Aktuelle Verbreitung, Bestände und Trends von Seevögeln auf See im Offshore-Bereich des nieder-sächsischen Küstenmeers und des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 46: 1-69. In den letzten Jahrzehnten gibt es zunehmende Erkenntnisse über die Verbreitung und Bestände von Seevögeln auf dem Meer. Für die deutsche Nordsee gibt es seit 1990 und für die deutsche Ostsee seit 2000 standardisierte Erfassungen auf See. Diese waren eine wesent-liche Basis für umfangreiche Schutzgebietsausweisungen in der Ausschließlichen Wirtschafts-zone und in den Hoheitsgebieten der Küstenbundesländer. Vor dem Hintergrund einer immer intensiveren Nutzung der Meere und nationaler wie europäischer Umweltrichtlinien besteht zunehmendes Interesse und die Pflicht den Erhaltungszustand von geschützten Seevogelarten zu erfassen. Eine erste Studie für das niedersächsische Küstenmeer wertete Daten von 1991 bis 2003 aus. Aktuelle Auswertungen zu Verbreitung, Beständen und Bestandstrends von Seevögeln für die jüngere Vergangenheit fehlten. Diese Lücken sollten im Rahmen des Projektes "Seevogel auf See-Daten-Auswertung im Offshore-Bereich des Nationalparks und der Ho-heitsgewässer Niedersachsens (SASANI)" geschlossen werden. Dazu wurde das Forschungs-und Technologiezentrum (FTZ) der Universität Kiel von der Nationalparkverwaltung Nieder-sächsisches Wattenmeer (NLPV) beauftragt, den umfangreichen Datenbestand, den das FTZ im Rahmen des Marinen Biodiversitätsmonitorings des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) sowie gezielter Forschungsvorhaben gesammelt hat, auszuwerten. Ziel war es die aktuelle Datenlage für das niedersächsische Küstenmeer umfassend zu beurteilen, aktuelle saisonale Verbreitungskarten der häufigsten Seevogelarten zu erstellen, saisonale Bestände zu berechnen und soweit möglich Bestandstrends zu ermitteln. Außerdem sollten die für die NLPV durchge-führten Eiderentenflüge im Nationalpark für die küstennahe und-fernere Verbreitung der Art miteinbezogen werden. Die gewonnenen Erkenntnisse sollten dazu dienen, ggf. vorhandene Lücken zu identifizieren und Verbesserungsvorschläge zur Erfassung von Seevögeln im Küs-tenmeer zu erarbeiten. Dazu wurden Daten von standardisierten Schiffsurveys (2000 bis 2015) und Flugsurveys (2002 bis 2015) aus der Seabirds at Sea-Datenbank des FTZ ausgewertet. Es zeigte sich, dass sich die Datenlage von überwiegend schiffsbasierten Erfassungen zu Beginn zu überwiegend flugzeuggestützten Erfassungen ab 2003 verändert hat. Für das Frühjahr ist die Datengrundlage am besten, gefolgt von Winter, Sommer und Herbst. Anhand der Daten lassen sich grundlegende Charakteristika der Seevogelvorkommen im niedersäch-sischen Küstenmeer gut beschreiben. Für Auswertungen wie Trendanalysen, die eine umfas-sende Datenbasis mit hoher zeitlicher Auflösung erfordern, ist die Datenlage jedoch nicht ausreichend. Für die 20 häufigsten Seevogelarten Eiderente Somateria mollissima, Trauerente Melanitta nigra, Samtente Melanitta fusca, Sterntaucher Gavia stellata, Prachttaucher Gavia arctica, Eissturmvogel Fulmarus glacialis, Basstölpel Sula bassana, Kormoran Phalacrocorax carbo, Lachmöwe Larus ridibundus, Sturmmöwe Larus canus, Silbermöwe Larus argentatus, Heringsmöwe Larus fuscus, Mantelmöwe Larus marinus, Zwergmöwe Hydrocoeleus minutus, Dreizehenmöwe Rissa tridactyla, Brandseeschwalbe Sterna sandvicensis, Flussseeschwalbe Sterna hirundo, Küstenseeschwalbe Sterna paradisaea, Trottellumme Uria aalge und Tordalk Alca torda wurden artspezifische saisonale Verbreitungskarten erstellt und mittlere Bestandszahlen für alle vier Jahreszeiten berechnet. Für 9 der 20 Arten konnten mit Hilfe der Software TRIM Bestandstrends für das Frühjahr basierend auf Flugsurveys berechnet werden.
Dabei zeigte sich, dass das niedersächsische Küstenmeer und die seewärtigen Teile des Nationalparks ganzjährig bedeutende Seevogelvorkommen beherbergen. Die Bestände von 5 Seevogelarten sind international bedeutsam. Dies sind Eiderente, Trauerente, Heringsmöwe, Zwergmöwe und Brandseeschwalbe. Zusätzlich sind die Bestände von 11 weiteren Seevogelarten national bedeutsam. Dies umfasst Sterntaucher, Prachttaucher, Basstölpel, Sturmmöwe, Silbermöwe, Mantelmöwe, Dreizehenmöwe, Flussseeschwalbe, Küstenseeschwalbe, Trottellumme und Tordalk. Damit ergibt sich eine nationale bzw. internationale Verantwortung Niedersachsens, die Vorkommen der Seevögel regelmäßig zu erfassen, um die Berichtspflichten auf Landesebene, sowie auf nationaler und internationaler Ebene (EU Vogelschutzrichtlinie, EU Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie, OSPAR Meeresschutzkonvention www.ospar.org) zu erfüllen.
Im Vergleich zu 1991 bis 2003 ließen sich bei einigen Arten wie Eider- und Trauerente Änderungen in ihrer Verbreitung beobachten. Diese Arten nutzten stärker als früher auch küstenfernere Bereiche. Die Dreizehenmöwe war deutlich seltener als früher, ihr Bestandstrend ist stark negativ. Sie folgte damit dem überregionalen Trend und dem starken Rückgang der Brutpopulation. Der Mantelmöwenbestand war ebenfalls deutlich geringer als im Zeitraum von 1993 bis 2003, ihr Bestandstrend für die gesamte deutsche Nordsee ist ebenfalls stark negativ. Da die relevanten Brutpopulationen stabil sind, ist anzunehmen, dass sich die Vorkommen massiv verlagert haben. Der Zwergmöwenbestand im Frühjahr war im Vergleich zu früher deutlich höher, die Verbreitung auf küstenfernere Bereiche erweitert. Hierbei ist es wahrscheinlich, dass dieses Ergebnis durch den steigenden Anteil von Flugsurveys gegenüber Schiffsurveys bedingt ist. Flugsurveys finden grundsätzlich vorwiegend in Schwachwindphasen statt und erfassen großräumig das Zuggeschehen der Zwergmöwen, das unter diesen Wetterbedingungen vermutlich als Breitbandzug quer durch die Deutsche Bucht erfolgt.
Die Datenbasis ließ für 11 der 20 häufigen Arten keine Trendberechnung zu, darunter Charakterarten wie Eiderente, Trauerente, Heringsmöwe und Zwergmöwe mit international bedeutsamen Beständen. Bei den meisten der übrigen 9 Arten wiesen die Trendkurven zudem große Standardfehler auf und spiegeln damit die unsichere Datenbasis wider. Da die untersuchten Seevögel sehr mobil sind und das niedersächsische Küstenmeer nur einen kleinen Teil ihres Verbreitungsgebiets ausmacht, haben Trends auf dieser Ebene generell nur begrenzte Aussagekraft.
Im Rahmen des Marinen Biodiversitätsmonitorings des BfN/FTZ sind je ein Flugsurvey im
Frühjahr und Winter, sowie alle 3 Jahre im Herbst zur Nachbrutzeit geplant, die auch das niedersächsische Küstenmeer abdecken. Diese Surveys und die Lage der Transekte zielen auf eine großräumige Erfassung der gesamten deutschen Nordsee ab. Sie reichen nicht aus, um die jahreszeitlichen Hauptvorkommen der Seevögel vor Niedersachsen vollständig zu erfassen. Daher empfehlen wir dringend gesonderte Seevogel auf See-Erfassungen per Flugzeug und Schiff, die den regionalen Besonderheiten hinsichtlich des räumlich-zeitlichen Auftretens der Seevögel Rechnung tragen.
Da insbesondere der küsten- und inselnahe Bereich in den letzten Jahren wenig beprobt wurde, dieser für viele Seevogelarten aber einen Verbreitungsschwerpunkt bildet, schlagen wir ein küstenparalleles Transektdesign vor, das das gesamte niedersächsische Küstenmeer abdeckt.
Zudem empfehlen wir, im Rahmen der bereits im Nationalpark stattfindenden Eiderentenflüge der NLPV standardmäßig alle Seevogelarten mit zu erfassen, um die Datenbasis gerade in den Watt- und Flussmündungsbereichen deutlich zu erhöhen.