Content uploaded by Johannes Jungbauer
Author content
All content in this area was uploaded by Johannes Jungbauer on Apr 11, 2021
Content may be subject to copyright.
Zur Bedeutung des Prager-Eltern-
Kind-Programms (PEKiP) für den
Übergang zur Elternschaft
1
von Johannes Jungbauer und Laura Remidi
In diesem Beitrag wird eine Studie vorgestellt, in der 100 Eltern befragt wurden, die
mit ihrem Baby an einer PEKiP-Gruppe teilnahmen. Die Datenauswertung zeigte,
dass PEKiP-Gruppen vor allem von gut bis sehr gut ausgebildeten Müttern mit ihrem
ersten Kind besucht werden. Als primäre Teilnahmemotivation wurde der Wunsch
angegeben, das Kind in seiner Entwicklung zu fördern. Rund drei Viertel der Befrag-
ten glaubten, PEKiP helfe ihnen dabei, sicherer in ihrer Elternrolle zu werden. Die
Ergebnisse belegen, dass PEKiP eine wichtige Bewältigungsfunktion beim Über-
gang zur Elternschaft haben kann.
Das „Prager Eltern-Kind-Programm“ (PEKiP) ist ein gruppenpädagogisches Grup-
penprogramm für Eltern und ihre Babys im ersten Lebensjahr, das sich in den letzten
Jahren zu einem stark nachgefragten Angebot der Eltern- und Familienbildung entwi-
ckelt hat. Im Rahmen von meist wöchentlich stattfindenden angeleiteten Gruppentref-
fen können sich Eltern und Kinder im gemeinsamen Spiel besser kennen lernen und
sich eine günstige Interaktionsbeziehung erarbeiten (vgl. Höltershinken / Scherer
2004). Die Kurse werden von pädagogischen Fachkräften mit einer entsprechenden
Zusatzqualifikation geleitet. Seit 1978 bietet der Berufsverband der Sozialarbeiter,
Sozialpädagogen und Heilpädagogen eine zertifizierte Fortbildung zur PEKiP-
Gruppenleiterin an
2
.
Der Name „Prager Eltern-Kind-Programm“ geht auf den Prager Kinderpsycholo-
gen Jaroslav Koch zurück, der altersgerechte Spielanregungen für Säuglinge und
Kleinkinder entwickelte (Koch 1978). Auf dieser Grundlage konzipierte das deutsche
Ehepaar Ruppelt das heute praktizierte PEKiP-Konzept. PEKiP-Kurse orientieren
sich an Zielsetzungen, die auf die kindliche Entwicklung, die Eltern-Kind-Beziehung
sowie auf elterliche Bedürfnisse bezogen sind, v.a.
die Förderung und Begleitung kindlicher Entwicklungsprozesse durch Bewe-
gungs-, Sinnes- und Spielanregungen,
die Stärkung der Eltern-Kind-Beziehung,
die Förderung sozialer Kontakte und Erfahrungsaustausch zwischen den Eltern,
die Förderung sozialer Kontakte des Babys zu anderen Kindern und anderen
Erwachsenen in der Gruppe (vgl. Pulkkinen 2008).
In konzeptueller Hinsicht rekurriert das Prager Eltern-Kind-Programm auf einer Rei-
he von psychologischen und gruppenpädagogischen Ansätzen. Neben Methoden der
Themenzentrierten Interaktion (Langmaak 2004) sind Grundhaltungen und Techni-
ken der personenzentrierten Gesprächsführung (Rogers 1985) wichtige Grundlagen.
Ein weiterer wichtiger Bezug ist das der Bindungstheorie entlehnte Konzept der elter-
1
Der vorliegende Beitrag wurde publiziert in der Zeitschrift für Sozialpädagogik, 8(2), 144-155.
2
Nähere Informationen hierzu sind auf der Homepage des Vereins PEKiP e.V. http://www.pekip.de/ zusam-
mengestellt. Dort finden sich auch über 1300 Adressen für PEKiP-Kurs-Angebote.
lichen Feinfühligkeit (vgl. Rauh 2008). Die Soziale Gruppenarbeit dient als Basis für
einen professionellen Umgang mit gruppendynamischen Prozessen in der Teilneh-
mergruppe (Schmidt-Grunert 2002).
Das PEKiP-Konzept sieht eine kontinuierliche Entwicklungsbegleitung während
des ersten Lebensjahrs vor; die Kinder sollten bei Beginn des Programms ca. sechs
bis acht Wochen alt sein. Die PEKiP-Gruppe besteht aus maximal acht Eltern und
ihren Babys, die etwa gleich alt sein sollten. Die Gruppentreffen finden meist wö-
chentlich statt und dauern 90 Minuten. Die Babys sind während der Treffen nackt;
der Gruppenraum muss deswegen entsprechend ausgestattet und beheizt sein. We-
sentliches Merkmal von PEKiP ist ein fester, vertrauter Ablauf. Ritualisierte Bestand-
teile der Gruppentreffen sind z.B. Aus- und Anziehen der Kinder, Begrüßungs- und
Abschiedslied sowie das Rundgespräch mit den Eltern. Herzstück eines jeden Grup-
pentreffens sind spielerische Wahrnehmungs- und Bewegungsübungen, welche die
Leiterin je nach Entwicklungsstand der Kinder auswählt und an einer Puppe demons-
triert (Pulkkinen 2008; Thiel 2003). Ergänzend zu den wöchentlichen Gruppentreffen
werden vielfach weitere Bausteine angeboten, z.B. Informationsveranstaltungen oder
Elternabende zu speziellen Themen (z.B. Ernährung, Schlafen, Stillen etc.).
Untersuchungen haben gezeigt, dass Babys in vieler Hinsicht von dem Prager El-
tern-Kind-Programm profitieren. So fördert die regelmäßige Teilnahme an einer PE-
KiP-Gruppe das soziale Interesse und das Kontaktverhalten zu anderen Kindern. Bei
den teilnehmenden Eltern zeigt sich ein Zuwachs an Aufmerksamkeit, Zuwendungs-
erhalten und Sensibilität für die kindlichen Signale (Scherer 2006). Bislang kaum
thematisiert wurde in der Fachliteratur hingegen, dass PEKiP-Gruppen nicht nur den
Kindern, sondern auch und gerade den Eltern zugute kommen. Dies ist erstaunlich,
denn aus der entwicklungspsychologischen Forschung wissen wir, dass der Über-
gang zur Elternschaft zumeist als einschneidendes kritisches Lebensereignis erlebt
wird. Bereits während der Schwangerschaft, erst recht aber in der ersten Zeit nach
der Geburt sind junge Eltern mit einer Vielzahl neuer Anforderungen, Belastungen
und Rollenerwartungen konfrontiert (Gloger-Tippelt 1988; 2005). Häufig verändern
sich Alltag und Partnerschaft sehr stark; die Eltern erleben Verunsicherungsgefühle
und haben ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Orientierung, Sicherheit und Austausch
bezüglich ihrer neuen Elternrolle und der damit verbundenen Anforderungen (Kram-
pen / Reichle, 2002). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Teil-
nahme an PEKiP-Gruppen ebenso wie die an Geburtsvorbereitungskursen eine
wichtige psychologische Funktion erfüllen, indem sie die elterliche Kompetenz und
das Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit stärken (Jungbauer 2009).
Im Hinblick auf die Weiterentwicklung des PEKiP-Konzepts und die konkrete Aus-
gestaltung von Gruppenangeboten erscheint eine differenzierte Kenntnis dieser Zu-
sammenhänge sehr relevant und aufschlussreich. Vor diesem Hintergrund sind die
Ergebnisse einer Elternbefragung interessant, die im vorliegenden Beitrag vorgestellt
werden sollen.
Methode
Die vorliegende Studie wurde an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen
in Aachen durchgeführt. Ziel war es, die Bedeutung des Prager-Eltern-Kind-
Programms für den Übergang zur Elternschaft zu untersuchen. Dabei sollten Eltern,
die gemeinsam mit ihrem Kind an PEKiP-Kursen teilnahmen, im Hinblick auf ihre
diesbezüglichen Erwartungen, Erfahrungen und Bewertungen befragt werden. Der
Zugang zu den Studienteilnehmern und -teilnehmerinnen erfolgte über Institutionen
der Eltern- und Familienbildung in der Stadt Aachen, die zum Zeitpunkt der Untersu-
chung PEKiP-Kurse anboten. In einem ersten Schritt wurden die Kursleiterinnen über
den Hintergrund und die Zielsetzungen der Befragung informiert und gebeten, die
teilnehmenden Eltern für die Studienteilnahme zu gewinnen. In einigen Fällen wurde
auch dem Wunsch entsprochen, die Information der Eltern möge durch eine Mitarbei-
terin des Forschungsprojekts erfolgen. Insgesamt wurden n = 100 Teilnehmerinnen
und Teilnehmer von 14 PEKiP-Gruppen befragt; die Anzahl der Eltern pro Kurs be-
trug (entsprechend dem PEKiP-Konzept) zwischen sechs bis acht Eltern.
Die Datenerhebung erfolgte mit Hilfe eines im Rahmen der Studie entwickelten El-
ternfragebogens zum Prager-Eltern-Kind-Programm. Dabei handelte es sich um ei-
nen Kurzfragebogen mit 16 Items und vorgegebenen Antwortalternativen, der in ca.
fünf bis zehn Minuten ausgefüllt werden konnte (z.B. nach dem Ende einer Kursein-
heit). Im ersten Abschnitt des Fragebogens wurden soziodemographische Merkmale
der Eltern und ihrer Kinder erhoben (Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Anzahl und
Alter der Kinder etc.). Im Hauptteil des Fragebogens waren Fragen zum Prager-
Eltern-Kind-Programm zu beantworten, z.B. im Hinblick auf kursbezogene Erwartun-
gen und Erfahrungen, die Regelmäßigkeit der Teilnahme, die Zufriedenheit mit dem
Kursangebot, den Kontakt zwischen den teilnehmenden Eltern sowie Bewertungen
bezüglich der Bedeutung des PEKiP-Kurses für den Übergang zur Elternschaft. Die
Eingabe und die deskriptiv-statistische Auswertung der Fragebogendaten erfolgte
unter Zuhilfenahme des statistischen Softwarepakets SPSS 16.0.
Ergebnisse
Bei den Studienteilnehmern handelte es sich um 96 Mütter und 4 Väter im Alter von
24 bis 44 Jahren (Durchschnittsalter 33,1 Jahre, SD = 4,5 Jahre). Die teilnehmenden
Kinder waren zwischen 2 und 12 Monaten alt, deren Durchschnittsalter betrug 8,1
Monate (SD = 2,1 Monate). 82 der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer waren
verheiratet, 17 lebten in einer festen Partnerschaft, eine Mutter war allein erziehend.
Hinsichtlich des Bildungsniveaus der Eltern zeigte sich folgendes Bild: 19 % hatten
die Fachoberschulreife (Realschulabschluss), 24 % die allgemeine oder fachgebun-
dene Hochschulreife (Abitur), 51 % gaben an, ein abgeschlossenes Universitäts- o-
der Fachhochschulstudium zu haben, weitere 5 % waren promoviert (keine Angabe:
eine Person). Fast zwei Drittel der befragten Eltern (60 %) waren in Sozial- oder Ge-
sundheitsberufen tätig, 23 % in Verwaltung und Wirtschaft, nur sehr wenige hingegen
im technischen oder naturwissenschaftlichen Bereich. 69 % der befragten PEKiP-
Teilnehmerinnern und -teilnehmer waren Ersteltern; 24 % gaben an, ein weiteres
Kind zu haben, 7 % hatten insgesamt 3 Kinder. Unter den 31 Befragten, die weitere
Kinder hatten, hatten 26 mit dem bzw. einem der älteren Geschwister schon einmal
an einem PEKiP-Kurs teilgenommen.
Im Hinblick auf die Regelmäßigkeit der Teilnahme gaben 53 % der Eltern an, im-
mer an den PEKiP-Treffen zu kommen, weitere 46 % bekundeten, meistens teilzu-
nehmen. In diesem Zusammenhang wurden die Studienteilnehmerinnen und -
teilnehmer auch danach gefragt, ob sie beabsichtigten, im Anschluss oder parallel zu
PEKiP noch ein anderes Eltern-Kind-Angebot mit ihrem Kind zu besuchen (z.B.
Krabbelgruppe, Babymassage etc.). 87 % der Befragten hatten dies auf jedem Fall
vor, 12 % wollten kein anderes Angebot nutzen.
72 % der befragten Mütter und Väter stimmten der Aussage zu, dass ihnen der
Besuch eines PEKiP-Kurses dabei helfe, mehr Sicherheit in ihrer Elternrolle zu be-
kommen („trifft voll und ganz zu“ bzw. „trifft zu“). 28 % der Befragten gaben an, dies
treffe weniger bzw. gar nicht zu. Tendenziell ist die Zustimmung zu diesem Item bei
den Ersteltern am höchsten, bei den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern mit
drei Kindern am niedrigsten.
Hinsichtlich der Erwartungen und Zielvorstellungen der in Bezug auf die Kursteil-
nahme waren Mehrfachantworten möglich. Dabei zeigte sich, dass sich die Befragten
von der Teilnahme am PEKiP-Kurs insbesondere einen Nutzen für ihr Kind verspre-
chen. So erwarten 86 % der Eltern, dass ihr Kind in seiner Entwicklung gefördert
werde, 84 % möchten ihrem Kind soziale Kontakte zu anderen Kindern ermöglichen
(vgl. Tab. 1).
Erwartungen / Wünsche
Anzahl der
Nennungen
Kind in seiner Entwicklung fördern 86
Erfahrungsaustausch mit anderen Eltern 85
Kontakte zu anderen Kindern ermöglichen 84
Kontakte zu anderen Eltern aufbauen 70
Etwas mit dem Kind unternehmen 68
Information, Beratung, Unterstützung 52
Eltern-Kind-Beziehung stärken 34
Hilfe bei Problemen erhalten 30
Vergleich mit anderen Kindern 16
Erzieherische Kompetenzen erwerben 14
Tab. 1: Erwartungen der teilnehmenden Eltern im Hinblick auf PEKiP
Zugleich erachteten 85 % der Befragten die Möglichkeit, sich in den PEKiP-Kursen
mit anderen Eltern über Erfahrungen und Probleme im Übergang zur Elternschaft
auszutauschen, als hilfreich. 70 % wünschten sich, durch den Besuch des PEKiP-
Kurses soziale Kontakte und Beziehungen zu anderen Eltern aufbauen zu können.
25 % der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer möchten die im Verlauf des Kurses
entstandenen Kontakte zu anderen Eltern und Kindern auf jeden Fall, 60 % zumin-
dest wahrscheinlich nach Ende des PEKiP-Kurses aufrechterhalten. 13 % wollten die
im Kursverlauf entstandenen sozialen Kontakte eher nicht weiterführen; 2 % machten
zu diesem Punkt keine Angabe.
Bei den Befragten zeigte sich eine hohe Teilnahmezufriedenheit; umgekehrt sa-
hen sie keine Notwendigkeit, das Kurskonzept zu modifizieren (z.B. hinsichtlich einer
stärkeren Fokussierung auf Belange der Eltern). 97 % der Kursteilnehmerinnen und -
teilnehmer gaben an, dass ihre Erwartungen an das Prager-Eltern-Kind-Programm
voll und ganz erfüllt würden bzw. worden seien. 60 % der Ersteltern waren sich vor
diesem Hintergrund sicher, dass sie mit einem eventuellen zukünftigen Kind wieder
an einem PEKiP-Kurs teilnehmen würden; weitere 34 % hielten dies für wahrschein-
lich.
Diskussion
Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung sind im Kontext der aktuellen gesell-
schaftlichen Debatte zu Familie, Elternschaft und Erziehung zu sehen. Die Familie
als Ort der Bindung, der kindlichen Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung, des
Erlernens sozialkultureller Kompetenzen und deswegen auch als Ort der elementa-
ren Bildung rückt zunehmend ins Zentrum aktueller Bildungsdiskurse (vgl. Tschöpe-
Scheffler 2009). Bildung wird heute zunehmend als ein Prozess gesehen, der bereits
mit der Geburt beginnt (Schäfer 2003). Die Ergebnisse der entwicklungspsychologi-
schen Bindungsforschung (Grossmann / Grossmann, 2003) und der Hirnforschung
(Bauer, 2006) haben gezeigt, dass selbsttätige Bildungsprozesse bereits im Säug-
lingsalter nachweisbar sind. Insofern erscheint es sinnvoll, dass Eltern und Bildungs-
einrichtungen schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt miteinander kooperieren (vgl.
Bauer / Brunner 2006; Gleich / Haupt 2009; Laewen / Andres 2002). Die Stärkung
elterlicher Erziehungskompetenzen ist angesichts der großen Bedeutung der Familie
für die Entwicklung der Kinder eine wesentliche Aufgabe von Staat und Gesellschaft
– und damit auch von Sozialpädagogik / Sozialer Arbeit. Darüber hinaus ist es traditi-
onell ein wichtiges Anliegen der Sozialpädagogik, Menschen in ihrer Lebensbewälti-
gung zu unterstützen, mithin in ihrem „Streben nach subjektiver Handlungsfähigkeit
in kritischen Lebenssituationen, in denen das psychosoziale Gleichgewicht – Selbst-
wert und Anerkennung – gefährdet ist“ (Böhnisch 2004, 119). Die Unterstützung jun-
ger Eltern beim Übergang zur Elternschaft, d.h. zu einem Zeitpunkt, an dem die in
der bisherigen Biographie erworbenen Bewältigungsmuster häufig nicht ausreichen,
kann deswegen als weitere zentrale sozialpädagogische Aufgabe angesehen werden
(vgl. Tschöpe-Scheffler 2009). Das Prager Eltern-Kind-Programm (PEKiP) kann als
Konzept der Familienbildung gelten, dass sowohl kindzentrierte Bildungs- und Förde-
rungsaspekte als auch elternbezogene Lebensbewältigungsaspekte aufweist. Insbe-
sondere im Hinblick auf letztere sind die Befunde der vorliegenden Studie, bei der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer von PEKiP-Kursen befragt wurden, interessant und
aufschlussreich.
Die referierten Untersuchungsergebnisse bestätigen zunächst die Praxiserfah-
rung, dass fast ausschließlich Mütter am Prager Eltern-Kind-Programm teilnehmen,
nur sehr selten hingegen Väter. Hierfür dürften unterschiedliche Gründe eine Rolle
spielen. So ist aus der Familienforschung bekannt, dass der Übergang zur Eltern-
schaft bei vielen Paaren eine Verstärkung traditioneller Geschlechterrollen nach sich
zieht: Viele Mütter setzen für längere Zeit mit ihrer Berufstätigkeit aus und kümmern
sich schwerpunktmäßig um das Baby, während die Väter für den Lebensunterhalt
zuständig sind und im Durchschnitt sogar mehr arbeiten als vor der Geburt (Fthena-
kis et al. 2002). Psychologisch gesehen hat diese Tendenz zur Traditionalisierung
eine sinnvolle Bewältigungsfunktion: In einer Situation, die für beide Partner neu und
verunsichernd ist, können „bewährte“ männliche und weibliche Rollen eine wichtige
Orientierung darstellen (vgl. Jungbauer 2009). Im vorliegenden Zusammenhang er-
scheint plausibel, dass die Teilnahme an einem PEKiP-Kurs eher dem mütterlichen
als dem väterlichen Zuständigkeitsbereich zugeordnet wird. Vor diesem Hintergrund
ist auch anzunehmen, dass so mancher prinzipiell interessierte Vater Bedenken hat,
ob er als möglicherweise einziger Mann inmitten einer weiblichen PEKiP-Gruppe
„fehl am Platze“ wäre. Hinzu kommt, dass die bestehenden Kursangebote vorwie-
gend auf die Tagesstruktur nicht-berufstätiger Mütter zugeschnitten sind. Wie ein
Blick auf die Kursangebote unterschiedlicher Bildungsträger zeigt, werden PEKiP-
Gruppen häufig vormittags oder am frühen Nachmittag angeboten, was zwar gut zum
Wach-Schlaf-Rhythmus von Säuglingen passen mag, aber in der Regel nicht mit der
Zeitplanung berufstätiger Vätern vereinbar ist.
Die Ergebnisse unserer Befragung zeigen weiterhin, dass die Motivation, am Pra-
ger Eltern-Kind-Programm teilzunehmen, in gebildeten Milieus mit hohem sozioöko-
nomischem Status besonders stark ausgeprägt ist. PEKiP-Gruppen werden überwie-
gend von verheirateten Müttern mit guter bis sehr guter beruflicher Qualifikation be-
sucht; Eltern aus „bildungsfernen“ Schichten verirren sich hingegen nur selten in ei-
nen solchen Kurs. Dieser Befund irritiert zunächst insofern, als das Prager Eltern-
Kind-Programm keinerlei intellektuellen oder gar elitären Anspruch hat, sondern für
alle Eltern mit Babys gleichermaßen konzipiert ist. Gleichwohl hat sich die Teilnahme
an PEKiP-Kursen in den letzten Jahren zu einem milieuspezifischen Phänomen ent-
wickelt. Dies dürfte eng mit Haltungen im Hinblick auf Kindererziehung und Eltern-
schaft zusammenhängen, wie sie in gebildeten Schichten besonders verbreitet sind.
Typisch sind hier z.B. der Wunsch, möglichst viel Zeit bewusst mit seinem Baby zu
verbringen und intensiv zu „genießen“; ein reflektierter Umgang mit der Elternrolle
und dem eigenen Erziehungsverhalten sowie der Anspruch, alles „richtig“ zu machen
und die Entwicklung des Kindes schon möglichst früh optimal zu fördern (Papoušek
1999; Tschöpe-Scheffler 2005). Sowohl das Anmeldeverhalten als auch die hohe
Teilnahmezufriedenheit dürften auch damit zusammenhängen, dass das PEKiP-
Konzept gut zu solchen milieutypischen Einstellungen und Erwartungen „passt“. Vor
diesem Hintergrund kann es kaum verwundern, dass die von uns befragten Mütter
als primäre Teilnahmemotivation den Wunsch angaben, ihr Baby in seiner Entwick-
lung zu fördern. Es ist zudem zu vermuten, dass auch andere genannte Erwartungen
(z.B. Kontakte zu anderen Kindern ermöglichen, Erfahrungsaustausch mit anderen
Eltern etc.) eng mit dem zentralen Motiv zusammenhängen, „etwas Gutes für das
Kind zu tun“.
Die vorliegende Studie zeigt ferner, dass das Prager Eltern-Kind-Programm ganz
überwiegend von Müttern mit ihrem ersten Baby besucht wird, weit seltener hingegen
von Eltern, die bereits ein weiteres Kind bzw. weitere Kinder haben. Worauf ist dieser
Befund auf unterschiedliche Ursachenfaktoren zurückzuführen. Zum einen dürfte die
Teilnahme an einer PEKiP-Gruppe für Eltern schwieriger sein, wenn sie zusätzlich zu
ihrem Baby noch ein älteres Geschwisterkind betreuen müssen. Hinzu kommt, dass
„frischgebackene“ Eltern im Durchschnitt wahrscheinlich noch begeisterungsfähiger
und motivierter bezüglich solcher Angebote und Aktivitäten sind als erfahrene Eltern,
die diese nicht mehr im gleichen Maße attraktiv finden. Allerdings ist auch davon
auszugehen, dass sich Ersteltern in vieler Hinsicht noch sehr unsicher fühlen. Die
Geburt ihres ersten Kindes liegt ja noch nicht sehr lange zurück, und sie sind noch
dabei, sich an einen völlig neuen Alltagsrhythmus gewöhnen. Dabei müssen die El-
tern viele bis dato unbekannte bzw. ungewohnte Herausforderungen bewältigen, z.B.
Stillen / Ernährung, Babypflege, Umgang mit Schlafproblemen etc. Erst nach und
nach lernen sie, die Bedürfnisse und Verhaltensweisen ihres Kindes einzuschätzen
und adäquat darauf zu reagieren. Insgesamt müssen Eltern im ersten Jahr nach der
Geburt ein Maximum an neuen Anforderungen und Informationen verarbeiten. Des-
wegen haben sie meist ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Orientierung und Selbst-
vergewisserung (Fthenakis et al. 2002). Vor diesem Hintergrund erscheint plausibel,
dass in unserer Befragung mehr als drei Viertel der Ersteltern angaben, PEKiP helfe
ihnen dabei, mehr Sicherheit in ihrer Elternrolle zu bekommen. Diese Sicherheit wird
z.B. durch konkrete Informationen, Anregungen, Hilfestellungen sowie durch positive
Verstärkung der Kursleiterin „direkt“ gefördert. Ferner dürften aber auch soziale Ver-
gleichsprozesse (z.B. Beobachtung anderer Eltern und anderer Kinder, Erfahrungs-
austausch) wesentlich dazu beitragen, dass die Eltern Selbstsicherheit als Mutter
bzw. Vater aufbauen und sich ihren neuen Aufgaben zunehmend gewachsen fühlen.
Ein weiterer Aspekt erscheint uns in diesem Zusammenhang bedeutsam: Das Le-
ben mit einem kleinen Kind wirkt sich erfahrungsgemäß nicht nur nachhaltig auf den
Alltag und die Persönlichkeitsentwicklung junger Eltern aus, sondern auch auf deren
soziale Kontakte und Netzwerke (Krampen / Reichle 2002). Der Übergang zur El-
ternschaft geht mittelfristig oft mit einer Extensivierung bzw. dem Verlust von Sozial-
kontakten einher, z.B. zu Arbeitskollegen, Bekannten oder Freunden – insbesondere,
wenn diese selbst keine Kinder haben. In dieser Lebenssituation werden häufig neue
soziale Kontakte zu anderen Eltern mit kleinen Kindern gesucht und aufgebaut, bei
denen ein höheres Maß gemeinsamer Interessen und Bedürfnisse vorhanden ist o-
der vermutet wird (Jungbauer 2009). Auch in dieser Hinsicht ist das Prager Eltern-
Kind-Programm begreiflicherweise attraktiv für Ersteltern. Unsere Befragungsergeb-
nisse stehen deshalb im Einklang mit der Hypothese, dass junge Eltern auch deswe-
gen an PEKiP-Gruppen teilnehmen, weil sie hier die Chance zum Aufbau neuer sozi-
aler Kontakte und Freundschaften sehen – offenbar mit Erfolg, denn 85 % der von
uns befragten Eltern beabsichtigten, den Kontakt zu den anderen Teilnehmerinnen
nach dem Ende des PEKiP-Kurses aufrechtzuerhalten.
Gleichwohl konnte die Hypothese, dass sich PEKiP-Teilnehmer eine größere Fo-
kussierung auf Themen der Eltern wünschen, durch unsere Befragungsergebnisse
nicht bestätigt werden. Die befragten Eltern sah überwiegend keine Notwendigkeit,
das Kurskonzept in dieser Hinsicht zu verändern. Offenbar erleben es die meisten
Eltern als genau angemessen, dass in den PEKiP-Kursen die Kinder im Mittelpunkt
stehen, während elterliche Bedürfnisse (z.B. Orientierung, soziale Vergleiche, Erfah-
rungsaustausch, Kontakte knüpfen) gleichsam „nebenbei“ befriedigt werden. Wir
können deswegen davon ausgehen, dass PEKiP-Kurse weniger attraktiv für die El-
tern wären, wenn das Kursangebot stärker bzw. explizit auf elternbezogene Themen
zugeschnitten wäre. Für diese Hypothese spricht u.a. auch die Erfahrung, dass das
von der BZgA entwickelte Konkurrenzangebot FABEL („Familienzentrierte Baby-
Eltern-Kurse“), welches stärker auf Elternthemen fokussiert, weit weniger stark nach-
gefragt wird als PEKiP – namentlich, wenn beide Konzepte parallel innerhalb der
selben Einrichtung angeboten werden. Auch der Forschungsbefund, dass zwar sehr
viele Eltern Unsicherheit in Erziehungsfragen erleben, aber zugleich meist nicht moti-
viert sind, deswegen Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen oder an einem
Elternkurs teilzunehmen (Smolka 2006), steht im Einklang mit unseren Befragungs-
ergebnissen.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass das Prager Eltern-Kind-Programm insbeson-
dere für Ersteltern sehr gute Möglichkeiten bietet, den Übergang zur Elternschaft und
die damit verbundenen typischen Schwierigkeiten zu bewältigen. Aus unserer Sicht
spricht deswegen viel dafür, PEKiP-Kurse stärker unter diesem Aspekt wissenschaft-
lich zu untersuchen. Ausgehend von den dargestellten Befragungsergebnissen kann
eine ganze Reihe spannender Fragestellungen formuliert werden. Zur Überprüfung
der oben dargestellten Hypothesen wäre es z.B. interessant, subjektive Sichtweisen
von PEKiP-Teilnehmerinnen mit Hilfe geeigneter qualitativer Methoden zu rekonstru-
ieren. Inwiefern unterscheiden sich dabei z.B. „Vollzeit-Mütter“ von Müttern, die rela-
tiv frühzeitig wieder in ihren Beruf zurückkehren? Gibt es Unterschiede zwischen
PEKiP-Kursen in städtischen und ländlichen Regionen? Aufschlussreich wäre ferner
eine Analyse der männlichen Perspektive: Wie erleben Väter ihre Teilnahme an einer
weiblich dominierten PEKiP-Gruppe? Welche Gründe gibt es für die Teilnahme vs.
Nicht-Teilnahme von Vätern? Und: Was hält Eltern aus bildungsfernen Milieus davon
ab, an einer PEKiP-Gruppe teilzunehmen?
Auch die Rolle leistungsbezogener Bildungsansprüche für die Teilnahme am Pra-
ger Eltern-Kind-Programm verdient u.E. eine eingehende und kritische sozialwissen-
schaftliche Analyse. Der primäre Wunsch der von uns befragten PEKiP-Eltern, die
Entwicklung ihres Kindes zu fördern, dürfte vielfach mit einem Motivkomplex zusam-
menhängen, der in den Medien zuweilen als „Frühförderwahn“ karikiert wird (z.B.
Otto 2007). PEKiP, Babyschwimmen, musikalische Früherziehung, Englisch für Ein-
jährige – offenbar mehr und mehr Eltern stellen bereits für Babys und Kleinkinder ein
ambitioniertes Förderprogramm zusammen, um sie für spätere Anforderungen und
Ausleseprozesse von Schule und Leistungsgesellschaft „fit“ zu machen. Auch die
Eltern selbst erleben sich häufig in Konkurrenz zu anderen Eltern: Sie möchten mög-
lichst alles „richtig“ zu machen und möglichst gute, bessere, ja „perfekte“ Eltern zu
sein (Tschöpe-Scheffler 2005). Die Teilnahme an Förderangeboten wie PEKiP kann
somit auch als Ausdruck einer solchen Konkurrenzdynamik gedeutet werden. Das
„problemlose“ Kind (das im günstigsten Fall sogar einen kleinen Entwicklungsvor-
sprung hat) dient dann unter Umständen der Selbstvergewisserung und der Selbstin-
szenierung von ehrgeizigen und / oder unsicheren Eltern. Wir vermuten, dass bei
nicht wenigen PEKiP-Eltern zumindest unterschwellig Leistungsmotive wirksam sind
– auch wenn die sozialpädagogisch ausgebildeten Leiterinnen das Gegenteil vermit-
teln wollen, indem sie z.B. darauf hinweisen, dass es primär um die Begleitung, nicht
um die Beschleunigung der kindlichen Entwicklung geht. Sowohl die wissenschaftli-
che Untersuchung dieser Hypothese als auch die darauf bezogene Weiterentwick-
lung des PEKiP-Konzepts (z.B. im Hinblick auf die Thematisierung und die Reflexion
leistungsbezogener Motive der Eltern) stehen allerdings noch aus.
Literatur
Bauer, P. / Brunner, E.J. (2006): Elternpädagogik. Von der Elternarbeit zur Erziehungspart-
nerschaft. Freiburg i.Br.
Bauer, J. (2006): Prinzip Menschlichkeit. Hamburg.
Böhnisch (2004). Sozialpädagogik der Lebensalter: Eine Einführung (2. Auflage). Weinheim.
Fthenakis, W.E. / Kalicki, B. / Peitz, G. (2002): Paare werden Eltern. Die Ergebnisse der
LBS-Familienstudie. Opladen.
Gloger-Tippelt, G. (1988): Schwangerschaft und erste Geburt. Psychologische Veränderun-
gen der Eltern. Stuttgart.
Gloger-Tippelt, G. (2005): Psychologischer Übergang zur Elternschaft. In: Thun-Hohenstein,
L. (Hrsg.): Übergänge. Wendepunkte und Zäsuren in der kindlichen Entwicklung. Göttin-
gen, S. 55-73.
Gleich, J.M. / Haupt, U. (2009). Die Weiterentwicklung von Tageseinrichtungen für Kinder zu
Familienzentren. In: Gleich, J.M. (Hrsg.). Familie heute: Aktuelle Lage, Orientierung und
Hilfestellungen. Opladen, S. 147-166).
Grossmann, K. / Grossmann, K.E. (Hrsg.)(2003). Bindung und kindliche Entwicklung. Stutt-
gart.
Höltershinken, D. / Scherer, G. (2004). Die theoretischen Grundlagen des PEKiP und ihre
Weiterentwicklung – ein Überblick. In: Höltershinken, D. / Scherer, G. (Hrsg.): PEKiP. Das
Prager Eltern-Kind-Programm. Theoretische Grundlagen, Ursprung und Weiterentwick-
lung. Bochum, S. 16-29.
Jungbauer, J. (2009): Familienpsychologie kompakt. Weinheim.
Koch, J. (1978): Total baby development. New York.
Krampen, B. / Reichle, B. (2002). Frühes Erwachsenenalter. In: Oerter, R. / Montada, L.
(Hrsg.): Entwicklungspsychologie. Weinheim, S. 335-345.
Laewen, H.-J. / Andres, B. (2002). Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit. Bausteine
zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen. Weinheim.
Langmaak, B. (2004): Einführung in die Themenzentrierte Interaktion TZI: Leben rund ums
Dreieck (3., vollständig überarbeitete Auflage). Weinheim.
Otto, J. (2007). „Meines kann schon mehr“ Englisch für Babys, Ökonomie für Vierjährige.
Wenn Eltern dem Frühförderwahn verfallen. DIE ZEIT, 37/2007 vom 06.09.2007.
Papoušek, A. (1999): Wie können wir die Entwicklung unseres Kindes fördern? In: Deutscher
Familienverband (Hrsg.): Handbuch Elternbildung, Bd. 1: Wenn aus Partnern Eltern wer-
den. Opladen, S. 485-495.
Pulkkinen, A. (2008): PEKiP: Babys spielerisch fördern. München.
Rauh, H. (2008). Vorgeburtliche Entwicklung und frühe Kindheit. In: Oerter, R. / Montada, L.
(Hrsg.): Entwicklungspsychologie (6., vollständig überarbeitete Auflage). Weinheim, S.
149-224.
Rogers, C.R. (1985): Die nicht-direktive Beratung (12. Auflage). Frankfurt a.M.
Schäfer, G. (2003). Bildung beginnt mit der Geburt. Förderung von Bildungsprozessen in den
ersten sechs Lebensjahrwen. Weinheim.
Scherer, G. (2005): Empirische Untersuchungen und Einzelfallstudien. In: Höltershinken, D. /
Scherer, G. (Hrsg.): PEKiP. Das Prager Eltern-Kind-Programm. Theoretische Grundlagen,
Ursprung und Weiterentwicklung. Bochum, S. 30-72.
Schmidt-Grunert, M. (2003): Soziale Arbeit mit Gruppen. Eine Einführung. Freiburg / Br.
Smolka, A. (2006): Welchen Orientierungsbedarf haben Eltern? In: K. Wahl, K. / Hees, K.
(Hrsg.): Helfen „Super Nanny“ und Co.? Ratlose Eltern – Herausforderung für die Eltern-
bildung. Weinheim, S. 44–58.
Thiel, M. (2003): Babyspaß mit PEKiP-Spielen. Berlin.
Tschöpe-Scheffler, S. (Hrsg.)(2005): Perfekte Eltern und funktionierende Kinder? Vom My-
thos der „richtigen“ Erziehung. Opladen.
Tschöpe-Scheffler, S. (2009): Familie und Erziehung in der Sozialen Arbeit. Schwalbach.