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Die Eheleute von Campaigns, Inc.

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Kalifornien 1933: Clem Whitaker und Leone Baxter gründen die erste Firma für politisches Kampagnenmanagement. / California 1933: Clem Whitaker and Leone Baxter establish the first political campaign management consulting firm. KEYWORDS Schlagwörter: Abstimmungskampagnen, Ärzte, Ärzteverband, Berater, Beratung, California, Campaign Consultant, Campaign Consulting, Campaign Management, direkte Demokratie, Gesundheitspolitik, Großbritannien, Inszenierung, Kalifornien, Kampagne, Krankenversicherung, Partei, Petition, Plebiszit, Political Consultant, Political Consulting, Politikberater, Politikberatung, Presse, Profession, Professionalisierung, Propaganda, Referendum, Sozialismus, USA, Vereinigte Staaten, Volksbegehren, Volksentscheid, Wahlen, Wahlkampf • Organisationen: American Medical Association, Campaigns Inc., National Health Service (NHS), Pacific Gas & Electric, Republikanische Partei (USA), • Personen: Leone Baxter, Luke Fildes, Barack Obama, Harry Truman, Upton Sinclair, Clem (Clement) Whitaker, • Publikationen: The Nation
70 po l i t ik &kommunikation | August / September 2014
Kampagne
massage. Whitaker merkte sich: Der beste Lobbyist ist oft der
Bürger nebenan.
1933 suchten Kommunen einen PR-Trommler. Sie sorgten sich
um ein Wasserwirtschafts-Großprojekt, das der Energiekonzern
„Pacic Gas & Electric“ stoppen wollte. Whitaker gab man nicht
viel an die Hand: magere 40.000 Dollar Etat und Leone Baxter,
Referentin einer kleinen Handelskammer. Geograsch genau
mobilisierten sie Stimmen, massierten die Kleinstadtpresse und
das politisch noch wenig genutzte Radio. Den mächtigen Kon-
zern schlugen sie mit 33.000 Stimmen Vorsprung. Der Kanter-
sieg war das Entrée für ihre Firma „Campaigns, Inc.“ Das Kon-
zept: Rundum-Management für Abstimmungskampagnen. Kali-
fornien war seit 1911 Hochburg direkter Demokratie. Der Stimm-
bürger entschied lokal oder landesweit über Regulierung von
Industrien, Steuern, Anleihen für Großprojekte, sogar Gehälter
von Beamten. Whitaker/Baxter setzten an der Urne für die Lehrer
einen Tarifsprung durch. Aber meistens fuhren sie auf der Straße
rechts. Big Business wurde ihr bester Freund: Versorger, Eisen-
bahnen, Bau-, Öl-, Agrar-, Handelsrmen. Sogar der alte Feind
„Pacic Gas“ wurde Kunde.
Keine Chance für Traditionsparteien
Dann kamen Wahlkämpfe. Gouverneure, Abgeordnete, Bürger-
meister hatten ein Problem. Fast überall war die Parteistruktur
schwach. Jene Reformer, die mit Plebisziten die Macht korrupter
Parlamente brachen, entzogen auch Parteien die Kraft. Sie führten
Vorwahlen ein, sogar „Cross-Filing“: Jeder Kandidat durfte bei
jeder Partei zugleich antreten. In Kommunen durfte der Partei-
name gar nicht auf die Stimmzettel. Wähler waren meist Zugezo-
gene, parteilich wurzellos. Kalifornien wuchs rasant. 1920 lebten
Die Eheleute von
Campaigns, Inc.
Sie wirkten wie ein adrettes Vorstadtpärchen. Er ein langer
Schlacks, wippende Haartolle; sie sein „modischer, attrak-
tiver Partner“, der „hübsche Rotschopf“, wie kaum ein Por-
trät zu erwähnen vergaß. Doch sie waren gefürchtet. Bonnie
und Clyde, nur mit besseren Manieren, und sie machten mehr
Kasse. Als sie 1955 Bilanz zogen, hatten sie 75 Kampagnen gema-
nagt, 70 gewonnen. Ihre legendärste erledigte den Schriftsteller
Upton Sinclair beim Rennen ums Gouverneursamt von Kalifor-
nien. Die wichtigste zerstörte den Auau einer US-Krankenver-
sicherung. Ihre Firma „Campaigns, Inc.“ in San Francisco war die
erste, die Wahlkämpfe komplett kommerziell managte. Ihr Voll-
service ersetzte Parteizentralen. Auch für Referenden kreierten
sie Leistungspakete. Sie waren Pioniere einer neuen Profession,
die nicht zufällig in Kalifornien entstand.
Clement Whitaker und Leone Baxter wurden zu dem, was
man an der Ostküste in den alten Parteimaschinen „Boss“ genannt
hätte. Bei den Republikanern, die Kalifornien damals im Gri hat-
ten, kam kein Prominenter an ihnen vorbei. Sie lenkten maßgeb-
liche Gesetzgebung durch plebiszitäre Abstimmungskampagnen.
Eine Reportage im Magazin „The Nation“ hieß knapp: „Govern-
ment by Whitaker & Baxter“. Mit feinem Lächeln dämpfte das Duo
den Hype: „Wir wollen nur gute Handwerker sein.
Der Provinzjournalist Whitaker betrieb Anfang der 1930er
ein Pressebüro am Regierungssitz Sacramento. Manchmal
wagte er Ausüge ins Lobbyland. Sein erster Kunde war der
Verband der Frisöre. Er war gegen staatliche Auagen. Whita-
ker fand, die Coieure könnten besser lobbyieren als er selbst.
Er schulte sie und bald bekam jeder Politiker und Multiplika-
tor beim nächsten Rasieren und Haareschneiden eine Spezial-
Kalifornien 1933: Clem Whitaker und Leone
Baxter gründen die erste Firma für politisches
Kampagnenmanagement.
P&K HISTORIE – TEIL 27 DER SERIE
VON MARCO ALTHAUS
71po l i t ik &kommunikation | August / September 2014
Marco Althaus
ist Professor für Sozialwissenschaften an der Technischen Hochschule
Wildau bei Berlin.
Fotos: Getty Images; Privat
dort 3,4 Millionen, 1950 elf. Sie zogen ständig um im 1200 Kilome-
ter langen Riesenstaat, den Jobs hinterher und in neue Vorstädte.
Das war keine soziale Basis für Traditionsparteien. Ins hohe Amt
kam, wer Kaliforniens Massenmedien zu lenken verstand: 700
Zeitungen, 100 Sender, Kinos, Großächenwerbung, Massenpost.
1934 schoss Upton Sinclair als Gouverneurs-Kandidat der
Demokraten empor. Der Literat war ein Phänomen, sein Marke-
ting erstklassig. Sein visionäres Programm „Ich, Gouverneur von
Kalifornien, und wie ich die Armut besiegte“ wurde zum Best-
seller. Tief wollte der Ex-Sozialist in die Wirtschaft eingreifen.
Er schockte das Establishment. Konservative riefen Baxter und
Whitaker, um den Star vom Himmel zu holen. Sie vergruben sich
in seine 47 Bücher, Reportagen, Romane, Dramen. Ihr Fund: Sin-
clair hatte sozial- und kulturkritisch alles verätzt, was dem guten
Bürger heilig war. Sie fütterten die Medien nun täglich mit ver-
störenden Zitaten aus dem Œuvre: über Ehe, Moral, Religion,
Erziehung, Kapitalismus, die Sowjets. Dass es oft Zitate von Sin-
clairs Romanguren waren – egal. Ihr nsteres Album des „Sinc-
lairismus“ zeigte einen Mann, der an den Werten seiner Wähler
zutiefst litt. Mit bösen Cartoons zu jedem Zitat setzten Whita-
ker/Baxter noch eins drauf. Es war verheerend. Whitakers Fazit:
„Upton verlor, weil er Bücher geschrieben hatte.
Leone Baxter (1906-2001) und Clem Whitaker
(1899-1962) vor dem zentralen Kampagnenmotiv
der Ärztekampagne 1949. Das Plakat mit dem
Gemälde von Luke Fildes (1890) zeigt einen grü-
belnden Hausarzt und ein fieberndes Kind. Es hing
in 70.000 Arztpraxen und forderte: „Haltet die
Politik aus diesem Bild heraus!“
Korn statt Kaviar
Sie heirateten 1938. Jede Strategie war engste Teamarbeit. Ihm lag
Langzeitplanung, ihr das Management. Sie schätzte sein Lage-
urteil, er ihre Slogan stanzende Kreativität. Rigoros setzte das
Paar bei Klienten Regeln durch wie strikte Etatdisziplin und totale
Kontrolle. „In unseren Kampagnen schreiben nur Clem und Leone
die Schecks.“ Patronage war tabu. „Der Drucker wird fürs Kön-
nen ausgewählt, nicht weil er der Bruder des Kandidaten ist“, fuhr
Baxter Klienten an. Ihr eigenes Dutzend Leute stockten sie pro-
jektweise auf 50 auf. Nur Pros. Baxter verachtete die Schranzen
der Parteibüros, „Lebensraum abgehalfterter Politiker und alko-
holisierter Mitläufer“.
Inhaltlich galt: Keine Kampagne ohne Gegner. Hat man kei-
nen, baut man einen. „Wer in der Defensive ist, soll aussehen
wie ein Angreifer.“ Zu bieten haben muss man etwas: „You can’t
beat something with nothing.Einfach muss es sein. Die Leute
mögen „corn not caviar“. Je mehr man erklären muss, desto schwe-
rer gewinnt man Unterstützer. Whitaker warnte: „Eine Mauer
fährt hoch, wenn man Herrn und Frau Durchschnittsbürger zum
Arbeiten oder Denken bringen will.“ Was wirklich zieht: ein har-
ter Kampf – oder eine gute Show.
1949 trat das Tandem in die nationale Arena. Präsident Harry
Truman enthüllte den Plan einer Krankenkasse für alle Bürger. Ein
Traum, der in Kalifornien 1945 geplatzt war, Opfer einer Ärztekam-
pagne. Regie: Whitaker/Baxter. Nun rief die American Medical
Association ihre 145.000 Mitglieder zur „Schlacht von Armaged-
don“, die entscheide, „ob uns der Staatssozialismus in Amerika
verschlingt.“ Drei Jahre lang führten Whitaker/Baxter in Chicago
mit 40 Mitarbeitern diesen „Kreuzzug“. Er kostete fünf Millionen
Dollar, das Duo berechnete 325.000 Dollar Honorar. In heutigen
Dollars wäre es zehnmal so viel.
Trumans Plan attackierten sie als „sozialisierte Medizin“.
Quasi Sozialismus wie in England, wo Labour 1948 den National
Health Service startete, Teil eines Programms, das ganze Indus-
trien verstaatlichte. Und: Die Deutschen hatten die „Zwangsver-
sicherung“ erfunden! „Der freiwillige Weg ist der amerikanische
Weg.“ Die Kampagne gri rasch. Umfragen sahen Trumans Seite
von 58 auf 36 Prozent stürzen. Drei Viertel der Befragten wuss-
ten: Die Ärzte opponieren. „Wenn Sie krank sind“, hieß es, „wol-
len Sie einen Arzt oder einen Sachbearbeiter? Ihren eigenen Arzt
oder Doktor X?“ Bürokratie zerstöre das Vertrauen. Die Botschaft
„Politische Medizin ist schlechte Medizin“ lenkten Whitaker/Bax
-
ter in die Warte- und Sprechzimmer: „Jede Praxis wird zur Kam-
pagnenzentrale!“ Sie uteten den Kongress mit Briefen. „Dies
muss eine breite Kampagne sein, keine Ärztekampagne“, gaben
sie vor, „die größte Grassroots-Lobby der Geschichte“. Sie zogen
8000 Verbände ins Boot. Wichtig war die „nationale Frauenkam-
pagne“. Sie machte Arztgattinnen und Schwestern mobil, Frauen
in Kirchen, Wohlfahrt, Mütter- und Familienverbände. Tru-
mans Gesetz kam nie zur Abstimmung. Erst 60 Jahre später setzte
Barack Obama die Sache durch.

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