Horst Lademacher, Doyen der deutschen Beschäftigung mit den Niederlanden aus historischer Perspektive, hat immer wieder auf die ,,unterschiedlichen historisch-politischen Qualitäten“ hingewiesen, die sich in den ungleichen Nachbarn‘, Niederlande und Deutschland,
gegenüberstehen. Das gilt zwar durchaus nicht allein für das 20. Jahrhundert, obwohl kein Zweifel bestehen kann, daß die
... [Show full abstract] niederländisch-deutschen Beziehungen von den Erschütterungen in diesem ,kurzen‘ Jahrhundert der Diktaturen und den anti-zivilgesellschaftlichen
Herausforderungen am stärksten beeinflußt wurden und werden. Jeder deutsche Niederlandehistoriker und niederländische Deutschlandexperte kennt aus eigener Erfahrung das Problem, das Dik Linthout, Niederländischlehrer für Deutschsprachige am Goethe-Institut
in seiner 2002 in deutscher Übersetzung erschienenen soziokulturellen ,Gebrauchsanleitung‘ ,Niederlande für Deutsche‘ mit dem schönen Obertitel ,Frau Antje und Herr Mustermann‘ treffend beschrieben hat: Es geht um den Selbstbild-Fremdbild- Mechanismus, der
nicht nur auf festgefügten Bildern über die Eigenarten des jeweils Anderen, sondern jedenfalls auf deutscher Seite auf einem markanten Informationsdefizit beruht. Linthout spricht von der deutsch-niederländischen Grenze als einem ,,Informationssieb“, das ,,von den Niederlanden
in Richtung Deutschland (...) sehr enge Maschen [hat].“ Die Niederlande sind ein kleines Land im europäischen Nordwesten, dessen mediale Internationalität seit dem ,Goldenen Jahrhundert‘ von einer hohen Präsenz ausländischer Informationen und Medien im eigenen
Land getragen wird. Es ist in den Niederlanden traditionell leicht, an detaillierte Informationen über das Nachbarland zu kommen, sofern man das wünscht. ,,Alle niederländischen Zeitungen“, so Linthout, ,,die etwas auf sich halten, haben eigene Korrespondenten in Deutschland.“
Deutsche Pressevertreter haben ihren Standort in der Regel in Brüssel und bedienen von dort aus die Niederlande nach Bedarf mit. Das deutsche Wissen über die Niederlande ist gering, und professionelle Eliten der verschiedensten Sparten nehmen das kleine Land häufig nur segmentär,
falls überhaupt, wahr. ,,Es gab in Deutschland“, so Linthout, ,,vielleicht mit Ausnahme Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens, keine rechte Vorstellung von dem, was die Niederlande eigentlich sind.“ Diese Nichtwahrnehmung und dieses Nichtwissen um die Grundlagen des politischen
Systems, der soziokulturellen Organisation und der niederländischen Geschichte der Neuzeit verstärken den psychosozialen Teufelskreis aus lässigem Desinteresse des großen Nachbarn gegenüber dem Kleinen, der darauf mit noch schärferer Abgrenzung reagiert.