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Der Naturschutz und das Fremde. Ökologische und normative Grundlagen der Umweltethik.

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  • Büro für Umweltethik
Inhalt
Einleitung ...................................................... 7
I. Neophyten: Fremde Natur.................................... 15
1. Was ist das Neophytenproblem? ...........................15
2. Vorstellung einiger »Problemarten«......................... 19
3. Texte über fremde Arten: Material und Methoden ........... 33
II. Wissenschaftstheoretische Grundlagen ..................... 41
1. Theoriedefizite in der Naturschutzforschung................. 41
2. Zur Objektivität naturwissenschaftlicher Erkenntnis ......... 43
3. Zur Wertfreiheit der Wissenschaft .......................... 54
4. Objektivität und Werte ..................................... 60
III. Das historische und theoretische Umfeld
des Neophytenbegriffs ....................................... 63
1. Der Begriff »Neophyt« .................................... 63
2. Pflanzengeographie zwischen Naturgeschichte
und Naturwissenschaft ..................................... 77
3. Pflanzensoziologie ......................................... 87
5
IV. Die Bedeutung des Heimatbegriffs
für den Naturschutz..........................................108
1. Was bedeutet »Naturschutz«?..............................108
2. Was ist Natur? Ein kurzer Abriß des abendländischen
Naturverständnisses von der Antike bis zur Moderne .......112
3. Heimatschutz: Die Ursprünge des Naturschutzgedankens ...115
4. Naturschutz heute – Erhalten oder Gestalten? ..............126
5. Zur Modernität des Naturschutzgedankens .................131
V. Naturbilder in ökologischen Texten über Neophyten.....142
1. Vier Thesen zur Bedeutung von Neophyten für den
Naturschutz...............................................142
2. Eigenschaften problematischer Neophyten ................. 145
3. Eigenschaften natürlicher Gesellschaften...................158
VI. Bewertung der Auswirkungen eingeführter Arten.........177
1. Zum Begriff der Bewertung ...............................178
2. Zur Wahrscheinlichkeit der Etablierung eingeführter Arten .186
3. Auswirkungen von Neophyten.............................189
4. Wie sind die Auswirkungen von Neophyten zu bewerten? ..199
5. Was tun? ................................................218
VII. Neophyten, Naturschutz und Ethik .........................220
1. Neophytenproblematik und Wissenschaftsethik.............220
2. Neophytenproblematik und Naturschutz....................226
3. Neophytenproblematik und Umweltethik...................235
Literatur ......................................................243
6
Einleitung
»Die weit verbreitete Ontologisierung von Natur bis hin zur Naturalisierung
gesellschaftlicher Verhältnisse zu Legitimationszwecken verkennt, daß die
gegenständlichen Substrate, die wir ›Natur‹ nennen, von menschlichen Defini-
tionsprozessen und menschlicher Praxis abhängen.« (Kardorff 1991:75)
Die fortschreitende Zerstörung der natürlichen Umwelt ist nicht in erster
Linie ein ökologisches, sondern ein gesellschaftliches Problem. Daher sind
längst neben Biologie, Landschaftsplanung und Umwelttechnik auch zahl-
reiche andere Disziplinen wie Ökonomie, Rechts- und Politikwissenschaften
um einen Ausweg aus der »ökologischen Krise« bemüht. Welchen Beitrag
die Ökologie dabei leisten kann und sollte, darüber allerdings scheinen die
Meinungen auseinanderzugehen: Einerseits ist der »ökologische« Umbau
der Gesellschaft offensichtlich ein mittlerweile mehrheitsfähiges politisches
Programm. Andererseits ist aber zu befürchten, daß die hegemoniale
Stellung der Ökologie im Umweltdiskurs zu einer Entpolitisierung der
Thematik führt, die die gesellschaftliche Dimension der Umweltproblematik
verkennt.
Ökologische Erkenntnisse sind bekanntlich nicht umstandslos in Regeln
für den Umgang mit der Natur zu überführen (Haber 1993a). Die
verbreitete Vorstellung, Ökologie sei die Theorie und Naturschutz die aus
dieser sich zwangsläufig ergebende Praxis, wird von seiten der Ökologie
schon seit geraumer Zeit zurückgewiesen (z. B. Konold 1988;
Bröring/Wiegleb 1990; Kaule/Henle 1991; Trepl 1991; Haber 1993b). Die
in der Naturschutzpraxis relevanten Fragen – warum welche Natur an
welcher Stelle wie zu schützen sei – lassen sich nicht allein nach
ökologischen Gesichtspunkten beantworten, sondern nur unter Abwägung
verschiedener, oft divergierender, menschlicher Bedürfnisse.
Bei solchen Abwägungen ziehen Naturschutzbelange, trotz des allgemein
gestiegenen Umweltbewußtseins, regelmäßig den kürzeren. Die Ursache
hierfür sehen viele für den Naturschutz Engagierte in der Qualität der
ethischen Grundlage des Naturschutzes: Herkömmliche Naturschutzbegrün-
dungen werden für einen wirksamen Schutz der Natur als unzureichend
7
erachtet (Buchwald 1983; Bierhals 1984; Meyer-Abich 1987; Wöbse 1987;
Altner 1990).
Aus diesem Grund bemühen sich seit geraumer Zeit PhilosophInnen wie
BiologInnen1 um Ansätze einer Umweltethik, die das Verhältnis von
Mensch und Natur grundlegend neu bestimmen soll. Seit den 1970er Jahren
mehren sich dabei, vor allem in der angloamerikanischen Literatur, Ansätze,
die in der anthropozentrischen Begründungsstruktur der Ethik selbst die
Ursache für die rücksichtslose Ausbeutung der Natur durch Menschen
sehen. Sie plädieren daher für eine grundsätzlich neue Ethik, in der der
Natur ein von Menschen unabhängiger moralischer Wert zuerkannt wird.
Solche Ansätze einer »ökologischen« Ethik2 beziehen sich häufig auf die
Ökologie (z.B. die sog. Tiefenökologie: Rolston 1989; Naess 1989). Von ihr
erhofft man sich Aufschluß darüber, wie die Natur funktioniere und wie der
Mensch sich demzufolge zu verhalten habe: »[E]cology often functions as
the exemplar of the natural and the healthy, and in so doing seems to
indicate to us how we ought to re-orient our lives« (Evernden 1992:8).
Indem Konzeptionen einer ökologischen Ethik in ihrer Begründung auf
die Natur selbst zurückgreifen, setzen sie sich dem Vorwurf des Naturalis-
mus aus. Die philosophische Kritik an solchen Ethik-Entwürfen focussiert
daher in der Regel das Problem des Sein-Sollens-Fehlschluß': ein logischer
Schluß von deskriptiven auf präskriptive Sätzen ist unmöglich. Werturteile
oder gar Normen lassen sich aus ökologischen Fakten nicht ableiten –
zumindest nicht ohne weitere Zusatzannahmen. Dieses Argument beruht auf
der Voraussetzung, daß die Biologie als naturwissenschaftliche Disziplin
»wertfreies« und »objektives« Wissen über die Natur zur Verfügung stelle,
1 Da der deutsche Plural grammatikalisch nur die männliche Form vorsieht, ich aber die
Präsenz von Frauen in Wissenschaft und Gesellschaft auch sprachlich kenntlich machen
möchte, habe ich, wo dies nicht durch andere Formulierungen zu vermeiden war, die
Schreibweise -Innen gewählt. Sie stellt eine Kurzform für das sprachlich etwas holprige
»-en/innen« dar und ist seit ihrer Einführung durch die Berliner tageszeitung als
Versuch einer geschlechtsneutralen Ausdrucksweise üblich.
2 Die Bezeichnung »ökologische Ethik« ist mehrdeutig: In einigen Fällen wird sie ledig-
lich synonym zu »Umweltethik« gebraucht, kennzeichnet also einen Bereich angewand-
ter Ethik, in anderen Fällen steht sie für ein ganz bestimmtes Begründungsprogramm,
nämlich ein ökozentrisches. Ich selbst bevorzuge zur Kennzeichnung der Bereichsethik
den Terminus »Umweltethik«, sofern ich von »ökologischer« Ethik spreche, meine ich
damit ökozentrische Begründungsansätze.
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das dann in einem als »Fehlschluß« erachteten Schritt normativ gewendet
werde.
Statt dieses logischen möchte ich in diesem Buch ein wissenschaftskriti-
sches Argument gegen den unreflektierten Rekurs auf die Ökologie geltend
machen. Ich möchte zeigen, daß die Ökologie normative, politische und
weltanschauliche Einträge enthält, die durch ihren wissenschaftlichen
Objektivitätsanspruch verschleiert werden. Unter Berücksichtigung von
Erkenntnistheorie, Wissenschaftsgeschichte und Wissenssoziologie gehe ich
davon aus, daß die wissenschaftliche Praxis stets von Vorannahmen geleitet
ist, die ihr Fundament im Sozialen haben. Zu solchen Vorannahmen zählen
auch kulturell geprägte Wertvorstellungen. Umgekehrt werden gesellschaft-
liche Wertvorstellungen ihrerseits in hohem Maße von wissenschaftlichen
Erkenntnissen – gerade solchen der Biologie – beeinflußt. Diese Wechsel-
wirkung von Wissenschaft und Gesellschaft wird m. E. in der Debatte über
den naturalistischen Fehlschluß nicht hinreichend zur Kenntnis genommen.
Wenn in ökologischen Aussagen bereits normative Elemente versteckt sind,
die dann in ökologisch begründeten Normen wieder auftauchen, scheint mir
der vermeintliche Fehlschluß doch eher ein Zirkel zu sein. Solange diese
Wechselwirkung nicht thematisiert wird, können über den Umweg der
Wissenschaft auch Werte gesellschaftsfähig werden, die einer kritischen
Prüfung ihrer Verallgemeinerbarkeit u. U. nicht standhalten würden, unter
dem Deckmantel der Wissenschaft aber unerkannt bleiben.
Anlaß für diese Vermutung war die Beobachtung, daß ökologische
Argumentationsmuster zunehmend durch die politische Rechte instrumenta-
lisiert werden (Jahn/Wehling 1990; Wölk 1992; Wüst 1993). Während die
Ökologiebewegung sich selbst meist dem politisch fortschrittlichen Lager
zuordnet, befürchten KritikerInnen des »Ökologismus« »...ein ökologisch
modernisiertes rechtes Gesellschaftsmodell, in dem unter Berufung auf
drohende ökologische Katastrophen individuelle Menschen- und Freiheits-
rechte, demokratische Gesellschaftsstrukturen und soziale Rechte einge-
schränkt oder beseitigt werden sollen« (Maegerle 1993).
Vor diesem Hintergrund möchte ich im vorliegenden Buch den Zusam-
menhang von Wertvorstellungen und Weltbildern mit der wissenschaft-
lichen Ökologie einerseits und mit der Naturschutzidee andererseits anhand
eines Fallbeispiels aus dem praktischen Naturschutz genauer untersuchen:
Es geht im folgenden um die Einbürgerung fremder Pflanzenarten (sog.
9
Neophyten), deren Beschreibung durch die Ökologie und deren Bewertung
durch den Naturschutz.
Das Beispiel Neophyten
Im Oktober 1993 stellte die Fraktion der Republikaner im Stuttgarter
Landtag eine Anfrage an die Landesregierung, welche Konzepte sie habe,
um die »teilweise rasante Ausbreitung« außereuropäischer Wildpflanzen
aufzuhalten und zurückzudrängen. In der Begründung des Antrags heißt es:
»Zeitungsberichten zufolge haben manche aus dem außereuropäischen Ausland eingeführte
Pflanzen einen Siegeszug durch die heimische Landschaft angetreten, d[er] mancherorts zu
einer gefährlichen Zurückdrängung einheimischer Pflanzen führt. Mit Recht warnen insbe-
sondere Naturschützer zum Beispiel der BUND davor, diese Expansion nicht zu unter-
schätzen, da infolge mangelnder natürlicher Feinde ein Verdrängungsprozeß gegenüber
den hier heimischen Pflanzen festzustellen sei. Dieser könnte in absehbarer Zeit zu einer
Florenverarmung führen.« (Landtag von Baden-Württemberg1993:1)
Für eine Untersuchung der oben erläuterten Problemstellung erscheint mir
der wissenschaftliche und öffentliche Diskurs zu diesem »Neophyten-
problem« in vielerlei Hinsicht paradigmatisch:
Zum ersten ist das Problemfeld geeignet, den Beitrag der Ökologie zu
Bewertungsfragen im Naturschutz genauer zu studieren. Während einige
ÖkologInnen unter Verweis auf ihre wissenschaftliche Neutralität wertende
Stellungnahmen vermeiden, betrachten andere die Aufklärung der Öffent-
lichkeit über die mit bestimmten Handlungen möglicherweise verbundenen
Gefahren für Mensch und Natur als Bestandteil wissenschaftlicher Verant-
wortung. Welchen Beitrag die Ökologie als Wissenschaft zu einem auf
Werthaltungen gegründeten Naturschutz leisten kann und soll, ist also die
erste Frage, die ich anhand der Thematik klären möchte.
Zum zweiten hängt die Neophytenproblematik mit der allgemeineren
Frage der Beschreibung menschlichen Handelns durch die Ökologie und
seiner Bewertung durch Naturschutz und Umweltethik zusammen. Da die
Ausbreitung von Neophyten auf menschliche Tätigkeit zurückzuführen ist,
gehen sowohl in ihre Beschreibung also auch in ihre Bewertung bestimmte
Natur- und Menschenbilder ein, die im Zuge meiner Untersuchung sichtbar
gemacht werden sollen.
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Zum dritten werden in der stellenweise vehement geführten Debatte um
einen angemessenen Umgang mit der Ausbreitung eingeführter Arten neben
biologischen »Fakten« explizit auch nicht biologische Werte geltend
gemacht: Während NaturschützerInnen negative Konsequenzen für heimi-
sche Arten befürchten, interpretieren KritikerInnen die undifferenzierte
Ablehnung gebietsfremder Arten als Ausdruck eines zunehmend fremden-
feindlichen gesellschaftlichen Klimas: »There is a kind of an irrational
xenophobia about invading animals and plants that resembles the inherent
fear and intolerance of foreign races, cultures, and religions« (Brown
1989:105). Die Frage nach Herkunft und Legitimität der Werte, die in
Naturschutzbewertungen einfließen, kann daher gut an diesem Beispiel
untersucht werden.
Zum Aufbau des Buchs
In Kapitel I stelle ich Material und Methoden meiner Studie vor. Ich erläu-
tere zunächst das Neophytenproblem, dann charakterisiere ich die spezifi-
sche Situation Mitteleuropas und präsentiere konkrete Fallbeispiele von in
Deutschland als problematisch eingestuften Arten. Abschließend stelle ich
die methodische Herangehensweise meiner Untersuchung vor.
In Kapitel II erläutere ich die wissenschaftstheoretischen Voraussetzun-
gen meines Vorgehens. Hier geht es um ein angemessenes Verständnis
wissenschaftlicher Objektivität und Wertfreiheit, und um die Frage, wie
Werte und Objektivität zusammenzubringen sind.
In Kapitel III stelle ich die Geschichte des Neophytenbegriffs sowie den
wissenschaftstheoretischen Hintergrund der Vegetationskunde dar. Ich
erläutere Unterschiede zwischen nomothetischen und idiographischen
Wissenschaftskonzeptionen und stelle das holistisch-organizistische Welt-
bild dem individualistischen gegenüber. Die Pflanzensoziologie, die häufig
zur Erfassung der Vegetation verwendet wird, ordne ich anschließend in
diese Begriffsfelder ein.
Kapitel IV eruiert den Gegenstand des Naturschutzes genauer. Ich skiz-
ziere zunächst Wandlungen des abendländischen Naturverständnisses. Dann
stelle ich die Heimatschutzbewegung als eine historische Wurzel des Natur-
schutzes dar und diskutiere anschließend den Begriff der Heimat hinsicht-
lich seiner Implikationen für die Bewertung des Fremden. Welche konkur-
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rierenden Bilder von Natur aktuellen Zielkonflikten im Naturschutz zugrun-
deliegen, diskutiere ich im Hinblick auf die aktuelle Relevanz der Heimat-
idee für den Naturschutz.
In Kapitel V untersuche ich Theorien über biologische Invasionen auf
Spuren dahinterliegender Naturbilder. Hier werden unterschiedliche
Annahmen über die Ursachen erfolgreicher Einwanderungen diskutiert und
von einer theoretischen Ebene aus interpretiert.
Kapitel VI dient einer systematischen Darstellung der Bewertung von
Neophyten. Ich beurteile die vorgebrachten Argumente zunächst auf der
Sachebene. Anschließend diskutiere ich die den Argumenten zugrunde-
liegenden Werte. Von besonderem Interesse sind hierbei die angeführten
Begründungen.
Im Kapitel VII fasse ich meine Ergebnisse zusammen. Ich diskutiere die
Frage der Wertfreiheit der Ökologie. Anschließend erörtere ich die Folge-
rungen, die sich aus der Neophytenproblematik für das dem Naturschutz
zugrundeliegende Naturverständnis ziehen lassen. Abschließend kritisiere
ich das in den Texten vorgefundene Bild von Mensch und Natur und
schlage damit den Bogen zurück zur Umweltethik.
Dank
Das vorliegende Buch ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Disserta-
tionsschrift »Werturteile im Naturschutz: Ökologische und normative
Grundlagen am Beispiel der Neophytenproblematik«. Sie wurde am
Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, einer interfakultären Einrichtung
der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, angefertigt und im März 1998 bei
der Fakultät für Biologie eingereicht. Die Arbeit war Teil des Forschungs-
projekts »Die Bedeutung der Ökologie für Bewertungsfragen im Natur-
schutz: Eine kritische Analyse normativer Implikationen biologischer Theo-
rien«, das aus Mitteln des Förderschwerpunkts Arten- und Biotopschutz des
Bundesforschungsministeriums gefördert wurde (FKZ 0339561).
Ohne die institutionelle, fachliche und persönliche Unterstützung, die ich
am Zentrum für Ethik in den Wissenschaften erfahren habe, hätte dieses
Buch nicht geschrieben werden können. Im Graduiertenkolleg Ethik in den
Wissenschaften wurden nicht nur die Grundlagen ethischen Argumentierens
vermittelt, sondern darüberhinaus der Austausch von Standpunkten und
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Wissen in jener freundschaftlich-kollegialen Athmosphäre ermöglicht, die
interdisziplinäres Arbeiten erst fruchtbar macht.
Für die Betreuung und Begutachtung der Arbeit danke ich Franz Ober-
winkler und Reiner Wimmer sowie Ludwig Trepl. Franz Oberwinkler hat
mir bei der Konzeption und Durchführung meiner Arbeit größtmögliche
Freiheit gewährt, zugleich aber auch Sorge dafür getragen, daß die konkre-
ten Bezüge nicht zu kurz kamen. Reiner Wimmer danke ich für das wohl-
wollende Verständnis, mit dem er mein Vorhaben von Anfang an unterstützt
hat. Seinem beharrlichen Festhalten an den Rationalitätsansprüchen der
Wissenschaft wie der Ethik ist es zu verdanken, daß ich sie im Eifer meiner
Empörung über die herkömmliche Engführung des Rationalitätsbegriffs
nicht gänzlich aufgegeben habe: So baue ich denn im wissenschaftstheoreti-
schen Fundament dieser Arbeit auf die menschliche Vernunft – trotz aller
Beweise ihrer Ohnmacht in der Realität. Der ideengeschichtliche Ansatz
Ludwig Trepls sowie verschiedene Arbeiten aus seinem Hause haben meine
Interpretationen ökologischer Theorien stark beeinflußt. Seine genauen und
kritischen Kommentare zu den ihm vorgelegten Entwürfen haben erheblich
zur Präzisierung meiner Argumentation beigetragen. Werner Konold ver-
danke ich die Anregung, mein Vorhaben am Beispiel der Neophyten-
problematik zu konkretisieren. Seine Diskussionsbereitschaft sowie die
Fülle seiner praktischen Erfahrungen haben meine Arbeit sehr bereichert.
Jens Badura, Marcus Düwell, Heidrun Hesse, Kurt Jax, Fred Jopp, Christi-
ane Kohler-Weiß, Tom Konopka, Thomas Potthast und Hartwig Schepker
haben Teile dieses Buchs vorab gelesen und durch wichtige Hinweise ver-
bessert. Beim Beschaffen und Verwalten der umfangreichen Literatur und in
Fragen der Textverarbeitung haben mir Jens Badura und Daniel Effinger
große Hilfe geleistet. Die Verantwortung für die hier vorliegende Fassung
meiner Arbeit liegt selbstverständlich ausschließlich bei mir.
In dieses Buch sind ungezählte Diskussionen mit KollegInnen, Lehrer-
Innen und FreundInnen eingeflossen: An erster Stelle ist hier Thomas
Potthast zu nennen, mit dem ich mir oft in stundenlangen Debatten den
Kopf heiß geredet habe. Viele der hier thematisierten Probleme haben wir
im Laufe unseres Forschungsprojekts gemeinsam erheblich präzisiert, wenn
wir auch bis heute nicht in allen Punkten zu einem Konsens gekommen
sind. Verschiedenen Seminaren bei Heidrun Hesse verdanke ich meine Ein-
führung in die philosophische Wissenschaftstheorie sowie eine außerordent-
lich lehrreiche Schulung im kritischen Umgang mit Texten. Ihr kompro-
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mißloser Diskussionsstil war mir nicht nur ständige Herausforderung zu
genauerem Argumentieren, sondern auch stets ein Vergnügen.
Hitzige Debatten im AK BuSiB (Arbeitskreis Berufsbild und Selbstver-
ständnis in der Biologie) über Zielvorstellungen und Begründungen des
Naturschutzes sowie über das Thema »Biologismus« haben diese Arbeit
ebenso bereichert wie die Diskussionen im AK Theoretische Promotionen
über Fragen der Methodik theoretischer Ansätze in der Biologie. Die kriti-
sche Auseinandersetzung mit den Begriffen »Störung«, »Konkurrenz« und
»Diversität« im Rahmen einer informellen Arbeitsgruppe Theorie und
Geschichte der Ökologie hat ebenfalls ihren Niederschlag gefunden. Einem
Besuch im Kasseler ARÖK (Archiv für Arbeiterkultur und Ökologie)
verdanke ich wichtige Literaturhinweise. Meine Überlegungen zum
Umgang mit dem Anderen wurden maßgeblich stimuliert durch
Diskussionen im AK Feministische Ethik des Graduiertenkollegs sowie in
der Tübinger Frauen-gruppe gegen Bevölkerungspolitik.
Das Graduiertenkolleg Genese, Struktur und Folgen von Wissenschaft
und Technik am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Uni-
versität Bielefeld hat mir nicht nur dankenswerterweise nach Abschluß mei-
ner Arbeit ein kurzfristiges Post-Doc-Stipendium gewährt, sondern mir in
dieser Zeit auch einen vertiefenden Einblick in die soziologische und histo-
rische Wissenschaftsforschung ermöglicht, der mir bei der Überarbeitung
meiner Arbeit außerordentlich hilfreich war.
Auf eine ganz fundamentale Weise ermöglicht wurde diese Arbeit
schließlich durch meine Freundinnen und Freunde. Allen, die mich während
der unvermeidlichen Durststrecken ermutigt und unterstützt haben, sei an
dieser Stelle von Herzen gedankt!
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Kapitel I
Neophyten: Fremde Natur
1. Was ist das Neophytenproblem?
»Viele der Arten, um die sich der Naturschutz heute besonders kümmert, sind
erst mit dem Menschen nach Mitteleuropa gelangt …. Arten, die erst in diesem
Jahrhundert hier eingeführt wurden, werden dagegen vom Naturschutz heute in
der Regel heftig abgelehnt.« (Henle/Kaule 1991:69)
1.1. Fremde Arten als Gefahr für heimische?
Von Menschen eingeführte, gebietsfremde Tier- und Pflanzenarten haben in
zahlreichen Regionen der Welt zum Rückgang oder gar Aussterben ur-
sprünglich dort heimischer Arten geführt. Für die Galapagos-Inseln, Hawaii,
Florida, Neuseeland und auch Australien sind die verheerenden Folgen der
Einführung neuer Arten gut dokumentiert (Fox/Adamson 1979; Groves
1986; Mott 1986; Section 5 in Mooney/Drake 1986; Stone/Stone 1989).
Insbesondere auf ozeanischen Inseln, die aufgrund ihrer langen Isolierung
einen hohen Anteil endemischer Arten besitzen, können eingeführte Arten
die ursprüngliche Flora und Fauna gefährden.
Eine erste eindringliche Warnung vor den negativen Folgen einer welt-
weiten Vermischung zuvor getrennter Floren und Faunen veröffentlichte der
US-amerikanische Ökologe Charles S. Elton (1958). Zunächst noch relativ
unbeachtet nimmt das Thema seit Anfang der 80er Jahre immer breiteren
Raum sowohl in der ökologischen Forschung als auch in der gesellschaftli-
chen Wahrnehmung ein. Mitte 1982 initiierte das SCOPE3 das erste globale
Forschungsprojekt zur »Ökologie biologischer Invasionen« (Ergebnisse in
Groves/Burdon 1986; Kornberg/Williamson 1986; MacDonald u.a. 1986;
Mooney/Drake 1986; Joenje 1987; Drake u.a. 1989; Di Castri u.a. 1990).
3 Scientific Committee on Problems of the Environment
15
Mittlerweile wird der weltweite anthropogene Transport von Tier- und
Pflanzenarten von zahlreichen im Naturschutz Engagierten als ernsthafte
Bedrohung der globalen Biodiversität wahrgenommen. Mit Blick auf be-
fürchtete Artenverluste werden restriktive Maßnahmen gegen eine weitere
Verbreitung gebietsfremder Pflanzenarten gefordert:
»Jeder Tag der verstreicht, ohne daß etwas gegen die zunehmende biologische Verschmut-
zung unternommen wird, erhöht das Risiko, daß irgendwo auf der Welt wieder eine Art un-
wiederbringlich verloren geht, wieder ein Ökosystem von fremden Eindringlingen über-
rannt wird.« (Bright 1995:22)
1.2. Zur spezifischen Situation Mitteleuropas
Inwieweit die zitierte Befürchtung auch für Mitteleuropa zutrifft, ist jedoch
fraglich. Im Gegensatz zu Deutschland bzw. Mitteleuropa haben die meist
als Beleg für die Gefahren zitierten ozeanischen Inseln einen hohen Anteil
an endemischen Arten. Diese konnten sich dort im Zuge ihrer langen erdge-
schichtlichen Isolation entwickeln und an äußerst spezifische Umweltbedin-
gungen anpassen. Die im Zuge der europäischen Kolonisierung eingebrach-
ten Pflanzen- und Tierarten haben zu massiven Veränderungen der
ursprünglichen Lebensräume geführt, die von zahlreichen Ausrottungen der
heimischen Arten begleitet waren (Elton 1958; Crosby 1985). Viele dieser
Arten sind heute unwiederbringlich verloren.
Das Arteninventar Mitteleuropas ist dagegen vergleichsweise jung. Es ist
in hohem Maße geprägt durch die enormen Artenverluste während der Eis-
zeit. Denn anders als in Amerika, wo die Gebirgsketten in Nord-Süd-
Richtung verlaufen, wurde in Europa durch die in Ost-West-Richtung
verlaufenden Alpen der Rückzug der kälteempfindlichen Arten Richtung
Süden verhindert. Bis auf wenige eiszeitliche Reliktarten verdanken daher
die meisten mitteleuropäischen Arten ihre Existenz im Gebiet postglazialer
Einwanderung. Diese Einwanderungsflora ist daher ausgesprochen arm an
Endemiten: In der Liste der in der Bundesrepublik Deutschland einheimi-
schen und eingebürgerten Farn- und Blütenpflanzen sind nur 32 Arten und
Unterarten als endemisch gekennzeichnet (Korneck/Sukopp 1988). Ob die
Veränderung der Vegetation und die lokale Verdrängung heimischer Arten
zu einem Artensterben eines der oben beschriebenen Situation vergleich-
baren Ausmaßes führen, ist daher zweifelhaft.
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Die Flora Mitteleuropas ist darüberhinaus in hohem Maße vom
Menschen beeinflußt (Ellenberg 1986). In Deutschland sind 16% der be-
ständig vorkommenden Arten nur infolge direkter oder indirekter Mithilfe
des Menschen in das Gebiet gelangt, davon 7% vor dem Jahr 1500 und 9%
erst danach (Sukopp 1976).
Der Ackerbau in Mitteleuropa ist über 5.000 Jahre alt. Er wurde im Zuge
der sog. vorderasiatischen Kulturdrift über Griechenland und den Balkan
nach Mitteleuropa eingeführt. Mit dem Wandel der acker- und pflanzenbau-
lichen Methoden im Neolithikum etablierten sich auch unterschiedlichste
Begleitpflanzen (Pötsch 1991). Die in der Jungsteinzeit bis Bronzezeit noch
verbreitete prähistorische Feldgraswirtschaft mit ihren langen Brachephasen
begünstigte vor allem mehrjährige Arten und besonders tritt- und
verbißfeste Weidepflanzen. Die Einführung der Plaggenwirtschaft im
Pleistozän führte durch Plaggenentnahme zu einer Schwächung der Wälder.
Die mittelalterliche Dreifelderwirtschaft, um 775 erstmals erwähnt, mit
ihrem Wechsel von Wintergetreide, Sommergetreide und Brache im 3-
jährigen Rhythmus ermöglichte bis zur Einführung des Wendepflugs noch
das Wachstum hauptsächlich mehrjähriger Begleitarten. Mit der
tiefgründigeren Bodenbearbeitung und dem Hackfruchtanbau wurden dann
einjährige »Unkräuter« wie Klatschmohn (Papaver rhoeas), Ackersenf
(Sinapis arvensis), Weißer Gänsefuß (Chenopodium album), Kornrade
(Agrostemma githago) und Kornblume (Centaurea cyanus) fester
Bestandteil der mitteleuropäischen Flora. Einige dieser sog. Archäophyten
sind heute bereits wieder durch veränderte Wirtschaftsformen gefährdet.
Mit dem Aufkommen des weltweiten Verkehrs zwischen den Kontinen-
ten zu Beginn des 16. Jahrhunderts und der Einführung von Dampfschiffahrt
und Eisenbahn im 19. Jahrhundert verstärkte sich der anthropogene Einfluß
auf die Flora. Mit der Intensivierung des Ackerbaus Anfang des 19. Jahr-
hunderts und dem verbreiteten Anbau neuer Kulturpflanzen (Kartoffel,
Futter- und Zuckerrübe, verschiedene Kohlarten, Ölfrüchte, Tabak und
Färbepflanzen) kam es jeweils zu neuen Einführungsschüben, denen die
sog. Neophyten ihre Existenz im Gebiet verdanken.
Nach Lohmeyer/Sukopp (1992) wurden in Deutschland seit der Einfüh-
rung von Ackerbau und Viehzucht mindestens 12.000 Sippen als Zier- und
Nutzpflanzen importiert oder unbeabsichtigt eingeschleppt. Damit übertrifft
die Zahl der eingeführten Pflanzenarten die der wildwachsenden Farn- und
Blütenpflanzen um das Fünffache. 229 Sippen können heute als auch in
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naturnaher Vegetation fest eingebürgert gelten. Davon ist das Erstauftreten
bei 60 Arten unbekannt, 50 wurden vor dem Jahr 1500 eingeführt, sind also
sog. Archäophyten, während 119 als Neophyten anzusehen sind. Der Höhe-
punkt der Einwanderung neuer Arten war im 19. Jahrhundert (fast 30% der
heute eingebürgerten Arten sind in dieser Zeit eingewandert), ist also zeit-
lich mit der Industrialisierungswelle korreliert. Jäger (1977) geht davon aus,
daß mittlerweile die meisten der zu anthropogenen Arealerweiterungen fähi-
gen Arten bereits eingeführt sind. Allerdings ist eine Abschätzung der Zahl
weiterer zukünftiger Einbürgerungen aufgrund des sog. time-lags (Kowarik
1995a), also des zeitlichen Abstands zwischen Ersteinfuhr und Beginn der
selbständigen Ausbreitung, schwerlich möglich. Auch aufgrund der Mög-
lichkeit der selektiven Differenzierung neuer Ökotypen sind sichere Progno-
sen ausgeschlossen (Jäger 1988).
1.3. Neophytenbekämpfung – »Ausländer raus«?
Populärwissenschaftliche Darstellungen der sog. Neophytenproblematik
begnügen sich oft damit, auf die Fremdheit der eingeführten Arten zu ver-
weisen. Überschriften wie »Die grünen Besatzer. Ausländer auf
Erfolgskurs: Fremde Pflanzen überwuchern deutsche Kräuter« (Finck 1991)
oder »Invasion der fremden Art. Exotische Pflanzen und Tiere verdrängen
heimische Arten« (Aufmacher des World Watch Magazins für den Aufsatz
von Bright 1995) vermitteln durch ihre Sprache, daß die Verdrängung
heimischer durch fremde Arten unerwünscht ist, ohne dies weiter zu
begründen. Die Befürchtung, die Ausbreitung gebietsfremder Arten stelle
per se eine Bedrohung für die heimische Flora und Vegetation, erscheint in
solchen Zitaten als unmittelbar einleuchtende. Diese intuitive Plausibilität
muß aber hinsichtlich ihrer latent fremdenfeindlichen Komponente hinter-
fragt werden.
So wird die Diskussion über heimische bzw nicht-heimische Arten auch
immer wieder mit dem Vorwurf der Heimattümelei, des Nationalismus oder
Rassismus konfrontiert (Webb 1985; Garthwaite 1993; Binggeli 1994; Ma-
rinelli 1995; Reichholf 1996). Während manche besorgten Naturschützer-
Innen fordern, der Staat solle »generell den einheimischen Arten Vorrang
einräumen« (Bright 1995:23), warnen KritikerInnen einer solchen pauscha-
len Ablehnung fremder Arten vor einer unreflektierten Wiederaufnahme
nationalistischen Gedankensguts durch die ökologische Hintertür: Die Ver-
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bannung fremder Arten aus Garten und Landschaft knüpfe an eine Blut- und
Boden-Tradition an, die der Idee menschlicher Gestaltungsfreiheit wider-
streite (Gröning/Wolschke-Bulmahn 1992; allgemeiner zur Frage eines
politisch reaktionären Ökologismus: Trepl, 1981; Lorenz/Trepl 1993).
Mein eingangs geäußerter Verdacht, daß vom Naturschutz bzw. der
»Ökologie« Werturteile auf die Natur angewendet werden, die einem gesell-
schaftlichen Kontext entstammen, wird im Rahmen der Neophyten-Debatte
also explizit vorgebracht: »This current debate shows that human value
judgements are now freely applied to the plant kingdom« (Binggeli
1994:11). Damit erscheint mir die Problematik in besonderer Weise geeig-
net, die Frage nach den ökologischen und normativen Grundlagen von
Naturschutzbewertungen zu untersuchen.
2. Vorstellung einiger »Problemarten«
Nach Lohmeyer/Sukopp (1992) gibt es in Deutschland ungefähr 120 neo-
phytische Arten4 , die sich auch in naturnaher Vegetation etabliert haben.
Von diesen werden nur ungefähr zehn als Problemarten diskutiert. Viele
neophytische Agriophyten zeigen keine Expansions- und Verdrängungs-
effekte und stellen daher anerkanntermaßen kein Problem dar.
Die Tabelle 1 gibt einen Überblick über die wichtigsten Arten, gegen die
in Mitteleuropa Bekämpfungsmaßnahmen durchgeführt werden. Neben der
Herkunft der Arten werden die Biotope, in denen sie Probleme verursachen
sowie die Gründe für ihre Bekämpfung angegeben. Die hervorgehobenen
Arten werden im folgenden zur Illustration des Problems und
Herausarbeitung der speziellen Fragestellung etwas genauer vorgestellt. Die
Auswahl der Arten ist dabei in erster Linie an der öffentlichkeitswirksamen
Wahrnehmung dieser Arten als »Probleme« orientiert. Sie alle werden
aufgrund ihrer Ausbreitungstendenz zu den aus Naturschutzperspektive
»gefährlichen« und daher beobachtungsbedürftigen Arten gerechnet
(Fukarek 1987).
4 Die genauen Zahlenangaben schwanken, da nicht für alle Arten Daten über ihr Erstauf-
treten vorliegen: 119 Arten sind sicher nach 1500 datiert, von den 190 von Lohmeyer/
Sukopp (1992) bearbeiteten Agriophyten werden 136 als Neophyten eingestuft.
19
20
Die neophytischen Staudenknöteriche Reynoutria japonica und R. saccha-
linensis, das Indische Springkraut Impatiens glandulifera und die Herkules-
staude Heracleum mantegazzianum sind die bekanntesten Problemarten in
Bach- und Flußauen (Pyšek/Prach 1994). Die nordamerikanischen Gold-
ruten (Solidago canadensis und S. gigantea) werden vor allem auf für den
Artenschutz bedeutsamen Ruderal- und Brachflächen als problematisch ein-
gestuft (Hartmann/Konold 1995). Die Spätblühende Traubenkirsche Prunus
serotina gilt als die Hauptproblemart in Forsten (Starfinger 1990).
Zur Ökologie und Verbreitung sowie zur Wahrnehmung, Bewertung und
Bekämpfung von Neophyten in Deutschland liegen etliche Studien und
Übersichten vor (Hanf 1991; NNA 1991; Adolphi 1995; Hartmann u.a.
1995; Kowarik/Schepker 1997). Die ausgewählten Arten ziehen dabei die
größte Aufmerksamkeit auf sich. So veranstaltete der Bund Naturschutz
Bayern e.V. im Juli 1993 ein Seminar mit dem Titel: »Indisches Spring-
kraut, Herkulesstaude, Goldrute – raus? Vom Umgang mit eingewanderten
und verschleppten Pflanzen«. Auch bei dem Symposium »Neophyten –
Gefahr für die Natur?«, veranstaltet von der Akademie für Umwelt- und
Naturschutz Baden-Württemberg in Offenburg am 6./7. 9. 1994, ging es
neben vereinzelten Darstellungen anderer Neophyten hinsichtlich der
Bekämpfung vor allem um die vorgestellten Arten (vgl. Böcker u.a. 1995;
ANU 1996).
Ich werde im folgenden die Arten und ihre Ausbreitung in groben Zügen
vorstellen: Herkunft, Einwanderungsart, Fortpflanzungsbiologie und Ver-
breitung (einschließlich ihrer gängigen pflanzensoziologischen
Einordnung). Außerdem gilt es darzustellen, aus welchen Gründen die
Auswirkungen der Arten als problematisch eingestuft werden. Ein
Überblick über Bekämpfungsmaßnahmen rundet das Bild ab. Einige
Textbeispiele zeigen darüberhinaus, wie eng Beschreibung und Bewertung
in der Darstellung von Neophyten oft verbunden sind. Dabei sollen auch
Widersprüche und strittige Punkte in der Debatte deutlich werden.
2.1. Asiatische Staudenknöteriche
Die aus dem ostasiatischen Raum stammenden neophytischen Stauden-
knöteriche Reynoutria japonica HOUTT. und R. sachalinensis (F. SCHMIDT
PETROP. ex MAXIM.) NAKAI gehören zur Familie der Polygonaceae. Auf-
grund ihrer unklaren systematischen Einordnung finden sich in der Literatur
21
zahlreiche Synonyme: Beate Alberternst (1995) gibt für den Japanknöterich
Reynoutria japonica, Polygonum cuspidatum, P. reynoutria, P. zuccarinii, P.
sieboldii, Pleuropterus cuspidatus, Tiniaria japonica und Fallopia japonica
an. Japan- und Sachalinknöterich wurden 1993 von der Zentralstelle für
floristische Kartierung der Gattung Fallopia zugeordnet (Alberternst 1995).
In der verwendeten Naturschutzliteratur ist dagegen die Bezeichnung
Reynoutria japonica bzw. R. sachalinensis gebräuchlicher, die ich daher für
diese Arbeit übernehme.
Ursprünglich in China, Korea und Japan beheimatet, wurden sie in der
Mitte des 19. Jahrhunderts aus Asien als Zierpflanzen eingeführt. Der
Japanknöterich ist im Jahr 1823 erstmals nachgewiesen. Als Agriophyt
kommt er in Belgien, Dänemark, West-, Süd-, Mitteldeutschland, in der
Schweiz, Polen, Tschechien und Österreich vor. Hier bildet er in Fluß- und
Bachauen eine eigene Reynoutria japonica-Gesellschaft an Stelle des ur-
sprünglichen Flußröhrichts (Phalario-Petasitetum hybridi) und des Cuscuto-
Convolvuletum mit Lamium maculatum (Lohmeyer/Sukopp 1992).
Der seltenere Sachalinknöterich wurde 1863 erstmals belegt. Er ist im
Schwarzwald, im Erzgebirge und in den Beskiden (Polen) als Agriophyt be-
kannt. Dort wächst er an Bachufern in Aegopodium-Gesellschaften (Loh-
meyer/Sukopp 1992). Da er bisher nicht so verbreitet ist wie der Japan-
knöterich, gilt er als weniger »aggressiv« (Bailey 1994; Hayen 1995).
Reynoutria japonica und R. sachalinensis können hybridisieren. Ihr
Hybride, Reynoutria x bohemica CHRTEK/CHRTKOVA, ist genotypisch und
phänotypisch intermediär, d. h. er steht in der Chromosomenzahl und mor-
phologisch zwischen den Elternarten (Alberternst u.a. 1995). Durch Hetero-
sis-Effekte ist der Hybride allerdings wuchskräftiger und konkurrenzstärker
(Bailey u.a. 1995; Konold u.a. 1995).
Die neophytischen Staudenknöteriche sind ausdauernde Arten mit geo-
phytischer Lebensform, sie können also ungünstige Perioden unter der Erde
überdauern. Über diese Rhizome erfolgt in Mitteleuropa auch ihre Vermeh-
rung. Sie haben ihren Ursprung in den verdickten Basalteilen der Pflanze,
wachsen horizontal und sind deutlich in Nodien und Internodien gegliedert.
Die in den Nodien liegenden Achselknospen können bei einer Verletzung
des Rhizoms zu vertikalen Sprossen auswachsen. Dabei sind selbst Bruch-
stücke des Rhizoms sehr regenerationsfähig. Ein 1,5 cm kurzer Rhizom-
anschnitt kann, sofern er ein Nodium aufweist, zu einer vollständigen
Pflanze regenerieren. (Eine ausführliche Darstellung der Rhizommorpholo-
22
gie und Populationsökologie des Japanknöterich findet sich bei Hayen
1995.) Bei Hochwasser werden solche Rhizomfragmente mit dem Sediment
flußabwärts verfrachtet, wo sich neue Bestände etablieren können (Brock
u.a. 1995).
Die hohe Wuchs- und Konkurrenzkraft neophytischer Staudenknöteriche
kann zur Ausbildung großflächiger Reinbestände führen. Solche Vorkom-
men werden als »ausgedehnte Bestände«, »sehr vitale und ausgreifende Be-
stände«, »kilometerlange Monobestände«, »üppige Trupps« (Bauer 1995) ja
sogar »monopolistische Bestände« (Hayen 1995:125 u. 135) bezeichnet.
Wegen dieser Eigenschaften und seiner Fähigkeit, sich auch auf naturnahen
Standorten zu etablieren, wird der Japanknöterich als Gefährdung für auto-
chthone Arten bewertet:
»Was Reynoutria japonica angeht, darf man ohne Einschränkung sagen, daß, wo immer sie
sich auf Auenstandorten in Mitteleuropa breitmacht, ihr Überhandnehmen zwangsläufig
zur Verarmung und schließlich zur Uniformierung der bis dahin aus autochthonen und
archäophytischen Kräutern und Gräsern bestehenden Pflanzendecke führt« (Loh-
meyer/Sukopp 1992:50; Herv. UE).
Vielfach werde die Urtica-, Calystegia- oder Petasites-reiche nitrophytische
Krautvegetation der Fließgewässer vom Japan-Knöterich vollständig
unterdrückt (Lohmeyer/Sukopp 1992). Diese Verdrängung der »ange-
stammten Konkurrenzvegetation« (Bauer 1995:108) gilt nicht nur aus
Artenschutzgründen als bedenklich, sondern auch aus der Perspektive der
Wasserwirtschaft, weil sie zu einer mangelhaften Uferbefestigung führt.
Versuche zur Regulierung problematischer neophytischer Reynoutria-
Bestände wurden mit verschiedenen Methoden gemacht: Mahd, Beweidung
und Konkurrenz (Konold u.a. 1995), Mähen, Überpflanzungen und
Herbizideinsatz (Kretz 1995) sowie Ausbreitungsprophylaxe durch Sieben
und Kompostieren rhizomhaltigen Bodenmaterials (Walser 1995). Bei allen
Versuchen wurde eine 100%ige Eliminierung der Art weder angestrebt noch
erreicht. Durch regelmäßige Schädigung der oberirdischen Pflanzenteile, sei
es durch Mähen, Schlegeln oder Beweidung konnte jedoch eine gewisse
Eindämmung des Wachstums erzielt werden. Adolphi (1995) weist aller-
dings darauf hin, daß diese Maßnahmen regelmäßig wiederholt werden
müßten, weil die Bestände nicht nachhaltig geschädigt würden. Durch
regelmäßiges Mähen werde aber keine ursprüngliche Ufervegetation,
sondern auf Dauer eine Wiesenvegetation erhalten.
23
Da alle Maßnahmen, bei denen die Rhizome der Pflanzen zerstückelt
werden, damit gleichzeitig zur vegetativen Verbreitung beitragen, wurde
auch die Bekämpfung von Einzelpflanzen durch gezielte Herbizidinjektion
getestet (Hagemann 1995). Diese erwies sich zwar hinsichtlich der Letalität
als erfolgreich, brachte jedoch, weil sie alle wachsenden Pflanzenteile und
damit auch die Rhizome betraf, ebenfalls eine Rhizomzerstückelung mit
sich. Diese Rhizomfragmente erwiesen sich trotz der Herbizidbehandlung
noch als regenerationsfähig, so daß eine Nachbehandlung der oberirdischen
Regenerate als nötig erachtet wird (Hagemann 1995).
Außerdem sind für Reynoutria japonica biologische Maßnahmen zur
Regulierung unerwünschter Bestände in Entwicklung (Diaz/Hurle 1995). Da
davon ausgegangen wird, daß die Konkurrenzkraft einer Art durch natürli-
che Antagonisten limitiert wird, sollen am Japanknöterich vorkommende
Pathogene isoliert und nachträglich eingeführt werden. Durch gezielte Aus-
bringung erhofft man sich eine Schwächung der Konkurrenzkraft der
Pflanzen und damit eine Verkleinerung unerwünschter Bestände.
2.2. Nordamerikanische Goldruten
Die beiden nordamerikanischen Goldrutenarten Solidago canadensis L. und
S. gigantea AIT wurden ursprünglich als Zierpflanzen nach Europa, zunächst
nach England, eingeführt. Erstmals nachgewiesen ist die Kanadische
Goldrute (Solidago canadensis) bereits 1648, die Späte Goldrute (S.
gigantea) 1758 (Hartmann/Konold 1995). Die Goldruten waren und sind
noch heute Bestandteil traditioneller Bauerngärten. Von ersten Verwilde-
rungen wird um die Jahrhundertwende berichtet (Rüdenauer u.a. 1974).
Die ursprüngliche Präriepflanze ist ausgesprochen lichtliebend und
bevorzugt daher offene Standorte. Nach dem zweiten Weltkrieg fand sie in
zerbombten Großstädten als sog. Trümmerschuttpflanze weite Verbreitung
(Kreh 1955). Von dort breitete sie sich in andere offene Lebensräume aus.
Sie gilt heute als eine der häufigsten Arten in der Stadt (Cornelius 1990).
Schwerpunkte ihres Vorkommens in ländlichen Gebieten sind Ruderal-
flächen und landwirtschaftliche Brachen, auf denen sie ausgeprägt arten-
arme, gelegentlich sogar Reinbestände bildet (Hartmann/Konold 1995).
Ackerbrachen scheinen die Ansprüche der Goldrute gut zu erfüllen. So hat
sich in Baden-Württemberg die Goldrute durch die Sozialbrachen der 60er
24
und 70er Jahre beschleunigt und schließlich flächendeckend ausbreiten
können (ebd.).
Aufgrund ihrer breiten ökologischen Amplitude besiedeln beide Gold-
rutenarten verschiedenste Standorte, wobei Solidago gigantea im feuchten
Bereich zu überwiegen scheint (Hartmann u.a. 1995). Agriophytische
Goldrutenvorkommen sind am Ufersaum in Windengesellschaften und Wei-
dengebüschen sowie auf Verlichtungen im Salicetum albae und im Quer-
ceto-Ulmetum zu finden. Solidago gigantea gedeiht darüberhinaus im
Equiseto-Alnetum incanae (Lohmeyer/Sukopp 1992). Epökophytisch
kommen beide Goldruten in Agropyretea- und Artemisietea-Gesellschaften
vor. Im Bereich der Flußufer und Auen sind die überschwemmungsemp-
findlichen Goldruten im Vergleich zu anderen Neophyten von untergeord-
neter Bedeutung. So wurde die Späte Goldrute im Taubergießengebiet durch
das später eingewanderte Indische Springkraut verdrängt. Im sog. Impati-
enti-Solidaginetum läßt sich eine Zonierung innerhalb der Aue erkennen, in
der die Goldruten auf die höhergelegenen Stellen beschränkt sind (Kopecký
1967). Beide Goldrutenarten werden von zahlreichen blütenbesuchenden
Insekten genutzt und wurden daher teilweise von Imkern als Trachtpflanze
angesalbt. Die Zusammensetzung des Besucherspektrums entspricht dabei
dem späten Blühtermin der Goldruten (August/ September), wird aber im
wesentlichen durch die Qualität des Umfelds bestimmt. Je vielfältiger das
umgebende Lebensraummosaik desto reichhaltiger ist auch die Blütenbesu-
cher-Gilde (Schwabe/Kratochwil 1991).
Als »Erfolgskonzept der Goldrute« (Hartmann/Konold 1995:94) gilt ihre
Fähigkeit, sich sowohl vegetativ als auch generativ zu verbreiten. Die vege-
tative Vermehrung erfolgt über Rhizomknospen, die zu Luftsprossen aus-
wachsen. So entstehen ausgedehnte Herden (sog. Klone). Die Fernverbrei-
tung erfolgt dagegen über Samen, die in großer Zahl produziert und vom
Wind verbreitet werden (Hartmann u.a. 1995).
Die Goldruten gelten als sehr konkurrenzstark. Aufgrund ihrer »aggressi-
ven Ausbreitungstendenz« (Schwabe/Kratochwil 1991:17) wird befürchtet,
daß ihre Etablierung sich negativ auf die Artenvielfalt auswirkt. So bilde die
Goldrute im Naturschutzgebiet Taubergießen »unduldsame Polykormone«
(ebd.:16). Auch in der südlichen Oberrheinebene konnte nach Grundwasser-
absenkungen eine »exzessive Zunahme« (ebd:16) der Goldrute beobachtet
werden.
25
Aufgrund dieser Ausbreitungstendenz und der damit einhergehenden
Unterdrückung der autochthonen Flora raten Schwabe/Kratochwil von einer
direkten Förderung der Solidago-Arten im Uferbereich, z. B. durch Aussaat
durch Imker, ab. In geschützten Lebensgemeinschaften wie Halbtrocken-
rasen und ehemaligen Streuwiesen wird ebenfalls befürchtet, daß die Aus-
breitung der Goldrute zur – zumindest lokalen – Gefährdung der Bestände
bedrohter Arten führen kann. Hierdurch wären in erster Linie konkurrenz-
schwache Rote-Liste-Arten betroffen (Hartmann/Konold 1995).
Wo die Eindämmung der Goldrute aus Artenschutzgründen angezeigt
scheint, wird versucht, durch Mähen oder Mulchen der Goldrutenbestände
vor der Blüte die Ausbildung und Ausbreitung der Samen zu verhindern.
Durch den Eingriff werden jedoch oberirdische Stengel- und unterirdische
Wurzelknospen aktiviert, so daß die Zahl der Triebe zunächst zunimmt.
Gleichzeitig wird aber die Wuchskraft der Pflanzen geschwächt. Nach Ver-
suchen von Hartmann konnte nach dreijähriger Behandlung der Deckungs-
grad von Solidago auf die Hälfte reduziert werden (ebd.). Auch durch
Bodenbehandlung kann die Goldrute kurzfristig zurückgedrängt werden. Da
sich die Restbestände aber relativ rasch wieder vegetativ ausbreiten, muß
die Bodenbearbeitung mit einer nachfolgenden Einsaat kombiniert werden.
2.3. Indisches Springkraut
Das Indische Springkraut Impatiens glandulifera ROYLE stammt aus dem
westlichen Himalaya, wo es an Bachufern wächst. Es wurde 1839 als Samen
nach England eingeführt (Schuldes 1995). Lohmeyer/Sukopp (1992) datie-
ren den Erstnachweis in Deutschland auf 1854. Seither hat sich Impatiens
glandulifera in ganz Mitteleuropa verbreitet, wo es als Agriophyt u.a. in
Weiden-, und Winden-Gesellschaften, Erlenbruchwäldern und Rohrglanz-
gras-Röhrichten zu finden ist.
Als einjährige Art vermehrt sich das Springkraut auschließlich über
Samen, die in großen Mengen produziert werden (Schuldes 1995). Die
Samen werden, wenn sie reif sind, durch das Platzen der Samenkapsel
einige Meter weit geschleudert, fallen jedoch wegen ihres Gewichts schnell
zu Boden. Impatiens glandulifera keimt in Vegetationslücken, bildet große
Keimblätter und wächst rasch. Ein Ferntransport der Samen erfolgt über
Wasserläufe, entweder an deren Grund mit dem Geschiebe oder, vom
Hochwasser aufgewirbelt, im freien Wasserkörper. Mit der Verwendung
26
von ausgebaggertem Kies- und Erdmaterial im Straßenbau wird der
Ferntransport erheblich gesteigert (Hartmann u.a. 1995). Aufgrund seiner
hohen Wasseransprüche und seines Verbreitungsmodus wächst das
Springkraut wie in seinem Herkunftsland vorzugsweise entlang von Fluß-
und Bachläufen.
Die Bedeutung des Indischen Springkrauts für den Naturschutz ist
strittig. Die Art kann an Bachufern ausgedehnte Reinbestände bilden. Loh-
meyer/Sukopp (1992) schätzen aber ihre Verdrängungseffekte als gering
ein. Nach Sukopp (1996) nimmt die Art die Rolle eines Lückenfüllers ein,
indem sie auf frischen Ufer-Anrissen besonders gut gedeiht, bei zunehmen-
der Beschattung im Zuge der Sukzession jedoch zurückgeht. Die feuchte-
und wärmebedürftige Art wird darüberhinaus durch Spätfröste oder
Trockenperioden stärker als einheimische Arten, insbesondere die konkur-
renzstarke Brennessel Urtica dioica, geschwächt (Prach 1994). Disko (1996)
hält dagegen die artenarmen Bestände des neophytischen Springkrauts für
problematisch: »Das Kraut vernichtet die gegen den Wüstling völlig schutz-
und chancenlose, eingespielt-artenreiche Vegetation« (Disko 1996:42). Er
fordert daher: »Jedes einzelne Springkraut muß in freier Landschaft elimi-
niert werden!« (Disko 1996:42)
Mangelhafte Ufersicherung durch Impatiens glandulifera führt Schuldes
(1995) als möglichen Grund für Regulierungsmaßnahmen an. Im Forst
könne es bei flächigen Vorkommen darüberhinaus zu einer
Beeinträchtigung der Gehölzverjüngung kommen.
Bekämpfungsmaßnahmen zielen in erster Linie darauf, die Samenbildung
zu verhindern, da vegetative Reproduktion für die annuelle Art praktisch
keine Rolle spielt (Hartmann u.a. 1995). Durch gegebenenfalls wiederholtes
Mähen und Mulchen zum geeigneten Zeitpunkt ist es möglich, uner-
wünschte Bestände des Indischen Springkrauts wirksam zu reduzieren
(Schuldes 1995).
2.4. Kaukasische Herkulesstaude
Vor rund hundert Jahren wurde die Herkulesstaude Heracleum mantegazzi-
anum SOMM. et LEV. ihrer auffälligen Blüte wegen als Zierpflanze aus dem
Kaukasus nach Europa eingeführt. Ihr attraktiver Blütenstand wird auch in
der ökologischen Literatur immer wieder erwähnt (Caffrey 1994; Sampson
1994). Die aufgrund ihrer imposanten Wuchshöhe von über 4 m im blühen-
27
den Zustand (Tiley/Philip 1994) auch als Riesen-Bärenklau bezeichnete Art
ist also ein sog. Gartenflüchtling.
Dierschke beschreibt 1984 den ersten Fundort der Art in einem Natur-
schutzgebiet:
»Unmittelbar nördlich wächst ein Ruderalbestand, der in seiner ungewöhnlichen Üppigkeit
von der armen Umgebung stark abweicht. Aus den dichten, 50-80 cm hohen Stauden-
beständen, … ragen riesige, ab Mitte Juni auffällig blühende Pflanzen von Heracleum man-
tegazzianum heraus, die mit ihren großen Blättern und Blütendolden und einer Wuchshöhe
von bis etwa 2,5 Meter recht exotisch anmuten.« (Dierschke 1984:252)
Heracleum mantegazzianum vermehrt sich ausschließlich generativ. Im
zweiten oder dritten Jahr produziert die Pflanze Samen in großen Mengen
(»massenhaft«, Kübler 1995:89), danach stirbt sie ab. Nach Vogt Andersen
(1994) produziert jede Pflanze mindestens 5.000 Samen pro Jahr, Tiley/
Philip (1994) geben gar 50.000 und mehr Samen pro Pflanze an. Die Samen
können bis zu sechs Jahren im Boden überdauern, bevor sie keimen. Da die
schwimmfähigen Samen entlang von Fließgewässern mit dem Wasser trans-
portiert werden können, ist Heracleum mantegazzianum häufig in der Nähe
von Fließgewässern zu finden. Er wächst in Weiden-Grauerlen-Auwäldern
ebenso wie in Glanzgras-Pestwurz-Röhrichten (Phalarido-Petasitetum
hybridi) und in Winden-Gesellschaften (Convolvuletalia). Für Heracleum
mantegazzianum-Bestände sind eigene taxonomische Einheiten beschrieben
(Klauck 1988).
Dank ihrer breiten ökologischen Amplitude kann die Herkulesstaude aber
auch andere Standorte besiedeln. Epökophytische Vorkommen auf Grün-
landbrachen und Ruderalflächen sind ebenfalls häufig. Hier erfolgt der
Ferntransport meist durch Menschen. Ansalbungen durch Imker und die
Verwendung als Gartenpflanze beschleunigten die Ausbreitung der Herku-
lesstaude (Hartmann u.a. 1995). Nach Pyšek (1994) ist die Etablierungs-
und Ausbreitungsrate von Heracleum mantegazzianum weitgehend
unabängig von anthropogenen Standort-Einflüssen. Wichtig sei allein, daß
die Art ein bestimmtes Gebiet erreiche. Ob es sich dabei um halb-natürliche
oder anthropogene Lebensräume handelt, spiele für die weitere Ausbreitung
dann keine Rolle mehr. Lohmeyer/Sukopp (1992) geben in Deutschland
größere Vorkommen an der Isar, an Nebenflüssen des Rheins, im
Erzgebirge, im Vogtland, im Egertal und im Kaiserland an. Hartmann u.a.
(1995) nehmen an, daß sich die Art in Baden-Württemberg erst im
Anfangsstadium ihrer Ausbreitung befindet.
28
Die Herkulesstaude wird von zahlreichen nektar- und pollensuchenden
Insekten besucht. In dieser Hinsicht wird sie als Bereicherung der Vegeta-
tion betrachtet (Westrich 1989). Dierschke (1984) vergleicht die Art auf-
grund kompetitiver Verdrängungseffekte mit »aggressiven Neophyten wie
Solidago, Helianthus, Reynoutria u.a.« (Dierschke 1984:253). Auch Disko
(1997) ordnet »die wuchernde Walze des schwer hauttoxischen Riesen-
schierlings« den problematischen »Fremdarten« zu (ebd.:43). Klauck (1988)
schreibt ihr dagegen aufgrund ihrer fehlenden Fähigkeit zur vegetativen
Vermehrung ein geringeres Ausbreitungspotential zu.
Entsprechend dieser widersprüchlichen Einschätzung fällt auch die Be-
wertung aus Naturschutzperspektive unterschiedlich aus. In Baden-
Württemberg bildet die Herkulesstaude nach Schwabe/Kratochwil (1991)
meist nur lokal begrenzte, kleine Bestände und wird daher nicht als Gefähr-
dung für bedrohte Arten oder Gesellschaften eingestuft. Für England beto-
nen dagegen Tiley/Philip (1994) den invasiven Charakter der Art. Dank
ihrer ausgeprägten Samenproduktion habe sich die Art exponentiell ausge-
breitet und besiedle jetzt nach ihrer Etablierung in den Flußtälern vor allem
Brachen in der offenen Landschaft. Ihr großen Blätter und die dichten
Bestände machten sie zu einer sehr konkurrenzkräftigen Art, die die einhei-
mische Flora durch Beschattung verdränge. Nach Kowarik/Schepker (1997)
bildet die Herkulesstaude in Niedersachsen teilweise aus Naturschutz-
perspektive problematische Vorkommen. Für Schottland wird die Hybridi-
sierung mit dem heimischen Heracleum sphondylium als potentiell negati-
ver Effekt angeführt (Tiley/Philip 1994).
Aus der Perspektive der Landwirtschaft ist bedeutsam, daß Heracleum
mantegazzianum den Pilz Sclerotinia sclerotiorum beherbergt, der zu
Schäden an zahlreichen Feldfrüchten führt (Caffrey 1994). Verstärkte
Flußufer-Erosion und Zugangs- und Sichtbehinderungen gelten als weitere
aus praktischer Perspektive unliebsame Auswirkungen (Hartmann u.a.
1995). Ausschlaggebend für lokale Bekämpfungsnahmen sind aber vor
allem die unmittelbar gesundheitsschädigenden Auswirkungen der Herku-
lesstaude (Dodd u.a. 1994). Die im Saft der Pflanze enthaltenen Inhalts-
stoffe, sog. Furocumarine, gelangen beim Kontakt mit zerquetschten oder
zertretenen Pflanzenteilen auf die Haut und bilden dort unter Sonnenein-
strahlung phototoxische Derivate. Diese führen zu akuten sonnenbrandähn-
lichen Ausschlägen mit z. T. chronischen Folgen. Aufgrund dieser Photo-
Toxizität ist die Art auch einer breiteren Öffentlichkeit als gefährlich
29
bekannt und wird auf öffentlichen Erholungsflächen und an Badeseen
bekämpft. Es wird vermutet, daß die Furocumarine auch allelopathische
Eigenschaften besitzen (Vogt Andersen 1994).
Als effektivstes Verfahren unter den mechanischen Bekämpfungsmaß-
nahmen gilt das Abstechen der Einzelpflanze unter der obersten Wurzel-
schicht (10-15 cm tief, Kübler 1995). Mit dem Hypokotyl werde der
gesamte regenerative Bereich entfernt. Damit soll die Pflanze so geschädigt
werden, daß ein erneutes Austreiben unmöglich ist. Eine Mahd der Pflanzen
vor der Blüte führe dagegen nicht zum gewünschten Ergebnis, da sich die
Pflanzen in kürzester Zeit regenerieren. Vogt Anderson (1994) stellt Schaf-
beweidung als eine effektive Kontrollmethode dar, da sie die Ausbildung
der Blätter und Blüten verhindere und damit sowohl die beschattende
Wirkung als auch die extreme Samenproduktion der Herkulesstaude ein-
dämme.
Neben diesen mechanischen werden immer wieder auch chemische
Bekämpfungsmaßnahmen vorgeschlagen (Caffrey 1994). In der Nähe von
Gewässern müsse dabei aus Umweltschutzgründen auf eine möglichst kurze
Persistenz der eingesetzten Herbizide im Boden bzw. Grundwasser geachtet
werden. Caffrey setzt daher ein systemisches Breitband-Herbizid (Glypho-
sat) ein. Glyphosat ist zwar wegen seiner leichten Abbaubarkeit als Herbizid
in der Nähe von Gewässern zugelassen, hat aber aufgrund seiner unspezifi-
schen, systemischen Wirkung stark schädigende Auswirkungen auf die
gesamte Vegetation (einer seiner Handelsnamen lautet Round-Up), so daß
es bei winterlichem Hochwasser zu beachtlichen Erosionen kommt (Caffrey
1994). Selektive Herbizide, die nur dikotyle Arten treffen und damit die
Ausbildung einer stabilisierenden Grasnarbe ermöglichen würden, sind in
Wasserschutzgebieten nicht zugelassen, weil sie zu persistent sind. Chemi-
sche Methoden stoßen aus Naturschutzperspektive auf Kritik, weil sie mit
dem Schutz der heimischen Vegetation kaum zu vereinbaren sind. Um die
benachbarte Vegetation vor dem Herbizid zu schützen, werden daher
gezielte Gift-Injektionen in Einzelpflanzen oder der Einsatz von Röhren
erprobt (Lundström/Darby 1994).
Zum Schutz der einheimischen Arten wird außerdem an der Entwicklung
biologischer Bekämpfungsverfahren gearbeitet, von denen eine höhere Spe-
zifität erwartet wird. Felduntersuchungen in Großbritannien (Sampson
1994) ergaben allerdings, daß die Herbivorenfauna auf Heracleum man-
tegazzianum bereits alle Insektenarten enthält, die sich auch auf heimischen
30
H. sphondylium finden. Diese scheinen die eingeführte Art aber nicht in
nennenswertem Ausmaß zu schädigen. Die Einfuhr von Kontrollorganismen
aus dem Ursprungsland wird daher in Erwägung gezogen. Hierzu soll in
gründlichen Vorstudien die Wirtsspezifität der Pathogene oder Herbivoren
getestet werden (Fowler/Holden 1994). Die absichtliche Einfuhr von Pflan-
zenpathogenen ist allerdings ebenfalls wieder mit gewissen Risiken verbun-
den. Die gezielte Einfuhr von Schädlingen zum Zwecke einer biologischen
Neophytenbekämpfung ist daher derzeit noch Gegenstand einer kontrover-
sen Debatte (vgl. hierzu Kareiva 1996 sowie die ausführliche Diskussion im
Schwerpunktheft »Biological Control« der Zeitschrift Ecology 77 (7)).
2.5. Späte Traubenkirsche
Die agriophytische Spätblühende Traubenkirsche Prunus serotina EHRH
wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts als Zierpflanze aus Nordamerika
nach Europa eingeführt. Größere Verbreitung erreichte sie jedoch erst Ende
des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts, als sie in größeren Mengen in Forsten
angepflanzt wurde.
Die Spätblühende Traubenkirsche ist ein Pioniergehölz, das sich durch
schnelles Wachstum und geringen Lichtbedarf auszeichnet (Spaeth u.a.
1994). Unter günstigen Bedingungen kommt sie schon nach 7-10 Jahren zur
Fruchtbildung, in der Regel aber erst nach 20 Jahren (Starfinger 1990). Die
Früchte werden von zahlreichen Vögeln und Säugetieren gefressen,
wodurch die Samen über größere Entfernungen transportiert werden. Die
Samen bleiben bis zu vier Jahren keimfähig, die Keimungsrate ist aber im
ersten Jahr am höchsten. Die Jungpflanzen können lange im Kümmerwuchs
verharren, bevor sie bei entsprechenden Wuchsbedingungen zur Baum-
schicht aufwachsen (Starfinger 1990).
Aufgrund ihrer leicht zersetzbaren Laubstreu wurde die Art zur Boden-
verbesserung sandiger Böden angepflanzt. Von den Pflanzungen aus konnte
sie an vielen Orten verwildern. Lohmeyer/Sukopp (1992) stufen sie als
erfolgreichste fremdländische Baumart ein. Als Agriophyt ist sie in den
Niederlanden, Norddeutschland, Thüringen, Anhalt, Sachsen und Mittel-
franken in bodensauren Eichenwäldern (Quercion robori-petraeae) verbrei-
tet, epökophytische Vorkommen finden sich vor allem in Kiefernforsten
(Lohmeyer/Sukopp 1992).
31
Für eine Zurückdrängung der Art durch Bekämpfungsmaßnahmen
werden vorrangig forstwirtschaftliche Argumente angeführt: Sie behindere
die Naturverjüngung des Waldes und mindere die Erträge forstlich genutzter
Arten. Diese Befürchtung ist allerdings nach Kowarik (1996) noch für
keinen Fall eindeutig belegt. Durch den üppigen Unterwuchs aus Prunus
serotina wird der Schichtenaufbau des Waldes und die Waldbodenvegeta-
tion verändert. Dies behindert zum einen Maßnahmen der Waldbewirt-
schaftung, kann aber auch aus Gründen des Arten- und Biotopschutzes
bedeutsam werden. Für die Laubstreu von Prunus serotina werden darüber
hinaus allelopathische Effekte diskutiert, deren Wirkung auf die heimische
Flora allerdings schwer von anderen Mechanismen der Konkurrenz zu
trennen ist (Spaeth u.a. 1994).
Aus den genannten Gründen wird die Art systematisch, aber oft ohne
dauerhaften Erfolg bekämpft (Starfinger 1990, Lohmeyer/Sukopp 1992).
Neben Rodungsmaßnahmen vor der Durchforstung empfehlen Spaeth u.a.
(1994) Ringelung der Borke sowie regelmäßiges Rupfen der Sämlinge und
des Jungwuchses. Kombination mit chemischen Maßnahmen, z. B. Bestrei-
chen von Schnittstellen mit Glyphosat, soll die Wirksamkeit der mechani-
schen Maßnahmen erhöhen. In den Niederlanden wird die Spätblühende
Traubenkirsche mit dem Erreger des Bleiglanzes Chonostereum purpureum
biologisch bekämpft: Sein Mycel wird auf abgeschlagene Stümpfe aufge-
bracht und bringt diese zum Absterben. Aufgrund des Infektionsrisikos für
Baumschulen und Obstanlagen wird in deren Nähe von einer Behandlung
mit dem Pilz abgesehen (Spaeth u.a. 1994).
2.6. Fazit
Folgende Gründe für die Bekämpfung der vorgestellten Arten seien hier
vorläufig festgehalten:
Schädigung der Ufervegetation durch Verdrängung der autochthonen
Vegetation und dadurch Gefährdung der von dieser abhängigen Fauna
ökonomische Schäden für die Wasserwirtschaft und angrenzende land-
wirtschaftliche Nutzflächen durch verstärkte Ufererosion
ökonomische Schäden in der Forstwirtschaft durch Beeinträchtigung
der Naturverjüngung und Behinderung der Waldbewirtschaftung
gesundheitliche Schädigungen bei direktem Kontakt mit der Pflanze
32
Gefährdung von Naturschutzzielen, die im Schutz seltener oder gefähr-
deter Arten oder Biotoptypen liegen
Reduzierung der Artenvielfalt
Beeinträchtigung der landschaftlichen Eigenart
3. Texte über fremde Arten: Material und Methoden
»Unsere Methode ist kein Mittel, in der wissenschaftlichen Methodologie
›richtig‹ und ›falsch‹ zu trennen, aber ein Mittel, Selbstverständlichkeiten
wieder in Hypothesen zu verwandeln.« (Hard 1969:14)
Wie an den eben vorgestellten Beispielen hoffentlich deutlich wurde, sind
die bei der Darstellung der Neophytenproblematik naturwissenschaftlichen
»Fakten« und Bewertungen kaum zu trennen. Sowohl der ökologischen
Beschreibung als auch der Bewertung von Neophyten liegen dabei – meist
unausgesprochene – Prämissen zugrunde, die es zu explizieren gilt. Ich
möchte im folgenden versuchen, anhand des vorliegenden Textmaterials
Rückschlüsse auf Haltungen und Wertvorstellungen der VerfasserInnen
bzw. des wissenschaftlichen Kollektivs zu ziehen. Dazu werde ich die
wissenschaftlichen Texte systematisch interpretierend aufbereiten. Meine
Arbeitsweise ist daher weniger einer empirischen als einer hermeneutischen
Vorgehensweise vergleichbar, mein Methodenarsenal daher ein hauptsäch-
lich linguistisches.
Mein Vorgehen bei der Lektüre, Aufbereitung und Diskussion des Text-
materials wurde dabei wesentlich beeinflußt von Arbeiten des Geographen
Gerhard Hard. Da er linguistische Verfahren explizit auf die Vegetations-
kunde anwendet, war er für meine Belange außerordentlich hilfreich. Zwei
der von ihm angewendeten Methoden haben meine Untersuchung
nachhaltig geprägt: die Analyse des semantischen Hofs eines Begriffs
mithilfe polarkonträrer Begriffspaare (Hard 1969; Kapitel III und IV) und
die Methode des Spurenlesens (Hard 1995; Kapitel V).
3.1. Texte als Material
Unter der Überschrift »Material« wird in einer biologischen Arbeit norma-
lerweise der Untersuchungsgegenstand genauer vorgestellt. In der vorlie-
33
genden Studie handelt es sich dabei nicht – wie sonst in der Biologie üblich
– um Organismen, Arten, Populationen, Lebensgemeinschaften oder Land-
schaften, sondern um Texte. In diesen Texten geht es um bestimmte Arten
und ihre Beziehung zur Umwelt. Mein Material sind also Publikationen aus
der ökologischen- und Naturschutzforschung, die sich mit Neophyten, ihrer
Biologie, ihrer Ausbreitung, den durch sie verursachten Problemen und
ihrer Bekämpfung befassen.
Dabei geht es mir nicht um ein Zusammentragen und Resümieren dieser
Texte auf ihrer eigenen Ebene. Vielmehr sollen sie auf einer anderen, theo-
retischen Ebene interpretiert und diskutiert werden. Ich beabsichtige nicht,
eine weitere wissenschaftliche Überblicksarbeit zur Neophytenproblematik
zu verfassen, sondern die vorliegenden neu zu interpretieren. Indem mein
Forschungsgegenstand nicht die Neophyten selber, sondern wissenschaft-
liche Texte über Neophyten sind, nähere ich mich der Thematik nicht aus
einer praktischen, sondern aus einer theoretischen Perspektive.
Es wird bei der Diskussion der vorliegenden Arbeiten daher weniger um
die Frage der Richtigkeit der wissenschaftlichen Darstellungen im Sinne
einer »korrekten« Wiedergabe der Realität gehen, sondern um ihre deutende
Interpretation im Hinblick auf außerwissenschaftliche Einflüsse. Das
bedeutet, die Fragen, wann welche Arten eingewandert sind, wie schnell sie
sich ausbreiten konnten, welche biologischen Eigenschaften erfolgreiche
neue Arten haben oder in welchen Biotoptypen sie sich bevorzugt ansiedeln
können, spielen eine untergeordnete Rolle. Vielmehr interessiert mich die
Wahrnehmung dieser Sachverhalte und wie sie in wissenschaftlichen
Aussagen versprachlicht wird. Es geht mir also darum, wie über Neophyten
geschrieben wird, welche Worte, welche Analogien, welche Metaphern
Verwendung finden, welche Konnotationen durch die Art des Schreibens
evoziert werden. Diese wiederum sollen es mir erlauben, Rückschlüsse auf
den Texten zugrundeliegende Weltbilder und Wertvorstellungen zu ziehen.
3.2. Der Begriff des semantischen Hofs
Ausgehend von der Beobachtung, daß sich in Publikationen zu Naturschutz
und Landschaftspflege regelmäßig wiederkehrende Aussagen finden, die
den Status von Selbstverständlichkeiten besitzen, ohne je einer empirischen
Prüfung unterzogen zu werden oder überhaupt einer solchen zugänglich zu
sein, unternimmt Hard (1969) den Versuch, dieses Phänomen sprach-
34
psychologisch zu erklären. Bestimmte Aussagen über die Landschaft, so
lautet seine Hypothese, sind deshalb »evident«, weil sie sich aus dem
sprachlichen Hof des Begriffs ergeben.
Die Methode beruht auf der Auffassung, daß Worte nicht nur einen
genau bestimmbaren, eindeutigen Inhalt haben, sondern einen größeren
Bedeutungshof. Jedes Wort hat zum einen feste Sinnkopplungen, die sich
aus den üblichen Kontexten des Wortes ergeben, zum anderen auch eher
lose, assoziative Bindungen. Der Bereich kontextueller und assoziativer
Bindungen eines einzelnen Wortes wird als semantischer und subsemantisch
assoziativer Hof eines Begriffs bezeichnet (ebd.). Um den semantischen Hof
des Worts »Landschaft« erfassen und darstellen zu können, verwendet Hard
das sog. semantische Differential. Dieses besteht aus meist adjektivischen
Wortpaaren, die Polaritäten oder zumindest Alternativen darstellen und dem
in Frage stehenden Begriff assoziativ zugeordnet werden (für weiterfüh-
rende Hinweise zur Methodik siehe Hard 1969).
In der von Hard vorgestellten empirischen Studie sollten die Befragten
ihre spontanen Assoziationen zum Landschaftsbegriff bezüglich polar-
konträrer Begriffspaare wie nah/fern, Gemüt/Intellekt, weiblich/männlich
etc. auf einer mehrstufigen Skala einstufen. Die Wortpaare, die verwendet
wurden, um dieses Profil zu erstellen, bilden selbstverständlich bereits
Hypothesen. Nach Hard ergaben sie sich aus der geographischen Literatur,
durch Auskultation seines eigenen Sprachgefühls und des Sprachbesitzes
der Umwelt in Einzel- und Gruppeninterviews sowie durch systematische
Sammlung von Buch und Aufsatztiteln, die das Wort »Landschaft« enthal-
ten.
Zur Illustration des Vorgehens und seiner Ergebnisse soll hier der
semantische Hof des Landschaftsbegriffs, wie er sich nach der Befragung
von 351 Versuchspersonen darstellt, vorgestellt werden. Die umseitige
Abbildung 1 zeigt eine im Kontext meiner Arbeit interessante, leicht
gekürzte Auswahl an Begriffen, die von den Versuchspersonen mit dem
Begriff Landschaft in Verbindung gebracht wurden. Je nach Einstufung auf
der siebenteiligen Skala ist zu ersehen, mit welcher Seite des Gegensatz-
paares der Landschaftsbegriff eher in Verbindung gebracht wird. Begriffe,
die hinsichtlich der von mir bearbeiteten Fragestellung interessant erschei-
nen, sind hervorgehoben.
In einem zusammenhängenden Text läßt sich das so gewonnene semanti-
sche Profil des Landschaftsbegriffs folgendermaßen formulieren:
35
1 2 3 4 5 6 7
Gegenwart … …… …… …… …… …… …… …… Sehnsucht
Glück ………… …… …… …… …… …… …… ……… Unglück
nah …………… …… …… …… …… …… …… ………… fern
rücksichtsvoll… …… ……
…… …… …… …… … rücksichtslos
krank ………… …… …… …… …… ……
…… ……… gesund
verwurzelt …… …… ……
…… …… …… …… …… entwurzelt
konservativ …… …… …… …… …… …… ……
f
hi lih
Arbeit ………… …… …… …… …… …… …… …… Erholung
Ganzheit ……… …… ……
…… …… …… …… … Zerstückelung
gut ………… …… ……
…… …… …… …… ……… schlecht
Verlorenheit … …… …… …… …… …… …… Geborgenheit
Tradition …… …… …… …… …… …… …… ……… Technik
Einsamkeit …… …… …… …… …… …… …… ……
Gllhf
Kultur ………… …… …… …… …… …… …… ……
Zi ili i
Vergangenheit … …… …… …… …… …… …… ……… Zukunft
Begrenzung … …… …… …… …… …… ……
Udlihki
Persönlichkeit …… ……
…… …… …… …… …………
M
ländlich …… …… …… …… …… …… …… …… städtisch
schön ………… …… …… …… …… …… …… ……… häßlich
geplant ……… ……
……
……
……
……
……
……
vertraut
……
……
……
……
……
……
…………
fd
begrenzt …… …… …… …… …… …… …… …… unbegrenzt
Zusammenhang …… ……
…… …… …… ……
Vil
natürlich …… ……
……
……
……
……
……
…… zivilisiert
Dissonanz
……
……
……
…… …… ……
……
Hi
ideale Werte
……
……
……
……
……
……
…………
Pfi
unorganisch … ……
……
……
……
…… ……
……
ih
Fabrik ………… ……
…… …… …… …… …… ………… Dorf
mannigfaltig
……
…… ……
……
……
……
…… monoton
Heimat ……… ……
……
……
…… ……
……
…… Fremde
Masse …… ……
……
……
……
……
…… …Gemeinschaft
Abbildung 1: Ein semantisches Profil zum Wort Landschaft in gemeinsprachlicher Ver-
wendung. Quelle: Hard 1969:11, verändert und gekürzt
36
»Die (wahre) Landschaft ist weit und harmonisch, still, farbig, groß mannigfaltig und
schön. Sie ist ein primär ästhetisches Phänomen, dem Auge näher als dem Verstand, dem
Herzen, dem Gemüt und seinen Stimmungen verwandter als dem Geist und dem Intellekt,
dem weiblichen Prinzip näher als dem männlichen. Die wahre Landschaft ist etwas
Gewachsenes, Organisches und Lebendiges. Sie ist uns eher vertraut als fremd und den-
noch eher fern als nah, eher Sehnsucht als Gegenwart, denn sie hebt uns über den Alltag
hinaus und grenzt an die Poesie. Aber so sehr sie auch ins Unbegrenzte, ja ins Unendliche
weist, so bietet die mütterliche Landschaft dem Menschen doch immer Heimat und Gebor-
genheit. Sie ist ein Hort der Vergangenheit, der Geschichte, der Kultur und der Tradition,
des Friedens und der Freiheit, des Glückes und der Liebe, der Ruhe auf dem Land, der Ein-
samkeit und der Erholung von der Hast des Alltags und dem Lärm der Städte« (Hard
1969:10f., kursiv sind die Polaritätenbegriffe, die in der Studie abgefragt worden sind).
Ich habe für diese Arbeit allerdings keine vergleichbare empirische Studie
erstellt. Vielmehr habe ich versucht, anhand des historischen und aktuellen
Textmaterials den semantischen Hof der Begriffe »Neophyt« und »Natur-
schutz« mithilfe solcher Polaritätenbegriffe abzustecken. Dieses Vorhaben
beruht auf der Hypothese, daß Neophyten bestimmte Eigenschaften besit-
zen, die sie von der Natur, die im Naturschutz geschützt wird, unterschei-
den. Ich vermute, daß Neophyten deshalb für den Naturschutz
problematisch sind, weil der semantische Hof des Neophytenbegriffs und
der des Naturschutzbegriffs wenig oder keine Überschneidungen aufweisen.
Welche genau diese relevanten Eigenschaften sind und in welcher Hinsicht
sie relevant sind, werde ich in den Kapiteln II und IV herausarbeiten. Diese
dienen also dazu, den semantischen Hof der Begriffe »Neophyt« einerseits
(Kapitel III) und »Naturschutz« andererseits (Kapitel IV) mithilfe
polarkonträrer Begriffe zu charakterisieren.
3.3. Spurensuche
»Die Zeichenproduktion und ihre Zeichenprozesse (Semiosen) sind nur
anwesend als banale oder kühne Hypothesen und Rekonstruktionen eines Zei-
chenlesers …. Seine Zeichendeutungen mögen subjektiv plausibel, ja evident
sein, aber objektiv sind sie immer gewagt und fehlbar.« (Hard 1995:43)
Die Methode des Spurenlesens geht zurück auf die Zeichentheorie (Semio-
tik). Ein Zeichen ist »etwas, das für ein anderes steht« (Eco 1977). Zeichen
sind nicht nur Buchstaben und Worte, sie können auch natürlicher Herkunft
sein. Den Begriff des Zeichens möchte ich kurz an einem Beispiel illustrie-
ren: Das physische Phänomen Rauhreif kann als Zeichen gelten, daß es
37
nachts kalt war. Der sprachliche Ausdruck »Rauhreif« bezeichnet dieses
physische Phänomen Rauhreif. Über diese eigentliche Bedeutung, die
Denotation, hinaus trägt er assoziative Nebenbedeutungen, sog. Konnotatio-
nen. Diese sind weniger verbindlich, subjektiv gefärbt und vom Kontext
abhängig. So mag der erste Rauhreif des Jahres an die Vergänglichkeit des
Lebens gemahnen und weniger empfindsame Gemüter an Winterreifen und
Heizöl erinnern. Solche Zusammenhänge zwischen Kode und Botschaft,
zwischen Zeichen und Diskurs untersucht die Semiotik.
In der semiotischen Betrachtung kann alles als Zeichen erscheinen bzw.
nichts ist von sich aus ein Zeichen. Erst der Interpret bzw. die Interpretin
macht es zum Zeichen. Auch haben nur wenige Zeichen eindeutige Bedeu-
tungen, meist lassen sie ein Vielzahl von Interpretationen offen. An diesem
Phänomen setzt die Methode der Spurensuche an.
Spuren sind unbewußt und unabsichtlich erzeugte Zeichen. Sie werden
leicht übersehen oder für bedeutungslos gehalten, können jedoch Hinweise
auf dahinterliegende Phänomene geben. Als Beispiele für ein solches Vor-
gehen dienen Ginzburg die Kriminalistik (hier heißen die Spuren Indizien)
und die Psychoanalyse: der unbeabsichtigt hinterlassene Fingerabdruck
kann den Mörder verraten, eine unbedachte Äußerung Hinweise auf den
seelischen Zustand des Sprechers liefern. Auch die Medizin bedient sich
einer vergleichbaren Methode: Symptome werden als Äußerungen einer
dahinterliegenden Krankheit betrachtet (vgl. Eco 1977).
Betrachtet man ein Zeichen als Spur, so interessiert man sich weniger für
die (meist konventionell festgelegte) Bedeutung des Zeichens, als für
dahinterliegende Phänomene, auf die das Zeichen ebenfalls verweist oder
zumindest verweisen könnte. Wieder ein Beispiel: jedeR Verkehrsteilneh-
merIn kennt die Bedeutung eines Stop-Schilds und weiß, daß es »Anhalten«
gebietet. Das Stop-Signal kann aber zudem die Spur eines vergangenen
Ereignisses sein, beispielsweise, daß es an der bezeichneten Stelle bereits
mehrfach zu schweren Unfällen kam. Solche Interpretationen sind notwen-
dig spekulativ. Sie können mehr oder weniger plausibel sein, sind aber
weder so eindeutig wie das Zeichen selbst, noch so zwingend wie eine logi-
sche Beweisführung.
Ihre »Subjektivität« mag die Ergebnisse eines solchen Vorgehens in den
Augen einer auf »Objektivität« bedachten Naturwissenschaft anfechtbar
machen. Ich folge jedoch Ginzburg (1980) in der Auffassung, daß das
38
»Spurenparadigma« einen Beitrag darstellt, dieser verengenden Gegenüber-
stellung in der wissenschaftlichen Methodik zu entkommen.
Hard (1995) hat dieses Spurenparadigma für die Vegetationskunde
fruchtbar gemacht. Als Methode der Vegetationskunde bedeutet Spuren-
lesen, »ein Phänomen als Spur und Indiz für ein anderes lesen« (Hard
1995:33). So ist es in der Vegetationskunde üblich, bestimmte Pflanzenarten
als »Zeigerarten« für Nährstoffeinträge, Grundwasserabsenkungen oder
Trittbelastung zu interpretieren (Ellenberg 1979). In Mitteleuropa ist es in
vielen Fällen möglich und sinnvoll, die aktuelle Vegetation als Spur
menschlichen Handelns zu betrachten. Physisch-Materielles kann so auch
als Spur für etwas Soziales gelesen werden: Ackerbrachen, beispielsweise,
als Symptom veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Auch wenn
VegetationskundlerInnen diese interpretierende Leistung ihres Tuns oft
nicht bewußt ist, geht es – gerade in Texten, die es mit anthropogenen
Vegetationsformen zu tun haben – nicht nur um Natur, sondern auch um
Soziales.
Die Art und Weise, wie die Interaktion von Mensch und Natur in ökolo-
gischen Texten beschrieben wird, stellt dabei immer eine Interpretation dar.
Diese läßt umgekehrt wiederum Rückschlüsse auf Einstellungen der
solcherart Interpretierenden zu. Unter dieser Voraussetzung will ich in
Texten zur Neophytenproblematik nach Spuren dahinterliegender Naturauf-
fassungen, Menschenbilder und Weltanschauungen suchen. Mich interessie-
ren also Textstellen, an denen Einstellungen und soziale Erfahrungen ihre
Spuren in der wissenschaftlichen Sprache und Theoriebildung hinterlassen
haben. Die in den Texten benutzen Begriffe, Metaphern und
Interpretationen betrachte ich somit als Zeichen, die nicht nur auf konkrete
Phänomene verweisen, sondern zugleich auch etwas über die Forschenden
aussagen.
Solches Spurenlesen umfaßt nach Hard (1995) drei Verfahren: das
Finden von Subtexten, die Konstruktion von Gegentexten und das Schreiben
von Extratexten:
»1. Aufspüren des nicht-intendierten Sinns intendierter Botschaften; Spurensicherung als
Finden von Subtexten;
2. Dekonstruktion, Gegen-den-Strich-lesen (Destruktion und Neukonstruktion offizieller
Verlautbarungen; Spurensicherung als Konstruktion von Gegentexten);
3. Fremdgehen (Aus-dem-Felde-gehen, Paradigmenwechsel; Spurensuche als Schreiben
von Un- und Extratexten)« (Hard 1995:66).
39
Dabei sind folgende Prinzipien zu beachten:
1. Das Prinzip des zutageliegenden Untergrunds: Es besagt, daß die Auf-
merksamkeit der Forschenden auf solche Stellen des Materials zu
richten ist, an denen der Untergrund unmittelbar beobachtet werden
kann (analog der Geologie, in der man solche Stellen im Gelände
Aufschlüsse nennt).
2. Das Prinzip der plausiblen Konkurrenzhypothesen: Aufgrund der mögli-
chen Vieldeutigkeit solcher »Aufschlüsse« sind so viele plausible Alter-
nativ-Hypothesen wie möglich zu entwickeln.
3. Das Prinzip der Triangulation: analog dem Vorgehen des Geographen
im Gelände beim Einmessen eines Geländepunktes wird ein Punkt von
zwei verschiedenen Standorten aus »angepeilt«. Für das Verfahren der
Spurenlese bedeutet das, daß Ergebnisse auch von einem anderen
Blickwinkel aus zu überprüfen sind, um so der Gefahr der einseitigen
Verzerrung und der Produktion von Artefakten zu entgehen.
Wie jedes wissenschaftliche Arbeiten beinhaltet mein Vorgehen dabei eine
theoriegeleitete Auswahl aus der Fülle der Einzeldaten: Ich kann unmöglich
alle vorliegenden Arbeiten berücksichtigen, sondern werde nach dem »Prin-
zip des zutageliegenden Untergrunds« meine Aufmerksamkeit bevorzugt
auf »aufschlußreiche« Stellen im Textmaterial richten. Ich werde also in den
Kapiteln III und IV zunächst Hypothesen entwickeln, und dann im vorlie-
genden Material nach Indizien für diese Hypothesen suchen (Kapitel V).
Die Hypothesen wiederum werden an jedem »Aufschluß« selbst wieder
überprüft, korrigiert oder gegebenenfalls umgestürzt.
Zuvor ist allerdings noch zu erklären, warum ich ein solches Vorgehen
für gerechtfertigt halte. Daß naturwissenschaftliche Texte überhaupt einem
solchen deutenden Zugang offenstehen, ist nämlich keineswegs selbstver-
ständlich. Bevor ich mich also an die eigentliche Arbeit begebe, will ich im
folgenden Kapitel – notwendigerweise etwas holzschnittartig – das her-
kömmliche Verständnis vom Wesen wissenschaftlicher Erkenntnis kritisie-
ren und meine eigene Auffassung skizzieren.
40
Kapitel II
Wissenschaftstheoretische Grundlagen
1. Theoriedefizite in der Naturschutzforschung
»In das Streben nach objektivem Erkenntnisgewinn müssen auch persönliche
und gesellschaftliche Werthaltungen mit einbezogen werden.« (Fuchs 1990:6)
In diesem Buch geht es um den Zusammenhang von Ökologie, Naturschutz
und Ethik. Daß der Naturschutz hier zwischen Ökologie und Ethik steht, ist
kein Zufall, sondern beinahe schon Programm: Naturschutz bedient sich
notwendig bei beiden Disziplinen. Er fußt einerseits auf der Einsicht in
ökologische Zusammenhänge, kommt aber andererseits auch nicht ohne
Werte und Normen aus, die zum Gegenstandsbereich der Ethik gehören.
Wie ökologische Fakten und Wertsetzungen wissenschaftlich miteinander
zu verbinden sind, stellt eine bislang ungeklärte Frage der Naturschutzfor-
schung dar. Diese ist als relativ junge Disziplin gerade erst dabei, ein eige-
nes Profil zu entwickeln (Plachter 1997). Neben der Definition fachspezifi-
scher Aufgabenfelder und Ziele bedarf sie noch einer eigenen wissen-
schaftstheoretischen Charakterisierung. Weder als Natur- noch als Geistes-
noch als Sozialwissenschaft ist sie hinreichend und vollständig
beschreibbar. Bevor ich mich also an die eigentliche Arbeit einer kritischen
Analyse ökologischer Inhalte begebe, halte ich es für erforderlich, die mit
einem solchen Vorhaben verbundenen theoretischen Probleme zu eruieren
und Ansätze zu deren Lösung vorzuschlagen.
Worin genau die theoretischen Defizite der Naturschutzforschung beste-
hen, mögen zwei Zitate aus dem Konzept der Bayerischen Akademie für
Naturschutz und Landschaftspflege verdeutlichen. Das erste gibt eine
Auffassung vom Charakter der Ökologie als Naturwissenschaft wieder, die
sicher als exemplarisch für das Selbstverständnis der Disziplin gelten kann:
»Ökologie ist die Wissenschaft von den Umweltbeziehungen der Lebewesen. Sie widmet
sich Fragen nach Struktur und Funktion des Naturhaushalts, seiner Systeme und Kompar-
41
timente. Im tradierten Wissenschaftsverständnis wird dabei das Ideal der Wertfreiheit ange-
strebt, hat die Objektivierung der Natur durch Vernunft, die beobachterunabhängige
Reproduzierbarkeit der Ergebnisse höchsten Rang. Die Ökologie hat als Wissenschafts-
disziplin das Ziel der Durchdringung der realen Welt. Sie fragt nach Sein nicht nach Sollen
und Kann. Ihre Ergebnisse sind zunächst wertneutral.« (Fuchs 1990:6; Herv. UE)
Ökologische Erkenntnis wird also als »objektiv« und »wertneutral«
erachtet. Anders als die wertfreie ökologische Forschung gilt die
Naturschutzforschung als handlungs- und zweckorientiert und damit als
notwendig wertbezogen:
»Naturschutzforschung wird … verstanden als ›Forschung für Naturschutz und Land-
schaftspflege‹ mit dem Ziel der Mehrung objektiver Erkenntnisse unter Einbeziehung
subjektiver Werthaltungen und der Erarbeitung nachvollziehbarer Handlungsanleitungen.
(Sie ist) immer nur wertbezogen denkbar.« (Fuchs 1990:6; Herv. UE)
Mit der so formulierten Dichotomie »objektiv-wertfrei« vs. »subjektiv-
wertbezogen« ist eine Naturschutzforschung, die nachvollziehbare (und
wohl auch verbindliche) Handlungsanleitungen erarbeiten soll, vor eine
schwierige Aufgabe gestellt. Denn unter dieser Voraussetzung stellt sich die
Frage, was es heißen kann, »primär wertfrei ökologisch ermittelte Ergeb-
nisse sekundär wertbezogen umzusetzen« (Foeckler 1991:49) und dabei
dennoch »objektiv« zu bleiben. Wenn wirklich jede objektive Erkenntnis
wertfrei, jede Wertung notwendig subjektiv wäre, wäre die oben gestellte
Aufgabe der Naturschutzforschung von vornherein unlösbar. Dieses
Problem bildet den Ansatzpunkt meiner Argumentation.
Folgende Problemfelder bedürfen daher einer genaueren Erörterung:
1. Das Problem der Objektivität naturwissenschaftlicher Erkenntnis
2. Die Frage nach der Möglichkeit wissenschaftlicher Werturteile
Beide sind seit langem Gegenstand heftiger und bis heute nicht gelöster
Kontroversen innerhalb der Philosophie und Wissenschaftstheorie. Es kann
daher an dieser Stelle keinesfalls darum gehen, endgültige Antworten zu
geben oder auch nur einen annähernd vollständigen Überblick über die
philosophische Debatte zu präsentieren. Vielmehr werde ich zunächst das
naturwissenschaftliche Selbstverständnis, wie es auch für die Biologie in
obigem Zitat exemplarisch zum Ausdruck kommt, kurz darstellen und den
Begriff der wissenschaftlichen Objektivität präzisieren. Ich beschränke mich
dabei auf zwei Positionen, die auch heute noch fundamental für dieses
42
Selbstverständnis sein dürften: die klassischen Empiristen und ihre Kritik
durch Karl R. Popper. Diese objektivistischen Positionen konfrontiere ich
dann mit Ansätzen, die die subjektive, historische und soziale Dimension
der Wissenschaft betonen. Im nächsten Abschnitt (3.) widme ich mich dann
dem Problem der wissenschaftlichen Wertfreiheit. Abschließend schlage ich
ein Verständnis von Wissenschaft, Objektivität und Werten vor, das meinem
eigenen Vorhaben angemessen ist (4.).
2. Zur Objektivität naturwissenschaftlicher Erkenntnis
»Der menschliche Verstand ist kein reines Licht, sondern er erleidet einen Ein-
fluß vom Willen und von den Gefühlen.… Was nämlich der Mensch lieber für
das Wahre hält, das glaubt er eher.« (Bacon, Novum Organon Aphor. 49)
Alltagssprachlich wird als objektive im Gegensatz zu einer subjektiven
Sicht diejenige bezeichnet, die die Dinge so sieht, wie sie an sich und für
alle, also unabhängig vom Subjekt, sind. Meistens ist der Begriff »objektiv«
darüberhinaus mit einem Wahrheitsanspruch i. S. einer Übereinstimmung
mit der Wirklichkeit verbunden, d. h. er wird gleichbedeutend mit
»wirklich« oder »real« verwendet (Brugger 1976). Eine ähnliche
Auffassung findet sich auch in den eingangs zitierten Aussagen über den
Charakter der Ökologie. Beide Verwendungen erweisen sich bei genauerer
Überlegung als kritikwürdig. Ich werde im folgenden den Begriff der
Objektivität in verschiedenen erkenntnistheoretischen Ansätzen darstellen,
um anschließend auszuführen, in welchem Sinne die Rede von
wissenschaftlicher Objektivität mir selbst möglich und sinnvoll scheint.
2.1. Alles Wissen gründet in Erfahrung:
Die Wissenschaft der frühen Empiristen
Die Freiheit von tradierten Vorurteilen ist Auftrag und Programm der neu-
zeitlichen Wissenschaft (Descartes 1977 [Orig. 1641]; Locke 1981 [Orig.
1689]. Gegen die mittelalterlichen Naturphilosophen, denen noch antike
Schriften und die Bibel als Quelle der Naturerkenntnis dienten, sollte nach
Auffassung der Empiristen wissenschaftliches Wissen über die Natur allein
durch Beobachtung und Experiment erworben werden. Trotz aller erhebli-
chen Unterschiede zwischen den verschiedenen empiristischen Auffassun-
43
gen teilen sie alle die Voraussetzung, daß wissenschaftliche Erkenntnis im
wesentlichen auf Induktion beruhe: Über wiederholte Beobachtungen, die
uns die Sinnesorgane vermitteln, kämen wir durch induktives Schließen zu
allgemeinen Gesetzen und Theorien. Logik und deduktives Schließen
ermöglichten dann Erklärungen und Vorhersagen. Das Induktionsprinzip
(d. h. der Schluß von vielen Einzelfällen auf ein allgemeines Prinzip) darf
dabei nur angewendet werden, wenn eine große Anzahl von Beobachtungen
vorliegt, die Beobachtung unter einer Vielzahl von Bedingungen wiederholt
wurde und keine der Beobachtungsaussagen im Widerspruch zum allgemei-
nen Gesetz steht.
Francis Bacon (1561-1626), der Begründer der experimentellen Natur-
wissenschaft, stellte dagegen die Möglichkeit eines Erkenntnisgewinns
durch bloßes Beobachten in Frage und proklamierte das wissenschaftliche
Experiment als einzige Methode systematischen Erkenntnisgewinns (Bacon
1990 [Orig. 1620]).
Empiristische Positionen sehen sich mit zwei Problemen konfrontiert:
Das sog. Induktionsproblem wurde schon von David Hume (1989; Orig.
1739] formuliert. Er zog die Rechtfertigung des Induktionsprinzips an sich
in Zweifel: Logisch führe kein zwingender Weg von einer noch so großen
Menge an Einzelaussagen zu einer allgemeinen, von vergangenen zu
zukünftigen Ereignissen.
Die neuere Debatte stellt weniger das Induktionsproblem als eine
erkenntnistheoretische Kritik in den Mittelpunkt. Der Charakter von Beob-
achtungen wird in den frühen empiristischen Ansätzen noch kaum proble-
matisiert. Sie gehen einfach davon aus, daß unsere Sinneseindrücke uns
unmittelbar ein Bild von der Welt vermitteln, wie sie wirklich ist, vertreten
also einen heute vielfach als naiv gekennzeichneten Realismus. Diese
Unmittelbarkeit der Wahrnehmung wird heute in Frage gestellt. Denn
Wahrnehmungen sind nicht einfach Sinneseindrücke, sondern variieren mit
der Erfahrung und dem Wissen der Beobachtenden und sind somit
subjektiv. Erst recht sind Beobachtungsaussagen, als theoretische Entitäten,
die in der Sprache einer bestimmten Theorie ausgedrückt werden müssen,
bereits theoriegeladen. Und schließlich sind auch Beobachtung und
Experiment selbst insofern theoriegeleitet, als die Wahl des Beob-
achtungsgegenstands und der Versuchsaufbau nicht Ergebnis von Zufall
oder reiner Willkür, sondern überhaupt erst im Lichte einer bestimmten
Theorie sinnvoll sind (Chalmers 1986). Mit dieser Kritik wird die
44
empiristische Auffassung, allein über Wahrnehmung und Beobachtung zu
Erkenntnis gelangen zu können, fraglich.
2.2. Objektive Erkenntnis: Zur Erkenntnistheorie Karl Poppers
Karl R. Popper entwarf die kritische Form des Empirismus, auf die sich
noch heute ein Großteil der NaturwissenschaftlerInnen stützt (Popper 1973
und 1984). Popper teilt Humes Kritik am Induktionsprinzip, weist jedoch
dessen psychologische Erklärung der Induktion zurück: Wenn der aus wie-
derholten Beobachtungen resultierende Glaube an Regelmäßigkeit reine
Gewohnheit sei, wäre Erkenntnis nichts als ein irrationaler Glaube. Zur
Rettung des wissenschaftlichen Rationalitätsanspruchs formuliert Popper
daher das Induktionsproblem neu, indem er fragt: »Läßt sich die Behaup-
tung, eine erklärende Theorie sei wahr oder falsch mit ›empirischen
Gründen‹ rechtfertigen?« (Popper 1973:19) So gestellt, läßt sich die Frage
bejahen, denn Beobachtungsaussagen können durchaus den Charakter von
Prüfaussagen haben: »Ja, die Annahme, bestimmte Prüfaussagen seien
wahr, rechtfertigt manchmal die Behauptung, eine erklärende allgemeine
Theorie sei falsch« (ebd.:20).
Empirische Aussagen können also Theorien nicht verifizieren, aber
zumindest falsifizieren. Diesem Falsifikationsprinzip folgend, sollten Expe-
rimente demnach so entworfen werden, daß ihr Ausgang in der Lage ist, die
ihnen zugrundeliegende Hypothese zu widerlegen. Im Idealfall kann die
Entscheidung zwischen zwei konkurrierende Theorien durch ein geschickt
angelegtes experimentum crucis herbeigeführt werden. Die entsprechende
Beobachtung dient dann dem Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft. Dabei
können allerdings keine Aussagen über den tatsächlichen Wahrheitsgehalt
der (noch) nicht widerlegten Theorie gemacht werden. Theorien sind daher
immer nur als Vermutungen oder Hypothesen zu bezeichnen. Mit deren
Widerlegung vollzieht sich aber nach Popper objektiver wissenschaftlicher
Fortschritt.
Das größte Problem, mit dem sich der falsifikationistische Ansatz
Poppers konfrontiert sieht, liegt in der Wahrheit oder Falschheit der
Prüfaussagen. Diese Frage klammert Popper bewußt aus, sie »sollte nicht
als Teil des Induktionsproblems gesehen werden« (Popper 1973:21). Für die
Zuverlässigkeit des Falsifikationsprinzips ist sie jedoch von entscheidender
Bedeutung: Taucht ein Widerspruch zwischen Beobachtung und Theorie
45
auf, so ist nicht zu entscheiden, welche von beiden zu verwerfen ist. So gibt
es in der Geschichte der Wissenschaft (und auch in der Gegenwart) zahlrei-
che Fälle, in denen Beobachtungen zurückgewiesen und Theorien beibehal-
ten werden (vgl. hierzu Kuhn 1976). Popper will dieses Problem eliminie-
ren, indem er zwischen öffentlichen Beobachtungsaussagen und der indivi-
duellen Wahrnehmungserfahrung einzelner Beobachter unterscheidet. Eine
Beobachtungsaussage bedarf der Anerkennung durch die scientific commu-
nity, sie muß intersubjektiv nachvollziehbar und überprüfbar sein. Beob-
achtungsaussagen haben somit den Charakter einer Konvention. Wissen-
schaftliche Erkenntnis ruht demnach nicht auf dem soliden Fundament der
»Wirklichkeit«, sie ist immer nur vorläufig: »So ist die empirische Basis der
objektiven Wissenschaft nichts ›Absolutes‹; die Wissenschaft baut nicht auf
Felsengrund. Es ist eher ein Sumpfland, über dem sich die kühne Konstruk-
tion ihrer Theorien erhebt« (Popper 1984:75 f.). Wissenschaftliche »Objek-
tivität« bedeutet demnach – schon bei Popper – nicht »Wahrheit« im Sinne
einer Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, sondern lediglich die Elimi-
nierung sämtlicher subjektiver Einflüsse durch die Forschenden. Dennoch
bleibt Wahrheit Erkenntnisideal und regulative Idee der Wissenschaft.
»Die Erkenntnis in diesem objektiven Sinne ist völlig unabhängig von irgend jemandes
Erkenntnisanspruch, ebenso von jeglichem Glauben oder jeglicher Disposition zuzustim-
men, zu behaupten oder zu handeln. Erkenntnis im objektiven Sinne ist Erkenntnis ohne
einen Erkennenden: es ist Erkenntnis ohne ein erkennendes Subjekt.« (Popper 1973:126;
Herv. i. O.).
Dies ist das Wissenschaftsverständnis, das auch in der eingangs zitierten
Beschreibung der Ökologie zum Ausdruck kam: die »objektive«, vom
Subjekt und seinen persönlichen Eigenschaften völlig unbeeinflusste
Erkenntnis. Gegen die Vorstellung einer solchen subjektlosen Erkenntnis
möchte ich im folgenden einige Ansätze vorstellen, die in unterschiedlicher
Weise die subjektive Seite der Erkenntnis hervorheben.
2.3. Objektivität nach Immanuel Kant
Immanuel Kant (1724-1804) hat in seiner Erkenntnistheorie die fundamen-
tale Bedeutung des Subjekts im Erkenntnisprozeß unterstrichen. In seiner
1781 veröffentlichten »Kritik der reinen Vernunft« begründet er die Ein-
sicht, daß die Vernunft die Objekte ihrer Erkenntnis notwendig nach Kate-
gorien beurteilen muß, die selbst der Erfahrung vorgängig, also a priorisch
46
sind. Gegen einen naiven Empirismus und Realismus betont er, »daß die
Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt«
(Kant 1990: Vorrede B XIII). Wir können also »von den Dingen nur das
erkennen, was wir selbst in sie legen« (Kant 1990, Vorrede B XVIII).
Gegen die empiristische Vorstellung, der Verstand sei eine tabula rasa
und komme erst durch sinnliche Erfahrungen zu Begriffen, hebt Kant
hervor, daß der Verstand bereits vor aller Erfahrung über bestimmte
Kategorien verfügt, die überhaupt die Bedingung jeder Möglichkeit von
Erkenntnis sind:
»Erfahrung [ist] selbst ein Erkenntnisakt, der Verstand erfordert, dessen Regel ich in mir,
noch ehe mir Gegenstände gegeben werden, mithin a priori voraussetzen muß, welche in
Begriffen a priori ausgedrückt wird, nach denen sich also alle Gegenstände der Erfahrung
notwendig richten und mit ihnen übereinstimmen müssen.« (Kant 1990, Vorrede B XVIII)
Da diese Verstandeskategorien der Erkenntnis logisch vorgängig sind, kön-
nen wir nie wissen, wie die Gegenstände ohne unsere verstandesmäßige
Zurichtung aussehen. Wir können also »von keinem Gegenstande als Dinge
an sich selbst, sondern nur insofern es Objekt der sinnlichen Anschauung
ist, d. i. als Erscheinung, Erkenntnis haben« (Kant 1990, Vorrede B XXVI).
In diesem Sinne ist Erkenntnis ohne Subjekt gar nicht denkbar, also strikt
subjektiv. Dennoch hält Kant Objektivität für möglich. Sie haftet aber nicht
den Gegenständen an, sondern verdankt sich dem erkennenden Subjekt:
Denn das, was der Verstand vor aller Erfahrung, a priori, in die Dinge hin-
einlegt, ist nicht subjektiv im Sinne einer willkürlichen Setzung, sondern
notwendige und allgemeine Bedingung jeder Erkenntnis überhaupt.
»Objektiv« ist Erkenntnis also nur dann, wenn sie rational ist, d. h. wenn
jedes andere vernünftige Wesen aufgrund seiner eigenen Verstandesleistung
zur selben Erkenntnis kommen könnte.
Die Einsicht in die logische Vorgängigkeit unseres Erkenntnisapparats ist
für mein Vorhaben sehr bedeutsam: die Auffassung, daß wir unvermeidlich
schon über bestimmte Ordnungsmuster verfügen müssen, bevor wir über-
haupt beobachten können, stellt einen wichtigen Bestandteil meiner
theoretischen Grundlage dar. Nur unter dieser Voraussetzung ist es
überhaupt sinnvoll, den Versuch zu unternehmen, aus wissenschaftlichen
Theorien Rückschlüsse auf die ihnen zugrundeliegenden
Interpretationsmuster zu ziehen.
47
Allerdings geht dieses Vorhaben in einem wesentlichen Punkt über Kant
hinaus und mündet in einen der Kant’schen Intention entgegengesetzten
Schluß. Ich gehe nämlich davon aus, daß nicht nur allen Menschen gemein-
same Kategorien wie Raum, Zeit und Kausalität unsere Erkenntnis bedin-
gen, sondern auch zusätzliche, kontingente Denkmuster.
Die Bedingung des Kantischen Objektivitätsverständnisses ist, daß alle
vernünftigen Wesen über dieselben a priorischen Kategorien des reinen
Denkens verfügen. Ob es solche Kategorien überhaupt gibt und geben kann,
ist Gegenstand einer andauernden Kontroverse. Alfred Sohn-Rethel (1978;
Orig. 1937) beispielsweise legt gegen den philosophischen Idealismus
Kants den Versuch einer materialistischen Erklärung des rationalen
Denkens vor. Ausgehend von der zentralen These des historischen
Materialismus, daß das gesellschaftliche Sein das Bewußtsein bestimmt,
könnten auch die Denkformen, die der Erkenntnis der Naturobjekte dienen,
als Produkte des gesellschaftlichen Seins aufgefaßt werden. Das bedeute,
»daß das Denken genau in demselben Sinne gesellschaftlich bedingt und
geschichtlich entstanden ist, in dem der Idealismus seine Apriorität
gegenüber dem Sein und seine Transzendentalität behauptet« (Sohn-Rethel
1978:27). Aus einer Gesellschaft, die auf Warenaustausch beruht, gingen
notwendig Verallgemeinerung, Abstraktion und Objektivierung als
wesentliche Formen des Denkens hervor. Die Kantischen Kategorien hätten
folglich ihren Ursprung nicht im »reinen« Denken, sondern im
gesellschaftlichen Tun.
Die Frage der Apriorität braucht an dieser Stelle jedoch nicht geklärt zu
werden. Denn unabhängig von ihrer Antwort bin ich davon überzeugt, daß
jeder Mensch im Erkenntnisprozeß auch »Kategorien« anwendet, die gerade
nicht vor jeder Erfahrung, sondern das Ergebnis biographischer und kultu-
reller Prägung sind. Solche unbewußten, individuellen, sozial oder weltan-
schaulich geprägten »Kategorien« bezeichne ich hier und im weiteren in
Anlehnung an Ludwik Fleck als Denkmuster, da der Begriff »Kategorie«
der von Kant intendierten Bedeutung vorbehalten bleiben sollte.
Ansätze, die die soziale Dimension wissenschaftlicher Erkenntnis in den
Mittelpunkt stellen, sind mittlerweile so zahlreich, daß eine Auswahl not-
wendig willkürlich bleiben muß (vgl. für einen umfassenderen Überblick
Weingart 1972, 1974 und 1976; Felt u.a. 1995). Ich beschränke mich hier
auf solche, die sich explizit auf die Biowissenschaften beziehen.
48
2.4. Erkenntnis als soziale Tätigkeit: Zur Erkenntnistheorie Ludwik Flecks
Der polnische Mediziner Ludwik Fleck machte die soziale Dimension der
Erkenntnis systematisch zum Ausgangspunkt seiner auf eigenen Erfahrun-
gen als Naturwissenschaftler fußenden Erkenntnistheorie. Seine 1935 ver-
faßte Monographie »Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen
Tatsache« (Fleck 1993) konstatiert nicht nur das soziale Gepräge der
Wissenschaft, sondern widmet sich auch explizit dessen inhaltlichen Folgen.
Zunächst geht auch Fleck davon aus, daß Wissen nie an sich, sondern nur
unter der Bedingung inhaltlich bestimmter Vorannahmen möglich ist. Er
zeigt jedoch, daß diese Annahmen nicht a priorisch, sondern soziologisches
und historisches Produkt eines tätigen Denkkollektivs sind. Den Ausgangs-
punkt seiner Argumentation bildet dabei die von der Wahrnehmungs-
psychologie inspirierte Re-Interpretation der Beobachtung, der ja alle empi-
rischen Wissenschaften eine große Bedeutung beimessen. Das von den
Empiristen geforderte »voraussetzungslose Beobachten« ist für Fleck eine
Illusion – »psychologisch ein Unding, logisch ein Spielzeug« (Fleck
1993:121). Zwei Schwierigkeiten stehen ihm im Wege:
»1) die Notwendigkeit einer gewissen standardisierten Ausbildung und Einübung des
Beobachters, ohne die von einem Beobachten des gegebenen Gegenstands keine Rede sein
kann, und 2) die Unmöglichkeit der völligen Verständigung sogar unter den ausgebildeten
Beobachtern über den Rahmen dieses Gegenstands« (Fleck 1983a:67).
Gegen die Empiristen folgt Fleck der Gestaltpsychologie in der Auffassung,
daß Wahrnehmung in »Ganzheiten« erfolgt. D. h. nicht alle Details eines
Beobachtungsgegenstands werden wahrgenommen, sondern erst dadurch,
daß man von Einzelheiten abstrahiert, Unwichtiges beiseite läßt, Wesentli-
ches hervorhebt, entsteht ein Bild, eine »Gestalt«. Solches Gestaltsehen
erfordert Einübung und Erfahrung: »Das unmittelbare Gestaltsehen verlangt
ein Erfahrensein in dem bestimmten Denkgebiete: erst nach vielen
Erlebnissen, eventuell nach einer Vorbildung erwirbt man die Fähigkeit,
Sinn, Gestalt, geschlossene Einheit unmittelbar wahrzunehmen.« (Fleck
1993:121).
So enthüllt sich etwa Ungeübten beim ersten Blick durch ein Mikroskop
eine verwirrende Detailfülle, aus der sich erst durch die Kenntnis der techni-
schen Funktionsweise und des histologischen Zusammenhangs ein Bild
ergibt (hier ist z. B. die Unterscheidung von dem Objekt zugehörenden
Eigenschaften und Artefakten erforderlich). Auch die Bestimmung von
49
Pflanzen- und Tierarten folgt m. E. den Prinzipien des Gestaltsehens: Wenn
es auch anfangs erforderlich ist, eine Art anhand ihrer Differentialmerkmale
mühsam zu bestimmen, können wir nach einiger Übung viele Arten »auf
Anhieb« ansprechen, ohne die dafür entscheidenden Merkmale noch heran-
ziehen zu müssen.
Diese Einübung ins Gestaltsehen ist unter anderem Bestandteil der wis-
senschaftlichen Ausbildung, hört aber im Zuge wissenschaftlicher Tätigkeit
nie auf: Wie wir vom anfänglichen, unklaren Schauen zum entwickelten
Gestaltsehen gelangen, lehrt uns das Kollektiv. Erkenntnis findet also nicht
zwischen Subjekt und Objekt statt. Das Denkkollektiv ist als dritter, not-
wendiger Bestandteil des Erkenntnisprozesses eingeführt:
»Der Prozeß des Erkennens ist nicht, wie es die individualistische Anschauung verkündet,
zweigliedrig: Er spielt sich nicht ausschließlich zwischen irgendeinem abgetrennten
›Subjekt‹ und irgendeinem ebenso absoluten ›Gegenstand‹ ab. Das Kollektiv ist in diesen
Prozeß als drittes Glied eingeschlossen. … Alles Erkennen ist ein Prozeß zwischen dem
Individuum, seinem Denkstil, der aus der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe folgt,
und dem Objekt« (Fleck 1983b:168).
Selbstverständlich muß unter der Voraussetzung einer unhintergehbaren
sozialen Bedingtheit aller Erkenntnis auch ein anderes Verständnis von wis-
senschaftlicher Objektivität entwickelt werden. Innerhalb eines Denkkollek-
tivs ist die stilgemäße Auflösung eines Problems nur singulär möglich und
deshalb (und nur in diesem Sinne) »wahr«.
»Man kann nie sagen, derselbe Gedanke sei für A wahr und für B falsch. Gehören A und B
demselben Denkkollektive an, dann ist der Gedanke für beide entweder wahr oder falsch.
Gehören sie aber verschiedenen Denkkollektiven an, so ist es eben nicht derselbe Gedanke,
da er für einen von ihnen unklar sein muß oder von ihm anders verstanden wird.« (Fleck
1993:131; Herv. i. Orig.)
Objektivität setzt nach dieser Auffassung einen gemeinsamen Bezugsrah-
men voraus, der von allen Beteiligten geteilt wird. Dennoch stehen ver-
schiedene Denkstile nicht völlig unvermittelbar nebeneinander: Indem ein
Mensch unterschiedlichen Denkkollektiven angehören kann, besteht auch
die Möglichkeit eines »interkollektiven Gedankenverkehrs«und damit auch
einer Denkstilveränderung (ebd.:144).
50
2.5. Das Geschlecht des Wissens: feministische Wissenschaftskritik
Nachzuweisen, daß die proklamierte Objektivität der Wissenschaft nur eine
vermeintliche ist, ihr also ihren »objektivistischen Schein« (Harding 1991)
zu nehmen und ihren parteiischen, androzentrischen Charakter zu entlarven,
war und ist das Anliegen feministischer Wissenschaftskritiken. Sie gehen
davon aus, daß sich die gesellschaftliche Ungleichheit der Geschlechter
nicht nur in der Wissenschaft als sozialer Institution, sondern auch in der
von ihr gewonnenen Erkenntnis widerspiegelt. Das (soziale) Geschlecht
stellt ihre zentrale analytische Kategorie dar.
Zunächst beschränkte sich feministische Kritik darauf nachzuweisen, daß
und wie Frauen im Wissenschaftsbetrieb strukturell benachteiligt sind.
Dabei wurde offensichtlich, wie die Dominanz von Männern zu Einseitig-
keiten in der Auswahl und Definition wissenschaftlich relevanter Probleme
geführt hat. Die Einsicht, daß soziale Faktoren bei der Problemauswahl eine
Rolle spielen, berührte zunächst aber noch nicht das Wissenschaftsverständ-
nis selber: Selbst wenn einseitige Interessen in die Begründung eines
Forschungsprojekts eingehen, muß dies noch keine Auswirkungen auf die
sachliche Richtigkeit seiner Ergebnisse haben.
Etliche Autorinnen haben jedoch auch bezüglich der Interpretation von
Beobachtungen und Experimenten Voreingenommenheiten nachgewiesen.
Damit ist die vorgebliche Belanglosigkeit der gesellschaftlichen Identität
der Beobachtenden bzw. Forschenden für die Ergebnisse der Forschung in
Frage gestellt. Hierbei spielt die (vergeschlechtlichte) Sprache, die auch in
theoretischen Formulierungen Verwendung findet, eine erhebliche Rolle.
Ein Beispiel hierfür ist die von Anthropomorphismen durchsetzte
Verhaltensforschung: Wenn in der Primatenforschung »Ein-Männchen-
Gruppen« als »Harem« bezeichnet werden, ist durch die anthropomorphe
Sprache eine Rollenverteilung im Affenrudel suggeriert, die dessen sozialer
Wirklichkeit nicht unbedingt entsprechen muß. Auch in der Evolutionstheo-
rie, der Botanik, selbst in der Mikrobiologie ist, insbesondere wo es um
Zweigeschlechtlichkeit geht, der Einfluß androzentrischer Denkmuster
nachweisbar (Keller 1989). Nicht nur die Auswahl der Probleme, sondern
auch die Interpretation der Beobachtungen und die Theoriebildung selber
zeigt sich als von der männlichen Dominanz substantiell beeinflußt.
Gesellschaftliche Ungleichheiten wirken also nicht nur innerhalb der
Institution Wissenschaft, sondern bis hinein in ihre Inhalte, ihre Sprache und
ihr Denken. Wissenschaftliche Erkenntnis ist damit – entgegen ihrem eige-
51
nen Anspruch – vielfach gerade nicht unabhängig von subjektiven Einflüs-
sen. Dieser Befund läßt zunächst zwei Konsequenzen zu: Entweder das
Projekt einer aufgeklärteren Nachfolgewissenschaft, die es sich zur Aufgabe
macht nachzuweisen, wo die Prinzipien der Objektivität und Rationalität in
der gängigen Wissenschaftspraxis verletzt werden (z. B. Harding 1991).
Oder aber diese Prinzipien werden selber als Fundamente der Wissenschaft
in Frage gestellt, weil das Postulat wissenschaftlicher Objektivität verdäch-
tigt wird, lediglich der Verschleierung unhinterfragter gesellschaftlicher
Werte zu dienen. Universalisierung erscheint aus dieser Perspektive als Pro-
dukt und Reproduktion von Herrschaftsverhältnissen und wird daher
ablehnt, z. B.
»Vielleicht kann ›die Wirklichkeit‹ nur aus der falsch verallgemeinernden Sichtweise des
Herrn ›eine‹ Struktur besitzen. Das heißt, nur in dem Maße, in dem eine Person oder
Gruppe das Ganze beherrscht, kann die ›Wirklichkeit‹ so erscheinen, als würde sie einem
einzigen regulativen Zusammenhang gehorchen oder durch eine privilegierte Form gesell-
schaftlicher Verhältnisse konstituiert.« (Flax 1986, zit. nach Harding 1991:208)
Eine solche partikularistische Sicht würde die Möglichkeit objektiver und
universeller wissenschaftlicher Erkenntnis grundsätzlich bestreiten, sich
damit aber zugleich als Wissenschaft selbst den Geltungsgrund entziehen:
Die standpunktbedingt unterschiedlichen Interpretationen der Welt wären
letztlich inkommensurabel, keine könnte mehr Geltung beanspruchen als die
andere. Damit wäre die Forderung nach einem Verzicht auf jeglichen
Objektivitätsanspruch – als wissenschaftliche Äußerung – selbstwider-
sprüchlich.
Darüberhinaus scheint mir ein radikaler Relativismus auch aus prakti-
scher Perspektive inakzeptabel: Wenn Erkenntnis durch den Standpunkt der
Erkennenden vollständig determiniert wäre, wäre jede Form von Wissen
über die Natur nur eine von vielen möglichen Hinsichten auf einen nicht zu
fassenden Gegenstand. Damit wäre es unmöglich, einen Naturzustand –
begründet! – einem anderen vorzuziehen. Dann stellt sich aber die berech-
tigte Frage, warum Natur überhaupt in einem bestimmten Zustand erhalten
werden soll: »If nature is only a social and discursive construction, why
fight hard to preserve it?« (Hayles 1995:47)
Eine solche relativistische Auffassung ist eine der Fallen, in die gesell-
schaftskritische Analysen der Wissenschaft häufig geraten. Sie folgt jedoch
aus der Einsicht in die soziale Bedingtheit von Erkenntnis nicht notwendig.
Im Gegenteil, die Kritik daran, daß Wissenschaft Interessen und gesell-
52
schaftliche Machtverhältnisse widerspiegelt, bedarf geradezu des Festhal-
tens an einem normativen Ideal der Objektivität. Die Diskussion um richtige
und falsche Bilder von der Wirklichkeit kann sich nicht mit der
Subjektivität individueller oder gruppenspezifischer Standpunkte
zufriedengeben, sondern bedarf der Argumente, um zu überzeugen.
Andernfalls würde sich letztlich immer die Sicht derer durchsetzen, die über
die größere gesellschaftliche Macht verfügen.
Mit dem Stichwort »Argument« ist nun ein Begriff benannt, der
abschließend einen Weg aus dem scheinbaren Dilemma zwischen Wissen-
schaftsideologie einerseits und Relativismus andererseits weisen soll: der
Begriff der Kommunikation. Die kommunikationstheoretische Perspektive
Jürgen Habermas' führt eine Unterscheidung von Objektivität und Wahrheit
ein und faßt Rationalität als kommunikative Qualität auf. »Objektiv« nennt
Habermas Erfahrungen oder Wahrnehmungen, die keinen »bloß subjekti-
ven« Charakter haben, sondern intersubjektiv geteilt werden können. Über
die »Wahrheit« diesbezüglicher Aussagen kann nur mit kommunikativen
Mitteln entschieden werden (vgl. hierzu ausführlich Kunnemann 1991).
Damit wird das Prinzip der Objektivität als Fundament der Wissenschaft
nicht aufgegeben, sondern reformuliert: Wissenschaftliche Erkenntnis ist
nicht schon durch ein bestimmtes methodisches Vorgehen bei ihrer Erzeu-
gung »objektiv«, sondern bedarf der intersubjektiven Prüfung – nicht nur
durch die scientific community oder das eigene Denkkollektiv, sondern auch
und gerade aus anderen Perspektiven. Solche Intersubjektivität setzt aller-
dings eine gemeinsame Sprache voraus, die es in der Praxis oft erst zu
finden gilt. Als (kontrafaktisches) Ideal ist Objektivität – im Sinne prin-
zipiell möglicher Intersubjektivität – gerade deshalb unverzichtbar.
2.6. Fazit
»Objektivität« bedeutet nicht »Wahrheit« im Sinne der Übereinstim-
mung mit der Wirklichkeit, sondern »Intersubjektivität«.
Wissenschaftliche Erkenntnis bedarf eines Subjekts. Dessen Erkenntnis-
strukturen sind der Erkenntnis logisch vorgängig.
In der Erkenntnistheorie Kants wird die Möglichkeit von Objektivität
durch die allen vernunftbegabten Wesen als gemeinsam unterstellten
Kategorien des Denkens gesichert.
53
Erkenntnis wird darüberhinaus auch beeinflußt von individuellen
Prägungen, die im kulturellen Kontext und im gesellschaftlichen Stand-
ort verankert sind. Diese sind oftmals unbewußt, können jedoch im Zuge
kritischer Reflexion sichtbar gemacht werden.
Wissenschaft ist ein sozialer Prozeß. Erkenntnis ist eine dreistellige
Relation von Subjekt, Objekt und Denkkollektiv. Innerhalb eines Denk-
kollektivs wie zwischen verschiedenen Denkkollektiven spielt Kommuni-
kation eine zentrale Rolle.
Das Eingeständnis, daß soziale Strukturen die Produktion wissenschaft-
licher Erkenntnis beeinflussen, führt nicht notwendig in einen Relativis-
mus; Wirklichkeit ist nicht beliebig konstruierbar.
Als Wissenschaftsideal ist Objektivität im Sinne einer prinzipiell mögli-
chen Allgemeingültigkeit wissenschaftlicher Aussagen unverzichtbar.
Ein solches, auf die Möglichkeit intersubjektiver Einigung gegründetes
Objektivitätsverständnis ist nicht beliebig. Der Vorwurf des Relativis-
mus trifft es daher nicht.
3. Zur Wertfreiheit der Wissenschaft
»Wertbeziehungen sind methodisch unvermeidlich und gleichwohl objektiv un-
verbindlich. Wir sind daher gehalten, die Abhängigkeit deskriptiver Aussagen
von Voraussetzungen normativen Gehalts zu deklarieren.« (Habermas 1982:65).
Die Einsicht, daß kontingente individuelle und gesellschaftliche Wertvor-
stellungen der WissenschaftlerInnen ihre Forschungsergebnisse beinflussen,
berührt die Frage der Wertfreiheit der Wissenschaft. Mit dem zu Beginn
dieses Kapitels dargestellten Selbstverständnis der Naturschutzforschung ist
die Wertfreiheitsproblematik in zwei Punkten verbunden: Zum einen ist vor
dem Hintergrund des bisher Gesagten fraglich, ob die Ökologie mit dem
Prädikat »wertneutral« zutreffend beschrieben ist, zum anderen wirft die
geforderte »Erarbeitung von Handlungsanleitungen« die Frage nach der
Möglichkeit fachwissenschaftlicher Werturteile auf.
Damit ist eine Diskussion angesprochen, die als sog. »Wertfreiheits-
debatte« in den Sozialwissenschaften eine jahrzehntelange Tradition hat.
Wenn ich die in dieser Debatte angeführten Argumente im folgenden auch
54
auf die Naturwissenschaften anwende, bin ich mir darüber im klaren, daß
ich dabei einen Transfer vornehme, gegen den sich vermutlich die Beteilig-
ten wehren würden: Beide Seiten scheinen sich darin einig zu sein, daß die
Wertfreiheitsproblematik in den Naturwissenschaften keine Paralle besitzt.
Vor dem Hintergrund der oben dargestellten sozialen Bedingtheit (und
damit Wertabhängigkeit) auch naturwissenschaftlicher Erkenntnis kann
diese Annahme jedoch begründet in Zweifel gezogen werden:
»Wenn aber Probleme notwendigerweise von Werten abhängen und Theorien der Erklä-
rung von Problemen dienen, wenn Methoden immer von Theorien abhängen und Beob-
achtungen von Methoden, kann es dann überhaupt wertfreie Forschungsvorhaben und
-interpretationen geben?« (Harding 1991:29)
Ich werde mich also in diesem Abschnitt mit der Frage befassen, in
welchem Sinn Werte in der Naturwissenschaft vorkommen und welche Aus-
sagen normativer Art daraus abzuleiten sind. Um meine Sicht der Proble-
matik zu erhellen, versuche ich dabei, den deskriptiven und den präskripti-
ven Aspekt der Weber’schen Wertfreiheitsthese getrennt darzustellen. Ent-
gegen seinem eigenen Postulat weist Weber selbst leider nicht auf diese
beiden Bedeutungen hin, ein Umstand, der m. E. in der Debatte zu wenig
Beachtung findet. Ich werde also in den folgenden Absätzen getrennt erläu-
tern, was Wissenschaft nach Webers Ansicht ist und kann (bzw. nicht kann),
im folgenden dann, was Wissenschaft ihmzufolge soll (bzw. nicht soll). Wie
ich selbst den Zusammenhang von Werten und Objektivität fassen möchte,
stelle ich anschließend im letzten Abschnitt dar.
3.1. Die Unmöglichkeit wissenschaftlicher Werturteile
Den Ausgangspunkt der sog. Wertfreiheitsdebatte bildet die als »Wertfrei-
heitsthese« in die Literatur eingegangene Aussage Max Webers: »Eine
empirische Wissenschaft vermag niemanden zu lehren, was er soll, sondern
nur, was er kann und – unter Umständen – was er will« (Weber 1904:151;
Herv. i. O.). Weber bestreitet damit die Möglichkeit wissenschaftlicher
Werturteile. Unter Werturteilen versteht er dabei »praktische Wertungen
sozialer Tatsachen als … praktisch wünschenswert oder unerwünscht«
(Weber 1917:499).
Dabei leugnet er nicht, daß Wissenschaft interne Werte kennt, beispiels-
weise wenn sie Resultate als richtig oder wichtig wertet. Auch daß »schon
die Auswahl des Stoffes eine ›Wertung‹ enthält«, gesteht er zu (ebd.:499).
55
Entgegen einem verbreiteten Mißverständnis behauptet Weber also nicht,
daß Wissenschaft unabhängig von allen Wertungen sei. Ihm kommt es viel-
mehr zunächst darauf an, festzuhalten, daß es keine Möglichkeit für empi-
risch abgesicherte Werturteile gibt. Das bedeutet,
»daß auf dem Gebiet der praktisch-politischen … Wertungen, sobald daraus Direktiven für
ein wertvolles Handeln abgeleitet werden sollen: 1. die unvermeidlichen Mittel und 2. die
unvermeidlichen Nebenerfolge, 3. die dadurch bedingte Konkurrenz mehrerer möglicher
Wertungen miteinander in ihren praktischen Konsequenzen, das einzige sind, was eine
empirische Disziplin mit ihren Mitteln aufzeigen kann. … Schon so einfache Fragen aber
wie die: inwieweit ein Zweck die unvermeidlichen Mittel heiligen solle, wie auch die
andere: inwieweit die nicht gewollten Nebenerfolge in Kauf genommen werden sollen, wie
vollends die dritte, wie Konflikte zwischen mehreren in concreto kollidierenden, gewollten
oder gesollten Zwecken zu schlichten seien, sind ganz und gar Sache der Wahl oder des
Kompromisses. Es gibt keinerlei (rationales oder empirisches) wissenschaftliches Verfah-
ren irgendwelcher Art, welches hier eine Entscheidung geben könnte.« (Weber 1917:508)
Der Kern dieser These ist, daß die empirische Erfassung und Beschreibung
einer Situation und ihre Bewertung zwei völlig unterschiedliche Fragen
sind. Während die Empirie lediglich nach dem »was ist?« fragt (und nur
hierin sieht Weber die Aufgabe der Wissenschaft), antworten Werturteile
auf die Frage »Was soll sein?« und sind damit dem Gegenstandsbereich der
Wissenschaft grundsätzlich entzogen.
Für eine wissenschaftliche Naturschutzforschung hat diese Weber’sche
Unterscheidung gravierende Folgen: Da ihr erklärtes Ziel die praktische
Wertung ökologischer Tatsachen ist, sie mithin Werturteile begründet fällen
will, hat sie sich eine Aufgabe gestellt, die sie als Wissenschaft nicht lösen
kann. Weber bestreitet nämlich nicht nur, daß Tatsachenfeststellung und
Bewertung »miteinander dem Sinn nach auch nur das mindeste zu tun
haben«. Er behauptet darüberhinaus, daß praktische Schlußfolgerungen
»nicht nur keine Frage einer empirischen, sondern, wie gesagt, überhaupt
keiner wie immer gearteten Wissenschaft« (Weber 1917:513) seien. Dies
gilt z. B. für die Frage
»in welcher Richtung sich eine konkret gegebene Situation … mit Wahrscheinlichkeit, und
mit wie großer Wahrscheinlichkeit sie sich in jener Richtung entwickeln werde (bzw.
typisch zu entwicklen pflege)? und die andere Frage: ob man dazu beitragen solle, daß eine
bestimmte Situation sich in einer bestimmten Richtung – sei es der an sich wahrscheinli-
chen, sei es der gerade entgegengesetzten oder irgendeiner anderen – entwickelt« (Weber
1917:509; Herv. i. O.)?
56
Naturschutzforschung hat es aber mit genau solchen Fragen zu tun. Daß die
Frage nach der praktischen Bewertung eines ihrer immer wieder aufs neue
beklagten Defizite darstellt, ist demnach kein Zufall. Mit dem Anspruch,
Normen und Bewertungen wissenschaftlich begründen zu können, wäre
Naturschutzforschung von vornherein ein aussichtsloses Unternehmen.
In dieser Hinsicht ist der Weber’schen »Werturteilsfreiheit« zustimmen:
Keine Wissenschaft (welche auch immer) ist in der Lage, universale, d. h.
für alle Menschen verbindliche Urteile über richtig und falsch zu fällen.
Allerdings gilt dies nur für Handlungszwecke und -ziele, nicht für Mittel.
Über deren Angemessenheit kann Wissenschaft sehr wohl urteilen. Um
mich als Verfasserin einer wissenschaftlichen Arbeit zu Fragen der Bewer-
tung mit diesem Grundsatz nicht vorzeitig dem Vorwurf eines
performativen Selbstwiderspruchs auszusetzen, will ich im folgenden auf
die normative Wendung der Wertfreiheit eingehen. Ich werde erläutern,
warum und inwiefern Überlegungen zur Wertfreiheit der Wissenschaft für
die Formulierung von Naturschutz- (und anderen politischen) Zielen meiner
Meinung nach nicht nur relevant, sondern sogar unumgänglich sind.
3.2. Die Trennung deskriptiver und normativer Aussagen
Die Verschiedenheit der Sphären Beschreibung und Bewertung, die Weber
immer wieder als Tatsache darstellt, wird von ihm selbst auch normativ
gewendet: Beschreibung und Bewertung sind nicht einfach verschieden, sie
sollen auch auseinandergehalten werden:
»es handelt sich doch ausschließlich um die an sich höchst triviale Forderung: daß der For-
scher und Darsteller die Feststellung empirischer Tatsachen … und seine praktisch wer-
tende, d. h. diese Tatsachen … als erfreulich oder unerfreulich beurteilende, in diesem
Sinn: ›bewertende‹ Stellungnahme unbedingt auseinanderhalten solle, weil es sich da nun
einmal um heterogene Probleme handelt.« (Weber 1917:500; Herv. i. O.)
Webers Postulat der Wertfreiheit richtet sich nicht gegen (persönliche) wer-
tende Stellungnahmen durch WissenschaftlerInnen, sondern fordert
lediglich deren Kennzeichnung. Ich denke, in dieser Form ist das Postulat
der Wertfreiheit selbstverständlicher Bestandteil des wissenschaftlichen
Ethos und schlicht eine Frage intellektueller Aufrichtigkeit.
Allerdings muß es – wie der Begriff der Objektivität – als kontrafakti-
sches Ideal reformuliert werden. Denn es setzt voraus, daß es möglich ist,
Tatsachenbehauptungen und wertende Stellungnahmen sprachlich zu unter-
57
scheiden (Keuth 1991:130). Genau dies ist aber, wie an denen wenigen
Textbeispielen im vorigen Kapitel bereits deutlich geworden sein dürfte,
nicht immer der Fall. Im Gegenteil, auch Beschreibungen enthalten vielfach
schon unbewußte Wertungen. Unsere Sprache spiegelt gesellschaftliche
Werthaltungen und unterscheidet nicht immer zwischen Beschreibung und
Bewertung. Beispielsweise ist ein Begriff wie »Fortschritt« nicht rein
deskriptiv und damit wertfrei zu gebrauchen, sondern impliziert bereits eine
Bewertung. Ebenso legen im Bereich des Naturschutzes bestimmte
Beschreibungen einer Landschaft, einer Vegetation oder eines Zustands
bestimmte Bewertungen nahe: Was »bedroht« ist, muß geschützt werden,
wo sich etwas »entwickelt«, verbietet sich ein Eingriff usw. Der Begriff
»Vielfalt« kann ebenso eine Beschreibung wie einen Wert darstellen.
Weil also Antworten auf Frage »was ist?«, d. h. Beschreibungen, in einer
Sprache verfaßt sind, in die Voraussetzungen normativer Art schon einge-
gangen sind, legen sie bestimmte Antworten auf Frage »was soll sein?«
bereits im vorhinein wenn nicht fest, so doch zumindest nahe. Es handelt
sich dabei dann weniger um den berüchtigten Sein-Sollens-Fehlschluß als
um einen Zirkel. Indem wir Naturphänomene mit bestimmten Begriffen
belegen, übertragen wir auch unsere Wertvorstellungen auf sie. Wenn sie
dann als – vermeintlich wertfreie – Fachbegriffe aus der Wissenschafts-
sprache wieder in die Alltagssprache eingehen, sind die in sie eingegange-
nen Wertvorstellungen nicht mehr ohne weiteres kenntlich, trotzdem aber
noch wirksam. Diesen Vorgang der Übertragung und Rückübertragung über
das Vehikel der Sprache erläutert der Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen
am Beispiel der Evolutionsbiologie:
»Begriffe aus dem menschlichen Alltagsbereich wurden zuerst in den biologischen transfe-
riert, sie füllten sich hier mit einem genauen, vielfach belegten Inhalt, wurden zum formel-
haften Ausdruck eines allgemeinen kausalmechanischen Gesetzes: die Vorstellung ›Fort-
schritt durch Kampf um’s Dasein und Zuchtwahl‹ konnte nun zurückübertragen werden in
den menschlichen Bereich, von dem her ihr immer eine gewisse bildliche Unschärfe und
Gefühlsbesetzung angehaftet hatte und konnte sich hier im Sinn einer biologischen Nor-
mierung und Sanktionierung der alltagssprachlichen Vorstellungen auswirken. Die vorhe-
rige Projektion begünstigte eine Rückprojektion. Die Übereinstimmung in der Sprache der
beiden Bereiche legte eine Kongruenz in der Sache nahe.« (Pörksen 1994:144)
Nicht nur ihre sprachliche Verfaßtheit, sondern auch ihr sozialer Charakter
macht Erkenntnis offen für Werteinträge: Bereits bei der Auswahl und Defi-
nition von Problemfeldern – d. h. der Entscheidung darüber, welche Dinge
in der Welt der Erklärung bedürfen, und der Definition dessen, was an ihnen
58
problematisch ist – gehen Bewertungen ein. Der Einfluß dieser vorgängigen
Wertannahmen auf die vermeintliche Wertfreiheit der Wissenschaft wird oft
unterschätzt.
Der idealtypischen Trennung von Wissenschaft und Werten steht in der
Realität eine wechselseitige Abhängigkeit von gesellschaftlichen Wertvor-
stellungen und Wissenschaft gegenüber. Der meist affirmativ gemeinte Ver-
such, Wissenschaft durch Hinweis auf ihre Wertfreiheit moralisch »freizu-
sprechen«, verkennt diese Wechselwirkung. Eine Kritik hinter der wissen-
schaftlichen Fassade unerkannt bleibender Werte setzt aber das Ideal
wissenschaftlicher Wertfreiheit – wiederum kontrafaktisch – voraus.
3.3. Fazit
Die Wertfreiheitsthese begründet die Unmöglichkeit wissenschaftlicher
Werturteile und fordert die Kennzeichnung persönlicher, wertender
Stellungnahmen.
Der Anspruch der Wertfreiheit bedeutet nicht die faktische Wertneutra-
lität wissenschaftlicher Erkenntnis. Vielmehr ist Wissenschaft von ihr
vorgängigen Wertungen abhängig.
Auch wissenschaftliche Aussagen sind in einer Sprache verfaßt, in die
Voraussetzungen normativer Art eingehen. Es ist daher erforderlich,
diese zu reflektieren, um nicht unbeabsichtigt ihrer Suggestivkraft zu
erliegen.
Wie der Begriff der Objektivität bezeichnet der Begriff der Wertfreiheit
nicht eine durch die wissenschaftliche Methode allein bereits gesicherte
Eigenschaft wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern eine Norm, an der
Wissenschaft sich auszurichten hat.
59
4. Objektivität und Werte
»Eine im maximalen Sinne objektive (Natur- und Sozial-) Wissenschaft umfaßt
eine selbst-bewußte und kritische Untersuchung der Beziehungen, die zwischen
der gesellschaftlichen Erfahrung ihrer Erzeugerinnen und Erzeuger und den von
ihrer Forschung bevorzugten kognitiven Strukturen bestehen.«
(Harding 1991:273f.)
Wird die soziale Bedingtheit wissenschaftlicher Erkenntnis und damit ihre
unvermeidliche Wertbezogenheit anerkannt, muß die Frage nach der
wissenschaftlichen Objektitvität neu gestellt werden. Führt die
Anerkennung der sozialen Geformtheit unserer Erkenntnis nicht doch
unvermeidlich in einen subjektivistischen Relativismus und »postmoderne
Beliebigkeit«?
Ich habe in meiner Einleitung das wissenschaftskritische Anliegen dieser
Arbeit formuliert: Ich will der wissenschaftlichen Objektivität und Wertfrei-
heit widerstreitende Einträge in die ökologische Forschung zum Neophyten-
problem aufdecken. Ein solcher Versuch setzt nicht unbedingt den Glauben
an eine mögliche »saubere«, weil wertfreie Wissenschaft voraus, zumindest
jedoch die Vorstellung, daß mit dieser Aufdeckung ein Erkenntnisfortschritt
verbunden ist. Ich vertrete also die Ansicht, daß eine Wissenschaft, deren
Wissensformen nicht die alltäglichen Macht- und Dominanzstrukturen
reproduziert, besser ist als eine, der man dies nachweisen kann. Solche
Kritik kommt, wie ich in den vorigen Absätzen bereits erläutert habe, nicht
ohne ein normatives Wissenschaftsideal von Rationalität und Objektivität
aus, nicht zuletzt, weil sie sonst »gegenüber einer etablierten wissenschaftli-
chen Rationalität machtlos« bliebe (Janich et al 1974:34).
Die Unterscheidung eines solchen Bemühens um Objektivität von der
objektivistischen Illusion herkömmlicher Wissenschaft setzt nach Evelyn
Fox Keller (1989) eine begriffliche Rekonstruktion von Objektivität als
dialektischem Prozeß voraus. Das wissenschaftliche Bemühen um ein ratio-
nales Verstehen der Welt soll also nicht aufgegeben, sondern durch eine
kritische Selbstreflexion ergänzt werden. Nur so sind Merkmale der Wissen-
schaft aufzudecken, die ihrem Universalitätsanspruch widerstreiten. Das
Streben nach Objektivität bedeutet also die weitestmöglich Abstraktion von
eigenen Begrenzungen:
»Die Objektivität besteht darin, daß man die tausenderlei Auswirkungen des Ich auf das
Alltagsdenken … so gut kennt, daß man, bevor man sich ein Urteil erlaubt, die Fesseln des
Ich abstreift. Der Realismus hingegen besteht darin, daß man nicht weiß, daß es ein Ich gibt
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und deshalb die eigene Betrachtungsweise für unmittelbar objektiv und absolut hält.«
(Piaget 1978:39 f., zit nach Keller 1989:287)
Die eigene Standortgebundenheit setzt dabei dem Bemühen um Objektivität
Grenzen. Es wird kaum möglich sein,