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Dr. Eduardo A.
Pérez-García
Departamento de
Ecología y Recur-
sos Naturales
Facultad de Cien-
cias, Universidad
Nacional Autóno-
ma de México
Circuito Exterior
s/n. Ciudad Universitaria;
Coyoacán, México D.F.
Cp. 04510 - MÉXICO
Dr. Eduardo Alberto PÉREZ-GARCÍA
ist Biologe und lehrt an der natur-
wissenschaftlichen Fakultät, Abtei-
lung
Ökologie und natürliche Res-
sourcen
der Universität von Mexiko.
Er ist
Verfasser zahlreicher Artikel
in verschiedenen internationalen
wissenschaftlichen Zeitschriften.
In den letzten Jahren konnten wir
auch in unserer Zeitschrift mehrfach
Artikel von ihm über mexikanische
Orchideen veröffentlichen.
E-Mail:
eduardo.perez-garcia@ciencias.
unam.mx
Fotos von Eduardo A. Pérez-García
Die Orchidee 65(1), 2014Lycaste lasioglossa 44
Lycaste lasioglossa − die letzte Blüte
Keywords: Lycaste lasioglossa in Mexiko
Summary: This is a report on a very nice orchid species from Mexico, which is not to be found, unfortunately, in its native
locations any more.
Wind geworden, der unsere Königin
auf dem Baum fast austrocknet.
Durch ihr sympodiales Wachstum be-
sitzt die Pflanze die ewige Jugend, da
sie sich jährlich durch zarte Triebe, die
sich aus ihrer Basis entwickeln, erneu-
ert. Dennoch scheint Lycaste lasio-
glossa eher eine Herbst-Diva zu sein,
die vergangenen Zeiten nachtrauert.
Jedes Jahr wird es schwieriger für
sie, sich am Leben zu erhalten und
sie fühlt, dass ihre Kräfte in dem Maß
schwinden, wie der Wald zurückgeht.
Angesichts dieser Situation glaubt die
Pflanze, dass sie eine verzweifelte
Maßnahme ergreifen muss, als gäbe
es kein Morgen.
Es vergingen mehrere Jahre, in de-
nen sie nicht blühen konnte und das
letzte Mal, als sie es tat, kamen kei-
ne Bestäuber, weil diese verschwun-
den waren. Diese Königin ist es nicht
gewohnt, ohne ihren Hof zu leben,
wissend, dass sie nicht mehr viele
Möglichkeiten haben wird. Die herbst-
Blüten haben schon immer die Aufmerk-
samkeit derart erregt, dass alle anderen
Pflanzen ihrer Art bereits aus den Wäl-
dern abgesammelt wurden. Diese ist
jetzt die letzte.
Zu allem Unglück wurde auch die
Waldfläche in den letzten Jahren redu-
ziert und auf den verbliebenen Restflä-
chen fällte man weitere Bäume. Früher
haben die Bäume den Nebel aufge-
fangen, die Feuchtigkeit kondensierte
am Laub, gelangte in den Boden und
versorgte die Bäume und die anderen
Pflanzen auf dem Boden. Sowohl die
Verdunstung der Pflanzen als auch die
Verdunstung aus dem Boden sorgten
für eine hohe Luftfeuchtigkeit, wenn
sich der Nebel lichtete. So entstand ein
Rückführmechanismus, der die Ent-
wicklung einer üppigen Vegetation mit
viele Epiphyten ermöglichte.
Aber heute, mit weniger Bäumen, ist
der Wald nicht mehr derselbe. Was
eine erfrischende Frühlingsbrise sein
sollte, ist ein warmer, trocknender
Die Geschichte, die ich jetzt erzählen
werde, ist die Geschichte unserer jün-
geren Vergangenheit. Es ist aber auch
die Geschichte unserer nahen Zukunft.
Ich war nicht vor Ort, auch erzählten
sie es mir nicht direkt, aber es ist nicht
schwer, sich vorzustellen, was tatsäch-
lich passiert war.
Wir befinden uns im Jahr 1998, in der
Seen-Region von Montebello (Lagunas
de Montebello) in Mexiko. Der blaue
Himmel ist in dieser Region sehr inten-
siv und die Reflexion des Sonnenlichtes
in den Seen erzeugt ein unbeschreiblich
schönes Schauspiel. Dort, ganz in der
Nähe auf der Spitze eines Hügels, auf
einem der Zweige eines alten Baumes,
lebt eine Königin des Waldes, die Lycas-
te lasioglossa. Ihre großen und schönen
B.R.
Lycaste lasioglossa, Einzelblüte
Die Orchidee 65(1), 2014 Lycaste lasioglossa 45
liche Diva plant ihren Ruhestand und
möchte ihre beste Leistung zeigen −
zurück sein im Mittelpunkt der Auf-
merksamkeit, wenngleich nur für ein
letztes Mal.
Die Königin benötigt einige Zeit, um
ihre Reserven zu mobilisieren und eine
Blütenknospe zu entwickeln. Sie hat
ihre Absichten dem Wind zugeflüstert
und alles ist bereit für die Morgendäm-
merung; und zwar dergestalt, dass, be-
vor die Sonne aufgeht, das Orchester
der Vögel seine komplexe Melodie nur
für sie allein darbietet. Die Königin ist
eine wahre Tochter der Sonne, die ihre
Schönheit mit den ersten Sonnenstrah-
len zeigt. Die Blütensegmente öffnen
sich wie ausgestreckte Arme, die den
Beifall aus dem Publikum erwarten. Die
brillanten Farben der Blüte verschmel-
zen mit den Sonnenstrahlen, die durch
Nebel und Laub in das Halbdunkel des
Waldes eindringen. Die Tochter der
Sonne hat nicht nur die Farben des
Vaters, Gottkönig der Maya, sondern
auch die Strahlen auf der Lippe vom
König der Sterne geerbt.
Tautropfen auf den Blütenblättern re-
flektieren das Licht der Sonne, bilden
strahlende Blitze, die die unübertrof-
fene Schönheit dieser Königin hervor-
heben. Die Diva trägt die Tautropfen
als wären es ihre besten Perlen, hoch
oben von ihrem Thron herab zeigt sie
Stolz und Distanz. In den kühlen und
feuchten Stunden des Morgens ist
der Señor Wind mehr als willkommen.
Die Diva und der Wind tanzen zusam-
men, manchmal langsam, manchmal
schneller, ihren großartigen Walzer.
Die Diva schaukelt rhythmisch von ei-
ner Seite zur anderen, ihre Schönheit
und Erhabenheit verschmelzen in ei-
nem magischen Moment. Sie erinnert
sich an die alten Zeiten, ist gerührt
und lässt ihrer Fantasie freien Lauf. Sie
träumt, dass ihr Valentino-Bestäuber
kommt, der Samen über den ganzen
Wald verteilt wird, die Bäume mit ih-
ren Nachkommen bevölkert werden
und ihr Reich wieder erwacht. Es ist
ihr schönster Traum, sie erbittet nicht
viel, hat nur davon geträumt, wie es
gewesen sein muss.
Fast zur gleichen Zeit zeichnet sich
eine große Tragödie am Rande des
Waldes ab. Ein unbesonnener Bauer
entzündet ein Feuer, um sein Land zur
Aussaat vorzubereiten. Jedoch wird
das Feuer durch den tanzenden Wind
ins Waldesinnere getrieben. Im Laufe
des Tages trocknet die Hitze alles aus
und das Feuer ist nicht mehr aufzuhal-
ten. Dieser feuchte Wald hat noch nie
gebrannt, aber die große Dürre und
das teilweise Roden machten ihn so
verwundbar.
Das Feuer breitet sich sehr schnell aus,
vom Unterholz bis an die Spitzen der
Bäume und alles ist sofort verkohlt. Die
Vögel, die kurz zuvor noch gesungen
haben, fliegen verängstigt davon und
müssen sich eine neue Heimat suchen.
Die Frösche, Eidechsen, Salaman-
der und andere kleine Tiere haben ein
schlimmeres Schicksal. Sie versuchen
zu entkommen, indem sie auf Bäume
klettern. Es gelingt ihnen aber nur, die
Qualen zu verlängern, der Tod ereilt
alle. Die Glücklichen ersticken, andere
leiden wie in der Hölle, bevor die Ohn-
macht kommt.
Das unerbittliche Feuer steigt den Hügel
hinauf und nähert sich allmählich dem
Thron der Königin. Die Hitze ist inten-
siv, zuerst lässt sie den Tau verdunsten
und stiehlt ihr so ihre Perlen. Bevor man
es beklagen kann, lässt das Feuer die
Blüten verwelken und Stück für Stück
wird ihr ganzes Sein verzehrt. In kurzer
Zeit wird die schöne Diva buchstäblich
ausgelöscht, wird sie ein ätherischer
grauer Dunst, ist fort, ohne Erinnerung,
ohne Königreich, ohne alles.
Niemand konnte erklären, wie genau
das Feuer entstanden ist oder war-
um dieser Todesfall auftrat. Vielleicht
war es eine schlecht geführte land-
wirtschaftliche Praxis oder tatsächlich
eine perverse Absicht, den Wald zu
zerstören und somit neuen Boden für
die Landwirtschaft zu gewinnen.
Im Nachhinein war es wie immer: Der
Holzfäller beschuldigt den Bauer, der
wiederum den Viehzüchter. Der Vieh-
züchter beschuldigt den Politiker,
der keine Arbeits- oder Ausbildungs-
möglichkeiten schafft. Der Politiker
bedankt sich am Ende unbekümmert
und so verdrängen sie die Schuld −
wie immer.
Im Jahr 1998 traf in Mexiko eine Rei-
he unglücklicher Faktoren zusammen,
die eine der schlimmsten ökologi-
schen Tragödien in den Wäldern des
Landes verursachten. Zwischen 1997
und 1998 gab es einen Wechsel der
Meeresströmungen, bekannt als El-
Niño-Phänomen, der zu einer Ände-
rung der Niederschläge im Land führ-
te. Dieses Phänomen verursachte eine
längere Zeit der Dürre, die vom Winter
1997 bis Sommer 1998 andauerte. Ein
Großteil der Waldflächen im Süden,
Südosten und Westen des Landes
verbrannten in dieser Zeit.
Lycaste lasioglossa, Blütendetail
Die Orchidee 65(1), 2014Lycaste lasioglossa 46
zen und Tieren für Mexiko verloren gin-
gen, von deren Existenz wir niemals
erfahren werden, einfach deshalb, weil
sie nicht durch herausragende äußerli-
che Merkmale aufgefallen waren.
Erfreulicherweise werden Lycaste la-
sioglossa und andere Arten, die für
Mexiko verloren gingen, immer noch
wildwachsend in Guatemala gefunden.
Die dort existierenden Pflanzen könnte
man nutzen, um in Mexiko eine Keim-
plasmabank aufzubauen und sie unter
bestimmten Aspekten bzw. Vorausset-
zungen gegebenenfalls wieder anzu-
siedeln.
Lycaste lasioglossa wird ähnlich kul-
tiviert wie Lycaste skinnerii. Beide
erfordern einen kühlen Standort und
Halbschatten. Gepflanzt werden sie
in Töpfen in einem gut durchlässigen
Substrat. Geeignet sind zerkleinerte
Rinde mit etwas Holzkohle oder auch
anorganisches Material, wie feines
Vulkangestein. Im letzten Fall wird zur
Düngung idealerweise ein Langzeit-
dünger verwendet.
Im Gegensatz zu den gelbblütigen Ly-
casten, wie Lycaste aromatica oder
Lycaste cruenta, wirft Lycaste lasio-
glossa die Blätter während des Win-
ters nicht ab. Deshalb sollte man nicht
ganz mit dem Wässern aussetzen,
aber vermeiden, dass die Pflanzen in
kalten Nächten zu feucht stehen.
Jetzt kennen wir das Datum, an dem die
letzte Pflanze von Lycaste lasioglossa in
Mexikos Wäldern verschwand. Wenn
wir weiterhin so gleichgültig bleiben,
ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein
Termin für das Verschwinden weiterer
Orchideenarten sowie anderer Pflanzen
und Tiere feststeht. − Hoffentlich kann
dies noch rechtzeitig verhindert werden!
Ich danke Dr. Juan José MORRONE für
die Vorschläge zur Verbesserung die-
ses Textes.
Danksagung der Redaktion:
Wir danken Herrn Jürgen KRAUS,
Kirchheim, Gruppenleiter der D.O.G.-
Landesgruppe Württemberg, für die
Übersetzung aus dem Spanischen.
Mehr als ein Jahrzehnt nach den Brän-
den sollten diese Arten aus dem bio-
logischen Bestand des Landes gestri-
chen werden. Es ist sehr bedauerlich,
dass nicht einmal in der größten bo-
tanischen Sammlung, dem Nationa-
len Herbarium (MEXU), Herbarbelege
von Lycaste lasioglossa existieren. Es
scheint sogar so, dass wir ihre Präsenz
in unserem Land verneinen möchten.
Noch trauriger ist es, dass in diesen
Bränden auch andere Arten von Pflan-
Zu den Flächen, die niederbrannten,
gehörte auch der einzige bekannte
Standort von Lycaste lasioglossa in
Mexiko. Unglücklicherweise gingen
durch diese Brände auch die einzigen
in Mexiko bekannten Vorkommen von
Lycaste dowiana, Cochleanthes flabel-
liformis, Rossioglossum williamsianum
und weiterer zwanzig Orchideenarten
verloren. Keine dieser Arten kehrte zu-
rück oder wurde von Wissenschaftlern
im Land wiedergefunden.
Lycaste lasioglossa, Pflanze