Knorpel ist ein porosUpermeables, viskoelastisches, kollagenreiches Gewebe, dessen funktionelles Verstandnis fur die Entwicklung von kunstlichem Knorpelgewebe so wie von innovativen Therapieansatzen der OA von groser Bedeutung ist. In dieser Arbeit wurde mithilfe einer in vivo Studie die kurzfristige Reaktion des Gelenkknorpels der patellofermoralen und tibiofemoralen Gelenke auf mechanische Belastungen unterschiedlicher Amplitude und Frequenz untersucht. Ziel war, das Deformationsverhalten des Knorpels in Abhangigkeit von der Charakteristik der Belastung zu quantifizieren und die Mechanosensitivitat eines Biomarkers zu studieren sowie den Zusammenhang zwischen Deformation und dem mechanosensitiven Marker zu untersuchen. Eine mechanische Belastung mit niedriger Frequenz und hoher Amplitude (Springen) wurde einer mechanischen Belastung mit hoher Wie derholfrequenz und niedriger Amplitude (Laufen) gegenubergestellt. Die Intervention Springen bestand aus 100 Niedersprungen von einem 73 cm hohen Sprungtisch, die Intervention Laufen aus einem 30 min langen Lauf mit einer Geschwindigkeit von 2,2 m/s. Dieses Untersuchungsdesign gewahrleistete eine annähernd gleich grose mechanische Gesamtbelastung auf das Kniegelenk bei beiden Interventionen. Zur Erstellung eines Lauf- und Sprungprotokolls wurden Vorversuche durchgefuhrt, in denen Bewegungsabläufe beim Laufen und Springen mithilfe von Modellrechnungen analysiert und ausgewertet wurden. Die Parameter, die hierbei zur Vergleichbarkeit herangezogen wurden, waren zum einen die mittlere mechanische Leistung bis 50 ms nach dem ersten Bodenkontakt des Probanden und zum anderen die gesamte kinetische Energie. Das Protokoll wurde so erstellt, dass in beiden Interventionen diese beiden Parameter, und somit die gesamte mechanische Belastung, annahernd gleich gros waren, sodass sich die Belastungen lediglich in Amplitude und Frequenz unterschieden. Die Interventionen wurden untereinander und mit der Kontroll-Intervention Ruhe (30 min langes Sitzen auf einem Stuhl) verglichen. Das festgelegte Untersuchungsprogramm (Ruhe, Laufen und Springen) wurde an drei Versuchstagen mit 14 gesunden jungen untrainierten Probanden durchgeführt. An jedem Versuchstag erfolgten nach einer 30-minütigen Ruhephase vor und nach Intervention eine Blutentnahme und eine Kernspintomographie des Kniegelenkes sowie vier weitere Blutentnahmen nach Interventionsende (30 min, 60 min, 120 min und 180 min). Als etablierter mechanosensitiver Biomarker des Knorpels diente die Serum- Konzentration des Knorpelmatrixproteins COMP (Cartilage oligomeric matrix pro- tein), das vermutlich durch mechanische Belastung vom Knorpel in die Synovialflus- sigkeit und von dort ins Blut gedrangt wird (Kersting et al. U 2005, Mundermann et al. U 2005). Die Veränderungen der ermittelten Serum COMP-Konzentrationen (Lau- fen: +30,7 %, Springen: +32,3 %) und die Dauer dieser Anstiege (je 60 min) fügen sich sehr gut in die in der Literatur beschriebenen Unterschiede von Pra- und Postwerten, also Werten vor und nach Belastungsinterventionen, sowie Anstiegsdauern ein (Liu et al. U 2010, Mundermann et al. U2009). Nach Segmentierung des tibiofemoralen und patellaren Gelenkknorpels wurden diese dreidimensional rekonstruiert und die Knorpeldeformationen (Knorpelvolumen und Knorpeldicke) berechnet und verglichen. Bei der Intervention Ruhe konnten – bis auf den medialen lasttragenden Bereich des Femurs – keine Unterschiede in den Untersuchungsparametern festgestellt werden. Die gefundene Zunahme von Knorpelvolumen und –dicke im medialen Femurbereich lasst sich moglicherweise dadurch erklaren, dass die 30 min lange Ruhepause vor Durchfuhrung des MRT fur diesen Bereich nicht hinreichend lang war, um den Knorpel vollstandig zu entlasten. Die Hohe der in der Regel signifikanten Abnahmen der Knorpelgrosen nach den beiden Belastungen lasst sich ebenfalls gut in die in der Literatur angegebene Knorpeldeformation durch mechanische Belastung einordnen (Boocock et al. U 2009, Kessler et al. U 2006, Eckstein et al. U 2005). Anders als in einer Studie von Eckstein et al. (2005) konnten nach den Interventionen, sowohl im patellaren als auch im tibiofemoralen Knorpel, signifikante Unterschiede festgestellt werden. Die Knorpeldeformation fiel in den untersuchten Knorpelregionen (Ausnahme war die Knorpeldicke des medialen Tibiabereichs) nach Laufbelastung hoher aus als nach Sprungbelastung. Im lateralen Tibiabereich war dieser Unterschied zwischen den beiden Interventionen auch signifikant. Dieser Befund stutzt die Hypothese der Abhangigkeit der Knorpeldeformation von der jeweiligen Belastungscharakteristik: Je hoher die Amplitude und je geringer die Frequenz ist, desto geringer ist die Knorpeldeformation. Ein Erklarungsansatz dieses Ergebnisses liegt in der funktionellen Struktur des Knorpels als viskoelastisches Gewebe. Aufgrund der niedrigen Frequenz konnte sich einerseits die verdrangte Gewebsflüssigkeit wieder rückverteilt haben, andererseits konnte der Knorpel aufgrund der kurzen hohen Amplitude nicht ausreichend Zeit gehabt haben, sich adaquat physiologisch zu deformieren. Eine Differenzierung zwischen diesen beiden Erklarungsmodellen ware mittels unterschiedlicher Reaktionen eines Biomarkers, der bei Knorpelzellzerstorung ansteigt, moglich. Zwar ist COMP prinzipiell ein Kandidat fur solch einen spezifischen mechanosensitiven Knorpelmarker, allerdings fand sich kein signifikanter Unterschied im Verlauf der Serum COMP-Konzentration zwischen den Belastungsinterventionen (ANOVA). Die Mechanosensitivitat des Biomarkers COMP konnte bestatigt werden, allerdings konnte eine negative lineare Korrelation zwischen Veranderungen der Serum COMP-Konzentration und dem gesamten Knorpelvolumen – wie von Kersting et al. (2005) berichtet – nicht festgestellt werden. Es wurde sogar eine signifikante positive lineare Korrelation sowohl der Veranderung des gesamten Knorpelvolumens als auch der gesamten dicke mit der Veranderung der Serum COMP-Konzentration nach der Sprungbelastung gefunden. Diese Korrelation legt nahe, dass durch niedrige Frequenz ein Mechanismus getriggert wird, der zum Beispiel durch erhohte Regeneration des Knorpels und Clearance-Steigerung von COMP-Molekulen aus der Synovialflussigkeit ins Blut zu der beschriebenen positiven Korrelation fuhrt, sodass bei geringer Knorpeldeformation eine hohere Serum COMP-Konzentration zu erwarten ware und umgekehrt. Obwohl der genaue Mechanismus der Erhohung der Serum COMP-Konzentration nach mechanischer Belastung nicht bekannt ist, liesen sich die beschriebenen Beobachtungen durch die mogliche Abgabe von COMP wahrend der Regenerationsphase ins Blut erklaren. Dies ist die erste in vivo Studie zum Vergleich von in Amplitude und Frequenz unterschiedlichen Belastungsstimuli auf den Knorpel, die daruber hinaus eine gleich grose Gesamtbelastung auf das Kniegelenk in den verschiedenen Interventionen ansetzt: Frequenzerhohung der Belastung fuhrt zu einer Zunahme des Deformationsverhaltens des Knorpels, selbst wenn dabei die Amplitude der einzelnen Belastungen abnimmt (bei konstanter gesamter mechanischer Belastung). Als Ursache fur diesen Unterschied werden verschiedene Hypothesen diskutiert. Der Verlauf der Serum COMP-Konzentration nach mechanischer Belastung hat vermutlich einen komplexeren Mechanismus als bislang angenommen und scheint neben mechanischen auch biochemischen Einflussen (z. B. Clearance von COMP-Molekulen aus dem Gelenk) zu unterliegen. Weitere Studien mit einer groseren Personenstichprobe und Probanden unterschiedlichen Alters und Trainingszustandes sind zur abschliesenden Beschreibung des belastungsabhangigen Verhaltens des Gelenkknorpels erforderlich.