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Rituale und Integrationskompetenz beim Gebrauch psychoaktiver Substanzen

Authors:
  • MIND Foundation
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Rituale und Integrationskompetenz beim
Gebrauch psychoaktiver Substanzen
Henrik Jungaberle
1. Warum es lohnt, über Rituale des Drogengebrauchs
nachzudenken
Rituale sind – unter anderem – Kommunikationsformen. In Ritualen hat das Tun
und Zeigen Vorrang gegenüber der sprachlichen, argumentativen Verständigung.
Man kann Rituale im Zusammenhang mit dem Gebrauch wahrnehmungs- und
erlebensverändernder Substanzen als Lernkontexte untersuchen, in denen
Menschen verschiedene Umgangsformen mit diesen Pflanzen oder Chemikalien
einüben. Wie lernt man in einer post-traditionellen und individualistischen
Mediengesellschaft (über) den Gebrauch legaler und illegaler Drogen?
Weit davon entfernt, nur rigide Formen von sozialer Kontrolle zu vermitteln (vgl.
Douglas 1986/1970), können bestimmte Arten von Ritualen – so meine These -
einen Beitrag zur Ausbildung und Stabilisierung eines verantwortlichen Umgangs
mit Rauscherfahrung und psychoaktiven Substanzen leisten. In Ritualen des
Substanzgebrauchs geht es – unter anderem – um das Erlernen von
Integrationskompetenz. In post-modernen Lebensumständen hat kaum jemand ein
Verhaltens- und Denkrepertoire zur Verfügung, auf das man zurückgreifen
könnte, um nicht-alltägliche Erfahrungen zu einem gesunden Teil des eigenen
Lebens zu machen.
Ob substanzbezogene Rituale einen verantwortlichen (integrativen) oder
schädlichen (desintegrativen) Gebrauch unterstützten hängt vom
autonomiefördernden oder –verdrängenden Charakter der in Ritualen inszenierten
Jungaberle, H. (2006). Rituale und Integrationskompetenz beim Gebrauch psychoaktiver
Substanzen. In H. Jungaberle, R. Verres & F. DuBois (Eds.), Rituale erneuern - Ritualdynamik
und Grenzerfahrung in interdisziplinärer Perspektive (pp. 86-123). Gießen: Psychosozial Verlag.
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Ideen und Normen ab. Es lohnt also, diese Inszenierungen nach ihren
biographischen und soziokulturellen Botschaften zu befragen.
Ein weiteres Merkmal von Ritualen kann die Schaffung einer zyklischen
Ordnung von Zeit und Raum sein, dementsprechend gibt es auch ein bestimmtes
Potential solcher Formen, die Häufigkeit des Konsums zu begrenzen und zu
strukturieren, etwa im Falle von Menschen, die nur bei bestimmten Anlässen Sekt
konsumieren oder im Beispiel eines Studienteilnehmers, der eine jährliche LSD-
Sitzung am Sylvesterabend gestaltet, diese Substanz sonst jedoch nicht
konsumiert.
In den Situationen des Drogengebrauchs lernen Konsumenten auch mehr oder
weniger schädliche Applikationsformen kennen, sie lernen, mit den physischen
Eigenschaften der Substanzen umzugehen, also wie viel Schnaps sie vertragen,
dass man Wein eher goutiert als in sich hineinschüttet, wie man das
Absinthtrinken zelebriert oder eine Bong handhabt. Diese „Techniken“ vollziehen
sich jedoch vor dem Hintergrund der Wertkultur einer spezifischen Gruppe. Und
diese ist entscheidender für die langfristige Entwicklung eines Konsummusters.
Vor dem Hintergrund dieser Wertkultur wird in den drogenbezogenen Ritualen
insbesondere auch die länger währende Funktion dieser Substanzen für Einzelne
und für ihre Bezugsgruppen erlernt, das heißt, ob sie im Leben eines Menschen
sporadische Freuden bleiben, entwicklungspsychologische Hilfen zur
Identitätsfindung werden, therapeutische Instrumente darstellen oder
kompensatorische Mittel zur Verdrängung psychischer Konflikte werden, aus
denen sich Autonomieverlust und Abhängigkeit entwickeln. Dieses soziale
Lernen interagiert auf sehr komplexe Art mit der organismischen Verarbeitung
der Substanzwirkung.
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Autonomie, Diffusität und Kontrollverlust
In Ritualen des Drogengebrauchs werden normative Botschaften transportiert und
entworfen, die (a) autonomiebeschränkende, (b) diffuse oder (c)
autonomiefördernde Effekte auf das Individuum haben. Die Beteiligten lernen
nicht nur den „technischen“ Umgang mit psychoaktiven Substanzen
(Applikationsformen) kennen, sondern sie erfahren etwas über das Potential
dieser Substanzen zur Stiftung von Ich- und Wir-Identität: Was kann man mit
diesen Substanzen „machen“, und was tun sie mit einem? Die Antwort auf diese
Frage ist die Antwort nach der Funktion des Substanzgebrauchs für den
Einzelnen und seine Gemeinschaft.
Die Effekte spezifischer Gebrauchsmuster von Alkohol, Cannabis oder LSD
bewegen sich biographisch betrachtet in einem Möglichkeitsraum zwischen fast
völliger Desintegration, also Aufgabe von Autonomie, Entwicklung einer
Suchterkrankung und Betäubung der innerpsychischen Konfliktspannungen bis
hin zur biographischen Integration, die das sehr verschiedene Potential dieser
Substanzen autonomieförderlich zur Entwicklung körperlicher, psychischer und
sozialer Gesundheit nutzt. Damit ist offensichtlich ein Kontinuum entworfen, bei
dem Einzelne sich ähnlich dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum von
Antonovsky (1993) zwischen den genannten Polen bewegen, ohne die Extreme
unbedingt erreichen zu müssen.
Über die Beobachtung und mediale Verbreitung solcher Rituale wird auch den
bislang Unbeteiligten, also beispielsweise Adoleszenten, ein Modell von deren
normativem Potential vermittelt. Gerade beim Alkoholkonsum ist bekannt, dass
gesellschaftlich tolerierte, affirmative Konsumformen eher subversiven und
provokanten Exzessen gegenüber stehen. Bevor die Drogen selber kommen,
kommt also ihr „Image“ und das unsichtbare Netzwerk möglicher
„Objektbeziehungen“ zu diesen Substanzen den Wahrnehmungshorizont von
Menschen. So gesehen spielt Alkohol also bereits im Kindesalter eine Rolle,
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insofern dort erste mentale Modelle von funktionalen Optionen der Substanz
ausgebildet werden.
Von diesem theoretischen Standpunkt ausgehend lässt sich deskriptiv die gesamte
Klaviatur des Rituellen sichten: als Rituale gelten in diesem Zusammenhang alle
sozialen Formen, die den Drogengebrauch umgeben. Ich wende diesen Begriff als
analytisches Instrument an, mit dem soziokulturelle Inszenierungen nach ihren
Effekten auf Einzelne oder Gemeinschaften untersucht werden können.
Unterscheiden kann man dabei verschiedene Formen und Niveaus von
Ritualisierung. Das Spektrum reicht von adoleszenten Ritualen, die ihren
Ursprung oft in der spontanen Kreativität von jugendkulturellen Performanzen
haben, über das gesittete Nippen von High-Society-Drinks bis zum religiös
motivierten Heilritual mit Halluzinogenen.
Rituale stellen mehr oder weniger komplexe Bündel von Lernreizen für den
Einzelnen dar - an deren Ausbildung er gerade unter den Bedingungen moderner
Gesellschaften oft auch als Akteur beteiligt ist.
Rituelle Inszenierungen spiegeln dabei verschiedene Ebenen von Bewusstheit
wider. Komplexere Rituale sind und beinhalten stets Ausdrucksformen von
ritueller Intentionalität: zumindest einigen Beteiligten ist bewusst, dass ein Ritual
„gefeiert“ oder „begangen“ wird. Einfache Inszenierungen – wie das
Zigarettenrauchen auf dem Schulhof – sind in der Regel nichts weiter als
imitierendes Tun.
Rituale sind in Abhängigkeit von Traditionen, aus denen sie sich speisen oder von
denen sie sich abgrenzen, mehr oder weniger formalisiert, hierarchisiert und mit
Symbolen der Bezugsgruppe ausgestattet.
Ein anschauliches Muster für eine einfache Ritualisierung des Drogengebrauchs
ist der bereits erwähnte Weinkonsum im Umfeld festlicher Speisen, als Beispiel
90
für eine komplexe Ritualisierung kann das weiter unten beschriebene
schamanische Ayahuasca
11
-Ritual gelten.
Das sakrale Erbe von Ritualen
Auch unter den Bedingungen einer fortgeschrittenen Säkularisierung spricht
nichts dagegen, mit Luckmann (1991/1967) komplexe Rituale weiterhin als Orte
zu betrachten, an denen „letzte Fragen gestellt werden“ - aber nicht zwingend
beantwortet, sollte man hinzufügen.
Es geht nun keineswegs darum, ein sozialromantisches Konzept des
Drogengebrauchs zu entwerfen, das sich aus verklärten Reminiszenzen an
ethnographisch beschriebene Praktiken nährt. Vielmehr ist unser Wissen über
salutogene und pathogene Einflüsse, die zu unschädlichen Gebrauchsmustern
führen, insgesamt noch so gering, dass wir gut daran tun, alle Instrumente
sozialer Regulation zu sichten und zu bewerten.
Wo zeigen sich in (post-)industriellen Gesellschaften komplexere Ritualformen
im Zusammenhang mit Drogengebrauch?
Oft sind sie auf die ein oder andere Weise mit Kulturtransfer verbunden.
Feldnotiz 1 Ritualtransfer – Der Amazonas in Mitteleuropa
12
„Es ist der Morgen des 10. November 2002, acht Uhr. Wir durchwachten die Nacht im
Kreis einer Gruppe von Deutschen, Schweizern, Niederländern, Italienern, Spaniern,
Litauern, Peruanern. Auch eine Kanadierin und ein US-Amerikaner waren Teil der
nächtlichen Inszenierung. Im Bann der eigenartigen Zeremonie: Ein Shuar-Schamane aus
11
Ayahuasca ist eine Harmalin- und DMT-haltige Substanz aus dem Amazonasgebiet.
12
Diese und die folgenden Feldnotizen sind im Verlauf der Datenerhebungen im RISA-Projekt
entstanden.
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Ecuador schenkt mitten in Europa einen Tee mit Ayahuasca aus, einem traditionellen
Entheogen des Amazonas-Gebiets, dessen wichtigste Wirkstoffe Harmalin und in meist
geringen Mengen auch Dimethyltryptamin (DMT) sind.
Menschen treten im Verlauf der nächsten Stunden in stille Ekstasen. Viele übergeben sich
von Zeit zu Zeit, denn das Getränk ist auch ein starkes Purgativum, eines der Brechmittel,
die es dutzendfach in den Apotheken traditioneller südamerikanischer Medizin gibt. Es ist
kaum ein größerer Unterschied zum Klischee einer „Drogenerfahrung“ vorstellbar: keine
leichte, überschäumende Partylaune, keine ausgelassenen Teenager, sondern konzentrierte
Gesichter, ein Geist der Suche schwebt über der Versammlung. Wonach?
Der Ritualleiter stimmt hier und da Gesänge in seinem Quechua-Dialekt an, gibt Einzelnen
Ratschläge. Sie betreffen den Atem und das Loslassen der Empfindungen. Ich wundere mich
über seine generelle Zurückhaltung. Meist sitzt er nur wartend, den Blick nach innen gekehrt
an der Stirnseite des Raumes. Dennoch strahlt er eine starke Präsenz aus. Sie zentriert den
Raum. Die Anwesenden sind im Kreis geordnet und auch symbolisch auf den Leiter
ausgerichtet: Gegenstände sind in der Mitte versammelt, die einen Altar darstellen sollen.
Eine Wurzel, Vogelfedern, ein Blumenstrauß, ein metallenes Gefäß, in dem ein Zimmerfeuer
brennt. Teilnehmer hatten vor Beginn der Zeremonie persönliche Talismane, Blüten und
Schmuck hinzugefügt.
Unter den etwa 35 Menschen befinden sich vier ‚Guides’. Sie stehen den Teilnehmern bei
körperlichen Beschwerden und emotionalen Schwierigkeiten auf Handzeichen zur Seite. Die
Stunden tropfen aus der Nacht, die Stille füllt den Raum wie Wasser einen Teich, in dem sich
die Nacht spiegelt. Strahlen des Mondes fallen durch ein Oberfenster in das dämmrige
Dunkel.
Gegen drei oder vier Uhr am Morgen: gemeinsam gesungene Lieder aus der globalen,
englisch- und spanischsprachigen Songwriter-Tradition. Einige beteiligen sich, andere
sitzen oder liegen in sich versunken auf ihren Plätzen. Wieder andere füllen ihre
Notizbücher.
Im Verlauf der Nacht gibt es drei Sprechrunden. Meist nehmen sie die Form informeller
Dankgebete an, in denen sich die anwesenden Gläubigen, Atheisten, Pantheisten, Buddhisten
und auch die gänzlich unentschiedenen Sinn-Sucher beteiligen. Sind das nur Spiele mit der
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globalisierten Virtualität religiöser Formen? Das Gegenteil scheint der Fall zu sein, wenn
man die Körpersprache und Mimik der Beteiligten studiert: überall Ernst und Ergriffenheit.
Hier und da glänzende Augen, gekrümmte Körper. Gelegentlich Tränen. Einer der Guides
flüstert: „Alle sind mit ihrem eigenen Prozess beschäftigt“. Der Schamane schamanisiert
einige Male, indem er Bewegungen an einem unsichtbaren Körper einzelner Teilnehmer
durchführt, selten den “materiellen“ Körper berührt.
Einer seiner Helfer, ein Deutscher mit geschorenem Haar und ritueller Hinterkopflocke,
geht mit einer Adlerfeder reihum. Er fächert allen auf der Höhe der Substanzwirkung frische
Luft zu, behandelt ihren „Energiekörper“, wie er sagt. Ein Rechtsanwalt neben einem
Handwerker, ein Professor der Biochemie neben einem arbeitslosen Spät-Hippie-Mädchen,
eine Psychologiestudentin neben einem Gemüseverkäufer.
Am Morgen schlafen einige ein, verpassen den förmlichen, aber fast beiläufigen Schluss der
Zeremonie, der Ritualleiter akzeptiert dies.
Wir verlassen das postmodern restaurierte Stadthaus in der City von Amsterdam in den
kühlen Morgen hinein. Drei Polizeilimousinen demonstrieren unaufgeregt die Missbilligung
der Gesellschaft. Sie parken unbemannt, niemand behelligt uns. Ich fotografiere die
Szenerie. Unsere wissenschaftlichen Streifzüge durch Europas Drogenkulturen haben
begonnen: mit einem Blick in das Labyrinth der neuen Rituale.“
Nature-Nurture Revisited? Drogengebrauch zwischen Gen und soziokultureller
(Selbst)organisation
Können bestimmte Formen von Ritualen dazu beitragen, schädliche
Gebrauchsformen zu reduzieren, indem Vorbilder für verantwortlichen Gebrauch
(responsible use) herausgearbeitet werden?
Der öffentliche Diskurs über den Gebrauch legaler und illegaler psychoaktiver
Substanzen orientiert sich üblicherweise an Grenzüberschreitungen in Richtung
Pathologie (Sucht) oder Kriminalität (Übertretungen der
Betäubungsmittelgesetzgebung und Beschaffungskriminialität). Selten werden
93
die Bedingungen eines verantwortungsvollen, also integrativen Gebrauchs
thematisiert oder gar pädagogisch vermittelt
13
.
Dieser Diskurs ist substanzfixiert, insofern die biochemischen Merkmale
psychotroper Substanzen, vor allem die potentiell krankmachenden Effekte in den
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt werden. Oft geschieht dies mit der
Absicht, eine Abschreckungswirkung zu erzielen.
Der Erfolg dieses eindimensionalen, pathologisierenden Diskurses ist mehr als
zwiespältig. Er beinhaltet und erzeugt viele Widersprüche. Eine Reihe von
Autoren stellten die Frage, ob der pathologisierend-normative Ansatz nicht
größere Schäden produziert als er verhindert (vgl. Raschke und Kalke 1999;
Cohen und Hendrien 2001; 2003; Hüsgen 2003; Amendt 2003).
Ein Nebeneffekt des substanzbezogenen politisch-wissenschaftlichen Diskurses
besteht in der weltweiten Verankerung eines Drogenverständnisses (subjektiver
Drogenkonzepte), das den Einfluss individueller und sozialer Verantwortung
unterbewertet. Als subjektive Drogenkonzepte sollen mentale Modelle von
Drogen und deren Wirkung verstanden werden, die das Handeln und Erleben des
Einzelnen beeinflussen. Drogenkonzepte beinhalten Vorstellungen von der
Substanzwirkung, deren Zweckmäßigkeit und Risikopotential, die sich aus
soziokulturellen Mythen und persönlichen Erfahrungen speisen (Jungaberle und
DuBois 2006).
Die globale Distribution psychoaktiver Substanzen wie Alkohol, Cannabis und
Kokain kann in (markt)offenen Gesellschaft zwar verzögert und eingedämmt,
aber nicht verhindert werden (UNESCO 2002; UNODC 2003). Schwarzmärkte
bilden wirtschaftliche Verteilungsnetze aus, die diese begehrten und lukrativen
13
Beim Alkohol werden kulturelle Umgangsformen wesentlich expliziter vermittelt, wenngleich selten in Form
direkter Pädagogik (vgl. die Alcohol Education Programs).
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Güter vermarkten. Da diese Substanzen also so oder so konsumiert werden, stellt
sich die Frage nach den Formen ihrer Regulation.
Dem substanzbezogenen Paradigma, das sich vor allem aus der klassisch
medizinischen und kriminologischen Sichtweise herleitet, kann ein verhaltens-
und verhältnisbezogenes Paradigma gegenübergestellt werden, das soziologische
und psychologische Wurzeln hat. In diesem sind die biochemischen
Eigenschaften der psychoaktiven Substanzen nur einer unter mehreren Faktoren,
die eine Distribution und vor allem spezifische Gebrauchsformen beeinflussen.
Auch der verhaltensbezogene Ansatz ist normativ orientiert, insofern hier
Abstinenz und nicht-schädliche Gebrauchsformen einem individuell und sozial
schädlichen Gebrauch gegenübergestellt werden.
Einstellungen und Ideen einerseits, soziale Formen und physische Umstände
andererseits haben einen bedeutsamen Einfluss auf den Gebrauch psychoaktiver
Substanzen. Insbesondere darauf, ob dieser Gebrauch bei Einzelnen zu einem
abhängigen Verhalten und schließlich zu einer substanzbezogenen körperlichen
Abhängigkeit führt. Dies lässt sich sowohl aus der anthropologischen und
religionswissenschaftlichen Forschung herleiten (Gros 1996; Smith 2000) wie
auch aus soziologischen, psychologischen und medizinischen Ansätzen (Zinberg
1984; Grund 1993). Für gewöhnlich wird der Begriff Ritual gebraucht, um solche
sozialen Formen zu kennzeichnen.
Die dominierende wissenschaftliche Perspektive zum Substanzgebrauch ist heute
allerdings durch neurobiologische Argumente geprägt (Volkow und Li 2005).
Ebenso wird der öffentliche Diskurs weltweit von Studien dominiert, die vor
allem die Entwicklung von substanzbezogener Abhängigkeit und potentielle
95
Schädigungen des Gehirns ins Auge fassen. Nach Einschätzung von Volkow
14
und Li sind 40-60% der Vulnerabilität für eine Abhängigkeitserkrankung durch
genetische Faktoren bestimmt (ebd., S. 1429). Dabei beschreibt dieser genetische
Teil der Vulnerabilität sowohl die Variabilität der Stoffwechselvorgänge, also
wie unterschiedlich Menschen die selbe Substanz körperlich verarbeiten, als auch
die Variabilität der Empfindlichkeit, mit der ein Mensch die Verstärkungseffekte
der gebrauchten Substanz erlebt. Hinzu kommt die genetisch geprägte
Verschiedenartigkeit der Menschen beim Umgang mit Umwelt-Stressoren, die
einen sekundären Einfluss auf die Entwicklung risikoarmer oder schädlicher
Gebrauchsmuster ausüben.
Für die „andere Hälfte“ der Vulnerabilität sind demnach Verhaltensaspekte
ausschlaggebend. Verhalten vollzieht sich immer in Verhältnissen, die Anreize
bieten oder nicht.
2. Rituale des Drogengebrauchs als Lernumgebungen für
Integration
Das Forschungsprojekt „Ritualdynamik und Salutogenese beim Gebrauch und
Missbrauch psychoaktiver Substanzen“ (RISA)
15
untersucht in einem
naturalistischen Längsschnittdesign die Merkmale und Wirkungen von Ritualen
beim Gebrauch legaler und illegaler Substanzen. Die Studie fokussiert die
Entwicklung von Gesundheit (Salutogenese) beim Substanzgebrauch, entgegen
der erwähnten allgemeinen Ausrichtung auf Suchtprozesse. Ausschließlich
letzteres zu tun, könnte man vergleichen mit Studien zum Autofahren, die sich
ausschließlich mit Menschen abgäben, die schon einmal mit 130 km/h durch
14
Nora Volkow ist die derzeitige Direktorin des National Institute of Drug Abuse (NIDA) der USA, welches
einen erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung in der Regulationsdebatte ausübt.
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geschlossene Ortschaften gerast sind. Wir fokussieren auf eine andere Gruppe
von Menschen. Neben etwa 320 Schülern aus 12 Schulklassen der Region – bei
denen uns sowohl die Entwicklung von Abstinenz wie auch die
Phasenentwicklungsverläufe des Drogengebrauchs interessieren, nehmen
ungefähr 50 erwachsene Menschen an einer Längsschnittstudie teil, die wir bis
auf 10 Jahre Datenerhebung ausgerichtet haben. Diese Menschen sind erfahren
im Gebrauch verschiedener legaler und illegaler Substanzen. Fast alle Teilnehmer
erfüllen nicht die Kriterien der ICD-10 und DSM IV für
Abhängigkeitserkrankungen.
Obschon in dieser Studie quantitative Fragebogendaten wie auch qualitative
Interviewdaten erhoben werden, behandle ich im vorliegenden Aufsatz nur
theoretische Aspekte der Ritualfrage, die ich mit eigenen Feldnotizen illustriere.
Im versuche eine Antwort auf die Frage zu geben: Welche Merkmale von
Ritualen tragen zur Entwicklung integrativer, nicht abhängiger Gebrauchsmuster
verschiedener Drogen bei?
Meine These ist: Einige Rituale des Drogengebrauchs unterstützen die Kontroll-
und Integrationsfähigkeiten von Menschen. Sie fördern eine mentale
Orientierung, die sich auf Ziele außerhalb des rein hedonistischen
Drogengebrauchs konzentriert, d.h. die Akteure können in Ritualen lernen, den
Drogen selber einen untergeordneten Platz einzuräumen. Salutogene Rituale sind
Lernfelder für verantwortlichen Gebrauch.
So ähnlich allerdings wie „die Familie“ keine Garantie für eine adäquate
Entwicklung ihrer Nachkommen darstellt, sondern nur bestimmte Familien für
bestimmte Kinder, in bestimmten Phasen, macht die Aussage „Rituale schützen
15
RISA ist Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs 619 Ritualdynamik der Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG) an der Universität Heidelberg.
97
vor schädlichen Folgen des Drogengebrauchs“ (oder deren Gegenteil) keinen
Sinn. Es muss differenzierter gefragt werden, welche Rituale mit welchen
Eigenschaften, welchen psychoaktiven Substanzen – und wie der Einzelne die
normative Botschaft des Rituals in seinen Lebensentwurf integriert. Anders als in
vor-industriellen Gesellschaften ist die Rolle sozialer Kontrolle in modernen
„Drogenritualen“ stark vermindert oder zumindest verändert. Adoleszenter
Gruppendruck, der bei Einstiegsprozessen in Konsum eine große Rolle spielt,
fungiert eher als vieldeutig verarbeitbarer Reiz zur Identitätsarbeit.
Die Diffusität und Multifunktionalität des Ritualbegriffs
Die Differenzierung und konzeptionelle Fassung von Ritualen, die eine Einnahme
von psychoaktiven Substanzen involvieren, trifft auf erhebliche theoretische
Schwierigkeiten, wie überhaupt eine einheitliche Ritualforschung nicht zu
erkennen ist. Vielmehr besteht eine Pluralität von Forschungsansätzen in
interdisziplinärer Spannung zwischen kulturwissenschaftlichen Fächern, die sich
eher einer deskriptiv-analytischen Tradition verpflichtet sehen und solchen
Fächern, deren Grundlagenforschung immer schon auf Handlungsfelder
ausgerichtet ist – wie Medizin, Psychologie und Public Health.
Zunächst ist zwischen verschiedenen Konnotationen zu unterscheiden, in denen
der Begriff „Ritual“ in der westlichen Öffentlichkeit, innerhalb verschiedener
Wissenschaftstraditionen und speziell in Bezug auf den Drogengebrauch
verwendet wird.
Falls nicht explizit religiöse Formen von Ritualen thematisiert werden, so taucht
der Begriff im öffentlichen Diskurs vor allem auf, um leere und sinnlose
Handlungen zu bezeichnen („das ist nur ein Ritual“, „politische Rituale“), oder
um irrationales Verhalten zu markieren. Als vorherrschende Merkmale werden
Ritualen deshalb Wiederholung und Formalität, im Sinn von vorgeschriebenen
98
Ablaufsequenzen zugeschrieben, vereinzelt auch der Gebrauch symbolischer
Gegenstände und Gesten. In der Tradition von Sigmund Freud’s Analyse wird
gelegentlich noch die Zwanghaftigkeit ritueller Handlungen herausgehoben
(Freud 1997/1907).
Bestimmungsmerkmale von Ritualen
Vor allem in der Kulturanthropologie hat sich eine Reihe von Ritualkonzepten
herausgebildet, die starke theoretische Widersprüche aufzeigen (Bell 1997;
Belliger und Krieger 1998; Grimes 2000).
Einmal wird die sozial konservierende und konsolidierende Funktion des Rituals
hervorgehoben (Durkheim 1994/1912), ein anderes mal eher die produktive und
kreative Kraft in rituellen Vorgängen (Turner 1977). Welche Merkmale
hinreichend wären, um Ritual zu definieren, lässt sich nach mehr als
einhundertjähriger Debatte nicht mit einer knappen Liste von Attributen
beantworten. Es galten unterschiedliche Verhaltensweisen als „Ritual“. So
untersucht Goffman (1967) Interaktionsweisen wie den Handschlag und die
Entschuldigung unter dem Stichwort „Ritual“, während Rappaport (1999) sechs
Merkmale zur Identifikation von Ritualen vorschlägt: (1) zyklische oder nicht-
zyklische Wiederholung, (2) ein Tun, bei dem nicht nur etwas gesagt, sondern
auch etwas getan wird, (3) eine stilisierte Verhaltensweise, die Symbole
involvieren kann und sich von der alltäglichen unterscheidet, (4) eine rahmende
Ordnung des Geschehens, die durch Anfang und Ende markiert wird, (5) ein
sinnträchtiger, inszenatorischer Präsentationsstil, und (6) eine kollektive
Dimension des Geschehens, durch die soziale Bedeutungen erzeugt wird.
Angesichts der Optionalität, in der diese Merkmale manches mal zusammen,
gelegentlich aber nur in einzelnen Kombinationen auftreten, ist eher von einem
99
Spektrum des Rituellen zu sprechen, das sich verschiedener Bausteine und
gradueller Abstufungen bedient (vgl. auch D'Aquili, Laughlin et al. 1979).
Die Verwendung des Ritualbegriffs in Zusammenhang mit Drogengebrauch
Im Hinblick auf die begriffliche Konfusion im Zusammenhang zwischen Ritual
und Drogengebrauch ist es nützlich, die folgenden Verwendungsformen des
Begriffs Ritual zu kennen und voneinander abzugrenzen. Ihre Vermischung führt
häufig zu Missverständnissen.
Legitimatorische Verwendung
1. „Drogen nehmen ist ein Ritual“: Man könnte diese generalisierende und nicht-
differenzierende Aussage getrost als die „Hippie-Perspektive“ markieren. Hier
geht es oft um die Legitimation des Gebrauchs.
Entwicklungspsychologische Verwendung
2. „Drogengebrauch ist ein Übergangsritual“: Hierbei wird eine Analogie
zwischen Initiationsritualen, die meist im ethnologischen Kontext beobachtet
wurden, und dem allerdings oft über mehrere Jahre andauernden adoleszenten
Substanzkonsum gezogen. Folgerichtig sprechen einige Autoren auch von der
Selbstinitiation moderner Adoleszenten. Dabei geht es unter anderem darum
Entwicklungsphasen zu verstehen und gesellschaftliche Mängel an
Initiationshilfen zu kritisieren.
Normative Verwendung
3. „Manche Formen des Drogengebrauchs sind Rituale“: Es werden
Gebrauchsformen mit meist spirituell-religiösem, einem therapeutischen oder
100
stark gemeinschaftsbezogenen Charakter als Ritual bezeichnet, während allen
anderen Formen von Drogengebrauch die Ritualhaftigkeit abgesprochen wird. In
dieser Weise äußern sich oft religiös und spirituell orientierte Gruppierungen über
ihre eigene Praxis.
Evaluative Verwendung
4. „Drogengebrauch zeigt Elemente von Ritualen“: Einzelne Merkmale von
Ritualen wie beispielsweise der Aufführungscharakter und die Communitas
16
beim kollektiven Gebrauch von psychoaktiven Substanzen werden
hervorgehoben. Der Einfluss von Set-und-Setting auf die Erfahrung und die
Gebrauchsmuster werden untersucht. Meist geht es hier darum,
schadensmindernde bzw. -steigernde Einflüsse bestimmter Rituale zu analysieren.
Substitorische Verwendung
5. „Rituale statt Drogen“: Im Rahmen der Theorie funktionaler Äquivalente
werden (erlebnis)pädagogische Formen vorgeschlagen, die eine
Ressourcenstärkung oder „Impfung“ von Jugendlichen gegen Drogengebrauch
überhaupt oder schädliche Formen von Drogengebrauch im Speziellen bewirken
sollen (vgl. Mahdi, Christopher et al. 1996). Oft wird hier argumentiert, dass
Drogengebrauch eine Reaktion auf die Armut moderner Gesellschaften an
expliziten Initiationsritualen darstelle.
16
Communitas ist ein Begriff von Victor Turner verwendeter Begriff. Er bezeichnet einen besonderen Zustand
der Gemeinschaft, der mit einem hohen Maß an Zusammengehörigkeitsgefühl, Gleichheit und Gemeinsamkeit
einhergeht. Er tritt nach Turner oft, aber nicht ausschließlich im Rahmen von Initiationsritualen auf.
101
Kontrollierter und integrativer Drogengebrauch
Modelle zum kontrollierten Gebrauch von Alkohol (übrigens selten von Nikotin)
werden in der medizinischen und psychologischen Fachöffentlichkeit unter
anderen Gesichtspunkten diskutiert als Überlegungen zum kontrollierten
Gebrauch illegalisierter Substanzen – falls sie überhaupt diskutiert werden.
Tendenziell sind solche Überlegungen eher unbekannt, kontrovers und nicht
selten Verdächtigungen einer aktiven Propagandierung von Substanzkonsum
ausgesetzt.
Rink (2004) bemerkt allerdings zu Recht, dass Konzepte zum kontrollierten
Gebrauch von Cannabis und anderen Substanzen regelmäßig auch viele Sucht-
Experten anziehen, deren Beurteilung dann jedoch stets von der klinisch so
offensichtlichen Möglichkeit des Kontrollverlusts eingefärbt wird. Die insgesamt
unbefriedigenden gesundheitspolitische Effekte derzeitiger Regulationspolitik
und der aktuellen Suchtprävention lassen viel Raum für neue Entwürfe (Quensel
2004). Es fehlen auch weitgehend konzeptionelle Kriterien für die Definition des
Drogenproblems und wie dessen eventuelle Lösung aussehen könnte.
Einerseits möchte sich niemand durch Überlegungen zum kontrollierten Konsum
als Apologet der immer noch als Anti-Establishment-Phänomen etikettierten
„Drogenkulturen“ exponieren und damit vermeintlich politische Positionen
vertreten (an diesem Punkt besteht eine beträchtliche Diffusität zwischen
politischem Opportunismus und dem Streben nach wissenschaftlicher
Werturteilsfreiheit oder zumindest der Explikation eigener Normen). Andererseits
aber werden eine Reihe unvermeidlicher Einsichten immer deutlicher:
Erstens wird wohl wie beim Alkohol nur eine Minderheit der
Probierkonsumenten fast aller Substanzen im medizinischen Sinne der ICD-10
abhängigkeitskrank (vgl. für den Cannabiskonsum u.a. Kleiber 1998; für den
Heroinkonsum BMBF 2004).
102
Zweitens ist gerade letzterer Befund zwar aus vielerlei epidemiologischen Daten
unzweifelhaft erschließbar, aber insgesamt beschämend schlecht erforscht, was
methodische und wissenschaftsinterne Gründe – unter anderem auch in der
gezielten Vergabe von Mitteln zur Forschung - hat.
Drittens entsteht angesichts der weltweit gesammelten epidemiologischen Fakten
ein wachsendes Unwohlsein mit der immer noch virulenten und politisch
einflussreichen Vorstellung einer „suchtmittelfreien Gesellschaft“, die der
überwiegenden Zahl von Experten als wirklichkeitsfremde Utopie erscheint, die
pragmatische Public-Health-Maßnahmen erschwert.
Viertens hat die Zieldiskussion in der Suchthilfe dazu geführt, dass neben
Abstinenzorientierung bereits seit Jahrzehnten Konzepte der Harm-Reduction und
„akzeptierenden Drogenarbeit“ getreten sind, die notwendig schienen, um
gefährdete Teile der Bevölkerung überhaupt ansprechen zu können. Viele
Konsumenten mit riskanten Mustern werden von diesen Systemen aber weiterhin
nicht erreicht.
Fünftens besteht ein wachsendes Unwohlsein mit den weitläufig und diffus
verwendeten diagnostischen Kriterien für Suchterkrankungen. Eine erhebliche
Zahl von medizinischen und nicht-medizinischen Experten sowie weite Teile der
Öffentlichkeit etikettieren bereits adoleszenten Experimentierkonsum oder
erwachsenen Gelegenheitskonsum als Suchtverhalten. Die stigmatisierende
Wirkung solcher Etikettierung trägt zur verzögerten Inanspruchnahme von
Leistungen des Gesundheitssystems durch viele Gefährdete bei. Wesentliche
soziale und entwicklungsgeschichtliche Funktionen des Drogenkonsums werden
durch die undifferenzierte Begriffsverwendung außerdem verschleiert.
Sechstens existiert eine Reihe von klinisch-therapeutischen Anwendungen vieler
illegalisierter Substanzen, einschließlich der Opiate, Halluzinogene und
Stimulantien, die unter ärztlicher Supervision nur in Ausnahmefällen zu
Suchtentwicklung führen. Die vielversprechende therapeutische Verwendung
103
psychoaktiver Substanzen in der Psychotherapie etwa wird durch die allgemeine
Sucht-Fixierung weitgehend unterbunden oder in den illegalen Bereich gedrängt.
Siebtens wird durch mangelnde Kenntnis über die Kontrollfähigkeit von
Patienten und eine undifferenzierte Trennung zwischen legalen psychotropen
Medikamenten und den „ganz anderen“ illegalen psychotropen Substanzen das
Suchtpotential legaler Psychopharmaka folgenreich unterschätzt (beispielhaft
jenes der Barbiturate und Benzodiazepine).
Achtens besteht innerhalb und außerhalb der Fachöffentlichkeit die allgemeine
Tendenz, Risiken des Substanzkonsums nicht in Relation zu anderen
Lebensrisiken wie Autofahren, Herzinfarkt und Extremsportarten zu setzen sowie
in Relation zu ihrem Nutzen zu setzen. Zu diesem Zweck fehlen zudem
konzeptionelle, versicherungstheoretische und mathematische Modelle.
Neuntens wird der kulturintegrierte, ethnologisch beschriebene Gebrauch vieler
Substanzen, die anders als in industrialisierten Gesellschaften kaum Probleme
erzeugen, diskriminiert und unter dem Blickwinkel westlicher Public-Health-
Perspektiven behandelt (z.B. der Coca-Gebrauch in den Andenländern).
Zehntens führt eine unsachliche Abschreckungs- und Stigmatisierungs-Politik
weltweit keineswegs zum allgemeinen Rückgang des Konsums psychoaktiver
Substanzen. Der hedonistische, rekreationale, therapeutische, spirituelle und
kompensatorische Konsum legaler und illegaler Substanzen bleibt weltweit ein
zahlenmäßig vermutlich noch länger anwachsendes Phänomen.
Dies sind einige der Gründe, die für eine vielfältige Untersuchung kontrollierter
Gebrauchsmuster sprechen.
Der enkulturierte, oft im Zusammenhang religiöser Vorstellungen und
Institutionen ausgeübte Drogengebrauch verweist auf eine Jahrhunderte bis
Jahrtausende zählende Geschichte. Er ist noch heute präsent in schamanischen
Praktiken oder kollektiven entheogenen Ritualen v.a. in Asien, Afrika sowie Süd-
104
und Nordamerika. Kontrollierter Gebrauch ist ebenso wie abhängiger Teil
moderner, industrialisierter Gesellschaften (Zinberg 1983; Weber und Schneider
1992; Schneider 1994; Gros 1996; Strieder 2001; Rink 2004; Kolte und Schmidt-
Semisch 2005).
Wissen, Symbole, Praktiken und Drogen aus den erwähnten Regionen werden
seit mindestens 50 Jahren verstärkt in die westliche Welt importiert. Die globale
Vernetzung im informationstechnischen Cyber-Space hat hier eine neue
Dimension interkulturellen Austausches entstehen lassen
17
. Der in Feldnotiz 1
erwähnte Schamane etwa wurde im Rahmen einer UN-Konferenz zu den Rechten
indigener Völker von einer Delegation tibetischer Mönche aus seiner
abgeschiedenen Urwald-Region in das globale Dorf (und das Internet) eingeführt.
Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Einseitigkeit des dominanten
Expertendiskurses existieren polarisierte Wissenskulturen über psychoaktive
Substanzen. Die öffentlichen Institutionen verwalten weitgehend den
Wissensschatz über Gefahren, Risiken und Nebenwirkungen wie Intoxikation und
Suchtentwicklung sowie die therapeutischen Wege zur Abstinenz; in den sozialen
Systemen der Menschen, die Alkohol, Cannabis, MDMA, LSD, Kokain usw.
gebrauchen, wird wiederum hauptsächlich Wissen über die Techniken und
Freuden des Drogengebrauchs verwaltet, nicht selten aber auch Wissen über die
Vermeidung langfristiger Schäden. Wie und wo aber lernt man solches Wissen?
Feldnotiz 2 Ein deutsches Klassenzimmer
„Es ist der Hitzesommer 2003. Wir betreten bei 36 Grad das Klassenzimmer einer
süddeutschen Realschule. 32 etwa 14jährige Schüler haben uns erwartet, können nur schwer
17
Vgl. www.erowid.org
105
still sitzen, die Klasse ist laut und neugierig angespannt. Nach einigen Erklärungen
unsererseits platzen die Schüler mit ihren Fragen heraus: ‚Cannabis ist gesund, stimmt
doch, oder?’ Ein dunkelhaariger Junge in der zweiten Reihe trägt demonstrativ eine Kette
mitHanfblatt aus Metall. Dann: ‚Unsere Klassenlehrerin sagt: „Beim ersten Mal Ecstasy
wirst Du süchtig“. Kann eigentlich nicht sein, oder?’ Wir antworten ruhig und sachlich,
versuchen die Interessen der Schule zu wahren ohne unser Wissen zu verbergen. Es ist heiß.
Es ist Pubertät. Diese Jugendlichen „wissen“ wenig über Drogen und haben doch schon
vieles ausprobiert - und viel gesehen. Das Thema ist heiß.“
Der Wissenserwerb über psychoaktive Substanzen geschieht größtenteils nicht
pädagogisch, nicht argumentativ und nicht selbst-reflexiv, sondern ritualisiert –
durch Rituale jedoch, die von jeder Generation Adoleszenten weitgehend neu
akzentuiert oder entwickelt werden. Die Tradierung von Wissen über die
Generationenschranke hinweg findet, wenn überhaupt, hauptsächlich beim
Alkohol- und Nikotinkonsum statt.
Trotz dieser sozialen Voraussetzungen findet der überwiegende Teil aller
Cannabis und Ecstasy-Experimentierer (jeweils mehr als 85 %) bis Mitte zwanzig
zu Gelegenheitskonsum oder Abstinenz (vgl. Freitag 1999). Waren das nun doch
„Übergangsrituale“?
Feldnotiz 3 Nicht mehr die Süße sein
„Ellen Hanse ist 28, studiert Medizin. Sie wirkt unauffällig, freundlich, konventionell. Sie hat
seit ihrem 23. Lebensjahr aufgehört Kokain zu sniefen und Ecstasy zu nehmen. Sie trinkt
heute kaum noch Alkohol, raucht zwei, drei mal im Monat auf Partys. Das bereite ihr keine
Mühe.
Noch immer mit leuchtenden Augen und gleichzeitig ein wenig erschrocken berichtet sie von
der ‚mystischen Erfahrung’ beim Koksen zwischen 16 und 19. Sie spricht leise mit großer
Intensität. War das hedonistischer Gebrauch? Ja, auch, sagt sie, aber vor allem nur Reden,
Reden, Reden. Stundenlanges Philosophieren und ‚ins Sein schauen’. Es habe ihr
Verständnis der Welt vertieft. Sie steht am Ende ihres Medizinstudiums. Wozu ihr diese
106
Phase noch gedient habe? Sie sei immer die Brave, „Süße“ gewesen, sie habe etwas tun
wollen, das sie von ihren Eltern unterscheide. Heute kann sie offen mit diesen über ihre
Experimentierzeit sprechen. Sie ist froh, dass die Eltern ihr nie das Vertrauen entzogen
haben.“
Der hier dokumentierte Gesprächsinhalt beschreibt den sporadischen,
episodenhaften Gebrauch von Kokain und Ecstasy über einen Zeitraum von etwa
fünf Jahren. Ellen hat Kontrollkompetenzen erworben, wozu auch ihre
Einschätzung gehört, diese Substanzen würden heute eher den erfolgreichen
Abschluss ihres Studiums gefährden.
Die Studien zum so genannten kontrollierten Drogengebrauch (Zinberg 1984;
Grund 1993; Schippers und Cramer 2004), inklusive unserer eigenen, zeichnen
ein sehr divergentes Bild zu Formen des Substanzgebrauchs. Viele User
verschiedener Substanzen zeigen unterschiedlichste Phasenentwicklungsverläufe:
(a) ausschließlich kontrollierter Gebrauch, (b) von kontrolliertem über „exzessiv-
kompulsiven“ Konsum wieder zum kontrollierten Gebrauch, (c) oder über diesen
Weg zur Abstinenz, (d) oder von kompulsivem zu kontrolliertem und wieder zu
kompulsivem Gebrauch.
Zinberg und Harding (1982) unterscheiden prinzipiell drei Formen von Kontrolle:
die formelle institutionelle Kontrolle durch die Betäubungsmittel-Gesetzgebung,
die informelle soziale Kontrolle und die intrapsychische personale Kontrolle.
Einigkeit besteht in all diesen Studien jedoch darin, dass kontrollierte
Gebrauchsformen sich an Regelkulturen orientieren. Regelkulturen entstehen –
mehr noch als über explizite, pädagogische Wissensvermittlung – größtenteils in
den Ritualen des Drogenkonsums.
Mehr als Kontrolle – Integration des Drogengebrauchs
Es ist wichtig, die Theorie kontrollierten Drogengebrauchs weiterzuentwickeln,
insbesondere die genetischen Einflüsse bei der Ausbildung nicht kontrollierter
107
Gebrauchsformen aufzuklären. Dennoch greift das Konzept der „Kontrolle“ zu
kurz, um verantwortliche Formen von Substanzgebrauch zu beschreiben, weil
Kontrolle im medizinischen Sinn nur auf die Dimension körperlicher und
psychischer Abhängigkeit abzielt. Das Konzept verleitet zudem zur einseitigen
Vorstellung eines ständig von Überwältigung bedrohten Ichs.
Kontrollverlust stellt, wie in Jellineks (1952) historischer Formulierung von
Entwicklungsphasen einer Alkoholabhängigkeit, eine zentrale Kategorie des
abhängigen Substanzgebrauchs dar. Abhängigkeit nach ICD-10 oder DSM IV
kann aber auch ohne das Vorhandensein eines Kontrollverlusts diagnostiziert
werden (Uchtenhagen 2004). Mangelnde Selbstkontrolle ist nicht das einzige
Kriterium für schädliche Gebrauchsformen (sondern z.B. auch
Entzugserscheinungen, Toleranzentwicklung, Craving). Umgekehrt aber ist auch
eine aufrechterhaltene Kontrollfähigkeit gegenüber psychoaktiven Substanzen
nicht das einzige Kriterium für unschädlichen oder gesundheitsfördernden
Umgang mit diesen Drogen. Auch bei deutlicher Meisterung von Kontrolle (und
im Übrigen auch starken Elementen von Ritualisierung
18
) können erhebliche
Beeinträchtigungen der persönlichen Entwicklung oder des sozialen Umfelds
entstehen.
Es gibt ein weiteres Argument, warum die Diskussion um verantwortliche
Formen des Drogengebrauchs sich nicht auf Kontrolle beschränken sollte. Das
Konzept der totalen Kontrolle entspringt einem illusionären Denken, einer
defizitär rationalistischen Anthropologie. Zeitweilige Formen der Aufgabe von
Kontrolle (im Rausch, im Tanz, in der Sexualität usw.) sind sozial erwünscht und
tragen zur Erhaltung von Gesundheit und sozialem Zusammenhalt bei. Auch aus
18
Beispielsweise raucht eine unserer Studienteilnehmerinnen seit 11 Jahren einmal wöchentlich, Mittwochs (bis
auf Urlaubszeiten und Phasen starker Arbeitsbelastung) Heroin – außerhalb dieser Zeiten jedoch niemals.
108
systemtheoretischer Sicht sind vorübergehende Zustände von Instabilität normal
und eher förderlich für den Erhalt des Gesamtsystems.
Statt Kontrollfixierung ist es notwendig, eine umfassende Theorie der Integration
von Rausch und Drogen in die Lebensganzheit einer Person zu entwickeln, die
der Komplexität des Phänomens gerecht wird (Anfänge einer solchen Theorie
finden sich bei Jung 2006). Kontrollkompetenz ist in diesem Entwurf nur ein Teil
von Integrationskompetenz.
Integrationskompetenz ist ein aktiver Prozess von Gestaltung. Jeder Gebrauch
psychoaktiver Substanzen resultiert in biologischen, psychischen und sozialen
(An)Forderungen. Diesen Forderungen begegnen Menschen mit mehr oder
weniger Ressourcen zur Bewältigung beziehungsweise Gestaltung.
Integrationskompetenz ist durch eine Passung zwischen (An)Forderungen und
Ressourcen definiert.
Hier sollen nur einige Elemente des Entwurfs skizziert werden, um unser Ritual-
Konzept beim Drogengebrauch besser einordnen zu können.
109
Abb. 1: Generelles Modell der Integration von Substanzerfahrungen (Jung 2006)
Unser eigenes Modell, das in Abbildung 1 schematisch dargestellt ist, konzipiert
den Substanzkonsum nicht unter dem Gesichtspunkt einer quasi-determinierten
Entwicklung auf Sucht hin.
19
Vielmehr gehen wir davon aus, dass ein
Organismus im Prinzip auf Ganzheit und Funktionieren ausgerichtet ist. Wie im
Salutogenese-Modell von Antonovsy (1987) sind Noxen
20
, die potentiell
bedrohlich werden können, allgegenwärtig, aktive Prozesse des Organismus diese
Noxen zu bewältigen ebenfalls.
Substanzkonsum wird unter der Perspektive betrachtet, dass die Wirkung
psychoaktiver Substanzen mehr oder weniger Integrationsarbeit, also Reaktionen
des Organismus bzw. der Person auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene
erfordert. Am Ziel der Bewältigung von Substanzkonsum kann man scheitern
(wie im Fall von Sucht oder dauerhaft psychotischen Reaktionen), sie kann
mühelos gelingen oder sogar zur Steigerung von Wohlbefinden und Gesundheit
beitragen.
Integration zielt immer auf Ganzheit und Funktionieren. Insofern ist dieses
Modell normativ. Modelle der Ganzheit und des Funktionieren sind jedoch nicht
von einem naturwissenschaftlichen Exaktheit-Ideal her operationalisierbar,
sondern vermengen sich mit kulturell geprägten Entwürfen des Menschen und der
Welt, deren Einflüsse oft diffus sind und widersprüchlich sind.
Völlige Integration meint völlige Gesundheit auf körperlicher, psychischer und
sozialer Ebene, völlige Desintegration meint Tod. Der Konsum psychoaktiver
19
Dieses quasi-teleologische Verständnis ist auch eine der größten Schwächen vieler psychodnamischer Modelle
zur Sucht. „Rausch“ wird hier fälschlicherweise als prinzipiell regressiver Zustand interpretiert.
20
Eine Noxe ist eine Substanz oder ein Ereignis, das einem biologischen Organismus Schäden zufügt. Im
weiteren Sinn versteht man unter einer "Noxe" jede Art von Krankheitsursache.
110
Substanzen bei einer Person wird unter Aspekten der vollbrachten
Integrationsleistung bewertet - und zwar die Auswirkung einzelner
Konsumerfahrungen (je nach Terminologie also einem Veränderten
Wachbewusstseinszustand, einem Rausch, einer Intoxikation) und eines ganzen
Gebrauchsmusters auf das Individuum (also mehrmaligem Gebrauch über einen
längeren Zeitraum).
Personen benutzen verschiedene Integrationsstrategien, auch abhängig von den
Forderungen,s die eine bestimmte Substanz (Alkohol, LSD, Opium) an den
Organismus stellt.
Rauschzustände oder ganze Gebrauchsmuster sind mögliche Noxen und können
Stress verursachen. Dies resultiert in einem Spannungszustandes (Ist-Soll-
Spannung) innerhalb des Individuums. Diese Integrationsspannung entsteht,
wenn auslösenden Bedingungen nicht mit körperlichen, psychischen oder
sozialen Ressourcen übereinstimmen. Beispielsweise müssen auf der
körperlichen Ebene vielleicht Toxine abgebaut werden. Oder ein hochfrequentes
Cannabis-Konsummuster kann zur Aufgabe von Studium oder Beruf führen;
folglich entstehen soziale Forderungen, z.B. den eigenen Lebensunterhalt
bestreiten zu sollen und daraus resultiert Integrationsspannung. Ein mystisch
verarbeitetes Meskalin-Erlebnis andererseits erfordert vielleicht die Erweiterung
des weltanschaulichen Bezugsrahmens.
Die notwendige Reaktion des Organismus, also die Integrationsarbeit, findet je
nach Integrationsforderung auf unterschiedlichen Ebenen statt: (1) kognitiv, (2)
emotional (repressive vs. sensitive Verarbeitung), (3) verhaltensmäßig, (4)
transpersonal, (5) ökonomisch, (6) interpersonell, (7) körperlich und (8)
soziokulturell. Das Ausmaß der nötigen Integrationsarbeit wird durch das
Ausmaß der Integrationsspannung bestimmt. Bei der Integrationsarbeit wiederum
greifen Menschen auf sehr unterschiedliche Ressourcen zurück (vgl. Abb. 1).
111
Das Modell vermeidet eine voreilige Pathologisierung und betrachtet Probleme
im Umgang mit psychoaktiven Substanzen zunächst als Krisen und damit
Chancen zur Entwicklung, bevor es die Diagnose von Störungen und Krankheiten
in Betracht zieht.
Die konzeptionelle Weite des Begriffs Integration ist als Stärke zu verstehen.
Dessen geschichtliche Verwendung in den diversen wissenschaftlichen Theorien
ist an anderer Stelle ausgearbeitet (Jung 2006).
3. Dimensionen der Ritualisierung beim Drogengebrauch
Rituale des Drogengebrauchs sind die mehr oder weniger strukturierten, mehr
oder weniger Kompetenz vermittelnden, mehr oder weniger auf Gesundheit,
Entwicklung oder Selbstzerstörung ausgerichteten Konsumkontexte. In diesen
werden Ressourcen für die Integrationsarbeit ausgebildet, bekräftigt oder zerstört.
Das hier ausgearbeitete Konzept betont die Rolle von Ritualen als soziale
Lernfelder. Es ist eine Theorie der rituellen Integrativität, in der vor allem nach
erlebens- und handlungsteuernden Ordnungskräften im sozialen Raum gefragt
wird, die Ressourcen für einen nicht-schädlichen Drogengebrauch beim
Einzelnen aufbauen.
Es macht von daher keinen Sinn, eine Dichotomie zwischen ritueller und nicht-
ritueller Drogeneinnahme zu konstruieren, da allen Situationen des
Drogengebrauchs mehr oder weniger Merkmale von Ritualen zukommen. Welche
Dimensionen sind nun beim Drogengebrauch entscheidend für dessen
Integrierbarkeit in eine gesunde psychische Entwicklung (Abb. 2)?
112
Abb. 2: Best Practice-Dimensionen von Ritualen mit psychoaktiven Substanzen
Rituelle Faktoren, die den Drogengebrauch positiv beeinflussen, zeigen sich in
der realen Drogengebrauchssituation an der Beeinflussung von Intentionen, der
Aufstellung von gebrauchsregulierenden Regeln, der Etablierung risikoarmer
Formen und der Ausrichtung auf Integration im Sinne einer autonomiefördernden
Entwicklung.
Die Dimension der Intentionalität etwa kann von unreflektierter Wiederholung
einer hedonistisch bewährten Praxis bis zur bewussten Gestaltung einer mit
Tradition aufgeladenen Zeremonie reichen.
Interessant im Sinne einer Regelkultur-Bildung sind vor allem komplexe und
explizite Rituale, in denen die Teilnehmer reflexiv versuchen, aus den benutzten
Substanzen ein Entwicklungsmedium zu machen (Jungaberle 2004). Zeiten des
Rausches sind in diesen Biographien Zeiten der Grenzerfahrung und
Transgression im Dienste einer Steigerung des Lebensgefühls, im Dienste
persönlichen Wachstums oder mystischer Erfahrung und es sind auch Zeiten, im
Dienste eines nicht auf Endlosigkeit hin entworfenen Genusses.
113
Ethnopoietische Praxis und die Melancholie der verlorenen Sicherheit
Im Gegensatz zu vorindustriellen Kulturen sind die Beteiligten an sozialen
Formen, in denen Drogen gebraucht werden, in der Regel nicht mehr nur rituelle
Objekte einer relativ stabilen Überlieferung, sondern oft kreative Subjekte
ritueller Inszenierung. Solche Inszenierungen bedienen sich jedoch immer
häufiger kultureller Inspirationen aus dem rituellen Vorrat der Weltkulturen.
Ritualtransfer ist die Regel, nicht die Ausnahme. Dass hier nicht selten eine
melancholische Sehnsucht nach der vermeintlichen Sicherheit vor-moderner
Lebensformen mitspielt, ist deutlich.
Woher sollte aber eine Erneuerung von Ritualen des Drogengebrauchs ausgehen?
Brasilien, Nordamerika, Mexiko, Sibirien? Kann man diese Beispiele von
Ritualtransfer wirklich ernst nehmen, haben sie eine Chance auf Verknüpfung mit
verantwortungstragenden Lebensstilen?
Insbesondere der spirituelle und therapeutische Gebrauch psychoaktiver
Substanzen stand spätestens seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in einem
intensiven Austausch mit schamanischen Traditionen.
Ausgetauscht wurden und werden Symbole, Praktiken, Ritualformen, Ritualleiter
– und experimentiert wird mit einem Habitus, der den traditionellen sakralen
Rahmen einiger Substanzen in den Dschungel des modernen Lebens transferieren
möchte. Von daher kommen auch Bezeichnungen für die Psychoaktiva wie
Entheogene („ins Göttliche hinein führend“) oder Psychointegrators (Winkelman
2001).
Viele moderne Drogenkulturen sind nicht ritualarm, sondern dysfunktionale und
diffuse Kontexte für Drogengebrauch. Sie beschränken Autonomie.
Ritualdynamik beschreibt die Genese und Entwicklungsgeschichte eines
Ritualsystems, oder anders gesagt: sie beschreibt, ob und wie es den sozialen
Akteuren gelingt, ihre rituellen Aufführungen zu stabilisieren und weiter zu
114
geben. Lernen braucht zeitweise stabile Umgebungen. Und es braucht Vorbilder
oder Lehrer, die nicht zu Idolen erstarren.
Dass bei Transfers aus anderen Kulturen keine irgendwie geartete Imitation der
„ursprünglichen“ Rituale stattfindet oder stattfinden kann, ist jedem klar, der
einer solchen Performanz beiwohnt. Was man hier beobachten kann, sind Formen
von Ethnopoiesis, von Neuerfindung des im Fernen gefundenen. Ein großer Teil
der Symbolwelt aus dem Ursprungsbereich wird dabei getilgt, vergessen, neu-
interpretiert und in den Zusammenhängen des Eigenen umgestaltet. Es werden
auch nicht ganze Systeme transferiert, weil es sowieso nur eine Phantasie von
Wissenschaftlern (also Systematikern) ist, dass die Praktiken in den
Herkunftsländern selber ein zusammenhängendes System darstellten. Praxis ist
nicht Theorie. Menschen nehmen, was ihnen nützlich ist. Ritualtransfer beim
Drogengebrauch ist in diesem Sinn ethnopoietisch.
4. Rand und Zentrum – Die Bedeutung
unkonventioneller Formen des Substanzgebrauchs
In einigen (sub)kulturellen Milieus wird der traditionelle Gebrauch psychoaktiver
Substanzen als Vorbild betrachtet, als Beispiel für Best-Practice. Manche dieser
Rituale im Umfeld des Drogengebrauchs versorgen die Menschen mit einem
Horizont an autonomiefördernden Ideen, Symbolen und Reflexivitätsangeboten –
zum Beispiel auch mit der Idee der zeitweiligen oder dauerhaften Abstinenz.
Gibt es ein einfaches Unterscheidungskriterium, das ein integratives von einem
desintegrativen Gebrauchsmuster unterscheidet?
115
Am ehesten lässt sich dieses Kriterium in der Emergenz finden
21
. Solche
Gebrauchsmuster lassen sich nicht auf die pharmakologischen Eigenschaften von
Substanzen reduzieren, sondern erzeugen in Zusammenhang mit den
soziokulturellen Einflüssen neue Formen der Auseinandersetzung mit den
psychoaktiven Substanzen.
Neben vielen konventionellen Biographien, in denen Drogengebrauch eine meist
adoleszente, nicht pathologisch relevante Entwicklungsphase von Identitätsarbeit
markiert, gibt es auch alternative Verläufe, in denen Personen einige
psychotropen Substanzen als Medien einer introspektiven Konfliktbearbeitung
verwenden oder neue spirituelle und religiöse Formen entwickeln. Ein zunächst
vielleicht befremdliches Beispiel:
Feldnotiz 4 Über Jesus weinen
„Jörg ist 32 Jahre alt, Schreiner mit Abitur und hat zwei Kinder.. Seine Herkunftsfamilie
war areligiös, er hat keine christliche Erziehung genossen. Nach einigen Jahren der
Identitätssuche am Rand der Osho-Szene
22
stößt er über seine spätere Frau zu einer Gruppe
unkonventioneller Santo Daime-Trinker. Vor diesem Hintergrund lag ihm nichts ferner als
bei Erwähnung des Namens ‚Jesus’ eines Tages – und während unseres Interviews –in
heftige Tränen auszubrechen. In dieser brasilianischen Ritual-Tradition werden während
der Substanzwirkung über viele Stunden oft mehr als hundert Lieder (Hymnen) gesungen, in
denen Maria, Jesus, Erzengel und andere Gestalten der christlichen Mythologie neben
Naturphänomenen wie Sonne, Mond, Sterne und das Meer verehrt und angerufen werden.
Ich frage Jörg im Interview: ‚Was eigentlich bedeutet der Name ‚Jesus’ für Dich, was ist
21
Emergenz bezeichnet in Philosophie und Psychologie das Phänomen, dass sich bestimmte Eigenschaften eines
Ganzen nicht aus seinen Teilen erklären lassen, sondern erst durch das Zusammenwirken seiner Einzelteile
(Substysteme) entstehen.
116
das: eine Person, ein Geist, ein Gott, ein Symbol?’ ‚Jesus’, beginnt er, ‚ dann versagen ihm
die Worte, heftige Tränen rinnen über sein Gesicht …“
Wo lernt man, bei Erwähnung des Wortes ‚Jesus’ in Tränen auszubrechen? In
solchen Ritualen, die existenzielle Orientierung anbieten, die versuchen, die
traditionellen Schätze der religiösen Traditionen für post-moderne Menschen neu
lesbar zu machen. Insofern geht es in diesen Ritualen also wieder um „letzte
Fragen“, um Endlichkeit und Ohnmacht, um die Stellung des Selbst gegenüber
der Gemeinschaft.
Mit den zuletzt erwähnten Ritualen des Drogengebrauchs sind komplexere
soziale Formen (Gestalten) gemeint, mit körperbezogenem
Aufführungscharakter, einem rituellen Kalender, einem spezifischen
symbolischen Repertoire, Akteuren mit bestimmten Rollen, verschiedenen
Formen von Rahmung und ritueller Haltung (ritual stance), die das Geschehen
aus dem Alltag herausheben.
Integrativer Drogengebrauch verweist mehr oder weniger auf Ziele und Kontexte
außerhalb des Drogengebrauchs. Ritual-Kulturen schaffen solche Kontexte.
Während beim abhängigen Drogengebrauch die Wiederholung des Gebrauchs
selber, die Beschaffung und der Konsum von Drogen allmählich zum Mittelpunkt
von Intention und Handeln werden, bietet das Ritual Ziele und Kontexte an,
welche die Droge und den Drogengebrauch zum Instrument machen, zum
Medium, zum Mittel. Die Orientierungsleistung, die von solchen Ritualen
ausgehen kann, erfordert andererseits Disziplin, Bindung und Engagement von
Seiten der Akteure.
22
Osho, vormals Baghwan Shree Rajnesh, zog in den 70er und 80er Jahren hunderttausende amerikanischer,
europäischer und asiatischer Sinnsucher in seinen Bann.
117
Feldnotiz 5 Rituale der Erinnerung
„15 Uhr Freitagmittags. Wir befinden uns in einer hässlichen, aber weitläufigen Kirche im
Betonbaustil der siebziger Jahre. Etwa 100 Menschen haben sich in dem geschmückten
Raum versammelt, um einer Tanzzeremonie der europäischen Santo Daime Kirche
beizuwohnen, in deren Verlauf mehrfach ein halluzinogener Tee - aus Lianen und
Strauchblättern des Amazons gebraut - getrunken wird. Dies alles legal unter dem Schutz
des Religionsfreiheitsparagraphen der Europäischen Charta. In einer Ansprache zu Beginn
des 14-stündigen Rituals äußert sich der Ritualleiter zum Unterschied zwischen
verschiedenen Arten des Drogengebrauchs: „They take the drug to forget, we take the drug
to remember.“
In dieser Gemeinschaft, so wird hier erklärt, trinke man den Ayahuasca-Tee, um
zu „erinnern“, während andere Drogen nähmen, um ihre Lebensprobleme und
ihren Schmerz zu betäuben und zu vergessen. „Erinnern“ steht hier für das
Erfassen des Wesentlichen, der „wahren Natur“ und Herkunft des Menschen, es
steht für eine bestimmte Form der Erkenntnis und Erleuchtung.
Solche unkonventionellen und epidemiologisch unbedeutenden Ritualformen sind
Beispiele der rituellen Kreativität und Synthesefähigkeit von Menschen, die sich
Knoten im Netzwerk globaler Sinnentwürfe knüpfen. Solche Rituale sind
Bindungsangebote. Ihr Bindungsangebot umfasst mehr als die Stiftung von
Gemeinschaft. Es beinhaltet eine interpersonelle, intrapersonelle und eine
noetische Komponente.
Rituale bauen Kontexte des Drogengebrauchs, die sich mit den biographischen
Projekten verbinden, die Menschen an sie herantragen.
Dies fällt insbesondere bei solchen Ritualfiguren auf, die sich von den üblichen
Formen modernen, urbanen Drogengebrauchs radikal abheben.
Sie bilden kulturelle Inseln.
118
Ritual Literacy
Man sollte nicht den Fehler begehen, die Sinn-Dimension, den „Horizont“ von
Ritualen zu verwechseln mit abgrenzbaren Bedeutungs-Einheiten, die auf
sprachliche Formeln zu reduzieren sind. Rituale wirken eher als
assoziationsfördernde Hintergründe und erzeugen mentale Komplexe, bei denen
Atmosphären, Stimmungen, emotionale Haltungen, die Sicherheit einer
körperlichen Präsenz usw. eine bedeutsamere Rolle spielen als die Logik der
Sprache.
Die World Health Organization formuliert als wichtiges makropolitisches Ziel
ihres Handeln „Health literacy“
23
. also eine Art Gesundheitsalphabetismus. Für
den Drogengebrauch gilt: Health literacy umfasst hier neben aktiven
Wissenskomponenten über Nutzen, Risiken und Nebenwirkungen der Substanzen
eine „ritual literacy“ – als Fähigkeit, an sozialen Formen zu partizipieren und
solche Formen zu kreieren, die Lernen und Wachstum fördern.
23
Nachzulesen unter http://www.hsph.harvard.edu/healthliteracy: “Health Literacy is an interaction between
social demands and individual skills” (Access Date: 15.03.2006).
119
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Zinberg, N. E. (1984). Drug, Set and Setting: The basis for controlled intoxicant
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... Now we shift from the overall process of Resilience Education, to salient aspects of professional development focusing on drug decisions-Risk Competence. As opposed to a focus on risk as a youth "fixing" approach, risk competence supports a key aspect of resilience (Brewer, Weinstein, Cuite, & Herrington, 2004;Franzkowiak, 1987Franzkowiak, , 2002Jungaberle, 2006). ...
... The goal of teaching risk competence is to enhance decision-making skills through the development of both adequate personal risk information about drugs, and the adequate perception of one's competence in response to these risks (Jungaberle, 2006;Renn, 2000). More specifically, it has been found that rather than sophisticated variations on understanding that drugs are dangerous-as has been shown to represent a traditional approach to drug education for more than 100 years (Beck, 1998)-a more effective approach to learning and development aligns risk competence with resilience. ...
Article
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Despite a 50-year interdisciplinary and longitudinal research legacy--showing that nearly 80% of young people considered most "at risk" thrive by midlife-only recently have practitioners/researchers engaged in the explicit, prospective facilitation of "resilience" in educational settings. Here, theory/knowledge distinguishing and extending risk and resilience from its risk-based social history to resilience's normative occurrence leads to the first known international and prospective application of resilience in school-based drug education, Project REBOUND [resilience-bound]. It will be implemented as a controlled pilot study, first in Germany, then expand to the United States, as well as other parts of Europe. With evaluation occurring throughout, the goal is to enhance the quality of drug decisions among young people, as well as support their overall competence-based learning and development throughout school. With limitations and underlying psychological mechanisms discussed, it is concluded Project REBOUND offers promising potential for supporting positive drug decisions as well as youth learning and development.
... It is clear that we do not propose to equate ritual drug use with Best Practice. Societies usually don't structure 29 Refer to Jungaberle (2006) Rituale und Integrationskompetenz beim Gebrauch psychoaktiver Substanzen for a short form of this model. 30 Kruse & Dreesen (1995) Hypnose und Kognition; W. Tschacher (1997) Prozessgestalten. ...
... Refer toJungaberle (2006) Rituale und Integrationskompetenz beim Gebrauch psychoaktiver Substanzen for a short form of this model.30 Kruse & Dreesen (1995) Hypnose und Kognition; W.Tschacher (1997) Prozessgestalten. ...
... Neben der Darstellung m ö glicher Negativentwicklungen sind jedoch positive und beeinfl ussbare Faktoren wie Resilienz als erlernbare Grundlage [29] selbstbestimmter Risikoentscheidungen darzustellen, die sch ä dliche Konsumformen verhindern. Dies bedeutet eine Abkehr vom klassischen Risikofaktorenmodell, hin zu einem -bisher meist theoretisch gebliebenen -Verst ä ndnis von Substanzkonsum als Bew ä ltigungsversuch, auch die Abkehr von Suchttheorien als Modelle zur Erkl ä rung des ganzen Spektrums von Substanzkonsum [30] . Ob die Diskrepanz zwischen der pers ö nlichen und der allgemeinen Risikowahrnehmung eine realistische Einsch ä tzung oder aber eine Untersch ä tzung der eigenen Vulnerabilit ä t ist, kann in der vorliegenden Untersuchung nicht entschieden werden. ...
Article
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Objectives: To describe the patterns and course of use of psychoactives among adolescents and to analyse the relevance of risk perceptions and sense of coherence as protective factors. Methods: Patterns of use were examined in a prospective longitudinal design (follow up period=3.5 years) in a non-clinical sample (n=318) between the years 2003 and 2006. Results: Patterns of use showed a tight but complex connection with risk perceptions of users. Adolescents consider the risks associated with their own use to be smaller as the risks for users in general. Furthermore salutogenetic factors proved to be relevant in patterns and course of use: Adolescents showing a high degree of sense of coherence at the outset of the study, consumed alcohol and cannabis less frequently or not at all at the end of the survey. Moreover fewer phases of excessive substance use during the survey were found in this group. Conclusions: Substance abuse prevention programmes need a lesser focus on depiction of abstract dangers associated with substance use and a greater focus on personal vulnerability. Such programmes require also suitable steps for building up resilience and competencies for managing the daily hassles in life.
Chapter
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This is the opening chapter and editors foreword of our 2008 book on Therapy with Psychoactive Substances. At that time we mainly focussed on the work of a Swiss group called the Schweizerische Ärztevereinigung für Psycholytische Therapie (SÄPT). Our qualitative and historical work about them was compemented by original texts from authors in the field. Since this is a highly divisive and strangely underresearched field the value of this book is to narrate historical practice and evidence and bring it into connection with beginning research at that time. In the year 2015 (when writing this abstract) things have changed dramatically. Neuroscience and even some therapy research with LSD, MDMA and other mind-opening drugs has begun at a number of University and even outside of the academic field.
Article
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Shamanism is found cross-culturally in hunter-gatherer societies, constituting an etic phenomenon and an ecological adaptation to human psychobiology. This psychobiological basis is manifested in cross-cultural similarities in shamans' visionary experience, soul journey, guardian spirit relations, healing practices, and self-transformation experiences such as death and rebirth. These universals reflect operations of basic brain structures, or innate modules, for processing specialized information about self, mind, others and nature. The cross-modal integration of these innate processing modules for knowledge about mind, social relations (self/others), and the animal world provided a basis for metaphoric predications and analogical representations found in shamanism. These cross-modal integrations are manifested in: animism (self and mind attributed to nature); totemism (natural world categories attributed to social others); and the guardian spirit complex (natural world categories attributed to self and mind). These metaphoric cross-modal integrations of representations from innate modules of the brain produced fundamental forms of trope (metaphor) underlying analogical representation and provided a basis for cognitive evolution. Representational and psychointegrative aspects of shamanic practice made it an adaptive mechanism for healing. Shamanic ritual alterations of consciousness provide mechanisms for cognitive, personal and social integration. The psychobiological basis of shamanism creates structures that provide an ethnological analogy for cultural interpretation and reconstruction.
Chapter
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In den vergangenen vier Jahrzehnten haben sich dem Begriff des Kontrollierten Konsums mehr und mehr Bedeutungen und Konnotationen zugesellt, so dass man heute ziemlich genau sagen muss, auf was man sich eigentlich bezieht, wenn man diese Begrifflichkeit verwendet. Vor diesem Hintergrund vollzieht der Beitrag die Entdeckung sowie die weitere Institutionalisierung des Kontrollierten Konsums in einigen wichtigen Etappen nach: Nach Überlegungen zur „Entdeckung“ des Kontrollierten Konsums geht es sodann um die emphatische drogenpolitische Funktionalisierung dieser Erkenntnisse und schließlich um die Therapeutisierung des Begriffs des kontrollierten Drogengebrauchs. Abschließend wird gefragt, ob diese Entwicklung als Fortschritt einer emanzipativen Drogenhilfe zu verstehen ist oder ob sie im Kontext einer neoliberalen Rationalität auch problematische Aspekte mit sich bringt.
Thesis
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This dissertation brings together results of my NWO ·-funded ethnography --into the drug taking rituals of regular users of heroin, cocaine and other psychoactive substances-- resulting studies and some twenty years of puzzlement and subsequent pondering. The NWO study was initiated in the former Erasmus University Institute for Preventive and Social Psychiatry (IPSP) by professor Charles D. Kaplan and the late institute director professor Kees Trimbos. The work was completed within the walls of the new-born lnstituut voor Verslavingsonderzoek (IVO), Addiction Research Institute, and the safety of my home.