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Krause, Andreas
Lehrerbelastungsforschung - Erweiterung durch ein
handlungspsychologisches Belastungskonzept
Zeitschrift für Pädagogik 49 (2003) 2, S. 254-273
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E-Mail: pedocs@dipf.de
Internet: www.pedocs.de
Jahrgang 49 – Heft 2
März/April 2003
Inhaltsverzeichnis
Essay
Hans-Werner Fuchs
Auf dem Weg zu einem neuen Weltcurriculum? Zum Grundbildungskonzept
von PISA und der Aufgabenzuweisung an die Schule ................................................ 161
Thementeil: Leistungsvergleiche – Chancen und Folgen
Peter Martin Roeder
TIMSS und PISA – Chancen eines neuen Anfangs in Bildungspolitik, -planung,
-verwaltung und Unterricht. Endlich ein Schock mit Folgen? ................................... 180
Wilfried Bos/Eva-Maria Lankes/Manfred Prenzel/Knut Schwippert/Gerd Walther/
Renate Valtin/Andreas Voss
Welche Fragen können aus einer gemeinsamen Interpretation der Befunde
aus PISA und IGLU fundiert beantwortet werden? ................................................... 198
Kurt A. Heller
Das Gymnasium zwischen Tradition und modernen Bildungsansprüchen .............. 213
Allgemeiner Teil
Martin Rothland
Magister magistri lupus? ‚Mobbing‘ am Arbeitsplatz Schule .................................... 235
Andreas Krause
Lehrerbelastungsforschung – Erweiterung durch ein handlungspsychologisches
Belastungskonzept ........................................................................................................ 254
Diskussion
Alfred Langewand
Über die Schwierigkeit, Erziehung als Aufforderung zur Selbsttätigkeit
zu begreifen ................................................................................................................... 274
Dietrich Benner
Über die Unmöglichkeit, Erziehung allein vom Grundbegriff der „Aufforderung
zur Selbsttätigkeit“ her zu begreifen. Eine Erwiderung auf Alfred Langewand ........ 290
Besprechungen
Klaudia Schultheis
Winfried Böhm (Hrsg.): Pädagogik – wozu und für wen? ....................................... 305
Micha Brumlik
Ernst Martin: Sozialpädagogische Berufsethik. Auf der Suche nach dem richtigen
Handeln .................................................................................................................. 307
Juliane Jacobi
Angelika Schaser: Helene Lange und Gertrud Bäumer. Eine politische Lebens-
gemeinschaft
Caroline Hopf/Eva Matthes: Helene Lange und Gertrud Bäumer. Ihr Engagement
für die Frauen- und Mädchenbildung. Kommentierte Texte .............................. 308
Theodor Schulze
Charlotte Heinritz: Auf ungebahnten Wegen. Frauenautobiographien um 1900 ... 311
Marc Depaepe
Dietrich Benner/Herwart Kemper: Theorie und Geschichte der Reformpädagogik.
Teil 1: Die pädagogische Bewegung von der Aufklärung bis zum Neuhumanis-
mus; Teil 2: Die Pädagogische Bewegung von der Jahrhundertwende bis zum
Ende der Weimarer Republik
Dietrich Benner/Herwart Kemper (Hrsg.): Quellentexte zur Theorie und
Geschichte der Reformpädagogik. Teil 1: Die pädagogische Bewegung von der
Aufklärung bis zum Neuhumanismus; Teil 2: Die Pädagogische Bewegung
von der Jahrhundertwende bis zum Ende der Weimarer Republik .................... 314
Dokumentation
Pädagogische Neuerscheinungen ............................................................................... 321
Content
Essay
Hans-Werner Fuchs
Towards a world curriculum? – The concept of basic education (literacy)
underlying PISA and the tasks allocated to schooling ................................................ 161
Topic: Large Scale Assessments – Chances and Consequences
Peter Martin Roeder
TIMSS and PISA – Prospects of a Fresh Start in Educational Policy and the
Monitoring of the School System? ............................................................................. 180
Wilfried Bos/Eva-Maria Lankes/Manfred Prenzel/Knut Schwippert/Gerd Walther/
Renate Valtin/Andreas Voss
To which questions does a combined interpretation of the results yielded
by both PISA and IGLU provide well grounded answers? ........................................ 198
Kur t A. H e ller
The Gymnasium between tradition and modern educational requirements ........... 213
Articles
Martin Rothland
Magister magistri lupus? Mobbing in Schools ........................................................... 235
Andreas Krause
Research on Teachers´ Ability to Cope with Stress – A broadening of the approach
by including a psychology of action-concept of stress .............................................. 254
Discussion
Alfred Langewand
On the Difficulty of Understanding Education as a Challenge
to Become Self-Active ................................................................................................... 274
Dietrich Benner
On the Impossibility of Understanding Education Solely in Reference
to the Concept of a ‘Summons to Self-Activity’. A reply to Alfred Langewand ......... 290
Book Reviews ............................................................................................................... 305
New Books ................................................................................................................... 321
254 Allgemeiner Teil
Andreas Krause
Lehrerbelastungsforschung – Erweiterung durch
ein handlungspsychologisches Belastungskonzept
Zusammenfassung: Die Lehrerbelastungsforschung kann durch eine Vielzahl verschiedenartiger
Konzepte, Definitionen und Methoden charakterisiert werden. Vorherrschend sind Ansätze in der
Tradition transaktionaler Stresskonzepte sowie Ansätze, die verschiedene Aspekte der Persönlich-
keit betonen. Entsprechend beruhen die Erhebungsmethoden fast ausschließlich auf Selbstberich-
ten der Lehrkräfte. Es bleibt theoretisch ungeklärt, welche Aspekte der Tätigkeit als Belastungs-
faktoren zu berücksichtigen sind. Arbeitswissenschaftliche Vertreter orientieren sich vor allem an
dem Belastungs-Beanspruchungskonzept. In diesem Beitrag wird zusätzlich ein handlungspsy-
chologisches Belastungskonzept vorgestellt, welches auf die Unterrichtstätigkeit von Lehrerinnen
und Lehrern übertragen wurde. Die empirischen Ergebnisse einer Studie bestätigten die Reliabili-
tät und Validität des entwickelten Untersuchungskonzepts und somit die Möglichkeit, psychische
Belastungen über Beobachter zu erheben. Das handlungspsychologische Belastungskonzept liefert
einen konzeptionellen Beitrag, um ein Verständnis der Tätigkeit von Lehrkräften zu entwickeln
und einen theoretisch begründeten Zugang zu Situationen zu erhalten, die sich psychisch belas-
tend auswirken.
1. Einleitung
Belastungen von Lehrerinnen und Lehrern1 sind ein thematischer Schwerpunkt der ak-
tuellen Lehrerforschung (vgl. Schaefers/Koch 2000). Die letzten Jahrzehnte können als
Expansionsphase bezeichnet werden, sodass zahlreiche Untersuchungen sowie verschie-
dene Modelle und Messinstrumente vorliegen, welche bereits in Überblicksartikeln (z.B.
Borg 1990; Guglielmi/Tatrow 1998; Kyriacou 1987, 2001; Rudow 1990a, b; Wisniewski/
Gargiulo 1997) und Monographien (z.B. Rudow 1995) vorgestellt wurden. Zudem kön-
nen bestimmte Teilaspekte bzw. angrenzende Themen als eigenständige Forschungs-
gebiete angesehen werden; insbesondere die Burnout-Forschung hat sich häufig auf den
Lehrerberuf konzentriert (vgl. Vandenberghe/Huberman 1999). In diesem Beitrag wird
keine Zusammenstellung empirischer Ergebnisse geleistet, sondern vielmehr ein kriti-
scher Blick auf den konzeptionellen Stand der Lehrerbelastungsforschung aus arbeits-
psychologischer Sicht geworfen.2 Dieser wird von verschiedenen Seiten als defizitär
gesehen. So stellen Guglielmi/Tatrow (1998) in ihrem Übersichtsartikel zu berufsbezo-
genem Stress bei Lehrern fest: „Perhaps the most serious weakness of the literature
reviewed in this article is the conceptual vacuum that generally characterizes those em-
pirical investigations“ (ebd., S. 90). Fortschritte wird es aus ihrer Sicht erst geben, wenn
1 Im Folgenden wird zugunsten der Lesbarkeit des Textes lediglich die männliche Form – ver-
standen als grammatikalische Neutralität – verwendet. Grundsätzlich sind beide Geschlechter
angesprochen.
2 Für einen allgemeinen, nicht berufsspezifischen Überblick sei verwiesen auf Mohr/Semmer
(2002), Oesterreich (2001) sowie Semmer/Mohr (2001).
Z.fPäd – 49. Jahrgang 2003 – Heft 2
Krause: Lehrerbelastungsforschung 255
es ein theoretisches Rahmenkonzept gibt, welches das empirische Vorgehen leitet (z.B.
bei der gezielten Auswahl von Fragestellungen und Instrumenten).
Es wird im Folgenden aufgezeigt, welche Theorien psychischer Belastungen in der
Lehrerbelastungsforschung vorherrschend sind. Darüber hinaus werden Überlegungen
zu einem arbeitspsychologischen Belastungskonzept vorgestellt, welches eine sinnvolle
theoretische und methodische Ergänzung liefert.
2. Belastungsbegriffe
Mit dem Stichwort Belastungen sind vielfältige Assoziationen (wie Stress, Unwohlsein,
Überforderung, Langeweile usw.) verbunden. In zahlreichen Untersuchungen der
Lehrerbelastungsforschung wird auf eine genaue Klärung der zugrunde liegenden Be-
lastungsdefinition verzichtet. Ausgehend von der kurz formulierten Annahme, Belas-
tungen seien das, was die jeweilig befragten Lehrkräfte als subjektiv unangenehm erle-
ben, wird nach potenziellen Belastungen gefragt. So definieren beispielsweise van
Dick/Wagner/Petzel (1999): „Wir verstehen hier unter Belastung die subjektive Wahr-
nehmung von Beanspruchung durch unterschiedliche Arbeitsbedingungen“ (ebd.,
S. 270). In anderen Studien wird gar keine explizite Definition vorgenommen – was als
Belastungen verstanden wird, muss erschlossen werden (vgl. z.B. Buchen 1997).
Kyriacou (1998) definiert Lehrerstress als „the experience by a teacher of unpleasant
emotions such as tension, frustration, anxiety, anger and depression, resulting from as-
pects of his or her work as a teacher“ (ebd., S. 4). (Lehrer-)Stress bezieht sich demnach
auf die emotionale Reaktion des Lehrers sowie allein auf negative Aspekte, während po-
sitive Aspekte nicht berücksichtigt werden.
Ähnliche Definitionen finden sich nicht nur für Lehrerstress, sondern auch für
Lehrerbelastungen: „Belastungen sind Beeinträchtigungen der individuellen Befindlich-
keit und Stimmung, der Erlebnis-, Verarbeitungs- und Handlungsmöglichkeiten einer
Person in einer gegebenen Situation, die subjektiven Leidensdruck hervorrufen“ (Ulich
1996, S. 64). Für diese – und weitere hier nicht genannte – Beispiele der Lehrerbelas-
tungsforschung wird deutlich:
1) Die Begriffe Stress und Belastung werden ähnlich oder sogar synonym verwendet.
2) Die subjektiven Prozesse der Wahrnehmung und Bewältigung werden betont. Belas-
tung resultiert demnach aus der Verarbeitung von Reizen und kann nur subjektiv
erhoben werden.
Eine andere begriffliche Klärung findet sich in der arbeitswissenschaftlichen Tradition,
die sich mehrheitlich auf das Belastungs-Beanspruchungskonzept beruft. Die arbeits-
wissenschaftliche Definition von psychischer Belastung (mental stress) hat Eingang in
die ISO 10075 (1991) gefunden: „The total of all assessable influences impinging upon a
human being from external sources and affecting it mentally“ (ebd., S. 1). Entgegen der
ersten Vorschläge (von Kyriacou und Ulich) beziehen sich Belastungen demnach auf die
256 Allgemeiner Teil
äußeren Einflussfaktoren und nicht auf die Reaktion der arbeitenden Person sowie auf
alle Einflussfaktoren und nicht nur auf die negativen Aspekte.
Für die Reaktionen der arbeitenden Person wird der Begriff psychische Beanspru-
chung (mental strain) eingeführt. Hiermit ist „the immediate effect of mental stress
within the individual (not the long-term effect) depending on his/her individual habit-
ual and actual preconditions, including individual coping strategies“ (ISO 10075 1991,
S. 1) gemeint. Rudow (2000) folgert entsprechend für das Verständnis von Lehrerbelas-
tungen: „Unter Belastung sind alle diejenigen körperlichen, geistigen und sozialen An-
forderungen in der pädagogischen Tätigkeit zu verstehen, die unabhängig vom Indivi-
duum existieren und potentiell Beanspruchungen hervorrufen[...] Die Belastung ist [...]
auch in der Lehrerarbeit als wertneutrales Phänomen, das an sich weder positiv noch
negativ ist, zu betrachten“ (ebd., S. 36).
In arbeitspsychologischen Konzepten wird die analytische Trennung zwischen Ar-
beitsbedingungen und den Auswirkungen (in der arbeitenden Person) ebenfalls vorge-
nommen. Allerdings wird die neutrale Begriffsverwendung kritisiert, „vielmehr gelten
hier psychische belastende Bedingungen durchgängig als Bedingungen, die Gesund-
heitsrisiken erhöhen“ (Oesterreich 2001, S. 168).
Im Folgenden werden Modelle der Lehrerbelastung vorgestellt, in denen sich die un-
terschiedliche Verwendung des Belastungsbegriffs fortsetzt.
3. Modelle der Lehrerbelastung
Im Laufe der letzten drei Jahrzehnte wurden verschiedene Modelle der Lehrerbelastung
entwickelt (vgl. z.B. Schönpflug 1985; Worrall/May 1989). Meist werden bestehende
Konzepte auf den Lehrerberuf übertragen. Die gemeinsame Fragestellung lautet, wie
sich Aspekte der Arbeitstätigkeit auf das Erleben und die Gesundheit der Lehrkräfte
auswirken. Dieser Einfluss wird von verschiedenen Moderatorvariablen und zwar vor
allem individuellen Unterschieden (z.B. Persönlichkeitseigenschaften, Bewältigungsstra-
tegien) beeinflusst. Ein zentraler Grundgedanke bei allen Modellen lautet, dass negative
Auswirkungen bei Vorliegen eines Ungleichgewichtes zwischen Arbeitsanforderungen
einerseits und den Ressourcen bzw. Fähigkeiten des Lehrers zum Umgang mit den An-
forderungen andererseits zu erwarten sind. Verschiedene Ansätze legen dabei unter-
schiedliche Schwerpunkte. Im Folgenden werden drei zentrale Modelle aufgeführt.
Besonders häufig stehen in der Lehrerbelastungsforschung die subjektiven Verarbei-
tungsprozesse im Vordergrund. Dabei wird ein mehr oder weniger direkter Bezug ge-
nommen auf das transaktionale Stresskonzept nach Lazarus (z.B. 1999). In anderen Un-
tersuchungen stehen bestimmte Persönlichkeitseigenschaften im Vordergrund. Vorherr-
schend ist in der Arbeitswissenschaft (im deutschsprachigen Raum) das Belastungs-
Beanspruchungskonzept, allerdings finden sich hier nur wenige Übertragungsvorschläge
für den Lehrerberuf. Es sei bereits hier betont, dass sich die verschiedenen Modelle nicht
grundsätzlich gegenseitig ausschließen, sondern unterschiedliche Schwerpunkte setzen
und integrierbar sind (vgl. Ulich 2001, S. 439).
Krause: Lehrerbelastungsforschung 257
3.1 Belastungen infolge kognitiver und transaktionaler Bewertungsprozesse
Als ein früher Vertreter von Modellen des Lehrerstresses kann Chris Kyriacou gelten,
der aufgrund eigener Erfahrungen im Schuldienst motiviert war, sich mit diesem The-
ma zu beschäftigen. Sein Modell, das er erstmals gemeinsam mit Sutcliffe 1978 veröf-
fentlichte, ist geprägt von dem transaktionalen Stresskonzept nach Lazarus (vgl. Abbil-
dung 1).
7
CHARACT ERIS TICS OF
THE INDIVID UAL TEACH ER
biographical
personality
higher order needs
abilityto meet orcopewithdema
nds
beliefs -attitudes -values system
1
POTENTIAL
STRESS ORS
physical
psychological
2
APPRAISAL
threatto
self-esteem
well- bein g
3
ACTUAL
STRESSORS
4
COPING
MECHANISMS
to reduce
perceived
threat
5
TEACHER
STRESS
negative
affects
response
correlates :
psychological
physiological
behavioural
6
CHRONIC
SYMPTOMS
psychosom atic
coronary
mental
8
POTENTIAL
NON OCCUPATIONAL
STRESSORS
Abb. 1: Transaktionales Modell des Lehrerstress (aus Kyriacou/Sutcliffe 1978, S. 3)
Ausgangspunkt sind Ereignisse, hier als „potential stressors“ benannt, die von der arbei-
tenden Person wahrgenommen werden und im Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit
stehen. Bei einer ersten Bewertung („appraisal“) entscheidet die arbeitende Person, ob
es sich um eine Bedrohung und somit einen Stressor („actual stressor“) handelt. Im
nächsten Schritt werden vorhandene Bewältigungsmöglichkeiten („coping mecha-
nisms“) eingesetzt. Es erfolgt also die Auseinandersetzung mit dem Stressor, wobei diese
Bewältigung gelingen kann und zu einer Neubewertung der Situation führt. Falls die
Bewältigungsversuche scheitern, treten negative Affekte auf („teacher stress“). Bei länge-
rem Andauern können chronische Symptome resultieren, insbesondere in Form psy-
chosomatischer Beschwerden („chronic symptoms“). Der Prozess zwischen Wahrneh-
mung potenzieller Stressoren, Bewältigung und ggf. resultierendem Stress wird beein-
flusst von Merkmalen der arbeitenden Person („characteristics of the individual tea-
258 Allgemeiner Teil
cher“) sowie Einflüssen außerhalb der Arbeitstätigkeit, welche sich ebenfalls als Stresso-
ren auswirken können („potential non occupational stressors“).
Basierend auf dem Vorschlag von Kyriacou/Sutcliffe (1978) wurden verschiedene
Änderungen des Stressmodells vorgeschlagen, z.B. von Tellenback/Brenner/Löfgren
(1983) sowie für den deutschsprachigen Raum von Rudow (1995). Zudem liegen Vor-
schläge für weitere Modelle mit eigenständigen Bezeichnungen vor, die jedoch deutliche
Bezüge zu dem Stressmodell nach Lazarus aufweisen, z.B. das Person-Environment Fit
Model (vgl. Pithers/Soden 1999).
Bei dem transaktionalen Stresskonzept von Lazarus und den daraus für den Lehrer-
beruf abgeleiteten Modellen handelt es sich um allgemeine Prozessmodelle, welche ins-
besondere die kognitiven Prozesse der Lehrkräfte beleuchten. Ein Vorteil dieser Modelle
besteht darin, die Komplexität des Geschehens und der beteiligten kognitiven Prozesse
abzubilden. Individuelle Besonderheiten – insbesondere individuelle Prozesse bei der
Entstehung und Bewältigung von Stress – werden berücksichtigt. Gleichzeitig ist die
Anzahl potenzieller Stressoren schwer einzugrenzen. Entsprechend unterschiedlich sind
die aufgenommenen Variablen in den Modellen und Untersuchungen. Wenn jegliche
Ereignisse als potenzielle Stressoren angesehen werden und allein die individuellen Pro-
zesse bei der Stressentstehung entscheidend sind, besteht die Gefahr der Beliebigkeit bei
der Auswahl von Stressoren. Es lässt sich zumindest nicht begründen, warum in Unter-
suchungen bestimmte Aspekte erfragt werden und andere Aspekte unberücksichtigt
bleiben. Ferner besteht die Gefahr der Zirkularität bei der Definition von Stressoren,
wenn ein Stressor stets im Nachhinein darüber definiert wird, dass Stress ausgelöst
wurde.
Greif (1991) zeigt auf, dass der transaktionale Charakter des Modells auch Schatten-
seiten hat, denn sie „erweitern die Komplexität und Dynamik des Modells methodolo-
gisch [...] so grundlegend, daß die Gültigkeit des Modells kaum durch eindeutige, theo-
retisch abgeleitete Prognosen oder empirische Untersuchungen vollständig erfaßt und
getestet werden kann. [...] Zur Lösung des Problems ist [...] eine Präzisierung und Be-
schränkung der Wirkungshypothesen des transaktionellen Modells erforderlich“ (ebd.,
S. 10).
3.2 Belastungen als Resultat von Persönlichkeitseigenschaften
Wirkungshypothesen werden u.a. auf der Grundlage bestimmter Persönlichkeitstypen
vorgenommen. Persönlichkeitseigenschaften sind zwar in transaktionalen Stresskonzep-
ten bereits integriert. Verschiedene Ansätze der Lehrerbelastungsforschung zeichnen
sich jedoch dadurch aus, dass sie die Bedeutung bestimmter Persönlichkeitseigenschaf-
ten – im Vergleich beispielsweise zu Aspekten der Tätigkeit – besonders betonen. Bei-
spielsweise wird der persönliche Stil der Auseinandersetzung mit Arbeitsanforderungen
in dem Verfahren AVEM (Schaarschmidt/Fischer 1996) thematisiert. Das Instrument
wurde bereits mehrfach in Lehrerstichproben eingesetzt (vgl. Schaarschmidt/Fischer
2001; van Dick/Wagner 2001).
Krause: Lehrerbelastungsforschung 259
Mit dem Verfahren AVEM werden „die persönlichen Ressourcen der Belastungsbewälti-
gung“ erfasst, indem „persönliche Merkmale des Arbeitsengagements, der Widerstands-
fähigkeit und der arbeitsbezogenen Emotionen“ (Schaarschmidt 2002, S. 9) berücksich-
tigt werden. Es werden vier verschiedene, typische Muster (Gesundheitstyp G, Scho-
nungstyp S, Risikotypen A und B) unterschieden. In Abbildung 2 wird die Dominanz
von Persönlichkeitsaspekten bei der Entstehung und Bewältigung von Belastungen ver-
deutlicht.
Mit Verfahren wie dem AVEM können bestehende Unterschiede innerhalb der Leh-
rerpopulation betrachtet werden, die auf die Persönlichkeit zurückgeführt werden.
Aspekte und Unterschiede in der Arbeitstätigkeit werden in diesem Ansatz wenig be-
rücksichtigt – entscheidend ist vielmehr, wie die arbeitende Person mit gegebenen
Arbeitsbedingungen umgeht. Besonders deutlich wird dieser Schwerpunkt in Abbildung
3, die von den Autoren zur Veranschaulichung verwendet wird. Lehrer unterscheiden
sich demnach, ob sie sich vor sowie nach der Arbeit gut oder schlecht fühlen. Die Ur-
sachen werden offensichtlich in Aspekten der Person, speziell den beruflichen Coping-
Strategien gesehen: „Bekanntlich kann die gleiche berufliche Tätigkeit, selbst unter
vergleichbaren Bedingungen ausgeführt, für den einen Lust und für den anderen Frust
bedeuten“ (Schaarschmidt/Fischer 2001, S. 9).
Die unterschiedlichen Folgen der Arbeitstätigkeit werden somit auf Persönlichkeits-
unterschiede zurückgeführt. Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht besteht die Gefahr, dass
negative Folgen der Arbeit primär auf Persönlichkeitsunterschiede zurückgeführt wer-
den, während der Einfluss unterschiedlicher Arbeitsbedingungen unberücksichtigt
bleibt.
Abb. 2:
Belastungen in (lehrer-)persönlichkeitsorientierten Modellen
Persönlichkeitsmerkmale
Arbeits Folgen der
Persönlichkeitsmerkmale
(z.B. AVEM:
Bewältigungsmuster im Beruf)
Arbeits-
ausführung/
Erleben in der
Arbeit
Folgen der
Arbeit
(z.B.
Beschwerden)
260 Allgemeiner Teil
Abb. 3:
(aus Schaarschmidt/Fischer 2001, S. 58)
Muster arbeitsbezogenen Verhaltens und Erlebens
Krause: Lehrerbelastungsforschung 261
3.3 Belastungen als äußere Einflussgrößen
Die Entstehung und Verbreitung des Belastungs-Beanspruchungskonzepts im deutsch-
sprachigen Raum ist wesentlich mit den Arbeiten von Rohmert/Rutenfranz (1975) ver-
knüpft. Ursprünglich bezog sich das Konzept auf körperliche Anstrengungen. Es wurde
auf psychische bzw. mentale Belastungen und Beanspruchungen übertragen (vgl. Roh-
mert 1984). Im Vergleich zu transaktionalen Stresskonzepten hat das arbeitswissen-
schaftliche Rahmenkonzept in der Lehrerbelastungsforschung derzeit noch wenig Be-
deutung erlangt. Rudow (2000) sowie Schönwälder (1997) haben Überlegungen ange-
stellt, wie das Konzept auf den Lehrerberuf übertragen werden kann.
Rudow (2000) stellt ein Rahmenmodell auf, welches helfen soll, „wesentliche Zu-
sammenhänge zwischen Tätigkeitsanforderungen, Belastung, Beanspruchung und ar-
beitsbedingten Erkrankungen in der Lehrerarbeit“ (ebd., S. 38) zu verstehen (vgl. Ab-
bildung 4). Ausgangspunkt sind Tätigkeitsanforderungen in Form eines Arbeitsauftrags
an die arbeitende Person, welche unter bestimmten Bedingungen zu erbringen sind.
Hierbei handelt es sich um die objektiven, von außen einwirkenden Belastungen, welche
individuell widergespiegelt werden und auf diese Weise als subjektive Belastung auftre-
ten: „Dabei tritt die psychische Belastung als subjektive Belastung auf, weil objektive
Belastungsfaktoren stets individuell widergespiegelt werden“ (ebd., S. 38). Rudow
schlägt somit – in Abweichung zu dem ursprünglichen Belastungs-Beanspruchungs-
konzept – eine Unterscheidung objektiver und subjektiver Belastungen vor.
Abb. 4: (in Anlehnung an Rudow 2000, S. 40ff.)
Belastungs-Beanspruchungskonzept
Arbeitsauftrag und Arbeitsbedingungen
(Objektive Belastung)
Körperliche
Anforderungen
(Subjektive) Belastung
Beanspruchung
Bewertungs-/
Bewältigungsstile
Geistige
Anforderungen
Soziale
Anforderungen
Beanspruchungsfolgen
262 Allgemeiner Teil
Differenziert wird ferner zwischen körperlichen, geistigen und sozialen Anforderungen.
Körperliche Anforderungen (wie Haltearbeit) spielen eine untergeordnete Rolle. Geisti-
ge Anforderungen bestehen in der Umsetzung von Eingangs- in Ausgangsinformatio-
nen und dem Erzeugen neuer Informationen. Besonders bedeutsam sind nach Rudow
die sozialen Anforderungen: „Dies bedeutet, dass soziale Belastungsfaktoren in der In-
teraktion mit dem Schüler, den Kollegen, der Schulleitung und den Eltern vorherr-
schen“ (ebd., S. 39).
Die Anforderungen führen zu den subjektiven Belastungen, die als individuell (ein
einzelner Lehrer erfährt diese Belastung) oder kollektiv (eine Lehrergruppe erfährt die
Belastung) charakterisiert werden. Die subjektiven Belastungen resultieren in Beanspru-
chungsreaktionen, d.h. „kurzfristig auftretende, reversible psychophysische Phänomene“
(ebd., S. 41). Bei anhaltender Arbeitstätigkeit können auch Beanspruchungsfolgen ent-
stehen, die als „überdauernde, chronische und bedingt reversible psychophysische Phä-
nomene“ (ebd., S. 41) benannt werden. Der Zusammenhang von Belastungen und Be-
anspruchungen wird moderiert von Bewertungs- und Bewältigungsstilen, wobei Rudow
insbesondere körperliche und psychische Handlungsvoraussetzungen (wie Motive und
Einstellungen zur Berufstätigkeit oder die soziale Handlungskompetenz) herausstellt.
Da Rudow sich auf das Belastungs-Beanspruchungskonzept bezieht, beinhalten die
Beanspruchungsreaktionen und -folgen konsequenterweise sowohl positive als auch
negative Aspekte. Zu den negativen Beanspruchungsreaktionen zählt Rudow insbeson-
dere Psychische Ermüdung, Monotonie, Psychische Sättigung und Stressempfinden
(vgl. auch Richter/Hacker 1998). Aufgrund fehlender Erholungsprozesse können nega-
tive Beanspruchungsfolgen resultieren, wobei verwiesen wird auf Übermüdung, chroni-
schen Stress, Burnout, Einschränkung der Leistungsfähigkeit und psychische und
psychosomatische Störungen und Erkrankungen. Zu den möglichen positiven Bean-
spruchungsreaktionen gehören Erfolgs- oder gar Flowerlebnisse, zu den positiven Bean-
spruchungsfolgen Arbeitszufriedenheit oder neuerworbene Handlungsmuster (im Sinne
erweiterter Kompetenzen).
Auch bei Schönwälder (1997) findet sich eine arbeitswissenschaftliche Auseinander-
setzung mit Belastungen im Lehrerberuf. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die
Frage: „Worin besteht die Belastung der Lehrer durch ihre pädagogische Arbeit und
kann sie gemessen werden?“ (ebd., S. 181). Langfristig solle geklärt werden, „welche
Leistung nach Art, Umfang, Intensität und Zeitstruktur“ (ebd., S. 181f.) von den Leh-
rern verlangt werden sollte. Bezüglich der vorhandenen Belastungsanalysen für den
Lehrerberuf konstatiert Schönwälder ein Defizit, sodass die Fragen derzeit noch nicht
beantwortet werden können.
Die Anwendung des Belastungs-Beanspruchungskonzepts führt bei Schönwälder zur
Formulierung einer Funktion, die den Zusammenhang zwischen objektiver Belastung
und Beanspruchung erhellen soll: „Belastung = Funktion von: (Arbeitsauftrag und
Arbeitsbedingungen) führt zu: Arbeitsergebnis und Beanspruchung der Arbeitenden“
(ebd., S. 190). Der Arbeitsauftrag wird u.a. über die vertraglich vereinbarte Anzahl an
Unterrichtsstunden bestimmt. Zu den Arbeitsbedingungen werden beispielsweise die
Größe und Lernvoraussetzungen der Schülergruppen, die räumlichen Gegebenheiten
Krause: Lehrerbelastungsforschung 263
und Lehrmittel sowie die Personalzusammensetzung an der Schule gezählt. Das Arbeits-
ergebnis „besteht in einer möglichst vollständigen Realisierung der klassenstufenbezoge-
nen Erziehungs- und Unterrichtsziele durch die Schüler“ (ebd., S. 191). Die Beanspru-
chung als Folge der Arbeitstätigkeit und der damit verbundenen Belastungen ist mit
physiologischen und psychologischen Parametern messbar.
Belastung wird wie bei Rudow als externe Einflussgröße verstanden. Schönwälder
ergänzt das Belastungs-Beanspruchungskonzept um zwei Aspekte:
1) Stärkere Betonung der Redefinition des pädagogischen Auftrags im Lehrerberuf;
2) Berücksichtigung des Phänomens der Selbstbelastung.
Schönwälder geht wie zahlreiche andere Autoren davon aus, dass Lehrer über einen ver-
gleichsweise hohen Handlungsspielraum verfügen. Je höher der Handlungsspielraum,
desto größer wird die Bedeutung der subjektiven Redefinition des pädagogischen Auf-
trags eingeschätzt. Es resultiert eine hohe individuelle Verantwortung bei der alltägli-
chen Ausgestaltung des Freiraums. Derzeit scheinen viele Lehrer angesichts fehlender
Kriterien, die ein Erfüllen des Arbeitsauftrages anzeigen können, und eines nach oben
prinzipiell offenen Erziehungs- und Lehrauftrages dazu zu tendieren, sich selbst zu
überfordern. Dieses Phänomen wird von Schönwälder als Selbstbelastung bezeichnet.
Belastungsanalyse im Lehrerberuf ist seiner Meinung nach als Analyse der Selbstbelas-
tung zu verstehen. Im ersten Schritt erachtet er eine Analyse von möglichst zahlreichen
Einzelfällen als sinnvoll, um in Abhängigkeit individuell durchaus unterschiedlicher
Redefinitionen jeweils „Art, Umfang, Zeitstruktur und ansatzweise Intensität“ (ebd.,
S. 200) der Belastung im Lehrerberuf zu erfassen.3
Arbeitswissenschaftliche Modelle in der Tradition des Belastungs-Beanspruchungs-
konzepts richten ihren Blickwinkel auf Aspekte der Tätigkeit, welche sich potenziell auf
die arbeitende Person auswirken. Besonders zahlreich sind bislang Untersuchungen zur
Arbeitszeit (vgl. z.B. Schönwälder 2001). Ferner werden Fragebögen eingesetzt, welche
Lehrer auffordern, ihre Tätigkeit einzuschätzen und dabei nicht das subjektive Empfin-
den in den Vordergrund stellen (vgl. z.B. Ulich/Inversini/Wülser 2002). Semmer und
Mohr (2001) empfehlen zur Erfassung stressrelevanter Aspekte generell den kombi-
nierten „Einsatz unterschiedlicher Meßmethoden, z.B. Selbstberichte plus Urteile
arbeitsanalytisch geschulter Personen“ (ebd., S. 152). Kennzeichnend für die Lehrer-
belastungsforschung ist jedoch, dass die eingesetzten Verfahren (allein) auf Selbst-
berichten beruhen und bislang noch kein Instrumentarium zur Erfassung psychischer
Belastungen durch arbeitsanalytisch geschulte Interviewer vorliegt. Hier ist aus arbeits-
psychologischer Sicht Entwicklungsbedarf zu konstatieren.
Bei der Entwicklung der Instrumente ist zu prüfen, welche arbeitspsychologischen
Konzepte einen sinnvollen Beitrag leisten können. Im deutschsprachigen Raum haben
handlungstheoretische Ansätze eine lange Tradition: „Hierfür bieten der situations- und
3 Die empirische Umsetzung dieser Überlegung fand an verschiedenen Schulen Bremens (z.B.
Schönwälder u.a. 2000) statt.
264 Allgemeiner Teil
handlungsanalytische Zugang gute Anknüpfungspunkte. Es ist zum Beispiel zu prüfen,
ob und in welcher Form eine tätigkeitsanalytische Methode, wie sie zur Analyse indus-
trieller Arbeitstätigkeiten Anwendung findet, ebenfalls zur Belastungsanalyse in der
Lehrertätigkeit entwickelt werden kann“ (Rudow 1995, S. 88).
Eine solche Übertragung ist nicht nur für die Entwicklung von Instrumenten vor-
teilhaft, sondern kann zudem konzeptionelle Fortschritte ermöglichen. In dem Be-
lastungs-Beanspruchungskonzept fehlt eine theoretisch begründete Antwort auf die
Frage, welche Aspekte der Arbeitsbedingungen bei einer Belastungsanalyse im Lehrer-
beruf berücksichtigt werden müssen. Für eine solche theoretische Begründung bedarf es
(aus handlungstheoretischer Sicht) eines Modells der Lehrertätigkeit. Auf einem solchen
Modell aufbauend kann begründet werden, warum bestimmte Aspekte als Belastungen
auf den Lehrer wirken.
Ein arbeitswissenschaftliches Modell der Lehrertätigkeit steht noch aus. Traditionell
beschäftigten sich Vertreter der Arbeitswissenschaft stärker mit Produktions- und Ver-
waltungstätigkeiten, und es bestehen Schwierigkeiten, die Konzepte auf personenbezo-
gene Dienstleistungstätigkeiten zu übertragen. So erscheint insbesondere die Unter-
richtstätigkeit des Lehrers mit ihrem hohen Interaktionsanteil zunächst nur schwer ei-
ner arbeitswissenschaftlichen Analyse zugänglich zu sein. Zudem wurde in verschiede-
nen Untersuchungen gezeigt, dass der Unterricht bzw. Schülerverhaltensweisen aus
Sicht der Lehrer eine wesentliche Quelle von Beanspruchungen sind (z.B. Schaar-
schmidt/Kieschke/Fischer 1999, S. 258; vgl. auch Rudow 2002, S. 145). Gleichzeitig wei-
sen Schaefers/Koch (2000) bezüglich der aktuellen Lehrerforschung daraufhin, dass
„nach wie vor der forschende Blick die Barriere der Klassenzimmertür nicht durch-
dringen“ (S. 622) kann. „Doch gerade die Beobachtung und Analyse des Lehrerhandelns
in seiner alltäglichen, routinierten Form – d.h. im Klassenzimmer vor durchschnittlich
30 Schülern – verspricht aufschlußreiche Ergebnisse“ (ebd., S. 622). Im Folgenden soll
aufgezeigt werden, wie die Übertragung eines arbeitspsychologisches Belastungskonzept
dazu beiträgt, das Theorie- und Methodendefizit zu überwinden.
4. Ein handlungspsychologisches Belastungskonzept
Ausgangspunkt ist ein arbeitspsychologisches Belastungskonzept, welches sich bei der
Entwicklung von Arbeitsanalyseverfahren u.a. im Produktions- sowie Verwaltungsbe-
reich bewährt hat (Leitner u.a. 1993; Lüders 1999; Oesterreich/Leitner/Resch 2000). Die
Belastungsdefinition stammt aus dem Konzept Anforderung/Belastung, das auf der
Grundlage der Handlungsregulationstheorie entwickelt wurde (vgl. für einen Überblick
Oesterreich/Volpert 1999) und Bezüge zum einflussreichen Demand-Control-Modell
von Karasek (Karasek/Theorell 1990) aufweist. Bedingungsbezogene psychische Belas-
tungen liegen nach dem Konzept vor, wenn die Durchführungsbedingungen einer Auf-
gabe in Widerspruch zur Zielerreichung geraten: „Das Ergebnis der Arbeitsaufgabe muß
auf einem vorgeschriebenen Handlungsweg erreicht werden, obwohl auf diesem Weg
ständig Ereignisse oder Zustände auftreten, die die Zielerreichung behindern“ (Leitner
Krause: Lehrerbelastungsforschung 265
u.a. 1993, S. 59).4 Derartige Ereignisse und Zustände werden als Regulationsbehinde-
rungen bezeichnet. Die Behinderungen sind beispielsweise Folge der ungünstigen Or-
ganisation der Arbeit oder der Verwendung unzureichender Arbeitsmittel. Eine Beseiti-
gung der Ursachen wäre zwar grundsätzlich möglich (z. B. durch Veränderungen der
Arbeitsorganisation), der Arbeitende ist aber gemäß der vom Betrieb definierten
Zuständigkeiten nicht dazu befugt, diese Veränderung durchzuführen.
Regulationsbehinderungen werden gemäß ihrer Verursachung und der resultierenden
Konsequenzen unterschieden. Zum einen führen Ereignisse und Zustände bei Auftreten
unmittelbar zu einer Behinderung der Handlungsregulation und erfordern eine Reak-
tion der arbeitenden Person. In diesen Fällen wird von Regulationshindernissen gespro-
chen. Zum anderen führen bestimmte (Dauer-)Zustände nicht unmittelbar, sondern
vermittelt zu Regulationsbehinderungen. Die Wirkung der Dauerzustände entfaltet sich
erst dadurch, dass sie über einen längeren Zeitraum fortbestehen und schließlich die
allgemeinen Leistungsvoraussetzungen überfordern, die für erfolgreiches Handeln not-
wendig sind. Diese Fälle werden als Regulationsüberforderungen bezeichnet (z.B. mono-
tone Arbeitsbedingungen).
4 In dem Konzept Anforderung/Belastung werden Belastungen negative Wirkungen auf den
Menschen zugesprochen, während von Anforderungen (wie Handlungsspielraum) positive
Wirkungen ausgehen.
Abb 5:
Handlungspsychologisches Belastungskonzept
Ressourcen zum effektiven
Wider-
spruch
Arbeitsaufgabe Arbeitsbedingungen
Fehlende
Ressourcen
Psychische
Es liegen
keine
Hindernisse Über
Negative
Arbeitsaufgabe
(Handlungsforderungen;
Ziele der arbeitenden Person) Arbeitsbedingungen
Wider-
Spruch
Ressourcen zum effektiven
Umgang sind vorhanden.
Fehlende Ressourcen
zum effektiven Umgang
Es liegen keine
Belastungen vor.
Psychische
Belastungen
(Regulationsbehinderungen)
Hindernisse Über-
forderungen
Negative (Fehl-)
Beanspruchungen
266 Allgemeiner Teil
Im Folgenden soll auf Regulationshindernisse detaillierter eingegangen werden. Grund-
lage der Identifizierung von Regulationshindernissen ist die Modellvorstellung eines
behinderungsfreien Weges zum Arbeitsergebnis. „Dieser Weg enthält alle für die Erfül-
lung der Aufgabe notwendigen Überlegungen, Entscheidungen und ihre Umsetzung in
konkrete Arbeitsschritte. Nicht zu diesem Weg gehören Reaktionen auf Ereignisse, die
für die Erledigung der Arbeitsaufgabe überflüssig oder sogar schädlich sind“ (Oester-
reich/Leitner/Resch 2000, S. 56). Allerdings wird in dem Modell des unbehinderten We-
ges keineswegs davon ausgegangen, dass der Ablauf einfach und problemlos sein soll. So
können beispielsweise komplizierte Planungen oder mehrfache Entscheidungen auf-
grund der jeweils aktuellen Situation notwendig werden, die als Teil des unbehinderten
Weges anzusehen sind. Entscheidend ist, ob der Umgang mit den (u.U. nicht vorherge-
sehenen) auftretenden Ereignissen seitens der Organisation als Teil der Arbeitsaufgabe
verstanden wird und notwendige Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
Falls keine Bewältigungsmöglichkeiten vorliegen, führt das Hindernis zu psychi-
schen Belastungen. Der gemeinsame Nenner verschiedener Reaktionsarten besteht in
dem zusätzlichen Aufwand für die arbeitende Person, der in zusätzlicher Zeit ausge-
drückt werden kann. Die zusätzlich notwendige Zeit als Folge eines Regulationshinder-
nisses wird als Zusatzaufwand bezeichnet und ist ein quantitativer Indikator für das
Ausmaß auftretender bedingungsbezogener psychischer Belastungen.
Zusammenfassend definieren Oesterreich/Leitner/Resch (2000): „Ein Regulations-
hindernis ist eine Behinderung des Arbeitshandelns, auf das mit Zusatzaufwand (oder
riskantem Handeln) reagiert werden muß, weil keine betrieblichen Ressourcen zum
Umgang mit der Behinderung existieren. Die Notwendigkeit, mit Zusatzaufwand (oder
riskantem Handeln) zu reagieren, ergibt sich aus den Bedingungen der Arbeitstätigkeit
und nicht aus den Eigenarten der arbeitenden Person. Es liegt nicht im Entscheidungs-
bereich der arbeitenden Person, grundsätzliche Maßnahmen zur Beseitigung des Hin-
dernisses zu treffen“ (ebd., S. 59). Regulationshindernisse werden im Rahmen einzelner
Arbeitsanalyseverfahren für bestimmte Tätigkeitsfelder konkretisiert (Leitner u.a. 1993;
Oesterreich/Leitner/Resch 2000). In einer methodisch anspruchsvollen Längsschnitt-
studie im Rahmen des AIDA-Projekts wurden vorhergesagte Auswirkungen der bedin-
gungsbezogenen Belastungen auf Krankheitsindikatoren ermittelt (Leitner 1993, 1999).
5. Übertragung des handlungspsychologischen Belastungskonzepts
auf die Unterrichtstätigkeit
Der handlungspsychologische Ansatz wurde auf die Unterrichtstätigkeit übertragen
(Krause 2002). Die Unterrichtstätigkeit zeichnet sich durch ein hohes Ausmaß interak-
tiver Anteile aus. Da hierüber Veränderungen in den Schülern erreicht werden sollen,
kann die Tätigkeit als dialogisch-erzeugend gekennzeichnet werden (vgl. Resch 1991).
Eine zentrale Überlegung bei der theoretischen Erweiterung (im Vergleich zu Produk-
tionstätigkeiten) ist die Vorstellung, dass Lehrer keine direkte Veränderung der Schüler-
kompetenzen erreichen können. Die Ziele des Lehrers beziehen sich somit nicht auf die
Krause: Lehrerbelastungsforschung 267
Veränderung im Schüler, sondern auf die Bereitstellung von Lernsituationen, in denen
Schüler selbstständig hinzulernen können (vgl. auch Bromme 1997). Die angestrebten
Lernfortschritte können nur über einen kooperativen Prozess zwischen Lehrer und Schü-
ler erreicht werden.
Auftretende Schwierigkeiten während des Unterrichts aufgrund von Schülerverhal-
tensweisen (z.B. Unaufmerksamkeit) sind Botschaften, die aus pädagogischen Gründen
berücksichtigt werden sollten (z.B. als Hinweis auf eine Überforderung). Störende Schü-
leraktivitäten sind somit nicht per se als Belastungsquelle anzusehen. Jedoch hat der
einzelne Lehrer aufgrund der Organisation des Schulunterrichts nur begrenzte Ressour-
cen, um mit nicht geplanten Schülerhandlungen sowie Störungen umgehen zu können.
Meist stehen dem Lehrer aus zeitlichen Gründen oder aus methodischen Gründen, da
im Klassenverbund unterrichtet wird, keine unmittelbar effektiven Reaktionsmöglich-
keiten zur Verfügung. Störungen des kooperativen Prozesses im Unterricht lassen sich
identifizieren und als Grundlage zur Bestimmung aufgabenbezogener psychischer Be-
lastungen heranziehen. Zur Bestimmung solcher Regulationshindernisse im Unter-
richtsgeschehen werden vier Konstellationen unterschieden:
1) (Zwischen Lehrern und Schülern) divergierende Zielstellungen: Während der Lehrer
den Unterricht durchführt, verfolgen Schüler andere Zielstellungen. Die Schüler
sind nicht motiviert, aktiv am Unterricht teilzunehmen.
2) Fehlende Schülerkompetenzen: Schüler sind motiviert, besitzen aber nicht die not-
wendigen Voraussetzungen, um aktiv am Unterricht teilnehmen zu können (z.B.
fehlende Sprachkompetenz).
3) (Beim Lehrer) zeitlich konfligierende Zielstellungen: Es entstehen pädagogische Prob-
lemsituationen, in denen sich der Lehrer zwischen dem ursprünglichen Ablaufplan
und neuen Zielen entscheiden muss (z.B. aufgrund eines aktuellen Konflikts inner-
halb der Klasse).
4) Fremdeinfluss: Hindernisse, die nicht von den Schülern der Klasse ausgehen, stören
den Unterrichtsablauf (z.B. defekter Overheadprojektor).
Regulationshindernisse werden über die Anzahl an Hindernissen sowie den notwendi-
gen Zusatzaufwand operationalisiert. Im Folgenden soll exemplarisch verdeutlicht wer-
den, worum es sich bei dem Zusatzaufwand (als Reaktion des Lehrers auf Hindernisse,
welche nicht unmittelbar Lernprozesse ermöglichen und als ineffektiv gekennzeichnet
werden können) handelt:
Der Lehrer beginnt mit der Erläuterung für eine vom ihm geplante Einzelarbeit.
Gleichzeitig beginnen zwei Schüler, sich über einen Spielfilm zu unterhalten, den sie
am Vorabend gesehen haben. Andere Schüler sind damit beschäftigt, sich gegenseitig
zu necken, indem sie sich Material wegnehmen und unter den Armen kitzeln. Ein
Schüler steht auf und geht zum Mülleimer, um seinen Bleistift anzuspitzen. Sein
Nachbar meldet sich, weil er sein Unterrichtsmaterial (z.B. eine Schere) zu Hause
vergessen hat, während ein anderer Schüler demonstrativ seinen Kopf auf den Tisch
legt und so tut, als ob er schlafen würde. Der Lehrer bemerkt die zunehmende Un-
268 Allgemeiner Teil
ruhe und Lautstärke im Klassenzimmer und ermahnt einzelne Schüler. Er wartet, bis
sich der herumlaufende Schüler wieder gesetzt hat und fragt, wer eine Schere übrig
hat. Anschließend wiederholt er die bereits begonnene Erläuterung. Zwischendurch
wird er noch durch einen zu spät kommenden Schüler gestört und wartet, bis sich
auch dieser Schüler gesetzt hat.
Die Handlungen der Schüler stellen verschiedenartige Störungen des kooperativen
Prozesses dar und sind somit potenzielle Regulationshindernisse. Auf die Störungen
bzw. Schülerbotschaften muss der Lehrer eingehen. Wenn keine Ressourcen zum ef-
fektiven Umgang mit den Hindernissen vorhanden sind, liegen psychische Belastun-
gen vor. Die Belastungen werden operationalisiert über den Zusatzaufwand. Dieser
besteht in dem zeitlichen Aufwand des Lehrers (in Minuten bzw. Sekunden), auf die
Hindernisse einzugehen: Er ermahnt die Schüler, wartet ab, bis sich Schüler gesetzt
haben, besorgt vergessenes Arbeitsmaterial und wiederholt seine Instruktion.
Die vier Konstellationen werden in einem Manual (Krause 2002) ausführlicher erläu-
tert, dienen Beobachtern bei der Betrachtung einer Unterrichtstunde als Orientierungs-
hilfe und sollen eine eindeutige Unterscheidung belastungsrelevanter von sonstigen Un-
terrichtssituationen ermöglichen. Diese Unterscheidung ist für die Beobachter (nur)
möglich auf der Basis der Kenntnis des vom Lehrer vorab geplanten Unterrichtsablaufes,
d.h. der Unterrichtsplan muss vor der Stunde erfragt werden. Störungen des kooperati-
ven Prozesses und damit psychische Belastungen werden vor dem Hintergrund der je-
weils verfolgten Zielstellungen identifiziert. Als Indikatoren für psychische Belastungen
werden neben den Regulationshindernissen (Anzahl der Hindernisse sowie das zeitliche
Intervall des Zusatzaufwandes) Regulationsüberforderungen (z.B. Lautstärke) erhoben.
Zusätzlich wird der zeitliche Anteil verschiedener Unterrichtsphasen erfasst (z.B. fachli-
cher Unterricht, administrative Phasen).
Belastungen (und Unterrichtsanteile) werden durch externe Beobachter erhoben
und nicht – wie bislang üblich – über Selbstberichte der beteiligten Lehrer erfasst. Erste
empirische Ergebnisse bestätigen, dass das handlungspsychologische Belastungskonzept
auch für die Lehrertätigkeit ein sinnvoller Rahmen ist, um Belastungsuntersuchungen
zu ermöglichen.5
5 Im Rahmen einer Pilotstudie (46 Unterrichtsstunden) wurden die Reliabilität und Validität
des Untersuchungskonzepts überprüft. Dabei zeigten sich gute Beobachterübereinstimmun-
gen, d.h. eine reliable Datenerhebung der zentralen Variablen war möglich. Ferner bestanden
inhaltlich hohe und z.T. statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen den durch Beob-
achter ermittelten psychischen Belastungen einerseits und der Veränderung des subjektiven
Befindens der Lehrer (erhoben mit der Eigenzustandsskala von Nitsch 1976) sowie der Be-
wertung des Belastungsgrades durch die Lehrer andererseits. Diese kriterienbezogene Validie-
rung (vgl. Oesterreich/Bortz 1994) des Verfahrens wurde ergänzt durch eine kommunikative
Validierung im Rahmen einer Videokonfrontation mit den Lehrern. Interessanterweise be-
standen zudem signifikante Zusammenhänge zwischen dem Ausmaß psychischer Belastun-
gen und dem prozentualen Anteil effektiven Unterrichtens, der über die Unterrichtsanteile
operationalisiert wurde, in denen fachliche oder überfachliche Unterrichtsziele verfolgt wur-
den. Ausführlichere Darstellungen finden sich bei Krause (2002).
Krause: Lehrerbelastungsforschung 269
6. Fazit
Bislang wird die Lehrerbelastungsforschung von Ansätzen dominiert, die die subjekti-
ven kognitiven Prozesse oder interindividuell unterschiedlich ausgeprägte Persönlich-
keitseigenschaften bei der Entstehung negativer Folgen der Arbeitstätigkeit betonen.
Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass individuelle Prozesse und Unterschiede fokussiert
werden und entsprechend personenbezogene Fragestellungen dominieren. Vorteilhaft
sind diese Ansätze insbesondere bei der Untersuchung von individuellen Bewältigungs-
strategien, z.B. im Rahmen salutogenetischer Fragestellungen (vgl. Antonovsky 1987).
Es ist allerdings uneindeutig, welche Belastungsaspekte zu berücksichtigen sind. Erste
Vorschläge liegen zur Übertragbarkeit des Belastungs-Beanspruchungskonzepts auf die
Lehrertätigkeit vor, die eine Trennung von Belastungen und Beanspruchungen fordern.
Es erscheint möglich, die verschiedenen Ansätze in einem allgemeinen arbeitswissen-
schaftlichen Belastungs-Beanspruchungsmodell im Sinne eines Forschungsprogramms
zu integrieren. Dabei ist zukünftig stärker zu prüfen, inwieweit eine differenzierte Erfas-
sung von Aspekten der Arbeitstätigkeit von Lehrern möglich ist. Der anzustrebende
Standard sollte sich an den bestehenden Verfahren z.B. für Produktionstätigkeiten ori-
entieren (vgl. Dunckel 1999).
Vorgestellt wurde ein handlungspsychologisches Belastungskonzept, das eine theore-
tisch begründete Auswahl potenzieller Belastungsfaktoren ermöglicht. Beispielhaft wur-
de für die Unterrichtstätigkeit aufgezeigt, dass auch im Lehrerberuf neben Selbstberich-
ten methodische Ergänzungen entwickelt werden können, die z.B. auf Beobachtungen
beruhen.6 Der integrierte Einsatz von Selbstberichten und Fremdurteilen könnte somit
zukünftig möglich sein. Dies ist nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll (vgl.
Mohr/Semmer 2002; Semmer/Mohr 2001), sondern auch politisch bedeutsam: Resultie-
rende Ergebnisse können nicht mehr als rein subjektive Urteile von Lehrern abgewertet
werden. Zudem werden Vergleiche des Belastungsniveaus beispielsweise verschiedener
Schulen oder Unterrichtsfächer möglich, um eine gezielte Ressourcenzuteilung vor-
nehmen zu können. Langfristig wird auch ein Vergleich mit anderen Berufsgruppen
möglich werden, sofern die Operationalisierungen auf dem gleichen Belastungskonzept
beruhen.
Das handlungstheoretische Belastungskonzept hat sich als Grundlage für eine auf
Beobachtungen bzw. Beobachtungsinterviews beruhende Belastungsanalyse bewährt
und könnte nicht nur auf die Unterrichtstätigkeit, sondern beispielsweise auch auf die
häusliche Arbeitstätigkeit übertragen werden.
Das vorgestellte Konzept versteht sich als notwendige Ergänzung zu den bestehen-
den Ansätzen, welche stärker kognitive Prozesse untersuchen oder den Einfluss von
Persönlichkeitseigenschaften bestimmen. Aus arbeitspsychologischer Sicht ist ein zwei-
gestuftes Vorgehen zu fordern: Zunächst werden die Arbeitsbedingungen und anschlie-
ßend interindividuelle Unterschiede erfasst. Aussagen zu interindividuellen Unterschie-
6 Eine alternative, hermeneutische Herangehensweise, die zumindest teilweise auf Beobachtun-
gen beruht, wird bei Combe/Buchen (1996) vorgestellt.
270 Allgemeiner Teil
den können nur vor dem Hintergrund der Analyse und Kenntnis objektiver Belastungs-
faktoren getroffen werden: „Insgesamt gesehen setzt [...] die personenbezogene Arbeits-
analyse, gleichgültig ob es in ihr um individuelle Arbeitsweisen oder um Wahrnehmun-
gen und Wertungen zur eigenen Arbeit geht, eine bedingungsbezogene Arbeitsanalyse
voraus“ (Oestereich/Volpert 1987, S. 60f.).7
Der bedingungsbezogene Anspruch des vorgestellten handlungspsychologischen
Untersuchungsansatzes kann insofern kritisch betrachtet werden, als sich der persönli-
che Arbeitsstil von Lehrern auf das Belastungsniveau auswirken kann. Dafür gibt es
allerdings Lösungsvorschläge. Speziell für den Unterricht erscheinen gut geplante Un-
tersuchungsdesigns (z.B. mit Schulen, Klassen und Lehrern als unabhängige Variablen)
sinnvoll, die eine Varianzaufklärung zur Höhe des Einflusses von Arbeitsbedingungen
(z.B. Unterschiede zwischen Schulen oder Jahrgängen) sowie von individuellen Beson-
derheiten auf das Belastungsausmaß im Unterricht ermöglichen. Auf der Grundlage
solcher umfassenden Analysen wäre es möglich, Interventionsempfehlungen abzuleiten,
welche bestimmte Maßnahmen der Verhaltens- und/oder Verhältnisprävention nahe le-
gen (vgl. z.B. Klotter 1999). Insbesondere sind Interventionen anzustreben, die sowohl
zur Reduzierung der Belastungen bei Lehrern führen als auch – angesichts beispiels-
weise der Ergebnisse der PISA-Studie (Deutsches PISA-Konsortium 2001) – höhere
Lernleistungen der Schüler ermöglichen. Die in der Studie des Autors ermittelten Zu-
sammenhänge zwischen Belastungen und der aktiven Lernzeit deuten auf die Möglich-
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Abstr act : Research on teachers´ ability to cope with stress can be characterized through a variety
of different concepts, definitions, and methods. Predominant are approaches in the tradition of
transactional stress concepts as well as approaches which emphasize the different aspects of per-
sonality. Accordingly, the methods of investigation rely almost exclusively on teachers´ personal
accounts. It is not theoretically specified which aspects of a teacher´s work are to be considered
stress factors. Representatives of industrial science base their approach above all on the concept of
stress and demand. In this article, the author presents an additional psychology of action- concept
of stress which has been transferred to the instructional activities of teachers. The empirical re-
sults of the study show the reliability and validity of this concept of investigation which thus offers
the opportunity to survey psychic stress via observers. The psychology of action-concept of stress
provides a conceptional contribution to develop a better understanding of the teachers´ work as
well as a theoretically well grounded approach to situations which may lead to psychological
stress.
Anschrift des Autors:
Dr. Andreas Krause, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Psychologie, Arbeitsgruppe
Arbeits- und Organisationspsychologie, Engelbergerstrasse 41, 79085 Freiburg.