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Üben macht nicht immer Spaß und braucht
hin und wieder eine ordentliche Portion
Überwindung. Dies dürfte eine Erkenntnis
sein, die jedem Musikstudierenden sehr ge-
läufig ist. Dabei ist es nicht unbedingt die
fehlende Motivation, die dafür verantwortlich
ist, dass Dinge vorgeschoben werden, die im
Moment als wichtiger erschienen. Motivation
meint in erster Linie das Setzen von Zielen,
während das Streben nach Zielen mit dem
Begriff Volition umschrieben wird: Die schwie -
rige, aber hinreißende Sonate soll Teil des ei-
genen Repertoires werden, aber bis dahin
scheint es noch ein weiter Weg zu sein.
„Durch die Willenswahl bestimmen wir uns,
etwas uns eigen zu machen oder ihm aus
dem Wege zu gehen.“1Diese Erkenntnis des
Aristoteles führt unmittelbar zur Volitionsfor-
schung, die Erklärungsansätze für motivatio-
nales Verhalten anbietet und dabei versucht,
Wege zu erschließen, die uns zeigen, wie Zie-
le letztendlich trotz des einen oder anderen
Tiefs doch noch realisiert werden können.
Unter Volition – oder kurz: der eigene Wille –
wird dabei das bewusste Steuern und Kont -
rollieren des eigenen Handelns verstanden.
Die zentrale Frage bei der Untersuchung voli-
tionaler Prozesse widmet sich insbesondere
der Umsetzung von einmal gefassten Hand-
lungszielen.
Ein prominentes Modell formulierte Heinz
Heckhausen mit dem Rubikon-Modell der
Handlungsphasen,2in dem sich motivationa-
le und volitionale Phasen sequenziell ablö-
sen. Etwa zeitgleich formulierte Julius Kuhl
seine Handlungskontrolltheorie3und zeigte,
dass nicht automatisch die stärkste motiva-
tionale Absicht umgesetzt wird, sondern
dass letztendlich erfolgreiche motivationale
Handlungsabsichten gegen konkurrierende
Motivationstendenzen abgeschirmt werden
müssen. Eine Integration beider Modelle fin-
det sich in Hugo M. Kehrs Kompensations-
modell,4das zentral den Fragen nachspürt,
was ich gerne mache, was mir wirklich wich-
tig ist und was ich tatsächlich aufgrund mei-
ner Fähigkeiten, Erfahrungen und Kenntnis-
sen zu leisten in der Lage bin.
WILLE ALS STEUERMANN
Markus Deimann entwickelte aus diesen theo -
retischen Grundlagenarbeiten einen prakti-
schen Förderansatz, der den eigenen Willen
mit der Metapher des Steuermanns von
Herz, Kopf und Bauch darstellt und das Aus-
balancieren von Nicht-Stärken in den Mittel-
punkt stellt.5
Als Synthese der Erkenntnisse der bisherigen
Emotions- und Volitionsforschung mit dem in
der Mediendidaktik etablierten Instruktions-
design entwickelte er einen Volitionalen Per-
sonentest, der online als Willenstest frei zu-
gänglich ist.6Dieser gibt den NutzerInnen als
Rückmeldung in Form einer Ampel Informa-
tionen zu ihren individuellen volitionalen
Faktoren Selbstwert, Konsequenzenkontrolle,
Stimmungsmanagement und Metakognition.
Zudem werden den NutzerInnen kurze prakti-
sche Empfehlungen zur individuellen Opti-
mierung volitionaler Kompetenzen ausgege-
ben. Bislang ist der Volitionale Personentest
von weit über 40000 Studierenden verschie-
denster Hochschularten absolviert worden.
Im Jahr 2012 wurde er mit dem E-Learning-
Award des eLearning Journals in der Sonder-
kategorie Lernstrategien ausgezeichnet.7
Eine qualitative Studie8zeigte, dass der Voli-
tionale Personentest in vielen Bereichen auf
die Bedürfnisse von Musikstudierenden
übertragen werden kann. Ein erstaunliches
Ergebnis dieser Studie war jedoch, dass zu-
mindest bei den untersuchten Musikstudie-
renden die Auseinandersetzung mit motiva-
Forschung
50
Willenstest – Musik
Der Wille als Schlüssel zur Motivation beim Üben
Jörg Maria Ortwein
Die Eigenschaften Disziplin, Motivation und Konzentrationsfähigkeit stellen
wichtige Persönlichkeitsmerkmale für einen erfolgreichen Studienabschluss
in einem Musikstudium dar. Allerdings zeigt die Forschung, dass auch dem
eigenen Willen bei der Umsetzung von Zielen eine besondere Bedeutung
zukommt. Ein Willenstest für Musikstudierende möchte Ansätze zur Aus -
einandersetzung mit den eigenen Nicht-Stärken anbieten.
tionalen und volitionalen Prozessen bisher
kaum stattgefunden hatte, obwohl insbeson-
dere das tägliche Üben regelmäßig von Frust -
rationserlebnissen überschattet war.
DEN EIGENEN WILLEN
TESTEN
Da die Strategieempfehlungen nachweislich
nicht alle motivationalen und volitionalen
Faktoren der Musikstudierenden erreichte,
wurde auf Grundlage der bisherigen Erkennt-
nisse ein spezifizierter Willenstest (M-VPT)
entwickelt, der zur freien Nutzung als Open
Educational Resources im Netz zur Verfü-
gung steht.9Musikstudierenden werden 32
verschiedene Szenarien in Verbindung mit
bestimmten Handlungsstrategien vorgestellt,
auf die sie mit Zustimmung oder Ablehnung
reagieren sollen. Die im unmittelbaren An-
schluss an den Test erfolgte Auswertung gibt
individuelle Informationen zum eigenen
Selbstwert, zum Kontrollverhalten gegen-
über entstehenden Konsequenzen, zum Um-
gang mit persönlichen Stimmungslagen und
zu den eigenen Fähigkeiten bei der Planung
und Selbstbeobachtung. Außerdem erhalten
die Testteilnehmer Strategievorschläge, wie
diese Bereiche insbesondere im Zusammen-
hang mit dem täglichen Üben verbessert
werden können.
Damit der „Willenstest – Musik“ nicht nur
deutschsprachigen Musikstudierenden zur
Verfügung steht, ist als nächster Schritt ge-
plant, ihn in verschiedenen Sprachversionen
anzubieten. Mit dem Willenstest haben Mu-
sikstudierende die Möglichkeit, sich über
das Bewusstsein der eigenen Stärken und
Nicht-Stärken neue Wege zu mehr Lust beim
täglichen Üben zu erschließen.
1Aristoteles: Nikomachische Ethik, übersetzt von Eugen
Rolfes, Leipzig 1911. Online unter http://gutenberg.spie-
gel.de/buch/2361/28
2Jutta Heckhausen/Heinz Heckhausen (Hg.): Motiva -
tion und Handeln, 4., überarbeitete und aktualisierte
Auflage, Berlin 2010.
3Julius Kuhl: „Motivation und Handlungskontrolle:
„Ohne guten Willen geht es nicht“, in: Heinz Heckhau-
sen/Peter M. Gollwitzer/Franz E. Weinert (Hg.): Jenseits
des Rubikon. Der Wille in den Humanwissenschaften,
Berlin 1987, S. 101-120.
4Hugo M. Kehr: „Das Kompensationsmodell von Moti-
vation und Volition als Basis für die Führung von Mitar-
beitern“, in: Regina Vollmeyer/Joachim Brunstein (Hg.):
Motivationspsychologie und ihre Anwendung, Stuttgart
2005, S. 131-150.
5Markus Deimann/Benjamin Weber/Theo Bastiaens:
„Volitionale Transferunterstützung (VTU) – Ein innova -
tives Konzept (nicht nur) für das Fernstudium“, in:
IfBM.Impuls – Schriftenreihe des Instituts für Bildungs-
Forschung 51
&
musizieren 4 13
üben
wissenschaft und Medienforschung, 2008/01. Abgeru-
fen von http://ifbmimpuls.fernuni-hagen.de
6http://willenstest.fernuni-hagen.de
7www.elearning-journal.de/index.php?id=380
8Jörg Maria Ortwein: „Üben zwischen Lust und Frust –
Empirische Überprüfung der Volitionalen Transferunter-
stützung im Kontext des Musikstudiums“, in: Beiträge
empirischer Musikpädagogik, 3 (1), 2012.
9http://mvpt.aristoteles.at
Jörg Maria Ortwein
ist künstlerisch-pädagogischer Leiter des
Vorarlberger Landeskonservatoriums und
Herausgeber der Buchreihe „Feldkircher
Musikgeschichten“. Als Musiker und Bil-
dungswissenschaftler liegt sein wissen-
schaftliches Interesse insbesondere an der
Schnittstelle von Sozialwissenschaften und
Musikpädagogik.
© Vorarlberger Landeskonservatorium