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Abstract

Gibst du bei Google ‚plant consciousness’ ein, findest du auf der ersten Trefferseite neben Wikipedia ungefähr drei Typen von Seiten: Esoterik-Seiten, wo dir erklärt wird, dass alles mit allem verbunden ist und Menschen nichts Besonderes, sondern nur ein Teil der großen und ganzen Oneness der Natur sind; Vegetarier-Seiten, wo sich energisch gegen die Idee der fühlenden Pflanze gewehrt wird; und wissenschaftsjournalistische Seiten, in denen auf nüchterne Art die faszinierenden neuen Erkenntnisse der zeitgenössischen Pflanzenforschung präsentiert werden. Die ersten philosophischen Beiträge findet man dagegen erst auf der zweiten und dritten Trefferseite. Sie behandeln die mit diesem Thema aufkommenden ethischen Probleme. Einen dieser philosophischen Beiträge werde ich als Ausgangspunkt nehmen, dabei aber die ethische Fragestellung vollkommen ignorieren. Was mich stattdessen interessiert, ist, wie für und gegen Pflanzenbewusstsein argumentiert wird. Dafür werde ich die Kommentare der Leser dieses Artikels als roten Faden benutzen und mit eigenen Argumenten das Sprachspiel mitspielen, ohne dabei zu beanspruchen, mich der Wahrheit zu nähern. Im Gegenteil, ich werde versuchen deutlich zu machen, dass sprachliche Argumente an sich ein schlechtes Mittel sind, um die Frage nach dem Pflanzenbewusstsein zu entscheiden. Den lebensfernen Sprachspielereien setze ich dann das lebensnahe Video entgegen. Das auf Film festgehaltene, mit eigenen Augen gesehene Verhalten der Pflanzen macht das sichtbar, was uns normalerweise verborgen bleibt und was sprachliche Argumente nicht übersetzen können. Durch visuelle Konfrontation erhaltene Evidenz ist viel wichtiger und überzeugender als sprachliche Argumente, wenn die Frage nach dem Pflanzenbewusstsein beantwortet werden soll. Um nicht nur gut zu argumentieren und sich gegenseitig auszusmarten, sondern um wirklich herauszufinden, wie sich Sachen verhalten, muss die Philosophie ihren Sprachfetisch überwinden und auf anderen Ebenen das Thema bearbeiten, im Fall des Bewusstseins auf der visuellen Ebene. Genauso wie man sehen kann, dass Tiere Schmerzen empfinden und intentional handeln, kann man sehen, dass Pflanzen intentional handeln und ein Bewusstsein haben. Zeitgenössische Philosophie muss bei diesem genuin philosophischen Thema die neuen Möglichkeiten nutzen, die ihnen seit der Omnipräsenz des Internets zur Verfügung stehen. Jenes hat nicht nur das Spektrum an Möglichkeiten die Welt zu erklären erweitert, sondern auch verändert, wie Menschen die Welt erklärt haben wollen. Bevor wir uns aber all diesen Themen widmen, müssen zuallererst zwei wichtige Fragen beantwortet werden: Die Frage, was mit Bewusstsein gemeint ist, denn dass jeder darunter etwas anderes versteht, führt bei dieser Geschichte immer zu ziemlich vielen Missverständnissen; und die Frage, wieso man überhaupt auf die Idee kommt, Pflanzen Bewusstsein zuzuschreiben.
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1!
Humboldt-Universität zu Berlin
Philosophische Fakultät I
Institut für Philosophie
Bachelorarbeit
Google: plant consciousness
15.10.14
Filipe-Guilherme Pirl
alles.ist.die.trumanshow@gmail.com
Erstgutachter: Olaf Müller
!
2!
1. Google: plant consciousness .......................................... 3
2. Begriffsklärung .............................................................. 4
3. Pflanzenforschung ......................................................... 6
3.1 Wahrnehmung ......................................................... 8
3.2 Verhalten ................................................................. 11
3.3 Pilznetzwerk ............................................................ 15
4. NYT-Artikel / Argumente ............................................. 18
4.1 Zwei Geschichten .................................................... 19
4.2 Falsche Sprache ...................................................... 21
4.3 Begriffsausweitung ................................................. 22
4.4 Nervensystem ......................................................... 30
4.5 Unbewusstes Leben ................................................ 38
5. Youtube: plant time lapse ................................................ 45
5.1 Argumente vs. Video ............................................... 45
5.2 Man sieht, dass Tiere Bewusstsein haben ................ 47
5.3 Pflanzenbewusstsein sichtbar machen .................... 49
6. Fazit ............................................................................... 54
7. Quellenverzeichnis ......................................................... 56
!
3!
1. Google: plant consciousness
Gibst du bei Google ‚plant consciousness’ ein, findest du auf der ersten
Trefferseite neben Wikipedia ungefähr drei Typen von Seiten: Esoterik-
Seiten, wo dir erklärt wird, dass alles mit allem verbunden ist und Menschen
nichts Besonderes, sondern nur ein Teil der großen und ganzen Oneness der
Natur sind; Vegetarier-Seiten, wo sich energisch gegen die Idee der
fühlenden Pflanze gewehrt wird; und wissenschaftsjournalistische Seiten, in
denen auf nüchterne Art die faszinierenden neuen Erkenntnisse der
zeitgenössischen Pflanzenforschung präsentiert werden. Die ersten
philosophischen Beiträge findet man dagegen erst auf der zweiten und
dritten Trefferseite. Sie behandeln die mit diesem Thema aufkommenden
ethischen Probleme.
Einen dieser philosophischen Beiträge werde ich als Ausgangspunkt
nehmen, dabei aber die ethische Fragestellung vollkommen ignorieren (4).
Was mich stattdessen interessiert, ist, wie für und gegen
Pflanzenbewusstsein argumentiert wird. Dafür werde ich die Kommentare
der Leser dieses Artikels als roten Faden benutzen und mit eigenen
Argumenten das Sprachspiel mitspielen, ohne dabei zu beanspruchen, mich
der Wahrheit zu nähern. Im Gegenteil, ich werde versuchen deutlich zu
machen, dass sprachliche Argumente an sich ein schlechtes Mittel sind, um
die Frage nach dem Pflanzenbewusstsein zu entscheiden.
Den lebensfernen Sprachspielereien setze ich dann das lebensnahe Video
entgegen (5). Das auf Film festgehaltene, mit eigenen Augen gesehene
Verhalten der Pflanzen macht das sichtbar, was uns normalerweise
verborgen bleibt und was sprachliche Argumente nicht übersetzen können.
Durch visuelle Konfrontation erhaltene Evidenz ist viel wichtiger und
überzeugender als sprachliche Argumente, wenn die Frage nach dem
Pflanzenbewusstsein beantwortet werden soll. Um nicht nur gut zu
argumentieren und sich gegenseitig auszusmarten, sondern um wirklich
herauszufinden, wie sich Sachen verhalten, muss die Philosophie ihren
Sprachfetisch überwinden und auf anderen Ebenen das Thema bearbeiten,
im Fall des Bewusstseins auf der visuellen Ebene.
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4!
Genauso wie man sehen kann, dass Tiere Schmerzen empfinden und
intentional handeln, kann man sehen, dass Pflanzen intentional handeln und
ein Bewusstsein haben. Zeitgenössische Philosophie muss bei diesem
genuin philosophischen Thema die neuen Möglichkeiten nutzen, die ihnen
seit der Omnipräsenz des Internets zur Verfügung stehen. Jenes hat nicht
nur das Spektrum an Möglichkeiten die Welt zu erklären erweitert, sondern
auch verändert, wie Menschen die Welt erklärt haben wollen.
Bevor wir uns aber all diesen Themen widmen, müssen zuallererst zwei
wichtige Fragen beantwortet werden: Die Frage, was mit Bewusstsein
gemeint ist, denn dass jeder darunter etwas anderes versteht, führt bei dieser
Geschichte immer zu ziemlich vielen Missverständnissen (2); und die
Frage, wieso man überhaupt auf die Idee kommt, Pflanzen Bewusstsein
zuzuschreiben (3).
2. Begriffsklärung
Der erste Wikipedia-Eintrag, der uns bei der Google-Suche nach ‚plant
consciousness’ angezeigt wird ist Plant perception (paranormal). Hier wird
die Idee beschrieben, dass Pflanzen auf eine übersinnliche Art und Weise
mit anderen Lebewesen in Kontakt stehen, ihre Gedanken lesen, ihre
emotionalen Zustände erkennen, sowie selber Schmerz und Emotionen
fühlen können.
Das meine ich nicht mit Pflanzenbewusstsein. Diese weit verbreitete
Vorstellung hat ihren Ursprung in parapsychologischen Experimenten aus
der Hippie-Zeit, in denen man Pflanzen, um sie auf übersinnliche
Fähigkeiten zu testen, an Lügendetektoren angeschlossen und sie
verschiedenen Situationen ausgesetzt hat. Um den vermeintlichen
telepathischen Kontakt zu entdecken, hat man andere Lebewesen in ihrer
Nähe getötet oder sich vorgestellt die Pflanzen zu verbrennen. Darüber
wurde dann ein erfolgreiches Buch geschrieben, was dazu beitrug diese
Vorstellung von Pflanzenbewusstsein in der westlichen Welt zu verbreiten.1
Wenn ich von Pflanzenbewusstsein spreche, geht es aber nicht um
!
5!
irgendwelche übersinnliche Fähigkeiten, sondern um etwas absolut
Gewöhnliches.
Wir kommen schon viel näher an das dran, was ich mit Pflanzenbewusstsein
meine, wenn wir auf die von Wikipedia über diesem Eintrag angebotene
Alternative plant perception (physiological) klicken. Hier wird erläutert, auf
welche Umweltreize Pflanzen alles reagieren können und wie die bisher
bekannten Mechanismen im Detail funktionieren. Plant perception wird
hier als Fähigkeit der Pflanzen definiert ihre Umwelt wahrzunehmen und ihr
Verhalten daran anzupassen.
Das ist fast das, was mit plant consciousness gemeint ist, aber das Wort
‚consciousness’ bedeutet noch ein bisschen mehr als lediglich die Fähigkeit,
mit der Umwelt zu interagieren: Die Frage, ob eine Pflanze Bewusstsein hat
oder nicht, zielt darauf ab, ob sie phänomenal erlebt oder nicht. Es ist die
Frage danach, ob es irgendwie für die Pflanze ist, sie selbst zu sein.
Das impliziert erstmal noch keine höheren kognitiven Leistungen wie
Sprache, Selbstbewusstsein oder abstraktes Denken, sondern einfach nur,
dass da jemand aus seiner Ersten-Person-Perspektive heraus Erlebnisse hat.
Etwas, das bei Steinen beispielsweise nicht der Fall ist. Für Steine ist es
nicht irgendwie, sie selbst zu sein.
Wenn wir fragen, ob Pflanzen Bewusstsein besitzen, fragen wir nach
derselben Sache, wie die Familienangehörigen eines komatösen Patienten,
die von den Ärzten wissen wollen, ob ihr Großvater noch wahrnimmt. Ob es
sich für ihn noch irgendwie anfühlt er selbst zu sein oder ob da keiner mehr
Zuhause ist. Sie wollen nicht wissen, ob ihr Großvater noch eine Ahnung
hat, wer oder was er ist, oder ob er noch Gedanken formen kann, sondern
einfach nur, ob es für ihn phänomenal irgendeinen Unterschied macht, wenn
sie da sind. Ob er das Summen ihrer Stimmen hört, das Streicheln ihrer
Hände spürt, die Wärme ihrer Körper, ohne notwendigerweise zu wissen,
dass sie es sind, sondern lediglich ob er Summen, Druck und Wärme erlebt.
Manchmal wird Pflanzenbewusstsein auch fälschlicherweise irgendwie mit
Unterbewusstsein assoziiert. Aber damit hat es nichts zu tun, da
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
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6!
Unterbewusstsein etwas ist, was eben nicht bewusst erlebt wird, sondern
was unbewusst die eigenen Handlungen antreibt.
Soweit also zu Bewusstsein. Sobald aber eine Pflanze auf etwas
vermeintlich Erlebtes sinnvoll zu reagieren scheint, kommt ein zweiter
Begriff ins Spiel: die Intention. Das ist die Fähigkeit, auf Wahrnehmungen
willentlich reagieren zu können. Diese beiden Sachen scheinen eng
miteinander verbunden zu sein und wenn ich nach dem Pflanzenbewusstsein
frage, will ich eigentlich beides wissen.
Ich will wissen, ob Pflanzen äußere oder innere Reize phänomenal erleben
und ob sie willentlich auf diese reagieren können. Also eigentlich gar nichts
Besonderes, sondern einfach nur das, was wir ziemlich vielen anderen
Lebewesen schon längst zugestanden haben.
Nachdem wir in diesem Abschnitt geklärt haben, was mit
Pflanzenbewusstsein gemeint ist, schauen wir uns im nächsten Abschnitt an,
warum dieses Thema gerade so gehyped wird.
3. Pflanzenforschung
Die aktuelle Popularität hängt damit zusammen, dass in letzter Zeit
verdammt viele Sachen über Pflanzen rausgefunden wurden, die irgendwie
nicht mit der Geschichte des passiven Grünzeugs zusammenpassen wollen,
an die wir die ganze Zeit geglaubt haben. Das macht sich vor allem in der
Internetlandschaft deutlich bemerkbar: Unzählige Wissenschaftsjournalisten
locken mit catchy headlines, um ihre Leser für die Intelligenz der Pflanzen
zu begeistern. Esoteriker begrüßen zufrieden die verspätete
wissenschaftliche Anerkennung ihrer Gewissheit, dass alles Bewusstsein hat
und die Welt doch irgendwie ein bisschen magisch ist. Nur Vegetarier sind
zwiegespalten und verwandeln sich von den großzügigen Bewusstseins-
Zugestehern in die größten Bewusstseins-Skeptiker.
Um uns genauer mit den aktuellen Erkenntnissen vertraut zu machen,
schauen wir aber am besten zuerst auf die Seiten der
Wissenschaftsjournalisten. Auf den Esoterik-Seiten werden die
Erkenntnisse zwar auch vorgestellt, aber es wird nicht wirklich kritisch mit
!
7!
ihnen umgegangen. Vorsichtige Vermutungen der Forscher, wie zum
Beispiel über die eventuelle Schmerzempfindung bei Pflanzen, werden als
Fakten hingestellt. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften werden auf
einer Ebene mit vagen metaphysischen Hypothesen beschrieben, für die sie
Beweise sein sollen.
Wissenschaftsjournalisten sind dagegen vorsichtiger. Sie präsentieren
relativ nüchtern die Erkenntnisse und problematisieren mögliche
Interpretationen. Vor allem aber geben sie ihre Quellen an. So können wir
auf ResearchGate, der führenden Social-Networking-Seite für
Wissenschaftler, nach den Namen der genannten Forscher suchen und
stoßen so direkt auf ihre Veröffentlichungen. Diese bieten uns detailreiche
Erste-Hand-Informationen und lassen uns um ein Vielfaches besser
verstehen, was eigentlich für Erkenntnisse gemacht wurden, da sie nicht nur
das Ergebnis enthalten, sondern auch den Weg, wie man zu diesem
Ergebnis gekommen ist.
Was wissen wir denn überhaupt über Pflanzen? Als interessierter Laie weiß
man, dass Pflanzen auf Licht, Berührung und Schwerkraft reagieren. Über
der Erde wachsen sie zum Licht hin, richten ihre Blätter dementsprechend
aus, weichen ihren Pflanzennachbarn aus, wenn sie überschattet werden,
blühen erst ab einer bestimmten Tageslänge und besitzen genauso wie Tiere
einen Schlaf-Wach-Rhythmus. Kletterpflanzen wachsen in die Richtung des
mechanischen Reizes; Mimosen falten ihre Blätter bei Berührung
zusammen; Venusfliegenfallen schließen ihre Fallen, wenn ihre Fühlborsten
mehrmals gestreift werden; Wurzeln weichen Steinen und
undurchdringbaren Schichten aus, wenn sie auf sie treffen. Auch dass
Wurzeln in Richtung der Schwerkraft wachsen und der Spross selbst im
Dunkel immer in die Gegenrichtung wächst, ist bekannt.
Nicht besonders bekannt, da erst kürzlich herausgefunden, ist, dass Pflanzen
ebenso hören und riechen können. Sie können sich gegenseitig warnen,
andere Tiere für ihre Zwecke manipulieren, sich aktiv gegen Fressfeinde
verteidigen, ihre Verwandtschaft erkennen, Ressourcen tauschen, aus
Erfahrung lernen und sie haben sogar so eine Art Internet.
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8!
3.1 Wahrnehmung
Hören
Beginnen wir die Geschichte in Südostasien. Dort wächst eine besondere
Pflanze, die Teil einer merkwürdig anmutenden Zeremonie ist. Wie ein
Schlangenbeschwörer spielt ein Einheimischer auf einem traditionellen
Blasinstrument der sogenannten Telegraphenpflanze ein Ständchen,
während diese langsam ihre Blätter zur Musik bewegt. Wird sie etwa durch
die Musik zum tanzen angeregt? Nein, es scheint leider nur so, denn sie
führt diesen Blättertanz auch ohne Musik auf. Ihre Bewegungen werden
durch hohe Temperaturen induziert und nicht durch Beschallung. Außerdem
besitzen Pflanzen keine Ohren, wie sollten sie denn ohne so etwas
Geräusche wahrnehmen?
Wie Pflanzen das schaffen, ist noch nicht klar. Dass sie es aber können, gilt
seit einigen Jahren als sicher. Aktuelle Experimente belegen, dass Pflanzen
nicht nur intelligent auf Geräusche reagieren, sondern ebenso selbst
Geräusche produzieren können.
Dass man das Verhalten eines Individuums nicht ohne die Umgebung, in
der es sich verhält, verstehen kann, ist ein Gemeinplatz, der auch in der
Pflanzenkunde gilt. Alle Botaniker wissen, dass Pflanzen auf ihre
Nachbarpflanzen reagieren. Spezies, Verwandtschaft und Anzahl der
Nachbarpflanzen im direkten Umkreis sind Faktoren die Pflanzen über
visuelle und chemische Signale ermitteln und ihr Spross- und
Wurzelwachstum daraufhin anpassen; genaueres dazu später.
Wissenschaftler der University of Western Australia stellten aber fest, dass
Pflanzen, auch wenn alle bekannten Kommunikationswege ausgeschaltet
waren, ihre Nachbarn identifizieren und ihr Verhalten auf sie anpassen
konnten. Sie vermuteten daraufhin, dass Pflanzen ihre Nebenmänner an
akustischen Signalen erkannten. Das würde heißen, dass sie wie Tiere
Vibrationen wahrnehmen könnten. Um dies zu überprüfen, beschallten die
Wissenschaftler Wurzeln von jungen Maiskeimlingen und konnten erstaunt
!
9!
beobachten, wie alle Wurzeln direkt auf die Geräuschquelle zuwuchsen. Es
gab kein Zweifel mehr: Pflanzen reagieren auf akustische Signale.2
Nicht nur ihre Nachbarn, sondern auch ihre Feinde können Pflanzen
erhören. Das bewiesen Wissenschaftler der University of Missouri. Sie
spielten ihren Pflanzen vorher aufgenommene Raupenfressgeräusche vor
und verglichen ihre Reaktionen mit denen bei wirklichem Blattfraß. Und
siehe da, die Pflanzen reagierten auf die harmlosen Vibrationen genauso wie
auf tatsächlichen Schädlingsbefall, nämlich durch Produktion von giftigen
und verdauungshemmenden Stoffen. Des Weiteren fanden sie heraus, dass
die Pflanzen die Kauvibrationen von anderen Vibrationen wie Wind oder
dem Zirpen eines Grashüpfers unterscheiden konnten.3
Die dafür zuständigen Mechanorezeptoren zusammen mit dem ganzen
Wahrnehmungsmechanismus konnten noch nicht identifiziert werden. Aber
es wäre eher eine Überraschung wenn Pflanzen nicht hören könnten, weil
die Sensibilität akustische Signale zu empfangen von der Bakterie bis zu
Wirbeltieren überall in biologischen Organismen anzutreffen ist. Ohren
haben dabei die wenigsten. Schlangen nehmen Vibrationen beispielsweise
über ihren ständig mit dem Untergrund verbundenen Kieferknochen auf.
Viele Insekten hören mit ihren Fühlern. Die Morphologie des Hörorgans
eines jeweiligen Organismus ist immer an seine speziellen
Lebensbedingungen angepasst.
Evolutionär betrachtet macht es Sinn, dass Pflanzen in einem so dichten
Substrat wie Erde, welches Vibrationen viel einfacher und über längere
Entfernungen weiterleitet als Luft, die Fähigkeit entwickelt haben Nutzen
aus den akustischen Informationen ihrer Umwelt zu ziehen. Es ist immer
noch nicht geklärt ist, wie Pflanzen es schaffen, ihre Wurzeln so präzise
durchs Erdreich zu bewegen und Hindernissen wie Steine oder andere
Wurzeln bevor sie mit ihnen in Kontakt kommen, auszuweichen. Aber vor
Kurzem wurde entdeckt, dass Wurzeln, während sie durchs Erdreich
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
2 Gagliano et al. (2012) Towards understandig plant bioacustics. Trends in Plant Science 17
(6): 323 325.
3 Appel & Cocroft (2014) Plants respond to leaf vibrations caused by insect herbivore
chewing. Oecologia 175 (4): 1257-1266.
!
10!
manövrieren, in regelmäßigen Abständen laute Klicks produzieren, die
große Ähnlichkeit mit den kurzen Schreien von Fledermäusen und den
Zungenschnalzern blinder Menschen, welche sich der Klick-Sonar-Technik
bedienen, haben.4
Riechen
Genauso wie man zum Hören keine Ohren braucht, braucht man zum
Riechen keine Nase. Das beweist uns eine Pflanze, die als Bauernschreck
Südamerikas berüchtigt ist und dort jedes Jahr massive Ernteschäden
verursacht: der Teufelszwirn.
Der Teufelszwirn ist ein Vollschmarotzer, d. h. er betreibt keine
Photosynthese, sondern ernährt sich parasitär von anderen Pflanzen. Nach
dem Keimen hat er nur wenige Tage Zeit, um eine Nahrungsquelle zu
finden. Sind die Nährstoffe in seinem Samen aufgebraucht, bevor er einen
Wirt findet, stirbt er. Pflanzt man einen solchen Keimling neben eine
Tomatenpflanze, kann man in der Zeitrafferaufnahme beobachten, wie er
zunächst in kleinen kreisenden Bewegungen die Umgebung sondiert und
dann ohne Umschweife direkt auf die Tomatenpflanze zuwächst. Es ist
nicht so, dass er auf gut Glück verschiedene Richtungen ausprobiert bis er
eine Wirtspflanze findet so viele Nährstoffreserven hätte er gar nicht –
sondern er wächst ganz gezielt auf die Tomatenpflanze zu, ganz so als ob
der Keimling wissen würde, dass sie sich dort befindet.
Wissenschaftler der University of Pennsylvania vermuteten, dass der
Teufelszwirn auf Geruchsstoffe der Tomatenpflanze reagiert und stellten ein
Extrakt her, welches die Duftstoffe der Tomatenpflanze enthielt. Sie
platzierten daraufhin einen Teufelszwirnkeimling zwischen eine mit einer
Glaskuppel geruchsdicht abgedeckte Tomatenpflanze und einem mit dem
Duftwässerchen gefüllten Gumminapf und siehe da, der Keimling wuchs
nach den anfänglichen Kreisbewegungen direkt auf den Gumminapf zu. In
weiteren Experimenten stellten die Wissenschaftler fest, dass der
Teufelszwirn auch auf Geruchsstoffe anderer Pflanzen (Weizen, Fleißiges
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
4 Gagliano et al. (2012) Towards understandig plant bioacustics. Trends in Plant Science 17
(6): 323 325.
!
11!
Lieschen) mit gerichtetem Wachstum reagiert und sie sogar unterscheiden
kann, da er, wenn er die Wahl hat, immer den attraktiveren Wirt präferiert.5
3.2 Verhalten
Verteidigung
Ging es gerade noch darum wie Pflanzen angreifen, geht es jetzt darum wie
sich Pflanzen gegen Schädlingsangriffe verteidigen. Das tun sie sowohl auf
chemischer, physiologischer als auch auf morphologischer Ebene. Am
schillernden Beispiel des Wilden Tabaks werde ich drei faszinierende
Reaktionen präsentieren.
Waldbrände wecken seine Samen aus der Keimruhe. Erst dann, wenn es
kaum Konkurrenz und Fressfeinde gibt und der verkohlte Boden aufgrund
seines Ammoniakreichtums perfekt für die Nikotinsynthese geeignet ist,
keimt der Wilde Tabak. Werden seine jungen Blätter nun von Insekten, wie
Heuschrecken, Käfern oder Raupen angefressen, löst der Speichel in der
Wunde ein elektrisches Signal aus, dass in die Wurzeln weitergeleitet wird.
Diese produzieren Nikotin und schicken es hoch ins angegriffene Blatt.
Nikotin wirkt als Nervengift auf die Angreifer, die sich so verjagen lassen.6
Bei den Larven des Tabakschwärmers funktioniert diese Verteidigung nicht,
da sie gegen das Nikotin immun sind. Nach der Speichel-Identifikation des
Angreifers beginnt die Pflanze eine Duftproduktion zu initiieren, die
speziell Weich-Wanzen anlockt. Treffen diese auf die Tabakschwärmer-
Larven, saugen sie diese aus und schaffen damit der Pflanze den lästigen
Fressfeind vom Leib.7 Der Tabak kann dabei sehr präzise den Speichel der
verschiedenen Pflanzenfresser unterscheiden und sendet selbst bei nah
verwandten Raupenarten unterschiedliche Duftsignale aus, die wiederum
unterschiedliche Fressfeinde dieser Raupen anlocken.8
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
5 Runyon et al. (2006) Volatile chemical cues guide host location and host selection by
parasitic plants. Science 313 (29): 1964-1967.
6 Baldwin (1999) Inducible nicotine production in native Nicotiana as an example of
adaptive phenotypic plasticity. Journal of Chemical Ecology 25: 330.
7 Halitschke et. al. (2008) Shared signals -'alarm calls' from plants increase apparency to
herbivores and their enemies in nature. Ecology Letters 11: 2434.
8 De Moraes et al. (1998) Herbivore-infested plants selectively attract parasitoids. Nature
393: 570573.!
!
12!
Das Dilemma der Tabakpflanze ist, dass der Tabakschwärmer sowohl
Fressfeind als auch Hauptbestäuber ist. Der Falter, der durch einen im
Nektar befindlichen Duftstoff angelockt wird, legt beim Nektartrinken seine
Eier auf die Pflanze, aus denen nach wenigen Tagen hungrige Larven
schlüpfen. Bei einem zu hohen Befall dieser Larven, stellt die Pflanze
innerhalb von wenigen Tagen ihre Blühzeit von Nacht auf Tag um. Dabei
verändert sie sowohl die Blütenform als auch Nektarmischung, die nun
andere Geruchsstoffe beinhaltet. Diese ziehen nun nicht mehr den
nachaktiven Falter, sondern den tagaktiven Kolibri an, der daraufhin als ihr
neuer Hauptbestäuber fungiert.9
Kommunikation
Nicht nur zwischen Pflanzen und Insekten findet Kommunikation statt,
sondern auch zwischen den Pflanzen selbst.
Genauso wie die eben beschriebene Tabakpflanze lockt auch die Limabohne
die Feinde ihrer Feinde an, wenn sie attackiert wird. Greifen sie
beispielsweise Heuschrecken und Blattkäfern an, sondert sie einen süßen
Nektar unter den Blattstämmen des angegriffenen Blattes und der
benachbarten Blätter ab. Dieser lockt Ameisen an, die den Angreifer dann
vom Blatt schubsen. Interessanterweise bilden sich Nektartropfen nicht nur
bei der angegriffenen Limabohne, sondern auch bei unattackierten
Limabohnen in ihrer Nachbarschaft. Forscher des Max-Planck-Instituts für
chemische Ökologie fanden heraus, dass die Duftstoffe einer angegriffenen
Pflanze, leitet man sie direkt über einen Schlauch zu einer anderen, in
letzterer ebenso die Nektarabsonderung in Gang setzten. Die benachbarten
Pflanzen erkennen das Duftsignal der attackierten Pflanzen und reagieren
darauf, indem sie ihre Verteidigung aktivieren.
Es wird davon ausgegangen, dass der Geruchstoff in diesem Fall nicht
primär dafür produziert wird, die anderen Pflanzen zu warnen, sondern zur
effektiveren pflanzeninternen Informationsweiterleitung benutzt wird. Die
normale vaskulare Weiterleitung von Zelle zu Zelle ist bei räumlich
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
9 Kessler et al. (2010). Changing Pollinators as a Means of Escaping Herbivores. Current
Biology 20(3): 237-242.
!
13!
benachbarten Zweigen derselben Pflanze viel ineffektiver als das Signal
einfach durch die Luft zu schicken, sodass es sich in alle Richtungen vom
angegriffenen Blatt aus ausbreitet. Dieses Signal kann dann von anderen
Pflanzen “abgehört“ werden. 10 Andere Studien zeigen, dass durch
Geruchstoffe kodierte Informationen nicht nur von Pflanzen derselben
Spezies, sondern auch von anderen Pflanzenspezies erkannt werden
können.11 Pflanzen verfügen über keine Wörter, aber dafür über ein reiches
Vokabular an Gerüchen, durch das sie Informationen kodieren, die sie
ebenfalls, wie wir es mit Schall- oder Radiowellen tun, durch die Luft
schicken.
Lernen
Bisher haben wir gesehen, dass das Verhalten der Pflanzen nahelegt, dass
sie Sinneswahrnehmungen haben, dass sie differenziert auf verschiedene
Stressfaktoren intelligent reagieren können und Signale von anderen
Pflanzen verstehen. Jetzt werde ich ein Beispiel präsentieren, das nahelegt,
dass die getesteten Pflanzen aus Erfahrungen lernen konnten.
Lernen ist nicht direkt beobachtbar, man versucht es dadurch festzustellen,
ob sich ein beobachtetes Verhalten eines Organismus aufgrund von
vergangenen Erfahrungen verändert. An der University of Western Australia
hat man sich gefragt, ob Pflanzen zu der elementarsten Form des Lernens,
der Habituation, fähig sind. Die Habituation ist ein Anpassungsprozess
eines Organismus mit dem Ziel, sich nur auf die wichtigen Informationen
der Umwelt zu konzentrieren und Informationen herauszufiltern, die sich
über die Zeit wiederholt als unwichtig und harmlos erwiesen haben.12
Als Versuchskaninchen wurde die Mimose ausgewählt, die dafür bekannt
ist, dass sie bei Berührung zum Schutz ihre Blätter zusammenklappt. Dies
ist ein sehr kostspieliger Schutzmechanismus, da es ihre Photosynthese-
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
10 Heil & Kost (2006) Herbivore-induced plant volatiles induce an indirect defence in
neighbouring plants, Journal of Ecology 94: 619628.
11 Karban & Maron. (2002) The fitness consequences of interspecific eavesdropping between
plants. Ecology 83: 1209 1213.!
12 Abramson (1994) A Primer of Invertebrate Learning. Washington : American
Psychological Association. 106.
!
!
14!
Leistung fast um die Hälfte reduziert. Es ist daher für den Energiehaushalt
der Pflanze von großer Bedeutung harmlose Reize von wichtigen zu
unterscheiden. Die Forscher ließen die Mimosen aller 5 Sekunden insgesamt
60mal aus einer Höhe von 15 cm herunterfallen, um herauszufinden, ob sie
lernen, dass dieser Reiz keine Gefahr darstellt. Anfangs falteten die
Mimosen, wie erwartet, ihre Blätter nach der Erschütterung sofort
zusammen und ließen sie auch geschlossen, als sie wieder hochgehoben
wurden. Schon nach dem circa sechsten Mal aber, begannen sie ihre Blätter
beim Hochheben wieder zu öffnen und irgendwann ließen sie komplett
unbeeindruckt vom Fall ihre Blätter ganz offen. Dass es sich dabei um ein
Erschöpfungsphänomen handelt, wurde ausgeschlossen: Schüttelte man sie
und setzte sie somit einem neuen Reiz aus, falteten sie ihre Blätter wieder
zusammen. Ließ man sie danach wieder fallen, reagierten sie dagegen
wieder nicht. Bis zu 28 Tage später konnten sich die Mimosen noch an die
Gefahrlosigkeit des Herunterfallens erinnern und zeigten keinerlei Reaktion
darauf.13 Das ist länger als bei manchen Tieren, Bienen erinnerten sich bei
ähnlichen Tests beispielsweise nur 48 Stunden.14
Erkennung von sich selbst und Verwandten
Auch sich selbst von anderen unterscheiden zu können ist kein rein
tierisches Vermögen. Das beweisen Pflanzen neben dem verbreiteten
Vermeiden von Selbstbestäubung auch dadurch, dass ihre Wurzeln bei der
Begegnung mit eigenen Wurzeln ein anderes Verhalten als bei der
Begegnung mit fremden Wurzeln zeigen.15 Aber nicht nur das, sie können
sogar Verwandtschaft erkennen. Das fanden kanadische Botaniker der
McMaster University heraus. Dafür ließen sie sowohl verwandte als auch
nicht-verwandte Keimlinge jeweils zusammen in Töpfen wachsen. Die
nicht-verwandten Keimlinge produzierten deutlich mehr Wurzeln als die
verwandten Keimlinge, die dadurch weniger um Wasser und Nährstoffe
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
13 Gagliano et al. (2014) Experience teaches plants to learn faster and forget slower in
environments where it matters. Oecologia 175 (1): 63-72.
14 Aiken (2010) Age and Behaviour Related Changes in Responsiveness to Sensory
Stimuli; Effects on Learning and Memory in the Honey Bee, Apis mellifera (Thesis, Master
of Science). University of Otago.
15 Chen et al. (2012) Detect thy neighbor: Identity recognition at the root level in plants.
Plant Science 195: 157167.
!
15!
miteinander wetteiferten. Wie genau die Pflanzen das erkannt haben, ist
noch unbekannt.16
3.3 Pilznetzwerk
Aber nicht nur mit ihren Nachbarn können Pflanzen interagieren, manchmal
auch durch einen ganzen Wald hindurch. Wissenschaftler der British
Columbia University fanden in den Wäldern, die sie untersucht haben,
heraus, dass alle Bäume über ein Pilznetzwerk miteinander verbunden sind.
Dabei handelt es sich um eine Symbiose zwischen Pilzen und
Baumwurzeln. Die Pilze ermöglichen durch ihre dichte Verästelung eine
noch bessere Ausbeutung des Bodens, wofür sie als Gegenleistung von den
Bäumen Kohlenstoff erhalten, den sie nicht selber produzieren können. Die
Bäume kostet das insgesamt weniger Kohlenstoff als das dementsprechende
Ausbilden von eigenen Wurzeln.17
Doch Symbiosen zwischen Organismen in der Natur sind weit verbreitet
und diese bei 80% aller Landpflanzen bekannte Mykorrhiza scheint jetzt
erstmal nichts Besonderes zu sein. Das Erstaunliche ist aber, dass die
Bäume die Pilze nicht nur zur besseren Ausbeutung des Bodens benutzen,
sondern auch um ihren Nachwuchs zu unterstützen, mit anderen
Pflanzenspezies Tauschhandel zu betreiben, sich gegenseitig vor
Schädlingsbefall zu warnen und um andere Pflanzen anzugreifen.
Unterstützung des Nachwuchs
Dass Eltern ihre Kinder aufziehen, ist unter Wirbeltieren weit verbreitet, bei
wirbellosen Tieren hingegen ist diese Lebensweise weitaus seltener
anzutreffen und steigt man noch weiter die phylogenetische Leiter hinab,
dürfte dieses noble Verhalten doch gänzlich verschwunden sein, oder?
Die eben genannten kanadischen Wissenschaftler waren da nicht so
pessimistisch. Sie verabreichten einem älteren Baum über luftdichte
Plastiktüten, die sie um seine Äste stülpten, radioaktiv markiertes
Kohlenstoffdioxid, damit dieser es in seinen Blättern über Photosynthese in
Traubenzucker umwandelt. Wo es dann mit dem Traubenzucker hingeht,
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
16 Dudley & File (2007) Kin recognition in an annual plant. Biology Letters 3: 435- 438.!
17 Smith & Read (1997) Mycorrhizal Symbiosis. San Diego: Academic Press. 3.
!
16!
war die Frage. Als die Forscher wenige Tage später zurückkamen, um mit
einem Geigerzähler die Verbreitung der radioaktiv markierten
Kohlenstoffatome zu untersuchen, stellten sie fest, dass bei allen Bäumen in
der Umgebung der Geigenzähler knackte, vor allem bei den jüngsten
Bäumen, die aufgrund der starken Beschattung selber noch nicht genügend
Kohlenstoff produzieren konnten.18
Handel
Nicht nur zwischen Pflanzen derselben Art findet ein Ressourcenaustausch
statt. Dieselben kanadischen Forscher fanden heraus, das Pflanzen auch mit
artfremden ebenso mit dem Pilznetzwerk verbundenen Pflanzen Wasser und
Nährstoffe austauschten. Sie beobachteten, dass die Papier-Birken die in
ihrer Umgebung wachsenden jungen Douglas-Kiefern vor allem im Sommer
mit wichtigen Nährstoffen versorgten, während die Birken von älteren
Douglas-Kiefern im Frühling und Herbst, als sie selbst blätterlos waren und
keine Photosynthese mehr betreiben konnten, auf dieselbe Weise unterstützt
wurden.19
Warnen
Aber nicht nur zum Ressourcen- sondern auch zum Informationsaustausch
wird das wood wide web verwendet. Wie wir bereits wissen, kann die
Information über einen Schädlingsbefall über Duftstoffe übertragen werden.
Botaniker der University of Aberdeen konnten nachweisen, dass auch
Pilznetzwerke benutzt werden, um diese Information weiterzuleiten.
Luftdicht von einander abgeschirmte Bohnenpflanzen, die mit einer mit
Läusen infizierten Bohnenpflanze über ein Pilznetzwerk in Kontakt waren,
produzierten Geruchstoffe die Läuse abschrecken und deren Fressfeinde
anziehen. Bohnen-Pflanzen, die nicht in Kontakt mit dem Pilznetzwerk
standen, blieben dagegen stumm.20
Angriff
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
18 Simard in What Plants Talk About. 44:00-52:00 (URL:
https://www.youtube.com/watch?v=rrG-42uCDj4)
19 Simard & Jones (2010) Pathways for below-ground carbon transfer between paper birch
and douglas-fir seedlings. Plant Ecology & Diversity 3 (3): 221-233.
20 Babikova et al. (2013) Underground signals carried through common mycelial networks
warn neighbouring plants of aphid attack. Ecology Letters 16: 835843.
!
17!
Aber nicht nur für gute Zwecke wird das Pilznetzwerk gebraucht.
Wissenschaftler der Freien Universität Berlin konnten sogar kürzlich
nachweisen, dass Pflanzen andere Pflanzen über das Pilznetzwerk auch
angreifen. Einige Pflanzen, wie beispielsweise der Wallnussbaum,
produzieren Gifte, die sie über ihre Wurzeln oder das Laub an den Boden
abgeben. Die Wirkung dieses Gifts lässt Pflanzen in der direkten Umgebung
langsamer wachsen oder ganz eingehen. Hat ein Wallnussbaum Zugang zu
einem Pilznetzwerk, wird er das Gift auch darüber weiterverbreiten und
erreicht so höhere Giftmengen in seinen Nachbarpflanzen, da die
Verbreitung über solche Netzwerke effektiver ist, als die über den Boden.21
Gerade haben wir also gelernt, dass Pflanzen sowas wie ein eigenes Internet
haben, über das sie Informationen und Nährstoffe austauschen, aber auch
angreifen können. Dass sie sich selbst und ihre eigene Familie erkennen
können. Dass sie lernen können wichtige von unwichtigen Reizen zu
unterscheiden. Dass Pflanzen sich auf viele Arten gegen Fressfeinde
intelligent verteidigen können, wobei sie ihre Verteidigung auf den
spezifischen Angreifer anpassen und dass sie alle Sinne besitzen, die wir
auch besitzen: Sehen, Gravitationssinn, Tasten, Hören, Riechen,
Schmecken. Zusammen mit den zahlreichen Sinnen, die wir jetzt nicht
behandelt haben (z.B. Sinn für pH-Wert, Temperatur, Feuchtigkeit) hat die
Evolution Pflanzen bestens auf ihre sesshafte Lebensweise angepasst.
Jemand der nicht einfach woanders hingehen kann, muss sich optimal an
Veränderungen in seiner Umgebung anpassen können. Das ist die ganz
eigene Intelligenz der Pflanzen.
Was folgt nun aus dieser Intelligenz? Ist es möglich aus diesen neuen
Erkenntnissen bestimmte Konsequenzen abzuleiten? Vielleicht sogar
Bewusstsein zu erschließen? Natürlich ist das möglich, aber dass das nicht
viel bringt, möchte ich im nächsten Abschnitt zeigen, in welchem ich
exemplarisch an einem Beispiel die Sprachspiele analysieren und mitspielen
werde, die sich aus diesen Erkenntnissen ergeben.
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
21 Achatz et al. (2014) Soil hypha-mediated movement of allelochemicals: arbuscular
mycorrhizae extend the bioactive zone of juglone. Functional Ecology 28: 10201029.
!
!
18!
4. Der NYT-Artikel / Argumente
Bevor wir uns gleich den philosophischen Treffern unserer Google-Suche
nach ‚plant consciousness’ zuwenden, möchte ich eine wichtige Sache
vorwegschicken: Ich glaube nicht daran, dass Argumente ein gutes Mittel
sind, um auf die Frage nach dem Pflanzenbewusstsein eine Antwort zu
finden. Das hat mehrere Gründe.
Zum einen hat das damit zu tun, dass bei Argumenten die Beziehung
zwischen Begriffen für ihr Funktionieren ausschlaggebender ist als die
Beziehung zwischen Begriffen und den Dingen, auf die sie verweisen. Wie
ich gleich an konkreten Beispielen zeigen werde, hat das zur Folge, dass die
ganze Diskussion relativ schnell in eine verkopfte und lebensferne
Sprachspielerei entartet.
Ein anderer Grund ist, dass unser Welterklärer Nummer Eins die
Naturwissenschaft Bewusstsein nicht wirklich greifen kann und sich
deshalb zwei kohärente Geschichten gegenüberstehen, die mit stumpfen
Argumenten aufeinander einschlagen, aber nichts gegeneinander ausrichten
können, weil heutzutage nur naturwissenschaftliche Evidenz in
Wissensfragen eine scharfe Waffe ist.
Der Hauptgrund aber, warum ich glaube, dass man mit Argumenten keine
Antwort auf die Frage nach dem Pflanzenbewusstsein findet, ist: weil
Argumente niemanden wirklich überzeugen. Damit werde ich mich aber erst
im nächsten und letzten Abschnitt dieser Arbeit beschäftigen. Jetzt erstmal
zu den eben erwähnten Geschichten, die sich bei diesem Thema
gegenüberstehen.
Was in ihnen erzählt wird und wie sie sich gegenseitig angreifen, behandele
ich anhand eines Artikels über Pflanzenbewusstsein aus der New York
Times, auf den wir stoßen, wenn wir auf den ersten philosophischen Beitrag
klicken, der uns bei unserer Google-Suche nach ‚plant consciousness’
angezeigt wird. Genau genommen behandle ich die Geschichten anhand des
Kommentar-Bereichs dieses Artikels, der so gut wie alle Argumente der
Pflanzenbewusstseinsdebatte enthält.
!
19!
In If Peas Can Talk, Should We Eat Them? (2014) beschäftigt sich der
Philosoph Michael Marder mit den ethischen Problemen, die aufkommen,
wenn Pflanzen ein Bewusstsein zugesprochen wird. Er stellt fest, dass nach
den neuesten Erkenntnissen aus der Botanik ein Umdenken in Bezug auf
Pflanzen erforderlich ist und fragt sich, ob es ethisch vertretbar ist
Lebewesen, die miteinander kommunizieren und sich erinnern können, so
zu instrumentalisieren, wie wir es mit Pflanzen tun.22
Diese ganze ethische Seite der Debatte werde ich aber außer Acht lassen,
denn das würde nochmal ein viel zu großes Fass aufmachen. Mich
interessiert in diesem Abschnitt lediglich ob Pflanzen ein Bewusstsein
haben und wie dafür und dagegen argumentiert wird.
4.1 Zwei Geschichten
Grob gesprochen stehen sich bei diesem Thema wie gesagt zwei
Geschichten gegenüber. 23 Auf der einen Seite die Geschichte, die ich im
ersten Teil erzählt habe: dass Pflanzen Subjekte ihres eigenen Lebens sind,
dass sie ihre Umwelt subjektiv wahrnehmen und intentional auf das Erlebte
reagieren, genauso wie Tiere. Nennen wir sie die Pflanzenbewusstsein-
Geschichte und geben ihr die Farbe .
Auf der anderen Seite steht die Geschichte der biologischen Automaten, auf
die sich folgender Kommentar bezieht. Nennen wir sie die Automaten-
Geschichte und geben ihr die Farbe .
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
22 Marder (2012) If Peas Can Talk, Should We Eat Them? (URL:
http://opinionator.blogs.nytimes.com/2012/04/28/if-peas-can-talk-should-we-eat-them/)
23 Es gibt zwei Gründe, warum ich von Geschichten und nicht von Positionen spreche.
Erstens drücken sich die verschiedenen Standpunkte durch die Art und Weise aus, wie
derselbe Sachverhalt erzählt wird und zweitens positionieren sich die wenigsten Menschen
wirklich zur Pflanzenbewusstseinsfrage. Man positioniert sich zu etwas in einer Diskussion
oder wenn man danach gefragt wird, aber das Thema ist im Gegensatz zur
Tierbewusstseinsfrage so marginal, dass die Konfrontation damit kaum vorkommt.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass es Geschichten gibt, die unser Verhalten gegenüber
Pflanzen beeinflussen. Geschichten, die direkt oder indirekt erzählt werden und sich im
Verhalten der Menschen gegenüber den Pflanzen zeigen und viel mehr Einfluss auf andere
Menschen haben als Positionen.
!
20!
In dieser Geschichte sind alle Facetten des komplexen Pflanzenverhaltens
(Nahrungssuche, Verteidigung, Kommunikation, Lernen und alle sonstigen
Reaktionen auf Umweltfaktoren) lediglich biochemische Reaktionsketten,
die durch Gene ausgelöst werden, die aufgrund ihrer Nützlichkeit
evolutionär positiv selektiert wurden. In dieser Geschichte gibt es keine
Agenten, die auf eine subjektiv erlebte Umwelt intentional reagieren, für die
es irgendwie ist, sie selbst zu sein, sondern es gibt lediglich biologische
Automaten.
Das wirkt wie eine völlig andere Geschichte, ist es aber gar nicht so sehr.
Die evolutionäre Entstehung und die biochemischen Prozesse, die dem
Pflanzenverhalten zugrunde liegen, sind auch Teil der ersten Geschichte. In
ihr kommt aber noch die ganze mentale Ebene - also Intention und
Bewusstsein - dazu, welche die zweite Geschichte negiert.
Beide Geschichten funktionieren innerhalb unseres naturwissenschaftlichen
Weltbilds, da die Naturwissenschaften – also Biologie, Chemie, Physik,
Astronomie und Geologie - lediglich die materielle Ebene beschreiben, die
ja bei beiden Geschichten dieselbe ist. Über das Vorhandensein oder Nicht-
Vorhandensein mentaler Phänomene macht sie keine Aussagen. Nicht weil
das esoterisch wäre, sondern weil sie aufgrund ihrer besonderen Methode
eben nur materielle Phänomene untersucht. Dieses Schweigen der
Naturwissenschaft öffnet den Raum für unsere beiden Geschichten, die
daher beide im Einklang mit ihr erzählt werden können.
Wenn nun jemand aus der Pflanzenbewusstsein-Geschichte bestimmte
Konsequenzen ziehen will, im Fall von Michael Marder moralische
Konsequenzen, beschreitet er damit das Spielfeld der Argumente und
Positionen. Im Folgenden werde ich mich mit den verschiedenen
Argumenten beschäftigen, mit denen in der Arena gegeneinander angetreten
!
21!
wird. Ich werde mit den Schwächsten beginnen und jeden Unterabschnitt
ein Gang höher schalten.
4.2 Falsche Sprache
Das Vorhandensein bzw. das Nicht-Vorhandensein der mentalen Ebene
macht sich in der Art bemerkbar, wie die Geschichten erzählt werden. Wo
die einen kommunizieren sagen, sagen die anderen signalisieren. Wo die
einen von Hören sprechen, sprechen die anderen von Reaktionen auf
akustische Signale. Wörter, die die Lebenswelt eines bewussten Agenten
beschreiben, stehen Wörtern gegenüber, die einen seelenlosen Mechanismus
schildern.
Die einfachste Kritik an der Pflanzenbewusstsein-Geschichte ist daher, dass
sie mit einer falschen oder ungenauen oder metaphorischen Sprache erzählt
wird und nur deshalb moralische Konsequenzen zu folgen scheinen.
Pflanzen würden vermenschlicht und Metaphern wörtlich genommen.
Vermenschlichung oder auch Anthropomorphismus bedeutet, dass einer
nicht-menschlichen Erscheinung (z.B. Tier, Gegenstand, Naturgewalt)
Eigenschaften zugesprochen werden, die eigentlich nur Menschen besitzen.
Das, was in der fiktionalen Literatur als ein Stilmittel angesehen wird, ist in
der Wissenschaft als romantische Projektion verschrien. Dieser von Richard
gemachte Anthropomorphismus-Vorwurf, gründet auf der Annahme, dass
nur Menschen und vielleicht auch ein paar Tiere, aber auf gar keinen Fall
Pflanzen Bewusstsein besitzen und sagt damit erstmal nichts
Substantielleres als: die Pflanzenbewusstsein-Geschichte ist falsch, weil die
Automaten-Geschichte richtig ist. Symmetrisch dazu verhält sich folgender
Vorwurf, diesmal in Richtung Automaten-Geschichte:
!
22!
Michelle kritisiert, dass der Mensch aus einer Überheblichkeit heraus sich
als etwas Besonderes in der Natur sieht und dabei übersieht, dass andere
(wenn nicht alle) Lebewesen auch Bewusstsein besitzen. Beide Vorwürfe
Anthropomorphismus und Anthropozentrismus - beziehen sich auf eine
vermeintliche psychologische Schwäche des Menschen, die ihn davon
abhält die Wahrheit zu erkennen. Aber im Grunde ist das nichts anderes, als
dass jeder nochmal seine eigene Geschichte wiederholt, weil sie sich
dasjenige als Fehler vorwerfen, worin sie ja gerade uneinig sind.
Bei Cliffs Metaphern-Vorwurf gilt das Gleiche. Zu sagen, dass eine Pflanze
kommuniziert, ist ja nur dann eine Metapher, wenn man vom Gegenteil
ausgeht und es nur der Einfachheit halber sagt oder weil einem grad kein
besseres Wort einfällt. Aber diejenigen, die die vermeintliche Metapher
benutzen, glauben ja an pflanzliche Subjektivität und benutzen es daher
nicht als Metapher. All diese Argumente haben wenig Substanz, die
nächsten dagegen schon ein bisschen mehr.
4.3 Begriffsausweitung
Ellie hat Recht damit, dass ein zu weit ausgedehnter Begriff vage wird.
Wenn wir Pflanzen intelligent nennen, weil sie auf ihre Umwelt reagieren,
!
23!
wie nennen wir dann die hochkomplexe menschliche Intelligenz? Wenn wir
es Erinnerung nennen, wenn Pflanzen gegen einen bestimmten Reiz
abgestumpft werden, wie nennen wir dann unsere detailreiche Erinnerung
an verschiedenste Gerüche, Geschmäcker und Geräusche eines bestimmten
Zeitpunkts an einem bestimmten Ort? Warum nennen wir es denn gleich,
wenn es doch offensichtlich klare Unterschiede gibt? Warum nennen wir es
nicht einfach anders?
Da weder Herr Marder noch einer der 374 übrigen Kommentatoren auf
diese Kritik geantwortet haben, möchte ich in die Bresche springen: Wir
nennen es gleich, weil es sich dabei immer nur um eine graduelle
Veränderung von biologisch sehr ähnlichen Prozessen handelt, das Prinzip
jedoch das gleiche ist. Der Begriff soll genau jenes Prinzip beschreiben, das
allen Lebewesen gemeinsam ist. Interessanterweise hat man bei anderen
Begriffen des Lebendigen keine so großen Probleme sie auf andere Reiche
zu übertragen. Von der Amöbe über die Pflanze bis zum Menschen, alle
pflanzen sie sich fort, ernähren sich, atmen, verteidigen sich gegen
Fressfeinde, usw. Und das obwohl, wenn man mal die Fortpflanzung
betrachtet, es riesige Unterschiede zwischen der Zellteilung der Amöben,
der Bestäubung der Pflanzen und dem Sex der Menschen gibt. Dennoch
wird ein gemeinsamer Begriff akzeptiert, weil es grundsätzlich auf
demselben Prinzip beruht und wir alle aus denselben Bausteinen sind, was
uns ja überhaupt erst dazu gebracht hat, uns alle in die gemeinsame
Kategorie Lebewesen einzuordnen.
Reductio ad absurdum
Die Strategie der Begriffsausweitung wird aber auch gegen die
Pflanzenbewusstseins-Geschichte ins Feld geführt: mittels Reductio ad
absurdum Argumenten. Hier werden bewusstseinsimplizierende Aktionen,
wie beispielweise kommunizieren, so weit ausgedehnt, dass sie von
vermeintlich nicht-bewussten Dingen ausgeführt werden, wie beispielsweise
Maschinen, was zu einem Widerspruch führt. Daraus wird dann
geschlossen, dass die vermeintlich bewusstseinsimplizierende Aktion eben
kein Bewusstsein impliziert. Beispielsweise hier:
!
24!
Dass solche Argumente erstmal funktionieren, liegt an der Schwäche
sprachlicher Argumentationen, die ich eingangs erwähnt habe. Nämlich,
dass es bei Argumenten eher um Beziehungen zwischen Begriffen und nicht
um die Beziehung zwischen Begriffen und denjenigen Sachen geht, die sie
beschreiben wollen.
Wenn Bill sagt ‚Computer kommunizieren auch’, bezieht er sich nicht
darauf, dass die tatsächliche Art und Weise, wie Computer miteinander
Informationen austauschen, stark der Art und Weise, wie Pflanzen
miteinander Informationen austauschen, ähnelt, sondern, dass man genauso
wie von Pflanzen von Computern sagt, dass sie kommunizieren.
Bei Bills Argument geht es also um gleichen Wortgebrauch. Bei Tieren,
Pflanzen und Computern ist es gebräuchlich von Kommunikation zu
sprechen. Demjenigen aber, der sagt, dass Pflanzen wie Tiere
kommunizieren und deshalb ein Bewusstsein haben, geht es nicht um
gleichen Wortgebrauch, sondern um faktische Ähnlichkeit der bezeichneten
Prozesse. Die faktische Ähnlichkeit zwischen Computer-Kommunikation
und pflanzlicher Kommunikation ist kaum vorhanden, wobei sie zwischen
pflanzlicher und tierischer Kommunikation frappierend ist.
Aber dieser Unterschied der faktischen Ähnlichkeit wird überblendet durch
denselben Begriff, denn wenn man miteinander spricht oder einen Text liest,
sind die Begriffe alles, was da ist. Die drei verschiedenen
Kommunikationsarten - Tier, Pflanze, Computer sind nicht präsent oder
sichtbar. Wären sie in ihrer faktischen Natur präsent, würde man sich dieser
signifikanten Differenz bewusst sein und das Gegenargument wäre
lächerlich. Aber wir lesen oder hören nur die Begriffe und nicht das, was die
Begriffe bezeichnen. Deshalb funktioniert alles als Gegenargument, dass die
Eigenschaft besitzt kein Bewusstsein zu haben und von dem man sagen
kann, dass es kommuniziert, egal wie diese Kommunikation aussieht. Sogar
Atome und Elektronen:
!
25!
Die Beweislast wird der anderen Partei zugeschoben, die dann genug über
Physik und Biologie wissen muss, um erklären zu können, warum das ganz
offensichtlich eine falsche Äquivalenz ist.
Ich versuch es mal, an der Behauptung, dass Pflanzen sich gegenseitig
warnen: Auf der einen Seite wird das Phänomen, dass Blattfraß in der
Pflanze ein chemisches Signal auslöst, welches bei Nachbarpflanzen eine
erhöhte Verteidigungsbereitschaft bewirkt, mit dem Phänomen verglichen,
dass Tiere, die einen Feind identifizieren, über akustische oder visuelle
Signale in anderen Tieren eine erhöhte Verteidigungsbereitschaft bewirken.
In beiden Fällen geht es darum, dass Lebewesen mit ihrem
Kommunikationsrepertoire anderen Lebewesen helfen, ihre
Überlebenschancen zu erhöhen.
Auf der anderen Seite wird dann versucht die pflanzliche Interaktion auf
eine Stufe damit zu stellen, dass ein lebloses Teilchen aufgrund seiner
Masse ein anderes lebloses Teilchen anzieht. Die faktische Gemeinsamkeit
ist hier, dass in beiden Fällen eine Sache irgendwie eine andere Sache
beeinflusst.
Und trotzdem funktioniert es: es neutralisiert bzw. entwertet erstmal die
vorher gemachte Behauptung, dass Pflanzen intentional miteinander
kommunizieren. Sodass derjenige der nicht weiterdenkt oder der einfach
nicht soviel Ahnung von Biologie und Physik hat, nicht begreift, dass das
Argument lediglich über die Begriffsebene funktioniert. Darüber, dass man
in beiden Fällen von Interaktion sprechen kann.
Im selben Atemzug mit Computern und Elektronen werden meistens auch
Bakterien als Beispiel für nichtbewusste Kommunikatoren genannt:
!
26!
Im Gegensatz zur Computer-Kommunikation oder Teilchen-Interaktion ist
die Bakterien-Kommunikation aber schon ziemlich nah an der Pflanzen-
Kommunikation dran.
Bakterien kommunizieren miteinander über das sogenannte quorum sensing,
was ihnen ermöglicht die Bevölkerungsgröße von arteigenen sowie
artfremden Bakterien auszumachen. Das ist eine wichtige Information für
sie, da viele ihrer Verhaltensweisen nur ab einer bestimmten
Bevölkerungsgröße sinnvoll sind, wie beispielsweise Biolumineszenz oder
Virulenz. Das ganze läuft so ab, dass alle Bakterien einer Gruppe ein
bestimmtes Molekül an ihre Umgebung abgeben und sich dabei fleißig
teilen. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr Bakterien produzieren das Molekül
und desto mehr Moleküle schwirren in der Umgebung rum. Ab einem
bestimmten Schwellenwert wird durch diese Moleküle schließlich ein
gemeinsames Verhalten ausgelöst. Die Moleküle zur intra-spezifischen
Zählung sind von Art zu Art verschieden. Es gibt aber auch ein Signal-
Molekül, das bei allen Bakterien gleich ist. Dieses dient ihnen dazu die
Bevölkerungsgröße von art-fremden Bakterien in ihrer Umgebung zu
überwachen.
Dieses Phänomen ist auf jeden Fall dieselbe Art von Kommunikation, die
auch bei Pflanzen stattfindet und wer Pflanzen deswegen Bewusstsein
unterstellt, der dürfte nicht bei den Bakterien halt machen. Abgesehen
davon, dass das bei Pflanzen nicht der einzige Grund war Bewusstsein
zuzuschreiben, ist die Frage angebracht, warum bewusste Einzeller
eigentlich so problematisch wären. Einzellige Eukaryoten24, wie Protisten
oder bestimmte Pilze, zeigen doch überaus intelligentes Verhalten.
Es ist seit langem bekannt, dass Pantoffeltierchen mindestens Schwerkraft,
Berührungen, Temperatur und Licht wahrnehmen können. 25 26 27 28 Sie
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
24 Man unterteilt Lebewesen in Eukaryoten, Bakterien und Archaeen. Letztere beiden
besitzen keinen Zellkern, bei ihnen schwimmt die DNA im Zytoplasma rum. Sie können
auch nicht als mehrzellige Organismen auftreten. Eukaryoten dagegen haben einen Zellkern
und unter sie fallen neben Einzellern auch mehrzellige Organismen (Tiere, Pflanzen und
Pilze).
25 Machemer & Bräucker (1992) Graviperception and graviresponses in ciliates. Acta
Protozoologica 31: 185-214.
!
27!
verteidigen sich, indem sie Nadeln aus ihrem Körper schießen und sind sie
mal von ihrem einzelligen Fressfeind Didinium angestochen worden,
zappeln sie solange herum bis sie ihn abgeschüttelt haben.2930
Auch die Fähigkeiten des einzelligen Schleimpilzes sind berüchtigt.
Japanische Forscher der Hokkaido Universität fanden heraus, dass er
Labyrinthe lösen und zeitlich sich wiederholende Umweltreize antizipieren
kann.
Beim ersten Experiment platzierten sie am Eingang und Ausgang eines
Labyrinths Futter und ließen den Schleimpilz sich vom Eingang her
ausbreiten. Nachdem er in alle Gänge gewachsen war und schließlich am
Ausgang ankam, zog er sich wieder aus den Sackgassen und Umwegen
zurück und verstärkte lediglich den kürzesten Weg zwischen beiden
Futterquellen.31
Im anderen Experiment setzten sie den Schleimpilz periodisch
wiederkehrenden negativen Umweltreizen aus. Der Schleimpilz reagierte
auf solche Reize indem er sein Wachstum einstellte. Nachdem er einige
Male immer im gleichen zeitlichen Abstand diesem Reiz ausgesetzt war,
antizipierte er die nächsten Male. Er stellte sein Wachstum im erlernten
Rhythmus ein, auch wenn die Forscher aufhörten den Reiz zu produzieren.
Erst nach einigen unnötigen Wachstumseinstellungen hörte er wieder damit
auf. Stimulierte man ihn dann aber erneut ein einziges Mal im richtigen
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
26 Naitoh & Eckert (1969) Ionic mechanisms controlling behavioral responses of
paramecium to mechanical stimulation. Science 164: 963965.
27 Henessey & Nelson (1979) Thermosensory Behaviour in Paramecium tetraurelia: a
Quantitative Assay and Some Factors that Influence Thermal Avoidance. Microbiology 112
(2): 337-347.
28 Colombetti (1990). New trends in photobiology: photomotile responses in ciliated
protozoa. Journal of Photochemistry and Photobiology B4: 243-259.
29 Harumoto & Miyake (1991) Defensive function of trichocysts in Paramecium. Journal of
Experimental Zoology 260 (1): 8492.
30 Didinium eats paramecium (URL: https://www.youtube.com/watch?v=rZ7wv2LhynM)
31 Nakagaki et al. (2000) Intelligence: Maze-solving by an
amoeboid organism. Nature 407: 470.
!
28!
zeitlichen Abstand, nahm der einzellige Pilz den alten Rhythmus wieder auf.
32
Jon D’s Argument, dass wenn Pflanzen Bewusstsein haben, auch Bakterien
und Einzeller Bewusstsein haben müssten, verliert konfrontiert mit
Phänomenen wie Problemlösen, Lernen, Jagen, Verteidigen und
Sinneswahrnehmung seinen absurden Charakter. Die angezielte Absurdität
bezieht sich sicher eher auf das Fehlen jeglicher Neuronen in Einzellern.
Damit werde ich mich im nächsten Abschnitt beschäftigen. Erstmal die
nächste und letzte Reductio ad absurdum, die uns nicht mehr so einfach
ermöglicht Bewusstsein einfach zuzugestehen:
What is it like to be a kidney? wäre sicher ein ziemlich erfrischendes
philosophisches Essay. Denn obwohl wir bei verschiedenartigsten
Lebewesen, von der Bakterie bis zum Pottwal, keine Schwierigkeiten haben
diese Frage zu stellen, überrascht es uns schon erstmal, wenn diese Frage in
Bezug auf ein Körperteil gestellt wird.
Dr J hat schon recht: Organe, wie beispielsweise Drüsen, senden genauso
wie Pflanzen chemische Signale aus, die das Verhalten anderer Organe
beeinflussen. Die Hypophyse gibt beispielsweise Thyreodropin ins Blut ab,
was die Schilddrüsen-Aktivität reguliert. Außerdem bestehen sowohl
Pflanzen als auch Organe aus lebenden Zellen. Der Umstand, dass diese
vermeintliche Kommunikation innerhalb unseres Körpers stattfindet ist auch
kein Ausschlusskriterium für Bewusstsein. Kommunizieren doch die
Bakterien unserer Darmflora ständig miteinander, sowie all die Parasiten in
unseren Gedärmen.
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
32 Saigusa et al. (2008) Amoebae Anticipate Periodic Events. Physical Review Letters 100
(1): 018101.
!
29!
Aber dennoch ist da doch noch ein großer Unterschied zur Kommunikation
zwischen Pflanzen. Bei Pflanzen interagieren Lebewesen miteinander und
im Fall der Organe Teile dieser Lebewesen. Es ist ein grundlegender
Unterschied, ob man die Kommunikation von pflanzlichen Lebewesen mit
der von tierischen Lebewesen vergleicht, oder die Kommunikation von
pflanzlichen Lebewesen mit der Kommunikation zwischen Teilen von
Lebewesen.
Lebewesen pflanzen sich fort, ernähren sich, betreiben Stoffwechsel,
verteidigen sich gegen Feinde usw. Organe tun nichts dergleichen, außer
man interpretiert die Blutzufuhr als Ernährung. Ungeachtet dessen, dass
Organe kein guter Bewusstseinskandidat sind, ist die Frage nach
Bewusstsein von Dingen, die wir eigentlich als Teile von uns sehen, meiner
Ansicht nach die aufregendste Frage in der Bewusstseinsforschung. Bei
Lebewesen ist sie langweilig, weil da ist es offensichtlich. Aber jeder, der
schon mal unterm Mikroskop gesehen hat, wie ein weißes Blutkörperchen,
welches von einer Amöbe übrigens nicht zu unterscheiden ist, eine Bakterie
jagt, die sich im Gegensatz zu den nicht gejagten Bakterien panisch durch
die kleinsten Lücken zwischen den roten Blutkörperchen drückt, oder
beobachtet hat, wie eine Nervenzelle mit ihren vielen kleinen Ärmchen sich
wie eine Wurzel tastend fortbewegt und anderen Nervenzellen ausweicht,
sobald sie auf sie trifft, der ertappt sich dabei, sich ungläubig als auch
staunend zu Fragen, ob dieses Leben nicht doch ein riesen Mysterium ist,
von dem wir noch nicht mal die erste Schicht richtig abgekratzt haben.
Zusammenfassung
Aber heben wir uns den Pathos lieber fürs Ende auf. In diesem
Unterabschnitt habe ich mich also damit beschäftig, wie durch
Begriffsausweitung sowohl für als auch gegen das Pflanzenbewusstsein
argumentiert werden kann. Vor allem die genannten Gegenargumente
werden häufig dazu benutzt, die Pflanzenbewusstseinsgeschichte zu
entwerten. Dies wird dadurch erleichtert, dass bei Argumenten, die
Verbindungen zwischen Begriffe sichtbarer ist, als die Verbindungen
zwischen Begriffen und den Sachen, auf die sie verweisen, was dazu führt,
dass es dabei eher um den Gebrauch von Begriffen, als um die Dinge geht,
!
30!
die diese Begriffe beschreiben. Wenn man aber die genauen Prozesse
analysiert, die hinter den Begriffen liegen, stellt man fest, dass es sich bei
den meisten dieser Argumente um eine falsche Äquivalenz handelt. Ich habe
versucht zu erklären, dass die Kommunikationsprozesse bei Nicht-
Lebewesen so verschieden sind, dass sie sich nicht mit den Prozessen der
Pflanzen und Tiere vergleichen lassen.
Die Kommunikationsprozesse bei Bakterien sind dagegen gut vergleichbar.
Wenn Kommunikation als hinreichende Bedingung für Bewusstsein und
Intention verstanden wird, müsste das auch Bakterien und Einzellern
zugestanden werden. Was aber in Anbetracht ihres intelligenten Verhaltens
und ihrer Sinnesfertigkeiten auch gar nicht problematisch ist. All diese
Prozesse sind aber nicht sichtbar, wenn das Argument stattfindet, und das
große Problem ist, dass Argumente daher viel zu einfach in die Irre führen
können, weil sie nicht nah am Leben bleiben müssen. Das ist eine große
Schwäche der argumentativen Annährung an jegliches Thema.
4.4 Nervensystem
Im nächsten Argument wird sich nicht über Begriffe gestritten, sondern
direkt über die Physiologie der Pflanzen. Es ist eins der stärksten
Argumente gegen die Pflanzenbewusstsein-Geschichte: Pflanzen besitzen
weder ein Nervensystem noch ein Gehirn und erfüllen damit nicht die
notwendige Bedingungen für Bewusstsein.
Das scheint der Todesstoß für die Pflanzenbewusstsein-Geschichte zu sein
und ist daher eins der Lieblingsargumente der Vegetarier. Schauen wir uns
das Argument genauer an. Es geht von zwei Sachen aus: Erstens, dass
Pflanzen weder Nervensystem noch Gehirn haben. Zweitens, dass
Nervensystem und Gehirn notwendige Bedingungen für Bewusstsein sind.
!
31!
Konzentrieren wir uns erstmal auf das Problem des fehlenden
Nervensystems.
Kein Nervensystem?
Interessanterweise wird sich seit ein paar Jahren in der internationalen
Pflanzenforscher-Gemeinde darüber gestritten, ob Pflanzen ein
Nervensystem besitzen oder nicht. Die kritischen Stimmen erkennen zwar
die signifikante Menge an Evidenz für ein Nervensystem an, haben aber
Probleme damit, es so zu nennen, da sie diesem teils noch sehr
unerforschten Bereich nicht zu früh ein möglichweise irreführendes
Konzept aufdrücken wollen, und sprechen lieber von
Signalweiterleitungssystem. 33 Als Naturwissenschaftler sind sie
nachvollziehbarerweise konservativ, wenn es um neue Paradigmen geht,
und halten es für überstürzt und problematisch gleich mit Analogien aus
dem Tierreich aufzuwarten. Die andere Seite dagegen argumentiert dafür,
dass es sich in der Vergangenheit als sehr nützlich erwiesen hat, sich von
analogen Konzepten leiten zu lassen und dass das intelligente Verhalten, das
man den Pflanzen in den letzten Jahren nachweisen konnte, bei Tieren eben
über ein Nervensystem gesteuert wird und es Anbetracht dieser Tatsache
das Naheliegendste ist auch in Pflanzen nach einem solchem zu suchen.34
Aufgrund der Kontroverse werde ich aber lediglich das präsentieren,
worüber man sich allgemein einig ist.
Seit 150 Jahren ist bereits bekannt, dass Pflanzen Aktionspotentiale
produzieren. 35 Sie werden über die Leitbündelzellen der Pflanzen
propagiert, die wie Nervenzellen spannungsempfindliche Ionen-Kanäle
besitzen, die sich bei einem Schwellenwert überschreitenden Ladung der
Membran öffnen und negativ geladene Chlorid-Ionen rauslassen, woraufhin
sich die elektrische Ladung der Zellmembran verändert, was man
Depolarisierung nennt. Durch diese Veränderung öffnen sich wiederum
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
33 Alpi et al. (2007) Plant neurobiology: no brain, no gain? Trends in Plant Science 12:
135136.
34 Brenner et al. (2007) Response to Alpi et al.: Plant neurobiology: The gain is more than
the name. Trends in Plant Science 12: 285286.
35 Brenner et al. (2006) Plant neurobiology: an integrated view of plant signaling. Trends in
Plant Science 11(8): 413419.
!
32!
Kanäle, um positive Kalium-Ionen rauszulassen, was zur Repolarisierung
der Membran führt.3637 Also ganz genauso wie bei Nervenzellen, nur dass
bei Tieren am Anfang nicht negativ geladene Chlorid-Ionen rausgelassen
werden, sondern positiv geladene Natrium-Ionen reingelassen werden. Das
hat denselben Effekt und ist ein schönes Beispiel dafür, dass in der Natur
die gleiche Wirkung mit anderen Stoffen auf eine ähnliche Weise erzielt
werden kann.
Es ist also bekannt, dass in Pflanzen Aktionspotentiale produziert werden
und worüber sie propagiert werden. Wie die elektrischen Signale allerdings
von Zelle zu Zelle weitergegeben werden, ist noch weitgehend unerforscht.
Bei Tieren erfolgt das in den meisten Fällen über
Neurotransmitterausschüttung in den synaptischen Spalt zwischen zwei
Nervenzellen. Es konnten zwar bereits schon Calcium empfindliche
Vesikel-Apparate, die bei Tieren die Funktion haben, Neurotransmitter in
den synaptischen Spalt abzugeben, und alle wichtigen tierischen
Neurotransmitter in Pflanzen nachgewiesen werden 38 (Glutamat,
Acetylcholin, GABA, Melatonin, Serotonin, Dopamin), von denen die
meisten bei Tieren nur diese einzige Neurotransmitter-Funktion ausüben.
Da aber der Mechanismus, wie die Aktionspotentiale von Zelle zu Zelle
übertragen werden, noch nicht identifiziert ist, ist es auch theoretisch
möglich, dass diese Stoffe andere Aufgaben in Pflanzen haben als in Tieren.
Nur bei Glutamat ist man sich schon ganz sicher, dass der Stoff mit der
Signalübertragung zu tun hat, da in Pflanzen ein Glutamat-Rezeptor
gefunden wurde, der bei Aktivität Ionenkanäle öffnet. Auch GABA und
Acetylcholin konnten bereits mit Signalübertragung in Verbindung gebracht
werden. 39
Zudem wurde bereits nachgewiesen, dass Aktionspotentiale in Pflanzen
Atmung, Photosynthese, Blattbewegungen und Verteidigung gegen
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
36 Gradmann (1998) Electrocoupling of ion transporters in plants: Interaction with internal
ion concentrations. Journal of Membrane Biology 166: 5159.
37 Brenner et al. (2006) Plant neurobiology: an integrated view of plant signaling. Trends in
Plant Science 11(8): 413419.!
38 ebenda.
39 ebenda.
!
33!
Fressfeinde steuern.40 Dass sie in hohem Maße direkt nach der Bestäubung
auftreten, dass sie durch Licht- und Mechanoreize induziert werden41 und
dass sie sich wie bei Tieren durch Narkosestoffe, wie Ether, unterbinden
lassen42, wodurch beispielsweise eine Mimose nicht mehr reagiert, wenn
man sie berührt. Und die Liste wächst mit zunehmenden Experimenten
immer weiter an. Auch einige der Rezeptorzellen, die physikalische und
chemische Umweltreize in elektrische Signale umwandeln, konnten schon
identifiziert werden, die meisten sind aber noch unbekannt.4344
Wenn man nun einen Neurowissenschaftler fragt, wie er ein biologisches
System nennen würde, dass physikalische Reize aufnimmt, in elektrische
Signale umgewandelt und über erregbare Zellen, vermutlich mithilfe von
Neurotransmittern, durch den Körper transportiert, und in welchem
Futtersuche, Atmung, Bewegung und Verteidigung gegen Fressfeinde durch
ebensolche elektrischen Signale gesteuert werden, der wird einem erst
zugestehen müssen, dass er das natürlich Nervensystem nennen würde, dann
aber ergänzen, das bisher nur die peripheren Funktionen dieses
Nervensystems beschrieben wurden. Womit er den Nagel auf den Kopf
trifft. Wir haben nämlich die ganze Zeit Phänomene beschrieben, die vor
und nach einer Signalverarbeitung stattfinden, über die Verarbeitung selbst
haben wir kein Wort verloren. Das liegt daran, dass es Pflanzenforschern
noch absolut schleierhaft ist, wie oder vor allem wo diese elektrischen
Signale verarbeitet werden.
Beim Tier übernimmt diese Aufgabe das zentrale Nervensystem, also neben
dem Rückenmark vor allem das Gehirn. Das ist bei allen zweiseitig
symmetrischen Lebewesen vom Wirbeltier bis zum Wurm ziemlich leicht
zu finden, nämlich immer im Kopf. Bei radial symmetrischen Tieren wie
Seesternen, Seeanemonen, Quallen oder unsymmetrischen Tieren wie
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
40 ebenda.
41 ebenda.
42 Grémiaux et al. (2014) Plant anesthesia supports similarities between animals and plants.
Plant Signaling & Behavior 9: e27886.
43 Engelberth et al. (1995) Functional anatomy of the mechanoreceptor cells in tendrils of
Bryonia dioica. Planta 196: 539-550.!
44 Briggs & Olney (2001) Photoreceptors in Plant Photomorphogenesis to Date. Five
Phytochromes, Two Cryptochromes, One Phototropin, and One Superchrome. Plant
Physiology 125 (1): 85-88.
!
34!
Schwämmen hat man schon viel mehr Schwierigkeiten das „Gehirn“
auszumachen.
Seesterne und Quallen haben so etwas wie einen Nervenring45 46 und
Seeanemonen ein sich durch den ganzen Körper ziehendes Nervennetz47.
Das hindert aber keinen von ihnen daran typisch tierische Verhaltensweisen
auszuüben, wie Revierkämpfe, Jagd sowie Identifikation und Flucht vor
Fressfeinden.484950 Durch dieses koordinierte Verhalten, beweisen sie, dass
die wahrgenommenen Reize irgendwo in ihrem Nervensystem verarbeitet
werden. Ohne dass die Wissenschaftler bisher eine Ahnung haben wo
genau, da sie keine deutliche Häufung an Nervenzellen ausmachen können.
Bei Schwämmen ist die Situation noch kurioser. Sie sind zusammen mit den
Scheibentieren die einzigen mehrzelligen Tiere, die überhaupt keine
Nervenzellen besitzen. Trotzdem beweisen neuste Untersuchungen, dass sie
aktiv Wasser in sich hineinpumpen51, ihre Kanäle schließen, sobald sie
schädigende Stoffe im einströmenden Wasser wahrnehmen52, sich - wenn
auch nur langsam - fortbewegen können53 und in regelmäßigen Abständen
kurzzeitig kontrahieren, um Abfallstoffe auszuscheiden54. Zudem konnten
sowohl Aktionspotentiale55 als auch Neurotransmitter wie Acetylcholin,
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
45 Grimmelikhuijzen & Westfall (1995) The nervous systems of cnidarians. EXS 72: 7-24.
46 Cobb (1987) Neurobiology of the echinodermata. In: Ali editor. Invertebrate Nervous
Systems. New York: Plenum Press. 483525.
47 Brusca & Brusca (1990) Invertebrates. Sunderland (MA): Sinauer.
48 Annett & Pierotti (1978) Foraging behavior and prey selection of the leather seastar
Dermasterias imbricata. Marine Ecology Progress Series 14: 197 -206.
49 Strand & Hamner (1988) Predatory behavior of Phacellophora camtschatica and size-
selective predation upon Aurelia aurita (Scyphozoa: Cnidaria) in Saanich Inlet, British
Columbia. Marine Biology 55 (3): 409-414.
50 Rudin & Briffa (2011) The logical polyp: assessments and decisions during contests in
the beadlet anemone Actinia equine. Behavioral Ecology 22: 1278-1285.
51 Tompkins-MacDonald & Leys. Glass sponges arrest pumping in response to sediment:
implications for the physiology of the hexactinellid conduction system Marine Biology 154
(6): 973-984.
52 ebenda.
53 Bond & Harris (1988). Locomotion of sponges and its physical mechanism. Journal of
Experimental Zoology 246: 271-284.
54 Nickel (2004) Kinetics and rhythm of body contractions in the sponge Tethya wilhelma
(Porifera: Demospongiae) The Journal of Experimental Biology 207: 4515-4524.
55 Leys et al. (1999) Impulse conduction in a sponge. The Journal of Experimental Biology
202: 11391150.
!
35!
Serotonin und Epinephrin in ihnen nachgewiesen werden56. Diese Tiere
weisen also auch ohne klassisches Nervensystem, ein durch elektrische
Signale gesteuertes, koordiniertes Verhalten auf, was die Wissenschaftler in
diesem Bereich vermuten lässt, dass selbst im Tierreich schon alternative
Nervensysteme existieren, die entweder die Vorgänger des klassischen
Nervensystems oder davon unabhängig entstandene Nervensysteme sind.57
Wir fassen also zusammen, dass die Abwesenheit eines klassischen Gehirns
d.h. einer deutlichen Häufung von erregbaren Zellen bei lebenden
Organismen nicht notwendig dafür ist, auf wahrgenommene Reize
intelligent zu reagieren und selbst im Tierreich verhaltenssteuernde
Nervensysteme nicht aus Neuronen bestehen müssen. So eine
Begriffsausweitung von einem biologischen Komplex auf einen zwar
strukturell verschiedenen aber funktionell gleichen Komplex ist übliche
naturwissenschaftliche Praxis. So werden beispielsweise die vom
menschlichen Gehirn strukturell sehr verschiedenen Nervenzellanhäufungen
im Kopf von Insekten ebenfalls Gehirn genannt, da sie dieselbe Funktion
ausüben. Das Gehirn der Pflanzen kann daher also einfach als der noch
unbekannte Teil in ihrem Nervensystem verstanden werden, der die Reize
der inneren und äußeren Sinneszellen verarbeitet und in ein Verhalten
integriert. Egal wie es aussehen mag.58
Gehirn notwendig für Bewusstsein?
Erinnern wir uns nochmal an Garrets Argument: Pflanzen haben kein
Bewusstsein, da sie erstens weder Nervensystem noch Gehirn haben und
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
56 http://mlmlblog.wordpress.com/2012/09/20/sponge-behavior-the-emergence-of-neural-
systems/
57 Leys et al. (1999) Impulse conduction in a sponge. The Journal of Experimental Biology
202: 11391150.
58 Es gibt einen schon lange nominierten Kandidaten: die Wurzelspitzen. Charles Darwin,
der in den letzten zehn Jahren seines Lebens, sich intensiv der Botanik zuwandte, beendete
sein einflussreiches Buch The Power of Movement in Plants mit dem Satz: It is hardly an
exaggeration to say that the tip of the radicle thus (…) acts like the brain of one of the
lower animals; the brain being seated within the anterior end of the body, receiving
impressions from the sense-organs, and directing the several movements.” Dieser
Hypothese wird heutzutage von verschiedenen Wissenschaftlern, wie Stefano Mancuso und
František Baluška, intensiv nachgegangen, die bereits nachweisen konnten, dass in
Wurzelspitzen die gehirn-typischen, elektromagnetischen Vibrationen messbar sind.
!
!
36!
zweitens genau dies notwendig für Bewusstsein ist. Wir haben gerade
gezeigt, dass wachsende Evidenz dafür spricht, dass Erstens nicht stimmt.
Ist Zweitens damit auch erledigt?
Sicher nicht so einfach. Das wäre es vielleicht, wenn Garret oder jeder
andere, der dieses Argument benutzt, ‚Gehirn’ als formales Konzept meint,
das auf alles angewandt werden kann, was in lebenden Systemen dieselbe
Funktion ausübt. Dann könnte man sagen: Man weiß zwar noch nicht wo
das Gehirn ist, aber dass sie eins haben, haben wir ja gerade gezeigt.
Es ist in diesem Argument aber nicht als formales Konzept gemeint. Das
sieht man daran, dass nicht allen Gehirn besitzenden Tieren Bewusstsein
zugesprochen wird bzw. es bei manchen vermeintlich schwieriger zu sagen
ist als bei anderen. Was nicht daran liegt, dass man sich bei ihnen nicht
sicher ist, ob ihr Gehirn Umweltreize verarbeitet und in ein Verhalten
integriert. Das steht außer Frage. Sondern es liegt daran, dass man nicht
sicher ist, ob ihr Gehirn komplex genug ist, um Bewusstsein zu erzeugen.
Was nichts anderes bedeutet, als dass man daran zweifelt, dass Gehirne, die
dem menschlichen Gehirn nicht mehr hinreichend ähneln, Bewusstsein
produzieren können.
Dieser Anthropozentrismus, der sicher auch als selbstverliebte
Überheblichkeit verstanden werden kann, beispielsweise wenn Garret von
„the most sophisticated object in the known universes“ spricht, hat aber vor
allem methodologische Ursachen. Er hat im Kern damit zu tun, dass unsere
höchste Wissensautorität, die Naturwissenschaft, aufgrund ihrer Methode
keinen Zugriff auf mentale Phänomene hat und damit wenig über sie
aussagen kann. Sie kann nicht objektiv messen, ob jemand Bewusstsein hat
oder nicht. Soweit waren wir vorhin schon als wir über die Ursache der
beiden Geschichten gesprochen haben. Warum es aber in der Wissenschaft,
im Besonderen in der empirischen Bewusstseinsforschung trotzdem dieses
anthropozentrische Moment gibt, hat mit der Ausnahme der Regel zu tun.
Es stimmt nicht ganz, dass wir nie objektiv wissen können, ob Lebewesen
Bewusstsein haben. Bei einem Lebewesen wissen wir es ganz sicher,
nämlich bei uns selbst. Dieses Wissen vermittelt uns aber keine
!
37!
wissenschaftliche Untersuchung, sondern direkte Einsicht. Diese durch
unser wortwörtliches Insiderwissen gestützte Sicherheit, dass Menschen
bewusst sind, konfrontiert mit der grundlegend durch die Methode
bedingten Unsicherheit, ob andere Lebewesen auch bewusst sind, resultiert
in einem abfallenden Sicherheitsgefälle vom Menschen weg die
phylogenetische Leiter hinunter.
Das sieht in der Praxis so aus: Man erforscht welche Gehirnaktivitäten in
welchen Gehirnarealen im Menschen das neuronale Korrelat von
Bewusstsein sind und guckt dann ob man diese oder homologe Areale mit
analogen neuronalen Dynamiken in anderen Lebewesen findet. Das
funktioniert bei Säugetieren ziemlich gut, da ihre Gehirne sich strukturell
nicht groß vom Gehirn des Menschen unterscheiden. Bei Tintenfischen oder
Insekten klappt das aber nicht mehr so gut. Nicht weil sie keine neuronale
Aktivität aufweisen, sondern weil ihre Gehirn einfach so verdammt anders
aussehen, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll nach homologen
Strukturen zu suchen.59
Eine andere aber wissenschaftlich weniger anerkannte Methode ist, einfach
auf das Verhalten zu gucken. Wenn Tiere intelligentes Verhalten zeigen,
dann geht man davon aus, dass sie Bewusstsein haben. Diese ethologische
Herangehensweise ist ebenfalls anthropozentrisch, da menschliche
Intelligenz als Maß genommen wird, sodass Organismen die menschlichere
Intelligenz als andere zeigen eher Bewusstsein zugesprochen wird.
Insgesamt fällt es bei dieser Methode aber einfacher zu überprüfen, ob die
Kriterien erfüllt sind, weil sich alle Lebewesen verhalten und man im
Gegensatz zur anderen Methode daher immer weiß, worauf man schauen
muss.
Der Glaube, dass strukturelle Komplexität Bewusstsein erzeugt, ist also der
eben beschriebenen Wissenskonstellation und unserem pragmatischen
Versuch irgendwie damit umzugehen geschuldet und nicht irgendeiner
wissenschaftlichen Erkenntnis, wie vielleicht manch einer annehmen mag.
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
59 Edelman et al. (2004) Identifying hallmarks of consciousness in non-mammalian species.
Consciousness and Cognition 14: 169-187.
!
38!
Man hat nicht bewiesen, dass Komplexität notwendig für Bewusstsein ist,
sondern lediglich herausgefunden, welche Gehirndynamiken beim
Menschen wahrscheinlich das neuronale Korrelat von Bewusstsein sind und
orientiert sich jetzt erstmal daran, weil man nichts anderes hat, woran man
sich orientieren könnte.
Zusammenfassung
Wir haben uns im diesem Unterabschnitt mit einem der stärksten
Gegenargumente gegen die Pflanzenbewusstseinsgeschichte beschäftigt. Es
besagt, dass Pflanzen kein Bewusstsein haben, da sie erstens weder
Nervensystem noch Gehirn haben und zweitens so etwas aber notwendig für
Bewusstsein ist. Wir haben gezeigt, dass es nach aktuellem Forschungsstand
ganz danach aussieht, dass Erstens nicht stimmt. Pflanzen scheinen ein
alternatives Nervensystem zu haben, das zwar nicht aus Nervenzellen
besteht und noch sehr unerforscht ist, von dem man aber weiß, dass es
grundsätzlich gleich funktioniert, d.h. Reize aufnimmt, in elektrische
Signale umwandelt, über erregbare Zellen weiterleitet, verarbeitet und in ein
Verhalten integriert. Schon im Tierreich ist dafür nicht, das klassische
Nervensystem notwendig. Die zweite Annahme, dass ein Gehirn so
komplex sein muss, wie das menschliche, haben wir als
wissenschaftspragmatische Orientierung enttarnt, die sich daraus ergibt,
dass wir wissen, dass wir wahrnehmen, aber die Methodologie der
Naturwissenschaft uns nicht ermöglicht, dass bei anderen sicher
herauszufinden. Deshalb bewegt man sich lieber in kleinen Schritten vom
Menschen weg.
4.5 Unbewusstes Leben
Dieser Suche nach Bewusstseinszeichen in anderen Lebewesen, liegt aber
eine ziemlich krasse Prämisse zugrunde, die die meisten wahrscheinlich gar
nicht als sehr nennenswert erachten. Eine Annahme, die von anderen
Kulturen als charakteristisch für die abendländische Kultur angesehen wird.
Nämlich die Annahme, dass es unbewusstes Leben überhaupt geben kann.
Wir erwägen ja nicht nur die Möglichkeit unbewussten Lebens, sondern
nehmen das erstmal bei allen an und halten daran solange fest bis das
!
39!
Gegenteil bewiesen wird.
Aber ganz aus der Luft gegriffen ist diese Annahme nicht. Wir kennen
unbewusstes Leben als Teil von uns selbst. Wir sagen von vielen Prozessen
in unserem Körper, dass sie unbewusst ablaufen. Genauso unbewusst wie
unser Körper auf Reize reagiert, könnte das doch auch bei simpleren
Lebewesen wie Pflanzen ablaufen.
Um zu überprüfen, ob es hier wieder nicht nur um gleichen
Begriffsgebrauch für reell nicht miteinander vergleichbare Prozesse geht,
wie wir es bei unseren Reductio ad absurdum Argumenten so oft hatten,
werde ich mich im Folgenden mit den verschiedenen Formen von
unbewussten Lebens in uns selbst beschäftigen.
Unbewusstes Leben im Menschen
Beginnen wir mit dem vegetativen Nervensystem. Das ist ein ganz
klassisches Nervensystem, in dem es Aktionspotentiale und
Neurotransmitter gibt, und es steuert eine Menge von Prozessen in unserem
Körper, die durch innere und äußere Reize ausgelöst werden, ohne dass wir
da intentional was machen. Wir spüren nicht, dass der Blutzuckerspiegel
höher als normal ist und aktivieren daraufhin bewusst unsere
Bauchspeicheldrüse, damit sie Insulin produziert. Wir nehmen nicht die
Zusammensetzung unseres Mageninhalts wahr und veranlassen daraufhin in
unserer Magenschleimhaut die Synthese von bestimmten Mengen an
Verdauungsenzymen. Wir schicken unser Blut nicht aktiv bei
Gefahrensituationen in unsere Muskeln und bei Entspannung in unseren
Magen. Aber all diese Reize werden von inneren und äußeren
Rezeptorzellen wahrgenommen, in Form von Aktionspotentialen über
Nervenzellen weitergeleitet und im zentralen Nervensystem (Rückenmark
und Gehirn) verarbeitet, wo sie schließlich eine vorteilhafte und sinnvolle
Reaktion auslösen.
Eine andere Assoziation mit dem Unbewussten in uns sind die Reflexe, die
im Gegensatz zu der Aktivität des vegetativen Nervensystems kleine
Handlungen verkörpern. Wenn unbewusstes Leben charakterisiert werden
soll, wird daher häufig von Reflex-Maschinen gesprochen. Ein Beispiel
!
40!
dafür finden wir beim Eintrag zu Reflex auf der deutschen Wikipedia-Seite.
Da steht, dass ein reiner Reflexapparat einem Lebewesen “unter gleich
bleibenden Umständen dazu ausreicht, bis zur Geschlechtsreife zu leben und
Nachkommen zu zeugen”.60 Es ist aber nicht ganz richtig, Reflexe als
unbewusste Handlungen zu interpretieren, da die meisten von ihnen zwar
unwillkürlich ablaufen aber mit bewusster Wahrnehmung des
Auslöserreizes einhergehen. Wenn mir jemand mit einem Gummihammer
auf die Patellarsehne schlägt, dann hebe ich zwar das Bein unwillentlich,
spüre aber den Schlag trotzdem. So auch beim Würg-Reflex oder beim
Wegzieh-Reflex, beim Husten und vor allem beim Nießen. Ein Reflex, der
unwillkürlich und unbewusst ist, wäre ein Reflex, bei dem ich auf Grund
eines Reizes unwillentlich meine Muskeln bewege ohne den Reiz selber
subjektiv wahrzunehmen. Das ist aber bei den wenigsten Reflexen der Fall,
am häufigsten vielleicht beim Schluckreflex. Abgesehen von dem und den
Fokussier- und Fixierreflexen der Augen, fallen alle Reflexe in die
Kategorie Schutzmechanismus.
Eine vollkommen andere unbewusst ablaufende Aktivität in unserem
Körper, ist die Wirkung des Immunsystems. Sie ist nicht direkt an unser
Nervensystem gekoppelt61 und kann sich so eine bisschen als Endosymbiose
mit anderen Organismen, die uns bewohnen, vorgestellt werden62. So wie
die Bakterien der Darmflora, die während der Geburt unseren Darm
besiedeln, uns dabei helfen bestimmte Nahrungsbestandteile zu verdauen
und Krankheitserreger abzutöten, so helfen uns die im Blut und Gewebe
lebenden Einzeller des Immunsystems Krankheitserreger auszuschalten. So
gesehen ist es irgendwie unpassend eine Immunantwort als eine unbewusste
Handlung unserseits zu bezeichnen, da sie vielmehr von in uns produzierten
Populationen von sehr autonom handelnden Einzellern ausgeführt wird,
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
60 http://de.wikipedia.org/wiki/Reflex
61 Sie agieren nicht völlig unabhängig von unserem Nervensystem. Ihre Aktivität und
Produktion wird durch Hormone beeinflusst, deren Abgabe wiederum durch das vegetative
Nervensystem gesteuert wird.
62 Der Endosymbiontentheorie zufolge, waren die Zellen des Immunsystems sowie die
meisten Zellorganellen früher noch körperfremde Endosymbionten, die über die Evolution
hinweg eine immer bessere Symbiose entwickelt haben. Augenscheinlicher Hinweis ist die
Ähnlichkeit von Phagozyten und Amöben. siehe dazu: Lynn Margulis (1981) Symbiosis in
Cell Evolution.!
!
41!
deren Ökosystem unser Körper ist. Genauso wie die Nährstoffzersetzung
durch die Darmflora keine unbewusste Handlung von uns ist.
Das letzte unbewusste Verhalten, auf das ich eingehen möchte, ist die
embryonale Entwicklung und das Wachstum. Hier existieren viele
Parallelen zum pflanzlichen Verhalten, ist doch die Hauptbewegung der
Pflanzen Wachstum. Obwohl viele Jugendliche endlich erwachsen werden
wollen, ist Wachstum bei uns keine willkürliche Reaktion auf einen bewusst
wahrgenommenen Umweltreiz. Es ist aber auch keine unwillkürliche
Reaktion auf einen unbewussten Umweltreiz. Es ist überhaupt keine
Reaktion. Es ist keine Adaption auf bestimmte äußerliche Umstände. Es ist
die schrittweise Abarbeitung eines inneren in der DNA festgeschriebenen
Plans, die zwar durch äußere Faktoren behindert oder gefördert werden
kann, sich aber nicht an sie anpasst, um beispielsweise unsere Fitness zu
erhöhen.
Nachdem wir nun das unbewusste Leben in uns analysiert haben, können
wir feststellen, dass das beste Beispiel für unbewusstes und unwillkürliches
Handeln in uns die Aktivität unseres vegetativen Nervensystems ist. Die
anderen Kandidaten haben sich aus verschiedensten Gründen disqualifiziert:
Reflexe laufen zwar unwillkürlich aber weitestgehend bewusst ab und
dienen meistens nur dem Schutz; bei einer Immunantwort handeln nicht
wirklich wir, sondern Schwärme kleiner Einzeller; und Wachstumsprozesse
reagieren nicht adaptiv auf irgendwelche Umweltfaktoren, sondern sind in
der DNA vorprogrammiert. Auf dieser Grundlage und nach allem, was wir
bisher gelernt haben, sieht die stärkste, weil informierteste Kritik an der
Pflanzenbewusstseinsgeschichte wie folgt aus.
Stärkste Kritik
Pflanzen können überaus intelligent auf ihre Umwelt reagieren: sie
verteidigen sich, sie greifen an, sie kommunizierend über verschiedenste
Wege miteinander, sie können lernen und sich erinnern, sie suchen nach
Nahrung, sie manipulieren andere Spezies, sie erkennen sich selbst und
können Verwandte von Fremden unterscheiden, sie hören, riechen,
schmecken, tasten, sehen usw. Das schaffen sie alles ohne tierische
!
42!
Nervenzellen, denn sie besitzen ein analog funktionierendes Nervensystem.
Sie besitzen Sinnesrezeptoren, die ihre Reize in elektrische Signale
umwandeln. Diese Signale werden dann über erregbare Zellen durch die
Pflanze transportiert und irgendwo verarbeitet, woraufhin elektrische oder
hormonelle Signale losgeschickt werden, um irgendwo im Körper der
Pflanze eine Reaktion auszulösen. All das gerade Aufgezählte, tun sie aber
ohne subjektives Erleben, ohne Intention, ohne Bewusstsein. So wie wir es
von unserem vegetativen Nervensystem kennen, das ohne unsere
willentliche Steuerung auf für uns unbewusste Reize intelligent reagiert.
Dies soll das letzte Gegenargument sein, das wir behandeln. Die Argumente
haben mit jedem Unterabschnitt an Stärke gewonnen. Wo am Anfang nur
auf die Begriffe geschaut wurde, zielten nun in den letzten Unterabschnitten
die Argumente direkt auf die dahinter liegenden Prozesse. Dennoch werden
wir auch in diesem Fall, durch das Argument in die Irre geführt.
Die Aktivität des pflanzlichen Nervensystems kann man eben nicht mit der
Aktivität des vegetativen Nervensystems vergleichen, denn wenn wir die
Aktivität unseres vegetativen Nervensystems genauer angucken, stellen wir
fest, dass es grob gesprochen nur für das Innen zuständig ist und dafür das
Innen bestmöglich auf das Außen vorzubereiten. Es hält die
Gleichgewichtszustände des Körpers aufrecht, wie den Blutzuckerspiegel
oder die Körpertemperatur, und setzt den Körper in bestimmten Situationen
in optimale Handlungsbereitschaft, wie wenn es beispielsweise vor einem
sich ankündigenden Kampf Blut in die Muskeln pumpt.
Aber alle unsere Handlungen, bei denen wir tatsächlich in die Außenwelt
eingreifen sind intentionale Handlungen, die vom animalischen
Nervensystem gesteuert werden und auf bewusst wahrgenommenen Reizen
beruhen. Beispielsweise Nahrungssuche, Jagd, Verteidigung gegen
Angreifer, Flucht, Kommunikation, Lernen, Problemlösung, Fortpflanzung,
Interaktion mit anderen Lebewesen. Und es wurde ja in dieser Arbeit schon
genug darauf hingewiesen, dass Pflanzen das alles auch machen und bereits
nachgewiesen wurde, dass ihr Nervensystem die meisten dieser Vorgänge
steuert.
!
43!
Es ist daher falsch die Aktivität unseres vegetativen Nervensystems als
Beispiel eines unbewussten Lebens anzusehen, weil es sich wie ein
Thermostat lediglich selbst reguliert. Die eigentliche Interaktion mit der
Umwelt, welche uns erst von einem lebenden System sprechen lässt und
welche die Pflanzen zu genüge aufweisen, wird bei uns vom animalischen
Nervensystem gesteuert und findet immer bewusst statt.
Am Anfang schien der Gedanke sehr stark: In uns gibt es ja auch viel
unbewusste Aktivität, daher ist ein komplett unbewusstes Leben vorstellbar.
Der Begriff hat wieder alles überblendet. Nachdem wir aber analysiert
haben, auf was der Begriff verweist, kommen wir zu dem Schluss, dass er
lediglich auf Aufrechterhaltung des inneren Milieus verweist und es daher
nicht mit dem Nervensystem der Pflanzen vergleichbar ist. Es ist nicht
möglich sich unbewusstes Leben anhand eigener unbewusster Prozesse
vorzustellen. Wieder ist es dem Argument am Anfang viel zu leicht
gefallen, weil es nicht etwa die genauen Prozesse, die in unserem Körper
ablaufen, mit dem Verhalten der Pflanzen verglichen hat, und dann zu dem
Schluss gekommen ist, dass sie vergleichbar sind, sondern sich darauf
bezogen hat, dass man ja auch sagt, dass viele unserer körperlichen
Funktionen unbewusst ablaufen.
Zusammenfassung
In diesem Abschnitt haben wir zu Anfang festgestellt, dass sich bei der
Pflanzenbewusstseinsdebatte zwei Geschichten gegenüberstehen. In der
einen sind Pflanzen handelnde Subjekte, in der anderen sind sie unbewusste
biologische Automaten. Beide Geschichten funktionieren im Rahmen eines
naturwissenschaftlichen Weltbilds. Dann sind wir auf die Gegenargumente
gegen die Pflanzenbewusstseinsgeschichte eingegangen, wobei wir uns von
den schwächsten zu den stärksten hochgearbeitet haben. Sich gegenseitig
eine falsche Sprache vorzuwerfen, ist nichts anderes als die eigene
Geschichte zu wiederholen. Die versuchten Reductio ad absurdum sind
gescheitert, weil sie Prozesse, nur weil man sie gleich nennt, miteinander
auf eine Stufe gestellt haben, obwohl sie nicht vergleichbar sind. Die
Kommunikation von Computern, leblosen Teilchen und Organen ist was
komplett anderes als die Kommunikation zwischen Pflanzen. Nur die
!
44!
Bakterien-Kommunikation ist sehr ähnlich, weshalb den Bakterien
Bewusstsein zugestanden wurde, was in Anbetracht ihres intelligenten
Verhaltens aber nicht absurd ist. Dann haben wir gezeigt, dass es
wissenschaftliche Erkenntnisse darauf hindeuten, dass Pflanzen ein
alternatives Nervensystem besitzen, und die Annahme, dass ein komplexes
Gehirn notwendig für Bewusstsein ist, als wissenschaftspragmatische
Arbeitshypothese enttarnt. Zuletzt haben wir dargelegt, dass die Aktivität
des vegetativen Nervensystems und anderer unbewusst im Menschen
ablaufender Prozesse so verschieden von der Aktivität des pflanzlichen
Nervensystems ist, dass nicht angenommen werden kann, dass es genauso
unbewusst abläuft.
Bei der Beschäftigung mit den Gegenargumenten ist immer wieder deutlich
geworden, dass sprachliche Argumente kein effizientes Mittel sind, um
herauszufinden, wie sich Sachen wirklich verhalten. Sie sind viel zu anfällig
dafür, in die Irre zu führen. Dort wo vermeintliche Ähnlichkeit zwischen
Prozessen vorgegaukelt wird, geht es lediglich, um den gleichen
Begriffsgebrauch. Was aber nicht einfach zu durchschauen ist, da die
Begriffe die Dinge, auf die sie verweisen, verdecken. Nämlich weil bei
Argumentationen meistens nur die Begriffe präsent sind und nicht, das, auf
was sie verweisen, sodass Argumente funktionieren, die nicht funktionieren
würden, wären die Dinge, auf die die Begriffe sich beziehen, sichtbar. Die
Argumente entwerten erstmal die angegriffene Behauptung und bleiben
gültig, solange sie nicht durch aufwendige Analysen entkräftet werden.
Argumente scheinen eher einen dekonstruktiven Charakter zu haben, der
sich gut dazu eignet, Behauptungen anzuzweifeln, sich aber schlechter dazu
eignet, herauszufinden und zu erklären, wie die Welt sich verhält.
Außerdem stehen sie auf verlorenen Posten, weil zur heutigen Zeit bei
Wissensfragen die Naturwissenschaften das Wahrheitsmonopol besitzen
und sie aus methodologischen Gründen zum Pflanzenbewusstsein
schweigen. Konstruktive sprachliche Argumente für das
Pflanzenbewusstsein schaffen es daher nicht mehr als interessante
Überlegungen zu sein. Sie überzeugen niemanden.
!
45!
Im nächsten und letzten Abschnitt werde ich genauer erläutern, was ich
damit meine, dass Argumente niemanden überzeugen, und werde einen
besseren Kandidaten vorschlagen, der stark genug ist, der Naturwissenschaft
in dieser Angelegenheit das Wahrheitsmonopol streitig zu machen: das
Video.
5. Youtube: plant time lapse
Bei unserer Google-Suche nach ‚plant consciousnes’ finden wir auf den
ersten 30 Trefferseiten kaum Pflanzen-Videos. Nur ein paar
Wissenschaftsjournalisten haben in ihre Beiträge Videos eingebettet. Wir
klicken also darauf und während wir durch das Fenster des Zeitraffers in die
Welt der Pflanzen hineingezogen werden, überkommt uns das Gefühl, dass
die ganzen vorher so detailliert erklärten wissenschaftlichen Erkenntnisse
vollkommen überflüssig waren. All die Argumente und Streitereien um
Begriffe wirken wie die leeren Diskussionen von Leuten, die keine Ahnung
haben, worüber sie reden. Da, in diesem Video, wird uns gezeigt, was wir
wissen wollten. Wozu all das Philosophieren?
5.1 Argumente vs. Video
Eine Hauptaufgabe der Philosophie ist es herauszufinden und zu erklären,
wie sich die Welt verhält. Das hat man jahrtausendelang versucht mit
gesprochener und geschriebener Sprache zu machen, sodass kaum noch
jemand auf die Idee kommt, dass die Sprache nur eine von vielen
Möglichkeiten ist diese Aufgabe anzugehen. Lebensecht die Realität
abzubilden ist wirklich keine Stärke von Sätzen. Bilder und Videos sind
dafür ohne Zweifel deutlich besser geeignet.
Sätze sind dagegen einfacher nutzbar, da man ein Gespräch beispielsweise
ohne zusätzliche Hilfsmittel führen kann. Sie können kostenlos und ohne
großen Aufwand hergestellt werden und waren früher deutlich besser
verbreitbar, beispielsweise über Zeitungen, Bücher oder das Radio.
Nach dem Einzug des Internets in alle unsere Lebensbereiche sind Bilder
und Videos aber genauso einfach verbreitbar wie Sätze. Abgesehen, davon
dass inzwischen der Großteil der Menschen in der westlichen Welt, als auch
in den Entwicklungsländern über Möglichkeiten verfügen selbst Bilder und
!
46!
Videos herzustellen und sie ins Internet zu laden, finden sich dort riesige
Massen an Bildern und Videos, die nur darauf warten, angesehen und
benutzt zu werden.
Jeder weiß, dass das, was er mit eigenen Augen sieht, viel überzeugender
ist, als das, was er liest oder was einem erzählt wird. In Videos wird die
Realität nicht wie bei der Sprache in irgendein abstraktes Symbol
umgewandelt, sondern direkt abgebildet wird. Wenn man die Realität in ein
abstraktes Symbol umwandelt, mit anderen Symbolen kombiniert und dann
zu einem Ergebnis kommt, dann ist dieses Ergebnis nicht notwendigerweise
aufgrund von Ähnlichkeiten oder Gesetzmäßigkeiten zwischen den Dingen,
auf die diese Symbole verweisen, entstanden, sondern aufgrund von
Ähnlichkeiten oder Gesetzmäßigkeiten jener Symbolwelt. Wie wir im
letzten Abschnitt gesehen haben, kann es sein, dass ähnlicher
Begriffsgebrauch, alle Unterschiede der Dinge überdeckt, auf die sich die
Begriffe beziehen.
Und weil wir das spüren, überzeugt es uns nicht. Und deshalb fällt es uns so
schwer an Sachen zu glauben, die lediglich durch Argumente aufrecht
erhalten werden, obwohl wir ja irgendwie schon dem zustimmen würden,
dass Sprache die Fähigkeit besitzt, die Welt abzubilden und dass bestimmte
Sätze wahr und andere falsch sind und dass logische Schlüsse theoretisch
die Wahrheit weitertransportieren. Es überzeugt uns trotzdem nicht
wirklich, was sich daran zeigt, dass es keinerlei Effekt auf unser Leben hat.
Wenn ich also wissen will, ob Pflanzen Bewusstsein haben und nur mit
Argumenten zu irgendeiner Antwort komme, dann kann unter den
ebenbeschriebenen Umständen schwer davon gesprochen werden, dass man
wirklich eine Antwort gefunden hat. Eine Antwort, die keinerlei Einfluss
auf das eigene Leben hat und nur auf dem Papier und in Argumentationen
existiert, ist nicht das, wonach wir suchen, wenn wir wissen wollen, ob
Pflanzen Bewusstsein haben.
Deswegen täte die Philosophie gut daran nicht überall und ausschließlich,
aber doch dort, wo es sich anbietet, auf Videos und nicht auf Argumente zu
setzen. Und bei der Bewusstseinsfrage nicht-menschlichen Lebens bietet es
!
47!
sich sehr an. Das möchte ich erst an den Tieren verdeutlichen und dann an
den Pflanzen.
5.2 Man sieht, dass Tiere Bewusstsein haben
Ich habe ja im Abschnitt, in dem ich mich mit den Kommentaren
auseinander gesetzt habe, davon gesprochen, dass die Naturwissenschaften
eigentlich nichts zu Bewusstsein sagen können, es aber
Kognitionswissenschaftler gibt, die sich dem Thema trotzdem annehmen.
Sie versuchen herauszufinden welche Gehirnareale beim Menschen aktiv
sind, wenn man bewusst wahrnimmt, und ob bei anderen Lebewesen
analoge Aktivitäten im Kopf ablaufen, da man nicht ernsthaft weiter daran
festhalten konnte, dass nur Menschen Bewusstsein haben.
Interessanterweise veröffentlichten 2012 in Cambridge die renommiertesten
Neurobiologen und Verhaltensforscher der westlichen Welt eine
Publikation, in der sie verkündeten, dass es wissenschaftlich nicht mehr zu
bestreiten ist, dass viele Tiere Bewusstsein besitzen. Alle Säugetiere und
Vögel und auch wirbellose Tiere wie Insekten und Weichtiere. Die Evidenz
aus Verhaltensstudien und physiologischen Untersuchungen sei so
erdrückend, dass man einfach nicht mehr sagen kann, dass man sich nicht
sicher sein kann.63
Aber es war jetzt nicht so, dass daraufhin ein Beben durch die Menschheit
ging und sich auf einmal alle Haustierhalter an den Kopf fassten und
schworen ihre Tiere von nun an anders zu behandeln. Die wussten das
natürlich alle schon, weil es keine wissenschaftlichen oder philosophischen
Untersuchungen, sondern nur eine Konfrontation mit einem Tier braucht,
um sicher zu sein, dass es Bewusstsein hat. Man sieht es einfach. Sehen hat
hier ganz klar den Vorrang vor jedem Argument.
Geht es um das Tierbewusstsein, ist vielen eigentlich egal Tiere hören,
denken oder sich erinnern können –das, was die meisten interessiert, ist, ob
sie Schmerzen fühlen können. Jeder, der schon mal eines der unzähligen
Schock-Videos gesehen hat, in denen Tierquälerei angeprangert wird, weiß,
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
63 Low et al. (2012) The Cambridge Declaration of Consciousness. University of
Cambridge.
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48!
dass man sehen kann, dass die Tiere in diesen Videos Schmerzen
empfinden. Ob es nun Kaninchen oder Marderhunde in China sind, die
zappeln und schreien, während ihnen bei lebendigem Leib das Fell
abgerissen wird, oder Schweine, die in deutschen Schlachthöfen während
Kohlenstoffdioxid-Betäubung sich hin und her schmeißend um Atem
ringen. Es ist für jeden ganz deutlich sichtbar, dass diese Tiere diesem
äußerst unangenehmen subjektiven Gefühl namens Schmerz ausgesetzt sind.
Um das festzustellen braucht man keine EEG-Aufnahmen oder
neurophysiologischen Untersuchungen ihres Nervensystems, man sieht es
mit bloßem Auge. Es ist in diesem Fall weder naiv noch laienhaft zu
behaupten, dass keine weiteren Überlegungen notwendig sind, um
anzuerkennen, dass diese Tiere Schmerzen haben. Es drängt sich einem
geradezu auf, ob man will oder nicht.
Aber stellen wir uns nun einmal vor, dass ein Philosoph beim Anblick
dieses Leids mit Argumenten kommt, die das Gesehene in Zweifel ziehen.
Während im Video das Kaninchen im Sekundentakt nach jedem direkt von
der Haut abgerissenen Fellfetzen aus seinem immer wieder
weitaufgerissenen Maul einen schrillen Schrei abgibt, erklärt der Philosoph,
dass wir genau genommen nicht wirklich wissen können, ob Tiere
Schmerzen empfinden, weil die Naturwissenschaften über Bewusstsein
keine Aussagen machen können und wir aufgrund des problem of other
minds, niemals wissen können, ob es und wie es für andere Lebewesen ist,
sie selbst zu sein. Selbst wenn wir ihnen ein Bewusstsein zugestehen
würden, würde daraus nicht notwendigerweise folgen, dass sie der
Schmerzwahrnehmung fähig sind.
Was hilft uns dabei herauszufinden, ob das Kaninchen Schmerzen hat oder
nicht? Unsere Augen oder die Argumente des Philosophen? Hilft die
Skepsis des Philosophen nicht nur dabei, aufzuzeigen, was für
Möglichkeiten es gibt, die Behauptung, dass es Schmerzen wahrnimmt,
sprachlich in Zweifel zu ziehen? Wie man das Instrument des Zweifels
kunstvoll ansetzen könnte, um im Anschluss daran ein bisschen Philosophie
zu spielen: Angriffe einleiten, Gegenangriffe abwehren, Spielfiguren
!
49!
aufgeben, wenn sie nicht mehr verteidigt werden können, oder die Strategie
wechseln.
Es liegt auf der Hand, dass es das Sehen ist, was uns die Evidenz verschafft,
dass sie wahrnehmen. Etwas anzuzweifeln, was man ganz offensichtlich
sieht, kann nicht wirklich dabei helfen, herauszufinden, was der Fall ist. Der
philosophische Zweifel gehört klar in die Kategorie der reinen
philosophischen Spielerei. Eine Spielerei die viel eher etwas mit Kunst zu
tun hat als mit Welterklären. Und das ist auch vollkommen ok, warum sollte
es nicht auch so etwas geben? Solange wir immer wissen, dass es sich um
diese Spielerei handelt und wir uns nicht darum scheren brauchen, wenn wir
verstehen wollen, wie die Welt wirklich ist.
Aber hier liegt das Problem. Dieselbe philosophische Spielerei wird unter
anderen Umständen nicht mehr als diese enttarnt, sondern gilt als
berechtigter Zweifel, der unsere Weltsicht prägt und Einfluss darauf hat,
was wir tun und was wir nicht tun. Der Zweifel, den wir gerade noch
belächelt haben, steht unter anderen Bedingungen wieder in voller Blüte.
Am Beispiel des Tierbewusstseins habe ich versucht, zu zeigen, warum bei
der Bewusstseinsfrage der visuelle Zugang ganz klar dem sprachlichen
vorzuziehen ist und damit das Video und nicht das Argument einem die
Antwort auf die Bewusstseinsfrage liefert. Das muss die Philosophie, wenn
sie wirklich die Welt erklären und nicht nur gut argumentieren will, daher
auch benutzen und sich so von ihrem Sprachfetisch lösen. Im nächsten
Unterabschnitt werde ich aufzeigen, warum es nicht nur zu empfehlen,
sondern absolut notwendig ist, bei der Frage nach dem Pflanzenbewusstsein
genauso vorzugehen.
5.3 Pflanzenbewusstsein sichtbar machen
Unsichtbarkeit des Pflanzenbewusstseins
Es gibt mehrere Gründe, warum Pflanzenbewusstsein für uns unsichtbar ist.
Erstens, bewegen sich Pflanzen zum größten Teil viel langsamer als Tiere.
Zweitens, sehen wir zumeist nur den Teil der Pflanze, der keine typisch
tierischen Verhaltensweisen zeigt, der Teil, der tierische Verhaltensweisen
!
50!
zeigt, ist in der Regel unter der Erde. Drittens, leben sie sesshaft, was uns
große Schwierigkeiten bereitet ihr Verhalten, als Verhalten zu verstehen.
Wenn ich von Pflanzenbewegungen spreche, dann denken die meisten an
die Mimose oder die Venusfliegenfalle. Diese Pflanzen reagieren mit einer
schnellen Bewegung instantan auf einen Stimulus. So wie wir das von
Verhalten gewöhnt sind. Das sind aber ausnahmen. Normalerweise zeigen
sich Pflanzenbewegungen durch Wachstumsverhalten und Blattausrichtung,
die so langsam stattfinden, dass sie einem gar nicht als Bewegung auffallen,
obwohl sie genauso instantan durch Stimuli ausgelöst werden, wie die
schnellen Bewegungen der Mimose.
Aber das kennen wir aus unserem Alltag. Gucken wir auf eine analoge
Wanduhr, sehen wir dort drei Zeiger: den Sekunden-, den Minuten- und den
Stundenzeiger. Die Spitze des Sekundenzeigers bewegt sich bei einem
tellergroßen Ziffernblatt ungefähr so schnell wie ein Mensch, der Tai Chi
macht (1cm/s). Diese Geschwindigkeit ist einfach mit dem menschlichen
Auge wahrnehmbar. Beim Minutenzeiger fällt es schon schwerer, aber
wenn man ganz nah rangeht, sieht man auch beim ihm, dass er sich bewegt.
Der Stundenzeiger scheint dagegen immer still zu stehen. Wir merken nur,
dass sich da was verändert, wenn wir uns merken, wo er zu einem
bestimmten Zeitpunkt war, und dann an einem späteren Zeitpunkt wieder
auf ihn gucken. Nimmt man die Wanduhr aber mit einer Kamera auf und
erhöht am Computer die Abspielgeschwindigkeit, dann sehen wir, dass sich
der Stundenzeiger in dieser anderen Zeitskala genauso bewegt wie die
anderen Zeiger in unserer Zeitskala.
Und genauso funktioniert es mit den Pflanzen, sie bewegen sich ständig und
reagieren auf die kleinsten Veränderungen in ihrer Umwelt, nur dass ihre
Geschwindigkeit unter unserer Wahrnehmungsschwelle liegt. Schaut man
sie sich aber im Zeitraffer an, sieht man, dass sie sich auf sehr ähnliche
Weise verhalten wie Tiere, nur in ihrer eigenen Zeitskala. Kletterpflanzen
greifen mit ihren Kletterwerkzeugen in kleine Unebenheiten der Baumrinde,
um sich hochzuziehen; parasitäre Schlingpflanzen verstärken ihre tödliche
Umarmung, um noch tiefer in die Wirtspflanze einzudringen;
Bohnenpflanzen schwingen sich auf direktem Wege zu entfernten Stangen
!
51!
hin, ohne sie jemals berührt zu haben; Wurzeln tasten nach weichen Stellen
im Untergrund, um in die Erde eindringen zu können und vollziehen auf
schiefen Ebenen genau dieselben Kriechbewegungen wie Würmer, um
vorwärts zukommen; und alle Pflanzen, egal ob groß oder klein, rangeln
sich ständig um den besten Platz am Licht und strecken stets ihren Spross in
Richtung der nährenden Sonne, so wie junge Vögel ihre Schnäbel in
Richtung Mutter.
Genauso wie bei den Tieren sieht man auch bei den Pflanzen, dass sie
phänomenal wahrnehmen und intentional darauf reagieren. Man sieht, dass
das keine unbewussten Schutzmechanismen oder immer gleich ablaufenden
Reflexe, sondern ganz klar intentionale Verhaltensweisen sind. Und der
sprachliche Zweifel, dass man nicht wissen kann, ob Pflanzen phänomenal
wahrnehmen, da sie kein Gehirn und kein Nervensystem haben oder dass
das auch alles unbewusst sein könnte, wirkt genauso unwichtig, wie der
sprachliche Zweifel des Philosophen, der vorhin beim sichtbaren Leid der
Tiere den Skeptiker spielte.
Genauso wie wenn man in ein Mikroskop guckt und durch die veränderte
Größenskala auf einmal all das Leben in einem Wassertropfen entdeckt,
entdeckt man bei veränderter Zeitskala das für einen normalerweise
unsichtbare Leben der Pflanzen.
Visuelle Evidenz
Und damit ich nicht missverstanden werde: Ich argumentiere gerade nicht
dafür, dass Pflanzen ein Bewusstsein haben. Das habe ich im letzten
Abschnitt getan, als ich die Gegenargumente vorgestellt und das Sprachspiel
mitgespielt habe. An jener Stelle habe ich die argumentative Annährung an
dieses Thema kultiviert, ohne dabei zu beanspruchen irgendeiner Antwort
näher zu kommen. Nicht weil ich nicht glaube, dass es gute Argumente
waren, sondern weil ich daran glaube, dass Argumente bei diesem Thema
keinen wirklich überzeugen. Wovon ich gerade rede ist aber was ganz
anderes als ein Argument. Ich rede von visueller Evidenz. Das ist das
Gefühl der Evidenz über einen Sachverhalt induziert durch einen visuellen
Stimulus. Dass man Sachverhalte der Welt einfach sieht. Sachverhalte, die
!
52!
auch in Sprache abgebildet werden könnten, dann aber nicht mehr die
Evidenz auslösen, die sie induzieren, wenn sie gesehen werden. Wenn ich
beispielsweise unserem skeptischen Philosophen von vorhin, einfach nur
von einem Tierquälerei-Video erzählt hätte, hätte ich mit meinen Worten in
ihm nicht die Evidenz auslösen können, die solche Videos bei jedem
auslöst, der sie sieht. Genauso ist es bei den Pflanzen.
Wenn ich beispielsweise argumentieren würde, dass man am Verhalten der
Pflanzen sieht, dass sie ein Bewusstsein haben. Würde ich die durch den
visuellen Stimulus induzierte Evidenz darüber, dass sie Bewusstsein haben,
in das Symbolsystem der Sprache zu übersetzen versuchen. Dabei geht die
Evidenz und die Rechtfertigung, die es durch diese Evidenz hatte, aber
verloren, weil im Symbolsystem der Sprache andere Regeln gelten.
Aussagen werden hier durch Prämissen gestützt, nicht durch direkte
Einsicht. Nur Argumente sind auf diesem Schlachtfeld scharfe Waffen.
Sobald ich davon spreche, dass man an ihrem Verhalten sehen kann, dass
Pflanzen phänomenal wahrnehmen und intentional handeln, wird der
Wahrheitssuche wegen überlegt werden, wie die Aussage „Immer wenn sich
etwas so verhält, als ob es phänomenal wahrnimmt und intentional handelt,
tut es das auch.“ anzuzweifeln wäre. Und das ist nicht schwer. Einfach lässt
sich ein Gedankenexperiment zusammenschustern, in dem etwas, das sicher
kein Bewusstsein hat, wie beispielsweise ein Roboter, sich so verhält, als ob
es eins hätte. Und damit wäre dann die Aussage „Man sieht an ihrem
Verhalten, dass Pflanzen phänomenal wahrnehmen und intentional
handeln.“ entwertet und es scheint dann naiv und unprofessionell zu sagen,
dass man es einfach sieht. Obwohl man gar nicht diesen komischen
Allquantor-Satz aufzustellen wollte, wird man dazu gezwungen, wenn man
seine visuelle Erkenntnis in Sprache übersetzen will.
Deshalb argumentiere ich nicht dafür. Ich berichte darüber, dass man sieht,
dass Pflanzen Bewusstsein haben. Dass man diese visuelle Evidenz hat,
wenn man sie in ihrer Zeitskala sieht. Direkt die visuelle Evidenz auslösen
kann ich beim Anderen damit natürlich nicht, das kann ich nur, wenn ich es
!
53!
ihm zeige.64 Und deshalb muss die Philosophie, wenn sie das Thema
Bewusstsein von nicht-menschlichen Lebewesen bearbeitet, anfangen zu
schauen, zu hören und zu zeigen und aufhören zu argumentieren. Denn ihre
Aufgabe ist es herauszufinden und zu erklären, wie sich die Welt verhält,
und wenn ein anderes Medium, wie das Video, geeigneter ist als die
Sprache, dann sollte dem nichts im Weg stehen. Keine Tradition, vor allem
nicht heutzutage im Zeitalter des Internets. Die Gewohnheiten wie Inhalte
konsumiert werden, haben sich durch diese neue Technologie extrem
gewandelt. Das Video und das Bild gewinnen für die Wissensaneignung
immer mehr an Wichtigkeit, beispielsweise entstehen auf Youtube seit
einigen Jahren ganze Video-Enzyklopädien, in denen tausende von
Phänomenen, die man normalerweise bei Wikipedia nachgeguckt hätte, nun
in Videos erklärt werden.65
Direkte Konfrontation
Die Zeitraffer-Photographie ist übrigens nur eine Möglichkeit die Pflanzen
als ein Gegenüber auszumachen. Es gibt auch Möglichkeiten, uns direkt mit
ihnen zu konfrontieren. Der vom indischen Pflanzenforscher Bose Anfang
des 20. Jahrhunderts erfundene Crescograph kann die
Wachstumsbewegungen der Pflanzen um 10.000 Mal vergrößern und
ermöglichte den Forschern so innerhalb ihrer Zeitskala direkt zu sehen, wie
Pflanzen auf kleinste Stimuli unmittelbar reagieren, wie beispielsweise auf
eine Wolke die kurz die Sonne verdeckt. Die Forscher waren auf einmal im
direkten Kontakt mit den Pflanzen.66
Diese direkte Konfrontation ist eine der vielversprechendsten Technologien
in diesem Bereich, weil es uns ermöglicht Pflanzen als Gegenüber
wahrzunehmen, ohne dass wir dafür am Computer sitzen müssen. Live-
Umwandlung der elektrischen Aktivität der Pflanzen in visuelle und
auditive Signale ist die aktuelle Entwicklung. Im Jahr 2013 gab die
amerikanische Künstlerin Mileece im Museum of Modern Art ein
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64 Deswegen wird diese Arbeit bald als audio-visuelle Version unter diesem Link verfügbar
sein: https://vimeo.com/user17054545/googleplantconsciousness (Stand 15.10.14)
65 Ein Beispiel ist die Kahn Academy. auf der jeden Monat 1 Mio. Schüler lernen. (URL:
https://www.youtube.com/user/khanacademy)
66 Ingensiep (2001) Die Geschichte der Pflanzenseele. Stuttgart: Kröner. 707 ff.
!
54!
botanisches Konzert, auf dem sie ihre Pflanzen wie Instrumente durch
Berührung spielte. Dafür hatte sie Elektroden an die Blätter der Pflanzen
angeschlossen, die die elektromagnetischen Wellen, die Pflanzen wie alle
Lebewesen aussenden, verstärkten und über einen Computer in Geräusche
und Visuals umwandelten.67 Im selben Jahr hat sich Disney das Patent auf
die Technologie geholt, Pflanzen als user interactive living organismszu
benutzen.68 Und in 2014 wurde bei der Crowdfunding-Plattform Kickstarter
erfolgreich ein Projekt finanziert, das solche Biofeedback-Apparate, wie sie
Mileece benutzt hat, für den normalen Konsumenten produziert.69 Und bei
dem aktuellen Voranschreiten der Botanik und der Augmented Reality70
Forschung, ist es gut vorstellbar, dass wir in absehbarer Zukunft durch eine
Brille schauend eine Pflanze durch visuelle Verstärkung ihres Verhaltens als
genauso lebendig und genauso bewusst wahrnehmen können, wie wir es
von Tieren heutzutage gewöhnt sind. Aber was machen wir bis dahin?
6. Fazit
Alles ging damit los, dass wir bei Google ‚plant consciousness’ eingegeben
haben. Auf Wikipedia haben wir dann geklärt, was Pflanzenbewusstsein
bedeutet. Nämlich dass Pflanzen phänomenal wahrnehmen und intentional
reagieren. Dann sind wir auf die Wissenschaftsseiten gegangen, wo die
neuesten Erkenntnisse aus der Pflanzenforschung präsentiert wurden, die
der Grund dafür sind, warum man sich aktuelle die Frage nach dem
Pflanzenbewusstsein stellt. Pflanzen besitzen nicht nur alle klassischen fünf
Sinne, sie verfügen auch über dies über beeindruckende kognitive und
soziale Fähigkeiten. Danach haben wir anhand des Kommentarbereichs
eines Artikels über Pflanzenbewusstsein Gegenargumente analysiert und
selber Argumente gebracht, wobei ich intensiv auf das alternative
Nervensystem der Pflanzen eingegangen bin.
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
67 Wilder Quarterly // Mileece at MoMA (URL: https://vimeo.com/60769517)
68 Botanicus Interacticus (URL: http://www.disneyresearch.com/project/botanicus-
interacticus-interactive-plant-technology/)
69 Midi Sprout (URL: https://www.kickstarter.com/projects/datagarden/midi-sprout-
biodata-sonification-device)
70 Augmented Reality ist die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung.
!
55!
Letztendlich kam ich aber zu dem Schluss, dass Argumente kein gutes
Mittel sind, um die Pflanzenbewusstseinsfrage zu beantworten. Zum einen,
weil sie oft in die Irre führen und zum andern, weil sie niemanden wirklich
überzeugen. Ich habe deshalb eine andere Möglichkeit vorgeschlagen zu
diesem Thema und vor allem in heutiger Zeit Philosophie zu machen: über
das Video. Am Beispiel des Tierbewusstseins hab ich versucht die Stärken
des Videos und die Schwächen der Argumente zu zeigen und habe erklärt
warum es gerade in der Pflanzenbewusstseinsfrage notwendig ist mit
Videos zu arbeiten. Erst mit der Zeitraffer aufnehme macht man nämlich
das Verhalten der Pflanzen sichtbar. Man sieht dann, dass Pflanzen
Bewusstsein haben. Diese visuelle Evidenz habe ich vom sprachlichen
Argument abgegrenzt und erklärt warum man sie nicht in Sprache
übersetzen kann. Man kann sie nur im anderen hervorrufen, wenn man ihm
das Video, in dem man sieht, dass Pflanzen Bewusstsein haben, selber zeigt.
Seit dem Internet sind Philosophen nicht mehr darauf angewiesen die Welt
in Worten zu erklären, was es ermöglicht, die Themen anzugehen, die sich
vorher nur unbefriedigend bearbeiten ließen.
In der Kunst gibt es gerade eine neue Bewegung, die sich post-internet art
nennt. Sie steht nicht für Kunst, die nach dem Internet entstanden ist,
sondern für Kunst, die nicht nur das Internet benutzt, sondern anerkennt und
reflektiert, dass das Internet schon längst damit begonnen hat, unsere
institutionellen und soziale Strukturen zu verändern. Die Philosophie ist
davon auch nicht ausgeschlossen. Der Wertverlust des Wortes gegenüber
dem Bild und dem Video ist beispielsweise eine Folge. Vielleicht ist die
Zeit reif darüber nachzudenken, wie man heutzutage zeitgemäß
philosophieren könnte, wie man sich die ganzen neuen Möglichkeiten, die
einem das Internet bietet, nutzen könnte und was für neue
Herausforderungen der Philosophie gegenüberstehen; kurz: was post-
internet philosophy sein könnte. Dazu gibt es auf Google bisher nur zwei
Treffer.
!
56!
7. Quellenverzeichnis
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http://www.disneyresearch.com/project/botanicus-interacticus-interactive-
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https://www.kickstarter.com/projects/datagarden/midi-sprout-biodata-
sonification-device
Audio-visuelle Version dieser Arbeit
https://vimeo.com/user17054545/googleplantconsciousness
Hiermit versichere ich, Filipe-Guilherme Pirl, die vorliegende Bachelor-
Arbeit selbstständig, unter Beachtung der Prüfungsordnung und nur unter
Zuhilfenahme der angegebenen Literatur verfasst zu haben. Diese Arbeit
wurde in gleicher oder ähnlicher Form bisher an keiner anderen Stelle
eingereicht.
... Anstatt auf den Bewusster-Agent-Narrativ wird lieber auf einen anderen Narrativ zurückgegriffen -dem Narrativ der biologischen Maschine. Genauso wie bei Menschen ist jedes Verhalten von Nicht-Menschen auf einer rein materialistischen Ebene erklärbar und Verhaltensweisen, die wir als einfach interpretieren, weil wir uns nicht tiefer mit ihnen beschäftigt haben, können durch den Verweis auf biochemische Prozesse und Genexpression als ledigliche Maschinen-Verhaltensweisen hinreichend erklärt werden (eine tiefergehende Beschäftigung: Pirl 2015 Mancuso machte vor einigen Jahren eine Untersuchung, in der er Probanden Bilder zeigte, in denen Tiere neben Pflanzen (20%/80%) zu sehen waren, und sie anschließend fragte, was sie denn gesehen hätten? 96% der Befragten sahen nur die Tiere, Pflanzen wurden lediglich als Landschaft wahrgenommen (Mancuso 2014). ...
... Anstatt auf den Bewusster-Agent-Narrativ wird lieber auf einen anderen Narrativ zurückgegriffen -dem Narrativ der biologischen Maschine. Genauso wie bei Menschen ist jedes Verhalten von Nicht-Menschen auf einer rein materialistischen Ebene erklärbar und Verhaltensweisen, die wir als einfach interpretieren, weil wir uns nicht tiefer mit ihnen beschäftigt haben, können durch den Verweis auf biochemische Prozesse und Genexpression als ledigliche Maschinen-Verhaltensweisen hinreichend erklärt werden (eine tiefergehende Beschäftigung: Pirl 2015 Ein anderer Versuch des Bewusstmachens des Gegenüber als Gegenüber war Aniella Tiedjes Biofeedback-Installation: An eine Pflanze werden zwei Kabel gesteckt, durch die 5 Volt fließen. Der sich verändernde Widerstandswert der Pflanze wird über einen Arduino (Minicontroller) ausgelesen, in Zahlenwerte übersetzt und über USB-Kabel an einen Computer geschickt. ...
Book
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Das bologna.lab der Humboldt-Universität zu Berlin fördert im Rahmen des Qualitätspakts Lehre (BMBF, 2012-2020) eine Reihe von Projekten mit dem Ziel, bereits ab dem Bachelorstudium Freiräume für forschendes Lernen zu schaffen und diese mit forschungsnahen Lehrangeboten zu füllen. Eines dieser Projekte sind die Q-Tutorien, deren Abschlussberichte in diesem Band versammelt sind. In diesen studentischen Veranstaltungen bearbeitet eine Gruppe Studierender ein selbst gewähltes Forschungsthema in eigenständiger, interdisziplinärer und möglichst innovativer Projektarbeit.
Article
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In response to insect herbivory, plants synthesize and emit blends of volatile compounds from their damaged and undamaged tissues, which act as important host-location cues for parasitic insects1, 2, 3. Here we use chemical and behavioural assays to show that these plant emissions can transmit herbivore-specific information that is detectable by parasitic wasps (parasitoids). Tobacco, cotton and maize plants each produce distinct volatile blends in response to damage by two closely related herbivore species, Heliothis virescens and Helicoverpa zea. The specialist parasitic wasp Cardiochiles nigriceps exploits these differences to distinguish infestation by its host, H. virescens, from that by H.zea. The production by phylogenetically diverse plant species and the exploitation by parasitoids of highly specific chemical signals, keyed to individual herbivore species, indicates that the interaction between plants and the natural enemies of the herbivores that attack them is more sophisticated than previously realized.
Article
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Plant germination and growth can be influenced by sound, but the ecological significance of these responses is unclear. We asked whether acoustic energy generated by the feeding of insect herbivores was detected by plants. We report that the vibrations caused by insect feeding can elicit chemical defenses. Arabidopsis thaliana (L.) rosettes pre-treated with the vibrations caused by caterpillar feeding had higher levels of glucosinolate and anthocyanin defenses when subsequently fed upon by Pieris rapae (L.) caterpillars than did untreated plants. The plants also discriminated between the vibrations caused by chewing and those caused by wind or insect song. Plants thus respond to herbivore-generated vibrations in a selective and ecologically meaningful way. A vibration signaling pathwaywould complement the known signaling pathways that rely on volatile, electrical, or phloem-borne signals. We suggest that vibration may represent a new long distance signaling mechanism in plant–insect interactions that contributes to systemic induction of chemical defenses.
Article
Full-text available
The French scientist Claude Bernard (1813-1878) is famous for his discoveries in physiology and for introducing rigorous experimental methods to medicine and biology. One of his major technical innovations was the use of chemicals in order to disrupt normal physiological function to test hypotheses. But less known is his conviction that the physiological functions of all living organisms rely on the same underlying principles. He hypothesized that similarly to animals, plants are also able to sense changes in their environment. He called this ability "sensitivity." In order to test his ideas, he performed anesthesia on plants and the results of these experiments were presented in 1878 in "Leçonssur les phénomènes de la vie communs aux animaux et aux végétaux." (1) The phenomena described by Claude Bernard more than a century ago are not fully understood yet. Here, we present a short overview of anesthetic effects in animals and we discuss how anesthesia affects plant movements, seed germination, and photosynthesis. Surprisingly, these phenomena may have ecological relevance, since stressed plants generate anesthetics such as ethylene and ether. Finally, we discuss Claude Bernard's interpretations and conclusions in the perspective of modern plant sciences.
Article
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The nervous system of animals serves the acquisition, memorization and recollection of information. Like animals, plants also acquire a huge amount of information from their environment, yet their capacity to memorize and organize learned behavioral responses has not been demonstrated. In Mimosa pudica-the sensitive plant-the defensive leaf-folding behaviour in response to repeated physical disturbance exhibits clear habituation, suggesting some elementary form of learning. Applying the theory and the analytical methods usually employed in animal learning research, we show that leaf-folding habituation is more pronounced and persistent for plants growing in energetically costly environments. Astonishingly, Mimosa can display the learned response even when left undisturbed in a more favourable environment for a month. This relatively long-lasting learned behavioural change as a result of previous experience matches the persistence of habituation effects observed in many animals.
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Stomach contents of 243 Dermasterias imbricata (Gmbe) from 2 field sites in Monterey Bay, central California (USA), revealed a diet consisting primarily of the corallimorphian anemone Corynactis califomica. A survey of potential prey species demonstrated that C. californica were found in 85 % of 52 randomly placed '/am2 quadrats and 96 % of 45 % m2 quadrats placed around D. irnbn'cata within our study area. All other species of anemones were either rare or absent from the study area, with the exception of a few large individuals. When presented with a choice between C. californica and Anthopleura elegantissima or A. xanthogrammica in the laboratory, D. imbricata consistently ate the Anthopleura spp. and avoided C. californica. In single prey presentations, A. elegantiss~ma, A. xanthogrammica, and Metndium senile were all taken and consumed readily within the first day. In contrast, D. irnbricata presented with C. californica initially avoided this species, and 40 % of the D, imbricata did not feed within 3 d. This difference in selectivity appeared to be related to the anti-predator defenses of the varlous anemones. These results suggest that ecologists should be careful in employing terms such as 'specialist' or 'preferred prey item' without conducting controlled experiments on prey selection and examining behavioral interactions between predator and prey.
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The free-swimming ciliate Paramecium avoids warm regions. We have developed a quantitative assay of thermal avoidance, based on the interference between thermal avoidance and the normal tendency to swim upward (negative geotaxis). Paramecium tetraurelia swimming in a Tris/Ca2+ solution avoided a region warmer than about 40°C. Several factors influenced the strength of the response, including the concentrations of monovalent cations and Ca2+, the temperature of the test region, and the temperature at which the animals had been cultured. At 1 mm-Ca2+, increasing Na+ concentration enhanced avoidance of a 40°C region, and at a constant Na+ concentration (0·5 mM), avoidance improved with decreased Ca2+. When the ratio [Na+]/[Ca2+]1/2 was held constant, varying Na+ and Ca2+ concentrations did not affect thermal avoidance. Other monovalent cations (Cs+, Li+, Rb+) and hydroxylamine also enhanced thermal avoidance, and K+ was somewhat less effective than these. The strength of the avoidance response increased with increasing test temperature in the range of 37 to 42°C for cells grown at 28°C. Cells grown at 15°C had a lower threshold for thermal avoidance, and those grown at 35°C showed no avoidance at 40°C and only poor avoidance at higher temperatures. Cells cultured at 15 or 35°C and then shifted to 28°C acquired the thermal behaviour typical of cells cultured at 28°C. Behavioural mutants with defective Ca2+ channels (Pawns) are incapable of reversing their swimming direction and showed little or no thermal avoidance. We suggest that thermal avoidance is triggered by thermotropic phase transitions in the lipids of the excitable membrane of Paramecium tetraurelia.
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There has been little progress since the classical anatomical studies in understanding the form and function of the nervous system of echinoderms until relatively recently. There is, admittedly, a substantial behavioural literature but much of this can be confusing and even contradictory. There were early attempts to record electrical activity with extracellular electrodes but the compound potentials recorded to gross stimulation were clearly highly artifactual. Brehm (1977) showed that it was possible to record single unit activity extracellularly and further that this was possible because the brittlestar preparation that he used contained neurones much larger than average. Since then the large neurones of brittlestars have been exploited to produce a growing amount of information about function in echinoderm nervous systems at the cellular level. It is possible to use multiple recording sites from intact animals and monitor the activity that co-ordinates behaviour. There is data on the sensory perception of a range of environmental parameters. These direct electrophysiological measurements of response to stimuli are invariably consistent and are thus much more valuable than the inconsistent behavioural criteria previously used. It is also now possible to record intracellularly from both ectoneural neurones and hyponeural neurones. Lucifer yellow can be injected iontophoretically into both classes of neurones and preliminary data has now been obtained on the general morphology of individual cells within the nervous system (Cobb 1985). The radial nerve cords consist of connected segmental ganglia. The layout of the large neurones in each segmental ganglia is similar whatever the position of the ganglia within the radial nerve cords. Longitudinally running large neurones pass through at least 4 or 5 segments and show a fine plexus of varicose terminals at each end. These neurones are multimodal in the information they transmit about changes in the environment. The circumoral ring does not show complex structure but appears to act as a connection between the radial nerve cords and does not appear to contain organizing centres. The present evidence suggests that any part of the radial nerve cords when receiving significant local sensory input can act to coordinate whole animal behaviour and thus the echinoderms can be considered “brainless”.
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Allelopathy is a phenomenon where plants have deleterious effects on growth of surrounding plants through the production of chemical substances. Soil hyphae of arbuscular mycorrhizal fungi may enhance transport processes of allelochemicals by providing ‘highways’ connecting plants below‐ground. In three studies ranging from high ecological realism to experimental control, we showed that the presence of mycorrhizal hyphae may strongly contribute to the transport of allelochemicals. We analysed the accumulation of naturally released juglone in the field in intact or disrupted hyphal connections and determined its growth reducing effects on sensitive target plants in a bioassay. Secondly, we tested the effects of J uglans regia leaf litter addition in the presence or absence of the mycorrhizal fungus R hizophagus irregularis on target plants, and finally, we added pure juglone to L ycopersicon lycopersicum plants in the presence or absence of R hizophagus . Throughout, we found increased juglone transfer if mycorrhizal hyphae were present, resulting in reduced growth of target plants. Our results point to mycorrhizal hyphae playing an important role in extending the bioactive zone of allelochemicals. We suggest that hyphal networks increase the effectiveness of allelochemicals in natural systems and play a crucial role in chemical interaction processes and hence influence plant community structure.
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Predation uponAurelia aurita byPhacellophora camtschatica was studied by SCUBA divers in a fjord in British Columbia between July and September 1986. The behavior and size ofP. camtschatica affected their foraging success. Larger predators captured more and larger prey. The size and behavior of the prey also affected the probability of capture. Predators were found at densities which can affect both the size composition and the overall numbers of the prey population.