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Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 1
Beratung Aktuell
Zeitschrift für Theorie und Praxis in der Beratung
Jahrgang 15, Heft 3/2014
Inhalt
Editorial 2
Hendrik Wahler: Was ist Philosophische Lebensberatung? Eine philosophische
Begriffsbestimmung 3
Silvia Henninger, Cindy Höhn, Christian Roesler, Eva-Maria Bitzer & Michael M. Berner:
Erektionsstörungen – Und was ist mit den Partnerinnen? 61
Buchbesprechungen 81
Impressum 89
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 2
Editorial
Zwei Beiträge und Buchbesprechungen bestimmen den In-
halt dieser Ausgabe aus. Damit betritt Beratung Aktuell Neuland und
möchte die Tür auch für umfangreichere Arbeiten öffnen. Diese
Möglichkeit ist ohne größeren Aufwand durch die Art der Veröffentli-
chung gegeben. Wir würden gern dazu von Ihnen eine Stellung-
nahme bekommen, wie Sir diese Öffnung beurteilen.
Hendrik Wahler führt uns mit seinem Beitrag Was ist Philo-
sophische Lebensberatung? Eine philosophische Begriffsbestim-
mung in ein Arbeits- und Denkfeld ein, welches eher unbekannt ist.
Gleichzeitig ist festzustellen, dass dieser Ansatz nicht direkt mit dem
Beratungsverständnis kompatibel ist, das z.B. von der Deutschen
Gesellschaft für Beratung vertreten wird, in welcher wichtige Ver-
bände und Beratungsorganisationen zusammengeschlossen sind.
Gleichwohl kann die Lektüre dieses Beitrags dazu führen, die eige-
ne Position neu zu bestimmen und vielleicht auch Impulse grund-
sätzlicher Art zu empfangen, die sich auf die ethischen Anteile unse-
res beraterischen Handelns beziehen. Hinzu können Aspekte kom-
men, die sich auf Klienten beziehen, die eine Lebensplanung vor-
nehmen möchten und dies ohne bzw. nicht ausschließlich aus reli-
giösen Kontexten tun wollen. Hier können Anregungen für die eige-
ne Reflexion gewonnen werden.
Silvia Henninger, Cindy Höhn, Christian Roesler, Eva-Maria
Bitzer & Michael M. Berner bearbeiten das Thema: Erektionsstörun-
gen – Und was ist mit den Partnerinnen? Bedürfnisse, Erwartungen
und Unterstützung von Frauen, deren Partner unter Erektionsstö-
rungen leiden. Auf der Grundlage von Interview mit betroffenen
Partnerinnen wird ein erster Versuch unternommen, die Erfahrun-
gen und Wünsche der immer auch betroffenen Frauen zu erfassen
und auszuwerten. Dies geschieht in einer Weise, die aufmerksam-
keitsfördernd sein kann, wenn im eigenen Beratungsalltag Klienten
mit vergleichbaren Fragestellungen und Unterstützungswünschen
die Stelle aufsuchen. Vielleicht birgt diese Perspektive insbesondere
für männliche Berater Impulse.
Dr. Notker Klann
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 3
Hendrik Wahler
Was ist Philosophische Lebensberatung?
Eine philosophische Begriffsbestimmung
1. Einleitung
Unter der Bezeichnung „Philosophische Praxis“ nimmt seit
den 1980er Jahren eine weltweite Bewegung die immer wieder in
Vergessenheit geratene, aber bis in die Antike zurückgehende Be-
strebung wieder auf, Philosophie als ein auf die lebensweltliche
Praxis ausgerichtetes Unternehmen zu konzipieren.
1
Die Philoso-
phische Praxis intendiert in diesem Sinne, die tendenziell praxisfer-
ne und selbstgenügsame akademische Philosophie um ihre prakti-
sche Anwendung zu ergänzen und damit gleichsam zu vervollstän-
digen. In ihren verschiedenen Formen – Lebensberatung, Wirt-
schaftsberatung, ethische Beratung, Vorträge, Philosophische Cafés
u.v.a.m. – ist die Philosophische Praxis daher als Versuch zu ver-
stehen, die Lücke zwischen dem akademisch-intellektuellen Denken
und den konkreten individuellen bzw. kollektiven Bedürfnissen unse-
rer Zeit zu überbrücken.
Thomas Gutknecht, Präsident der Internationalen Gesell-
schaft für Philosophische Praxis (IGPP), stellt aber auch nach dem
25-jährigen Bestehen der Philosophischen Praxis ein „großes Theo-
riedefizit“
2
fest: „Die offenen Fragen sind zahlreich. Systematisch
wiegt am schwersten, dass ein Begriff von Philosophischer Praxis
fehlt.“
3
Was für die Philosophische Praxis im Allgemeinen gilt, das
trifft insbesondere auch auf diejenige spezielle Form solcher Praxis
zu, die den Gegenstand der vorliegenden Arbeit darstellt: die Philo-
sophische Lebensberatung. Versuche einer Begriffsbestimmung fin-
den sich zwar viele, eine zureichende philosophische Begriffsbe-
1
Dieser Aufsatz basiert auf dem – für die Zwecke dieses Aufsatzes angepassten –
Originaltext aus meiner Monographie „Philosophische Lebensberatung“ (Wahler 2013).
Ich danke dem Tectum-Verlag für die freundliche Genehmigung zum Wiederabdruck
der entsprechenden Passagen.
2
Gutknecht 2006, S. 184; s. dazu auch Brandt 2010, S. 69, Fenner 2005, S. 35,
Ruschmann 1999a, S. 7.
3
Gutknecht 2006, S. 184.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 4
stimmung steht aber noch aus. Die Antwort auf die Frage, was ge-
nau denn die Philosophische Lebensberatung ist – und auch was
sie nicht ist –, kann hier also nicht einleitend vorausgeschickt wer-
den, sondern stellt vielmehr das Ziel dieses Aufsatzes und gleich-
sam das wichtigste wie dringlichste Desiderat der Philosophie Philo-
sophischer Lebensberatung dar.
Zu diesem Zweck soll zunächst begriffsanalytisch geklärt
werden, was unter „Beratung“ und „Lebensberatung“ zu verstehen
ist (2.1). Dazu bedarf es auch einer Analyse des Verhältnisses von
Berater und Klient (2.2). Anschließend werden mögliche Anwen-
dungsgebiete der Philosophischen Lebensberatung vorgestellt (2.3).
Die Bestimmung des Philosophischen dieser Lebensberatung ist
weitaus komplizierter, da sich die Philosophie grundsätzlich nicht
aus einer Außenperspektive heraus bestimmen lässt – wer über
Philosophie nachdenkt, der philosophiert bereits, ist also schon in
der Philosophie (3.1). Dies erfordert eine innenperspektivische Ana-
lyse, die schließlich in den Entwurf einer lebensberaterischen Philo-
sophie mündet (4.1). Auf dieser Grundlage können nun auch Theo-
rien und Methoden der Philosophischen Lebensberatung expliziert
(4.2) und ihr philosophischer Charakter bestimmt werden (4.3).
Nachdem die Verbindlichkeit der vorgenommenen Begriffsbestim-
mung herausgestellt wurde (4.4), erfolgt eine zusammenfassende,
philosophisch begründete Antwort auf die Frage nach dem, was Phi-
losophische Lebensberatung ist (4.5).
2. Außenperspektivische Begriffsbestimmung der
Philosophischen Lebensberatung
Anhand von Gütekriterien eines philosophischen Begriffs
4
soll zunächst eine philosophische Begriffsbestimmung der Philoso-
phischen Lebensberatung aus der Außenperspektive der Philoso-
phie erfolgen, die gemäß dem Kriterium der Nicht-Zirkularität und
Bestimmtheit elementarer Ausdrücke erarbeitet, was an ihr lebens-
beraterisch (2.1); gemäß dem Kriterium der Schärfe und Verständ-
lichkeit ihre Personen und deren Verhältnis (2.2), ihren Gegenstand
sowie ihre Anwendungsgebiete und Ziele entfaltet (2.3) sowie ge-
mäß der Forderung nach einer abgrenzenden Funktion ihre termino-
4
Vgl. zur Begründung dieser Kriterien Wahler 2013, Kap. 3.
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logische und systematisch-disziplinäre Einordnung leistet. Die Fra-
gen nach dem Philosophischen dieser Lebensberatung wird die au-
ßenperspektivische Betrachtung (2.4) in die innenperspektivische
Begriffsbestimmung überführen (3). Wir begeben uns nun auf den
Weg von der Form zum Inhalt des philosophischen Begriffs Philoso-
phischer Lebensberatung.
2.1 Das Lebensberaterische der Philosophischen
Lebensberatung
Eine analytisch-sezierende Vorgehensweise bei der philo-
sophischen Begriffsbestimmung erfordert gemäß der Bedingung der
Nicht-Zirkularität und Bestimmtheit elementarer Ausdrücke die Er-
läuterung der Teilausdrücke des Begriffs „Philosophische Lebensbe-
ratung“. Hier soll der Weg von den Beratungsdisziplinen aus gegan-
gen werden, was zunächst die Klärung der Begriffe „Beratung“ und,
darauf aufbauend, „Lebensberatung“ erfordert.
2.1.1 Der Begriff der Beratung
Die wohl einschlägigste Definition von „Beratung“ stammt
von Luitgard Brem-Gräser:
Beratung im hier verstandenen Sinne ist eine professionelle, wissen-
schaftlich fundierte Hilfe, welche rat- und hilfesuchenden einzelnen und
Gruppen auf der Basis des kommunikativen Miteinander vorbeugend, in
Krisensituationen sowie in sonstigen Konfliktlagen aktuell und nachbe-
treuend, dient.
5
Beratung ist also zunächst eine menschliche Tätigkeit; genauer: eine
Hilfe, die wissenschaftlich fundiert ist, deren Mittel die Kommunikation
darstellt, und die präventiv (vorbeugend und nachsorgend) und kurativ
bzw. generativ (begleitend und nachsorgend) bei Problemen (Krisen
und Konflikten) eingesetzt wird. In ihr gibt es zwei Akteure: den in
dieser Definition implizit vorausgesetzten Berater und den zu beraten-
den Akteur, der eine Einzelperson oder eine Gruppe sein kann. Die
Beratung fällt für Brem-Gräser unter das Allgemeine der Intervention,
zu dem ebenfalls die Information, Unterweisung, Erziehung und The-
rapie gehört, während die Beratung aber weder Therapie noch Unter-
5
Brem-Gräser 1993, S. 15.
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weisung sei.
6
Der Ratschlag als konkrete und elementare Form der
Beratung ist nämlich keine autoritäre Aufforderung oder ein macht-
ausübender Befehl, sondern sucht gemeinsam mit dem Ratsuchen-
den eine Lösungsstrategie, die auf Einsicht seitens des Ratsuchenden
und nachvollziehbarer Begründung seitens des Beraters basiert.
7
Damit ist also ausschließlich die zweite Bedeutung von „beraten“ in
der deutschen Sprache gemeint, also nicht: jemandem einen Rat ge-
ben, sondern: sich zusammen beraten, gemeinsam besprechen und
überlegen, beratschlagen.
8
„Beratung nimmt damit dem Ratsuchen-
den die eigene Entscheidung nicht ab, aber unterstützt ihn dabei,
selbst eine Entscheidung zu treffen.“
9
Insofern kann Beratung für
Ruschmann als „Hilfe zur Selbsthilfe“
10
verstanden werden.
2.1.2 Der Begriff der Lebensberatung
Beratungen können sich auf einen speziellen Themenbe-
reich spezialisieren: In einer Drogenberatung wird man im besten
Falle Beratungsspezialisten für drogenbezogene Probleme wie Ent-
zug oder Kriminalität finden, in Charisma-Beratungen hingegen
Spezialisten für die Erreichung des Ziels, charismatisch aufzutreten.
Etablierte spezialisierte Beratungen sind z.B. die Rechtsberatung
und die (betriebswirtschaftliche) Unternehmensberatung. Lebensbe-
rater sind in diesem Sinne Berater, die auf Lebensfragen speziali-
siert sind. Lebensfragen sind solche Fragen, die Menschen alltäg-
lich und/oder existenziell bedrücken können und in der Regel allge-
meiner sind als die konkreten Fragen aller anderen spezialisierten
Beratungen. In diesem Sinne ist der Lebensberater ein Spezialist für
6
Vgl. Brem-Gräser 1993, S. 9
7
Vgl. Brem-Gräser 1993, S. 9, 16 und Krämer 1992, S. 344.
8
„be|ra|ten <st. V.; hat>: 1. jmdm. einen Rat geben: jmdn. gut, schlecht b.; in dieser
Sache will ich mich von meinem Anwalt, Fachmann b. lassen; jmdm. beratend zur Seite
stehen; eine beratende Tätigkeit ausüben; * gut/schlecht beraten sein (ugs.; [mit
einem bestimmten Verhalten] richtig / falsch handeln). 2. a) gemeinsam überlegen u.
besprechen, über etw. Rat halten: eine Angelegenheit, ein Vorhaben b.; sie haben
lange [darüber] beraten; b) beratschlagen: sie haben miteinander beraten, was zu tun
sei; c) <b. + sich> sich mit jmdm. [über etw.] besprechen: ich muss mich noch mit mei-
nem Anwalt über diese Sache b.;“ (Drosdowski 1989, S. 236). Darauf weisen z.B. auch
Thurnherr 1999, S. 215 und Ruschmann 2004, S. 144 hin. Eine Ausnahme hierzu stellt
Krämer 1992, S. 327 dar, der explizit das „Sich-miteinander-Beraten“ nicht mit der
Philosophischen Lebensberatung identifiziert.
9
König 1999, S. 576-577.
10
Ruschmann 1999b, S. 484. Ebenso Raabe 2001, S. 11.
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das Allgemeine
11
– seine Beratung ist auf den Lebensentwurf als
Ganzen ausgelegt, er ist Spezialist darin, ein Problem übersichtlich
in Bezug zum Lebensganzen zu setzen. Er betrachtet den Ratsu-
chenden daher auch als „ganze“ Person.
12
Diese Spezialisierung
auf das Allgemeine – also die geschulte Fähigkeit für den Überblick,
für die Einordnung eines Problems ins Gesamte des Lebens – geht
in der Regel auf Kosten der fachspezifischen Kompetenz wie sie
spezialisierte Berater (z.B. Rechts- oder Paarberater) aufweisen.
Lebensfragen sind in der Regel Fragen nach Lebensorientierung,
nach Lebensplanung, nach wegweisenden Entscheidungen, nach
Lebensweisen, Lebenseinstellungen, Lebenshaltungen, Fragen
nach dem Sinn eines Ereignisses für das weitere Leben. Als Le-
bensfragen sollen also z.B. gelten:
Wie soll ich leben, wo mir doch nur eine begrenzte Zeit zur
Verfügung steht?
Wie kann ich glücklich werden und moralisch handeln inmitten
dieser Gesellschaft?
Welchen Beruf soll ich ergreifen?
Soll ich Kinder in die Welt setzen?
Soll ich meinen Trieben und Wünschen folgen oder mei-
nem Partner treu bleiben?
Wie kann ich im Angesicht meiner Krankheit ein glückli-
ches Leben führen?
Als Nicht-Lebensfragen spezialisierter Beratungen (und Therapien)
sollen entsprechend gelten:
Wie viel Zeit steht mir schätzungsweise in meinem Leben
noch zur Verfügung? (Medizinische Beratung)
Was darf ich bei meiner Glücksverfolgung alles tun, ohne
mich strafbar zu machen? (Rechtsberatung)
In welchem Beruf verdiene ich das meiste Geld? (Berufsbera-
tung)
Wie kann ich es anstellen, meinen Partner ohne sein Wissen
zu betrügen? (...)
11
Diese Formulierung geht auf Achenbachs Abgrenzung der Philosophischen Praxis
von der Psychotherapie zurück, vgl. Achenbach,
http://www.igpp.org/cont/philosophische_praxis.asp zuletzt geprüft am 24.11.2011.
12
Siehe zur Rede der „whole person“ Schuster 1991, S. 219, Raabe 2001, S. 11.
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Wie kann ich meine Krankheit heilen? (Medizinische oder
psychologische Therapie)
Lebensfragen umfassen aber nicht selten Aspekte spezialisierter Be-
ratungen. So kann die Frage, ob ich mich umbringen soll, nicht immer
unabhängig davon entschieden werden, ob ich meine Schulden damit
meinen Kindern weitergebe. Neben dem ethischen Aspekt ist hier vor
allem eine Rechtsberatung hilfreich, die abklärt, ob und wie denn im
Falle eines Selbstmordes im Rahmen des Gesetzes Schulden auf
Nahestehende übertragen werden.
2.2 Die Personen der Philosophischen
Lebensberatung
Das Wesen der Beratung kann bestimmt werden als ein mit
den Mitteln der Kommunikation hilfreiches Beratschlagen zwischen
Berater und Ratsuchendem.
13
Dies zieht eine Analyse der Personen
der Beratung und deren Verhältnis nach sich.
2.2.1 Der Philosophische Lebensberater
Um sinnvollerweise den Titel eines Lebensberaters bean-
spruchen zu können und legitimerweise ein Honorar zu erhalten,
muss der Lebensberater sich durch irgendetwas von anderen Men-
schen unterscheiden. Thurnherr findet diese Unterscheidungs-
merkmale in den Fähigkeiten des Lebensberaters:
Drei Fähigkeiten muss eine Philosophische Praktikerin oder ein Philo-
sophischer Praktiker im Wesentlichen mitbringen. Was
den Philosophischen Praktiker zunächst für seine Beratertätigkeit quali-
fiziert, ist erstens seine Fachkompetenz. [...] Zweitens muss der Philo-
sophische Praktiker über eine gewisse kommunikative Kompetenz ver-
fügen. [...] Nebst einem ganz bestimmten psychologischen Grundwis-
sen, das im Rahmen einer spezifischen Aus- oder Weiterbildung erlangt
werden muss, benötigt der Philosophische Praktiker drittens ein gewis-
ses Maß an Lebenserfahrung und Menschenkenntnis.
14
Unter die kommunikative Kompetenz lassen sich auch die von Heintel
& Macho geforderten obersten Tugenden „Geduld und Aufmerksam-
13
Vgl. Wahler 2013, Kap. 4.1.1.
14
Thurnherr 1998, S. 370-373.
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keit“
15
des Lebensberaters subsumieren. Seine Fachkompetenz er-
wirbt er sich für Thurnherr durch das akademische Studium.
16
Zum
„Spezialist des Denkens“
17
aber kann er natürlich auch ohne Studium
werden. Hier ist erneut darauf hinzuweisen, dass eine akademische
Ausbildung organisatorisch sinnvoll für eine standardisierte Zertifizie-
rung durch einen Dachverband o.Ä. sein kann, und trotzdem nichts
zur philosophischen Begriffsbestimmung beizutragen hat. Nichtsdes-
totrotz kennzeichnen den Lebensberater seine Fach- und Kommuni-
kationskompetenz sowie sein psychologisches Grundwissen und sei-
ne Lebenserfahrung. Diese dritte von Thurnherr genannte Fähigkeit
des Lebensberaters konkretisiert Achenbach weiter: „Die größte Ge-
fahr wäre die, daß ich mich eines Gedankens bediente, den ich nicht
mit meiner ganzen Existenz selbst rechtfertigen könnte. Diese Selbst-
beanspruchung und Selbstverwicklung [ist] für die Philosophische
Praxis konstitutiv“
18
.
Dieses hier angesprochene Prinzip der Selbstanwendung
gilt in mehreren Hinsichten: Erstens gilt für den Lebensberater, dass
er alles, was er anderen rät, auch sich selbst raten würde – oder
anders: dass er nur Ratschläge gibt, die er selbst schon lebend er-
probt hat oder von denen er zumindest fest überzeugt ist.
19
Zwei-
tens soll er dem Ratsuchenden genau jene Fähigkeiten zuschrei-
ben, die er auch sich selbst – wenngleich in höherem Maße – zu-
schreibt
20
, was für Achenbach das „Gefälle“
21
zwischen Lebensbera-
ter und Ratsuchendem trotz der Kompetenzunterschiede aufhebt.
Drittens muss eine Theorie Philosophischer Lebensberatung derart
sein, dass sich ihre Annahmen und Behauptungen auch in der Ers-
ten-Person-Perspektive des Lebensberaters bewahrheiten.
22
15
Heintel/Macho 1991, S. 76.
16
Thurnherr 1998, S. 371.
17
Thurnherr 1998, S. 370.
18
Achenbach 1984a, S. 10.
19
Es ist vom Philosophischen Lebensberater „im Unterschied zum Wissenschaftler
auch die Übereinstimmung von philosophischer Theorie und eigener Lebenspraxis zu
fordern.“ (Krämer 1992, S. 327). Ebenso zielt Achenbach 1984a, S. 10 in diese Rich-
tung.
20
Schmolke 2011, S. 68-69.
21
Achenbach 1984a, S. 10.
22
Ruschmann 1999a, S. 320-321.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 10
2.2.2 Der Klient
Aufgesucht wird der Lebensberater vom Ratsuchenden.
Anstelle von ‚Ratsuchender‘ wird häufig auch der Begriff ‚Klient‘ ver-
wendet, wobei es sich jedoch weniger um einen inhaltlichen, sondern
lediglich um einen terminologischen Unterschied handelt: Je nachdem,
wieweit man den Begriff ‚Klient‘ fasst, kann man ebenso von Klienten
wie von Ratsuchenden sprechen.
23
Im Gegensatz zu dieser Auffassung Königs scheint mir „Klient“ aber
der einzig angemessene Begriff zu sein, denn nicht in allen Fällen
wird ein Besucher der Lebensberatung wirklich einen Rat fordern oder
erwarten. Es sind durchaus Fälle denkbar, in denen der Besucher
lediglich erzählen möchte und sich im Laufe des Gesprächs erst her-
ausstellt, ob er einen Rat wünscht oder ob ein solcher überhaupt nötig
ist. Klient ist dieser Besucher aber alleine schon durch das Setting: Er
hat den Lebensberater aufgesucht und vergütet in der Regel dessen
Dienst – sei es durch Geld, einen Gefallen, persönliche Weiterent-
wicklung oder Anerkennung.
Die Klienten der Philosophischen Lebensberatung weisen
nun aber „ein breites Spektrum der mannigfaltigsten Interessen und
Motive“
24
auf. Neben der Ratsuche in Lebens- und Sinnkrisen trei-
ben die Klienten u.a. auch Wissensinteressen an der Philosophie
und der Wunsch nach persönlicher Weiterentwicklung in die Philo-
sophische Lebensberatung.
25
Einige Autoren fordern Minimalbedin-
gungen seitens des Klienten zur Teilnahme an der Philosophischen
Lebensberatung, z.B. Zugänglichkeit, ein Minimum an Rationalität in
Denken und Handeln sowie die Fähigkeit, über das eigene Leben in
begrenztem Maße selbst entscheiden zu können, d.h. die Fähigkeit,
Vorsätze auch in die Tat umzusetzen. Die Philosophische Lebens-
beratung sieht den Klienten daher in der Regel als autonomes und
mündiges Wesen: „Unabdingbare Voraussetzung eines jeden philo-
sophischen Beratungsgesprächs bleibt also, dass die Besucher der
Philosophischen Praxis mündige Menschen sind.“
26
Dem Klienten
wird ganz im Sinne der Beratung als „Hilfe zur Selbsthilfe“
27
zuge-
schrieben, bereits alle Fähigkeiten zur Lösung des eigenen Prob-
lems in sich zu tragen, die nur noch entwickelt oder entdeckt werden
müssen:
23
König 1999, S. 576.
24
Schmolke 2011, S. 76.
25
Vgl. Stamer 2006, S. 33.
26
Thurnherr 1999, S. 216.
27
Ruschmann 1999b, S. 484.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 11
The philosophical counselor is not seen as an expert who is taking
away the responsibility of the client to think and speak for herself. The
counselor is seen as helping the client to develop her own capacity for
finding a resolution to the problem or concern which the client herself
finds satisfactory.
28
Der Klient soll also selbst entscheiden, ob er einen Rat-
schlag annehmen oder eine Lösungsstrategie ausprobieren möch-
te.
29
Auch gibt er dem Berater die Ziele der Beratung selbst vor, d.h.
lässt sie sich nicht vom Berater vorgeben.
30
Über die Frage, ob ein
Ziel wirklich erreicht wurde und die Beratung insofern erfolgreich
war, hat der Klient die Deutungshoheit. Eine andere Minimalbedin-
gung zur Teilnahme nennt Schuster, deren Philosophische Praxis
allen offen steht – „so long as they are able to talk rationally“
31
.
Ich bin in dieser Frage noch unentschieden. Ein Hören von
Geschichten, ein Sehen von Gefühlen, das Fühlen einer Berührung
– all das scheint beraterisches Potential zu besitzen und ist somit
nicht dadurch schon zu verwerfen, dass der Klient die Fähigkeit des
rationalen Diskurses ggf. nicht besitzt. Weiterhin bleibt hier natürlich
offen, nach welchen Kriterien überhaupt festzustellen ist, ob jemand
rational spricht. Solche Bedingungen bleiben stets ideal; die sie
feststellenden Entscheidungskriterien standpunktgebunden und po-
tentiell machtausübend. Auch die Forderung von psychischer Ge-
sundheit ist ambivalent zu sehen: Einerseits ist die Unterscheidung
krank/gesund eine präskriptive Setzung und muss daher kritisch hin-
terfragt werden.
32
Auf der anderen Seite ist ein pragmatischer Um-
gang erforderlich, der es dem Philosophischen Lebensberater er-
möglicht, seinen Klienten im Gespräch auch wirklich zu erreichen.
Seine Beratung könnte darüber hinaus vielleicht bei psychisch in-
stabilen Klienten negative Effekte hervorrufen. Die Erwägung einer
vorgängigen psychotherapeutischen Konsultationspflicht
33
ist daher
verständlich, auch wenn sie zwei Probleme aufwirft: Erstens ist es
nicht praktikabel, jeden Klienten Philosophischer Lebensberatung zu
einem Psychotherapeuten zu schicken, der ihn mit einer Attestie-
rung psychischer Gesundheit versieht. Dies verursacht für Individu-
28
Raabe 2001, S. 11. So auch Teischel 1991, S. 112.
29
König 1999, S. 577.
30
Krämer 1992, S. 129, Achenbach 1997, S. 13.
31
Schuster 1999b.
32
Vgl. dazu Wahler 2013, Kap. 2.4.
33
So Greeve & Greeve 1999, S 512. Ebenso ist für Schmolke „die Durchführung Philo-
sophischer Beratung ohne grundlegende Kenntnisse klinisch-psychologischer Diagnos-
tik und ein Wissen um spezifische therapeutische Angebote unprofessionell“ (Schmolke
2011, S. 74).
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en und Gesellschaft untragbare Kosten. Neben diesem ökonomi-
schen Problem würde sich in einer solchen Konsultationspflicht aber
vor allem ein Fokus der Philosophischen Lebensberatung ausdrü-
cken: Nun, da die begriffliche Relevanz der Unterscheidung Ge-
sundheit/Krankheit überwunden scheint, taucht sie institutionell wie-
der auf, indem von Beginn an eine der wichtigsten Fragen über-
haupt ist, ob der Klient psychisch gesund oder krank ist. Damit wird
die psychische Gesundheit institutionell zur Voraussetzung der Teil-
nahme an Philosophischer Lebensberatung und damit eng an ihr
Wesen gekoppelt, das sich aufgrund seiner philosophischen Natur
doch eigentlich kritisch zu solchen Festsetzungen verhalten sollte.
Eine Lösung dieses Problems lässt sich darin finden, Philosophi-
schen Lebensberatern in ihrer Ausbildung ein Grundwissen psycho-
pathologischer Diagnostik zu vermitteln und bei entsprechender
Symptomatik dem Klienten ein psychotherapeutisches Erstgespräch
zu empfehlen. Auch wenn die Philosophische Lebensberatung auf-
grund ihrer fehlenden Kompetenz im psychopathologischen Bereich
– d.h. auch jenseits kommunikativer Rationalität – die Psychothera-
pie nicht ersetzen kann, soll sie begleitend zur Psychotherapie mög-
lich bleiben.
2.2.3 Das Verhältnis von Philosophischem Lebensberater und
Klient
Während Philosophischer Lebensberater und Klient als
gleichwertige Menschen angesehen werden, unterscheiden sie sich
in Hinblick auf Fähigkeiten und Kompetenzen:
Der Normalfall von Beratung ist [...] durch ein asymmetrisches, nichtpa-
ritätisches Kompetenz-, Erfahrungs- und Autoritätsgefälle vom Ratge-
ber zum Ratnehmenden gekennzeichnet, mit einem zu vermittelnden
(materialen) Mehrwissen oder einem Prius und Überhang an Reflexion.
Der Übergang zur Reziprozität und Symmetrie, ob sukzessiv oder gar
simultan verstanden, bleibt kontingent und verändert zunächst nicht den
Charakter der einzelnen Beratungsakte, die immer einseitig sind.
34
Dieser stark asymmetrischen Formulierung Krämers, die auch das
Belehren als mögliches Mittel sieht, halten Heintel/Macho entgegen,
dass die Philosophische Lebensberatung gerade nicht der Versu-
chung erliegen dürfe, zu belehren.
35
Für Ruschmann relativieren sich
die Positionen der starken Asymmetrie und vollständigen Symmetrie,
34
Krämer 1992, S. 327.
35
Vgl. Heintel & Macho 1991, S. 73.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 13
die er z.B. Achenbach zuschreibt
36
, durch „ihre Einordnung in ein Kon-
tinuum“
37
, das ein reiches Spektrum der in der Beratung eingesetzten
Mittel abbildet. Das von Krämer konstatierte Autoritätsgefälle kann
sich bei genauerer Untersuchung nur als eine Anerkennung der Auto-
rität des Beraters durch den Klienten erweisen. Schon Gadamer hat
gezeigt, dass wahre Autorität der freien Anerkennung entspringt.
38
Außerdem widerstrebt eine durch Machtausübung oder deren Andro-
hung etablierte Autorität dem philosophischen Charakter der
Beratung: „A real philosophical dialogue requires the conversants to
be equal, and to see each other as equals, in terms of the weight of
their opinions”, so Anette Prins-Bakker.
39
Die anfangs noch bestehen-
de Asymmetrie bezüglich des Meinungsgewichts müsse methodisch
abgebaut werden.
40
Seitens des Beraters ist also Begründungs- und
Überzeugungsarbeit zu leisten, die sich nicht nur durch rationale Ar-
gumentation
41
, sondern auch durch Verweis auf den eigenen Praxis-
erfolg oder die Lebenserfahrung erfolgreich sein kann. Die höhere
Kompetenz und die höheren Fähigkeiten des Beraters, die nicht nur in
der Reflexion, sondern auch in der Lebenskunst bzw. der Lebenskön-
nerschaft
42
und der Lebenserfahrung des Beraters liegen können,
stellen sich dabei letztlich auch als mögliche Begründung für die Ver-
gütung und für das Setting – eine Person ist der unterstützende Bera-
ter, die andere der Kontakt aufnehmende und Unterstützung suchen-
de Klient – der Beratung heraus.
43
Viele Autoren sind der Meinung,
dass sich in dieser teilweisen Asymmetrie auch das pädagogisch-
36
Vgl. Ruschmann 2004, S. 144.
37
Ruschmann 2004, S. 145.
38
„Es scheint mir zwingend, wenn ich für die wirklichen Autoritätsverhältnisse Anerken-
nung bestimmend finde. Was aber soll [...] Anerkennung sein, wenn nicht dies, dass der
Autorität eine Überlegenheit an Erkenntnis zugebilligt wird und dass man deshalb
glaubt, dass sie recht hat. Nur darauf ›beruht‹ sie. Sie herrscht also, weil sie ›frei‹ aner-
kannt wird. Es ist kein blinder Gehorsam, der auf sie hört.“ (Gadamer 1993, S. 244)
39
Prins-Bakker 1995, S. 136.
40
Vgl. Prins-Bakker 1995, S. 137.
41
Vgl. Brem-Gräser 1993, S. 16.
42
Auf das Verhältnis von Lebenskunst zur Philosophischen Lebensberatung kann hier
nur kurz hingewiesen werden: Die philosophische Lebenskunst ist im gegenwärtigen
deutschsprachigen Philosophiediskurs vor allem durch Wilhelm Schmid 2006 geprägt
worden, dessen Gedanken von einigen Autoren der Philosophischen Lebensberatung
kritisiert werden (z.B. Achenbach 2010b, S. 107, Brandt 2010, S. 131). Auch in der
akademischen Philosophie wird Schmids Ansatz kritisiert (vgl. Kersting & Langbehn
2007). Achenbach setzt sich vom Begriff der Lebenskunst mit seinem Begriff „Lebens-
könnerschaft“ ab, den er auch inhaltlich von der Lebenskunst abzugrenzen versucht
(vgl. Achenbach 2010b).
43
Vgl. Achenbach 1984a, S. 10.
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didaktische
44
Wesen der Philosophischen Lebensberatung offenbart.
45
Für Schuster stellt der erzieherische Wert sogar den Kern aller Ansät-
ze Philosophischer Lebensberatung dar:
[I]t can be said that the unifying and possibly enduring characteristic of
the various philosophical practices described here is their educational
value. A counselee learns from meetings with the philosophical practi-
tioner to question, think about, and comprehend the self and its prob-
lems in various philosophical ways.
46
Diese pädagogische Funktion der Philosophischen Lebensberatung
soll aber im Sinne von Beratung als „Hilfe zur Selbsthilfe“
47
den Klien-
ten befähigen, nicht nur sein aktuelles, sondern auch zukünftige Prob-
leme selbst und ohne erneute Hilfe durch den Philosophischen Le-
bensberater bewältigen zu können.
48
Damit bleibt nicht nur im genera-
tiven, ggf. beiläufig-kurativen und akut-lindernden Effekt der Philoso-
phischen Lebensberatung die Autonomie des Klienten stets geachtet,
sondern wird durch ihren präventiven und befähigenden Effekt sogar
gefördert.
44
Während der pädagogische Aspekt sich auf eine Erziehung oder (Aus-)Bildung ge-
mäß gewisser Grundüberzeugungen (Welt- und Menschenbild, Werteüberzeugungen)
bezieht, soll der didaktische Aspekt lediglich die durchdachte Vermittlung von Wissen
(praktischer und theoretischer Art) anzeigen.
45
Vgl. z.B. Raabe 2001, S. 147-150, Witzany 1991, S. 142. Siehe ebenfalls den Inter-
net-Auftritt des Philosophischen Lebensberaters Garlikov,
http://www.garlikov.com/Counseling/ (zuletzt geprüft am 24.11.2011). Ganz anders
wieder Heintel & Macho: Auch der Versuchung zu erziehen müsse die Philosophische
Lebensberatung widerstehen, vgl. Heintel & Macho 1991, S. 73. Überblick zu dieser
Frage in Raabe 2001, S. 22-26.
46
Schuster 1999a, S. 64. Diese Beschreibung schlägt schon bei Auffassungen wie
Heintel & Macho 1991, S. 73 fehl. Darüber hinaus scheint mehr als fraglich, ob Achen-
bachs Philosophische Lebensberatung als freies Gespräch (Achenbach 1984b, S. 32)
einen solchen erzieherischen Wert für sich beanspruchen würde, wo der Philosophi-
sche Lebensberater doch angewiesen wird, den Klienten nicht ändern zu wollen (vgl.
Achenbach 1997, S. 13).
47
Ruschmann 1999b, S. 484.
48
Vgl. z.B. Raabe, http://www.ufv.ca/faculty/philosophy/raabep/what.html (zuletzt ge-
prüft am 29.11.2011), Schuster 1991, S. 222.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 15
2.3 Anwendungsgebiete und Ziele
Es sollen nun die Anwendungsgebiete und Ziele der Philo-
sophischen Lebensberatung überblickshaft dargestellt werden.
49
Als
Orientierung können die folgenden Schaubilder dienen.
49
Für die genaue Erarbeitung, Herkunft, philosophische Begründung und erläuternde
Erklärung sei auf Wahler 2013, Kap. 4.3 verwiesen. Dort findet sich auch die kritische
Auseinandersetzung mit einer, besonders in der Frühphase der Philosophischen Praxis
vorherrschenden Ablehnung von Theorie, Methode und Zielen Philosophischer Praxis,
also auch deren individualberatischerer Gestalt als Philosophischer Lebensberatung.
Schaubilder vereinfachen, d.h. sie machen einen komplexen
Gegenstand übersichtlicher, einfacher, verständlicher. Dies
geschieht über eine Reduktion von Komplexität in Form von
Kategorisierungen, Einordnungen, Verallgemeinerungen. Dabei
geht die Fülle des Gegenstandes notwendigerweise verloren.
Das vielleicht größte Problem des Schaubildes sehe ich darin,
dass alle angeführten Punkte untereinander vernetzt sind, so-
dass sich z.B. die Aufklärung über Freiheit gut und gerne in den
Bereich der Bewusstseinsethik einordnen ließe, während das
Finden von Orientierung und Identität doch starke Überschnei-
dungen zur Strebensethik hat, weil dies oft beträchtliche prakti-
sche Konsequenzen nach sich zieht. Trotzdem soll der Über-
sichtlichkeit wegen das Schaubild hier angeboten und noch
einmal erläutert werden. Die Anwendungsgebiete der Philoso-
phischen Lebensberatung lassen sich in drei Gebiete untertei-
len (Glück, Bewusstsein, Moralität), die jeweils ein anderes Ziel
verfolgen (das glückliche bzw. bewusste
50
bzw. gute
51
Leben)
und integriert das gelingende Leben ausmachen, das im Zent-
rum Philosophischer Lebensberatung steht und dem die Weis-
heit als praktisches, theoretisches und orientierendes Wissen
entspricht. Alle Anwendungsgebiete haben sowohl ein theoreti-
sches als auch ein praktisches Wesen. Damit verkörpert sich im
gelingenden Leben die als praktisch gelebte Philosophie – sie
offenbart sich als Lebensform.
50
In Sinne Sokrates, ein Leben ohne Reflexion (je nach Übersetzung: Prüfung bzw.
Selbsterforschung) sei nicht lebenswert (Platon 1991, S. 251 bzw. Platon 2002, S. 31).
Bewusst soll als „durchdacht“ oder „reflektiert“ verstanden werden. Ein bewusstes
Leben umfasst dabei auch das achtsame Leben im buddhistisch-meditativen Sinne,
aber eben noch weit mehr, z.B. das Bewusstsein der Bedingungen der eigenen Exis-
tenz.
51
Alternativ ließe sich hier auch vom „gerechten“ Leben sprechen. Beide Begriffe sind
durch die traditionellen ethischen Positionen semantisch aufgeladen. Mit dem „guten“
Leben soll hier aber keineswegs eine Positionierung in der Ethik einhergehen, sondern
lediglich auf die Moralität eines Lebens im weitesten Sinne verwiesen werden.
Abbildung 2: Die Philosophische Lebensberatung im Blick: Systematisch-disziplinär-
terminologische Einordnung der Philosophischen Lebensberatung
Zum anderen wurde der Begriff der Philosophischen Lebensberatung, wie
aus der nachfolgenden Abbildung 3 ersichtlich wird, aber auch aus der Au-
ßenperspektive der Gesellschaft und der anderen Beratungsdisziplinen ent-
wickelt. Dieser Weg bedient somit die von außen kommenden Anfragen
nach dem Sinn und Zweck der Philosophischen Lebensberatung und geht
daher weitgehend kriteriell (anhand der von außen herangetragenen Krite-
rien) vor.
Abbildung 3: Zielführendes, nicht-erschöpfendes Mengendiagramm zur analytisch vom Begriff der
Beratung ausgehenden Begriffsbestimmung der Philosophischen Lebensberatung
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 20
Es zeigt sich anhand der Abbildungen 2 und 3, dass der hier
eingeschlagene Weg einer Begriffsbestimmung in zwei Richtungen
erfolgt: Die Philosophische Lebensberatung wurde einerseits aus
einer Außenperspektive von der Beratung her positiv – obgleich
noch zu allgemein – bestimmt, und anschließend ex negativo spezi-
fiziert; zunächst als spezielle Form der Beratung (Lebensberatung),
dann als spezielle Form der Lebensberatung (philosophische). An-
derseits wurde sie formal auch als spezielle Form praktizierender
Philosophie aus der Innenperspektive der Philosophie bestimmt,
was inhaltlich noch in (3) zu zeigen ist.
Ein philosophischer Begriff der Philosophischen Lebensbe-
ratung muss beide Wege integrieren: Während ein rein aus der Au-
ßenperspektive bestimmter Begriff dem besonderen Charakter der
Philosophie und der philosophischen Ethik unangemessen bleibt
(vgl. 3) und die Philosophie ggf. sogar bis zur Unkenntlichkeit für
äußere Zwecke instrumentalisiert, wird ein rein aus der Innenper-
spektive bestimmter Begriff dem praktischen Wesen der Philosophi-
schen Lebensberatung nicht gerecht, weil er Gefahr läuft, die Philo-
sophische Lebensberatung für eine Realität und einen Beratungs-
bedarf zu entwickeln, den es faktisch nicht gibt. Wenn die Philoso-
phische Lebensberatung aber praktisch werden will, muss sie für
diese konkrete Welt praktisch werden und den faktischen Anfragen
an die Philosophie und den faktischen Bedürfnissen der Menschen
gerecht werden, ohne dabei aber ihr Wesen und damit das Philoso-
phische dieser Lebensberatung aufzugeben.
2.4 Außenperspektivische Bestimmung des
Philosophischen der Philosophischen
Lebensberatung
Nach der Bestimmung des Beraterischen und des Lebens-
beraterischen der Philosophischen Lebensberatung bleibt nun noch,
ihr Philosophisches zu klären. Die Frage nach dem Philosophischen
der Philosophischen Lebensberatung ist einerseits die Frage nach
der Abgrenzung dieser speziellen – philosophischen – Form der Le-
bensberatung von anderen Lebensberatungen. Nach der Bestim-
mung Philosophischer Lebensberatung als Form der Beratung und
anschließend spezifischer als Form der Lebensberatung stellt dieser
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 21
Schritt analytisch gesehen den letzten auf dem Weg zu einer Be-
griffsbestimmung der Philosophischen Lebensberatung dar. Die Phi-
losophische Lebensberatung lässt sich aber andererseits auch von
der Philosophie her bestimmen, aus der sich so etwas wie Philoso-
phische Lebensberatung überhaupt erst ergeben kann. Beide Wege
münden hier in die Frage nach der Philosophie. Was Philosophie
aber ist, kann als die unphilosophischste und philosophischste Fra-
ge zugleich bezeichnet werden: Es ist zum einen unphilosophisch,
in auf Fest-stellung abzielender Weise nach dem Ding „Philosophie“
zu fragen, zum anderen aber ist es vielleicht die philosophischste
Frage überhaupt, was eigentlich derjenige tut, der philosophiert.
Im Gegensatz zum Begriff der Beratung sind aber positive
Bestimmungen der Philosophie äußerst rar. Wird man letztlich doch
fündig, so bleiben die Auskünfte sehr allgemein gehalten:
„Die kritische Untersuchung der unser Denken und Tun und
alle Gegenstände bestimmenden und durchdringenden ersten Vo-
raussetzungen nennen wir Philosophie.“
52
Trotz dieser Allgemein-
heit der Formulierung kommen sofort abweichende Philosophien in
den Sinn: So scheint z.B. fraglich, ob die postmoderne, hermeneuti-
sche oder konstruktivistische Philosophie ebenfalls die „ersten“ Vo-
raussetzungen untersucht oder ob diese Vorstellung hier nicht
selbst problematisiert wird. Selbst in allgemeinster Form scheinen
die positiven Bestimmungen der Philosophie nicht die Philosophie-
verständnisse all jener, die als Philosophen gelten, zu integrieren:
[P]hilosophy is rationally critical thinking, of a more or less systematic
kind about the general nature of the world (metaphysics or theory of ex-
istence), the justification of belief (epistemology or theory of
knowledge), and the conduct of life (ethics or theory of value). Each of
the three elements in this list has a non-philosophical counterpart, from
which it is distinguished by its explicitly rational and critical way of pro-
ceeding and by its systematic nature.
53
Trotz ihrer allgemeinen Formulierung widerspricht diese Charakterisie-
rung der Philosophie offensichtlich gewissen philosophischen Auffas-
sungen über die normative und pragmatische Ethik – man denke an
das Sinnkriterium des Logischen Empirismus und die daraus resultie-
rende nicht-normative Metaethik bis zum Erscheinen von John Rawls‘
52
Brandt 2001, S. 8-9.
53
Quinton 2005, S 1.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 22
A Theory of Justice
54
(1971) – oder die deskriptive Ethik Schopen-
hauers
55
. Aber: Selbst wenn sich diese Ausnahmen nicht finden lie-
ßen, wären die obigen Definitionen doch noch zu allgemein gehalten,
um daraus ohne Weiteres etwas Konkretes für das Philosophische
der Philosophischen Lebensberatung gewinnen zu können. Die „kriti-
sche Untersuchung der unser Denken und Tun und alle Gegenstände
bestimmenden und durchdringenden ersten Voraussetzungen“
56
wäre
doch wohl etwas zu wenig für eine Philosophische Lebensberatung,
die (im Sinne einer Strebensethik) mehr als nur reflektierend sein will.
Es stellt sich also die Frage: Wenn die ohnehin schon selten zu fin-
denden positiven Begriffsbestimmungen der Philosophie noch zu all-
gemein und praxisfern gehalten sind, um für die Philosophische Le-
bensberatung unmittelbar fruchtbar zu sein – was sind denn dann die
häufigen, offenbar nicht positiv-bestimmenden Antworten auf die Fra-
ge nach der Philosophie? Nun – sie sind von zirkulärer Art. Die Ant-
wort, die mit etwas Bekanntem über das Unbekannte der Philosophie
Auskunft geben soll, enthält wiederum das, was ja gerade in Frage
steht: die Philosophie. „Philosophie ist die Wissenschaft, über die man
nicht reden kann, ohne sie selbst zu betreiben.“
57
Damit ist keines-
wegs nichts über die Philosophie gesagt – aber dieses Etwas ist doch
von unerwarteter Art. Es entspricht nicht den von außen an die Philo-
sophie herangetragenen Erwartungen, die meist darauf abzielen, „Phi-
losophische Praxis als Gekanntes abzuhaken und in den vorhande-
nen Katalog kultureller Dienstleistungen einordnen zu können.“
58
Die
Philosophie aber ist nicht nur für den aus einer Außenperspektive
nach ihr Fragenden problematisch, sondern sogar für sich selbst:
„Defining philosophy is itself a philosophical problem.“
59
Philosophie
scheint offenbar vor allem mit einem beschäftigt zu sein: mit sich
selbst.
Die sich aus der Außenperspektive der Philosophie aufwer-
fende Frage nach dem Philosophischen der Philosophischen Le-
bensberatung kann also nicht ohne weiteres beantwortet werden,
54
Rawls 1971, vgl. zum Verhältnis von Logischem Empirismus und normativer Politi-
scher Philosophie bzw. Ethik auch Parekh 1998.
55
Vgl. Schopenhauer 1986, bes. S. 632-635.
56
Brandt 2001, S. 8-9.
57
Weizsäcker 1982, S. 382.
58
Brandt 2010, S. 71, dort in Fußnote 49.
59
Audi 2006, S. 325.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 23
weil in dieser Antwort nach außen die Innenperspektive der Philo-
sophie zur Sprache kommt.
3. Innenperspektivische Begriffsbestimmung der
Philosophischen Lebensberatung
Mit der Richtungsänderung von der außenperspektivischen zur innen-
perspektivischen Begriffsbestimmung Philosophischer Lebensbera-
tung steht aber weiterhin eine Antwort auf die nun gar außenperspek-
tivisch und innenperspektivisch relevante Frage nach dem Philosophi-
schen der Philosophischen Lebensberatung aus.
3.1 Innenperspektivische Bestimmung des Philosophischen
der Philosophischen Lebensberatung
Was also ist Philosophie? Durch was wird eine Untersu-
chung zu einer philosophischen Untersuchung? Durch was unter-
scheidet sich überhaupt eine philosophische Untersuchung (z.B.
des Denkens) von bspw. einer psychologischen? Wie lässt sich die
Philosophie abgrenzen gegenüber anderen Disziplinen, Wissen-
schaften und Kunstfertigkeiten?
Wie schon oben angeklungen ist, scheint die positive Be-
stimmung des Wesens der Philosophie schwierig zu sein. Warum?
Könnte man hier nicht einfach feststellen, so wie die Elektrostatik
die Lehre von den ruhenden elektrischen Ladungen und den elektri-
schen Feldern geladener Körper ist, sei Philosophie die Lehre von
irgendetwas anderem? Nun – diese Form einer Definition gibt das
Wesen einer Disziplin über ihren Gegenstandsbereich an. Das ist
bei der Philosophie problematisch.
3.1.1 Der Gegenstand der Philosophie
Typischerweise untersucht die Philosophie die Gegenstän-
de Sprache, Denken, Bewusstsein, Existenz, Leben, Gott, Hand-
lung, Freiheit, Moral, Welt. All diese Gegenstandsbereiche werden
aber auch von anderen Wissenschaften behandelt: Sprache, Den-
ken, Bewusstsein, Handlung und Freiheit werden u.a. auch neuro-
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wissenschaftlich untersucht, Gott theologisch, Existenz und Welt
physikalisch, Leben biologisch und Moral soziologisch bzw. ethno-
logisch. Diese Aufzählung lässt sich leicht erweitern und ergänzen.
Die Definition der Philosophie über ihren Gegenstandsbereich
scheitert also daran, dass sie erstens diesen Gegenstandsbereich
nicht exklusiv hat, und dass sich zweitens ein solcher spezieller Ge-
genstandsbereich vielleicht gar nicht finden lässt, weil prinzipiell al-
les philosophisch untersucht werden kann
60
und die obige Aufzäh-
lung nie erschöpfend sein kann. Wenn die Philosophie aber schon
nicht als einzige Disziplin ihren Gegenstandsbereich untersucht,
dann untersucht sie diesen vielleicht als einzige Disziplin auf philo-
sophische Weise. Es stellt sich also die Frage: Was ist das Philoso-
phische an einer philosophischen Untersuchung eines Gegenstan-
des? Liegt das Wesen einer philosophischen Untersuchung also da-
rin, dass sie, so wie die Elektrostatik nach der physikalischen Me-
thode vorgeht, eben nicht durch ihren jeweiligen Gegenstand, son-
dern durch ihre Methode philosophisch wird? Zunächst ist dafür zu
klären, was genau eigentlich eine Methode ist.
3.1.2 Der Begriff der Methode
Die etymologische Bedeutung von „Methode“ als „der Weg
auf ein Ziel hin“
61
(altgr. „μετά“ [meta] = dt. u.U. „nach ... hin“; altgr.
„ὁδός“ [hodos] = dt. „Weg“) hat sich bis heute erhalten:
Mit ›Methode‹ bezeichnet man heute im Allgemeinen ein konsequentes
und zielgerichtetes Vorgehen in Denk- und Handlungsprozessen. [...]
Die Anwendungen der [...] Methode führen im Denken zur Erkenntnis,
im Handeln zur Verwirklichung des Handlungsziels.
62
Die Art und Weise des Gehens auf diesem Weg wird also
als Vorgehen bezeichnet. Wenn das Vorgehen dabei ein auf das
Ziel des Weges ausgerichtetes Denken oder Handeln
63
ist, so heißt
es Methode.
60
So fordert z.B. Achenbach 2010a, S. 77-80 in den Grundregeln Philosophischer
Lebensberatung, dass sie prinzipiell jede Frage als eine philosophische Frage aufneh-
men (können) muss.
61
Kluge & Seebold 1995, S. 556.
62
Kolmer & Wildfeuer 2011a, S. 1527.
63
Die Unterscheidung von Denken und Handeln scheint für die Philosophische Lebens-
beratung nicht fruchtbar zu sein: Zum einen umfasst die Beratungspraxis meist auch
das Denken in der Sitzung, zum anderen ist das philosophische Denken selbst immer
schon philosophische Praxis: „Die Theorie Philosophischer Praxis – die Philosophie des
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 25
Die Methode ist nicht nur die Weise, den Weg zu einem Ziel
zu gehen, sondern bürgt auch dafür, dass einerseits das Ziel auch
wirklich erreicht wird und anderseits dieses Ziel im Falle der Errei-
chung auch eine spezifische Qualität hat. Die Methode der quantita-
tiven Sozialforschung z.B. sichert nicht nur, dass sie zu einem Er-
gebnis führt, d.h. dass eine mit dieser Methode beantwortete (und
beantwortbare) Frage („Ist Angela Merkel bei den Bürgern beliebter
als Peer Steinbrück?“) tatsächlich zu einer Antwort führt („Nein.“),
sondern auch, dass diese Antwort von einer gewissen Qualität ist,
weil ihr Gewinnungsprozess (Methode) die Gütekriterien quantitativ-
sozialwissenschaftlicher Forschung erfüllt (z.B. Fehlerrechnung, hin-
reichend hohe und repräsentative Teilnehmerzahl etc.). Ein unme-
thodisches Vorgehen ist von einem methodischen Vorgehen (gra-
duell) dadurch zu unterscheiden, dass es signifikant seltener zur Er-
reichung des Handlungsziels führt. Ein banales Beispiel: Die Uhrzeit
kann z.B. durch einen Blick auf eine stehen gebliebene Wanduhr
bestimmt werden, und zwei ganze Sekunden am Tag wird diese
Methode das richtige Ergebnis liefern, ist aber statistisch trotzdem
derjenigen Methode unterlegen, auf die funktionierende und richtig
gestellte Wanduhr im Nebenzimmer zu schauen. Unmethodisches
Vorgehen führt also nur selten zum Erfolg, und – dies ist der zweite
Unterschied zwischen methodischem und unmethodischem Vorge-
hen – wenn es zum Erfolg führt, dann lag dies nie am Vorgehen
selbst, sondern an glücklichen Umständen. Ein solches Vorgehen
wäre damit aber weder notwendig noch hinreichend für die Errei-
chung des Ziels – kurz: Unmethodisches Vorgehen ist für die Errei-
chung eines Ziels überflüssig.
Darin zeigen sich die impliziten Voraussetzungen jeder Me-
thode, dass es nämlich die Regeln (oder gar Gesetze) der erfahrba-
ren Wirklichkeit sind, die darüber entscheiden, ob eine bestimmte
Abfolge von Handlungen tatsächlich (mit einer gewissen Wahr-
Philosophierens – ist: zu philosophieren. Theorie und Praxis sind Momente des Philo-
sophierens.“ (Brandt 2010, S. 84) [im Orig. vollst. kursiv; H.W.] Philosophisches Denken
verändert darüber hinaus denjenigen, der philosophiert. Im Folgenden soll daher das
Handeln in seiner weiten Bedeutung verwendet werden, d.h. das Denken stets mit
umfassen, sodass ein Vorgehen rein begrifflich schon eine Handlung – und sei es in
Form eines denkenden Vorgehens – darstellt. Dabei ist diese weite Bedeutung von
„Handlung“ hier wiederum nur im engen Sinne von „Tat“ gemeint, d.h. als individuelle
und intendierte bzw. vorsätzliche Handlung – nicht etwa als Übersetzung von (engl.)
plot, d.h. z.B. der Handlung eines Theaterstücks. Zu den Gefahren der Verkürzung des
Handlungsbegriffes auf die Tat siehe Grätzel 2007, S. XIV-XV.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 26
scheinlichkeit) zum Eintreten des intendierten Zielzustandes führt.
Eine Methode unterstellt also die Regelhaftigkeit der erfahrbaren
Wirklichkeit.
64
Mit anderen Worten: Was gestern funktioniert hat,
wird auch heute und morgen wieder so funktionieren – und das liegt
daran, dass die Welt Regeln (oder gar Gesetzen) folgt und diese
Regeln (bzw. Gesetze) stabil sind.
Darüber hinaus liegt einem methodischen Vorgehen die
Auffassung zugrunde, dass alle Gegenstände, die mit dieser Me-
thode bearbeitet werden sollen, in ihrem Wesen hinreichend ähnlich
sind, damit dieselbe methodische Bearbeitung zu hinreichend ähnli-
chen Ergebnissen führt. Mit anderen Worten: Würde also z.B. das
Desinfizieren einer Wunde mit einem Desinfektionsspray bei unter-
schiedlichen Menschen zu unterschiedlichen Ergebnissen (bspw.:
beim einen: Desinfektion der Wunde; bei einem anderen: Blutgrup-
penwechsel; bei einem dritten: Exmatrikulation von Amts wegen)
führen, würde sich diese Methode nicht sonderlich gut für die Errei-
chung des Ziels, eine Wunde zu desinfizieren, eignen. Solche Vor-
annahmen über die Ähnlichkeit der Gegenstände einer Methode
können sich natürlich als falsch herausstellen – was zu einer Ein-
grenzung des Gegenstandsbereiches der Methode (z.B. quantitativ-
64
Um Streitigkeiten zu vermeiden, wird hier bewusst von „erfahrbarer“ Wirklichkeit
gesprochen. Über die Auffassung von „Wirklichkeit“ (im metaphysischen oder transphä-
nomenalen Sinne) und den Status des Wissens über sie gibt es hauptsächlich zwei
unterschiedliche Auffassungen: Realisten sehen Sätze einer Theorie über die Wirklich-
keit als „wahr“ an in dem Sinne, dass sie mit der Realität übereinstimmen (meist im
Sinne einer Korrespondenztheorie der Wahrheit), welche sich wiederum erkennen lässt.
Instrumentalisten hingegen lehnen die Kategorie „Wahrheit“ für Theorien ab, weil aus
erkenntnistheoretischen Gründen keine Prüfung einer Übereinstimmung mit der Realität
erfolgen kann (Ablehnung einer Korrespondenztheorie der Wahrheit), da eine Erkennt-
nis der Realität an sich unmöglich ist. Einziges Kriterium für die Güte von Theorien ist
nach dieser Position ihre Nützlichkeit für selbstgesetzte Zwecke (z.B. für Prognosen,
rekonstruierende Erklärungen oder die Erreichung praktischer Ziele). Nichtsdestotrotz
nehmen auch Instrumentalisten gewisse Regelhaftigkeiten an, z.B. dass eine gestern
nützliche Theorie auch morgen nützlich bleibt und auch auf den tausendundersten
Gegenstand eines Gegenstandsbereiches anwendbar bleibt. Somit wird eine instrumen-
talistische Theorie der Hirnhautentzündung die entsprechende Therapie, wenn sie sich
als nützlich zur Heilung erwiesen hat, nicht einfach einen Tag später durch eine willkür-
liche Verfahrensweise wie Durchlüften oder laut Lachen ersetzen, und sie wird diese
Therapie auch zur Behandlung von Hirnhautentzündungen anderer Menschen anwen-
den, obwohl deren Gehirne sich geringfügig von denen der bisherigen Behandelten
unterscheiden. Natürlich kann sich die unterstellte Regelhaftigkeit als falsch herausstel-
len, aber sie muss doch für jede Etablierung einer Theorie angenommen werden. Damit
trifft der Instrumentalismus zwar keine inhaltlichen Aussagen über die Wirklichkeit, wohl
aber implizite Aussagen über die Struktur der erfahrbaren Wirklichkeit, nämlich derart,
dass sie so beschaffen ist, dass sich die entsprechende Theorie in ihr bewährt, auch
wenn sich weiter nichts über die Wirklichkeit aussagen lässt.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 27
sozialwissenschaftlicher Methoden auf rein quantitativ-
sozialwissenschaftliche Fragen und nicht etwa qualitative) oder der
Verwerfung der Methode führen kann. Vorannahmen dieser Art tref-
fen wir in unserem Alltag die ganze Zeit, wenn wir z.B. bewusst
nicht auf eine heiße Herdplatte greifen, weil wir annehmen, dass sie
uns auch heute verbrennen wird – und dies gilt auch für die anderen
Herdplatten z.B. des Nachbarn; oder wenn wir unser Auto bewusst
mit dem Schlüssel und nicht mit lautem Klatschen starten, weil wir
annehmen, dass dies auch heute zum Erfolg führen wird – und das
gilt auch für andere Autos. Es bleibt also zusammenfassend festzu-
halten:
Eine Methode ist eine strukturierte Abfolge von auf ein
Handlungsziel ausgerichteten Handlungen, die dieses Handlungs-
ziel (mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit) erreichen wird, wobei
dieser Erfolg nicht dem Zufall oder glücklichen Umständen, sondern
der Methode selbst zugeschrieben wird, was wiederum begründet
ist durch die Erkenntnis einer (die Struktur der Handlungsabfolge
bestimmende) Regelhaftigkeit der erfahrbaren Wirklichkeit im All-
gemeinen und des Zielbereichs im Besonderen.
3.1.3 Allgemeine Methode der Philosophie
Die Lehre von den Methoden ist die Methodologie, die u.a.
die Fragen verhandelt: Was zeichnet eine gute Methode aus? Wie
lässt sich gerechtfertigt behaupten, eine Methode sei besser als ei-
ne andere?
65
Sie untersucht die Methode einer Disziplin systema-
tisch, d.h. nicht in ihrer historisch kontingenten Entstehung (gene-
tisch), sondern geltungslogisch. Wird nun die philosophische Me-
thode methodologisch untersucht, so stellt sich das Problem, dass
die Philosophie selbst ihre eigene Methodologie umfasst: „Philoso-
phie ist die Wissenschaft, über die man nicht reden kann, ohne sie
selbst zu betreiben.“
66
Mit anderen Worten: Es besteht kein externes
Kriterium, an dem festgemacht werden kann, was die wahre philo-
sophische Methode ist. „Bis heute ist es nicht gelungen, eine Me-
65
„Als Methodologie bezeichnet man die Lehre von der allgemeinen Methode der Wis-
senschaften bzw. einer größeren Gruppe von Wissenschaften (z.B. Erfahrungswissen-
schaften).“ (Gadenne & Visintin 1999, S. 9-33)
66
Weizsäcker 1982, S. 382.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 28
thode als die philosophische Methode zu etablieren [...].“
67
Die Me-
thoden der Philosophie sind zu verschieden und entgegengesetzt,
um durch eine vereinheitlichende Methodologie erfasst werden zu
können. Analytische, hermeneutische, phänomenologische, dialekti-
sche, konstruktivistische und pragmatistische Methoden lassen sich
nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen, weil innerhalb dieser
Methoden unterschiedliche Gütekriterien dafür herrschen, was eine
gute Methode sei – die Methoden sind also im Sinne Thomas Kuhns
inkommensurabel.
68
Doch allmählich weichen die Einseitigkeiten jener Jahre, in welchen die
eine Seite die Existenzberechtigung der anderen bezweifelte, einer
größeren Toleranz und Offenheit. In der Gegenwart mehren sich die
Versuche, jene Standpunkte als Ausprägungen verschiedener Rationa-
litätskonzepte zu betrachten, die erst in ihrer Gesamtheit das weite Feld
der Philosophie konstituieren. [...] Wer sich in der philosophischen
Landschaft orientieren will, muss die Frage nach den Wegen stellen,
die Philosophierende gegangen sind und auch heute noch gehen. Eben
diese Wege nennen wir Methoden, deren Struktur Rationalität.
69
Wenn aber in der Philosophie ein Methodenpluralismus herrscht, so
stellt sich die Frage, wie diese Methoden sich denn rechtmäßig je-
weils „philosophisch“ nennen dürfen. Wie lässt sich diese Pluralität zu
einem Ganzen, zur Philosophie integrieren? Die naheliegende Ant-
wort darauf lautet: Durch eine integrative, d.h. allgemeine Theorie der
Philosophie. Dazu muss allerdings zunächst geklärt werden, was ei-
gentlich eine Theorie ist.
67
Kwiatkowski 1987, S. 314.
68
Vgl. Kuhn 1962: bes. Kap. IX u. X, S. 92–135. Der Begriff der Inkommensurabilität
bezieht sich auf Thomas Kuhns Wissenschaftsphilosophie (vgl. Kuhn 1962, S. 92-135).
Eine wissenschaftliche Theorie wird hier als inkommensurabel zu einer anderen wis-
senschaftlichen Theorie bezeichnet, wenn die eine Theorie in einem Paradigmenwech-
sel auf die andere folgt. In einem Paradigmenwechsel geschieht viel; im Hinblick auf
den Begriff allerdings vor allem ein Wandel in den Gütekriterien einer Theorie: Was als
gute Theorie gilt, ändert sich in diesem Paradigmenwechsel. Weil es dann kein theorie-
externes Kriterium mehr gibt, an dem festgemacht werden kann, ob die eine Theorie
der anderen überlegen ist, sondern dafür nur theorie- bzw. genauer paradigmeninterne
Kriterien zur Verfügung stehen, sind die Theorien zueinander inkommensurabel, d.h.
vereinfachen gesagt: nicht vergleichbar. Obwohl sich Kuhn hier schwerpunktmäßig auf
die Entwicklung der Naturwissenschaft bezieht, lässt sich dieser Gedanke auch auf
philosophische Theorien und Methoden anwenden – schließlich ist die Frage, was
eigentlich das Kriterium für Wahrheit ist, stets eine Frage einer umfangreichen philoso-
phischen Theorie, sodass hier nicht einfach gesagt werden kann, die eine philosophi-
sche Theorie sei wahrer als die andere, weil das Kriterium dafür von der jeweiligen
Theorie abhängt.
69
Wuchterl 1999, S. 13.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 29
3.1.4 Der Begriff der Theorie
Auf die Erkenntnis der Regelhaftigkeit der erfahrbaren Wirk-
lichkeit begründet die Methode gleichsam ihre Wirksamkeit. Nun
birgt die Welt aber potentiell viel zu viele Informationen, als dass
man sie in entsprechend vielen Erkenntnissen abbilden könnte. Sol-
che Erkenntnisse sind also verallgemeinernd, kategorisierend, ver-
einfachend und Komplexität reduzierend mit dem Ziel, einen Über-
blick über diese Mannigfaltigkeit zu erhalten. Regeln oder Gesetze
sind solche Formen komplexitätsreduzierender Aussagen über die
erfahrbare Wirklichkeit. Im Überblick wird die Welt von einer ganz
speziellen Position aus gesehen. Diese Position klingt noch in der
etymologischen Bedeutung von „Theorie“ (altgr. „θεωρία“ [theoria])
an, die ursprünglich die Position eines unbeteiligten Zuschauers und
einer damit einhergehenden Einstellung des Zuschauers zum Ge-
schehen meinte.
70
Dass diese „unbeteiligte“ Position keineswegs
neutral oder objektiv ist, wird sich noch genauer zeigen.
Der Vorzug dieser Position ist der Gewinn eines Überblicks über kom-
plexe Situationen und Sachverhalte aus der Distanz, der zum Zwecke
praktischer Orientierung gesucht wird. Solche Orientierung ist vor allem
prognostisch fruchtbar und trägt zum Erwerb eines fundierten Wissens
um Sach- und Erkenntnisordnungen bei. Insofern wird mit der Theorie
ein praxisstabilisierendes Wissen gewonnen [...].
71
Einer Methode liegen aber nicht nur solche theoretischen
Grundüberzeugungen zugrunde, sondern der erfolgreiche Einsatz
der Methode kann andererseits sogar andere theoretische Aussa-
gen hervorbringen. In seiner heutigen wissenschaftstheoretischen
Verwendung ist die Theorie „eine spezifische Ausdrucks- und Be-
schreibungsform – die eines möglichst kohärenten Systems proposi-
tionaler Aussagen“
72
. Theorien ermöglichen einen praktischen Um-
gang (Voraussagen treffen, Regelhaftigkeiten erkennen, Vielfalt
ordnen) mit einem Gegenstandsbereich.
73
Dabei zeigt sich die The-
orie als Ort der impliziten Annahmen des methodischen Vorgehens.
Solche Annahmen treffen wir aber auch im Alltag. Eine Theorie un-
terscheidet sich von einer Ansammlung solcher Alltagsannahmen
dadurch, dass sie erstens ein geordnetes und widerspruchsfreies
System dieser Annahmen darstellt, dass ihre Annahmen zweitens
70
Vgl. Kluge/Seebold 1995, S. 823 und Kolmer/Wildfeuer 2011b, S. 2180.
71
Kolmer & Wildfeuer 2011b, S. 2180.
72
Kolmer & Wildfeuer 2011b, S. 2180.
73
Vgl. Kolmer & Wildfeuer 2011b, S. 2180, Mittelstraß 1996, S. 260.
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besser geprüft sind
74
, und dass sie drittens explizit sprachlich-
formuliert sind, während alltägliche Annahmen oft nicht explizit be-
wusst sind oder gar nicht in spezifischer sprachlicher Form (z.B.
Aussagen) vorliegen. Es lässt sich also festhalten:
Eine Theorie ist ein durch Komplexitätsreduktion gewonne-
nes perspektivisches, geordnetes und widerspruchsfreies System
von begründbaren und expliziten Annahmen (in Aussageform, meist
in Gestalt von Regeln oder Gesetzen) über die erfahrbare Wirklich-
keit mit dem Ziel der praxisstabilisierenden Orientierung in dieser
Wirklichkeit.
3.1.5 Allgemeine Theorie der Philosophie
Ob es eine allgemeine Theorie der Philosophie gibt, hängt
zunächst davon ab, ob hier der genitivus obiectivus oder der geni-
tivus subiectivus gemeint ist. Mit anderen Worten: Soll diese allge-
meine Theorie die Philosophie zum Objekt haben, d.h. eine Theorie
über Philosophie sein (genitivus obiectivus) – oder soll sie eine phi-
losophische Theorie über einen anderen Gegenstand (z.B. die
Welt), d.h. eine der Philosophie angehörige Theorie sein (genitivus
subiectivus)? Da die Bestimmung des Wesens der Philosophie über
ihren Gegenstandsbereich scheiterte, kann hier offenbar nur dieje-
nige Theorie gemeint sein, die die Philosophie zum Gegenstand hat.
Wie schon bei der Suche nach der Methode der Philosophie stößt
man hier auf das Problem, dass die Philosophie ihre eigene Theorie
umfasst.
75
Während die Frage, was Physik sei, keine physikalische
74
Über die richtige Prüfung von Annahmen gibt es in der Wissenschaftstheorie keine
Einigkeit (Carnap vs. Popper vs. Kuhn vs. Feyerabend) – ja nicht einmal darüber, ob
das Ergebnis dieser Prüfung in der Wahrheit der Aussagen besteht (Instrumentalismus
vs. Realismus). „Geprüft“ ist dabei in weitester Bedeutung zu verstehen, z.B. dass die
Aussage „Heute regnet es.“ besser geprüft wurde, wenn es tatsächlich Gründe (welcher
Art auch immer) für diese Aussage gibt, z.B. man war selbst draußen und hat es gese-
hen, oder man hat im Internet darüber gelesen etc., jedenfalls existiert dann ein
Rechtsgrund für die Behauptung, der bei der bloßen Behauptung aus Langeweile oder
zum Zwecke der Illustration eines Gedankens in einer Fußnote nicht vorliegt.
75
Vgl. Raatzsch 2000. Warum aber die Metatheorie der Philosophie wiederum eine
Philosophie sein soll, bleibt ungeklärt und wird offenbar vorausgesetzt (vgl. Raatzsch
2000, S. 5-6). Vermutlich scheint dies darin zu gründen, dass die Philosophie ihre
eigene Metatheorie umfasst und somit jede metatheoretische Untersuchung der Philo-
sophie philosophisch sein muss (vgl. Raatzsch 2000, S. 8). Offen bleibt aber, ob nicht
auch z.B. die Soziologie als allgemeine Systemtheorie das Soziologische ihrer eigenen
Disziplin klären kann, oder gar: das Philosophische der Philosophie. Ist denn bereits
jede Beobachtung zweiter Ordnung philosophisch? Wäre Luhmanns systemtheoreti-
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Frage ist, gehört diejenige Theorie, die die Philosophie zum Gegen-
stand hat, der Philosophie selbst an – zumindest wenn sie über de-
ren Wesen Auskunft geben soll. Insofern ließe sich eine Theorie
über Philosophie (Theorie der Philosophie als genitivus obiectivus)
als Metatheorie bezeichnen und insofern von der philosophischen
Theorie (Theorie der Philosophie als genitivus subiectivus) abgren-
zen. Diese Metatheorie nun hätte darüber Auskunft zu geben, was
eigentlich philosophisch an der Philosophie ist, so ihre Methodologie
darüber Auskunft zu geben hat, was eine Methode eigentlich zu ei-
ner philosophischen Methode macht. Eine solche metatheoretische
Untersuchung der Philosophie bezeichnet Raatzsch als Philoso-
phiephilosophie
76
– eine philosophische Untersuchung der Philoso-
phie.
Wenn eine philosophische Untersuchung der Philosophie
aber bereits wissen muss, was eine philosophische Untersuchung
ist, bevor sie überhaupt untersuchen kann, unter welchen Bedin-
gungen eine Untersuchung überhaupt rechtmäßig als „philoso-
phisch“ bezeichnet werden darf, so kann das Philosophische nicht
als Resultat dieser metaphilosophischen Untersuchung verstanden
werden. Sie setzt bereits voraus, was noch zur Untersuchung aus-
steht: Es bedarf also einer Metatheorie der Metatheorie ad infinitum
– der Regress ist unausweichlich.
77
Wenn Philosophie also als Me-
tadisziplin, d.h. als Reflexion auf andere Disziplinen und sich selbst
verstanden werden soll, so lässt sich ihr Wesen nicht von außen ob-
jektiv bestimmen; sondern man philosophiert bereits, wenn man
über Philosophie redet.
78
»Es gibt keinen Punkt außerhalb!«, könnte man versucht sein zu sagen,
wenn man nur wüsste, wie der aussehen soll, von dem man so gerne
sagen möchte (und oft sagen hört), dass es ihn nicht gibt. Man fängt an,
sche Beobachtung der Soziologie (vgl. Luhmann 1990b, S. 7-8) dann nicht mehr sozio-
logisch, sondern bereits philosophisch? – Die Frage muss hier weitgehend offenbleiben.
Für die vorliegende Argumentation wird aber gerade behauptet, dass nur die Philoso-
phie selbst das Philosophische der Philosophie ergründen könne: Philosophen sind
Spezialisten für die Klärung von Grundbegriffen (vgl. Abel 2008, S. 36). Während die
Frage nach dem Wesen der Physik keine physikalische Frage ist, stellt die Frage nach
dem Wesen der Philosophie eine philosophische Frage dar (vgl. Heidegger 1967, S.
57). Offenbar stehen weitere und substanziellere Begründungen hierzu aber noch aus,
weil nicht alle Disziplinen (wie die Physik) positive Tatsachenwissenschaften sind.
76
Raatzsch 2000.
77
Vgl. Raatzsch 2000, S. 19-20.
78
Vgl. Weizsäcker 1982, S. 382.
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und ist sofort mittendrin. Es gibt keinen schrittweisen Weg in die Philo-
sophie – es gibt nur den Sprung.
79
Nun zeigt sich auch der tiefere Sinn der Begriffsbestimmung Philoso-
phischer Lebensberatung sowohl aus der Außenperspektive als auch
aus der Innenperspektive: Es gibt hier keinen verbindenden Weg; die
Innenperspektive folgt nicht flüssig aus der Außenperspektive; es gibt
keine einfache Entsprechung der innenperspektivischen Aspekte der
Philosophie mit den außenperspektivischen Charakteristika der Philo-
sophischen Lebensberatung. Die hier vorgenommene Begriffsbe-
stimmung muss diese Bezüge erst herstellen und damit beständig
zwischen inkommensurablen Perspektiven vermitteln.
Dieser Sprung geschieht aber nicht voraussetzungsfrei: In-
dem philosophisch über Philosophie geredet wird, ist bereits im
Sprung entworfen, was Philosophieren sein soll. In diesem Entwurf
zeigt sich die Einstellung des Entwerfenden: „In der Einstellung zeigt
sich, was einem wichtig ist. Die Einnahme dieses oder jenes Stand-
punktes ist keine Wahl, die man nach reiflicher Überzeugung trifft.
Schon mit dem reiflichen Überlegen nimmt man einen Standpunkt
ein.“
80
Dieser Standpunkt bleibt dann als Ermöglichung und Bedin-
gung der Philosophie erhalten, indem eine Philosophie „den Ort der
Welt fest[stellt], an dem der Philosophierende sich befindet.“
81
Es gibt daher einerseits keinen Weg in die Philosophie hin-
ein, der von außen zu dem führt, was sie ist; anderseits aber auch
keinen Weg aus ihr heraus, der Ergebnisse liefert, die vom Entwurf
der Philosophie zu trennen sind.
82
In diesem doppelten Sinne kann
es also keine allgemeine Theorie der Philosophie geben: Eine sol-
che Theorie hat zum einen schon entworfen, was Philosophie sein
soll, bevor sie Auskunft darüber geben kann, was sie denn sei; zum
anderen wäre eine Theorie der Philosophie stets nur Ausdruck des
Standpunktes des Philosophierenden und gibt somit nicht Auskunft
über die Philosophie im Allgemeinen, sondern über den ihr zugrun-
de liegenden Entwurf, der zu ihrer Theorie geführt hat. Die Philoso-
phie muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass es Bewer-
tungen (anhand von Gütekriterien) von allgemeinen Theorien der
Philosophie gibt, die nicht selbst wiederum an Standpunkte bzw.
79
Raatzsch 2000, S. 97.
80
Raatzsch 2000, S. 97.
81
Brandt 2010, S. 79.
82
Vgl. Raatzsch 2000, S. 97.
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Einstellungen gebunden sind. Die Etablierung einer allgemeinen
Theorie der Philosophie scheitert also am konkreten Sprung in die
Philosophie und an der nicht gegebenen Voraussetzungslosigkeit
ihrer Auskunft. Eine solche Theorie kann weder allgemein im Sinne
von nicht-individuell noch allgemein im Sinne von objektiv gültig
sein.
Der Streit um die richtige Methode und Theorie der Philoso-
phie hat sich als ein philosophischer Streit erwiesen. Erst diese Re-
flexivität verhinderte jedes externe Kriterium, mit dem die Güte die-
ser Methode und Theorie allgemein verbindlich bestimmt werden
konnte. Dass dieser Streit allerdings genuin ein philosophischer
Streit ist, verweist nun auf den selbstbezüglichen Charakter der Phi-
losophie. Lässt sich die Philosophie vielleicht darüber bestimmen,
dass sie sich selbst zum Gegenstand hat, d.h. dass sie eine reflexi-
ve Disziplin ist?
3.1.6 Der reflexive Charakter der Philosophie
Philosophie hat demnach den Charakter, Disziplin und Me-
ta-Disziplin zugleich zu sein. Metadisziplin ist sie, weil sie die Struk-
tur, Methodologie und impliziten metaphysischen und epistemologi-
schen Voraussetzungen ihrer eigenen Disziplin untersucht – aber
auch anderer Disziplinen.
83
So wird vor allem ihr Charakter einer
Disziplin zweiter Ordnung sichtbar
84
: Sie bezieht sich nicht direkt auf
Sachen (z.B. auf Elektronen), sondern auf Theorien, die sich wiede-
rum auf Sachen beziehen (Elektrostatik bzw. Physik). Während die
Frage „Was ist Philosophie?“ eine philosophische Frage ist, kann
die Frage „Was ist Physik?“ keine physikalische Frage sein, da sie
mit den Mitteln der Physik gar nicht zu beantworten ist.
85
Philoso-
phische Fragen und philosophiephilosophische
86
Fragen verhalten
sich zueinander nicht als distinkte Mengen. Jedoch sind Fragen der
Physik und Fragen der Philosophie der Physik zu trennen, ebenso
religionswissenschaftliche und religionsphilosophische sowie
rechtswissenschaftliche und rechtsphilosophische Fragen. Dies wirft
die Möglichkeit auf, Philosophie als die grundlegendste aller Diszip-
83
Audi 2006, S. 332.
84
Vgl. Quinton 2005, S. 1.
85
Vgl. Heidegger 1967, S. 57.
86
Vgl. den Titel der Monographie von Raatzsch 2000: „Philosophiephilosophie“.
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linen zu bestimmen, weil nur sie in der Lage ist, solche Meta-Fragen
zu klären.
Diese Definition wäre aber zu einseitig und würde einer
Tradition der prima philosophia verfallen, die in der heutigen natur-
wissenschaftlich geprägten Welt nicht mehr zeitgemäß ist. Nicht nur
können Philosophen die Begriffe der Neurowissenschaften untersu-
chen – nein, es kann auch die Neurowissenschaft untersuchen,
welche Rolle dem Gehirn eines Philosophen beim Philosophieren
zukommt. Während Phänomenologen beanspruchen können, die
Welt zu beschreiben, wie sie zur Erscheinung kommt, bevor sie
durch wissenschaftliche Konstruktionen verfälscht wird, können
Neurowissenschaftler beschreiben, wie das Gehirn maßgeblich be-
einflusst, was und wie ein Phänomenologe sieht. Auch sind natürlich
systemtheoretische Beschreibungen philosophischer Unternehmun-
gen möglich, so z.B. eine systemtheoretische Beobachtung zweiter
Ordnung der Transzendentalphilosophie Kants.
87
Philosophie zu de-
finieren heißt zwar zunächst: sie als grundlegende und Meta-
Disziplin zu erkennen. Philosophie als einzige Meta-Disziplin zu be-
greifen, die aufgrund ihres vor-gängigen Charakters immun gegen
die Beschreibungen zweiter Ordnung von anderen Disziplinen ist,
allerdings heißt: nicht mehr auf dem Laufenden zu sein. Philosophie
ist eine Meta-Disziplin in dem Sinne, dass sie wissenschaftliche
Grundbegriffe wie bspw. Zeit, Raum, Wille und Freiheit für die Ein-
zelwissenschaften analysiert und interpretiert.
88
Daraus folgt aber
nicht, dass sie die einzige oder gar die letzte Meta-Disziplin ist.
Doch sie scheint eine Meta-Disziplin ganz spezieller Art zu
sein. Die Philosophie scheint nämlich die einzige integrative Diszip-
lin zu sein:
Die Art des übergreifenden Wissens [der Philosophie; H.W.] ist nicht
enzyklopädisch im Sinne einer bloßen Aggregation des Sachverstandes
der Spezialwissenschaftler zu verstehen – dies würde die Philosophie
zu einer Universalwissenschaft machen, die alles und letztlich nichts
beherrschte –, sondern integrativ, indem besagtes Wissen eine Sinn-
deutung des Ganzen liefert und Modelle zur Interpretation des Ganzen
zur Diskussion stellt. Philosophie hat von daher eine integrative Funkti-
on, die umso dringlicher ist, je weiter die Spezifikation und Differenzie-
rung der Einzelwissenschaften voranschreitet.
89
87
Vgl. Luhmann 1990a, S. 33-37.
88
Vgl. Abel 2008, S. 36.
89
Gloy 2006: 27 [Kursv. von mir; H.W.].
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Bei dieser Integration scheint sich der „Horizont der Frage“
90
mit je-
dem Schritt des Antwortens zu verschieben, was bei Sachfragen der
Einzelwissenschaften überhaupt nicht der Fall ist – zumindest nicht in
der Phase der normal science im Sinne Kuhns
91
. Philosophische Un-
tersuchungen scheinen insofern auf eine ganz eigene Art und Weise
instabil zu sein. Für Karl Jaspers ist daher die wissenschaftliche Er-
kenntnis prinzipiell von der philosophischen verschieden:
Während die Wissenschaften auf ihren Gebieten zwingend gewisse und
allgemein anerkannte Erkenntnisse gewonnen haben, hat die Philoso-
phie dies trotz der Bemühungen der Jahrtausende nicht erreicht. Es ist
nicht zu leugnen: in der Philosophie gibt es keine Einmütigkeit des end-
gültig Erkannten. Was aus zwingenden Gründen von Jedermann aner-
kannt wird, das ist damit eine wissenschaftliche Erkenntnis geworden,
ist nicht mehr Philosophie, sondern bezieht sich auf ein besonderes
Gebiet des Erkennbaren. [...] Philosophie heißt: auf dem Wege sein. Ih-
re Fragen sind wesentlicher als ihre Antworten, und jede Antwort wird
zur neuen Frage.
92
Allerdings hat die Philosophie dafür eine ganz eigene Art
von Erkenntnissen anzubieten. Während die Wahrheiten der Wis-
senschaften für das menschliche Dasein keineswegs notwendig
sind, geht es in der Philosophie „um Wahrheit, die, wo sie aufleuch-
tet, tiefer ergreift als jede wissenschaftliche Erkenntnis.“
93
Diesem
existenziellen Charakter der Philosophie schließt sich auch Her-
mann Schmitz an, für den die Philosophie vor allem subjektive Tat-
sachen untersucht: „Subjektive Tatsachen können nicht in bloß re-
gistrierender Einstellung hingenommen werden, sondern gewinnen
ihre Tatsächlichkeit [...] erst aus dem Engagement im affektiven Be-
troffensein.“
94
Subjekte Tatsachen treffen sozusagen ins Herz, oder
phänomenologisch: in den Leib. Was in der Philosophie geschieht,
kann dem Philosophierenden nicht gleichgültig bleiben.
Während der Philosophie nun ein spezieller meta-
disziplinärer Charakter zukommt, nämlich der der Integration einzel-
disziplinären Wissens, und sie sich zu sich selbst reflexiv verhält,
weil Philosophie und Metaphilosophie, philosophische Methode und
90
Abel 2008, S. 15.
91
Kuhn 1962, S. 23-34.
92
Jaspers 1985, S. 9-13. Dem Charakter der Nicht-Abgeschlossenheit der Philosophie
stimmt auch Carl Friedrich von Weizsäcker zu: „Philosophie kann definiert werden als
Weiterfragen. So hat Sokrates sie vorbildlich praktiziert. Wenn positive Wissenschaft
darauf beruht, die im Konsens entscheidbaren Fragen zu entscheiden und die anderen
nicht zu stellen, so ist Philosophie keine positive Wissenschaft, sondern deren Korrek-
tur.“ (Weizsäcker 1982, S. 37)
93
Jaspers 1985, S. 10.
94
Schmitz 1990, S. 7.
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Methodologie nicht zu trennen sind, erweist sich eine starre Fest-
stellung des Wesens der Philosophie als unmöglich, da philosophi-
sches Denken sich als ein Denken zeigt, dass seinen Fixpunkt
schon immer mit einer Einstellung entwirft, z.B. in Form einer Aus-
gangsfrage, und diesen Fixpunkt in der Suche nach einer Antwort
mitverschiebt. Es gibt keinen externen und bewegungslosen Aus-
sichtspunkt mehr, von dem diese Bewegung beobachtet werden
könnte, sondern in seiner Frage nach der Philosophie ist der Fra-
gende schon Philosoph und damit in die Philosophie als Denkbewe-
gung verstrickt. Will man aber nun das anything goes
95
vermeiden,
d.h. will man verhindern, dass Philosophie alles und nichts – nothing
special – ist; dann bietet es sich an, das Wesen der Philosophie in
genau dieser Bewegung zu verstehen, die sich jeder Fest-stellung
zu einem Starren entzieht. Nicht alles ist Philosophie, aber es kann
auch „keine allgemein bestimmbare Philosophie des Philosophie-
rens geben“
96
, da ein Allgemeines der Philosophie sich jeder Fest-
stellung in der Bewegung philosophischen Denkens entzieht und
sozusagen das von der Philosophie festhält, was schon nicht mehr
gilt; in einer Momentaufnahme die Philosophie dort zeigt, wo sie
schon nicht mehr ist; die Methode der Philosophie so beschreibt,
wie sie schon nicht mehr verfährt.
Auf der Suche nach einer Antwort des Wesens der Philoso-
phie eröffneten sich unzählige weitere Fragen, die den ursprüngli-
chen Fragehorizont so weit verschoben haben, dass man meinen
könnte, ihn schon aus den Augen verloren zu haben. Es lässt sich
vermuten: die Suche war philosophisch.
95
Das sogenannte anything goes geht auf Paul Feyerabend 2000 (S. 24-32) zurück und
bezeichnet in seiner missverstandenen Form, dessen Bedeutung hier bewusst gemeint
ist, die Auffassung, dass es keine wahre bzw. richtige wissenschaftliche Methode gibt:
es geht eben alles und soll auch alles gehen – postmoderne Beliebigkeit ist die Folge.
Zur Klarstellung dieses Missverständnisses siehe kurz und knapp: Hoyningen-Huene
2000. Auch im Folgenden soll das anything goes plakativ für Beliebigkeit und Verlust
von Qualitätskriterien stehen.
96
Brandt 2010, S. 83.
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3.1.7 Das Philosophische der Philosophischen
Lebensberatung in der Forschung
Vor diesem Hintergrund lassen sich nun viele Umschrei-
bungen der Philosophischen Lebensberatung aus der aktuellen For-
schung verstehen:
Was den psychologischen und therapeutischen Konzepten ausnahms-
los gemeinsam ist, die Trennung zwischen Theorie und Metatheorie,
eben das wird in der Philosophischen Praxis aufgehoben: sie wird nicht
metatheoretisch überwacht, wird nicht vorher konzipiert und nachher re-
flektiert, sondern sie ist praktizierte Metatheorie, konstituiert sich also
erst als reflektierter, praktischer Prozess [...] Und das heißt: Philosophi-
sche Lebensberatung steht im schärfsten Widerspruch zu jeder Form
von Theorie-Positivismus, der ansonsten überall die Therapeuten- und
Berater-Szenerie beherrscht. [...] Die Konsequenz für [Berater und Kli-
ent; H.W.] ist, dass sie sich jeder Sicherheit beraubt sehn [sic!], die
Überzeugungen und Meinungen so gut verleihen, wie ausgehandelte
und aus dem Diskussions-Verkehr gezogene - mit einem Wort: stan-
dardisierte Theorien.
97
Unter Vernachlässigung der zur Abgrenzung gegenüber der Psycho-
therapie dienenden Funktion des Zitats und seiner teilweise unzutref-
fenden Beschreibung der „Therapeuten- und Berater-Szenerie“ deutet
Achenbach hier das Philosophische dieser Lebensberatung an: Sie
hat keine unumstößliche Theorie, keine Voraussetzung, die zu Ge-
sprächsbeginn schon vom Klienten akzeptiert sein muss, sondern ihre
Theorie kann und soll während des Gesprächs zum Thema werden.
Die Philosophie bietet kein fertiges Wissen, was nur noch gelehrt
werden müsste, sondern um dieses Wissen muss stets aufs Neue
gerungen werden.
98
Das bedeutet aber nicht – so könnte man ver-
sucht sein zu schließen –, dass die Philosophie überhaupt kein Wis-
sen habe und die Philosophische Lebensberatung überhaupt keine
Theorie. Es geht lediglich um den Status dieses Wissens in der Bera-
tungssituation. Dazu erläutert Thomas H. Macho (ebenfalls in von der
Psychotherapie abgrenzender Funktion):
Gleichwohl muss auch der Therapeut ein Krankheitsmodell vorausset-
zen, das nicht in Frage gestellt werden kann. In der therapeutischen Si-
tuation kann keine Metatheorie des therapeutischen Verfahrens disku-
tiert werden. Wer den Sinn der psychoanalytischen Grundregel erörtern
will, lässt sich nicht zugleich analysieren und riskiert den möglichen Hei-
lungserfolg. Die Wahl einer spezifischen Therapie – von ‚talking cure‘
bis Bioenergetik – impliziert schon das stillschweigende und prinzipielle
Einverständnis mit den jeweils vorausgesetzten Regeln. Und über de-
ren Legitimation lässt sich nicht streiten, sofern man geheilt werden will.
97
Achenbach 1984d, S. 59.
98
Vgl. Achenbach 1984c, S. 89.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 38
Wer Heilung sucht, wird – gleichsam automatisch – auf ein normatives
Bezugssystem verpflichtet, das ohne Aneignung akzeptiert werden muß
und nicht bezweifelt werden darf.
99
An dieser Stelle bekommt die Rede von der Akzeptanz des Klienten
als „ganzer Person“
100
noch einmal einen tieferen Sinn: Der Klient wird
nicht als Träger eines allgemein strukturierten Problems, als Fall einer
allgemeinen und kategorisierten Krankheit verstanden, den es nun nur
noch nach Rezept- bzw. Lehrbuchwissen zu heilen gilt.
Soll nun allerdings bündig angegeben werden, auf welche Weise der
praktische Philosoph seinem Besucher weiterhelfe - üblicherweise lau-
tet die Frage: ‚nach welcher Methode‘ verfahren werde -, so ist korrekt
zu sagen, die Philosophie arbeite nicht mit, sondern allenfalls an Me-
thoden. Methodengehorsam ist Sache der Wissenschaften, nicht Sache
der Philosophie.
Philosophisches Denken bewegt sich nicht in vorgefertigten Bahnen, es
sucht den jeweils ‚richtigen Weg‘ vielmehr jeweils neu; es bedient sich
nicht der Denkroutinen, sondern sabotiert sie, um über sie aufzuklären.
Auch geht es nicht darum, den Gast der Philosophischen Praxis auf ei-
ne – philosophisch vorbestimmte – Bahn zu bringen, sondern darum,
ihm auf seinem Weg weiterzuhelfen.
101
Die Philosophische Lebensberatung verfährt also nicht nach einer
festgelegten Methode. Über die philosophische Methode besteht oh-
nehin keine Einigkeit (3.1.3). So wie es keine allgemeine Theorie der
Philosophischen Lebensberatung geben kann, hat sie auch keine
allgemeine Methode. Wenn der Philosophische Lebensberater aber,
wie Lindseth beteuert, nicht einfach „in der Begegnung der Erzählun-
gen seiner Gäste orientierungslos herumirrt“
102
, so erübrigen sich
Theorie und Methode nicht einfach, sondern werden geradezu zum
Problem: Wie lassen sich eine nicht-allgemeine Theorie und eine
nicht-allgemeine Methode der Philosophischen Lebensberatung den-
ken?
3.2 Die drohende Aporie Philosophischer
Lebensberatung
Die Etablierung von Theorie und Methode der Philosophi-
schen Praxis kam durch die in der Frühphase vorherrschende ab-
99
Macho 1985, S. 32.
100
Erneut: Siehe zur Rede der „whole person“ Schuster 1991, S. 219, Raabe 2001, S.
11.
101
Achenbach, http://www.igpp.org/cont/philosophische_praxis.asp (zuletzt geprüft am
24.11.2011) [Kursiv. von mir; H.W.].
102
Lindseth 2005, S. 12.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 39
lehnende Haltung gegenüber jeglicher theoretisch-methodischer
Fundierung nur schleppend voran. Dies führt allerdings zu philoso-
phischen Aporien und Selbstwidersprüchen, wie ich ausführlich dar-
gelegt habe.
103
Konkreter stellen sich dabei das Problem der Ableh-
nung und Subjektivierung von Theorie und Methode. Ich habe ge-
zeigt, dass sich Theorie und Methode aus sehr einfachen Gründen
als notwendig für jedes praktische Vorgehen in der Beratung zeigen.
Die Ablehnung von Theorie und Methode für die Philosophische Le-
bensberatung scheitert an deren Unumgänglichkeit für jedes Wahr-
nehmen und Handeln. Die Subjektivierung von Theorie und Metho-
de hingegen lässt die Frage nach dem Philosophischen der Philo-
sophischen Lebensberatung unbeantwortet: Wenn nur durch eine je
persönliche Methode angegeben wird, wie die Philosophische Le-
bensberatung vorgeht, so ist nicht anzugeben, wie die Philosophi-
sche Lebensberatung wesenhaft – d.h. als ganze, als institutionali-
sierte und allgemeine Form von Beratung – vorgeht. Daraus wiede-
rum folgt aber, dass es nicht festgelegt ist, wie ein Philosophischer
Lebensberater nicht vorgehen darf.
104
Dies macht es unmöglich, ok-
kulten oder gar schädlichen Beratungsformen das Prädikat „philo-
sophisch“ abzuerkennen – es liegt ja in der Hand derer, die solche
Praktiken ausüben, zu definieren, welche denn ihre eigene philoso-
phische Methode sei. Philosophie ließe sich hier – wie auch im Falle
einer Ablehnung von Theorie und Methode – instrumentalisieren für
die persönlichen Zwecke jedes Lebensberaters. Unreflektierte Bera-
tungspraktiken können aber potentiell schädlich sein, sodass sich
die Philosophie hier mittelbar für schädliche Zwecke missbrauchen
ließe. Die Angst vor der Instrumentalisierung der Philosophie war
doch aber gerade ein Grund, sich gegen Theorie und Methode der
Philosophischen Lebensberatung auszusprechen – man dreht sich
im Kreis.
Wenn aber die Ablehnung von Theorie und Methode aus
der Unmöglichkeit einer allgemeinen Theorie und Methode der Phi-
losophischen Lebensberatung folgte, die Ablehnung selbst aber nun
an der Unumgänglichkeit von theoretischen wie methodischen Vo-
raussetzungen der Philosophischen Lebensberatung scheiterte, so
droht eine vernichtende Aporie: Einerseits kann es keine allgemeine
Theorie und Methode Philosophischer Lebensberatung geben, an-
103
Vgl. Wahler 2013.
104
Vgl. Zdrenka 1997, S. 136.
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dererseits lassen sich Theorie und Methode aber nicht vermeiden.
Dies stellt den Sinn der Philosophischen Lebensberatung als ganzer
in Frage. Ein widerspruchsfreies Fundament scheint unmöglich.
Gibt es also einen Mittelweg zwischen allgemeiner Theorie
und Ablehnung der Theorie Philosophischer Lebensberatung? Kann
dieser Weg gleichzeitig zeigen, worin das Philosophische der Philo-
sophischen Lebensberatung positiv bestehen kann? Gibt es eine
Begriffsbestimmung der Philosophischen Lebensberatung, die sich
zwischen allgemeiner und beliebiger Verbindlichkeit bewegt? Gibt
es ein Drittes zwischen Theoriepositivismus und subjektivierter The-
orie?
Nun – Während es aber große Schwierigkeiten bei der Eini-
gung darüber gibt, was Philosophische Lebensberatung ist, so be-
steht doch in vielen Punkten große Einigkeit darin, was sie nicht ist:
Sie ist eine Tätigkeit, die nicht auf Verfestigung aus ist
105
; sie ist et-
was, dessen allgemeine Definition sich nicht angeben lässt
106
; sie
bietet keine zum bloßen Abruf bereiten Wissens- und Wahrheitsvor-
räte
107
; sie kategorisiert nicht
108
, sie diagnostiziert und heilt nicht
109
.
Woher aber kommt diese Einigkeit? Muss man nicht, um zu wissen,
was etwas nicht ist, zumindest ungefähr wissen, was es ist? Kann
man gerechtfertigt sagen, die Stadt „Cwmbran“ liege nicht in Schott-
land, wenn man noch gar nicht weiß, dass sie in Wales liegt? Wohl
aber ließe sich doch sagen, sie liege nicht in Argentinien, sobald
man weiß, dass sie eine europäische Stadt ist (ohne weiter zu wis-
sen, in welchem europäischen Land sie genau liegt). Um zu sagen,
was etwas nicht ist, muss also nur eine vage positive Vorstellung
von diesem Etwas existieren. Wenn also die Einigkeit über das, was
Philosophische Lebensberatung in vielen Aspekten
110
nicht ist, so
groß ist – ließe sich nicht diese ungefähre Vorstellung zu einem phi-
losophischen Begriff explizieren?
105
Vgl. Achenbach 1984a, S. 7.
106
Vgl. Ruschmann 1999b, S. 484.
107
Vgl. Achenbach 1984c, S. 89.
108
Vgl. Gutknecht 2008, S. 8.
109
Vgl. Macho 1985, S. 34.
110
Es gibt natürlich auch umstrittene Aspekte: Es besteht z.B. wenig Einigkeit darüber,
dass die Philosophische Lebensberatung nicht erzieht (vgl. z.B. Heintel & Macho 1991,
S. 73 vs. Schuster 1999a, S. 64) oder nicht therapeutisch ist (vgl. z.B. Achenbach
1984a, S. 6 vs. Raabe 2001, S. 205, wobei hier noch einmal genauer zu prüfen wäre,
ob beide Autoren den Begriff in derselben Weise verwenden).
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 41
4. Entwurf der Philosophischen Lebensberatung
Der Mittelweg zwischen starrem und diffusem Begriff Philo-
sophischer Lebensberatung, zwischen positiver und ausbleibender
Theorie, zwischen Methodengehorsam und anything goes, zwi-
schen allgemeiner Verbindlichkeit und Beliebigkeit ihres Wesens
soll nun in einen Entwurf der Philosophischen Lebensberatung
münden. Die Gratwanderung dieses Entwurfs ist ein Ringen um den
Begriff der Philosophischen Lebensberatung, ein konsequentes Be-
harren auf Antworten auf zentrale Fragen, die in den Extremen der
allgemeinen und subjektivierten Theorie Philosophischer Lebensbe-
ratung notwendig offen bleiben müssen. Durch diese Gratwande-
rung – die mal zum einen, mal zum anderen Extrem ausschert –
setzt sich dieses Vorgehen aber der Gefahr ebenjener Kritik aus, die
es gegenüber diesen Extremen ins Feld führt. Dennoch: Lieber ein
unzureichender und aufrichtiger Versuch als ein überlegenes und
destruktives Niederkritisieren. Zu kritisieren ist ungleich einfacher
als zu konzipieren.
4.1 Entwurf der Philosophie
Wenn also das Philosophische der Philosophischen Le-
bensberatung jenseits von allgemeiner und ausbleibender Bestim-
mung der Philosophie gefunden werden soll, bietet es sich an, vom
Konsens über das, was Philosophie bzw. Philosophische Lebensbe-
ratung nicht ist, auszugehen (4.1.1). Anschließend soll auf dieser
Grundlage der lebensberaterische Sprung in die Philosophie rekon-
struiert werden (4.1.2) und damit gleichsam die Antwort auf die Fra-
ge ermöglicht werden, was sie denn nun sei, die Philosophische Le-
bensberatung.
4.1.1 Konsensuelle Bedingungen eines Begriffs der
Philosophie
Zunächst soll also eine Annäherung an den Begriff der Phi-
losophie erfolgen, was zumindest zu einem vagen Begriff der Philo-
sophie führt, d.h. zu einer mehr oder weniger klaren Vorstellung,
was Philosophie ist und was sie nicht ist. Inhaltlich sind die damit
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 42
verbundenen Bedingungen insofern als sie keine Bedingungen der
Form eines solchen Begriffs sind, die letztlich von seiner Bestim-
mung erfüllt sein müssen, sondern sie sind inhaltliche Elemente ei-
ner materialen Vorstellung davon, was Philosophie ist (auch wenn
dies aus der Sicht der Philosophie wiederum formal aussehen mag).
Philosophie ist daher negativ – bzw. aus Negationen ihres Gegen-
teils: positiv – mindestens:
metadisziplinär und grundlegend zu allen Disziplinen (und
damit reflexiv zu sich selbst); Disziplin zweiter Ordnung
zunächst nicht positiv und bezugslos, sondern nur selbstrefe-
renziell definierbar
nicht methodisch-vorbestimmtes Denken, sondern metho-
disch-methoden-kritisches Denken – denkendes Denken,
Denken über Denken, Denken und Methode zweiter Ordnung
nicht immer auf Festschreibung von Wahrheiten, sondern auf
Flexibilisierung aus
nicht so sehr auf positive Ergebnisse, sondern auf die Unter-
suchung von deren Voraussetzungen aus
inhaltlich nicht auf einen bestimmten Gegenstand festgelegt,
aber doch fokussiert auf die Erkenntnis der Grundstrukturen
und Prinzipien der Welt und des Selbst
111
.
Diese Bedingungen werden als Konsens behauptet, d.h. in der Vielfalt
der Philosophieverständnisse, die eine allgemeine Theorie und Me-
thode der Philosophie unmöglich machen, werden diese Bedingungen
als Minimalbedingungen jedes dieser Verständnisse verstanden. Die
so gewonnene Vorstellung der Philosophie ist zwar noch nicht hinrei-
chend für einen scharfen Begriff, weil noch viel zu allgemein, formal
und abstrakt; dieses Verständnis der Philosophie ist aber noch Kon-
sens. Trotz der noch ausstehenden inhaltlichen Konkretisierung sollen
diese Bedingungen als bereits hinreichend behauptet werden, einen
Gegenstand, der diese Bedingungen erfüllt, als „philosophisch“ aus-
zuzeichnen.
Nach diesen ersten und hölzernen Auskünften über die Phi-
losophie ist aber weder Wesentliches über sie ausgesagt noch ließe
sich dies bereits für die Philosophische Lebensberatung fruchtbar
111
Für Ruschmann 1999b, S. 485 ist die Philosophische Lebensberatung eine „Modifi-
kation des Selbst- und Welterfassens“, während Schmolke 2011, S. 22 die Selbster-
kenntnis als das Ziel dieser Beratung sieht.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 43
machen. Besonders das Praxisbezogene und Praktizierende der
Philosophie scheint noch auszustehen. Unter Philosophen aller-
dings ist dieser Wesenszug der Philosophie nicht unumstritten und
kann daher nicht in die Liste einer konsensfähigen Begriffsannähe-
rung an die Philosophie aufgenommen werden. Ist er aber für ein
philosophisch-lebensberaterisches Verständnis der Philosophie
überhaupt verzichtbar? Können philosophische Gedanken, die für
die Praxis keinen Unterschied machen – deren Denken also den
Denker in keiner Weise verändert –, der Philosophischen Lebensbe-
ratung überhaupt als sinnvoll gelten? Wenn die Philosophische Le-
bensberatung keinen Unterschied macht, macht es dann überhaupt
einen Unterschied, ob es sie gibt?
4.1.2 Der lebensberaterische Entwurf der Philosophie
Wenn die Philosophische Lebensberatung überhaupt ein
Unternehmen sein soll, das es nicht einfach dabei belässt, wie die
Dinge eben sind; wenn sie also eine begründete und nicht nur fakti-
sche Existenz beanspruchen will, so muss ihr Philosophieverständ-
nis ein pragmatisches sein. Damit ist nicht gesagt, dass die Philoso-
phie bloß als Mittel zum Zweck betrachtet wird. Vielmehr geht es um
William James‘ Idee der pragmatischen Methode:
The pragmatic method is primarily a method of settling metaphysical
disputes that otherwise might be interminable. Is the world one or
many?–fated or free?–material or spiritual?–here are notions either of
which may or may not hold good of the world; and disputes over such
notions are unending. The pragmatic method in such cases is to try to
interpret each notion by tracing its respective practical consequences.
What difference would it practically make to anyone if this notion rather
than that notion were true? If no practical difference whatever can be
traced, then the alternatives mean practically the same thing, and all
dispute is idle. Whenever a dispute is serious, we ought to be able to
show some practical difference that must follow from one side or the
other's being right.
112
Mit dieser Idee ist lediglich eine Ausrichtung der Philosophie
bestimmt und noch keine Auskunft über deren inhaltliche Erkennt-
nisse gegeben.
113
Aber auch ohne Angabe spezifischer philosophi-
scher Erkenntnisse scheint die Philosophie in ihrem Wesen nun be-
reits – wenn auch noch sehr allgemein – auf die Praxis ausgerichtet
112
James 1978, S. 28.
113
Vgl. James 1978, S. 31.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 44
entworfen, von ihrer angewandt-ethischen Funktion her konzipiert
worden zu sein. Wurde damit aber nicht schon vorgängig eine Per-
spektive eingenommen, deren Rechtmäßigkeit philosophisch noch
nicht geklärt ist?
Nun – Hierin liegt genau der Sprung in die Philosophie: Es
gab keinen Weg in die Philosophie hinein, keinen Übergang von
Nicht-Philosophie zu Philosophie; es gab lediglich eine Wahl ihres
Wesens, einen Sprung in sie hinein. Über diesen Sprung lässt sich
nur rekonstruierend reden, in der Vergangenheitsform, als bereits
erfolgte Wahl. Über die Güte dieser Wahl lässt sich zwar streiten,
aber leider nicht vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Philoso-
phie, d.h. auch: gemeinsamer Gütekriterien. Die von Luhmann für
den Konstruktivismus fruchtbar gemachte Logik Spencer-Browns
fordert vom Erkennenden: Draw a distinction: Wenn du erkennen
willst, dann triff eine Unterscheidung!
114
Oder anders: Wähle! Die
Entscheidung für das Praktisch-Werden der Philosophie ist der
Sprung in sie hinein, für den es von innen oder außen keine weitere
Rechtfertigung gibt. Hier erscheinen höchstens erläuternde Aus-
künfte, die überzeugen und vereinnahmen wollen; nur nicht mehr
durch rationale Argumentation. Denn ihre Rationalität ist ein philo-
sophiegebundenes Konzept und entsteht erst durch die Wahl, die
sie dann nicht mehr begründen kann: „Was früher im Positivismus-
streit und in anderen Kontroversen als Methode bezeichnet wurde,
erscheint heute nach der »pragmatischen Wende« als Rationalitäts-
konzept.“
115
Als pragmatische Wende wird die „Einbettung des Me-
thodischen in die praktischen Lebensverhältnisse der Menschen“
116
verstanden. In diesen Lebensverhältnissen kommen die Vorausset-
zungen philosophischen Denkens zum Ausdruck: Die Philosophie
stellt damit gleichsam „den Ort der Welt fest, an dem der Philoso-
phierende sich befindet“
117
; sie gibt Auskunft über den Standpunkt
des Denkens
118
; sie zeigt im blinden Fleck die Unterscheidung, die
114
Vgl. Spencer-Brown 1969, S. 3; dt. „Triff eine Unterscheidung.“ Spencer-Brown
selbst entwickelt hier wohlgemerkt einen Kalkül im Bereich der mathematischen Logik.
115
Wuchterl 1999, S. 11.
116
Wuchterl 1999, S. 224.
117
Brandt 2010, S. 79.
118
Vgl. Raatzsch 2000, S. 97.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 45
für den Philosophierenden nicht in den Blick kommen kann und für
ihn unhintergehbar bleibt.
119
Der pragmatische Entwurf der Philosophie darf aber nicht
als bloße Nützlichkeitsphilosophie missverstanden werden; es wer-
den gar Phänomenologen wie Scheler und Heidegger sowie
Sprachphilosophen wie Wittgenstein und Habermas hierzu ge-
zählt.
120
Der vorliegende Entwurf richtet sich lediglich gegen die Vo-
raussetzungsfreiheit philosophischen Denkens sowie gegen eine
Reflexion um der Reflexion willen, d.h. z.B. gegen eine Metaphysik
jenseits ihrer existenziellen Bedeutsamkeit und ihrer praktischen
Konsequenzen. Philosophie soll demnach nicht nur sich selbst ge-
nügen. Das Wesen der Philosophie – frei von äußeren Erfordernis-
sen – muss die Bedürfnisse konkreter Menschen aus dieser Welt
aufnehmen – als äußeres Erfordernis. Nun erhellt sich auch der
Sinn des Kapitels über Anwendungsgebiete und Ziele der Philoso-
phischen Lebensberatung (2.3): Während hier von den Bedürfnis-
sen der Klienten ausgegangen wurde, ist die Philosophie aber auch
aus ihrer Innenperspektive auf ihre Kompetenzen befragt worden. In
den Anwendungsgebieten und Zielen treffen sich daher traditionelle
philosophische Kompetenzen (Flexibilisieren, Aufklären, gelingende
Lebensführung, Sinnfindung) mit den Bedürfnissen ihrer Klienten.
Im philosophisch-lebensberaterischen Entwurf der Philoso-
phie soll sich diese also ihre Fragen von der empirischen Welt vor-
geben lassen, ihre Bearbeitungsweise aber aus sich selbst gewin-
nen. Damit kann sie weder instrumentalisiert werden, weil sie die ihr
gestellten Fragen stets nur philosophisch untersucht und die Metho-
den der Philosophischen Lebensberatung stets selbst Gegenstand
der Beratung bleiben können, noch kann sie zu einer welt- und
menschenfernen, selbstgenügsamen Reflexion verkommen. Ihre
Bearbeitungsweise soll nun so bestimmt werden, dass sie sich
plausiblerweise als „philosophisch“ ausweisen lässt und gleichzeitig
tatsächlich auf solche Fragen von außen antworten kann. Nachdem
also mit der Ausrichtung auf die Praxis eine erste Wesensbestim-
mung der Philosophie erfolgt ist, stellt sich nun aufs Neue die Frage
nach ihrer Methode. Das Problem der Allgemeinheit dieser Methode
hat sich nun insofern aufgelöst, als dass die Philosophie ja selbst in
119
Vgl. zum Begriff des blinden Flecks und seiner Erläuterung Luhmann 1990a, S. 41.
120
Vgl. Wuchterl 1999, S. 224.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 46
einer Wahl entworfen wurde und daher nicht allgemein sein kann.
Ob diese Methode allerdings mehr als nur beliebig verbindlich sein
kann, ist noch offen.
4.2 Theorien und Methoden der Philosophischen
Lebensberatung
Wenn es keine allgemeine Theorie und Methode der Philo-
sophischen Lebensberatung geben kann, sich die philosophische
Methode aber einerseits in ihrer Bearbeitungspotenz der Anliegen
der Klienten Philosophischer Lebensberatung, andererseits durch
den aus dem obigen Philosophieverständnis gewonnenen philoso-
phischen Charakter auszeichnen soll, zeichnet sich die Möglichkeit
einer Methodenpluralität ab. Begründet ist die Methodenpluralität
der Philosophie damit, dass nicht jedes Problem mit derselben Me-
thode am besten bearbeitbar, weil – metaphorisch gesprochen –
zwar viele Wege nach Rom führen, aber eben nicht jeder; und auch
nicht jeder gleich effizient. Wenn die Philosophie darüber hinaus
den Methodengehorsam vermeiden will, so muss sie flexibel bleiben
und im Misserfolgsfall in der Lage bleiben, ihre Methode anzupas-
sen statt – wie für Zdrenka die Psychotherapie – vom Untherapier-
baren zu sprechen und sozusagen den Gegenstand anzupassen.
121
Damit liefe die Philosophische Lebensberatung aber Gefahr, ihre
Methode für wahres Sein zu nehmen.
122
Wenn nun für die unterschiedlichen Anwendungsgebiete un-
terschiedliche Methoden zur Sprache kommen
123
, wird auffallen,
dass diese durchaus bereits als philosophische Methoden allgemein
bekannt waren. Das legt den Verdacht eines Zirkels nahe: Auf der
Suche nach der Philosophie wurde diese unter anderem über ihre
Methoden bestimmt, die nun aber scheinbar genau deswegen her-
angezogen werden, weil sie bereits als philosophisch gelten. Das
Philosophische würde hier bereits vorausgesetzt – man hätte sich
121
Zdrenka 1997, S. 28.
122
Nach Husserl 1996, S. 55.
123
Natürlich werden auch für den Einzelfall unterschiedliche Vorgehensweisen für
individuelle Probleme oder Individuen selbst erforderlich sein. Diese Individualität kann
hier als aber nicht als allgemeine Auskunft über die Methoden der Philosophischen
Lebensberatung behandelt werden, sondern obliegt der Urteilskraft des Beraters –
möge er erkennen, ob für einen individuellen Fall eine andere Vorgehensweise ggf.
sinnvoller ist.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 47
die ganze Untersuchung sparen können. Die Methoden werden
aber mit einer abweichenden und zweifachen Begründung herange-
zogen: Erstens sind sie in der Lage – auch wenn dies in dieser Ar-
beit noch eine Behauptung bleiben muss – die Anwendungsgebiete
Philosophischer Lebensberatung erfolgreich zu bearbeiten. Zwei-
tens entspricht ihr Vorgehen, d.h. ihr Wesen als Methode, den oben
festgehaltenen und exklusiven Grundcharakteristika der Philosophie
(4.1.1). Dabei werden nun zunächst in aller Kürze konkrete Metho-
den und deren Angemessenheit zur Sprache kommen. Phänomeno-
logie, Hermeneutik, Konstruktivismus und Narrativität der Existenz.
Nach der Erläuterung des Theorie- und Methodenbegriffs in
(3.1.2 bzw. 3.1.4) soll zu diesen nun der Begriff der Technik noch
ins Verhältnis gesetzt werden, um eine präzise begriffliche Kategori-
sierung dieser Methoden zu ermöglichen. Für Raabe ist eine Tech-
nik „an element within a method; and a ‚method‘ is understood to be
a cluster or system of practices, procedures, or techniques that is
often given an appellation by their practitioners.“
124
Damit zählt für
ihn der Dialog zu den Techniken der Philosophischen Lebensbera-
tung, weil er in mehreren Methoden zum Einsatz kommt, während
der Sokratische Dialog, der zahlreiche Techniken enthält und somit
ein System von Techniken darstellt, zu den Methoden gehört.
125
Es
fällt auf, dass diese Definition rein graduell ist: Was genau eine ein-
zige Technik ist, darüber lässt sich streiten. Während für Raabe der
Dialog eine solche elementare Einheit darstellt, ist eine weitere Auf-
teilung in: richtiges Atmen, gezielte Betonung, Warten, richtige
Wortwahl etc. zumindest vorstellbar. Das führt z.B. in entgegenge-
setzter Richtung dazu, dass Schiffer das Sokratische Gespräch zu
den Techniken zählt, während die Methoden mit z.B. Sprachkritik
und Hermeneutik noch allgemeiner gefasst sind.
126
Für die Praxis
wie für das theoretische Verständnis scheint dieser fließende Über-
gang aber nicht hinderlich zu sein. Es sollen daher graduell die fol-
genden Wortbedeutungen gelten:
Eine Technik ist das kleinstmögliche sinnvolle Element einer
Methode. Die Technik ist eine Art und Weise, erfolgreich zu einem
Ziel zu kommen. Eine Methode ist ein strukturiertes System solcher
Techniken und dient der Erreichung eines allgemeineren Ziels. Die
124
Raabe 2001, S. 46.
125
Vgl. Raabe 2001, S. 46.
126
Vgl. Schiffer 2010, S. 35.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 48
Struktur gewinnt dieses System durch die hinter der Methode ste-
hende Theorie, die als konsistentes System von Sätzen Aussagen
über den Gegenstandsbereich der Methode sowie die hinter ihre
vermuteten Wirkprinzipien trifft.
Während hier das Prädikat „kleinstmöglich sinnvoll“ offenen
Charakter behalten soll, ist diese Definition hinreichend, um im Fol-
genden graduell zwischen Techniken, Methoden und Theorien zu
unterscheiden.
In einer früheren Studie vertrete ich die These, dass sich die
philosophischen Methoden der Phänomenologie, Hermeneutik, Nar-
ratologie der Existenz und des Konstruktivismus für die Philosophi-
sche Lebensberatung fruchtbar machen lassen.
127
An anderer Stelle
habe ich die Sokratische Methode und ihre Anwendung in der Philo-
sophischen Lebensberatung ausgearbeitet.
128
4.3 Das Philosophische der Philosophischen
Lebensberatung
Nachdem nun die Methoden der Philosophischen Lebens-
beratung als philosophische Methoden zur Sprache gekommen
sind, stellt sich ein vorläufig letztes Mal die Frage nach dem Philo-
sophischen der Philosophischen Lebensberatung. Der Weg war
lang: Zunächst führten die selbstbezüglichen Antworten auf die au-
ßenperspektivische Anfrage nach der Philosophie in die innenper-
spektivische Betrachtung, an deren Ende diese Selbstbezüglichkeit
in die Unmöglichkeit einer allgemeinen Theorie der Philosophie gip-
felte. Weder die Subjektivierung noch die Ablehnung einer Theorie
konnten aber abhelfen. Aus der Einigkeit über das, was Philosophie
nicht ist, folgten sehr allgemeine Kriterien eines konsensuellen Phi-
losophiebegriffs. Diese Kriterien wurden dann mit dem Verständnis
der Philosophie, der durch ihren pragmatischen Entwurf als auf die
Praxis finalisierte Philosophie entstanden war, in Übereinstimmung
gebracht. In den Theorien und Methoden der Philosophischen Le-
bensberatung zeigt sich also die in dieser Arbeit konstruierte Ent-
sprechung von innenperspektivischer Begriffsbestimmungsproble-
127
Vgl. Wahler 2013, Kap. 6.2
128
Vgl. Wahler 2012.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 49
matik und außenperspektivischer Anfragen nach einer philoso-
phisch-lebensberaterischen Philosophie. Die Methoden konnten
gleichsam noch genauer zeigen, was in den konsensuellen Bedin-
gungen eines Philosophiebegriffs noch sehr allgemein geblieben
war, nämlich wie solche abstrakten Charakteristika denn – in etwas
konkreterer Form – in der Praxis Anwendung finden können. Wenn
nun aber die Problematik der Allgemeingültigkeit von Theorie und
Methode der Philosophie berücksichtigt bleiben soll, so müssen die
konsensuellen Bedingungen eines Philosophiebegriffs (4.1.1) in
Kombination mit dem lebensberaterischen Entwurf der Philosophie
(4.1.2) als hinreichend dafür angesehen werden, für alle Philosophi-
schen Lebensberater und deren Klienten verbindlich zu sein. Wie
lässt sich das begründen?
4.4 Die Verbindlichkeit der Begriffsbestimmung
Allgemeine Gültigkeit kann ein solches Philosophiever-
ständnis nicht erlangen, weil ein allgemeiner Begriff der Philosophie
unmöglich scheint (3.1.5). Ein Verständnis der Philosophie wird als
Sprung der Philosophie immer schon Annahmen tätigen, die sich
nicht aus dieser Philosophie selbst heraus als begründet ausweisen
lassen (4.1.2). Der Sprung in die Philosophie, d.h. der Entwurf der
Philosophie, geschieht immer auf der Grundlage von Voraussetzun-
gen. Wenn eine Gruppe von Menschen nun allerdings diese Vo-
raussetzungen teilt, so ist dieses Philosophieverständnis zwar nicht
allgemein, aber doch für jeden Menschen dieser Gruppe verbindlich.
In (4.1.1) werden allgemeinste Merkmale der Philosophie als Kon-
sens behauptet, d.h. sind allgemein verbindlich. Weiterhin wird als
Konsens behauptet – was sich durchaus als schwieriger herausstel-
len könnte –, dass diese Merkmale nicht nur notwendige Kennzei-
chen der Philosophie, sondern bereits hinreichende Bedingungen
dafür sind, einen Gegenstand als „Philosophie“ zu bezeichnen. Aus
dieser allgemeinen Verbindlichkeit begründet sich das Philosophi-
sche der Theorien und Methoden (4.2), da diese jeweils einige die-
ser Bedingungen explizit erfüllen, die restlichen implizit zumindest
nicht verletzen. Während für das Philosophische der Theorien und
Methoden bereits hinreichend, bleiben diese Bedingungen aber nur
notwendig für die Antwort auf die Frage, warum genau diese Me-
thoden ausgewählt wurden. Die Begründung lässt sich in deren Zie-
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 50
len finden. Die Berechtigung, von außen überhaupt Ziele an die Phi-
losophie herantragen zu wollen, begründet sich im Entwurf der Phi-
losophie, der als lebensberaterischer Sprung (4.1.2) selbst nicht
weiter begründbar ist.
Wird dieser Entwurf aber geteilt, so sind von außen an die
Philosophie herangetragene Ziele zunächst prinzipiell zulässig. Indi-
viduell, d.h. als Ergebnis einer Selektion in ausformulierter Form ist
ein Ziel genau dann zulässig, wenn die hinreichende Kombination
der beiden notwendigen Voraussetzungen vorliegt, dass das Ziel (a)
ein faktisches Ziel konkreter Menschen ist (Außenperspektive) und
(b) von der Philosophie selbst als philosophisch bearbeitbares Ziel
anerkannt wird (Innenperspektive). Dieser weitgehend nur implizit
verfolgte Gedanke ergab die nicht vollständige, aber doch als die
wesentlichen Zielgruppen umfassende Liste der Ziele der Philoso-
phischen Lebensberatung (2.3). Die Auswahl der Theorien und Me-
thoden bleibt ebenso unvollständig. Hinreichende Begründung für
die Auswahl jeder einzelnen Theorie und Methode bilden nun die
begründeten Ziele der Philosophischen Lebensberatung. Dies bürgt
für jede einzelne Theorie und Methode, soll aber nicht begründen,
dass gewisse Theorien und Methoden noch nicht aufgeführt sind.
Zusätzliche Theorien und Methoden – und auch Techniken – blei-
ben Gegenstand der weiteren Forschung. Weil die genannten Theo-
rien und Methoden nun begründet als „philosophisch“ gelten dürfen,
kann mit ihnen konkretisiert werden, worin das Philosophische der
Philosophischen Lebensberatung gefunden werden kann. Die all-
gemeinsten Merkmale der Philosophie können also auf Grundlage
der Anerkennung des lebensberaterischen Entwurfs der Philosophie
und der daraus folgenden, weniger problematischen Anerkennung
der konkreten Ziele dieser Philosophie so weit konkretisiert werden,
dass nun eine Begriffsbestimmung der Philosophischen Lebensbe-
ratung auf der Grundlage der Begriffe der Beratung, der Lebensbe-
ratung und nun auch der Philosophie ermöglicht wird, die gleichsam
die Gütekriterien eines Begriffs erfüllt und sich damit im Hinblick auf
diese Kriterien anderen Begriffen Philosophischer Lebensberatung
aus der Forschung als überlegen erweist.
129
In Bezug auf die Verbindlichkeit einer solchen Begriffsbe-
stimmung stellt sich aber die wichtige Frage, welche Menschen
129
Vgl. dazu Wahler 2013, Kap. 2.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 51
denn nun derjenigen Gruppe angehören, die den lebensberateri-
schen Sprung in die Philosophie „mitspringen“ und welche nicht;
und vor allem: welche gemeinsamen Voraussetzungen diese Grup-
pe denn konstituieren und so zu einem für diese Gruppe verbindli-
chen Philosophieverständnis führen.
Die Gruppe konstituiert sich zunächst in der Forderung,
dass die Philosophie praktisch werde, ohne dabei bereits genau zu
wissen, was diese eigentlich ist. Was sie nämlich sein soll, wird in
diesem Moment der Einforderung entworfen (4.1.2). Der Entwurf der
Philosophie als praktisch-werdende ist also verbindlich für ebendie-
se Gruppe. Diese Gruppe wird nun weiter eingeengt dadurch, dass
dieses Praktisch-Werden der Philosophie auf die Erreichung gewis-
ser Ziele hin ausgerichtet werden soll. Die Philosophie soll praktisch
werden im Hinblick auf die aus der Außenperspektive bestimmten
Anwendungsgebiete Philosophischer Lebensberatung, die gleich-
sam setzenden Charakter haben: Dies sollen die Anwendungsge-
biete Philosophischer Lebensberatung sein (2.3). Die Gruppe wird
also zunächst durch den Sprung in die Philosophie konstituiert, der
dabei eine Differenz zwischen Innen und Außen erschafft. Aus die-
sem Außen kommen dann die Ziele der Philosophie in den Blick, die
von Innen kritisch mit der Kompetenz der philosophischen Tradition
abgeglichen werden. Zu dieser Gruppe lassen sich damit alle Men-
schen zählen, die dieselbe Voraussetzung teilen in Form der Über-
zeugung, dass die Philosophie (i) praktisch werden solle und (ii)
dies mindestens im Hinblick auf die von mir in einer früheren Studie
erarbeiteten Anwendungsgebiete Orientierung und Identitätsfindung,
Sinnstiftung durch Perspektivenwechsel, individuelle Glücksverfol-
gung, Aufklärung und Klärung moralischer Fragen, Aufklärung über
die Bedingungen menschlicher Existenz, selbstbestimmte Lebens-
führung und Selbstverwirklichung sowie Aufklärung und Klärung
fachphilosophischer Fragen.
130
Die Gruppe müsste also mindestens
fast all jene Personen umfassen, die sich „Philosophischer Lebens-
berater“ nennen, und ebenso fast all jene, die sich als „Klienten“
o.Ä. derselben bezeichnen. In der Kombination des Philosophiever-
ständnisses dieser Gruppe mit den konsensuellen, aber eben noch
nicht hinreichend konkretisierten Bedingungen eines Philosophiebe-
griffs (4.1.1) kann dann ein Philosophieverständnis gewonnen wer-
den, das nun hinreichend konkrete Bedingungen dafür angeben
130
Vgl. Wahler 2013, Kap. 4.3
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 52
kann, wann ein Gegenstand – z.B. eine Lebensberatung – das Prä-
dikat „philosophisch“ tragen darf und wann nicht. Diese Präskription
ist verbindlich für alle Menschen der oben definierten Gruppe. Wäh-
rend diejenigen Personen, die z.B. ihre Beratung ohne Ziel oder im
Hinblick auf ganz andere, nicht im obigen Sinne als „philosophisch“
ausweisbaren Ziele (z.B. medizinischer oder betriebswirtschaftlicher
Art) ausrichten, die eine notwendige Bedingung nicht erfüllen; erfül-
len diejenigen Berater, die mit Theorien und Methoden arbeiten, die
im Sinne der konsensuellen Bedingungen eines Begriffs der Philo-
sophie nicht „philosophisch“ sind (z.B. Psychoanalytiker, deren Me-
thode das meta-methodische bzw. methoden-kritische Element
fehlt, was eine Diskussion der psychoanalytischen Methode in der
Sitzung unmöglich macht
131
), die andere notwendige Bedingung
nicht. Beide Beratergruppen sollten also nicht als „Philosophische“
Berater bezeichnet werden.
Innerhalb dieser Gruppe ist also die Präskription allgemein-
verbindlich, wenn nämlich die Gruppe selbst (und nicht die Vereini-
gungsmenge der Gruppe mit ihrer Komplementärmenge) als Allge-
meines gilt. Daher zeigt sich dieser Mittelweg in der Lage, eine all-
gemein-verbindliche Definition der Philosophie zu umgehen und
trotzdem die Widersprüchlichkeiten der Subjektivierung der Philoso-
phie bzw. der Ablehnung einer Begriffsbestimmung zu vermeiden.
Weiterhin aber wird behauptet, dass die Philosophie aus der Sicht
der Philosophischen Lebensberatung nur schwerlich anders entwor-
fen werden kann: Das Praktisch-Werden der Philosophie scheint
ebenso eine notwendige Voraussetzung für eine sinnvolle Existenz
der Philosophischen Lebensberatung zu sein wie ihre real-
praktische Komponente, was sich in ihren Zielen und Anwendungs-
gebieten ausdrückt.
Die drohende Aporie der Philosophischen Lebensberatung
(3.2) konnte also als nur scheinbare Aporie aufgelöst werden. Das
auf diesem Mittelweg gewonnene Verständnis soll nun abschlie-
ßend in einer Begriffsbestimmung expliziert werden, was auch die
Bestimmung der von der Philosophischen Lebensberatung abge-
grenzten Begriffe ermöglicht.
131
Vgl. Macho 1985, S. 32.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 53
Das folgende Unterkapitel, das nun das Ergebnis der Be-
griffsbestimmung präsentiert (4.5), stellt damit das Ergebnis dieses
langen Weges dar, dessen Wanderer sich nicht mit einseitigen Ant-
wortextremen zufrieden geben wollte und der auf der Beantwortung
seiner Fragen beharrte. Der Weg war teils ungebahnt, sodass zum
Ziel auch Umwege zu Orten genommen werden mussten, über die
man nicht hätte hinweggehen können. Das Laufen erwies sich als
mühsam und schleppend. Es war ein schmutziges und kämpfendes
Laufen, kein (technisch-)sauberes und elegantes. Wenn der Wille
zur Erreichung des Ziels aber groß genug ist, so nimmt man diese
Strapazen auf sich. Andere werden sicher kommen und distanziert
darauf verweisen, dass es doch viel schneller hätte gehen können –
oder dass man unbemerkt falsch abgebogen sei und sich daher
täusche, wenn man sich bereits am Ziel wähnt. Manch einer mag
gar die Existenz des Zielortes an sich in Frage stellen. All das wird
wohl erst die Zukunft zeigen ...
4.5 Ergebnisse der Begriffsbestimmung
Philosophischer Lebensberatung
Die Philosophische Lebensberatung ist eine Beratung in
Lebensfragen auf philosophische Weise. Eine Beratung ist eine von
einer ausgebildeten Person (Berater) ausgehende und an eine rat-
suchende Person (Klient) gerichtete kommunikative Hilfe zur
Selbsthilfe auf der Grundlage von Theorie und Methode mit dem
Ziel, das die Beratung initiierende Anliegen des Klienten zu einer
gemeinsam zu definierenden und vom Klienten zu evaluierenden
Lösung zu führen. Lebensfragen sind Fragen (Probleme, Krisen,
Anliegen) des Klienten, die so allgemein sind, dass sie über ihren
situativen Entstehungskontext hinausweisen in das Ganze des Le-
bens – d.h. sie sind in der Regel Fragen nach Lebensorientierung,
grundlegenden Lebensweisen, Lebensplanung, wegweisenden Ent-
scheidungen, dem Sinn eines Ereignisses oder des Lebens als
Ganzem. Philosophisch ist diese Lebensberatung einerseits durch
die philosophische Ausbildung des Beraters, andererseits dadurch,
dass sie sich kritisch und flexibel gegenüber ihrer eigenen Theorie
und Methode verhält, was sich in der Möglichkeit eines methodolo-
gischen Diskurses während der Beratung niederschlägt. Konkret
zeigt sich das Philosophische auch in den Methoden der Beratung:
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 54
Phänomenologisch soll die scheinbare Tatsächlichkeit von Tatsa-
chen (z.B. problemstabilisierende Überzeugungen des Klienten oder
diagnostische Charakterisierungen) aufgezeigt und dekonstruiert
werden, um anschließend die lebensweltliche Erfahrungssphäre
wiederzugewinnen und den Klienten so auch kognitiv wieder mit
dem zu versöhnen, was er unmittelbar leiblich-affektiv erfährt. Her-
meneutisch soll vor allem die Eingelassenheit des Klienten in die
Geschichte – d.h. seine Stellung zu den lebenden, toten und zukünf-
tigen Mitmenschen – sowie das Spannungsverhältnis zwischen Au-
tonomie und Heteronomie (Subjektivität und Objektivität, Individuali-
tät und Allgemeinheit) verstanden werden. Existenznarratologisch
soll mit dem Klienten die Einsicht fruchtbar gemacht werden, dass
sich Menschen nur in Geschichten selbst verstehen können – Identi-
tät also als eine überlieferte und eigens zu gestaltende Geschichte
aufzufassen ist. Konstruktivistisch wird dabei der eigene Freiheits-
anteil herausgehoben, sodass dem Klienten ein hohes Gestaltungs-
potential (zurück)gegeben wird, wenn es darum geht, Bedeutungen
und Geschichten neu zu entwerfen.
Die damit geförderte Autonomie des Klienten – der nun sei-
nem Leiden nicht mehr ausgeliefert ist, sondern der es im konstruk-
tivistischen Verständnis selbst hervorbringt und daher auch beein-
flussen kann –, soll in der Philosophischen Lebensberatung auch
methodologisch respektiert werden: Die Einzigartigkeit des Klienten
wird nicht dogmatisch unter einer speziellen Theorie oder Methode
weggedeutet. Sich selbst der Unmöglichkeit einer theorie- und me-
thodenfreien Beratung, aber auch deren Wesen als konstruierter,
präskriptiver Setzung bewusst, führt das methodisch-methoden-
kritische Wesen der Philosophischen Lebensberatung zu einer The-
orien- und Methodenpluralität, die sie dem Gegenstand der Bera-
tung anpasst und nicht umgekehrt. Nicht nur metamethodisch, son-
dern auch methodisch auf Flexibilisierung aus, analysiert sie oft die
Problemkonstruktionsleistung des Klienten und erarbeitet mit ihm
andere, lösungsorientierte Perspektiven und Deutungen. Die typi-
schen Anwendungsgebiete der Philosophischen Lebensberatung
sind: Orientierung und Identitätsfindung, Sinnstiftung durch Perspek-
tivenwechsel, individuelle Glücksverfolgung, Aufklärung und Klärung
moralischer Fragen, Aufklärung über die Bedingungen menschlicher
Existenz, selbstbestimmte Lebensführung und Selbstverwirklichung
sowie Aufklärung und Klärung fachphilosophischer Fragen. Das
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 55
über die jeweiligen konkreten Ziele der Klienten hinausgehende all-
gemeine Ziel der Philosophischen Lebensberatung ist die durch
Selbst- und Welterkenntnis ermöglichte gelingende Lebensführung,
die das gute (normative Ethik), glückliche (pragmatische Ethik) und
bewusste (existenzielle Ethik) Leben in sich vereint. In dieser Form
theoretisch-lebenspraktischen Wissens (Weisheit) zeigt sich auch
der prozessorientierte Charakter der Philosophischen Lebensbera-
tung: Sie will Fähigkeiten entdecken und entwickeln, Bewegung in
Gang setzen, Perspektiven eröffnen; kurz: den Klienten befähigen,
sich auch nach Abschluss der Beratung selbst helfen zu können.
5. Ausblick
Es bleibt Aufgabe der weiteren, distanzierteren und kriti-
scheren Forschung, „hypothetisch konstruierte Situationen daraufhin
[zu] untersuchen, ob man geneigt ist, den [oben bestimmten] Begriff
[der Philosophischen Lebensberatung] auf diese Situationen anzu-
wenden oder nicht.“
132
Es sei noch darauf hingewiesen, dass der
Kern dessen, was eine Tätigkeit zu einer Philosophischen Lebens-
beratung macht, hier nicht in der Institutionalisierung (Praxisräume,
akademischer Abschluss, Vergütung, etc.), sondern im Vorgehen
(philosophische Haltung, Methoden, Theorien, Ausbildung) gesehen
wird. Wann genau ein Lebensberater als philosophisch „ausgebil-
det“ gilt, ist sicherlich umstritten. Ein Studium der Philosophie
scheint mir dafür weder hinreichend noch notwendig – aber wohl
das pragmatischste. Nicht jeder Philosophie-Absolvent hat den nöti-
gen Hintergrund für die Philosophische Lebensberatung; nicht allen
autodidaktischen Privatinteressierten bleibt die Erarbeitung dieses
Hintergrunds notwendig verwehrt. Alternativ zur akademischen
Ausbildung – oder komplementär dazu – bietet sich die Ausbildung
der Philosophischen Lebensberater durch andere Philosophische
Lebensberater an, so wie es bereits bspw. von Achenbach
133
oder
dem Berufsverband für Philosophische Praxis e.V.
134
praktiziert
wird. „Ausgebildet“ im obigen Sinne soll vor allem für das Hinter-
grundwissen und die Fähigkeiten im Bereich des philosophisch-
132
Grundmann 2008, S. 10.
133
Achenbach, http://www.achenbach-pp.de/de/studienkurspp.asp (zuletzt geprüft am
05.03.2012).
134
Berufsverband für Philosophische Praxis e.V.,
http://www.bv-pp.eu/bildungsgang.html (zuletzt geprüft am 05.03.2012).
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 56
theoretisch-methodischen sowie theorie- und methodenkritischen
Vorgehens stehen. An diesen Fähigkeiten muss sich ein Philosophi-
scher Lebensberater messen lassen, was höchstens in Korrelation
zu seiner institutionalisierten Ausbildung steht, nicht aber eine
selbstverständliche Folge daraus ist.
Insgesamt bleibt die Philosophische Lebensberatung ein
weitgehend unerforschtes Gebiet. Sowohl in der Theorie als auch in
der Praxis scheint die Reifephase noch nicht erreicht; von einem
etablierten und konsensfähigen Wissen kann keine Rede sein. Die
Frage nach dem Wesen der Philosophischen Lebensberatung muss
entsprechend als eine dynamische Frage verstanden werden. Was
Philosophische Lebensberatung in ihrem Wesen wirklich ausmacht,
lässt sich daher gegenwärtig nicht endgültig sagen, da Ziel und Ver-
lauf der weiteren Entwicklung noch nicht absehbar sind.
Zusammenfassung
Dieser Beitrag beantwortet systematisch die Frage nach dem Wesen der Philosophi-
schen Lebensberatung. Zu diesem Zweck wird zunächst begriffsanalytisch geklärt, was
unter „Beratung“ und „Lebensberatung“ zu verstehen ist. Anschließend wird das Ver-
hältnis von Berater und Klient sowie mögliche Anwendungsgebiete der Philosophischen
Lebensberatung vorgestellt. Die Bestimmung des Philosophischen dieser Lebensbera-
tung erfordert eine innenperspektivische Analyse, die schließlich in den Entwurf einer
lebensberaterischen Philosophie mündet. Auf dieser Grundlage werden Theorien und
Methoden der Philosophischen Lebensberatung expliziert und ihr philosophischer Cha-
rakter bestimmt. Nachdem die Verbindlichkeit der vorgenommenen Begriffsbestimmung
herausgestellt wurde, erfolgt eine zusammenfassende, philosophisch begründete Ant-
wort auf die Frage nach dem, was Philosophische Lebensberatung ist.
Stichworte: Philosophische Lebensberatung, Philosophische Praxis, Beratung, Le-
bensberatung
Abstract
The objective of the present article is to systematically determine what is to be under-
stood by “philosophical counseling” (or ”philosophical life coaching”). To this end, the
concept of counseling is analyzed, and both the relationship between counselor and
client, and the areas of application are illustrated. The definition of the “philosophical”
requires an investigation from the inner perspective of philosophy, leading to an outline
of counseling philosophy––thereby making it possible to determine the theories, meth-
ods and the philosophical character of philosophical counseling. After clarifying to what
extend the definition is binding, a philosophically justified answer to what constitutes
philosophical counseling is finally presented.
Keywords: philosophical counseling, philosophical practice, counseling, life coaching
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 57
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Hendrik Wahler, M.A. Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft, derzeit Dokto-
rand am Lehrstuhl für Praktische Philosophie der Uni Mainz (Arbeitstitel: „Philosophie
des gelingenden Lebens“) und selbstständiger Coach bei mindyourlife. Forschungs-
schwerpunkte: Ethik des guten Lebens; Glück; Wissenschaftstheorie, Philosophie,
Psychologie und Neurowissenschaft der Beratung.
Xaveriusweg 7, D-55131 Mainz, Internet: www.mindyourlife.de
E-Mail: hendrik.wahler@mindyourlife.de
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 61
Silvia Henninger, Cindy Höhn, Christian Roesler, Eva-Maria
Bitzer & Michael M. Berner
Erektionsstörungen – Und was ist mit den Partnerin-
nen?
Bedürfnisse, Erwartungen und Unterstützung von Frauen,
deren Partner unter Erektionsstörungen leiden.
1. Theoretischer Hintergrund
1.1 Erektionsstörungen sind häufig und belasten auch
die Partnerinnen
Die erektile Dysfunktion (ED) hat je nach Studie und untersuchter
Population weltweit eine Prävalenz von 5 – 20 Prozent (Rosen et al.
2004a; Kubin et al. 2003). In Deutschland liegt die altersadjustierte
Gesamtprävalenz von Erektionsstörungen (nach DSM-IV Kriterien) bei
17,8 % (6,8 % bei den 40-49 Jährigen bis 25,5 % bei den 70-79 Jähri-
gen). Die anhand von Selbsteinschätzung bestimmten Prävalenzen
fallen noch deutlich höher aus und schwanken je nach Altersgruppe
zwischen 8,9% und 50,6 % (Schaefer & Ahlers 2006). Studien konn-
ten belegen, dass Erektionsstörungen sowohl die Lebensqualität des
Mannes (Rosen et al. 2004b) als auch die Partnerschaft beeinträchti-
gen (Cameron und Tomlin 2007; Beutel et al. 2002). So führt eine
geringe Erektionshärte meist zu sexueller Unzufriedenheit für das
Paar (O'Connor et al. 2012; Dean et al. 2008; Mulhall et al. 2007;
Montorsi et al. 2006). Oftmals geht dies einher mit vermehrten Bezie-
hungsproblemen, insbesondere Kommunikations-problemen, Vorwür-
fen, vermehrten Konflikten und einer Abnahme an Zweisamkeit und
Zärtlichkeit (Cameron und Tomlin 2007; Nelson 2006; Riley und Riley
2000). Damit ist auch die Partnerin
135
unmittelbar von der männlichen
Erektionsstörung betroffen. Studien berichten auch von einer höheren
Rate an sexuellen Funktionsstörungen und der Verringerung sexueller
Aktivität bei den Partnerinnern von Männern mit ED (Jiann et al.
2009). So konnten Fisher et al. (2005b) in ihrer Untersuchung an 293
Partnerinnen von Männern mit ED herausfinden, das sich der Anteil
der Frauen, die sexuelle Lust bzw. Erregung „fast immer“ oder „meis-
135
Die weitaus größte Zahl der insgesamt wenigen Untersuchungen, auch die unsere,
wurde in heterosexuellen Partnerschaften durchgeführt. Es kann deshalb nur dieser
Stand der Literatur angegeben werden.
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 62
tens“ empfinden, infolge einer Erektionsstörung des Partners um
36,5% bzw. um 38,6 % verringert. Der Anteil der Frauen, die beim
Geschlechtsverkehr einen Orgasmus erleben, verringerte sich um
48% und die sexuelle Zufriedenheit nahm um 54% ab. Cayan et al.
(2004) berichten zudem von einer Beeinträchtigung der Lubrikation.
Daneben konnten eine größere Unzufriedenheit in der Ehe und höhe-
re Werte an psychiatrischen Symptomen nachgewiesen werden
(Avasthi et al. 2010).
1.2 Erfolgreiche Behandlungen der Erektionsstörun-
gen können entlasten
Eine erfolgreiche Behandlung der Erektionsstörung, z.B. mittels
Psycho- oder Pharmakotherapie, kann diese negativen Auswirkungen
deutlich verringern. So kann eine medikamentöse Behandlung der ED
die Partnerschaft verbessern (Mulhall et al. 2007). Insbesondere eine
Zunahme von Zärtlichkeit, Gemeinsamkeit und emotionaler Nähe
sowie eine Verbesserung der Kommunikation werden berichtet (Müller
et al. 2001). Die Beziehung wird als liebevoller, stabiler und weniger
stressig beschrieben (McCabe et al. 2011). Zudem führt die Behand-
lung zu einer signifikanten Verbesserung der sexuellen Lebensqualität
der Frau und deren sexuellen Funktionsfähigkeit (Goldstein et al.
2005). So konnten Fisher et al. (2005a) in ihrer Untersuchung heraus-
finden, dass die Gruppe der Frauen mit den behandelten Partnern
höhere Werte bezüglich sexuellem Verlangen (+20%), Erregung
(+29%) und Erleben eines Orgasmus (+35%) hatten als die unbehan-
delte Vergleichsgruppe.
1.3 Frauen können zur Behandlung motivieren
Im Motivationsprozess zum Beginn der Behandlung der Erekti-
onsstörung spielen die Frauen eine zentrale Rolle (Gerster et al.
2013; Fisher et al. 2009; Shabsigh et al. 2004). Die Partnerinnen sind
z.B. häufig die ersten Ansprechpartnerinnen, wenn es um die sexuelle
Problematik geht (Mirone et al. 2002). Zudem nimmt Studien zufolge
Beratung Aktuell 3/2014 Junfermann Verlag www.active-books.de 63
die Compliance der Männer bei der Behandlung zu, wenn deren
Frauen mit der Behandlung einverstanden sind und kooperieren (Fis-
her et al. 2005a; Riley 2002). Deshalb sollten die Partnerinnen stärker
in die Behandlung der Erektionsstörung mit einbezogen werden (Riley
2008). So entwickelten z.B. Dean et al. (2008) praktische Empfehlun-
gen für Ärzte, um die Frau stärker in den Therapieprozess einzubin-
den und damit ihre motivierende Rolle zu nutzen. Diese enthalten z.B.
konkrete Fragen zur Erfassung partnerschaftlichen Gesprächsverhal-
tens und der Unterstützung der Partnerin.
2. Ziele der Studie
Die Partnerin nimmt bezüglich der Erektionsstörung des Mannes
eine zentrale Rolle ein: sie ist durch die Auswirkungen der ED selbst
betroffen und trägt zugleich entscheidend zur Behandlungsmotivation
und -compliance bei. Deshalb ist es wichtig, die Frau sowohl als Be-
troffene als auch in ihrer behandlungsfördernden Rolle selbst zu un-
terstützen. Dabei können Kenntnisse über die Bedürfnisse und Erwar-
tungen der Partnerinnen hilfreich sein. Unklar ist nach gegenwärtigem
Forschungsstand, was die Frauen brauchen, um gut mit der Erekti-
onsproblematik umgehen zu können und ihrer bedeutsamen Rolle als
Partnerin gerecht zu werden. So sollen in der vorliegenden Studie
folgende Fragen untersucht werden:
1. Welche Bedürfnisse haben Partnerinnen von Männern mit
Erektionsstörungen und zu welchen Erwartungen an die Part-
ner können diese führen?
2. Was benötigen die Partnerinnen, um adäquat und unterstüt-
zend mit der Erektionsproblematik umzugehen?