Lovis Corinth erlitt in seinem 54. Lebensjahr einen rechtshemisphärischen Schlaganfall, den er um 14 Jahre überlebte. Die immense Zahl seiner Werke nach diesem einschneidenden Lebensereignis lässt eine ausführliche Analyse und einen Vergleich zum Werk vor Dezember 1911 zu. Mit den Augen des Neurologen erschließt sich dabei eine erstaunliche Vielfalt von teilweise subtilen Auswirkungen des Schlaganfalls, die eindeutig über rein psychologische Prozesse hinausgehen und im Wesentlichen mit einem linksseitigen Neglect zu erklären sind. Corinth ist darüber hinaus aber auch ein motivierendes Beispiel für Patienten, indem er nach seinem Schlaganfall großartige Kunst produzierte. Lovis Corinth kämpfte dabei weniger gegen seine motorische Behinderung, die sein Wirken nicht relevant beeinträchtigte als viel eher mit seinem neuropsychologischen Defizit, welches deutliche Auswirkungen für seine künstlerische Produktion hatte. Corinth hinterließ der Nachwelt sein Credo ,,Die wahre Kunst ist Unwirklichkeit üben“. Für dieses Zitat, wie auch für den von ihm oft zitierten Ausspruch ,,Zeichnen heißt weglassen“, ergibt sich eine schlüssige Interpretationsmöglichkeit, die sich aus dem Verständnis der rechtshemisphärischen Läsion mit der Folge des linksseitigen Neglects ableitet.