Conference PaperPDF Available

Adnominale Possessivität in den hessischen Dialekten

Authors:

Abstract

In den Varietäten unterhalb der deutschen Standardsprache gibt es diverse Möglichkeiten, Zugehörigkeitsrelationen zu kodieren, zu denen u.a. Besitz-, Teil-Ganzes-, Verfügungs- und Verwandtschaftsrelationen zählen. Die wichtigsten Strategien zum Ausdruck (ad)nominalen Zugehörigkeitsrelationen sind die Präpositionalkonstruktion (das Auto von Harald), das Kompositum (die Haustür) und der sogenannte „adnominale possessive Dativ“ (meinem Vater sein Hut, vgl. Behagel 1923: 638, Weise 1898, Mironow 1957, Schirmunski 1962), der allerdings in Abhängigkeit vom Dialektraum auch die Form eines Akkusativs haben kann (den Vater sein Haus) (vgl. Schirmunski 1962: 432ff.). Dafür fehlt in diesen Sprechlagen weitgehend der standarddeutsche adnominale Genitiv (Karls Haus, das Haus des Vaters). Die genannten Konstruktionen sind dabei nicht verschiedene Ausdrucksmittel für gleichartige Relationen, sondern die Art der Zugehörigkeitsrelation korreliert mit der Akzeptabilität der Konstruktion als Kodierungsmittel dieser Relation (vgl. Seiler 1983). Als zentrale semantische Faktoren, die diese Variabilität steuern, werden unter anderem Kontrolle, Alienabilität, Empathie, Inhärenz, Belebtheit und Subjektivität bzw. Objektivität diskutiert (vgl. Seiler 1983, Lehmann 1996, Stolz et al. 2008, McGregor 2009). Im Vortrag soll die Spannbreite der Possessivkonstruktionen in den hessischen Dialekten beschrieben werden, wie sie im Rahmen des Projekts „Syntax hessischer Dialekte (SyHD)“ derzeit erhoben werden. In SyHD wird dieses Phänomen nicht nur erstmals systematisch für einen Raum erhoben, um den tatsächlichen Bestand an Ausdrucksvarianten zu dokumen-tieren, sondern auch Semantik soll in den Blick rücken, indem die Zugehörigkeitsrelationen zwischen Possessor und Possessum so variiert werden, dass dies Rückschlüsse auf die Ausdrucksvarianten in Abhängigkeit von semantischen Faktoren zulässt. Dabei zeigt sich, dass Präpositionalkonstruktion und possessiver Dativ keine gleichwertigen Konstruktionen sind und dass die steuernden Prinzipien den in der Literatur postulierten möglicherweise zuwiderlaufen. Zitierte Literatur: Lehmann, Christian (1996): Possession in Yucatec Maya. Newcastle: Lincom. McGregor, William (Hrst.) (2009): The expression of possession. Berlin/New York: de Gruyter. Mironow, S. A. (1957): Zur vergleichenden Formenlehre der deutschen Mundarten. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 79. Sonderband. S. 388– 414. Schirmunski, Viktor M. (1962): Deutsche Mundartkunde. Berlin: Akademie. Seiler, Hansjakob (1983): Possession as an operational dimension of language. Tübingen: Narr. Stolz, Thomas/Kettler, Sonja/Stroh, Cornelia/Urdze, Aina (2008): Split possession. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins. Weise, Otto (1898): Dem Vater sein Haus. In: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 12. S. 287–291.
Guten Tag. Ich werde Ihnen heute einige ausgewählte Daten und kühne Thesen zu
adnominaler
Possessivität
in hessischen Dialekten vorstellen.
adnominaler
Possessivität
in hessischen Dialekten vorstellen.
Besonders auf den sogenannten adnominalen possessiven Dativ werde ich eingehen.
1
Ich werde also zunächst einige Abgrenzungen des Phänomens der
Ich werde also zunächst einige Abgrenzungen des Phänomens der
adnominalen Possessivität vornehmen,
mich dann den Ausdrucksavarianten zuwenden, besonders dem
possessiven Dativ und fragen, wo in hessischen Dialekten und unter
welchen Bedingungen er aktuell verwendet wird. Dazu werde ich die
ein oder andere These präsentieren, die in meinen Schlussfolgerungen
zusammenlaufen.
2
Sie sehen auf diesem Bild ein Reiterstandbild auf einem Sockel und Volk.
Der Reiter stellt König Ernst August von Hannover dar (nicht der sogenannte
Der Reiter stellt König Ernst August von Hannover dar (nicht der sogenannte
Prügel- und Pinkelprinz, sondern einen meines Wissens eher
unbescholtenen Vorfahren).
In den Sockel eingraviert steht dort: „dem Landesvater sein treues Volk“.
Unsere standardsprachliche Kompetenz sagt und, dass dies kein
vollständiger sprachlicher Ausdruck sein kann und dass diese Zeichenkette
als Teil eines komplexeren sprachlichen Ausdrucks verstanden werden
muss, der auf die Beziehung von Standbild, Landesvater und Volk referiert
und etwa „Dieses Standbild widmet dem Landesvater sein treues Volk“
lauten könnte.
Nun sind aber möglicherweise manche unter uns, die es wissen oder getan
haben: nämlich diesen Ausdruck zunächst anders zu interpretieren, nämlich
als einen nominalen Ausdruck, der auf das Volk des Landesvaters referiert,
etwa: „Hier sehen sie dem Landesvater sein treues Volk“ – Dies haben Sie
kraft einer anderen sprachlichen Kompetenz getan.
Sozusagen als Desambiguierer sagt uns enzyklopädisches Wissen nun, dass
hier lediglich die erste Interpretation zutreffen kann.
3
In der von den Bildhauern mutmaßlich intendierten Interpretation
haben wir also zwei Nominalphrasen, die jeweils vom Verb regiert
haben wir also zwei Nominalphrasen, die jeweils vom Verb regiert
werden, so dass der Satz eine Relation zwischen den Nominalphrasen
ausdrückt.
Hierbei handelt es sich also um eine adverbale ditransitive
Konstruktion.
Bei der Konstruktion, die auf Basis von Kompetenzen unterhalb der
Standardsprache erkannt werden könnte, der hier aber
höchstwahrscheinlich nicht zutrifft, hängt nur eine Nominalphrase vom
Verb ab, die andere hängt von dieser NP ab.
Hierbei handelt es sich um eine adnominale Abhängigkeit, und da sie
possessiven Charakters ist, um adnominale Possessivität.
Permutationstests demonstrieren, dass die Ausdrücke für den
Landesvater und das Volk in der adverbalen ditransitiven Konstruktion
zwei Konstituenten darstellen und im Falle der adnominalen
Possessivität eine komplexe Konstituente.
4
Nachdem wir nun geklärt haben, was bei adnominaler Possessivität
das „adnominale“ ausmacht, will ich nun versuchen, „
Possessivität
das „adnominale“ ausmacht, will ich nun versuchen, „
Possessivität
semantische Domäne zu charakterisieren.
Ich will versuchen, Possession im engeren Sinne von Lokation bzw.
Ablation und Meronymie abzugrenzen. Lokation bzw. Ablation kann
man charakterisieren als räumliche Beziehung zwischen einem
Lokatum – etwas, das verortet ist – und einer Lokation – einem Ort. Ich
habe das hier in Form von abstrakten logischen Strukturen
auszudrücken versucht. Ein Beispiel dafür ist die Relation zwischen
dem Hund und Harald, wenn der Hund bei Harald ist.
Bei Meronymie handelt es sich um eine Relation zwischen einem Teil
und einem Ganzen. Ich habe diese Relation als eine des Teilhabens
charakterisiert in dem Sinne, dass das Teil am Ganzen teilhat, wie die
Stoßstange am Auto.
Die Relation zwischen einem Possessor und einem Possessum ist eine
echte possessive Relation. Was Possessor und Possessum ausmachen,
bleibt hier zunächst noch offen, aber negativ definiert ist Possession
weder mit Lokation noch mit Meronymie identisch.
5
Sie sehen hier eine einfache Variante der sogenannten
Sie sehen hier eine einfache Variante der sogenannten
Belebtheitshierarchie sowie semantische Merkmale, die in der
Literatur als idealtypische Merkmale der beiden Pole dieser Hierarchie
diskutiert werden.
Wir können nun Lokation, Meronymie und Possession dadurch
voneinander abgrenzen, indem wir fragen, welche Eigenschaften die in
diesen Relationen involvierten Entitäten haben müssen oder
idealerweise haben, und zwar in Bezug auf unsere Wahrnehmung.
Ein Lokatum muss in jedem Fall als Objekt identifizierbar und
individuiert sein. Es muss keine der anderen Bedingungen erfüllen.
Diese Merkmale schließen aus, dass es sich bei einem Lokatum um
eine Menge oder etwas Abstraktes handelt.
6
Die Lokation dagegen muss in der Wahrnehmung als Grund fungieren
Die Lokation dagegen muss in der Wahrnehmung als Grund fungieren
– dasjenige Identifizierbare, gegen das die Figur abgegrenzt wird. Die
Lokation-Entität muss keine weitere Bedingung erfüllen.
7
Schauen wir uns die
meronymische
Relation an, so können wir über
Schauen wir uns die
meronymische
Relation an, so können wir über
die Teil-Entität genau das Gleiche sagen wie über das Lokatum.
8
Über das Ganze können wir das Gleiche sagen wie über die Lokation.
Über das Ganze können wir das Gleiche sagen wie über die Lokation.
Heißt das, dass Lokation und Meronymie identisch sind?
9
Offensichtlich taugen die genannten Kriterien nicht für eine Abgrenzung der
beiden. Man kann es aber anders erfassen: Während alle Teile eines Ganzen
beiden. Man kann es aber anders erfassen: Während alle Teile eines Ganzen
in ihrer räumlichen Lage zueinander beschrieben werden können (also als
lokative Relation), kann nicht jede lokative Relation auch als Teil-Ganzes-
Relation beschrieben werden.
Das hängt daran, dass die Entitäten einer meronymischen Relation inhärent
relational sind, während die Relation zwischen Lokatum und Lokation
etabliert ist. Inhärenz und Etablierung sind das, was in der
Possessivitätsliteratur als Inalienabilität und Alienabilität kursiert.
So ist kognitiv ein Bein inhärent relational oder inalienabel. Es ist immer
bzw. als kognitiver Default, Teil von etwas. Die Ausdrücke „Haralds Bein
und etwas weniger „das Bein von Harald“ kodieren inalienable Relationen.
Es ist bei diesen Ausdrücken klar, dass hier Haralds Bein sich zu Harald
verhält wie mein Bein sich gerade zu mir verhält.
Dies ist nicht der Fall bei „Das Bein an Harald“, weil dieser Ausdruck eine
alienable Relation (eine lokative) kodiert. Der Ausdruck ist seltsam, weil wir
ihn als lokative Relation interpretieren, obwohl Beine doch meronymische
Relationen anzeigen. So kommt eine Implikatur zustande, die suggeriert, ein
fremdes Bein oder ein Holzbein sei an Harald.
10
Wenn wir uns nun die Bedingungen betreffend
Possessoren
und
Wenn wir uns nun die Bedingungen betreffend
Possessoren
und
Possessa anschauen, sehen wir, dass sie viel restringierter sind.
Possessoren müssen individuiert sein, kontrollfähig, empfindungsfähig,
dem Selbst ähnlich. Dies schließt unbelebte Entitäten, Mengen und
Abstrakta bereits aus.
11
Possessa
müssen dagegen lediglich
individuiert
und Figuren in der
Possessa
müssen dagegen lediglich
individuiert
und Figuren in der
Wahrnehmung sein – genau wie Lokata und Teile von Ganzen.
12
Zusammengefasst heißt das, dass Possession sich durch die
Zusammengefasst heißt das, dass Possession sich durch die
semantischen Implikationen der Belebtheitshierarchie von Lokation
und Metonymie unterscheiden lässt, und dass Lokation und
Meronymie durch relationale Inhärenz unterscheidbar sind.
13
Mengentheoretisch kann man formulieren:
Mengentheoretisch kann man formulieren:
14
Ich gehe nun weg von der Variable adnominale
Possessivität
hin zu den
Ich gehe nun weg von der Variable adnominale
Possessivität
hin zu den
Ausdrucksvarianten dieser Relationstypen:
Wie werden diese Typen von Relationen also kodiert?
Hier ist eine Aufstellung der wichtigsten Ausdrucksvarianten
adnominaler Possessivität für die Standardsprache. Wir können Sie
nicht im einzelnen besprechen, aber Sie werden die wichtigsten
erkennen.
PR und PM stehen für Possessor und Possessum, Gen, Dat, Akk für
Kasusmarkierungen, Det für Determinierer.
15
Wenn wir nun in den Substandard und das gesamte Spektrum
Wenn wir nun in den Substandard und das gesamte Spektrum
darunter bis in den Ortsdialekt schauen, verändert sich das Bild ein
wenig.
Zunächst verschwinden die Genitivvarianten.
Zentral ist, dass eine neue Variante hinzutritt, die ebenfalls vom
Kasussystem abhängig in unterschiedlicher Gestalt auftritt und
eventuell noch den Genitiv aufweist.
Dann treten die verbleibenden Konstruktionen in Abhängigkeit von
den betreffenden Kasussystemen auf,
z.B. die „von“-Variante mit Dativ, wo vorhanden, und wenn nicht
vorhanden, mit Akkusativ und wo beide nicht mehr vorhanden, mit
Einheitskasus (E).
16
Das ist der sogenannte possessive Dativ.
Das ist der sogenannte possessive Dativ.
Sogenannt deshalb, weil die Bezeichnung unpräzise ist: Es scheint eine
implikationale Hierarchie zu geben, die sagt, dass die Konstruktion mit
Genitiv auftritt, wo die Varietät den Genitiv noch besitzt, mit Dativ, wo
der Genitiv abgebaut ist, mit Akkusativ, wo Genitiv und Dativ abgebaut
sind und mit Einheitskasus, wo alle Kasus bis auf einen abgebaut sind.
Ich nenne die Konstruktion daher adnominaler possessiver GDAE und
ich werde mich im Folgenden vor allem mit ihm beschäftigen.
17
Das ist der sogenannte possessive Dativ.
Das ist der sogenannte possessive Dativ.
Sogenannt deshalb, weil die Bezeichnung unpräzise ist: Es scheint eine
implikationale Hierarchie zu geben, die sagt, dass die Konstruktion mit
Genitiv auftritt, wo die Varietät den Genitiv noch besitzt, mit Dativ, wo
der Genitiv abgebaut ist, mit Akkusativ, wo Genitiv und Dativ abgebaut
sind und mit Einheitskasus, wo alle Kasus bis auf einen abgebaut sind.
Ich nenne die Konstruktion daher adnominaler possessiver GDAE und
ich werde mich im Folgenden vor allem mit ihm beschäftigen.
18
Und zwar zuerst mit der Frage, wo er auftritt. Ich habe mir Wenkersatz 33: „Sein Bruder
will sich zwei schöne neue Häuser in eurem
Garten bauen.“ angeschaut, worin die
will sich zwei schöne neue Häuser in eurem
Garten bauen.“ angeschaut, worin die
Variable „sein Bruder“ vorkommt. Dank an Alexander Werth für den Hinweis.
Ich habe die Karte von „sein“ nach Belegen der Variante „ihm sein“ und „dem sein“
durchsucht und die abgebildete Verbreitung gefunden.
19
Hier habe ich die Ortspunkte noch einmal auf die Verwaltungsgliederung Deutschlands
projiziert.
projiziert.
Was den Ursprung der Konstruktion betriff, so sind die historischen Quellen, d.h. frühere
Sprachstufen zu unter-untersucht, um Schlüsse zulassen zu können.
Ich möchte daher aus dem dialektgeographischen Befund die folgende These ableiten:
20
Und genau das haben wir im Rahmen des Projekts Syntax hessischer
Und genau das haben wir im Rahmen des Projekts Syntax hessischer
Dialekte überprüft.
21
Zu den Varianten adnominaler
Possessivität
generell und im Speziellen
Zu den Varianten adnominaler
Possessivität
generell und im Speziellen
zur Verbreitung des adnominalen possessiven GDAEs habe ich
Aufgaben dieses Typs konzipiert.
Diese Aufgabenstellung erlaubt es den Informanten, jede der
Ausdrucksvarianten zu benutzen, die ich vorhin aufgelistet habe, und
zwar für das gesamte Spektrum von der Standardsprache bis zum
Ortsdialekt.
Im weiteren werde ich keine Zeit haben, die ganzen Aufgaben
vorzulesen. Sie funktionieren alle nach demselben Prinzip. Lenken Sie
Ihre Aufmerksamkeit daher vor allem auf die jeweiligen Possessoren
und Possessa.
Dies ist das Ergebnis für diese Frage.
22
Blautöne
stehen für „von“
-
Varianten: „die Tochter vom Bürgermeister“
Blautöne
stehen für „von“
-
Varianten: „die Tochter vom Bürgermeister“
oder „vom Bürgermeister die Tochter“.
Rot steht für den possessiven GDAE: „dem Bürgermeister seine
Tochter
Grüntöne stehen für Genitivattribute des Standards: „die Tochter des
Bürgermeisters“ bzw. „des Bürgermeisters Tochter“.
Man sieht, dass die Genitiv-Standardvarianten so gut wie abwesend
sind,
dass „von“-Varianten sehr häufig und überall auftreten,
und dass der possessive GDAE fast überall auftritt, im Norden Hessens
aber seltener.
Außerhalb Hessens ist er im Süden häufig, im Norden abwesend.
23
Ein zweites Beispiel interferiert mit einer zweiten Variable, nämlich
Ein zweites Beispiel interferiert mit einer zweiten Variable, nämlich
dem Genus weiblicher Personen, die in vielen Dialekten durch Neutra
ausgedrückt werden. Dies sollte sich im Artikel vor dem Namen sowie
im Possessivpronomen zeigen.
In dieser Aufgabe ist also „Gertrud“ Possessor und „Brille“ Possessum.
24
Blautöne
sind wieder von
-
Varianten, Grün steht für das Genitivattribut.
Blautöne
sind wieder von
-
Varianten, Grün steht für das Genitivattribut.
Rot steht für den possessiven GDAE mit dem Possessivum „ihre“: „der“
oder „dem Gertrud ihre Brille“:
Gelb steht für den possessiven GDAE mit dem Possessivum „seine“:
„der“ oder „dem Gertrud seine Brille“:
Wir sehen erstens die gleiche weite Verbreitung des possessiven
GDAEs wie eben und zweitens klare Areale, was das Genus Gertruds
betriff.
Ohne mich zu weit aus dem Fenster lehnen zu wollen, scheinen sich
diese beiden großen Areale auch bei anderen SyHD-Phänomenen
abzuzeichnen.
25
Nach diesem kurzen Überblick zur Verbreitung des possessiven GDAEs
werde ich nun schauen, welche semantischen Relationen eigentlich
werde ich nun schauen, welche semantischen Relationen eigentlich
von den belegten sprachlichen Varianten ausgedrückt werden.
Es scheint einen weit verbreiteten Konsens darüber zu geben, unter
welchen Bedingungen der possessive GDAE gebraucht werden kann.
Ich habe das hier tentativ als den status quo im gegenwärtigen
Substandard charakterisiert. Der possessive GDAE kann nur „echte“
possessive Relationen ausdrücken. Wir haben vorhin gesehen, dass die
Bedingung für eine possessive Relation die Belebtheit des Possessors
ist.
Das N-N-Kompositum drückt dagegen meronymische und eventuell
lokative Relationen aus (Tischleuchte, Bettpfanne, Baumkrone).
Die „von“-Variante wird verwendet, um alle von mir aufgelisteten
Relationen auszudrücken.
Schließlich wird die Variante mit „bei“ und „an“ (man denke an: „das
Bein an Harald“) für lokative Varianten verwendet.
26
Davon ausgehend möchte ich eine weitere These formulieren:
Davon ausgehend möchte ich eine weitere These formulieren:
Ich habe erwähnt, dass der possessive GDAE echte Possessivität
ausdrückt, deren Bedingung Belebtheit des Possessors ist.
Das umfasst die belebten Entitäten auf der Belebtheitshierarchie.
Meine These ist, dass der adnominale possessive GDAE
grammatikalisiert wird, die semantischen Restriktionen in seinem
Gebrauch nehmen ab.
Die Folge ist: Er kann zunehmend auch bei nicht-belebten Possessoren
verwendet werden, wodurch er folglich allmählich auch zur
Ausdrucksvariante für meronymische Relationen wird.
27
Davon ausgehend möchte ich eine weitere These formulieren:
Davon ausgehend möchte ich eine weitere These formulieren:
Ich habe erwähnt, dass der possessive GDAE echte Possessivität
ausdrückt, deren Bedingung Belebtheit des Possessors ist.
Das umfasst die belebten Entitäten auf der Belebtheitshierarchie.
Meine These ist, dass der adnominale possessive GDAE
grammatikalisiert wird, die semantischen Restriktionen in seinem
Gebrauch nehmen ab.
Die Folge ist: Er kann zunehmend auch bei nicht-belebten Possessoren
verwendet werden, wodurch er folglich allmählich auch zur
Ausdrucksvariante für meronymische Relationen wird.
28
Davon ausgehend möchte ich eine weitere These formulieren:
Davon ausgehend möchte ich eine weitere These formulieren:
Ich habe erwähnt, dass der possessive GDAE echte Possessivität
ausdrückt, deren Bedingung Belebtheit des Possessors ist.
Das umfasst die belebten Entitäten auf der Belebtheitshierarchie.
Meine These ist, dass der adnominale possessive GDAE
grammatikalisiert wird, die semantischen Restriktionen in seinem
Gebrauch nehmen ab.
Die Folge ist: Er kann zunehmend auch bei nicht-belebten Possessoren
verwendet werden, wodurch er folglich allmählich auch zur
Ausdrucksvariante für meronymische Relationen wird.
29
Ich werde versuchen, das am Beispiel der folgenden
SyHD
-
Aufgabe zu
Ich werde versuchen, das am Beispiel der folgenden
SyHD
-
Aufgabe zu
demonstrieren. Was ich in dieser Aufgabe gemacht habe ist,
systematisch an der Belebtheitsschraube des Possessors zu drehen.
Wir haben hier einen unbelebten Possessor. Das hieße, wir würden
hier die sprachlichen Varianten erwarten, die zum Ausdruck
meronymischer und lokativer Varianten gebraucht werden.
30
Was wir tatsächlich sehen, sind in der Tat überwiegend blaue „von
-
Was wir tatsächlich sehen, sind in der Tat überwiegend blaue „von
-
Varianten.
Wir sehen allerdings vor allem im Rheinfränkischen und sich ins
Zentralhessische und Osthessische erstreckende rote Punkte für
possessive GDAEs, die im Einklang mit der Grammatikalisierungsthese
stehen. Nach Norden und Westen hin werden die roten und Punkte
sehr dünn.
(Hier deuten sich die Areale aus der Frage mit Gertrud seiner Brille
wieder an.)
31
Nach diesen Befunden habe ich noch eine ähnliche Aufgabe gestellt,
Nach diesen Befunden habe ich noch eine ähnliche Aufgabe gestellt,
die ein ähnliches Possessum aufweist, nämlich einen Arm.
Laut Belebtheitshierarchie unterscheidet sich der Possessor (ein Kran)
nicht von der Puppe – beide sind unbelebt. Allerdings unterscheiden
sie sich in dem Merkmal [+ ähnlich zum Selbst].
32
Was wir sehen, sind „von
-
Varianten und einen einzigen possessiven
Was wir sehen, sind „von
-
Varianten und einen einzigen possessiven
GDAE. Widerspricht das der Grammatikalisierungsthese?
Anders gefragt: Wie ist der Kontrast zur Aufgaben mit der Puppe ihrem
Fuß zu interpretieren?
33
Die Lösung, die ich vorschlagen möchte, ist in diesem Fall, die
Die Lösung, die ich vorschlagen möchte, ist in diesem Fall, die
Belebtheitshierarchie als eine Skala von als dem Selbst ähnlich
wahrgenommene Entitäten zu behandeln, möglicherweise im Sinne
der in den 70ern prominenten Empathy-Hierarchy.
Die Einheit „inanimateauf dieser Hierarchie würde dann eine
Subklassifikation erfordern in dem Sinne, dass etwa eine Puppe
unterhalb von „animate“ und oberhalb von „mass“ rangieren würde,
sowie innerhalb von „inanimateoberhalb von beispielsweise „Kran“.
Die Grammatikalisierung des possessiven GDAEs würde sich
dementsprechend auf der Belebtheitshierarchie nach unten arbeiten,
gleichzeitig aber ebenfalls innerhalb der Sub-Struktur der „inanimate“-
Einheit.
34
Vielleicht in Zusammenhang mit der Grammatikalisierung der
Vielleicht in Zusammenhang mit der Grammatikalisierung der
gesamten Konstruktion des possessiven GDAEs steht, so meine letzte
These, die Grammatikalisierung des Possessivpronomens innerhalb der
Konstruktion. Präziser formuliert weist dieses Pronomen Merkmale
der Grammatikalisierung auf.
Das Possessivpronomen ist referentiell redundant, d.h. in „dem
Landesvater sein treues Volk“ referiert es erneut auf den Landesvater,
auf den bereits durch die NP „dem Landesvaterverwiesen ist.
Die Merkmale der Grammatikalisierung sind der Verlust der
Genuskongruenz mit dem Possessor und damit der Verlust der
besitzanzeigenden Funktion als Ganze.
Möglicherweise ist der Ursprung dieser
Grammatikalisierungsentwicklung im Hessischen nicht oberdeutschen
Ursprungs. Man kann spekulieren, ob dies kausal mit der Arealität der
Gertrud-Brille und Puppe-Fuß Aufgaben verbunden ist.
35
Aber hier
erstmal
die Aufgabe zu dieser These.
Aber hier
erstmal
die Aufgabe zu dieser These.
Die Aufgabe kann nicht nur zum Testen der Akzeptanz des possessiven
GDAEs im Hessischen und dem Genus weiblicher Personennamen
dienen, sondern auch zum Stand der Grammatikalisierung des
Possessivpronomens.
Wo weibliche Personennamen feminines Genus haben, würde (a)
präferiert werden. Wo sie neutrales Genus haben, würde (d) präferiert
werden.
Ebenfalls zumindest vorstellbar ist Kongruenz des Possessivpronomens
mit dem Sexus des Possessors, resultierend in einer Präferenz für (b).
Eine Präferenz für [c] dagegen spräche für den Verlust des
Genusmerkmals und der Referenz- und Possessivfunktionen des
Pronomens.
36
Wir sehen mit Bezug auf das Genus des
Possessors
ähnliche Areale wie
Wir sehen mit Bezug auf das Genus des
Possessors
ähnliche Areale wie
in den Gertrud-Brille- und Puppe-Fuß-Aufgaben.
Was die Beziehung zwischen dem Genus des Possessors und dem des
Possessivpronomens betrifft, so finden wir alle vier Varianten.
Interessanterweise finden wir die Variante [c], hier blau eingefärbt,
recht zahlreich, und zwar, wie es scheint, zwischen einem westlichen
„dem-Monika-sein-Rad“-Gebiet und einem östlichen „der-Monika-ihr-
Rad“-Gebiet, also grob gesprochen zwischen den Arealen, die wir
bereits vorher gesehen haben.
37
Um meine Thesen zusammenzufassen:
Um meine Thesen zusammenzufassen:
38
Diese Thesen beruhen auf den folgenden Annahmen:
-Es gibt bestimmte unveränderliche semantische Merkmale, die in
notwendiger Weise mit bestimmten Konzepten verbunden sind:
Possession, Meronymie, Lokation. In dieser Beziehung sind
Veränderungen ausgeschlossen.
Die Konzepte wiederum sind synchron in kontingenter Weise, aber in
diachron gerichtetem, d.h. nicht-zufälligem Wandel mit sprachlichen
Varianten assoziiert.
Im Falle des adnominalen possessiven GDAEs besteht dieser Wandel in
der Grammatikalisierung der Konstruktion entlang der
Empathiehierarchie.
39
40
41
Wo tritt die Konstruktion also sprachgeographisch auf?
Wo tritt die Konstruktion also sprachgeographisch auf?
Eine Durchsicht der beiden Arbeiten von Henn-Memmesheimer und
Weise fördert zutage, dass die Konstruktion überwiegend im
Oberdeutschen auftritt, d.h. im Alemannischen und im Bairischen,
wobei auch Duisburg, Westfälisch, Westfalen, Mecklenburg, Pommern
und Böhmen genannt werden.
Die rotgefärbten Ortsnamen oder Regionen sind dabei solche, die sich
nicht mit meiner folgenden Auszählung decken.
42
... Zudem wird ha ufig angenommen, dass sie nur durch belebte Possessoren lizenziert wird(z.B. Wegener 1985: 49, Behaghel 1923, was aberKasper (2015aKasper ( , 2017 am Beispiel der hessischen Dialekte widerlegt hat, indem er ihren Gebrauch mit unbelebten, aber anthropomorphen Possessoren nachgewiesen hat.Kasper (2015b: 82) vermutet auf Basis der Beobachtungen zu den hessischen Dialekten, dass die Konstruktion an der Belebtheits-/Empathiehierarchie abwa rts grammatikalisiert wird, indem die Restriktion auf belebte Possessoren abgebaut wird. So dru ckt die Konstruktion nicht mehr nur Besitz im engeren Sinne, sondern zunehmend auch Teil/Ganzes-Beziehungen aus. ...
Presentation
Full-text available
Syntaktische Konstruktionen sind sprachgeographisch erfahrungsgemäß viel großräumiger differenziert als beispielsweise phonologische und lexikalische Varianten. Dennoch besteht auch in Bezug auf sie eine komplexe historische Dynamik zwischen der Standardsprache („erste Liga“), den historischen Ortsdialekten („dritte Liga“) und den Varietäten „unterhalb“ der Ersteren und „oberhalb“ der Letzteren – den Regiolekten („zweite Liga“). Die erste Liga musste sich langzeitdiachronisch erst auf Basis der Konstruktionen der unteren Ligen konstituieren. Seit das Deutsche über eine voll ausgebildete, überdachende, geschriebene und sekundär oralisierte Standardsprache verfügt, besteht zusätzlich auch die Möglichkeit, dass Konstruktionen der ersten Liga in der Kurzzeitdiachronie in die unteren Ligen wandern. So wird die regionalsprachliche Vertikale zum Schauplatz von „Relegations“dynamiken. Diese Dynamiken sind Gegenstand des Arbeitsbereichs „(Morpho-)Syntax der deutschen Regionalsprachen“ als Teil des Langzeitprojekts „Regionalsprache.de“ (REDE). Im Arbeitsbereich werden erstmals die Varianten zahlreicher (morpho-)syntaktischer Variablen flächendeckend für den ganzen bundesrepublikanischen Raum und darüber hinaus erhoben. Für dieses primär synchronische Vorhaben kommt in fünf Erhebungsrunden die indirekte Erhebung via Online-Fragebogen zum Einsatz. Gewährspersonen aller Couleur – d.h. ohne Vorselektion nach soziodemographischen Kriterien – füllen diese Fragebögen in ihrer „vertrautesten Sprechweise“ aus und wählen dafür zwischen „Dialekt/Mundart/Platt“ (~ Dialekt), „regional gefärbter Umgangssprache“ (~ Regiolekt) und „Hochdeutsch“ (~ Standarddeutsch). Aus den Resultaten entsteht ein „(Morpho-)Syntaktischer Atlas der deutschen Regionalsprachen“. Ein digitaler Zwischenstand (ca. 350 Einzelkarten) ist in Kasper, Pheiff & Kammers (2024ff.) einsehbar. In einer sekundären Hinsicht eignen sich die Erhebungsdaten für Analysen kurz-zeitdiachronischer dynamischer Prozesse in apparent time. Dabei wird erkennbar, wel-che Konstruktionen (beziehungsweise Varianten) sich wie und unter welchen Bedingungen in der Relegation zwischen erster und dritter Liga befinden. Im Vortrag wird dies beispielhaft an bestimmten Varianten der Variable „adnominale (attributive) Possession“ und der Variable „fokussierter Rezipient in Transferereignissen“ demonstriert. Diese Variablen sind besonders interessant in Bezug auf das moderne Standarddeutsche, weil der sogenannte „possessive Dativ“ seit einiger Zeit Ambitionen zum Erstligaaufstieg anmeldet beziehungsweise das sogenannte „Rezipientenpassiv“ einen relativ jungen Erstligisten darstellt. In Bezug auf beide Konstruktionen (aber auch andere) spiegeln generationelle Gebrauchsunterschiede verschieden weit forgeschrittenes Relegationsgeschehen wider (Grammatikalisierung) und erlauben educated guesses über zukünftige Ligazugehörigkeiten. Darüber hinaus suggerieren synchronische Raumbilder, die sich aus der separaten, synchronischen Analyse der verschiedenen Sprechergruppen (Dialekt, „regional gefärbte Umgangssprache“, „Hochdeutsch“) ergeben, bestimmte Relegationsynamiken – als in den Raum projiziertes, gerichtetes Auf- und Abstiegsgeschehen (Grammatikalisierungspfade im Raum).
Article
Full-text available
By means of the first comprehensive apparent-time study of Austria's traditional dialects, this paper explores the use of adnominal syntactic constructions of expressing the semantic relation of possession. The article focuses on both the geographical variation and the interplay of syntax, semantics, and pragmatics. The analyses are based on data from direct recordings of 162 speakers from forty villages and on written questionnaire data from 103 of these speakers from thirty-seven villages. The analyses reveal clear geographical patterns for those constructions in which the possessor phrase precedes the possessum phrase within the entire construction. We propose to focus on the discursive-pragmatic properties of the possessor phrase to explain the fact that each of the observed dialects allows the possessor to precede the pos-sessum. We provide evidence that referential anchoring, combined with the concept of accessibility, is the key to explaining the syntactic order within the used constructions.
Chapter
Full-text available
Die publizierte Textfassung findet sich hier: <https://www.uni-marburg.de/de/fb09/dsa/einrichtung/personen/wissenschaftler/kasper/publikationen-und-vortraege>
ResearchGate has not been able to resolve any references for this publication.