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Der Beitrag psycholinguistischer Evidenz zur Analyse grammatischer Phänomene: Eine Studie zur endo-vs. exozentrischen Struktur von Komposita

Authors:
Der Beitrag psycholinguistischer Evidenz
zur Analyse grammatischer Phänomene:
Eine Studie zur endo- vs. exozentrischen Struktur von Komposita
Heike Wiese, Yale University & Humboldt-Universität Berlin
1. Einleitung
Der vorliegende Beitrag illustriert anhand einer psycholinguistischen Studie, in-
wieweit empirische Evidenz zur konzeptuellen Repräsentation sprachlicher Deno-
tate zur Klärung grammatischer Fragestellungen beitragen kann. Bei der Studie
handelt es sich um „Work in progress“; erste Ergebnisse liegen in Form einer Pi-
lotstudie vor, die Experimente der Hauptstudie laufen zur Zeit. Untersuchungsob-
jekt sind Komposita wie deutsch Schildkröte oder englisch hedgehog (Igel, wörtl.:
„Heckenschwein“/„Heckeneber“), in denen der Kopf nicht die konzeptuelle Klas-
se des Referenten identifiziert, sondern nur metaphorisch mit diesem verwandt ist.
Aus grammatischer Sicht stellt sich daher die Frage, ob solche Komposita, abwei-
chend von dem generellen morphologischen Muster des Deutschen, als exo-
zentrisch zu charakterisieren sind.
Ich werde im folgenden zunächst den Phänomenbereich charakterisieren
und verdeutlichen, inwieweit metaphorische Komposita des beschriebenen Typs
(im folgenden kurz „Heckenschwein“-Komposita) eine Herausforderung für die
Grammatiktheorie darstellen (Abschnitt 2). Als Hintergrund für die Untersuchung
skizziere ich dann ein Modell des Sprachsystems, in dem die Frage nach der En-
do- bzw. Exozentrik dieser Komposita mit Hilfe einer Unterscheidung von gram-
matischer Bedeutung und Referenz analysiert werden kann (Abschnitt 3). Auf
dieser Basis beschreibt der folgende Abschnitt die empirische Überprüfung der
grammatischen Fragestellung durch eine sprachvergleichende Studie zur konzep-
tuellen Repräsentation der Komposita-Referenten (Abschnitt 4). Im Fazit (Ab-
schnitt 5) fasse ich schließlich die Ergebnisse der Untersuchung zusammen und
interpretiere sie im Hinblick auf die Unterscheidung endo- und exozentrischer
Komposita und ihre semantische vs. referentielle Struktur ebenso wie im Hinblick
auf das übergeordnete Thema der linguistischen Methodik und der empirischen
Stützung grammatischer Theoriebildung.
aus:
Kongressakten der IVG, Paris 2005.
2. Das Problem metaphorischer Komposita
Komposita sind im Deutschen im allgemeinen endozentrisch, wobei die rechte
Konstituente den morphologischen Kopf bildet. Dies gilt sowohl auf
(morpho-)syntaktischer als auch auf (morpho-)semantischer Ebene: Die rechte
Konstituente bestimmt nicht nur Wortart, Flexionsklasse u.ä., sondern ebenso die
Bedeutungsklasse. So ist etwa ein Kompositum wie Haustür mit dem morpholo-
gischen Kopf Tür ein feminines Nomen und bezeichnet eine Art von Tür.
Abweichungen von diesem endozentrischen Muster finden sich in der mar-
kierten Klasse sogenannter „kopfloser“ Komposita, insbesondere bei Zusammen-
rückungen wie Dreikäsehoch. Das Adjektiv hoch steht zwar in der für Wortbil-
dungen im Deutschen typischen Kopfposition, fungiert aber nicht als morphologi-
scher Kopf, anders als beispielsweise in meterhoch: Während Wortart und Flexi-
onsklasse von meterhoch dem von hoch entsprechen (d.h. meterhoch ist ein Ad-
jektiv ebenso wie hoch, vgl. etwa „meterhohe Gebäude“), werden solche morpho-
syntaktischen Merkmale in Zusammenrückungen wie Dreikäsehoch extern be-
stimmt (*„dreikäsehohe Gebäude“). Diese Art der Wortbildung liefert damit ein-
deutig exozentrische Konstruktionen.
„Heckenschwein“-Komposita wie Schildkröte und ebenso Possessivkompo-
sita wie Dickkopf stellen demgegenüber einen dritten Typ dar, der sich auf den
ersten Blick weder als eindeutig endozentrisch noch als eindeutig exozentrisch
erfassen lässt. Auf syntaktischer Ebene verhält sich die rechte Konstituente zwar
deutlich als Kopf; Kröte bestimmt das Genus von Schildkröte, Kopf bestimmt
Wortart und Genus von Dickkopf. Auf semantischer Ebene ist die Lage jedoch
nicht so eindeutig, da Kröte und Kopf nicht die Referenzklassen der jeweiligen
Komposita identifizieren: Eine Schildkröte ist keine Kröte, ein Dickkopf kein
Kopf.
Diese Komposita wurden deshalb oft als exozentrisch charakterisiert.1 Eine
solche Klassifizierung ist jedoch grundsätzlich abhängig von der fokussierten Un-
tersuchungsebene. Sieht man von der außersprachlichen Referenz ab und betrach-
tet zunächst die vom sprachlichen System vorgegebene Bedeutungsstruktur, so
könnte man Komposita dieses Typs durchaus als endozentrisch ansehen; so etwa
bereits Coseriu (1977:50):
„Vom Gesichtspunkt der für die Wortbildungsverfahren primär bestimmen-
den einzelsprachlichen Bedeutung aus gibt es aber überhaupt keine Exo-
zentrika, sondern ausschließlich Endozentrika: Dickkopf ist ein Kompositum
von genau demselben Typ wie Rotwein, da es auf der Ebene des Sprachsys-
tems „dicker Kopf“ bedeutet, genau wie Rotwein „roter Wein“.“
Die Unterscheidung zwischen grammatischer Bedeutung und außersprachlicher
Referenz liefert damit einen sinnvollen Ausgangspunkt für die Untersuchung der
Endo- vs. Exozentrik dieser Komposita. Der folgende Abschnitt stellt ein Modell
zur Architektur des Sprachsystems vor, das diese Unterscheidung erfassen kann
und den theoretischen Rahmen für die vorliegende Untersuchung liefern soll.
3. Grammatische Bedeutung vs. Referenz
Zur Unterscheidung von grammatischer, vom sprachlichen System vorgegebener
Bedeutungsstruktur und außersprachlicher Referenz beziehe ich mich auf ein Mo-
dell zur Architektur des Sprachsystems, das ich in Wiese (2003a, 2004) entwickelt
habe. Dieses Modell geht von einer dreigeteilten parallelen Architektur der
Sprachfähigkeit im Sinne Jackendoffs (2002) aus, sieht im Unterschied zum Stan-
dardmodell jedoch eine Differenzierung sprachlicher und nicht-sprachlicher Be-
deutungsaspekte vor, wie sie in Zwei-Ebenen-Modellen der Semantik vertreten
wird.2
In Übereinstimmung mit Jackendoff (2002) nehme ich an, dass drei auto-
nome derivationelle Module an der Generierung sprachlicher Strukturen beteiligt
sind. Diese Module, PHON, SYN und CS, steuern phonologisch-phonetische,
syntaktische und konzeptuell-semantische Information bei. PHON, SYN and CS
sind durch Korrespondenzregeln verbunden, die Verknüpfungen zwischen Reprä-
sentationen unterschiedlichen Formats herstellen. Diese Korrespondenzregeln
operieren nicht auf den gesamten Systemen, sondern greifen auf spezifische
1 Vgl. etwa Ortner et al. (1991) für das Deutsche; Jackendoff (1975, 2002) zum Englischen.
2 Zur Unterscheidung sprachlicher und nicht-sprachlicher Bedeutungsaspekte vgl. etwa Bierwisch (1983),
Lang (1994), Dölling (2001).
Schnittstellen-Ebenen innerhalb der Module zu und etablieren (partielle) Homo-
morphismen zwischen den jeweiligen dort angesiedelten Repräsentationen.
Wie ich in Wiese (2003a, 2004) gezeigt habe, können diese Schnittstellen-
Ebenen als Subsysteme definiert werden, die die Form sprachlich determinierter
Relative innerhalb der drei Module haben. Insbesondere kann das phonologische
System (PHOL) als sprachliche Schnittstellen-Ebene von PHON und das semanti-
sche System (SEM) als sprachliche Schnittstellen-Ebene von CS identifiziert wer-
den. Während PHOL durch einen Filter generiert wird, der phonetische auf pho-
nologische Repräsentationen abbildet, wird SEM durch einen Filter auf konzeptu-
ellen Repräsentationen erzeugt. Das syntaktische System SYN leistet die Überset-
zung linearer in hierarchische Strukturen und vice versa in Sprachrezeption und -
produktion: Durch die Vermittlung des syntaktischen Systems werden lineare Re-
lationen aus PHOL mit hierarchischen Relationen in SEM verknüpft. Abbildung 1
fasst die hier skizzierte Architektur zusammen.
Abbildung 1: Das semantische System innerhalb der sprachlichen Architektur
Ich unterscheide somit sprachlich bedingte semantische und außersprachliche
konzeptuelle Strukturen parallel zur Unterscheidung phonologischer und phoneti-
scher Strukturen. So wie phonologische Repräsentationen sprachlich bedingte
Aspekte der Lautstruktur erfassen, erfassen semantische Repräsentationen sprach-
lich bedingte Aspekte der Bedeutung: SEM liefert die Bedeutungsstruktur sprach-
licher Einheiten, d.h. die grammatische, vom sprachlichen System vorgegebene
Bedeutung im Unterschied zur außersprachlichen Referenz.
Phonologie Semantik
Auf der Basis dieser Überlegungen kann die Frage zum Status metaphori-
scher Komposita nun als Frage nach ihrer semantischen Endozentrik formuliert
werden. Wir wissen, dass diese Wortbildungen syntaktisch endozentrisch sind
(die rechte Konstituente bestimmt morphosyntaktische Merkmale), und wir kön-
nen festhalten, dass sie in Bezug auf ihre außersprachliche Referenz exozentrisch
sind (die rechte Konstituente identifiziert nicht die konzeptuelle Klasse der Refe-
renten). Sind sie aber möglicherweise semantisch, d.h. in Bezug auf ihre gramma-
tisch determinierte Bedeutungsstruktur, endozentrisch?
4. Sind „Heckenschwein“-Komposita semantisch endozentrisch?
Die Beantwortung dieser Frage kann empirisch untermauert werden, indem man
nach Effekten der angenommenen semantischen Struktur auf Sprecher-Ebene
sucht. Zu diesem Zweck untersuche ich in einer psycholinguistischen Studie
sprachspezifische Unterschiede in der Repräsentation der Referenten von „He-
ckenschwein“-Komposita. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass eine endo-
zentrische semantische Struktur dieser Komposita einen Einfluss auf die Konzep-
tualisierung haben könnte: Wenn das grammatische System des Deutschen – an-
ders als das des Englischen – eine Schildkröte als Kröte repräsentiert und das
Englische – anders als das Deutsche – einen Igel („hedgehog“) als Schwein aus-
weist, dann könnte dies die Konzeptualisierung dieser Tiere sprachspezifisch be-
einflussen.
Die Studie untersucht daher, ob einzelsprachliche Unterschiede im Bereich
der „Heckenschwein“-Komposita zu messbaren Unterschieden in der kon-
zeptuellen Repräsentation führen, derart, dass Deutsche z.B. Schildkröten und
Kröten als ähnlicher und Igel und Schweine als unähnlicher konzeptualisieren, als
englische Muttersprachler dies tun. Sollte das der Fall sein, dann wäre dies eine
empirische Untermauerung der grammatischen Klassifikation von „Hecken-
schwein“-Komposita als endozentrisch: Ein Auffinden solcher Unterschiede wür-
de empirische Evidenz für die Existenz einer vom Weltwissen abweichenden,
grammatisch-semantischen Repräsentation endozentrischen Charakters liefern.
Um einen solchen sprachspezifischen Effekt des semantischen Kopfes auf
die generelle Konzeptualisierung der Referenten von „Heckenschwein“-
Komposita zu untersuchen, werden deutsche und englische Muttersprachler in
nicht-sprachlichen Experimenten getestet. Aufgabe der Probanden ist es, Ähnlich-
keitsurteile zu Bildern abzugeben, die jeweils in Tripeln angeboten wurden. Die
Probanden sehen jeweils ein großes Bild, das den Referenten eines „Hecken-
schwein“-Kompositums in einer der beiden Sprachen darstellt, also beispielsweise
eine Schildkröte („G-Fall“: die deutsche Bezeichnung des Tieres ist ein metapho-
risches Kompositum) oder einen Igel („E-Fall“, die englische Bezeichnung des
Tieres ist ein metaphorisches Kompositum, hier: hedgehog). Diesem Bild werden
zwei kleinere Bildern gegegenübergestellt, von denen eines ein Tier darstellt, das
im Deutschen bzw. im Englischen durch den Kopf des jeweiligen Kompositums
bezeichnet wird, etwa eine Kröte im Beispiel der Schildkröte oder ein Schwein im
Beispiel des Igels (verwandter Stimulus). Das jeweils andere Bild stellt ein Tier
dar, das nicht durch seine Bezeichnung in Beziehung zu dem Tier auf dem großen
Bild steht, beispielsweise ein Krokodil bei der Schildkröte und eine Ratte beim
Igel (nicht-verwandter Stimulus). Die Probanden müssen nun jeweils dasjenige
von den beiden Tieren auf den kleineren Bildern ankreuzen, das für sie dem Tier,
das durch das große Bild identifiziert wird, ähnlicher ist.
In einer Pilotstudie wurden zunächst sechs experimentelle Tripel (je drei G-
und drei E-Fälle), zusammen mit Filler-Tripeln, mit vier Klassen von Probanden
getestet, die nach Sprache und Altersgruppe unterschieden wurden (vgl. Wiese
2003b): deutsche Erwachsene (Studenten, N = 32), deutsche Kinder (11 bis 12
Jahre alt, N = 51), englische Erwachsene (Studenten, N = 56) und englische Kin-
der (11 bis 12 Jahre alt, N = 28).
Abbildung 2 unten gibt die Ergebnisse der Pilotstudie wieder. Die vertikale
Achse gibt die Mittelwerte für die Auswahl der verwandten Stimuli in den G-
Fällen (z.B. im Fall der Schildkröte: Auswahl der Kröte, nicht aber des Krokodils)
und der nicht-verwandten Stimuli in den E-Fällen an (z.B. im Fall des Igels: Aus-
wahl der Ratte, nicht des Schweins). Der maximal mögliche Wert ist demnach 6,
entsprechend der Anzahl der Tripel, da bei den drei G-Tripeln die Auswahl des
verwandten Stimulus (z.B. Kröte bei Schildkröte) als positiv gerechnet wurde, bei
den drei E-Tripeln dagegen die Auswahl des nicht-verwandten Stimulus (z.B.
Ratte bei Igel). Es wurden somit jeweils die Antworten zusammengerechnet, die
einem Auswahlsverhalten entsprechen, das sich laut unserer Hypothese stärker bei
deutschen als bei englischen Sprechern zeigen soll: Ein Effekt des semantischen
Kopfes sollte dazu führen, dass deutsche im Vergleich zu englischen Sprechern
bei einer Schildkröte eher die Kröte als das Krokodil auswählen, während sie bei
einem Igel eher die Ratte als das Schwein auswählen, als englische Sprecher dies
tun (da die englische, nicht aber die deutsche Bezeichnung für einen Igel auf ein
Schwein verweist und englische Sprecher somit eher das Schwein auswählen soll-
ten als deutsche Sprecher). Höhere Mittelwerte für deutsche als für englische
Sprecher, wie sie in der Abbildung deutlich werden, weisen demnach auf sprach-
spezifische Effekte der morpho-semantischen Kompositastruktur hin.
Abbildung 2: Ähnlichkeitsurteile deutscher und englischer Sprecher
Die statistische Analyse durch einen nicht-parametrischen Test (Mann-Whitney’s
U) zeigte hoch-signifikante Unterschiede zwischen den Sprachgruppen (U = 2254,
Z = - 5.04, p = 0.000), jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Al-
tersgruppen (deutsche Kinder vs. Erwachsene: U = 809, Z = - 0.068, p = 0.946;
englische Kinder vs. Erwachsene: U = 725, Z = - 0.578, p = 0.563). Dies verweist
auf frühe und robuste Effekte der Komposita-Semantik auf die Konzeptuali-
sierung: Die getesteten „Heckenschwein“-Komposita hatten sprachspezifische
englische
Sprecher
deutsche
Sprecher
6
5
4
3
2
1
0
Erwachsene
3,86 3,91 3,29 3,07
M
ittelwerte für Auswahl der verwandten
Stimuli in den G-Fällen (Deutsch, z.B.
Schildkröte-Kröte) + der nicht-verwandten
Stimuli in den E-Fällen (Englisch, z.B. Ige
l
-Ratte)
Kinder
Effekte, die sich über die Altersgruppen hinweg zeigten, d.h. bereits bei Elf- bis
Zwölfjährigen in derselben Form auftraten wie bei Erwachsenen.
Die Ergebnisse der Pilotstudie liefern somit erste Evidenz dafür, dass die
Art der Bezeichnung tatsächlich zu messbaren Unterschieden in der Konzeptuali-
sierung führt: Deutsche empfanden in der Studie z.B. Schildkröten und Kröten als
ähnlicher und Igel und Schweine als unähnlicher, als englische Sprecher dies tun.
Dies stützt die grammatische Klassifikation der betreffenden Komposita als endo-
zentrisch, es weist auf eine Determination ihrer Bedeutungsstruktur durch den
morphologischen Kopf, die so nachhaltig ist, dass sie auch die Konzeptualisierung
im nicht-sprachlichen Bereich beeinflusst.
In einer zur Zeit laufenden Folgestudie wird der Versuchsaufbau in zwei
Richtungen erweitert. Zum einen untersuche ich, ob die Ergebnisse der Pilotstudie
mit einer größeren Anzahl von Stimuli (17 experimentelle Tripel) repliziert wer-
den können. Zum anderen stelle ich den Experimenten mit reinen Ähnlichkeitsur-
teilen eine zweite Experimentreihe gegenüber, in der die Probanden simultan eine
sprachliche Aufgabe haben: Sie müssen, während sie die Ähnlichkeitsurteile
durchführen, laut „bla bla bla“ sagen. Wie in unabhängigen Studien gezeigt wur-
de, verhindert eine solche sprachliche Simultanaufgabe die Subvokalisierung3
(d.h. in unserem Fall: sie verhindert, dass die Probanden die betreffenden Tiere im
Kopf benennen und damit auf sprachliche Repräsentationen zugreifen) und stellt
damit sicher, dass es sich bei den in der Hauptaufgabe beobachteten Effekten tat-
sächlich um ein nicht-sprachliches Phänomen handelt.
5. Fazit
Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung liegen auf zwei Ebenen: Aus Sicht
der grammatischen Beschreibung und Modellierung tragen sie zur Diskussion
metaphorischer Komposita und der Schnittstelle sprachlicher und konzeptueller
Strukturen bei; aus Sicht der linguistischen Methodik unterstützen sie eine Kom-
bination psycholinguistischer und grammatiktheoretischer Arbeitsweisen. Die
folgende Aufstellung fasst die einzelnen Ergebnisse zusammen.
a. Zum Status metaphorischer Komposita. Die Studie liefert Evidenz für die
Endozentrik von „Heckenschwein“-Komposita nicht nur auf syntaktischer, son-
dern auch auf semantischer Ebene und unterstützt damit die oben zitierte Auffas-
sung Coserius (1977): Vom Gesichtspunkt der einzelsprachlichen Bedeutung aus
stellen metaphorische Komposita keine Ausnahme dar, sondern verhalten sich
regulär, nämlich endozentrisch, d.h. aus Sicht des sprachlichen Systems ist im
Deutschen eine Schildkröte eine Kröte, im Englischen ein Igel ein Schwein.
b. Zur Architektur des Sprachsystems. Die grammatische Endozentrik von
„Heckenschwein“-Komposita führt zu einer Diskrepanz zwischen semantischer
Repräsentation und dem Weltwissen über die Referenten dieser Komposita und
stützt damit Modelle zur sprachlichen Architektur, die zwischen grammatisch-
semantischen und generellen konzeptuellen Strukturen unterscheiden. Die Studie
weist zudem auf einen möglichen Einfluss semantischer Repräsentationen auf die
Konzeptualisierung und trägt damit zu neueren Forschungsansätzen aus dem Be-
reich Sprache-Kognition bei, die den Einfluss einzelsprachlicher Strukturen auf
die Repräsentation der Welt untersuchen (etwa Levinson 2003).
c. Zur linguistischen Methodik. Die hier vorgestellte Studie illustriert einen Bei-
trag psycholinguistischer Untersuchungen zur grammatischen Diskussion: Die
Ergebnisse zur Repräsentation von Komposita-Referenten liefern empirische Evi-
denz, die eine Analyse der Kompositastruktur als grammatisch endozentrisch
stützt. Sie heben damit den Wert einer Kombination verschiedener Perspektiven
bei der Analyse sprachlicher Daten hervor: Bei der Modellierung sprachlicher
Phänomene sollte möglichst nicht nur eine Ebene empirischer Evidenz berück-
sichtigt werden; grundsätzlich sollten Aussagen zum Sprachsystem mit Erkennt-
nissen zu seiner Implementierung im menschlichen Geist4 verträglich sein.
3 Beispielsweise haben Hitch et al. (1987) gezeigt, dass subvokales Zählen durch simultane „bla bla bla“-
Artikulation verhindert werden.
4 Dies bezieht sich nicht nur auf die Repräsentation sprachlicher Denotate, wie sie hier untersucht wurde,
sondern ebenso auf die dynamische Implementierung von Sprache in Rezeption und Produktion. Zur Pro-
zessualisierung metaphorischer Komposita vgl. Sandra (1990) und Zwitserlood (1994) sowie die Diskussi-
on in Wiese (2003b).
Danksagung
Die vorgestellte Studie wird durch ein Feodor-Lynen-Stipendium der Alexander-
von-Humboldt-Stiftung unterstützt. Für ihre Hilfe bei der Durchführung der Expe-
rimente danke ich Horst Simon und Annette Fischer (Humboldt-Universität Ber-
lin) sowie Maria M. Piñango und Ioana Chitoran (Yale University). Für die Dis-
kussion des theoretischen Rahmens und erster Ergebnisse aus der Pilotstudie dan-
ke ich zudem Teilnehmern der EuroCogSci 2003, der CUNY 2004, der Helsinki
Cognitive Linguistics Conference 2005 und der IVG-Tagung 2005 sowie Mitglie-
dern der Harvard/MIT Reading Group in Linguistics and Psychology und des
Linguistics Lunch Yale.
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Spatial orientation and direction are core areas of human and animal thinking. But, unlike animals, human populations vary considerably in their spatial thinking. Revealing that these differences correlate with language (which is probably mostly responsible for the different cognitive styles), this book includes many cross-cultural studies investigating spatial memory, reasoning, types of gesture and wayfinding abilities. It explains the relationship between language and cognition and cross-cultural differences in thinking to students of language and the cognitive sciences. © Stephen C. Levinson 2004 and Cambridge University Press, 2010.
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This book surveys the last thirty-five years of research in generative linguistics and related fields and offers a new understanding of how language, the brain, and perception intermesh. The book renews the conclusions of early generative linguistics: that language can be a valuable entrée into understanding the human mind and brain. The approach is interdisciplinary. The book proposes that the creativity of language derives from multiple parallel generative systems linked by interface components. This shift in basic architecture allows for a reconception of mental grammar and how it is learned. The book aims to reintegrate linguistics with philosophy of mind, cognitive and developmental psychology, evolutionary biology, neuroscience, and computational linguistics. Among the major topics treated are language processing, the relation of language to perception, the innateness of language, and the evolution of the language capacity, as well as more standard issues in linguistic theory such as the roles of syntax and the lexicon. In addition, this book offers a sophisticated theory of semantics that incorporates insights from philosophy of language, logic and formal semantics, lexical semantics of various stripes, cognitive grammar, psycholinguistic and neurolinguistic approaches, and the author's own conceptual semantics.
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Three lexical decision experiments using a variant of the semantic priming technique tested the hypothesis that compound words are morphologically decomposed during recognition. If a compound constituent is accessed during processing, an associative prime will facilitate that access and hence recognition of the whole word. Contrary to the predictions derived from the automatic decomposition hypothesis, Experiment 1 revealed no priming effects for semantically opaque compounds (buttercup) and pseudo-compounds (boycott), primed either on their initial or final constituent. The data from Experiment 2 suggested that both constituents in semantically transparent compounds are accessed (teaspoon). Experiment 3 was a replication experiment, confirming that final constituents of opaque compounds are not accessed, whereas those of transparent compounds are. The overall pattern of data refutes the notion of automatic morphological decomposition proposed by Taft and Forster (1976). However, a revised decomposition procedure would be compatible with the results. Morphemes might only be accessed if no other lexical representations match the orthographic description of the parsed stimulus part. In this account, only semantically transparent compounds lack an independent lexical representation.
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Aspects of counting in children's arithmetic
  • Graham Hitch
  • Cundick
  • Haughey
  • Maeve
  • Rachel Pugh
  • Hilary Wright
Hitch, Graham; Cundick, Jill; Haughey, Maeve; Pugh, Rachel, & Wright, Hilary, 1987. " Aspects of counting in children's arithmetic. " In: J. A. Sloboda & D. Rogers (Hg.), Cognitive Processes in Mathematics. Oxford: Clarendon [Keele Cognition Seminars 1]. S.26-41.