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238. JAHRGANG, HEFT 1/2013 dynamik
Familien
| Im Fokus
Übersicht: Systemaufstellungen wur-
den in der Vergangenheit relativ wenig
empirisch erforscht, möglicherweise be-
dingt durch die emotionale Kontroverse
über Familienaufstellungen als ›syste-
mische‹ Methode und das ›phäno-
menologische‹ Selbstverständnis von
Praktikern . Dann aber entstanden, ein-
hergehend mit der Diversifizierung von
Aufstellungen, empirische Arbeiten, die
dazu beitrugen, dass die Kontroverse
sich entspannte. Innerhalb der Heidel-
berger Studie wurde die Wirksamkeit
von Systemaufstellungen bezüglich der
psychischen Befindlichkeit in einer ran-
domisiert-kontrollierten Studie (RCT)
erfasst. Eine nichtklinische Stichprobe
von 208 erwachsenen Teilnehmern aus
der Allgemeinbevölkerung wurde ran-
domisiert einer Experimentalgruppe
(EG; Intervention: Drei-Tages-Aufstel-
lungsseminar) oder einer Wartelisten-
kontrollgruppe (WLKG) mit späterer
Inter vention zugewiesen. Beide Studi-
enarme bestanden aus jeweils 64 ak-
tiven Teilnehmern, die ein Anliegen in
einer Aufstellung thematisierten, und
40bteilnehmenden Beobachtern ohne
eigene Aufstellung. Die Wirksamkeit
wurde zunächst zwei Wochen und dann
wiederum vier Monate nach dem Auf-
stellungsseminar mit etablierten Mess-
instrumenten aus der Psychotherapie-
forschung eingeschätzt. Die Ergebnisse
des explorativen Vergleichs der aktiven
Teilnehmer beider Studienarme werden
hier dargestellt.
Schlüsselwörter:
Systemaufstellungen,
Wirksamkeit, Psychotherapieforschung,
psychische Befindlichkeit
Einleitung
Systemaufstellungen und
empirische Forschung: Eine
schwierige Beziehung?!
Systemaufstellungen sind eine Form
der psychosozialen Intervention, die in
der systemischen Praxis und in Kon-
texten von Psychotherapie, Organisa-
tionsberatung oder Pädagogik ange-
wendet werden. Entgegen der Popula-
rität und Praxisrelevanz der Methode,
die sich in vielfältigen Veröffentli-
chungen wie den beiden Buchreihen
»Systemaufstellungen« und »Organi-
sations- und Strukturaufstellungen«
im Carl-Auer Verlag widerspiegelt,
sind empirische Forschungsarbeiten
zur Wirksamkeit von Systemaufstel-
lungen überschaubar.
Ein Grund hierfür liegt vermutlich
in der bislang unzureichend beantwor-
teten Frage, wie Systemaufstellungen
einzuordnen sind: Handelt es sich bei
Aufstellungen um ein Psychotherapie-
verfahren, ein Format, ein Arrange-
ment, eine Technik oder gar um ein
Ritual (vgl. z. B. König, 2004)?
Ein weiterer Grund, der Wirksam-
keitsstudien bislang möglicherweise
entgegenstand, kann das teilweise
anzu treffende ›phänomenologische‹
Selbstverständnis von Aufstellungs-
praktikern2 selbst sein (vgl. Weber,
Schmidt & Simon, 2005). Basierend auf
Hellingers These »Die Theorie stört die
Praxis« (Weber, 1995, S. 18), distanzier-
ten sich einige Praktiker von Theorie-
bildung und empirischer Prüfung der
Methode.
Schließlich mag auch die Kontrover-
se um die Aufstellungsarbeit nach Bert
Hellinger als Hindernis für Wirksam-
keitsstudien gesehen werden. Entge-
gen der berichteten Wirksamkeit in
JAN WEINHOLD | HEIDELBERG
CHRISTINA HUNGER | HEIDELBERG
ANNETTE BORNHÄUSER | HEIDELBERG
JOCHEN SCHWEITZER | HEIDELBERG
Wirksamkeit von
Systemaufstellungen:
Explorative Ergebnisse
der Heidelberger
RCT-Studie1
1 Gefördert mit Mitteln der Deutschen For-
schungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen
des Sonderforschungsbereiches 619 »Ritu-
aldynamik« der Ruprecht-Karls-Universität
Heidelberg.
2 Um die Lesefreundlichkeit zu wahren, wird
in diesem Beitrag auf eine separate Dar-
stellung der weiblichen Form verzichtet.
Selbstverständlich sind immer auch Prak-
tikerinnen, Klientinnen, Teilnehmerinnen,
Beobachterinnen oder Autorinnen mit ge-
meint.
38. JAHRGANG, HEFT 1/2013 3
dynamik
Familien
WIRKSAMKEIT VON SYSTEMAUFSTELLUNGEN: EXPLORATIVE ERGEBNISSE DER HEIDELBERGER RCTSTUDIE
Kolti bitte kürzen!
vielen Einzelfällen verwiesen Kritiker
auf die autoritäre und direktive Hal-
tung in Hellingers Aufstellungspraxis
sowie auf die öffentliche Inszenierung
von Aufstellungs-Events, mangelnde
therapeutische Nachbegleitung und
einzelne Tragödien nach Aufstellungs-
seminaren (Goldner, 2003; Haas, 2005).
Diese Kontroverse führte zu einer
Distan zierung gegenüber der Aufstel-
lungsarbeit nach Hellinger in akademi-
schen Kontexten und in systemischen
Fachgesellschaften (DGSF, 2003).
Gegen diese zeitgeschichtlich be-
dingten Vorbehalte lässt sich geltend
machen: Systemaufstellungen sind zu-
nächst eine Intervention, mit der ange-
strebt wird, bestimmte psychologische
Variablen bei Teilnehmern positiv zu
verändern. Damit unterscheiden sie
sich nicht grundsätzlich von anderen
medizinischen, komplementärmedizi-
nischen, psychotherapeutischen oder
heilrituellen Interventionsmethoden.
Wie sich diese Wirkungen vollziehen
und mit welchen theoretischen Model-
len sie im Sinne der Prozessforschung
abgebildet werden können, bleibt da-
bei eine offene Frage. Eine phänome-
nologische, theoriearme Haltung mag
für den Moment der Aufstellung und
je nach Menschenbild des Aufstellers
ihre Berechtigung haben, widerspricht
jedoch nicht einer Analyse der Wir-
kungen von Aufstellungen an sich. Un-
abhängig davon, ob Aufsteller ein phä-
nomenologisches, konstruktivistisches
oder metaphysisches Menschenbild
und Praxismodell haben, lassen sich
die Wirkungen der Aufstellungsarbeit
empirisch erfassen, am einfachsten
z. B. mit der Frage, ob es Klienten nach
einer Aufstellung besser geht als zuvor.
Dass eine scheinbar dubiose Metho-
de aus verschiedenen Gründen nicht
in den Fokus wissenschaftlicher For-
schung rückt, ist institutionell nach-
vollziehbar und hat etwas mit dem
Ethos der Wissenschaft zu tun, lässt
jedoch nicht auf Wirkungen der Auf-
stellungsarbeit an sich schließen. Aber
selbst aus einer kritischen Haltung ge-
genüber Systemaufstellungen heraus
wäre z. B. die systematische Analyse
von ›Nebenwirkungen‹ und Negativ-
wirkungen der Methode
nichts anderes als nur kon-
sequent. Entsprechend gab
es in den letzten Jahren
seitens der akademischen
Psychotherapieforschung
Plädoyers dafür, die Auf-
stellungsarbeit wissen-
schaftlich zu überprüfen, so
z. B. von Kirsten von Sydow (2007,
S. 314) in ihrem Beitrag für das Stan-
dardlehrbuch Psychotherapie. Ein Lehr-
buch für Ärzte und Psychologen:
› Ich möchte für eine – auch wissen-
schaftliche – Auseinandersetzung mit
diesem bisher im akademischen Kontext
auffällig ignorierten Ansatz plädieren, um
die Spaltung in blinde und unkritische Ver-
ehrung oder aber pauschale und undiffe-
renzierte Verächtlichkeit zu bearbeiten. Ein
Anfang wäre die wissenschaftliche Evalua-
tion der Arbeit von Hellinger und
seinen Schülern. ‹
Übersicht über den Forschungs-
stand zur Wirksamkeit
von Systemaufstellungen
Zeitgleich dazu, dass sich die öffentlich
geführte Kontroverse um die Aufstel-
lungsmethode beruhigte und die Me-
thode selbst weiterentwickelt wurde –
z. B. in Form von Organisations- und
Strukturaufstellungen (Sparrer & Var-
ga von Kibèd, 2010; Weber, 2002) –, ent-
standen eine Reihe empirischer Arbei-
ten zur Wirksamkeit des Ansatzes. In
einer systematischen Übersichtsarbeit
wurden 36 deutsch- oder englisch-
sprachige Studien gesichtet, die die
Wirksamkeit von Systemaufstellungen
untersuchen. Nicht berücksichtigt
wurden Praxisratgeber und Arbeiten
zur Einführung in die Methode sowie
Einzelfallbeschreibungen (Reinhard,
2012).
Bisherige Studienergebnisse weisen
auf die Wirksamkeit von Systemauf-
stellungen3 in mehreren Bereichen hin.
Höppner (2001) belegt, dass System-
aufstellungen zu einer positiven Verän-
derung des Selbstkonzepts führen kön-
nen. Weiterhin zeigen sich als Effekte
eine Verbesserung des psychischen
Wohlbefindens, die Reduktion von
psychopathologischen Symptomen
sowie gesteigerter Optimismus und
Selbstwirksamkeit (z. B. Chu, 2008;
Krüger & Schmidt-Michel, 2003; Sethi,
2009). Auf der interpersonellen Ebene
werden als Auswirkungen von System-
aufstellungen berichtet, dass sich die
Wahrnehmung der Beziehungsqualität
innerhalb des Gegenwarts- oder Her-
kunftssystems positiv veränderte, Be-
ziehungszusammenhängen und -dy-
namiken erkannt sowie belastende
Beziehungsprobleme gelöst werden
konnten (z. B. Jost, 2007; Laireiter &
Mitterhuemer, 2011; Mraz, 2006). Ne-
ben einer stärkeren emotionalen Ver-
bundenheit zu anderen Systemmitglie-
dern zeigen sich auch Tendenzen, dass
die Autonomie von KlientInnen in
deren Systemen gewachsen war, nach-
dem sie an einem Aufstellungsseminar
teilgenommen hatten (Schumacher,
2000).
Auch wenn bisherige Studien auf
positive Wirkungen von Systemauf-
stellungen hinweisen, müssen diese Er-
gebnisse aus methodischer Sicht kri-
tisch bewertet werden. Eine Vielzahl
der in der Übersichtsarbeit von Rein-
hard (2012) ausgewählten Studien
weist deutliche Mängel auf. Dazu ge-
hören z. B. unklare Fragestellungen
3 Dargestellt werden empirische Ergebnisse
zu Familienaufstellungen; für die Ergeb-
nisse von Organisationsaufstellungen vgl.
Reinhard (2012).
»
Kritik an Bert Hellinger führte
zur Distanzierung gegenüber
der Aufstellungsarbeit im
akademischen Kontext
438. JAHRGANG, HEFT 1/2013 dynamik
Familien
IM FOKUS
bzw. Hypothesen oder Studiendesigns
ohne Baseline-Erhebung und Kontroll-
gruppe.
Auch ist bei der Mehrzahl der Stu-
dien die durchgeführte Intervention,
d. h. die konkrete Durchführung von
Einzelaufstellungen, unzureichend be-
schrieben. Zudem wird häufig nicht
zwischen falleinbringenden Klienten
und teilnehmenden Beobachtern diffe-
renziert. Und schließlich stellen bei
der Hälfte der Studien die Autoren zu-
gleich die Aufstellungsleitung dar, wo-
durch die wissenschaftliche Unabhän-
gigkeit nicht ausreichend gewährleistet
ist, denn damit liegt die Versuchung
nahe, die Wirksamkeit der eigenen Ar-
beit zu evaluieren.
Zusammenfassend weist die syste-
matische Übersichtsarbeit von Rein-
hard (2012) zwar darauf hin, dass
empirische Studien eine Vielfalt an
Wirkungen von Systemaufstellungen
abbilden; sie macht aber auch deutlich,
dass die Wirksamkeitsforschung vor
allem methodisch im Vergleich zur
etablier ten Psychotherapieforschung
noch in den Kinderschuhen steckt.
Mit dem Ziel, die bestehenden Hin-
weise auf die therapeutische Wirksam-
Methodik
Studiendesign der Heidelberger
Studie zur Wirksamkeit
von Systemaufstellungen
208 erwachsene Studienteilnehmer
wurden randomisiert entweder zu ei-
ner Experimentalgruppe (EG; n = 104)
oder zu einer Wartelistenkontrollgrup-
pe (WLKG, n = 104) mit späterer Inter-
vention zugeordnet. Die Intervention
bestand aus einem dreitägigen System-
aufstellungsseminar (SAS). Wirksam-
keitsmaße bzw. abhängige Variablen
waren psychische Befindlichkeit, psy-
chische Belastung, Inkongruenz, die
Erlebensqualität in sozialen Systemen
sowie der Grad, zu dem selbst gesetzte
Ziele erreicht wurden (Schweitzer et
al., 2012).
Rekrutierung, Einschluss-
kriterien, Randomisierung
Alle Probanden wurden aufgrund
selbstbekundeten Interesses, an der
Studie teilnehmen zu wollen, aus der
Allgemeinbevölkerung rekrutiert. In
die Studie eingeschlossen wurden Per-
sonen, die (a) mindestens 18 Jah-
re alt waren, (b) der Randomisie-
rung zu einem Seminartermin
(entweder in einer Experimen-
talgruppe oder Wartelistenkont-
rollgruppe) und einem Aufstel-
lungsleiter zustimmten, (c) die
Bereitschaft zeigten, bis zum
Ende des Studienzeitraumes an
keinem weiteren Aufstellungsseminar
teilzunehmen und (d) die reduzierten
Seminargebühren (€ 120 für aktive Teil-
nehmer und € 70 für teilnehmende Be-
obachter als Aufwandsentschädigung
für die Studienteilnahme) zu überneh-
men. Beide Studienarme bestanden aus
jeweils 64 aktiven Teilnehmern (AT),
die ein eigenes Anliegen in einer Auf-
stellung thematisierten, und 40 teilneh-
menden Beobachtern (TB) ohne eigene
Aufstellung. Die Entscheidung bezüg-
lich des Teilnehmerstatus wurde vor
der Randomisierung von den Studien-
teilnehmern selbst getroffen.
Von den 208 Studienteilnehmern
wurden jeweils 104 Personen der Ex-
perimentalgruppe oder der Wartelis-
tenkontrollgruppe sowie den beiden
Aufstellungsleitern randomisiert zu-
geordnet (vgl. Tab. 1). Insgesamt wur-
den acht Systemaufstellungsseminare
durchgeführt (jeweils vier für die Ex-
perimentalgruppe und vier für die
Wartelistenkontrollgruppe). Die Teil-
nehmerzahl wurde auf 26 Teilnehmer
pro Seminar begrenzt (16 aktive Teil-
nehmer, zehn teilnehmende Beobach-
ter). Die Studienteilnehmer wurden ei-
nem der beiden Aufstellungsseminare/
Aufstellungsleiter durch eine restrikti-
ve Form der Randomisierung in Form
einer Zufallszuteilungsregel zugeord-
net (Schulz & Grimes, 2007).
Intervention und
Messzeitpunkte
Alle Systemaufstellungsseminare fan-
den in einem Gruppentherapieraum
im Institut für Medizinische Psycho-
logie der Universität Heidelberg statt
und wurden entweder von Dr. med.
Gunthard Weber, Facharzt für Psy-
chiatrie und Psychotherapie, oder von
Dr. Dipl.-Psych. Diana Drexler, Psy-
chologische Psychotherapeutin, gelei-
tet. Beide besitzen eine langjährige Ex-
pertise in der Aufstellungsarbeit. Jeder
Aufstellungsleiter führte vier Semina-
re durch (vgl. Tab. 1). Um möglichst
natura listische Bedingungen bei der
Durchführung der Studienseminare zu
schaffen, orientierten sich beide Auf-
stellungsleiter an den von ihnen regu-
lär am Wieslocher Institut für systemi-
sche Lösungen (WISL) angebotenen
Seminaren. Dazu zählten, dass die Teil-
nehmer ihren Status freiwillig wählen
konnten (aktiver Teilnehmer oder teil-
nehmender Beobachter), eine Störung
der Seminare durch Forschungsaktivi-
täten vermieden wurde (mit Ausnah-
me der Anwesenheit von zwei Mitglie-
dern des Forschungsteams bei allen
Seminaren) sowie eine ähnliche zeit-
»
Die empirische Forschung
zur Wirksamkeit von
Systemaufstellungen steckt
noch in den Kinderschuhen
keit von Systemaufstellungen zu eva-
luieren, wurde im Rahmen eines
Forschungsprojektes des Heidelberger
Sonderforschungsbereichs »Ritualdy-
namik« am Institut für Medizinische
Psychologie der Universität Heidel-
berg eine RCT-Studie (Randomised
Controlled Trial) durchgeführt. Die ihr
zugrunde liegende Methodik und die
gewonnenen Ergebnisse der Subgrup-
penanalyse aktiver Teilnehmer werden
im Folgenden dargelegt.
38. JAHRGANG, HEFT 1/2013 5
dynamik
Familien
WIRKSAMKEIT VON SYSTEMAUFSTELLUNGEN: EXPLORATIVE ERGEBNISSE DER HEIDELBERGER RCTSTUDIE
Kolti bitte kürzen!
liche Struktur bei der Seminardurch-
führung wie im WISL.
Der Seminarablauf wurde standar-
disiert, indem in jedem Aufstellungs-
seminar jeweils 16 Einzelaufstellun-
gen innerhalb von drei Seminartagen
durchgeführt wurden. Die Durchfüh-
rung einer Aufstellung wurde manua-
lisiert und beinhaltete folgende Ele-
mente: Auftragsklärung, Entscheidung
über aufzustellendes System und Po-
sitionierung von Repräsentanten (Stell-
vertreter), Prozessarbeit, Abschluss
der Aufstellung. Einzelaufstellungen
dauerten zwischen 20 und 60 Minuten.
Die Datenerhebung erfolgte zu drei
Messzeitpunkten (T1: Basiserhebung;
T2: zwei Wochen nach dem Systemauf-
stellungsseminar, T3: vier Monate nach
dem Systemaufstellungsseminar) mit
verschiedenen Fragebogen (Schweitzer
et al., 2012). Die der Wartelistenkont-
rollgruppe zugeordneten Teilnehmer
erhielten nach dem dritten Messzeit-
punkt ebenso die Intervention in Form
eines Systemaufstellungsseminars.
Methodik, Messinstrumente
und statistisches Vorgehen
bei der Subgruppenanalyse der
aktiven Teilnehmer
Im Folgenden wird die explorative
Subgruppenanalyse für die Aktiven
Teilnehmer (n = 128) der beiden Studi-
enarme dargestellt. Untersucht wird,
ob sich die psychische Befindlichkeit,
die psychische Belastung sowie das
Ausmaß der Inkongruenz bei 64 akti-
ven Teilnehmern der Experimental-
gruppe nach einer Systemaufstellung
im Vergleich zu 64 aktiven Teilneh-
mern der Wartelistenkontrollgruppe
unterscheiden.
Zur Operationalisierung der Kon-
strukte wurden folgende, in der Psy-
chotherapieforschung etablierte Mess-
instrumente verwendet: Die psychische
Befindlichkeit wurde mit der deutsch-
sprachigen Adaption des ›Outcome
Questionnaire‹ (OQ-45) gemessen
(Haug et al., 2004; Lambert et al., 2002;
Lambert et al., 2004). Der OQ-45 ist ein
Selbstbeurteilungsinstru-
ment mit 45 Fragen und ei-
nem fünfstufigen Antwort-
format, das die psychische
Befindlichkeit innerhalb der
letzten Woche erhebt (z. B.
»Ich fühle mich gereizt«:
1 = nie, 5 = fast immer). Die
Antworten können zu ei-
nem Gesamtscore sowie drei Subska-
len summiert werden. Die Subskalen
sind ›Symptombelastung‹, ›interper-
sonelle Beziehungen‹ und ›soziale In-
tegration‹. Höhere Werte indizieren
schlechtere Befindlichkeit. Die psychi-
sche Belastung wurde mit dem ›Frage-
bogen zur Erhebung von Psychothera-
pieverläufen‹ (FEP) gemessen (Lutz &
Böhnke, 2008). Der FEP ist ein Selbstbe-
urteilungsinstrument mit 40 Fragen
und einem fünfstufigen Antwortfor-
mat (z. B. »In der letzten Woche fühlte
ich mich wohl«: 1 = nie, 5 = sehr oft).
Die psychische Belastung kann als Ge-
samtscore und mit den vier Subskalen
›Wohlbefinden‹, ›Beschwerden‹, ›Be-
ziehung‹ und ›Kongruenz‹ ausgewer-
tet werden. Niedrige Werte drücken
eine geringe psychische Belastung aus.
Inkongruenz, die unzureichende Um-
setzung motivationaler Ziele, stellt ein
schulenübergreifendes Konstrukt in-
nerhalb der Konsistenztheorie von
Grawe (2000) dar, das sich dafür an-
bietet, psychologische Veränderungen
durch Systemaufstellungen abzubil-
den.
Verwendet wurde die Kurzform des
›Inkongruenzfragebogens‹ (K-INK;
Grosse Holtforth et al., 2004). Der K-
INK ist ein Selbstbeurteilungsinstru-
ment mit 23 Fragen auf einem fünf-
stufigem Antwortschema (z. B. »In der
letzten Zeit genüge ich nicht«: 1 = trifft
überhaupt nicht zu, 5 = trifft sehr stark
zu). Die Antworten können zu einem
Gesamtscore oder zu zwei Subskalen
summiert werden. Items der Subskala
›Annäherungsziele‹ umfassen, inwie-
fern erwünschte Ergebnisse erreicht
werden. Die Skala ›Vermeidungsziele‹
bildet die Vermeidung unerwünschter
Ergebnisse ab. Geringe Werte drücken
ein geringes Maß an Inkongruenz aus.
Die beschriebenen drei Fragebogen
weisen ausreichend gute psychometri-
sche Kennwerte (Validität, Reliabilität,
Experimentalgruppe (n = 104) Wartelistenkontrollgruppe (n = 104)
Nr. des SAS 1 2 3 4 5 6 7 8
Leiter G. W. G. W. D. D. D. D. G. W. G. W. D. D. D. D.
nAT 16 16 16 16 16 16 16 16
nTB 10 10 10 10 10 10 10 10
Tab. 1: Randomisierungsplan der RCT-Studie
Anmerkungen: SAS = Systemaufstellungsseminar, D. D. = Dr. Diana Drexler, G. W. = Dr. Gunthard Weber, nAT = Aktive Teilnehmer; nTB = Teilnehmende Beobachter
»
Die Ergebnisse verweisen
auf die Wirksamkeit von
Systemaufstellungen für die
psychische Befindlichkeit
638. JAHRGANG, HEFT 1/2013 dynamik
Familien
IM FOKUS
Änderungssensitivität) auf (Grosse
Holtforth et al., 2004; Haug et al., 2004;
Lambert et al., 2004; Lutz et al., 2009;
Vermeersch et al., 2004).
Alle statistischen Analyen wurden
mit SPSS (Version 19.0) durchgeführt.
Zunächst wurde durch univariate Va-
rianzanalysen mit Messwiederholung
(ANOVA) geprüft, ob es Unterschiede
zwischen den beiden Subgruppen der
aktiven Teilnehmer von Experimental-
und Kontrollgruppe gibt und ob Vari-
anzunterschiede zu den drei Mess-
zeitpunkten auftreten. Die Faktoren
der ANOVAs waren Gruppe (1. aktive
Teilnehmer der Experimentalgruppe,
2. aktive Teilnehmer der Wartelisten-
kontrollgruppe) und Zeit (T1: Baseline,
T2: zwei Wochen nach dem Aufstel-
lungsseminar, T3: vier Monate nach
dem Aufstellungsseminar). Falls sich
in den ANOVAs signifikante Zeit x
Gruppen-Unterschiede zeigten, wur-
den die Effektstärken zwischen den
beiden Subgruppen der aktiven Teil-
nehmer zu den drei Messzeitpunkten
berechnet (Cohens d mit gepoolter
Standardabweichung). Um Verände-
rungen der Werte innerhalb der Sub-
gruppen im Zeitverlauf nachzuweisen,
wurden die Effektstärken zwischen
den Messzeitpunkten für beide Sub-
gruppen separat berechnet (Cohens d
mit ungepoolter Standardabweichung).
Dabei gelten d ≥ 0.20 als kleine, d ≥ 0.50
als mittlere und d ≥ 0.80 als große Effek-
te (Cohen, 1988).
Ergebnisse
Stichprobenmerkmale
In den demografischen Daten zeigen
sich keine Unterschiede zwischen den
beiden Subgruppen der aktiven Teil-
nehmer (vgl. Tab. 2). Auffallend bei der
Stichprobe ist, dass ein Großteil der
Studienteilnehmer weiblich ist, als
höchsten Schulabschluss Abitur auf-
weist und bereits Vorerfahrungen mit
Systemaufstellungen besitzt.
Unterschiede zwischen
den aktiven Teilnehmern in
der Experimental- und
Wartelistenkontrollgruppe
In den ANOVAs zeigen sich sowohl
für die Gesamtscores als auch in allen
Subskalen der drei Fragebogen OQ-45,
FEP und K-INK signifikante Zeit x
Gruppen-Unterschiede.4 Während es
zur Baseline erwartungsgemäß keine
Unterschiede gibt, zeigen sich zwei
Wochen nach den Systemaufstellun-
gen (T2) mittlere Effekte im Subgrup-
penvergleich für die Gesamtscores
der drei Fragebogen (vgl. Tab. 3). Die
Effekte sind konsistent und werden
durch kleine bis mittlere Effekte in al-
len elf Subskalen der drei Fragebogen
bestätigt.
Auch vier Monate nach der Inter-
vention (T3) können signifikante Un-
terschiede zwischen den beiden Sub-
gruppen nachgewiesen werden, wobei
die Gesamtscores kleine (OQ-45 und
K-INK) bis mittlere (FEP) Effekte auf-
weisen. Unterstützt werden die Ergeb-
nisse zu T3 durch Unterschiede in neun
von elf Subskalen (Ausnahmen sind
die Subskalen ›Wohlbefinden‹ im FEP
und ›Annäherungsziele‹ im K-INK).
Diese Ergebnisse deuten darauf hin,
dass aktive Teilnehmer von System-
aufstellungsseminaren nach zwei Wo-
chen eine verbesserte psychische Be-
findlichkeit, eine reduzierte psychische
Belastung sowie eine verminderte In-
kongruenz im Vergleich zur Wartelis-
tenkontrollgruppe aufweisen. Diese
Unterschiede erweisen sich vier Mo -
nate nach der Intervention als stabil.
Wie lassen sich die Unterschiede
zwischen den Subgruppen mit den Ver-
änderungen innerhalb der beiden Sub-
gruppen erklären? Die Werte in der
Subgruppe der aktiven Teilnehmer in
der Experimentalgruppe nach zwei
Wochen im Vergleich zur Baseline in-
dizieren eine verbesserte psychische
Befindlichkeit (Unterschied von T1 zu
T2 im Gesamtscore des OQ-45: d = 0.53,
p = 0.000), eine reduzierte psychische
Belastung (Unterschied von T1 zu T2
im Gesamtscore des FEP: d = 0.48, p =
0.000) und verminderte Inkongruenz
(Unterschied von T1 zu T2 im Gesamt-
score des K-INK: d = 0.42, p = 0.000). Im
Zeitraum von zwei Wochen (T2) bis zu
vier Monaten nach dem Aufstellungs-
AT/ EG
(n = 64)
AT/WLKG
(n = 64)
Alter in Jahren 47 (± 9) 48 (± 10)
Geschlecht: weiblich 51 (80 %) 45 (70 %)
in einer Beziehung lebend 42 (66 %) 46 (79 %)
höchster Schulabschluss: Abitur 57 (89 %) 40 (78 %)
Berufstätig 59 (94 %) 55 (86 %)
deutsche Nationalität 63 (98 %) 61 (96 %)
Vorerfahrungen mit Systemaufstellungen 51 (80 %) 54 (84 %)
Tab. 2: Stichprobenmerkmale der Aktiven Teilnehmer (AT) in Experimentalgruppe (EG) und
Wartelistenkontrollgruppe (WLKG)
Anmerkungen: Angegeben sind beim Alter Mittelwert und Standardabweichung, bei den anderen Variablen
die absolute und prozentuale Häufigkeit.
4 Alle statistischen Kennwerte der Studie
sind bei den Autoren der Studie verfügbar.
In die statistische Analyse eingegangen sind
alle n = 128 aktiven Teilnehmer im Sinne
des ›intention-to-treat‹-Ansatzes.
38. JAHRGANG, HEFT 1/2013 7
dynamik
Familien
WIRKSAMKEIT VON SYSTEMAUFSTELLUNGEN: EXPLORATIVE ERGEBNISSE DER HEIDELBERGER RCTSTUDIE
Kolti bitte kürzen!
EG
(n = 64);
WLKG (n = 64)
T1 T2 T3 Effektstärken
zwischen AT/EG und
AT/WLKG zu T2
Effektstärken
zwischen AT/EG und
AT/WLKG zu T3
Variable Gruppe M
(SD)
M
(SD)
M
(SD)
pdpd
OQ-45
GES
EG 97.43
(18.67)
87.69
(18.35)
89.29
(19.11)
.006 0.50 .007 0.49
WLKG 96.08
(19.89)
97.53
(21.10)
98.79
(19.99)
OQ-45
SB
EG 53.56
(11.58)
47.88
(11.04)
48.82
(11.21)
.013 0.45 .008 0.48
WLKG 52.68
(12.65)
53.43
(13.77)
54.50
(12.44)
OQ-45
BEZ
EG 24.09
(6.43)
22.14
(6.02)
22.02
(6.67)
.037 0.36 .060 0.34
WLKG 23.67
(5.71)
24.33
(5.69)
24.24
(6.60)
OQ-45
SOZ
EG 19.77
(4.32)
17.67
(3.50)
18.44
(3.76)
.002 0.56 .022 0.41
WLKG 19.72
(3.58)
19.77
(4.06)
20.06
(4.10)
FEP
GES
EG 2.22
(0.60)
1.95
(0.53)
2.02
(0.56)
.003 0.54 .004 0.52
WLKG 2.20
(0.58)
2.27
(0.63)
2.32
(0.59)
FEP
WB
EG 2.63
(0.75)
2.21
(0.72)
2.44
(0.79)
.008 0.48 .107 0.29
WLKG 2.47
(0.70)
2.59
(0.87)
2.66
(0.73)
FEP
BES
EG
(n=64)
2.07
(0.67)
1.78
(0.56)
1.83
(0.65)
.011 0.46 .013 0.45
WLKG 2.04
(0.73)
2.07
(0.70)
2.14
(0.72)
FEP
BEZ
EG 2.05
(0.63)
1.88
(0.61)
1.84
(0.53)
.009 0.46 .002 0.56
WLKG 2.10
(0.56)
2.16
(0.60)
2.15
(0.57)
Tab. 3: Deskriptive Daten zu 3 Messzeitpunkten für die Fragebogen OQ-45, FEP und K-INK der aktiven Teilnehmer von Experimentalgruppe
und Wartelistenkontrollgruppe; Effektstärken zwischen den Subgruppen zu T2 und T3.
Anm.: T1 = Baseline, T2 = 2 Wochen nach dem SAS, T3 = 4 Monate nach dem SAS, EG = Experimentalgruppe, WLKG = Wartelistenkontrollgruppe, p= Signifikanz-
niveau, d = Effektstärke nach Cohen, OQ-45 = Outcome Questionnaire, GES = Gesamtscore, SB = Symptombelastung, BEZ = Beziehung, SOZ = soziale Integration,
FEP = Fragebogen zur Erhebung von Psychotherapieverläufen, WB = Wohlbefinden, BES = Beschwerden; BEZ = Beziehung, KON = Kongruenz, K-INK = Kurzform
Inkongruenzfragebogen, AN = Annäherungsziele, VER = Vermeidungsziele. Mittelwerte und Standardabweichungen des OQ-45 beziehen sich auf Skalensummen-
werte (Gesamtscore), beim FEP und beim K-INK auf die Skalenmittelwerte (Gesamtscore/Anzahl der Items).
838. JAHRGANG, HEFT 1/2013 dynamik
Familien
IM FOKUS
seminar (T3) kommt es zu keiner weite-
ren Veränderung in den Gesamtscores
der drei Fragebogen, d. h. die verbes-
serten Werte bleiben nach vier Mona-
ten stabil. Bei den aktiven Teilnehmern
in der Wartelistenbedingung zeigten
sich sowohl zwischen T1 und T2 als
auch zwischen T2 und T3 keine Un-
terschiede in den Messwerten. Somit
können die Subgruppenunterschiede
auf eine verbesserte psychische Befind-
lichkeit sowie verminderte psychische
Belas tung und Inkongruenz in der Ex-
perimentalgruppe zurückgeführt wer-
den.
Diskussion
Ergebnisse der
Subgruppenanalyse
Die dargestellten Ergebnisse belegen
eindeutig die Wirksamkeit von System-
aufstellungen hinsichtlich zentraler
Variablen psychischer Gesundheit.
Aktive Teilnehmer von Systemaufstel-
lungsseminaren, deren persönliches
Anliegen bearbeitet wird, zeigen im
Vergleich zu aktiven Teilnehmern der
Wartelisten-Bedingung eine verbesser-
te psychische Befindlichkeit, eine ver-
minderte psychische Belastung sowie
ein geringeres Ausmaß an Inkongru-
enz. Damit werden bestehende Ergeb-
nisse von Studien zur Wirksamkeit von
Systemaufstellungen sowie die in Fall-
beschreibungen berichteten positiven
Wirkungen der Aufstellungsarbeit ge-
stützt (vgl. Reinhard, 2012).
Kleine bis mittlere Effekte zwischen
den beiden Subgruppen treten zwei
Wochen nach der Teilnahme an einem
dreitägigen Systemaufstellungssemi-
nar auf und bleiben vier Monate nach
der Intervention stabil. Darin bildet
sich ab, dass Systemaufstellungen
nicht nur kurzfristige Effekte erzielen,
sondern sich auch mittelfristig auf die
psychische Befindlichkeit und Belas-
tung auswirken. Die Stabilität der Ef-
fekte nach vier Monaten lässt vermu-
ten, dass Systemaufstellungen sowohl
individuelle als auch interpersonelle
Prozesse auslösen können, die über
das unmittelbare, positive Gruppener-
lebnis eines Aufstellungsseminars hin-
ausgehen. Hypothetisch zählen dazu:
EG
(n = 64);
WLKG (n = 64)
T1 T2 T3 Effektstärken
zwischen AT/EG und
AT/WLKG zu T2
Effektstärken
zwischen AT/EG und
AT/WLKG zu T3
FEP
KON
EG 2.30
(0.65)
2.05
(0.60)
2.14
(0.68)
.004 0.52 .007 0.49
WLKG 2.30
(0.65)
2.38
(0.68)
2.47
(0.68)
K-INK
GES
EG 2.29
(0.59)
2.04
(0.60)
2.14
(0.62)
.003 0.53 .015 0.43
WLKG 2.32
(0.58)
2.36
(0.60)
2.41
(0.64)
K-INK
AN
EG 2.38
(0.64)
2.16
(0.60)
2.30
(0.69)
.018 0.42 .119 0.29
WLKG 2.39
(0.65)
2.43
(0.68)
2.50
(0.68)
K-INK
VER
EG 2.19
(0.69)
1.92
(0.69)
1.97
(0.68)
.002 0.55 .004 0.52
WLKG 2.26
(0.62)
2.29
(0.65)
2.32
(0.68)
Tab. 3: (Fortsetzung)
38. JAHRGANG, HEFT 1/2013 9
dynamik
Familien
WIRKSAMKEIT VON SYSTEMAUFSTELLUNGEN: EXPLORATIVE ERGEBNISSE DER HEIDELBERGER RCTSTUDIE
Kolti bitte kürzen!
Beziehungen innerhalb des Herkunfts-
oder Gegenwartssystems zu klären,
eine ressourcenorientierte Sicht auf
das eigene System einzunehmen, bio-
grafische Vergangenheitsbewältigung
anzustreben sowie Zukunftsperspek-
tiven zu entwickeln.
Zu berücksichtigen ist, dass in der
vorliegenden Subgruppenanalyse
Messinstrumente verwendet wurden,
die den Erfolg der Inter vention auf
recht allgemein formulier-
ten Dimen sionen abbildet.
Je breiter und unspezifi-
scher die eingesetzten In -
strumente Veränderungen
messen, desto geringer sind
die Effektstärken der jewei-
ligen Intervention (Lipsey &
Wilson, 1993). Es ist davon auszuge-
hen, dass höhere Effektstärken beob-
achtet werden können , wenn interven-
tionsspezifische Messinstrumente zum
Einsatz kommen. In unserer Studie
wurden dazu das ›Erleben in sozialen
Systemen‹ als aufstellungsspezifisches
Maß und die Erreichung subjektiver
Ziele nach Aufstellungen im Sinne ei-
nes Goal-Attainment-Scaling verwen-
det (Hunger et al., 2012; Bornhäuser et
al., 2012).
Stärken und Limitationen
der Studie
Eine Stärke der Studie besteht darin,
dass es sich um die erste RCT-Studie
überhaupt handelt, mit der die Wirk-
samkeit von Systemaufstellungen ge-
prüft wurde. Die naturalistischen
Durchführungsbedingungen der Inter-
vention, die sich an den Aufstellungs-
seminaren des Instituts der beiden Auf-
stellungsleiter orientierten, bedingten
dabei eine hohe externe Validität. Wei-
terhin erfolgte entgegen der häufigen
Personalunion von Aufstellungsleiter
und Forscher in unserer Studie eine
klare Trennung von Forschungsteam
und Aufstellungsleitung.
Dennoch sollten die Ergebnisse
auch vor dem Hintergrund verschie-
dener Limitationen diskutiert werden.
Ein grundsätzlicher Nachteil ist das
Wartelisten-Design anstatt einer mit
der Intervention vergleichbaren Be-
handlung (Rifkin, 2007). Auch wenn
solch ein Design besonders bei der
Erfor schung neuer Therapiemethoden
praktikabel ist, kann nicht mit Sicher-
heit gesagt werden, ob die Resultate
verfahrensspezifisch auf Systemauf-
stellungen zurückzuführen sind. Wei-
terführende Studien könnten eine
äquivalente Intervention für die Kont-
rollgruppe anstreben, z. B. eine Multi-
familientherapie.
Limitiert wird die Interpretation der
Ergebnisse zudem durch die Stich-
probe der Studie. Die aus der Allge-
meinbevölkerung rekrutierten Studi-
enteilnehmer, die aufgrund eigener
Interessensbekundungen teilnahmen,
waren hauptsächlich weiblich, berufs-
tätig und hatten Abitur. Weiterhin hat-
ten knapp über 80 % der Studienteil-
nehmer Vorerfahrungen mit der
Aufstellungsarbeit. Im Sinne eines
Sampling Bias sind die Ergebnisse so-
mit nur eingeschränkt generalisierbar.
Schließlich bleibt zu berücksichti-
gen, dass es sich bei der Studie um
eine nichtklinische Stichprobe handel-
te. Wenngleich die Ergebnisse auf eine
Verbesserung allgemeiner Merkmale
psychischer Gesundheit hinweisen, so
kann nicht auf die Wirksamkeit von
Systemaufstellungen bei bestimmten
psychischen Störungen geschlossen
werden. Folgestudien an klinischen
Stichproben sind jedoch denkbar. Wei-
terhin könnte geprüft werden, ob
System aufstellungen eine wirksame
Ergänzung extensiverer Formen am-
bulanter oder stationärer Psychothera-
pie darstellen können.
»
Folgestudien sollten an
klinischen Stichproben
durchgeführt werden
((Anzeige))
10 38. JAHRGANG, HEFT 1/2013 dynamik
Familien
IM FOKUS
Am Beginn dieses Beitrages wurde
dargestellt, dass das Verhältnis von
Systemaufstellungen und empirischer
Wirksamkeitsforschung zeitweise ein
schwieriges war. Ein implizites, aber
vielleicht zentrales Ergebnis der vorlie-
genden Studie ist, dass dies zukünftig
nicht so bleiben muss.
ÎSummary
Effectiveness of Systemic Constellations –
Exploratory Findings of the Heidelberg
RCT Study
In the past, little empirical research has
been devoted to systemic constellati-
ons. One conceivable reason for this is
the emotional controversy about fami-
ly constellations as a »systemic« me-
thod and the »phenomenological« light
in which practitioners have traditio-
nally seen themselves. But the diversi-
fication of constellations produced em-
pirical studies that did much to take the
sting out of this controversy. The Hei-
delberg study used a randomised, con-
trolled approach (RCT) to examine the
effectiveness of constellations in con-
nection with psychical well-being. A
non-clinical sample of 208 adult parti-
cipants from the general public was
randomly allotted to an experimental
group (EG; intervention: 3-day constel-
lation seminar) and a waiting-list con-
trol group <[ale1] (WLCG) where inter-
vention came later. Both arms of the
study consisted of 64 active members
addressing a concern of theirs in a con-
stellation and 40 observer participants
without a constellation of their own.
Effectiveness was assessed two weeks
and four months after the constellation
seminar by means of established
measuring instruments widely used
in psychotherapy research. The article
presents the outcome of the explora-
tory comparison between the active
participants in both arms of the study.
Keywords: systemic constellation, effec-
tiveness, psychotherapy research, psy-
chical well-being
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Wirksamkeit auf psychische Gesundheit überprüft werden.
Durch die Kompaktheit der Intervention (z. B. als dreitägiges Seminar ohne
Fortsetzungstermine) ist dies teilweise einfacher als bei länger andauernden
Therapien.
Weiterführende Studien sollten an klinischen Stichproben und mit einer Sys-
temaufstellungsseminaren vergleichbaren Kontrollintervention durchgeführt
werden.
Nach unseren Ergebnissen können Systemaufstellungsseminare bei aktiven
Teilnehmern geringe bis mittlere Effektstärken erzielen. Diese sind geringer
als bei längerfristigen Psychotherapien, jedoch für eine einmalige dreitägige
Intervention beachtlich.
Insofern könnrn Systemaufsteller zwar hinsichtlich der Wirksamkeit ihrer
Methode selbstbewusst auftreten, sie sollten gleichwohl realistisch bleiben.
38. JAHRGANG, HEFT 1/2013 11
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Anschrift des Verfassers
Dr. Jan Weinhold
Sektion »Medizinische Organi-
sationspsychologie« am Institut
für Medizinische Psychologie
Zentrum für Psychosoziale Medizin
der Universität Heidelberg
Bergheimer Str. 20
69115 H eidelberg
jan.weinhold@med.uni-heidelberg.de
Dr. Jan Weinhold, Dipl.-Psych., seit
2002 im Sonderforschungsbereich
»Ritualdynamik« und im Institut für
Medizinische Psychologie der Univer-
sität Heidelberg tätig. Forschungs-
schwerpunkte: Ritualdynamik und
Wirksamkeit von Systemaufstellungen,
Psychotherapieforschung, Suchtpräven-
tion, Rituale in Organisationen. Prakti-
sche Tätigkeit in den Bereichen syste-
mische Therapie/Beratung, Coaching
und Supervision.