamo-
nioider Arten bislang mehr als lückenhaft.
So schätzt NISKANEN (2008) ein, dass nur
ca. 10% der von ihr überprüften Herbar-
belege richtig bestimmt waren. Objektive
Gründe für die genannten Schwierigkeiten
liegen in der großen Artenzahl, der Merk-
malsarmut bzw. der gerade bei telamonioi-
den Arten ausgeprägten Veränderlichkeit
vieler makroskopischer Merkmale und in der
geringen Menge bislang systematisch er-
fasster und damit bei der Bestimmung nutz-
barer mikroskopischer Merkmale. Gerade
der letztere Umstand macht eine sorgfältige
Aufnahme von Kollektionen im idealen
Frischezustand durch einen in der Gattung
erfahrenen Bearbeiter notwendig, womit der
mykologischen Arbeit auch wegen des
kleinen phänologischen Zeitfensters eher
enge quantitative Grenzen gesetzt sind.
Mit den in dieser Arbeit vorgestellten Arten
soll die Kenntnis dieser schwierigen Arten-
gruppe gefördert werden. Die sich jeweils an
die Beschreibung der Funde anschließende
Diskussion soll u.a. veranschaulichen, wie
komplex die zu berücksichtigenden taxono-
mischen und nomenklatorischen Aspekte
selbst bei verhältnismäßig leicht bestimm-
baren Arten sein können.
3. Hinweise zur Untersuchungsmethodik
Ausgewählte Fruchtkörper der drei vorge-
stellten Kollektionen wurden am Standort
fotografiert und frisch beschrieben. Die
Sporenmaße (Länge, Breite, Längen-Brei-
ten-Quotient) wurden an abgeworfenen Spo-
ren ermittelt, die dem Stielvelum des Exsik-
kats anhafteten. Gemessen wurden jeweils
30 Sporen in Wasser unter Verwendung
eines Ölimmersionsobjektivs (100x). Der
errechnete Mittelwert ist unterstrichen, sel-
tene Extremwerte sind in Klammern angege-
ben. Die Dextrinoidität der Sporen wurde im
direkten Vergleich von Lamellenfragmenten
der drei Arten im selben Präparat in Melzers
Reagenz nach einer Einwirkzeit von ca. zehn
Minuten beurteilt. Die Zeichnungen der Spo-
ren und der Elemente der Lamellenschneide
erfolgten anhand eines vom Exsikkat
angefertigten Präparats in KOH (3%) ohne
Verwendung eines Zeichentubus (Ausfüh-
rung P. RÖNSCH). Die idealisierte räumliche
Darstellung wurde durch Interpolieren ver-
schiedener Schärfeebenen gewonnen.
4. Beschreibung der Arten
4.1. Cortinarius balaustinus FRIES 1838
Referenzen: BRANDRUD & al. (1989 ff.,
B40); CONSIGLIO & al. (2007, E09 ff.)
Ausschluss: LANGE (1935, S. 392, T. 101);
MICHAEL, HENNIG & KREISEL (1985, Nr.
110)
Funddaten: Oelsnitz, südlich von Streuberg, MTB
5539/23, ca. 530 m ü. NN, in der Nähe eines
Quellhorizonts befindlicher feuchter Laubwaldrand
an einem ehemaligen Bahndamm, auf saurem, mög-
licherweise jedoch durch Schottereintrag (Bahn-
damm) im pH-Wert veränderten Boden, bei Betula
pendula, Populus tremula, Carpinus betulus,
Quercus robur und Frangula alnus, 04. 09. 2010,
leg./det. P. & S. RÖNSCH, Beleg: Herbarium P. & S.
RÖNSCH
Hut: jung halbkugelig und mehr oder min-
der breit gebuckelt oder leicht glockig/
kegelig, mit lange eingerolltem, dann umge-
bogenem Rand, später ausgebreitet mit abge-
bogenem Rand, Durchmesser ca. 30–65
(100) mm, jung fein weißlich überfasert und
am Rande mit teils deutlicheren, unregel-
mäßigen dünn faserhäutigen Ablagerungen
des weißlichen Velums, Huthaut trocken,
schwach hygrophan, recht freudig gelbbraun
bis ockerbraun, fein, jedoch recht auffällig
bräunlich radial geadert bzw. gemasert, dann
mehr und mehr teils streifig ockerbraun
gefleckt, trocken mehr gelbbräunlich, seidig
glänzend.
JESKO KLEINE, PETER RÖNSCH, SABINE RÖNSCH & FELIX HAMPE: Bemerkenswerte Telamonia-Funde... 9
Lamellen: ausgebuchtet angewachsen und
mit Zähnchen herablaufend, bauchig, mäßig
gedrängt bis mäßig entfernt, untermischt,
teils mit gekräuselten Lamelletten, freudig
gelbbraun bis ockerbraun, Schneiden stark
schartig, heller als die Flächen.
Stiel: jung etwas bauchig oder keulig, dann
mehr oder minder zylindrisch mit nach unten
abgerundeter oder spindelig verjüngter Ba-
sis, ca. 30–90 x 10–12(18) mm, an der ver-
dickten Basis bis 20(25) mm breit, voll, auf
etwa halber Höhe mit undeutlicher und bald
schwindender Gürtelzone des weißen Ve-
lums, Stieloberfläche zunächst weiß, dann
gelbbräunlich überfasert, auf Druck wegen
durchschlagender Fleischfarbe gelbbräunlich
fleckend.
Fleisch: recht fest, lebhaft gelbbraun bis
ockerbraun marmoriert, beim Trocknen im
Stiel etwas bräunlich berindet, Geruch
dumpf, muffig mit Rettichkomponente,
KOH (ca. 20%) auf der Huthaut, im Fleisch,
auf der Stieloberfläche und am Basismyzel
negativ, Formol im Fleisch und auf der Stiel-
oberfläche negativ.
Mikromerkmale: Sporen rundlich bis breit
elliptisch, schwach dextrinoid, mit schwa-
chem bis mäßig starkem Ornament, isoliert
warzig bis netzartig gerunzelt, 4,7–6,2–
6,5(7,1) x 4,7–5,3–5,9 µm, Q 1,0–1,18–1,26;
Schneide mit Basidien und keuligen, seltener
zylindrischen oder sublageniformen sterilen
Zellen.
Abb. 1: Cortinarius balaustinus am Rand eines feuchten Laubwalds bei Streuberg
(Foto P. RÖNSCH).
Cortinarius balaustinus ist als verhältnis-
mäßig große Laubwaldart mit schwach hy-
grophanem, freudig gelb- bis ockerbraunem
und mehr oder minder auffällig gestreiftem
oder radialfleckigem Hut vor allem durch
seine ungewöhnliche Sporenform recht gut
festgelegt. Auch der in diversen Beschrei-
bungen zwar unterschiedlich bezeichnete,
jedoch oft als unangenehm empfundene Ge-
ruch kann das Ansprechen der Art erleich-
tern. Ebenfalls kleine rundliche Sporen hat
Cortinarius illuminus F
R., eine schlankere
Nadelwaldart mit deutlicher hygrophanem,
feucht kräftig rot- bis kastanienbraun gefärb-
tem Hut. Aufgrund der Sporenform besteht
u. a. auch die Möglichkeit einer Verwechs-
10 Boletus, Band 33 (1), 2011
Abb. 2: Cortinarius balaustinus: Sporen und
Elemente der Lamellenschneide. Maßstab:
10 µm (Zeichnung P. RÖNSCH).
lung mit rundsporigen so genannten Sericeo-
cybe-Arten (Sektion Anomali K
ONR. &
MAUBL. u. ä.), die jedoch schon makrosko-
pisch durch zumindest bei jungen Frucht-
körpern in der Regel deutliche Blautöne un-
terschieden sind, und denen andererseits die
freudigen Hutfarben von C. balaustinus
fehlen. Ähnliche Sporenformen kommen
auch bei anderen telamonioiden Arten (z. B.
Sektion Brunnei MELOT, Sektion Brunneo-
tincti M
OSER mit braunem Velum, von
NISKANEN 2008 zu Telamonia s. str. trans-
feriert) und in weiteren Untergattungen von
Cortinarius vor, weshalb eine sichere Be-
stimmung auch den sorgfältigen Vergleich
der makroskopischen Merkmale voraussetzt.
Die heute gängige und auch hier angewen-
dete Artauffassung orientiert sich an der
Interpretation, die RICKEN (1915, S. 178 sub
Hydrocybe balaustina) dem 1838 von FRIES
mit wenigen Zeilen beschriebenen und in die
Gruppe der größeren Hydrocybe-Arten (Fir-
miores) mit gelblichem oder rötlichem Stiel
und Velum gestellten Taxon gab, während
der von LANGE (1935) unter dem Namen
Cortinarius balaustinus dargestellte stark
hygrophane Birkenbegleiter mit elliptischen
Sporen von HENRY unter dem Namen Corti-
narius subbalaustinus neu beschrieben wur-
de. Letzterer, der nach jüngsten Erkenntnis-
sen zur Systematik einer eigenen, bislang
monospezifischen Sektion in der Untergat-
tung Telamonia s. str. angehört (NISKANEN
2008), ist eine oft auch synanthrop zu beob-
achtende Pionierart, die etwa in den Rekulti-
vierungsgebieten des Braunkohlentagebaus
in Nordwestsachsen Massenaspekte ausbil-
det und dort nicht streng an Birke gebunden
ist. Kaum zu interpretieren ist indes die
offenkundig aus mehreren Quellen kompi-
lierte Darstellung von C. balaustinus in
MICHAEL, HENNIG & KREISEL (1985).
Bezüglich seiner Einordnung in die infra-
generische Systematik bereitete C. balausti-
nus Schwierigkeiten. KÜHNER & ROMAG-
NESI (1953) stellten die Art in eine im
Grunde nur durch die Sporenform definierte
„Gruppe“ Sphaerospori. Die skandinavische
Schule (BRANDRUD & al. 1989 ff.) hingegen
gründete die Einordnung der Art stärker auf
die makroskopischen Fruchtkörpermerkmale
und stellte sie in die Sektion Lanigeri. Keine
dieser beiden Auffassungen fand sich indes
durch in den letzten Jahren durchgeführte
DNA-Sequenzierungen bestätigt, die zeig-
ten, dass C. balaustinus nicht in den mit der
Untergattung Telamonia s. str. identifizier-
baren Verwandtschaftskreis gehört und dem-
zufolge einer isoliert stehenden Sektion
Balaustini M
OËNNE-LOCCOZ & REUMAUX
zuzuordnen ist (NISKANEN 2008).
Nach Literaturangaben gilt die Art als azido-
philer oder bodenvager Laubbaumbegleiter
(Fagaceae, Betula), der in Europa im eher
kühl-gemäßigten Klimabereich (Buchen-
waldzone) zwar weit verbreitet ist, jedoch
nur zerstreut bis selten vorkommt. Dabei
scheint die Art in Nordeuropa etwas häufiger
zu sein (NISKANEN & KYTÖVUORI 2008b),
ist jedoch auch in Südeuropa in höheren
Lagen noch zu finden (CONSIGLIO & al.
JESKO KLEINE, PETER RÖNSCH, SABINE RÖNSCH & FELIX HAMPE: Bemerkenswerte Telamonia-Funde... 11
2007, Grupo Ibero-insular 2007). In
Deutschland war sie bislang lediglich aus
einigen westlichen Bundesländern bekannt,
wo sie jeweils als selten angegeben wird
(z.B. KRIEGLSTEINER & GMINDER 2010). In
Sachsen gab es nach unserer Kenntnis keine
früheren Funde dieser recht auffälligen und
gut charakterisierten Art.
Abb. 3: Cortinarius cremeolaniger auf einer renaturierten Abraumhalde des Uranerzbergbaus bei
Theuma (Foto F. HAMPE).
4.2. Cortinarius cremeolaniger P. D.
ORTON 1983
Synonyme: ? C. alborufescens IMLER 1955;
? C. lanigeroides ORTON 1983
Referenzen: S
OOP (2005); VESTERHOLT
(2007a)
Funddaten: östl. Theuma, MTB 5539/142, ca. 530
m ü. NN, Randbereich einer rekultivierten Abraum-
halde (Hochhalde) des Uranerzbergbaus, bei Betula
pendula, Populus tremula, Pinus sylvestris und
Picea abies, 05.09.2010, leg./det. F. HAMPE &
J. KLEINE, Beleg Herbarium J. KLEINE
CORT10090512
Hut: halbkugelig, dann ausgebreitet und
teils mit breitem flachen Buckel, Durch-
messer bis 80 mm, Rand lange eingerollt,
jung fast gänzlich vom üppigen weißlichen
Velum überzogen, dann zur Hutmitte mit
Velumflocken und am Rande mit großen,
recht dick faserhäutigen Fetzen des weißli-
chen bis etwas cremegelblichen Velums be-
deckt bzw. etwas behangen, Huthaut tro-
cken, nicht hygrophan, ocker bis etwas fuch-
sig oder ockerrötlich, gelegentlich etwas röt-
lich fleckig.
Lamellen: ausgebuchtet angewachsen,
mäßig gedrängt, etwas dicklich, untermischt,
von Beginn an zimtbräunlich, Schneiden
schartig, lange heller als die Flächen.
Cortina: üppig, weiß, oft mit aufliegenden
Velumfetzen.
Stiel: zylindrisch bis etwas keulig bzw. mit
keuliger bis etwas knolliger Basis, bis 95 x
15(30) mm, Basis nach unten abgerundet, oft
mit ein bis zwei mehr oder minder vollstän-
digen, kräftig ausgebildeten weißlichen bis
cremegelblichen Velumgürteln, unterhalb
dieser teils durch dünn faserhäutige weißli-
12 Boletus, Band 33 (1), 2011
che bis cremegelbliche Velumreste genattert,
Basis mit weißem Tomentum und feinen
weißen Rhizomorphen, Stieloberfläche weiß
überfasert, im Alter und auf Druck mit
durchschlagender ockerbräunlicher bis
brauner Grundfarbe.
Fleisch: recht fest, im Stiel mehr oder weni-
ger faserig und in der keuligen bis knolligen
Stielbasis schwammig und etwas brüchig,
weißlich, in der Stielspitze wässrig bis
bräunlich marmoriert, zur Stielbasis zuneh-
mend ockerbraun bis braun, Fraßstellen im
Hutfleisch ockerrötlich verfärbt, mild, Ge-
ruch schwach mit undeutlicher Rettichkom-
ponente, KOH (ca. 30%) im Fleisch negativ,
auf der Huthaut graubräunlich, auf dem
Velum mit Olivton, Guajak, AgNO3 und
Formol negativ.
Abb. 4: Cortinarius cremeolaniger: Sporen
und Elemente der Lamellenschneide. Maßstab:
10 µm (Zeichnung P. RÖNSCH).
Mikromerkmale: Sporen subfusiform,
schmal elliptisch bis schmal amygdaliform,
nicht bis schwach dextrinoid, fast glatt bis
schwach und fein unregelmäßig gerunzelt,
6,5–6,8–7,7(8,3) x 3,5–3,7–4,1 µm, Q 1,59–
1,86–2,2; Schneide mit Basidien und aus-
geprägt keuligen sterilen Zellen.
Die kennzeichnenden Merkmale der be-
schriebenen Aufsammlung sind die großen
Fruchtkörper mit üppigem, weißlichem bis
cremegelblichem Velum, nicht hygrophaner,
ockerfarbener bis rötlicher Huthaut und stets
zimtbräunlichen Lamellen verbunden mit
auffallend kleinen, fast glatten Sporen. Eine
ähnliche Merkmalskombination lässt sich
bei mehreren in der Literatur beschriebenen
Taxa feststellen, deren mögliche Synonymie
noch immer kontrovers diskutiert wird.
So beschrieb IMLER 1955 mit C. alboru-
fescens anhand von Funden bei Antwerpen
eine Art, die er über viele Jahre eingehend
beobachtet und vor deren Erstbeschreibung
er mit einer Reihe international führender
Cortinarius-Experten korrespondiert hatte.
Drei Jahre später veröffentlichte ORTON den
zweiten Teil einer als Schlüssel aufgebauten
Cortinarius-Monographie, in dem er einen
von PEARSON 1943 zunächst als C. mala-
chius (FR. : FR.) FR. veröffentlichten Fund
aus dem südenglischen Surrey unter dem
Namen C. pearsonii als neue Art beschreibt.
Nur wenige Kilometer von dessen locus typi
entfernt fanden PEARSON und ORTON 1951
eine zunächst als kleinsporige Varietät von
C. laniger FR. angesprochene Art, die OR-
TON erst 1983 als C. lanigeroides veröffent-
lichte. Zuvor hatte er das Fundgebiet nach
langer Zeit zwecks Nachsuche erneut began-
gen. Diese sei zwar erfolglos geblieben,
doch eine bei dieser Gelegenheit aufgesam-
melte Kollektion diente als Grundlage für
den ebenfalls in der Veröffentlichung von
1983 beschriebenen C. cremeolaniger.
Ein Blick auf Tabelle 1, wo die von ihren
Autoren gegebenen Beschreibungen der
genannten vier Taxa auszugsweise und unter
besonderer Berücksichtigung potenzieller
Trennmerkmale gegenübergestellt sind,
zeigt, wie sehr sich die Beschreibungen
einschließlich der Angaben zum Habitat
gleichen. ORTON selbst hielt C. cremeo-
laniger vor allem aufgrund des cremegelb-
JESKO KLEINE, PETER RÖNSCH, SABINE RÖNSCH & FELIX HAMPE: Bemerkenswerte Telamonia-Funde... 13
Tabelle 1
Auszugsweise Gegenüberstellung der von den Autoren der Arten gegebenen Beschreibungen von Cortinarius alborufescens, C.
pearsonii, C. lanigeroides und C. cremeolaniger unter besonderer Berücksichtigung potenzieller Trennmerkmale (diese im Fettsatz)
C. alborufescens
IMLER 1955 C. pearsonii
ORTON 1958 C. lanigeroides
ORTON 1983 C. cremeolaniger
ORTON 1983
Huthaut rau, faserig, bei Trockenheit
etwas glänzend, +/- hell rotbraun,
im Alter und stark durchfeuchtet
dunkler
feinfilzig, ockerlich, dann
ockerrötlich, teils rötlich gefleckt angedrückt seidig-faserig,
zimtbräunlich oder ziegelrötlich,
trocken ockergelblich, teils
ockerbraun fleckig
Mitte seidig-filzig, zum Rand
recht deutlich seidig faserig,
zimtbraun oder rostziegelrot,
trocken blass zimtocker
Velum des
Hutes Hut jung ganz vom recht dicken,
häutigen, weißlichen bis gele-
gentlich etwas gelblichen Velum
bedeckt, das teils Fetzen bildet
oder sich schuppig auflöst
Hut zum Rande mit kleineren
oder größeren Fetzen des blass
hellblauen bis blass lavendel-
blauen, dann weißen Velums
Hut zum Rande mit kleineren
oder größeren Schuppen des
weißen oder weißlichen
Velums, Rand jung behangen
Hut zum Rand mit oft recht
dicken Schuppen des weißlichen
bis blass cremefarbenen
Velums, Rand jung behangen
Lamellen schokoladenbraun, dann rötlich ganz jung bläulich, dann
purpurbräunlich braun, zimtbraun oder rostbraun blass zimtbraun, dann dunkler
zimt- bis rostbraun
Velum des
Stiels weiß bis gelblich, als Ring oder
als unregelmäßige Zonen lavendelblau, als Stiefel, oft als
Ringzone, darunter teils in
Fetzen
weiß bis weißlich, als dicker,
oft vollständiger, häutig-
flockiger Ring und darunter in
Fetzen
weißlich, blass creme bis
cremegelblich, zunächst als
Stiefel, dann als +/- vollständiger
flockiger Ring und darunter in
Fetzen
Stieloberfläche weiß, alt und bei Druck bräunend,
jung an Spitze und gelegentlich
auch Knolle lila
lange lavendelblau, dann
ockerlich verfärbend, Stielbasis
mit blass lavendelblauem, dann
weißem Tomentum
weiß bis weißlich, dann gelb-
bis blass zimtbräunlich
verfärbend, Basis mit oft
dickem weißen Tomentum
weißlich, Spitze marmoriert,
bald von der Basis her creme-
gelblich, ocker bis zimtbräunlich
werdend, Basis mit oft dickem
weißen Tomentum
Fleisch ganz jung lila marmoriert, dann
weißlich bis etwas rosabräunlich,
Geruch angenehm, leicht
rettichartig, dann nach Zucker
blass lavendelblau, dann
weißlich, schließlich ockerlich,
Geruch nicht unangenehm
blass ocker- bis zimtbräunlich,
teils dunkler braun oder
ziegelrötlich, Geruch fehlend
oder etwas „pilzig“
im Hut zimtbräunlich bis
ziegelrötlich, ausblassend, in
Stielspitze marmoriert, Basis
teils zimtbraun, geruchlos
Sporen elliptisch mit verjüngter Spitze,
blass, fast glatt, 8–9 x 4–4,5 µm elliptisch bis etwas amygdali-
form, blass, glatt, 6–8(8,5) x 3–4
µm
fusiform bis elliptisch, blass, +/-
glatt, 6,5–8 x 3–4 µm fusiform bis elliptisch, blass, +/-
glatt, 6–7,5 x 3–4 µm
Habitat Birke-Eiche-Kiefer-Mischbestand
auf Sandboden Mischwald Eiche-Birke-Mischbestand und
Kiefern-Birkenheide Kiefer mit einzelnen Birken und
Esskastanien
14 Boletus, Band 33 (1), 2011
lich gefärbten Velums für eine andere Art als
C. lanigeroides und sah C. pearsonii durch
die blauen Farbtöne klar unterschieden. Eine
Abgrenzung gegenüber C. alborufescens,
der im Synonymiefall Priorität hätte, findet
sich bei ORTON allerdings nicht.
MOËNNE-LOCCOZ & REUMAUX (1990)
halten die drei von ORTON aufgestellten
Taxa für eigenständige, wenn auch nahe
verwandte Arten. C. alborufescens, dem sie
kein von ihnen untersuchtes Material zuge-
ordnet haben, werten sie als potenzielles
Synonym eines der drei Taxa. Eine Syno-
nymisierung aller vier Artnamen wurde ins-
besondere von MELOT (1989) vorgeschla-
gen. SOOP, der eine Reihe von schwedischen
Kollektionen untersuchen konnte, ging
zunächst (1988, 1990, 1993, 2005) lediglich
von einer sicheren Synonymie von C. cre-
meolaniger und C. lanigeroides aus und ließ
die Möglichkeit einer Konspezifizität mit
C. pearsonii offen, während er C. albo-
rufescens als stärker abweichend und damit
eigenständig interpretierte. Im Jahr 2010
schloss er sich dann offenbar der Ansicht
MELOTs an. NISKANEN & KYTÖVUORI
(2008b) fassen nur 3 Taxa als konspezifisch
auf: C. alborufescens, C. cremeolaniger und
C. pearsonii.
Klärende Typusstudien zu allen vier Taxa
insbesondere mit Hilfe von DNA-Sequen-
zierungen stehen noch aus (vgl. VESTER-
HOLT 2007a). Bei der Prüfung der Holotypen
der drei ORTON’schen Arten wurden von
MELOT (1989) keine signifikanten mikro-
skopischen Unterschiede festgestellt. Ande-
rerseits hat REUMAUX (in MOËNNE-LOCCOZ
& REUMAUX 1990) die Holotypen von
C. cremeolaniger und C. lanigeroides
untersucht und hält beide aufgrund der
Beschaffenheit der Exsikkate und unter-
schiedlicher Huthautmerkmale für nicht
synonym. Für C. alborufescens, bei dessen
Erstbeschreibung im Jahre 1955 die Angabe
eines Holotyps noch nicht obligatorisch war,
wurde erst kürzlich von WALLEYN & al.
(2005) ein Lektotyp bestimmt.
Zur Klärung des anwendbaren Namens für
den hier vorgestellten Fund ist zunächst
festzustellen, dass sich die von uns beob-
achteten Merkmale im Wesentlichen mit
ORTONs Beschreibung von C. cremeolaniger
decken. Das von ORTON angeführte Merk-
mal zur Abgrenzung von C. lanigeroides
(Velum weißlich oder creme) halten auch
wir für unzureichend und teils schwer beur-
teilbar, ohne hiermit eine Aussage zur Syno-
nymie beider Namen treffen zu wollen. Im
Synonymiefalle wäre jedoch - soweit wir
sehen - ohnehin die von SOOP (1988) ge-
troffene Entscheidung für die Verwendung
des Namens C. cremeolaniger maßgeblich
(ICBN Art. 11.5).
Die Beschreibung von C. pearsonii unter-
scheidet sich vor allem durch die blauen
Farbtöne an Velum, Lamellen, Stielspitze,
Basaltomentum und im Fleisch. Flüchtige
blaue Farbtöne an der Stielspitze und im
oberen Stielfleisch wurden von SOOP (1988,
1993) auch bei als C. cremeolaniger be-
stimmten Funden festgestellt. Zudem zeigen
Forschungsergebnisse der letzten Jahre, dass
dem Vorhandensein und der Intensität blauer
Farbtöne in der Gattung Cortinarius oft zu
großes Gewicht beigemessen wurde und
dass es sich hierbei in vielen Fällen um ein
infraspezifisch variables Merkmal handelt.
Der dem hier behandelten Formenkreis
nächst verwandte C. solis-occasus M
ELOT
zeigt ebenfalls Blautöne an Velum und Stiel
und lässt sich molekularbiologisch anhand
der ITS-Sequenz nicht von typischem
C. laniger (ohne jeden Blauton) abgrenzen.
Auf der anderen Seite geben die der
Beschreibung nach vor allem auch an Velum
und Lamellen ausgeprägten und teils dauer-
haften Blautöne bei C. pearsonii wie auch
der Umstand, dass dieser zunächst als
C. malachius bestimmt worden war, genü-
gend Grund zur Skepsis im Hinblick auf eine
voreilig geschlussfolgerte Synonymie mit
C. cremeolaniger. Im Synonymiefalle hätte
der Name C. pearsonii Priorität.
Wie bereits oben ausgeführt, wurde in letzter
Zeit zunehmend der Name C. alborufescens
für die hier vorgestellte Art verwendet
(MELOT 1989, NISKANEN 2008, NISKANEN
& KYTÖVUORI 2008b, VESTERHOLT 2007a,
JESKO KLEINE, PETER RÖNSCH, SABINE RÖNSCH & FELIX HAMPE: Bemerkenswerte Telamonia-Funde... 15
SOOP 2010). Die von IMLER beschriebenen
flüchtigen Blautöne am Stiel und im Fleisch
könnten in der Tat gut im Rahmen der
Merkmalsschwankungen innerhalb ein und
derselben Art liegen. Auch die im Vergleich
zu C. cremeolaniger größer angegebenen
Sporenmaße könnten auf Messabweichun-
gen, Rundungsdifferenzen und/oder infra-
spezifische Variabilität zurückzuführen sein.
Problematisch erscheint allerdings IMLERs
Angabe, seine Art habe einen schwachen
Rettichgeruch, der dann in einen deutlichen,
an Hebeloma sacchariolens erinnernden Zu-
ckergeruch, der auch beim Kosten der Hut-
haut und besonders der Lamellen wahrnehm-
bar sei, umschlage. In keiner späteren Be-
schreibung zum hier behandelten Formen-
kreis ist ein auffälliger Geruch erwähnt. Es
sei jedoch an dieser Stelle herausgestellt,
dass Gerüche subjektiv wahrgenommen
werden, wodurch dieses Merkmal zu relati-
vieren ist. Andererseits wird der Geruch
gerade in der merkmalsarmen Untergattung
Telamonia s. l. oft als wichtiges Merkmal
verwendet, und der Hebeloma-sacchario-
lens-Geruch ist etwa in der Untergattung
Phlegmacium in einigen Fällen als wesent-
liches Artmerkmal bekannt (vgl. C. odora-
tus, C. osmophorus). Hinzu kommt, dass der
beschriebene Geruch für den Autor von
C. alborufescens offenbar kein beiläufiges,
sondern eines der bei mehreren Kollektionen
bestätigten konstituierenden Merkmale sei-
ner Art („le voile, les deux odeurs, les spores
charactéristiques“) darstellte, das auch im
Briefwechsel mit KÜHNER, der in IMLERs
Art zunächst seinen ebenfalls durch „Dop-
pelgeruch“ gekennzeichneten C. diosmus zu
erkennen glaubte, eine Rolle spielte (vgl.
IMLER 1955). Interessant ist ebenso die
Tatsache, dass sich IMLER vor der Neube-
schreibung seiner Art u.a. auch an PEARSON
gewandt hatte, der offenbar in ihr nicht den
späteren C. pearsonii erkannt hat.
In Abwägung der genannten Argumente
erscheint eine Synonymie von C. alboru-
fescens und C. cremeolaniger zwar durchaus
wahrscheinlich, in welchem Falle C. albo-
rufescens als älterer Name anzuwenden
wäre. Die Tatsache jedoch, dass sich gerade
in der taxonomischen Forschung der letzten
Jahre die Untergattung Telamonia s. l. als
deutlich artenreicher als erwartet heraus-
gestellt hat (vgl. NISKANEN 2008), wie auch
der für die mykologische Arbeit geltende
Imperativ der Vorsicht bei der Synonymisie-
rung veranlassen uns allerdings dazu, beide
Taxa vorerst getrennt zu halten und den hier
vorgestellten Fund als C. cremeolaniger zu
bestimmen.
Widersprüchlich wurde auch die Stellung
des hier behandelten Formenkreises in der
infragenerischen Systematik bewertet. Wäh-
rend IMLER (1955) keine Angaben zur Ein-
ordnung seiner Art macht, stand für ORTON
wohl zunächst außer Frage, dass es sich bei
C. pearsonii (PEARSONs C. malachius!) um
eine Sericeocybe handeln müsse. Erst im
Lichte der beiden später von ihm beschrie-
benen und in die Nähe von C. laniger
gestellten Taxa sah er auch für C. pearsonii
die Möglichkeit eines Anschlusses an die
Untergattung Telamonia s. str. (vgl. ORTON
1983, S. 222). Auch SOOP (1988, S. 92)
erkannte in C. cremeolaniger ein „key taxon
linking the group of C. malachius Fr. to
C. laniger Fr. and its relatives“. In MOËNNE-
LOCCOZ & REUMAUX (1990) bildet der
Formenkreis die in der Sektion Lanigeri ste-
hende Serie Alborufescens. Nach der durch
DNA-Sequenzierungen unterstützten Syste-
matik in NISKANEN (2008) bilden C. laniger,
C. solis-occasus und C. alborufescens eine
morphologisch recht einheitliche Gruppe
innerhalb der Untergattung Telamonia s. str.,
wobei allerdings C. alborufescens genetisch
etwas entfernt steht.
Nach sämtlichen Literaturangaben wie auch
aufgrund weiterer uns bekannt gewordener
Funde (s. u.) ist davon auszugehen, dass es
sich bei C. cremeolaniger um einen strengen
Birkenbegleiter auf nährstoffarmen, sandi-
gen bis kiesigen Böden handelt. Die An-
sprüche der Art an den Boden dürften wohl
auch der Grund dafür sein, dass sie bislang
zumeist aus lichten Mischwäldern bzw.
Heiden mit Betula spec. und Pinus sylvestris
berichtet wurde. Alle uns bekannten Funde
16 Boletus, Band 33 (1), 2011
aus Sachsen und Sachsen-Anhalt stammen
übrigens von in jüngerer Vergangenheit
stark anthropogen veränderten Lokalitäten.
Der Fundort der hier beschriebenen Kollek-
tion ist eine Abraumhalde in Mittelgebirgs-
lage mit Nadelbäumen, Birken und Espen,
auf der in wenigen Stunden über zwanzig
Cortinarius-Arten nachgewiesen werden
konnten (hier auch die überwiegend boreal
verbreiteten und in Mitteleuropa sehr sel-
tenen C. venustus KARSTEN [s.u.] und Lac-
tarius aquizonatus K
YTÖV.). Auch bei Be-
rücksichtigung aller Unsicherheiten auf-
grund der schwierigen taxonomischen Situa-
tion lässt sich einschätzen, dass C. cremeo-
laniger eine nirgends häufige, die nördliche
Waldgrenze erreichende Art ist, die nach
Süden bis ins mittel- und westeuropäische
Flachland ausstrahlt, wo sie als sehr selten
gilt. Für Deutschland konnten wir nur sehr
wenige, allesamt unveröffentlichte Funde
ermitteln:
Am 05.10.2004 fand G. SAAR (pers. Mitt.)
die Art (ut C. alborufescens) im Spessart.
Vermutlich wurde sie auch am 08. 10. 2004
anlässlich der Tagung der AGsM von
M. HUTH (pers. Mitt., ohne Beleg, nicht
mikroskopisch geprüft) auf einer Abraum-
halde des Braunkohlentagebaus bei Mar-
kranstädt südwestlich von Leipzig (MTB
4639/34) gefunden. Am 07. 10. 2005 wurde
sie von J. KLEINE und L. LINDNER auf einem
ehemaligen Truppenübungsplatz in der
Dahlener Heide (MTB 4544,14) nachge-
wiesen. Der Fund von M. HUTH (pers. Mitt.)
am 28. 10. 2005 in einer aufgelassenen
Kohlegrube bei Roßbach (MTB 4737/32)
dürfte der Erstnachweis für Sachsen-Anhalt
sein.
4.3. Cortinarius venustus KARSTEN 1878
Synonyme: C. calopus KARSTEN 1881 ss.
KARSTEN 1881 & al. auct.; ? C. fragrans A.
H. SMITH 1944; C. traganulus P. D. ORTON
1983
Referenzen: BRANDRUD & al. (1989 ff.,
A22 ut C. calopus, C50); BIDAUD & al.
(1999, F. 404, Pl. 247); VESTERHOLT
(2007b)
Funddaten: östl. Theuma, MTB 5539/142, ca.
530 m ü. NN, Randbereich einer rekultivierten
Abraumhalde (Hochhalde) des Uranerzbergbaus, bei
Betula pendula, Populus tremula, Pinus sylvestris
und Picea abies, 05.09.2010, leg./det. F. HAMPE &
J. KLEINE, Beleg Herbarium J. KLEINE
CORT10090510
Hut: glockig bis halbkugelig, dann ausge-
breitet und teils etwas flach gebuckelt mit
lange umgebogenem Rand, Durchmesser bis
50 mm, jung vom üppigen, lilafarbenen und
bald weißlich entfärbten Velum überzogen,
dann mit grobschuppig wirkenden Velum-
flocken und am Rande mit ausdauernden,
teils als Band angeordneten, recht dick faser-
häutigen lilafarbenen und bald weißlich ent-
färbten Velumresten bedeckt bzw. behangen,
Huthaut trocken, nicht hygrophan, etwas fil-
zig, mehr oder minder grauocker bis schmut-
zig ocker oder hellbräunlich, überaltert
dunkler bräunlich.
Lamellen: gerade bis ausgebuchtet ange-
wachsen, kaum gedrängt, untermischt, oft
recht stark anastomosierend, honigocker bis
ockerbräunlich, schließlich hell bis dunkler
zimtbraun, Schneiden etwas unregelmäßig.
Cortina: mäßig üppig, blass lila.
Stiel: schlank, zylindrisch bis schwach keu-
lig, bis 80 x 12 mm, Basis nach unten
abgerundet oder etwas spindelig verjüngt,
auffällig durch teils abstehende, dickliche
blass lilafarbene und bald weißliche Velum-
gürtel genattert, Basis von weißem Tomen-
tum umschlossen und mit feinen weißen
Rhizomorphen, Stieloberfläche etwas fase-
rig, besonders im oberen Bereich kräftig lila,
nach unten blasser.
Fleisch: mäßig fest, blass, Fraßstellen im
Bereich der Huthaut etwas ockerrötlich
verfärbt, mild, Geruch etwas würzig, jedoch
besonders beim Drücken der Lamellen deut-
lich birnenartig (vgl. Cortinarius traganus).
Mikromerkmale: Sporen elliptisch bis breit
elliptisch, mäßig dextrinoid, Ornament
schwach bis mäßig, unregelmäßig runzelig,
8,3–9,1–10,0 x 5,3–5,9–6,5 µm, Q 1,35–
1,53–1,77; Schneide mit Basidien und
keuligen sterilen Zellen.
18 Boletus, Band 33 (1), 2011
und gab ihr den Namen C. calopus, der später
auch von der skandinavischen Schule (z.B.
durch SOOP, BRANDRUD & al.) im Sinne der
Beschreibung KARSTENs angewendet wurde.
Eine Überprüfung des Typusmaterials ergab
allerdings, dass diesem Namen im Herbar
KARSTENs im Widerspruch zu den Angaben
im Protolog ein kleinsporiges Exsikkat
zugeordnet ist, während der Beleg des
ebenfalls von KARSTEN (1878) beschriebenen
C. venustus statt der beschriebenen kleinen
Sporen die typisch großen des C. calopus
aufwies. In starrer Befolgung des nomen-
klatorischen Typusprinzips (Art. 9.11 ICBN
hätte hier eine sinnvolle Alternative bieten
können!) entschieden sich BRANDRUD & al.
(1989 ff., vol. 2, App. S. 5) daher für die
Anwendung des Namens C. venustus für
KARSTENs „Schönstielgürtelfuß“, die sich
inzwischen weitgehend durchgesetzt hat.
In Mittel- und Westeuropa war der Name
C. calopus indes irrtümlich für aus Kalkna-
delwäldern stammende, C. laniger FR. nahe-
stehende Formen mit violettem Velum und
größeren Sporen verwendet worden, bis ME-
LOT hierfür den Namen C. solis-occasus ein-
führte (vgl. BRANDRUD & al. 1989 ff., T.
C20). KARSTENs 1881 beschriebenen Schön-
stielgürtelfuß nicht gebührend beachtet hatte
wohl auch ORTON, als er 1983 aufgrund von
Funden aus dem nordschottischen Inverness-
shire mit C. traganulus ein Synonym ein-
führte. Damit war der heutige C. venustus
zumindest zum ersten Male in Europa außer-
halb Skandinaviens nachgewiesen worden.
Bereits 1944 hatte SMITH vermutlich dieselbe
Art unter dem Namen C. fragrans aus Nord-
amerika beschrieben (BIDAUD & al. 1999).
Die Thesen zur Stellung von C. venustus
innerhalb der Gattung sind geradezu symp-
tomatisch für die Schwierigkeiten in der
infragenerischen Systematik insbesondere bei
Telamonia s. l.: BIDAUD & al. (1999)
ordneten die Art zunächst in der Untergattung
Telamonia, Sektion Telamonia, ein, um sie
später (2002) aufgrund der offenkundigen
Ähnlichkeit mit C. traganus in die Unter-
gattung Dermocybe, Sektion Sericeocybe, zu
transferieren, wobei sie in beiden Veröf-
fentlichungen die Möglichkeit einer Zuord-
nung zur Sektion Lanigeri (Subg. Telamonia)
offenließen. BRANDRUD & al. (1989 ff.)
führen C. venustus ebenfalls in der Sektion
Telamonia, stellen jedoch den nahe ver-
wandten C. traganus in die Nachbarsektion
Malachii. Nach durch ITS-Sequenzierung
gewonnenen Erkenntnissen (NISKANEN 2008)
stehen C. venustus und C. malachius der
Typusart der Untergattung Telamonia, C.
torvus, nahe, womit beide der Sektion
Telamonia angehören, was einmal mehr die
Hinfälligkeit des Merkmals der Hygro-
phanität bei der Abgrenzung supraspezifi-
scher Taxa in der Gattung Cortinarius belegt.
C. venustus ist nach Literaturangaben ein
kryophiler und subhygrophiler Fichten- und
Birkenbegleiter auf sauren Böden. Nähere
Angaben zum Fundort der hier beschriebenen
Kollektion, an dem zahlreiche Fruchtkörper
der Art über eine größere Fläche zerstreut
beobachtet werden konnten, finden sich im
Abschnitt zu C. cremeolaniger.
Der für den subarktischen Norden Skandi-
naviens und die sich anschließende Nadel-
waldzone noch als zerstreut angegebene
C. venustus (NISKANEN & KYTÖVUORI
2008a) nimmt nach Süden rasch in seiner
Häufigkeit ab und gilt in West- und Mittel-
europa als äußerst selten. Hier wurde er
überhaupt erst in jüngerer Vergangenheit
festgestellt, im Übrigen nachdem vor allem
durch BRANDRUD & al. (1989 ff.) gute
Darstellungen der Art verfügbar wurden.
Inzwischen liegen Nachweise aus Belgien,
Dänemark, Frankreich und Italien vor. Vom
bislang einzigen aus Deutschland bekannt
gewordenen Fund berichten KRIEGLSTEINER
& GMINDER (2010) für Baden-Württemberg,
wo die Art im Jahre 2000 einmalig im
Randbereich eines häufig begangenen
Hochmoors festgestellt werden konnte.
GMINDERs Bewertung dieses Vorkommens
wegen des gemeinsamen Auftretens mit
weiteren boreal verbreiteten Pilzarten als
„Glazialrelikt“ lässt sich allerdings nicht auf
den in diesem Artikel beschriebenen Fund
übertragen. Die Art trat im Vogtland an
einem durch diskontinuierliche Entwicklung
gekennzeichneten anthropogenen Sonder-
standort auf.
JESKO KLEINE, PETER RÖNSCH, SABINE RÖNSCH & FELIX HAMPE: Bemerkenswerte Telamonia-Funde... 19
Dank
Für ihre Hilfe durch den fruchtbaren fach-
lichen Austausch danken wir MANFRED
HUTH und GÜNTER SAAR. Für nähere Infor-
mationen zu den Fundorten sei CHRISTINE
MORGNER und WOLFGANG STARK gedankt.
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