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Vol. 3, No. 1
April 2012
ISSN: 2190-3174
Andreas Lehmann-Wermser (Hrsg./ed.)
Elektronischer Artikel:
Jörg Maria Ortwein
Vorarlberger Landeskonservatorium
Üben zwischen Lust und Frust – Empirische Überprüfung der Voli-
tionalen Transferunterstützung im Kontext des Musikstudiums
Practice between pleasure and frustration – an empirical verification
of the volitional transfer support in the context of music studies
Elektronische Version:
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Üben zwischen Lust und Frust – Empirische Überprüfung der Volitiona-
len Transferunterstützung im Kontext des Musikstudiums
Jörg Maria Ortwein
Abstract
Als zentrale Eigenschaften für den Studienerfolg von Musikstudierenden gelten Disziplin,
Motivation und Konzentrationsfähigkeit. Willentliche Handlungskontrolle und darauf auf-
bauend das Konstrukt der Volition erscheinen dabei als hilfreich zur Verbesserung von Mo-
tivation und Leistungsfähigkeit. Das vierphasige Volitionale Designmodell (Deimann, 2007)
als integratives Förderkonzept bietet sich für den Lückenschluss zwischen theoretischem
Grundlagenwissen und umsetzungsorientierten Lösungsvorschlägen an und zielt auf eine
Förderung der zentralen Kompetenzbereiche Emotion, Motivation und Kognition. Der Erfas-
sung individueller Stärken-Schwächen-Profile mit dem Ziel des Ausgleichs volitionaler De-
fizite widmet sich darauf aufbauend das Konzept der Volitionalen Transferunterstützung
(VTU) sowie dessen zentrales Instrument, der Volitionale Personentest (VPT). Das Konzept
der VTU gilt als prinzipiell auf alle Lern- und Entwicklungskontexte anwendbar, wurde bis-
her jedoch vorwiegend im Kontext des Fernstudiums sowie der betrieblichen Weiterbildung
überprüft.
Dieser Beitrag zeigt Ergebnisse einer explorativen Untersuchung zur Relevanz der Kon-
zeption der VTU bei Musikstudierenden auf. In einer qualitativen Studie wurde der Frage
nachgegangen, ob das Konzept der VTU auf Musikstudierende anwendbar ist, wodurch ein
empirischer Beitrag zu praktischen Ansätzen volitionaler Prinzipien geleistet werden sollte.
Hierzu wurden zehn Musikstudierende mit verschiedenen Hauptfächern über einen Zeitraum
von acht Wochen untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass das Konzept der Volitionalen
Transferunterstützung prinzipiell für eine Übertragung auf den akademischen Kontext des
Musikstudiums geeignet ist und hier zu einer Optimierung von Studienleistungen führen
kann. Allerdings zeigen die Ergebnisse auch, dass die Auseinandersetzung mit
motivationalen und volitionalen Prozessen innerhalb des Musikstudiums zumindest bei den
untersuchten Musikstudierenden bislang nur unzureichend stattgefunden hatte. Die VTU
kann hierbei sowohl Musikstudierenden als auch deren Lehrenden hilfreiche Hinweise zur
Bedeutung ganzheitlicher Lehr-Lern-Ansätze vermitteln.
Schlagwörter: Hochschuldidaktik, Motivation, Musikpädagogik, Volition
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Summary (English):
Central characteristics of academic success of students of music are discipline, motivation,
and concentration. Intentional action and volitional control strategies support the enhance-
ment of motivation and performance. Research on learning strategies, implementation inten-
tions and failure experience focuses on academic teaching and learning contexts by now.
The four-phase Volitional Design Model (VDM) (Deimann, 2007) as an integrated support
framework would bridge the gap between theoretical knowledge and practice-oriented solu-
tions. It aims at promoting the core skills of emotion, motivation and cognition. Profiles of
individual strengths and weaknesses are detected by the Volitional Transfer Support (VTU)
and volitional deficits should be balanced with it. The central tool of the VTU is the Voli-
tional Person Test (VPT). The concept of the VTU can principally be applied to all learning
and developmental contexts. Previously, however, it has been used primarily in the context
of distance education and vocational training.
The present article shows the results of an exploratory investigation of the relevance of
the VPT concept in music studies. A qualitative study investigated whether this concept can
be applied to the VPT with music students. This article also shows an empirical review on
how practical volitional principles approaches are made. Ten music students with different
major instruments were observed over a period of eight weeks. The results show that the
concept of the VTU can be transferred basically to the academic context of music studies. It
can contribute to an optimization of study credits. However, the results also show that moti-
vational and volitional processes are scarcely discussed throughout the music studies. The
VTU has the potential to convey the importance of holistic learning and instruction ap-
proaches to students and teachers.
Keywords: motivation, music pedagogy, university teaching, Volition
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1. Einleitung
Trotz Thematisierung und theoretischer Aufarbeitung volitionaler Prozesse, beispielsweise
durch das Rubikon-Modell der Handlungsphasen (Achtziger & Gollwitzer, 2010, S. 311)
oder der Theorie der Handlungskontrolle (Kuhl, 1984) widmen sich derzeit noch zu wenig
empirische Studien der Vorhersage und Erklärung volitionaler Einflüsse auf zielgerichtetes
Lernen in pädagogischen Kontexten (Deimann, 2007, S. 108). Dieser Beitrag geht der Frage
nach, ob bisherige Forschungsergebnisse zur Volitionalen Transferunsterstützung (VTU) als
eine Konzeption, die aus den Arbeiten zum Volitionalen Designmodell (VDM) hervorgegan-
gen ist, auf Studierende in einem Musikstudium transferiert werden können. In diesem Zu-
sammenhang wurde untersucht, ob entsprechende Forschungsergebnisse eine Relevanz für
Studierende in den Studienrichtungen Instrumental- und Gesangspädagogik sowie Künstle-
risches Diplomstudium am Vorarlberger Landeskonservatorium und der Musikuniversität
Mozarteum Salzburg aufweisen und ob dieses Konzept in der Lage ist, zur Optimierung von
Studienleistungen beizutragen.
Mit dem Terminus Motivation werden internale Prozesse bei der Erreichung bestimmter
Zielsetzungen bezeichnet. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, welche Ziele ange-
strebt werden und ob eine Entscheidung aufgrund einer möglichen Erreichbarkeit getroffen
werden kann. Bestimmend für Motivationsprozesse sind Wünschbarkeit und Realisierbar-
keit, was bedeutet, dass bei erwarteter Nicht-Bewältigung dieses Bestreben dann gegebenen-
falls nicht weiter verfolgt wird (Achtziger & Gollwitzer, 2010, S. 313). Motivation entsteht
dabei aus dem Wechselspiel von Motiv und Anreiz (Deimann, 2008, S. 33) und somit als
Produkt aus Person und Situation, das durch personenbezogene Einflüsse und situationsspe-
zifische Umstände geprägt ist, wobei auch Antizipierungen von Handlungsergebnissen und
deren Folgen Motivationsprozesse beeinflussen (Heckhausen & Heckhausen, 2010, S. 3).
Der Begriff Volition beschreibt regulative Prozesse zur Realisierung von gewählten Motiva-
tionstendenzen (ebd., S. 7) und bezieht sich als motivationsregulatorisches Phänomen auf die
Umsetzung von Zielprozessen (Achtziger & Gollwitzer, 2010, S. 313). Auf die „Bedeutung
des Vorsatzes in der modernen Willenserziehung“ (Lewin, 1926, S. 331) hat schon Kurt Le-
win im Jahr 1926 hingewiesen und die Bedeutung des Zielstrebens bei unterbrochenen
Handlungsprozessen unterstrichen.
2. Volitionale Kompetenz im akademischen Handlungskontext
Die Kenntnisse volitionaler Prinzipien bilden die Grundlage für die Entwicklung pädagogi-
scher Interventionen und dienen der Identifikation von Prozessen erfolgreichen und zielge-
richteten Lernens. Damit wird eine Herausarbeitung von Hindernissen und Widerständen in
Lernprozessen möglich, aus denen sich Hinweise zur Ableitung zielgerichteter
instruktionaler Fördermöglichkeiten ablesen lassen (vgl. Deimann, 2007, S. 102f.).
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Empirische Untersuchungen zu volitionalen Lernkontexten bei College-Studenten lassen
einen Zusammenhang zwischen volitionalen Kompetenzen und den gewählten Lernstrate-
gien in akademischen Handlungskontexten erkennen (Garcia et al., 1998). Die Bedeutung
von Lernstrategien für Studienleistungen haben Schiefele et al. (2003) in einer Längsschnitt-
studie untersucht und eine hohe Bedeutung des Anstrengungsmanagements im Lernverhalten
für Vordiplomsleistungen festgestellt. Abbildung 1 zeigt Wirkungen auf zu erwartende Stu-
dienleistungen, wobei der gestrichelte Pfad anzeigt, dass nur bestimmte Aspekte der wahr-
genommenen Lehrqualität von der schulischen Leistungsfähigkeit beeinflusst werden.
Schiefele et al. kommen zu dem Schluss, dass neben der Lernstrategie Anstrengung nur
Überwachungsstrategien eine signifikante Korrelation mit der zu erwartenden Studienleis-
tung aufzeigen. Dies widerspricht der Annahme, dass selbstgesteuertes Lernen generell als
wichtiger Erfolgsfaktor in akademischen Lernsituationen zu werten ist und zeigt auf, dass
nur ein kleiner Teil der Lernstrategien einen bedeutenden Beitrag zur Leistungsvorhersage
leistet. Schiefele et al. vermuten, dass für erfolgreiches Lernen nicht einzelne Strategien von
Bedeutung sind, sondern deren Zusammensetzung. Zudem gehen sie von individuellen
Schwerpunkten beim Einsatz von Lernstrategien aufgrund einer vorgegebenen Leistungsre-
levanz für bestimmte Personengruppen aus (ebd., S. 196).
Abb. 1: Ausgangsmodell der Bedingungsvariablen der Studienleistung (Schiefele et al., 2003, S. 188)
Messungen von Leistungsdaten, Emotionen, Motivation und Abschlussnoten standen im
Zentrum einer Studie mit College-Studenten von Perry et al. (2001), die sich, im Gegensatz
zu anderen Leistungsstudien, nicht auf den Studienerfolg sondern den Misserfolg in akade-
mischen Kontexten fokussierte. Ihre Ergebnisse zeigen, dass erfolgreiches Studieren in ei-
nem engen Zusammenhang mit kognitiven, emotionalen und motivationalen Kompetenzen
steht. Resultate einer höheren Anstrengung und Strategien der Handlungskontrolle führen
bei erfolgreicheren Studierenden zu einem höheren Grad an Selbstbeobachtung und Motiva-
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tion sowie zu geringerer Angst und Langeweile (ebd., S. 785). Als Erweiterung des Reper-
toires an neueren volitionalen Strategien insbesondere mit Blick auf die individuellen Auslö-
ser volitionaler Strategien gelten Gollwitzers Ausführungsvorsätze (Implementation Intenti-
ons) (Gollwitzer, 1999). Gollwitzer führt aus, dass bei Menschen, die sich Ausführungsvor-
sätzen als Verknüpfung vorweggenommener kritischer Situationen mit zielorientierten
Handlungsausführungen in Form von Wenn-Dann-Plänen bedienen, die Wahrscheinlichkeit
einer Realisierung dieser Handlungsziele erhöht wird (ebd., S. 501). Zudem verringert die
Realisierung von Wenn-Dann-Plänen den Einsatz kognitiver Ressourcen, die dann anderwei-
tig den volitionalen Strategien zur Verfügung stehen (ebd., S. 510). In musikpsychologi-
schen und musikpädagogischen Veröffentlichungen kommt dem Konzept des absichtsvollen
Übens (Ericsson et al., 1993) deswegen eine besondere Beachtung zu, da es auf die Bedeu-
tung von Übestrategien für außergewöhnliche Leistungen in der Instrumentalpraxis eingeht
(ebd., S. 400). Auch Sloboda et al. (1996, S. 306) weisen auf die Bedeutung zielgerichteter
Übeaktivitäten für eine höhere Leistungsperformance hin.
3. Volitionales Designmodell (VDM)
Der Konzeption der Volitionalen Transferunterstützung (VTU) liegt als theoretische Kon-
zeption die Entwicklung eines volitionalen Instruktionsdesignmodells, dem Volitionalen
Designmodell (VDM) desselben Autors zugrunde. Das Modell verfolgt eine zweifache Ziel-
setzung: „Zum einen, aus volitionspsychologischer Perspektive betrachtet, wird ein integra-
tives Förderkonzept entwickelt und empirisch überprüft“ (Deimann, 2007, S. 119). Grundla-
ge dieses Förderkonzepts sind von Pintrich (1999, S. 335). formulierte Herausforderungen
an Theorie und Forschung, die sich der Frage stellen, wie Studierende ihre eigene Motivati-
on, Emotionen und ihr Verhalten in ihrer Umwelt kontrollieren Deimann nimmt dabei fol-
gende von Pintrich formulierten Herausforderungen zur Grundlage seines Förderkonzepts
auf (Deimann, 2008, S. 117f.):
- Entwicklung eines kohärenten und konsistenten konzeptuellen Rahmens,
- bessere Explikation volitionaler und selbstregulatorischer Funktionsmechanismen,
- mehr längsschnittliche Untersuchungsdesigns,
- Entwicklung von volitionalen Förderprogrammen.
Die zweite Zielsetzung widmet sich der Entwicklung eines Instruktionsdesignmodells,
womit eine „konzeptionellen Lücke“ (Deimann et al., 2008, S. 16) als präskriptiver Ansatz
mit empirisch gesicherten Gestaltungsempfehlungen (ebd., S. 20) zwischen Grundlagenfor-
schung und pädagogischen Implikationen geschlossen werden soll. Die Entwicklung des
Volitionalen Designmodells orientierte sich an den strukturellen Komponenten des ID-
Modells von Lowyck und Elen (Lowyck & Ellen, 1991), wobei sich die relevanten For-
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schungsgebiete auf die Erkenntnisse der Motivations- sowie der Volitionsforschung unter
Einbeziehung pädagogischer Implikationen beziehen (vgl. Deimann, 2007, S. 120; Deimann
et al., 2008, S. 20).
Als Referenzmodell dient der motivationale Instruktionsansatz des ARCS-Modells mit
seinen Bezugsgrößen attention, relevance, confidence und satisfaction von Keller (Keller,
1983) sowie dessen Postulierung einer zentralen motivationsfördernden Lernumgebung
(Deimann, 2007, S. 60). Keller stellt in seinem Makromodell (Keller, 1983, S. 392) Motiva-
tion als Zusammenspiel verschiedener Personenfaktoren und gezielter Einflussnahme durch
die Umwelt dar, dessen Resultat als Anstrengung erlebt wird, welches zu Performanz unter
Einbeziehung bestimmter durch das Instruktionsdesign systematisch beeinflussbarer Konse-
quenzen führt. Damit erscheint eine Förderung von Motivation, als bedeutender Ansatz für
die Entwicklung des Volitionalen Designmodells durch Deimann (2007, S. 121), prinzipiell
durch die beiden Hauptfaktoren Person und Umwelt möglich (vgl. ebd., S. 62f).
Deimann entwickelte die theoretischen Grundlagen des Volitionalen Designmodells pro-
zessual auf Grundlage des ARCS-Modells, welches er in ein entscheidungstheoretisches
Makromodell von Motivation, Volition und instruktionaler Einflussnahme überführte (Ab-
bildung 2). Volitionale Strategien wurden in den Designprozess eingeordnet und durch Im-
plementierung von strukturellen Komponenten als Präskriptionsparameter übertragen. Diese
Präskriptionen werden als konkrete Handlungsanleitungen in Form von Study Tips den Ler-
nenden angeboten und im Lernkontext überprüft (ebd., S. 121).
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Abb. 2: Erweitertes Makromodell von Motivation, Volition und instruktionaler Einflussnahme (nach
Deimann, 2007, S. 140)
Als Ergebnis konnte das vierphasige Volitionale Designmodell (Analyse - Design -
Implementation - Evaluation) (Deimann et al., 2008, S. 21) entwickelt werden, welches Hil-
festellungen zu aktuellen Lernkontexten aus der modernen Motivations- und
Volitionspsychologie anbieten möchte. Dabei richtet sich das Analyseziel primär auf die
Identifikation motivationaler oder volitionaler Defizite mit dem Ergebnis, dass ein individu-
elles detailliertes Kompetenzprofil zu Stärken und Schwächen volitionaler Handlungskon-
trolle ausgewiesen wird (ebd., S. 20). Das theoretische Fundament der anschließenden De-
signphase orientiert sich an dem analysierten Stärken-Schwächen-Profil und speist sich aus
Kompilationen von Strategien aus grundlagenwissenschaftlichen Ansätzen, wobei diese als
Sammlung in einem Strategiepool vorliegen. Zurückgegriffen wird in diesem Zusammen-
hang im Wesentlichen auf Ansätze der Theorie der Handlungskontrolle (Kuhl, 1987), auf
Erkenntnisse aus der Bewertung volitionaler Prozesse in der Hochschulforschung (vgl. Gar-
cia et al., 1998, S. 394; Schiefele et al., 2003) sowie auf das ARCS-Modell (Keller, 1983).
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Abb. 3: Das Volitionale Designmodell (nach Deimann et al., 2008, S. 21)
Volitionale Strategien haben die Aufgabe, die Motivation zu stärken, wobei sie sich der
selektiven Steuerung von Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsprozessen bedienen und
über affektive Prozesse wirken (Kehr, 2004, S. 72). Damit kommt der Förderung der drei
zentralen volitionalen Kompetenzbereiche Emotion, Motivation und Kognition als strategi-
sches Ziel der Designphase eine besondere Bedeutung zu. Der kognitive Strategiebereich als
Aufmerksamkeitskontrolle umfasst dabei Planungs- und Zeitmanagementstrategien sowie
Strategien der Textverarbeitung (Deimann et al., 2008, S. 21). Der Aufmerksamkeitskontrol-
le wird seit den Anfängen der Volitionsforschung ein hoher Stellenwert zugeschrieben und
gilt mittlerweile als effektivste Form der volitionalen Handlungssteuerung (Kehr, 2004, S.
77f.). Strategien zur Erhöhung der wahrgenommenen Relevanz und eigenen Wirksamkeit
sowie die Motivierung durch negative und positive Motivationskontrolle kennzeichnen den
Strategiebereich der motivationalen Kompetenzen (Deimann u. Weber, 2009, S. 5). Obwohl
derzeit noch wenig Befunde zur Wirksamkeit von Motivationskontrolle vorliegen, deutet die
bestehende Literatur darauf hin, dass motivationale Prozesse durchaus in einem engen Zu-
sammenhang mit Leistungssteigerungen stehen (Kehr, 2004, S. 74). Zur Beeinflussung von
Stimmungen und Gefühlen werden Strategien zur Erhöhung emotionaler Kompetenzen ver-
mittelt (Deimann & Weber, 2009, S. 6). Emotionskontrolle wird dabei als willentliche Kon-
trolle negativer Emotionen dargestellt, die ihren Ausgangspunkt in Umwelt- oder Personen-
faktoren finden (ebd., S. 18). Die Verringerung unlustvoller Gefühle ist in diesem Zusam-
menhang eines der wesentlichen Ziele, da die Affektlage eines Menschen unmittelbar die
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Verfolgung von Zielen beeinflusst. Hier gilt ein Augenmerk der situationsbezogenen Stär-
kung förderlicher und der Verminderung hinderlicher Emotionen, da positive Emotionen
einen leistungsfördernden Effekt aufweisen, während negativen Emotionslagen primär Be-
wältigungsaufgaben gegenüber stehen (Kehr, 2004, S. 74f.). Der Erfassung eines Stärken-
Schwächen-Profils als Grundlage für individuelle Maßnahmen zur Erhöhung volitionaler
Kompetenz widmen sich das Konzept der Volitionalen Transferunterstützung und dessen
zentrales Instrument, der Volitionale Personentest.
4. Volitionale Transferunterstützung (VTU) und Volitionaler Personentest
(VPT)
Das Volitionale Designmodell richtet sich primär an zielgerichtete Lernprozesse, wobei auf
selbstregulierte Aktivitäten im Zusammenhang mit einhergehenden Störanfälligkeiten eine
besondere Interessensfokussierung liegt (Deimann et al., 2008, S. 35). Bannert (2003, S. 23)
stellt bei wenig erfolgreichen Lernenden ein Defizit an metakognitiven Strategien und Kont-
rollprozessen fest, wodurch die Feststellung, dass volitionale Kompetenzen sich häufig defi-
zitär darstellen (vgl. Deimann et al., 2009, S. 363), gestützt wird. Voraussetzungen für Inter-
ventionsmaßnahmen zur Erhöhung volitionaler Kompetenzen sind Analyse und Identifizie-
rung volitionaler Defizite in entsprechenden Testverfahren, die als Selbststeuerungsinventar
(SSI) (Fröhlich & Kuhl, 2003), Academic Volitional Strategy Inventory (AVSI) (McCann &
Turner, 2004) oder dem Fragebogen Lernstrategien im Studium (Wild & Schiefele, 1994)
durchaus vorliegen, sich allerdings durch eine hohe Komplexität auszeichnen. Dem stellen
Deimann und Weber ein Testinstrument gegenüber, dass die wesentlichen volitionalen
Kompetenzbereiche als Querschnitt zu erfassen sucht (Deimann et al., 2009, S. 364) und
„Aspekte der praktischen Anwendbarkeit und Nützlichkeit im Sinne einer individuellen
Lernberatung fokussiert“ (ebd.).
Begründet wird der Volitionale Personentest durch das Konzept der Volitionalen Trans-
ferunterstützung (VTU), das sich als ganzheitlicher Ansatz dem Ausgleich defizitärer voli-
tionaler Kompetenzen verpflichtet sieht. Die Metapher des Wille als Steuermann mit den
Parametern Herz (Emotion), Kopf (Kognition) und Bauch (Motivation) geht von einer Aus-
balancierung von Nichtstärken in enger Korrespondenz zum Ansatz der Beschränktheit voli-
tionaler Ressourcen (vgl. Muraven & Baumeister, 2000) aus und ist nach Deimann und Kol-
legen prinzipiell auf alle Lern- und Entwicklungskontexte anwendbar (Deimann et al., 2008,
S. 35f.). Die Entwicklung des Volitionalen Personentests (VPT), der in seiner Online-Form
kurz Willenstest genannt wird, durchlief verschiedene Entwicklungsphasen (vgl. Deimann et
al., 2009, S. 367), dessen Ergebnis als Online-Test mit 32 Items vorliegt, der unbeschränkt
und kostenfrei zur Analyse individueller volitionaler Kompetenzen zur Verfügung steht.
Dem Nutzer wird damit ein theoretisch fundiertes persönliches Entwicklungsinstrument an
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die Hand gegeben, das mittlerweile einen hohen Nutzungsgrad bei Lernern in sekundären
und tertiären Bildungseinrichtungen erreicht hat (ebd., S. 371ff.).
Der VPT zielt in erster Linie auf eine Identifizierung individueller volitionaler Kompe-
tenzen anhand der Parameter Emotion, Kognition und Motivation. Vorschläge zum Erwerb
volitionaler Strategien und als Hilfestellung zum Verständnis volitionaler Funktionsprinzi-
pien vermittelt ein individuelles Testergebnis, das durch das Symbol einer Verkehrsampel
Aussagen zum individuellen Kompetenzprofil (ebd., S. 367) mit den Parametern zu hoch,
optimal und zu gering in den Kompetenzbereichen Emotionskontrolle (EMO),
Konsequenzenkontrolle (KonK), Stärkung des Selbstwerts (SW) sowie Kognitionskontrolle
(META) ausgibt. Als Textdokument werden zusätzlich Empfehlungen zu individuellen voli-
tionalen Strategien vermittelt. Weiter steht ein Strategiehandbuch als Verkaufsversion in
Buchform als Manual zur Verfügung (Deimann & Weber, 2009), das einen fundierten Quer-
schnitt volitionaler Strategien zu den Kompetenzbereichen Emotionskontrolle,
Konsequenzenkontrolle, Stärkung des Selbstwerts sowie Kognitionskontrolle bietet.
Die Einsatzfelder des Volitionalen Personentests fokussierten sich bislang neben flächen-
deckenden disziplinübergreifenden Überprüfungen auf den Bereich des Fernstudiums sowie
der betrieblichen Weiterbildung, wobei der Studienbereich des Musikstudiums bislang keine
konkrete Berücksichtigung gefunden hat. Hier setzt diese qualitative Studie an und möchte
einen empirischen Beitrag leisten.
5. Forschungsdesign
Im Zentrum dieses Beitrags stehen Musikstudierende in akademischen Studien am Vorarl-
berger Landeskonservatorium und der Musikuniversität Mozarteum Salzburg. Mittels einer
explorativen Studie wurde der Fragestellung nachgegangen, in wie weit das Konzept der
Volitionalen Transferunterstützung (VTU) auf Musikstudierende anwendbar ist, wodurch ein
empirischer Beitrag zu praktischen Ansätzen bei der Anwendung volitionaler Prinzipien zu
konkreten pädagogischen Settings geleistet werden sollte. Zu diesem Zweck wurden über
eine Emailanfrage zehn freiwillige Studierende in den Studienrichtungen der Instrumental-
und Gesangspädagogik (IGP) sowie des Künstlerischen Diplomstudiums am Vorarlberger
Landeskonservatorium und der Musikuniversität Mozarteum Salzburg rekrutiert, die im
Sommersemester 2011 in verschiedenen Studiensemestern mit ihren zentralen künstlerischen
Fächern Gesang, Klavier, Akkordeon, Kontrabass, Gitarre, Violoncello und Saxofon inskri-
biert waren.
Die Datenerhebung erfolgte über einen Zeitraum von etwa acht Wochen und wurde durch
die individuelle Analyse der persönlichen volitionalen Kompetenzen mittels VPT initiiert.
Ein Problemzentriertes Interview nach Witzel (2000) wurde entlang eines vorbereiteten und
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an den Ausführungen Mosers (2008, S. 89ff.) orientierten Gesprächsleitfadens durch den
Studienleiter (SL) geführt, woraus ein transkribiertes Gesprächsprotokoll erstellt wurde.
In der vierwöchige Arbeitsphase beobachteten und reflektierten die Versuchspersonen
(VPN) ihr Lernverhalten mit Fokussierung auf motivationale und volitionale Prozesse insbe-
sondere im Bereich des Übens, der als zentrales Unterscheidungsmerkmal von Musikstudie-
renden zu anderen Studierendengruppen identifiziert werden kann (Jacob, 2007, S. 65), wo-
bei dieser Reflexionsprozess in einem digitalen Lerntagebuch dokumentiert wurde. Ergänzt
wurden die Eintragungen der VPN durch persönliche Rückmeldungen sowie reflexionsanre-
gende Beiträge durch den SL. Im Anschluss an diese Arbeitsphase fanden wiederum indivi-
duelle Abschlussgespräche statt, die sich auf die Wahrnehmung eigener Motivations- und
Volitionsprozesse der teilnehmenden VPN fokussierten und von denen weitere Hinweise auf
Nutzen sowie mögliche Schwierigkeiten in Bezug auf die Beantwortung der Forschungsfra-
ge erwartet wurden.
Für die Aufbereitung und Analyse der erhobenen Daten wurde die strukturierende quali-
tative Inhaltsanalyse (Mayring, 2002, S. 118f.) gewählt. Als Datenmaterial zur Beantwor-
tung der oben ausgeführten Forschungsfrage, das durch die qualitative Analysesoftware
MAXQDA 101
- 10 Kurzfragebögen als Postskript zu den beteiligten VPN mit Angaben zu Alter, Stu-
dienrichtung, aktuellem Studiensemester, zentralem künstlerischem Hauptfach, Er-
gebnisse aus dem VPT sowie Informationen zu den Interviews und dem Lerntage-
buch,
systematisch aufbereitet, analysiert und ausgewertet wurde, standen nach
Abschluss der Datenerhebung folgende Dokumente zur Verfügung:
- Transkriptionen von 10 Interviews aus den persönlichen Transfer-Coaching-
Gesprächen, die als Audiodateien vorlagen,
- Einträge aus 10 Lerntagebüchern, die digital als Online-Tagebuch über einen Zeit-
raum von etwa vier Wochen von den VPN geführt wurden,
- 10 Interviews als Transkriptionen aus individuellen Abschlussgesprächen, die als
Audiodateien vorlagen.
Anhand der Forschungsfrage wurden zur Festlegung von relevantem Material
Kategoriedefinitionen entwickelt, mit Ankerbeispielen versehen und in einem
Kodierleitfaden entlang der vier Strategiebereiche Stimmungen und Gefühle gezielt beein-
1 http://www.maxqda.de/
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flussen durch die Emotionskontrolle (EMO), Die Bedeutung von Konsequenzen (KonK),
Den eigenen Selbstwert stärken (SW) sowie Gedanken auf Kurs halten durch Kognitions-
kontrolle (META) (Deimann & Weber, 2009) formuliert. Anhand des Kodierleitfadens wur-
de das vorliegende Datenmaterial gefiltert und als Codings dargestellt.
6. Ergebnisse
Ein Vergleich der Ergebnisse des VPT aller VPN (siehe Abbildung 4) zeigt übereinstim-
mende Ergebnisse bei der Auswertung der individuellen volitionalen Strategien. Insbesonde-
re erscheint auffällig, dass die Ergebnisse in den Bereichen Selbstwert (SW),
Emotionenkontrolle (EMO) und Metakognition (META) bei sieben bzw. acht VPN in einem
Bereich liegen, die der VPT als optimalen Bereich auszeichnet. Die Ergebnisse aus dem Be-
reich der Konsequenzenkontrolle (KonK) zeigen jedoch, dass acht VPN eine zum Teil sehr
ausgeprägte Konsequenzenkontrolle aufweisen. Zu gering ausgeprägte volitionale Kompe-
tenzen zeigen sich über alle Bereiche nur bei ein bis zwei VPN. Bei differenzierter Betrach-
tung bezüglich des Studienfortschritts der VPN (Studierende bis zum 4. Studiensemester –
PC 1-4 vs. Studierende ab dem 5. Studiensemester – PC 5-10) lassen sich zu allen Ergebnis-
sen keine signifikanten Unterschiede bei den volitionalen Kompetenzen feststellen.
Abb. 4: Ergebnisse des VPT
Kemp postuliert unterschiedliche Manifestationen bei den Persönlichkeitsmerkmalen von
Vertretern instrumentaler Subgruppen von Musikern (vgl. Kemp, 2005, S. 267ff.), eine Ka-
tegorisierung, die durch eine nach Instrumentengruppen (Blasinstrumente, Gesang, Saitenin-
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strumente und Tasteninstrumente) differenzierte Betrachtung der Ergebnisse zumindest in
Bezug auf ihre volitionalen Kompetenzen kaum Bestätigung findet. So zeigen nur die teil-
nehmenden zwei Gesangsstudierenden ein weitgehend übereinstimmendes volitionales Pro-
fil, das sowohl im Bereich der KonK, als auch in EMO und META ausnahmslos hohe Er-
gebnisse feststellen lässt. Dieser Vergleich der Ergebnisse, darauf muss an dieser Stelle hin-
gewiesen werden, ist aus Gründen der fehlenden Repräsentativität jedoch nicht für eine Ge-
neralisierung geeignet.
Die VTU versteht sich als ganzheitlicher Ansatz zum Ausgleich defizitärer volitionaler
Kompetenzen (Deimann et al., 2008, S. 24ff.). In diesem Zusammenhang stellte sich die
Frage, in welchen Bereichen volitionale Defizite bei den beteiligten VPN tatsächlich vorlie-
gen und wahrgenommen werden. Die Auswertungen des VPT zeigen hier ein klares Bild mit
einerseits starken Defiziten im Bereich der KonK und deutlich weniger Defiziten in den Be-
reichen SW, EMO und META, allerdings wird von den meisten VPN (n=7) angegeben, dass
die Bereiche Motivation und Volition sowohl während des Studiums, aber auch darüber hin-
aus, bisher kaum thematisiert wurden.
Die Metapher Wille als Steuermann verdeutlicht im Konzept der VTU das Ziel der Aus-
balancierung individueller Nicht-Stärken (ebd.). Aus dem Datenmaterial können in diesem
Zusammenhang fünf verschiedene Kategorien von Nicht-Stärken identifiziert werden:
- Nicht-Stärken bezogen auf Lernerfolge,
- Nicht-Stärken bezogen auf die Kognitionskontrolle,
- Nicht-Stärken bezogen auf den Selbstwert,
- Nicht-Stärken in Bezug auf die zu erwartenden Konsequenzen,
- Nicht-Stärken bezogen auf die Emotionskontrolle.
Dabei bezogen sich die meisten Codings auf Nicht-Stärken bei den Lernerfolgen, wie dies
beispielsweise folgender Studierende mitteilt: „Gestern hatte ich den ganzen Vormittag Kur-
se. Am Nachmittag wollte ich viel üben, habe aber nicht das erreicht, was ich wollte“.
Insgesamt verdeutlichen die Codings zu erlebten Lernkrisen im Zusammenhang mit
Lernerfolgen, dass die Lust zu musizieren (vgl. Petrat, 2003, S. 16) und das „Glück des
Übens“ (Mahlert, 2011, S. 7) stark überschattet ist von einer alltäglichen Frustration, der
durch eine Strategie des disziplinierten Übens begegnet wird, wie dies folgender Interview-
ausschnitt unterstreicht: „Wenn man nicht in gewissen Punkten so hart mit sich in's Gericht
geht, oder so diszipliniert zu sich selber ist, dann funktioniert es halt nicht, also bin ich auch
der Meinung.“
Die Wahrnehmung von Nicht-Stärken in den Bereichen der Kognitionskontrolle, Selbst-
wert, erwartete Konsequenzen sowie Emotionskontrolle zeigte ein ausgewogenes Verhältnis
bei der Identifikation der entsprechenden Codings im Datenmaterial. Wie in den Arbeiten
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von Muraven und Baumeister (2000) festgestellt wird, unterliegen volitionale Ressourcen
Beschränkungen, die durchaus mit einem Muskel verglichen werden können. Bei den teil-
nehmenden VPN konnten mögliche aus volitionalen Aktivitäten resultierende Ermüdungen
jedoch nur allgemein als Erschöpfungszustände in dem Datenmaterial identifiziert werden,
wie dies folgender Tagebucheintrag verdeutlicht, wobei der darin enthaltene Hinweis auf
Stress und Zeitdruck zumindest auf eine Nähe zu volitionalen Ermüdungserscheinungen
schließen lässt:
‚Die letzen zwei Wochen ca. hatte ich das Gefühl, dass meine Überei rein gar nichts gebracht hat,
weil ich mich irgendwie die ganze Zeit so erschöpft gefühlt hab. Ich hatte eindeutig zu viel Stress
und die Zeit die ich im Zug verbringe schafft mich zurzeit extrem.’
Zudem werden mögliche Regenerationsphasen wie beispielsweise Ferienzeiten als fehlende
Trainingszeiten und besonderes Merkmal eines Musikstudiums wahrgenommen, die zu ei-
nem Verlust mühsam erworbener Fähigkeiten am Instrument führen können, wie dies fol-
gender Beitrag beschreibt: „Dass ich nicht einfach im Sommer zwei Monate nichts mache
und dann wieder beginne, dass ist das, wo sich ein Musikstudium stark unterscheidet“.
Analog zu den Ergebnissen aus dem VPT, die auf hohe Defizite in der
Konsequenzenkontrolle hinweisen, findet sich auch bei der individuellen Wahrnehmung
volitionaler Konfigurationen der Bereich der Konsequenzenkontrolle zu einem überwiegen-
den Anteil wieder. Die drei Bereiche Kognitionskontrolle, Emotionskontrolle und Selbstwert
werden im Vergleich zur Konsequenzenkontrolle hingegen weit weniger häufig thematisiert.
Zur Beantwortung der Frage, wie weit die individuellen Empfehlungen zu möglichen strate-
gischen Interventionen von den VPN tatsächlich umgesetzt und damit wahrgenommen wur-
den, ist bei der Strukturierung der Daten eine Gewichtung der Codings zur Kognitionskon-
trolle hin auffallend, wie dies exemplarisch durch folgende Aussage einer VPN dargestellt
wird:
‚Also ich habe äh mit den Teilzielen gute Erfahrungen gemacht, ich habe angefangen, wirklich
jeden Tag so kleine Ziele zu setzen, und das hat bei mir sehr gut funktioniert, also gerade, wenn
ich ein ganzen [sic!] Konzert für die Prüfung üben muss, dann sage ich, ich übe nicht jeden Tag
alles, sondern übe ich diesen Tag nur den Schluss, die letzten vier Zeilen, ähm, gerade die Schlüs-
se sind immer heikel, und immer wenn man am Anfang anfängt.’
Neben dem Bereich der Kognitionskontrolle wurden von den VPN auch die Empfehlun-
gen zur Erweiterung volitionaler Kompetenzen im Bereich der Emotionskontrolle in einem
größeren Umfang angenommen und ausprobiert, wohingegen die Empfehlungen zur Stär-
kung des eigenen Selbstwerts als Arbeitsbereich deutlich weniger angenommen wurden.
Trotz ausgewiesener Defizite ist der Bereich der zu hohen Konsequenzenkontrolle kaum
thematisiert worden.
Die Ergebnisse zeigen insgesamt, dass strategische Empfehlungen zur Stärkung der Kog-
nitionskontrolle bei den meisten Studierenden erfolgreich umgesetzt werden konnten. Auch
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konnte eine Beeinflussung von Stimmungen und Gefühle durch die Strategie der Emotions-
kontrolle von einigen VPN erreicht werden. Obwohl jedoch der Selbstwert und die
Konsequenzenkontrolle von vielen VPN als persönliche Nicht-Stärken erkannt wurden,
konnten nur vergleichsweise wenige Strategieempfehlungen aus diesen Bereichen umgesetzt
werden.
7. Diskussion und Fazit
In seinem Beitrag Entwicklung und Verbreitung eines Tests zur Analyse der Willensstärke in
Schule und Hochschule stellen Deimann und Kollegen defizitäre volitionale Kompetenzen
bei Schülern und Hochschülern fest (Deimann et al., 2009, S. 363). Diese Feststellung zeigt
eine teilweise Übereinstimmung mit den Ergebnissen der durch den VPT erfassten volitiona-
len Kompetenzbereiche bei den teilnehmenden VPN. Die Ergebnisse der Auswertungen zei-
gen zudem, dass der Lernkontext Musikhochschule bislang kaum Ansätze und Hilfestellun-
gen bietet, den vorhandenen Defiziten entgegen zu steuern. Ein zu überprüfender zentraler
Erklärungsansatz für diesen Umstand könnte sein, dass, nicht zuletzt auch aufgrund der ge-
ringen Anzahl an musikpädagogischen Publikationen zu dieser Problematik, zwischen mu-
sikpädagogischen und bildungswissenschaftlichen Erkenntnissen bisher noch zu wenig Ver-
knüpfungen bestehen und die vorhandenen Erkenntnisse kaum in die fachdidaktischen Lehr-
veranstaltungen an Musikhochschulen einfließen. Betrachtet man die hohen motivationalen
Anforderungen musikalischer Lernprozesse und die damit verbundene Störanfälligkeit (vgl.
Petrat, 2003, S. 16), so mag es überraschen, dass sich nur wenige VPN (n=4) zu ihrer eige-
nen Motivation äußern, wie beispielsweise folgende VPN:
Ich glaube es ist ein sehr wichtiges Thema, die Motivation. Bei mir ist es sehr, sehr oft, dass ich
eben wie so eine, so Schwankungen habe. Wie so Stimmungsschwankungen ist es bei mir mit der
Motivation genauso. Also ich bin unterschiedlich motiviert: Mal bin ich sehr motiviert, und dann
ist bei mir alles super, und es wird auch im Unterricht angesprochen, natürlich. Übst du viel oder
übst du nicht mehr, oder, und gerade so vorspielen ist auch Motivation für mich. Und, ich glaube,
es ist eine Selbsthilfe, die Motivation.
Weniger überraschend ist diese Erkenntnis, wenn sie in Beziehung zu der Feststellung ge-
setzt wird, dass eine Auseinandersetzung mit Motivation im Lehr-Lern-Kontext, wie oben
beschrieben, bisher kaum ein Thema für die Wahl der individuellen Lernstrategie in der Un-
terrichtssituation darstellte. Hierzu muss festgestellt werden, dass der Aufbau von volitiona-
ler Kompetenz bei Musikstudierenden aufgrund der Sondersituation eines Musikstudiums
nur durch die Überwindung des isoliert auf das sensomotorische Bewegungssystem zielende
instrumentale Training durch ganzheitliche Lehr-Lern-Ansätze wie beispielsweise durch das
Konzept der Volitionalen Transferunterstützung erreicht werden kann. Der Thematisierung
von motivationalen und volitionalen Prozessen muss insbesondere im Musikstudium eine
zentrale Bedeutung beigemessen werden. Aus der Datenlage ist ersichtlich, dass diese Pro-
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zesse während des Studiums kaum thematisiert werden, obwohl die Codings zu erlebten
Lernkrisen verdeutlichen, dass tägliches Üben bei den Musikstudierenden von Frustrations-
erlebnissen überschattet ist. Das Konzept der Volitionalen Transferunterstützung kann hierzu
unterstützend eingesetzt werden, wie beispielsweise als Hinweis auf die Planung und Einhal-
tung von Ruhe- und Erholungszeiten, die den Studierenden die Möglichkeit geben, ihren
volitionalen Akku (Deimann et al., 2008, S. 25) wieder aufzuladen.
Die Auswertung der Datenlage zeigt, dass die bisherigen Erkenntnisse zur VTU erfolg-
reich auf ein Musikstudium übertragen werden können. In diesem Zusammenhang ist festzu-
stellen, dass eine deutliche Gewichtung der transferierten strategischen Interventionen bei
den VPN für den Bereich der Kognitionskontrolle zu konstatieren ist. Da es vielen VPN
möglich war, strategische Empfehlungen zur Stärkung der Kognitionskontrolle sowie zur
Beeinflussung von Stimmungen und Gefühlen als Strategie der Emotionskontrolle umzuset-
zen, kann davon ausgegangen werden, dass das Konzept der Volitionalen Transferunterstüt-
zung zur Optimierung von Studienleistungen in einem Musikstudium zumindest in den Be-
reichen der Kognitionskontrolle und der Emotionskontrolle geeignet ist.
Die häufigen Hinweise auf den Bereich der Konsequenzenkontrolle bei der Wahrneh-
mung individueller volitionaler Konfigurationen gehen einher mit zu hohen Werten bei den
Ergebnissen des VPT und geben damit Hinweise auf die hohe Bedeutung volitionaler Strate-
gien in diesem Bereich. Allerdings konnte in dieser Studie für die Bereiche der
Konsequenzenkontrolle wie auch des Selbstwerts, möglicherweise aufgrund des kurzen Er-
hebungszeitraums, keine Umsetzungserfolge konstatiert werden. Hier könnten zukünftige
Untersuchungen der Frage nach gehen, warum trotz der Erkenntnis, dass mangelnder
Selbstwert und eine zu hohe Konsequenzenkontrolle von vielen Studierenden als persönliche
Nicht-Stärken erkannt wurden, nur vergleichsweise wenig Strategieempfehlungen aus diesen
Bereichen umgesetzt werden konnten. Für eine bessere Passung des VPT im Rahmen des
akademischen Kontext des Musikstudiums wird zudem empfohlen, die Strategieempfehlun-
gen für Musikstudierende zu optimieren, da einige strategische Empfehlungen von den VPN
für ein Musikstudium als nicht geeignet eingestuft wurde.
Abschließend kann Ericsson und Lehmann (1996, S. 275) beigepflichtet werden, dass Ta-
lent, Unterricht und Übung zwar notwendige aber keine hinreichenden Erfolgsfaktoren für
angehende Musiker und Musikerinnen darstellen. Die Auseinandersetzung mit den eigenen
volitionalen Kompetenzen bietet Musikstudierenden jedoch einen vielversprechenden An-
satz zur Erreichung ihres Ziels und - zu mehr Lust statt Frust.
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Autor:
Jörg Maria Ortwein
Vorarlberger Landeskonservatorium
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Email: joerg.maria.ortwein@vlk.ac.at