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Genetische Diskriminierung in Deutschland? Erfahrungen von Andersbehandlung und Benachteiligung aufgrund genetischer Krankheitsrisiken

Authors:

Abstract

Genetic Discrimination in Germany? Experiences of unfair and adverse treatment due to risks of genetic diseases This paper presents the findings of a questionnaire survey about the forms and fields of genetic discrimination in Germany. We asked individuals at risk for four different genetic conditions which represent the range of diversity in heritable disorders (dominant/recessive, high or low penetrance) as well as in the severity and treatability of the symptoms. The questionnaire included standardized and open questions about negative experiences because of (presumed) genetic predisposition and about fear of exclusion and stigmatization. The results show that analyses of genetic discrimination must be widened and deepened in three respects. First, people with and without symptoms experience unequal treatment and discrimination because of their genetic condition. Second, the generally ambiguous and ambivalent meaning of genetic knowledge with a potential for discrimination or relief has to be taken into account to a greater extent. Third, analyses also have to focus on the effects of rejection, neglect and disrespect in interactions with family, friends and acquaintances. In sum, the investigation reveals the need for a reorientation and widening of the definition of genetic discrimination used up until now.
Draft Zur Zitation Printversion nutzen: Lemke et al. (2013): Genetische Diskriminierung
in Deutschland? In: Soziale Welt 64, Heft 3, S. 269-290
http://www.soziale-welt.nomos.de/archiv/2013/heft-3/
Genetische Diskriminierung in Deutschland?
Erfahrungen von Andersbehandlung und Benachteiligung
aufgrund genetischer Krankheitsrisiken
Thomas Lemke, Katharina Liebsch, Tabea Eißing, Bettina Hoeltje, Ulrike Manz und Tino Plümecke
Zusammenfassung:
Der Artikel fasst die Ergebnisse einer Fragebogenerhebung zu Formen und Feldern genetischer Diskri-
minierung in Deutschland zusammen. Befragt wurden Betroffene von vier verschiedenen Typen geneti-
scher Erkrankungen, die sich im Hinblick auf genetische Charakteristika (spezifischer Erbgang, Penet-
ranz) sowie in Bezug auf die Schwere und Behandelbarkeit der Symptome unterscheiden. In standardi-
sierten und offenen Items wurde nach negativen Erfahrungen aufgrund der (vermuteten) genetischen
Disposition sowie nach Ängsten und Befürchtungen gefragt. Die Ergebnisse der Erhebung zeigen, dass
bisherige Analysen genetischer Diskriminierung um drei Aspekte erweitert und vertieft werden müssen.
Erstens ist festzuhalten, dass Erfahrungen von Andersbehandlung und Herabsetzung aufgrund geneti-
scher Eigenschaften sowohl Personen mit ausgeprägten Krankheitsbildern als auch solche ohne somati-
sche Veränderungen betreffen. Zweitens ist die ambivalente und deutungsoffene Qualität genetischen
Wissens stärker zu berücksichtigen, dem nicht nur eine benachteiligende oder einschränkende, sondern
auch eine entlastende und/oder ermächtigende Bedeutung zukommen kann. Drittens müssen auch For-
men von Zurückweisung, Missachtung und Abwertung im Freundes- und Familienkreis in den Blick
genommen werden. Die Untersuchung macht somit deutlich, dass die vorherrschende Definition geneti-
scher Diskriminierung einer Neuausrichtung und Erweiterung bedarf.
Als 1990 das internationale wissenschaftliche Projekt zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms
startete, baute es bereits auf einem breiten öffentlichen und medialen Interesse an molekularbiologischen
Fragestellungen auf.1 Von dem Humangenomprojekt erhofften sich die beteiligten WissenschaftlerInnen
nicht nur die Entzifferung des „Buchs des Lebens“, sondern auch neue medizinische Optionen der
Krankheitsdiagnose und -behandlung. Regelmäßig wurde in der Tagespresse von neuen Entdeckungen
im Bereich der Genomforschung berichtet (Gerhards/Schäfer 2006) und genetische Deutungsmuster und
Erklärungsmodelle erhielten eine immer größere Bedeutung innerhalb der Alltagskultur (vgl.
Nelkin/Lindee 1995; van Dijck 1998; Duden/Samerski 2007).
Die euphorischen Erwartungen neuer diagnostischer, präventiver und therapeutischer Optionen durch das
wachsende Wissen um genetische Strukturen und Funktionen blieben jedoch nicht unwidersprochen. Die
wissenschaftliche Kritik konzentrierte sich auf die Analyse des „Genfetischismus“ (Haraway 2001), der
Gene als eine Art Programm für die Entwicklung und Steuerung des Organismus betrachte, und beklagte
eine „Genetifizierung der Medizin“ (Lippman 1991), die menschliches Handeln und Krankheitsereignis-
se auf genetische Kausalfaktoren reduziere. Befürchtet wurden zudem neue Formen sozialer Kategorisie-
rung und negativer Klassifizierung auf der Grundlage des genetischen Wissens. Den strahlenden Visio-
nen einer „Ära der molekularen Medizin“ (Ganten/Ruckpaul 2001: 3; Caskey 1995; Clark 1997; Wil-
1 Dieser Artikel enthält Teilergebnisse des Forschungsprojekts „Genetische Diskriminierung in Deutschland. Eine Untersu-
chung zu Erfahrungen von Benachteiligung und Andersbehandlung aufgrund genetischer Krankheitsrisiken“. Das For-
schungsvorhaben ist ein Verbundprojekt des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt
und der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Ham-
burg. Es wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Schwerpunkts „Ethische, recht-
liche und soziale Aspekte der modernen Lebenswissenschaften und der Biotechnologie“ gefördert. Für weitere Informatio-
nen siehe die Projektseite www.genetischediskriminierung.de. Für wertvolle Hilfe bei der Redaktion des Textes bedanken
wir uns bei Katharina Hoppe, Setareh Radmanesch, Jonas Rüppel und Laura Schnieder.
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liams/Hayward 2001), die Leiden erkennt und verhindert, bevor sie sich in einer konkreten Symptomatik
manifestieren, stand der Alptraum einer Gesellschaft gegenüber, in der genetische Merkmale über Be-
rufsaussichten, Versicherungsmöglichkeiten, Ausbildungswege und Familienplanung entscheiden. Die
Angst vor einer „genetischen Unterschicht“ (Nelkin/Tancredi 1994: 176; Nelkin 1995: 209; Keays 2000:
84f), die aufgrund ihrer genetischen Eigenschaften benachteiligt, pathologisiert und stigmatisiert wird,
war ein zentraler Topos in der wissenschaftlichen und sozialen Auseinandersetzung um die Folgen des
wachsenden genetischen Wissens.
Einen prominenten Platz in dieser Debatte nimmt der Begriff der genetischen Diskriminierung ein. Er
bezeichnet die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund vermuteter oder tatsäch-
lich vorhandener genetisch bedingter Eigenschaften und wird strikt von Diskriminierung aufgrund von
Behinderung und Krankheit unterschieden (vgl. Billings et al. 1992: 477; Natowicz et al. 1992: 466). Seit
den 1990er Jahren haben verschiedene empirische Studien aus unterschiedlichen Ländern das Spektrum
genetischer Diskriminierung aufgezeigt. Die vorliegenden Arbeiten aus den USA, Großbritannien und
Australien liefern zahlreiche Belege dafür, dass Menschen aufgrund genetischer Merkmale durch Versi-
cherungen, Arbeitgeber und Behörden benachteiligt, ausgegrenzt oder missachtet werden. So wurde bei-
spielsweise BewerberInnen um einen Arbeitsplatz die Einstellung mit dem Hinweis auf eine eventuelle
spätere Erkrankung verweigert. Ebenso kündigten Kranken- und Lebensversicherungen Verträge oder
verweigerten deren Abschluss, wenn bei ihren (potenziellen) KundInnen der Verdacht auf genetische
Erkrankungsrisiken bestand. In anderen Fällen wurde Ehepaaren die Adoption von Kindern untersagt,
wenn bei einem der Elternteile eine Disposition für eine genetische Krankheit vorlag. Erfahrungen gene-
tischer Diskriminierung sind auch im Gesundheitswesen, dem Bildungssektor und dem Militär dokumen-
tiert (Billings et al. 1992; Geller et al. 1996; Geller 2002; Lapham et al. 1996; Low et al. 1998; Taylor et
al. 2008; Barlow-Stewart et al. 2009; für einen aktuellen Überblick vgl. Otlowski et al. 2012).
Anders als in den USA, Großbritannien und Australien gibt es in Deutschland bislang von einer
explorativen Studie zu genetischer Diskriminierung von Risikopersonen für die Huntington-Krankheit
abgesehen (Lemke 2006) keine empirischen Untersuchungen zu Praktiken genetischer Diskriminie-
rung. Daher ist völlig ungewiss, ob und wenn ja, wie häufig Menschen in Deutschland derartige Un-
gleichbehandlung und Benachteiligung erfahren. Der folgende Beitrag präsentiert Teilergebnisse der
ersten umfassenden und systematischen Untersuchung genetischer Diskriminierung in Deutschland. Im
Mittelpunkt der Darstellung steht eine Fragebogenerhebung mit Betroffenen von vier verschiedenen Ty-
pen genetischer Erkrankungen. In einem einleitenden Teil werden der Aufbau der Studie und das metho-
dische Vorgehen erläutert. Der zweite Abschnitt gibt einen Überblick über die Ergebnisse der Erhebung
und stellt Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu vorliegenden Studien heraus. Im dritten Teil werden
einige Untersuchungsergebnisse genauer diskutiert. Erstens ist auffällig, dass die Unterscheidung zwi-
schen Diskriminierung aufgrund von Krankheit und Behinderung auf der einen Seite und aufgrund gene-
tischer Disposition auf der anderen Seite im Erleben der Befragten kaum eine Rolle spielt. Bemerkens-
wert ist zweitens der ambivalente Status des genetischen Wissens. Es wird einerseits als Quelle und Aus-
gangspunkt von Diskriminierungs- und Stigmatisierungserfahrungen gesehen, andererseits als Ressource
betrachtet, um stigmatisierende und diskriminierende Praktiken wirksam zu verhindern. Drittens schließ-
lich veranschaulichen wir die sich häufig im Material widerspiegelnde (und bislang zu wenig beachtete)
Bedeutung des familiären Bereichs für negative Erfahrungen von Betroffenen genetischer Krankheiten
bzw. Krankheitsrisiken. Der letzte Teil des Artikels schlägt vor dem Hintergrund unserer Untersuchungs-
ergebnisse eine Erweiterung des Begriffs der genetischen Diskriminierung vor.
1. Untersuchungsdesign und methodisches Vorgehen
In der einschlägigen Literatur bezeichnet der Begriff der genetischen Diskriminierung Formen von Be-
nachteiligung, Ausschluss oder Andersbehandlung aufgrund eines Genotyps, der als „anders“ oder „de-
fekt“ wahrgenommen wird. Das Spezifikum dieser Diskriminierungsform wird darin gesehen, dass die
Betroffenen (noch) nicht erkrankt sind bzw. keine manifesten Symptome der Erkrankung aufweisen.
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Diese Personen werden deshalb als „asymptomatische Kranke“ (Billings et al. 1992: 479) oder „gesunde
Kranke“ (Scholz 1995: 48) bezeichnet. Ihre potenzielle Erkrankung wird jeweils durch spezifische Erb-
gänge bestimmt und kann eine unterschiedliche Symptomatik und Schwere aufweisen. Die bisher vorlie-
genden empirischen Studien haben gezeigt, dass insbesondere vier Gruppen von „asymptomatischen
Kranken“ von genetischer Diskriminierung betroffen sind:
1. Personen, für die ein positives Untersuchungsergebnis für eine autosomal-dominante Erkrankung
vorliegt, an der sie mit hoher Wahrscheinlichkeit erkranken werden;
2. Personen, bei denen eine genetische Disposition für eine Krankheit festgestellt wurde, an der sie
in Zukunft möglicherweise, aber nicht sicher leiden werden;
3. Personen mit vollkommen behandelbaren genetischen Krankheiten;
4. heterozygote „TrägerInnen“ von rezessiven Merkmalen, die sie möglicherweise an ihre Kinder wei-
tergeben, an denen sie selbst aber nicht erkranken (vgl. Barash 2000: 217; Taylor et al. 2004: 228).
An diese Untersuchungsergebnisse anschließend haben wir exemplarisch vier Betroffenengruppen aus-
gewählt, die den aufgeführten Vererbungswegen, Krankheitsbildern und genetischen Charakteristika
entsprechen: (1) Menschen, bei denen der genetische Test für die Familiäre adenomatöse Polyposis
(FAP)2 positiv ausfiel; (2) Menschen mit einem Risiko für Familiären Brust- und Eierstockkrebs
(BRCA);3 (3) Betroffene der Eisenspeicherkrankheit (Hereditäre Hämochromatose, HH)4 sowie (4)
„TrägerInnen“ des CFTR-Gens für Cystische Fibrose (CF).5
Um Erfahrungen von Benachteiligung und Andersbehandlung aufgrund genetischer Dispositionen zu
dokumentieren und um mögliche Formen und Felder genetischer Diskriminierung zu identifizieren, wur-
de in der ersten Projektphase von März bis Dezember 2011 eine Fragebogenerhebung unter Personen
durchgeführt, die von den genannten genetischen Krankheiten betroffen sind.6 Der Zugang zu den Teil-
2 Bei der Familiären adenomatösen Polyposis (FAP) handelt es sich um eine Erkrankung, die auf einem autosomal-
dominanten Erbgang basiert, d.h. die Genvariante wird mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit an die nachfolgende
Generation weitervererbt. Dabei bilden sich zahlreiche Polypen im Dickdarm, die unbehandelt fast sicher eine Krebserkran-
kung hervorrufen (Bisgaard et al. 1994; Andresen et al. 2009; Spier/Aretz 2012). FAP zählt zur Gruppe der spät manifestie-
renden Erkrankungen und wird bei Auftreten einer hohen Anzahl von Polypen regelmäßig mit der Entfernung des Dick-
darms behandelt (Douma et al. 2008).
3 Der Familiäre Brust- und Eierstockkrebs wird wie die FAP autosomal-dominant vererbt und mit einer Wahrscheinlichkeit
von 50% an weibliche und männliche Nachkommen weitergegeben. Er entsteht durch Varianten des Gens BRCA1 und
BRCA2. Mehr als 2000 pathogene Varianten des BRCA1-Gens und mehr als 1000 des BRCA2-Gens wurden bisher welt-
weit beschrieben (Schlehe/Schmutzler 2008; Schmutzler/Kast 2010). Mutationen in den Genen BRCA1 und BRCA2 beein-
trächtigen die Funktion, das Zellwachstum und die Zellteilung zu regulieren, weshalb es zu einem unkontrollierten Wachs-
tum der Zellen und so zur Entstehung von (malignen) Tumoren bzw. von Krebs kommen kann. Bei Vorliegen spezifischer
BRCA-Varianten wird das kumulative Lebenszeitrisiko, bis zum 80. Lebensjahr an Brustkrebs zu erkranken, auf 80 bis 90%
geschätzt. Für eine Eierstockkrebserkrankung beträgt das entsprechende Risiko bei einer Veränderung im BRCA1-Gen 40
bis 60% und bei BRCA2-Veränderung etwa 20%.
4 Die Hereditäre Hämochromatose (HH) ist charakterisiert durch die erhöhte Aufnahme von Eisen im Körper, welches sich in
verschiedenen Organen, insbesondere in der Leber, ablagert und dort zu irreversiblen Organschäden führt (Cooper et al.
2008; Watkins et al. 2008). Verursacht wird die Erkrankung durch Genvarianten, zumeist im HFE-Gen auf Chromosom Nr.
6. Die Krankheit wird autosomal-rezessiv vererbt, d.h. zum Auftreten von Krankheitssymptomen kommt es nur, wenn die
entsprechende Genveränderung von beiden Elternteilen weitergegeben wird. Das Erkrankungsrisiko bei vorliegender Genva-
rianz lässt sich nur schwer beziffern, da verschiedene Studien sehr unterschiedliche Werte ermittelt haben (vgl. Mc Cune et
al 2002; Büttner/Spangenberg 2011). Die HH gehört zu den häufigsten erblichen Stoffwechselstörungen in Europa, Nord-
amerika und Australien. In Deutschland liegt die Prävalenz bei 2 bis 5:1000 (Stuhrmann et al. 2005). Ohne Behandlung ver-
läuft die Krankheit potenziell tödlich, bei rechtzeitiger Diagnose ist sie dagegen gut therapierbar.
5 Cystische Fibrose (CF) (auch bekannt als Mukoviszidose) basiert wie die HH auf einem autosomal-rezessiven Erbgang,
d.h. die Wahrscheinlichkeit der Geburt eines Kindes, das vermutlich erkranken wird, liegt bei Genträgerschaft beider Eltern
bei 25%. Es handelt sich um eine Stoffwechselerkrankung, deren genetische Verursachung durch unterschiedliche Varianten
des CFTR-Gens auf dem Chromosom Nr. 7 erst 1989 entdeckt wurde. Die Krankheit führt zu einer Störung der Schleimpro-
duktion im Körper, so dass Sekrete wie beispielsweise das Bronchialsekret zähflüssig werden und die Organtätigkeit ein-
schränken. Die Prävalenz der Erkrankung liegt in Europa bei 1:2.500 Neugeborenen (Stuhrmann et al. 1999). Die Symptome
der Erkrankung lassen sich mildern, der Krankheitsverlauf ist jedoch nicht umkehrbar.
6 Die Fragebogenerhebung (Phase 1) schuf den Zugang zu Personen, die nachfolgend per Leitfadeninterview befragt (Phase 2)
wurden. Ausgehend von diesen Schilderungen haben wir in ausgewählten Diskriminierungsarenen Follow-up-Interviews ge-
führt (Phase 3). In diesem Artikel werden lediglich Ergebnisse der Fragebogenerhebung vorgestellt. Die Auswertung der
weiteren Teilprojekte ist noch nicht abgeschlossen.
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nehmerInnen der Erhebung erfolgte durch die Verteilung des Fragebogens (einschließlich eines frankier-
ten Rückumschlags) über Selbsthilfegruppen für die vier Erkrankungen sowie über humangenetische
Beratungsstellen.7 Ein Projekt-Faltblatt lag in Arztpraxen, Kliniken und weiteren humangenetischen
Beratungsstellen aus. Eine Reihe von TeilnehmerInnen hat daraufhin die ProjektmitarbeiterInnen kontak-
tiert und um die Zusendung des Fragebogen gebeten. Insgesamt wurden 2.368 Fragebögen verteilt bzw.
verschickt, die entweder der Mitgliederpost von Selbsthilfegruppen oder Infoschreiben der Beratungs-
stellen beigelegt, von Betroffenen bei uns angefordert oder auf Treffen von Selbsthilfegruppen Interes-
sierten ausgehändigt wurden. Wir erhielten 275 ausgefüllte Fragebögen zurück (Response-Rate 11,61%).
Weitere 121 Fragebögen gingen im genannten Untersuchungszeitraum über eine Online-Befragung ein,
da der Fragebogen auch auf der Internetseite des Projekts ausgefüllt werden konnte. Zusammengenom-
men lagen damit 396 Fragebögen vor. Die Auswertung der vorliegenden Daten erfolgte im Sinne der
Datenschutzrichtlinien für gesundheitsbezogene Daten und gemäß dem Ethikkodex der Deutschen Ge-
sellschaft für Soziologie.
Der Fragebogen setzte sich aus standardisierten und offenen Fragen zusammen. Die ersten Items zielten
auf die Ermittlung von genetischen Merkmalen und krankheitsbezogenen Informationen; gefragt wurde
u.a. nach Ergebnissen genetischer Untersuchungen und wer von (möglichen) genetischen Krankheitsrisi-
ken Kenntnis hatte. Der nächste Fragekomplex fragte in Übereinstimmung mit den meisten vorliegenden
Studien zu genetischer Diskriminierung nach negativen Erfahrungen aufgrund der (vermuteten) geneti-
schen Veranlagung im Arbeitsbereich, bei Versicherungen, in Behörden, im Bildungssektor, bei Banken,
Vereinen und im Gesundheitsbereich. Darüber hinaus bestand auch die Möglichkeit, positive Erfahrun-
gen im Kontext genetischen Wissens zu schildern. Dies stellt ebenso eine Erweiterung des Fragenkata-
logs gegenüber den meisten vorliegenden Untersuchungen genetischer Diskriminierung dar, wie die Op-
tion, im Fragebogen von Erfahrungen im sozialen Nahbereich und im familiären Umfeld zu berichten
(FreundInnen, Kinder, PartnerIn, andere Familienangehörige). Das Leben mit einem genetischen Krank-
heitsrisiko bzw. einer genetischen Erkrankung legt auch die Auseinandersetzung mit dem Auftreten bzw.
Fortschreiten der Krankheit sowie den Krankheitsrisiken der nachfolgenden Generation nahe. Daher
fragten die abschließenden Items nach Befürchtungen, in der Zukunft aufgrund der genetischen Merkma-
le anders behandelt oder ausgegrenzt zu werden und nach Schilderungen von Handlungsstrategien und
Vorkehrungen gegen (zukünftige) Erfahrungen von Ausgrenzung, Benachteiligung und Stigmatisierung.
Die standardisierten Fragen wurden mittels der Predictive Analytics Software (PASW 18) einer deskrip-
tiven Analyse unterzogen. Die narrativen Antwortpassagen variieren zwischen kurzen Sätzen und aus-
führlichen Schilderungen. Sie wurden von den standardisierten Fragen separiert und inhaltsanalytisch
ausgewertet.
Die Fragebogenerhebung zielte darauf, Diskriminierungserfahrungen von Menschen mit einer Dispositi-
on für eine genetisch bedingte Krankheit zu erfassen. Damit verbunden ist ein zweifacher Selektionsef-
fekt, der sich kaum vermeiden lässt, aber benannt werden muss. Zum einen liegt ein Verzerrungspotenzi-
al darin, dass vermutlich vor allem Personen an der Fragebogenerhebung teilnehmen, die sich mit der
Thematik stärker als andere auseinandergesetzt haben und professionelle Anerkennung für die geschil-
derten Unrechts- und Ausgrenzungserfahrungen suchen (vgl. z.B. Petermann 2005; Treloar et al. 2004:
165); zum anderen sind die grundsätzliche Selektivität von Selbsteinschätzungen und Betroffenen-
Befragungen sowie die Offenheit und Unschärfe eines erfahrungsbasierten Diskriminierungsbegriffs zu
konstatieren und werden auch in der Diskriminierungsforschung kritisch reflektiert (vgl. z.B.
Beelmann/Jonas 2009; Krieger 2000; Maier 2010: 159ff). Aufgrund dieses doppelten bias erheben die
hier vorgelegten Teilergebnisse unserer Studie nicht den Anspruch, Formen und Felder genetischer Dis-
kriminierung „objektiv“ nachzuweisen; vielmehr geht es angesichts der unbefriedigenden, rudimentären
7 Folgende Selbsthilfegruppen haben unsere Untersuchung unterstützt: Familienhilfe Polyposis Coli e.V., BRCA Netzwerk
e.V., Hämochromatose-Vereinigung Deutschland e.V. und Mukoviszidose e.V., denen wir sehr herzlich für ihre Hilfe und
ihr Vertrauen danken. Ohne die Mithilfe dieser Selbsthilfegruppen und der humangenetischen Beratungsstellen wäre es für
unser Vorhaben vermutlich sehr viel schwerer, wenn nicht gänzlich unmöglich gewesen, Betroffene zur Teilnahme an der
Studie zu bewegen und sensible Gesundheitsdaten sowie persönliche Informationen zu erheben.
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Forschungslage zunächst einmal darum, Erfahrungen von Andersbehandlung aufgrund des Genstatus zu
dokumentieren und einer Erklärung zugänglich zu machen.8
Tabelle 1: Übersicht demografische Merkmale der Befragten9
BRCA
CF
FAP
HH
Gesamt
Anzahl (n)
89
113
127
67
396
Anteil am Gesamtsample (%) 22,5 28,5 32,1 16,9 100
Alter (Median in Jahren) 40,5 35,0 44,5 60,5 43,0
männlich (%)
1,3
34,0
39,2
46,8
30,9
weiblich (%)
98,7
66,0
60,8
53,2
69,1
2. Erfahrungen und Befürchtungen: Die Ergebnisse der Erhebung im Überblick
2.1 Formen und Felder genetischer Diskriminierung
Bei allen vier exemplarisch ausgewählten Erkrankungen wird von Andersbehandlung, Benachteiligung
oder kränkenden Erlebnissen aufgrund der genetisch bedingten Krankheit bzw. (vermuteten) Krankheits-
risiken berichtet. Die Frage nach negativen Erfahrungen aufgrund der (vermuteten) genetischen Veranla-
gung bejahen 38% der Befragten.10 In diesem Zusammenhang werden die folgenden Bereiche genannt:
Krankenversicherungen (17%), Lebensversicherungen (16%), Erwerbsarbeit (11%), Gesundheitswesen
(8%) und Behörden (6%). Eine solche thematische Zentrierung findet sich auch in den bislang vorliegen-
den Studien aus den USA, Großbritannien und Australien (Geller et al. 1996; Taylor et al. 2007; Erwin et
al. 2010).
Am häufigsten finden sich Schilderungen über Probleme mit Versicherungen. Die Befragten berichten
von verweigerten Versicherungsabschlüssen bei Lebens- und Krankenversicherungen, von erhöhten Ver-
sicherungsbeiträgen, von Problemen beim Wechsel der Krankenkasse sowie von Auseinandersetzungen
über die Kostenübernahme für medizinische Behandlungen. Diese Angaben werden überwiegend von
Personen gemacht, die bereits Symptome einer Erkrankung zeigten. Dabei fällt auf, dass die Befragten
zumeist nicht zwischen negativen Erfahrungen aufgrund von Krankheit und solchen aufgrund des Gen-
status unterscheiden. Ein an Darmkrebs erkrankter Befragter nimmt eine differenzierende Beschreibung
vor, die sich im Material ansonsten nur selten findet:
„Aufgrund meiner FAP-Erkrankung ist es mir inzwischen unmöglich, Lebens-, Berufsunfähigkeits- oder
Unfallversicherungen abzuschließen (jedoch in erster Linie wegen aktueller ärztlicher Behandlungen, we-
niger aufgrund der genetischen Disposition).“ (FAP Fb 94)
Lediglich in zwei Fragebögen wird von „klassischer“ genetischer Diskriminierung im Bereich des Versi-
cherungswesens berichtet, also von Diskriminierungserfahrungen, bei denen die Betroffenen keinerlei
8 Offen bleiben soll an dieser Stelle, ob es überhaupt möglich ist, zwischen „perceptions and independently verified instances
of GD [genetic discrimination]“ (Otlowski et al. 2012: 437) trennscharf zu unterscheiden, wie manche WissenschaftlerInnen
annehmen. Die Orientierung an einem „neutralen“ und „objektiven“ juridischen Diskriminierungsbegriff und dessen Fokus-
sierung auf Täter und Opfer führt zu einer Perspektivenverengung sozialwissenschaftlicher Analyse, die der Dynamik und
Komplexität diskriminierender Prozesse nicht angemessen ist (vgl. dazu auch Klitzman 2010: 82).
9 Alle Angaben zu Variablen beziehen sich auf die jeweilige Anzahl der Fragebögen, in denen hierzu Angaben gemacht wur-
den (gültige Prozente).
10 Im Fragebogen wurde nach Erfahrungen von Andersbehandlung und Benachteiligung gefragt, um den Begriff der Diskrimi-
nierung zu vermeiden.
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Symptome der Krankheit aufweisen. So schildert eine Frau mit einer Disposition für erblichen Brust- und
Eierstockkrebs, ihr sei noch vor ihrer Erkrankung der Abschluss einer Zusatzklausel in einer Versiche-
rung verwehrt worden, die bei gynäkologischen Erkrankungen einen Betrag auszahlt. Die Versicherung
verweigerte dies, nachdem die Frau die Frage nach Brustkrebserkrankungen in der Familie wahrheitsge-
mäß bejaht hatte (BRCA Fb 48). Im zweiten Fall wurde einer gesunden Frau der Abschluss einer Le-
bensversicherung verweigert, weil die Versicherung mutmaßlich auf die Krankendaten des sechs Jahre
zuvor an Darmkrebs verstorbenen Vaters zurückgegriffen hat (FAP Fb 105).
Viele negative Erfahrungen werden auch aus dem Arbeitsbereich geschildert. Die meisten Aussagen
dazu machen DarmkrebspatientInnen. Sie berichten vom Verlust des Arbeitsplatzes und davon, von ih-
rem Arbeitgeber, als „nicht leistungsfähig“ betrachtet zu werden (FAP Fb 15). Eine Befragte schreibt,
keinen Arbeitsplatz mehr bekommen zu haben, da sie „als Risiko“ eingestuft worden sei (FAP Fb 82).
Eine weitere Person berichtet von ihren Bewerbungen nach der prophylaktischen Darmentfernung, auf-
grund derer sie ihre Ausbildung unterbrechen musste. Bei anschließenden Vorstellungsgesprächen wurde
sie nach dem Grund für diese Unterbrechung gefragt und nach ihrer wahrheitsgemäßen Antwort „war die
Stelle schon erledigt. Das ging 3 Jahre so“ (FAP Fb 93). Eine Vielzahl von Berichten findet sich auch bei
Mukoviszidose-Kranken sowie bei deren Eltern. Die CF-Erkrankten schildern z.B. erfolglose Stellenbe-
werbungen und Eltern berichten davon, dass sie an ihrer Arbeitsstätte mit dem Vorwurf bzw. der Unter-
stellung eingeschränkter Arbeitsleistungen konfrontiert werden. Beispielsweise schreibt ein Elternteil,
dessen Kinder an CF erkrankt sind: „Meine Leistungsfähigkeit wird durch die Krankheit meiner Kinder
in Frage gestellt und durch mehr Fehlzeiten.“ (CF Fb 35) Insgesamt zeigt sich für den Bereich von Arbeit
und Beschäftigung ein recht uneinheitliches Bild: Während die negativen Erfahrungen der CF-
Betroffenen im Zusammenhang mit der Mukoviszidose-Erkrankung stehen und somit mögliche Diskri-
minierungen aufgrund von Krankheit beschreiben, deren genetische Bedingtheit zumeist keine Erwäh-
nung findet, zeigt sich in den Erfahrungen von FAP-Betroffenen eine Form von Diskriminierung, in der
Genstatus und Erkrankung eng miteinander verknüpft sind.
Des Weiteren schildern Betroffene aller vier Erkrankungen negative Erlebnisse im Bereich des Gesund-
heitswesens. Erfahrungen von Andersbehandlung, Stigmatisierung, Missachtung und Kränkung werden
im Zuge von Auseinandersetzungen um eine angemessene medizinische Behandlung berichtet und rei-
chen von der korrekten Diagnosestellung über wirksame Therapieangebote bis hin zur Frage der Kosten-
übernahme. Beispielsweise klagt eine Person aus der Gruppe der FAP-PatientInnen über Unwissenheit
und Unkenntnis des ärztlichen Personals, durch die sich Betreuung und Behandlung unnötig verzögerten
und erschwerten: „Beim ärztl. Gutachter wurde mir klipp u. klar gesagt, dass ich mir das Krankheitsbild
FAP ausgedacht habe; das gäbe es nicht! Aufklärung tut Not!” (FAP Fb 85), während eine Befragte aus
der Gruppe der BRCA-Betroffenen die Empfehlungen von ÄrztInnen als bedrohlich empfindet: „Wäh-
rend eines Vortrags zum Thema wurde vorgeschlagen, dass das Problem sich langfristig durch Selektion
während der Schwangerschaft lösen ließe.“ (BRCA Fb 15) Darüber hinaus beschwerte sich eine FAP-
Patientin, dass sie mit einer FAP-Diagnose nicht länger als Spenderin von Knochenmark zugelassen
wird; schließlich berichten drei Hämochromatose-Betroffene, dass ihnen der Zugang zum Blutspenden
verwehrt wurde.
In den Fragebögen findet sich auch eine Reihe von Angaben zu negativen Erfahrungen im Freundeskreis
(7%) und im familiären Kontext (9,7%). So berichten Befragte mit einer BRCA-Genvariante sowie Per-
sonen, die an CF erkrankt sind, von Trennungen von der Partnerin/vom Partner aufgrund der Erkrankung
oder aufgrund des diagnostizierten Krankheitsrisikos (BRCA Fb 76; CF Fb 37). Für alle vier Erkrankun-
gen gibt es Hinweise darauf, dass sich Familienangehörige und Freunde von den Betroffenen distanzier-
ten oder den Kontakt abbrachen (z.B. CF Fb 10; HH Fb 23). Des Weiteren werden familiäre Konflikte im
Zuge der Kommunikation über genetische Risiken und Auseinandersetzungen um Reproduktionsfragen
beschrieben (s. dazu ausführlicher Abschnitt 3.3).
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2.2 Befürchtungen und Informationsmanagement
Ein bemerkenswertes Ergebnis unserer Befragung ist der hohe Anteil von Personen, die Ängste und Be-
fürchtungen hinsichtlich der zukünftigen Nutzung genetischer Informationen artikulieren. 45% der Be-
fragten sorgen sich, aufgrund der (vermuteten) genetischen Disposition in Zukunft benachteiligt zu wer-
den. Damit sind die Befürchtungen vor Diskriminierung deutlich zahlreicher als die berichteten Diskri-
minierungserfahrungen. Sie beziehen sich vor allem auf den Versicherungs- und Arbeitskontext; dies
entspricht den Befunden anderer einschlägiger Studien (Erwin et al. 2010; Klitzman 2010). Genannt
werden Ängste im Hinblick auf die Verweigerung neuer Versicherungsverträge und die Erhöhung der
Beiträge, beispielsweise dass diese „extrem teuer“ (BRCA Fb 21) und „kaum bezahlbar“ (BRCA Fb 4)
werden könnten. Bezogen auf den Arbeitsbereich werden verringerte Chancen auf einen beruflichen
Aufstieg, Nachteile bei der Vergabe von Arbeitsaufträgen und die Angst vor einer Kündigung themati-
siert. Für Bewerbungsverfahren antizipieren die Betroffenen geringere Chancen und schlechtere Aussich-
ten, einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erhalten. Sie begründen diese Befürchtungen damit, dass von
„vornherein erwartet [wird], dass irgendwann ein längerer krankheitsbedingter Ausfall eintritt, evtl. auch
mehrere Ausfälle“ (BRCA Fb 39). Darüber hinaus finden sich Bedenken hinsichtlich der Sicherstellung
der künftigen medizinischen Versorgung und die Sorge, dass auch Kinder und Verwandte mit Benachtei-
ligungen und Vorurteilen zu kämpfen haben. Schließlich lässt sich den Angaben auch eine Skepsis hin-
sichtlich der gesellschaftlichen Entwicklung im Umgang mit sozialen Ungleichheiten und die Befürch-
tung entnehmen, dass Selektion und Ausgrenzung von Krankheit und Behinderung zunehmen könnten.
Stellvertretend sei hier die Mutter eines an FAP erkrankten Kindes zitiert:
„Die Kosten im Gesundheitssystem steigen weiter. In der Summe werden übernommene Eigenanteile
zunehmen. Wenn durch bestätigte genet. Veranlagung abzusehen ist, welche Kosten ein Patient (in dem
Fall mein Sohn) verursachen wird, wird er u.U. stärker zur Kasse gebeten u. die folgende Generation
noch stärker, weil sie hätte gar nicht geboren werden dürfen... (Irgendwie gab’s so was in der Geschich-
te schon mal...)“ (FAP Fb 85)
Ein weiteres Ziel der Erhebung war es, zu ermitteln, wie Menschen mit genetischen Krankheitsrisiken
versuchen, mögliche Benachteiligungen, Stigmatisierungen und (negative) Andersbehandlungen zu ver-
meiden. Das Wissen um eine (mögliche) genetische Veranlagung ist auf Seiten der PatientInnen nicht
von der Notwendigkeit einer „Informationskontrolle als Management von genetischer Besonderheit“
(Scholz 1995: 52) zu trennen. Die Frage, wen die Teilnehmenden über ihre (mögliche) genetische Veran-
lagung informiert haben, sollte vor diesem Hintergrund Aufschluss über Selektivitäten und Strategien des
Umgangs mit den genetischen Informationen geben. Von den Antworten erhofften wir uns Hinweise
darauf, wen die Betroffenen (nicht) informieren und welche Vorkehrungen gegen Nachteile bzw. Ein-
schränkungen sie treffen, die aus der Nutzung genetischer Informationen resultieren können. In Überein-
stimmung mit den Ergebnissen vorliegender Studien zeigt sich auch hier ein deutlicher Unterschied zwi-
schen dem sozialen Nahbereich und organisationalen Kontexten. In Letzteren wird die Informationswei-
tergabe restriktiv gehandhabt. 38% der Befragten gaben die genetische Information an ArbeitskollegIn-
nen weiter, 34% an den Arbeitgeber, 24% an Gesundheitseinrichtungen, 23% an Versicherungen und
20% an Behörden. Demgegenüber gestaltet sich die Informationsweitergabe an Personen im Nahbereich
deutlich offener: 81% der Befragten informierten Familienmitglieder, 76% FreundInnen und 74%
den/die PartnerIn. Nicht nur halten viele Betroffene krankheitsrelevantes genetisches Wissen besonders
gegenüber Versicherungen und im Arbeitskontext gezielt geheim, sie treffen auch Vorkehrungen, um
negative Erfahrungen zu vermeiden. So schließen sie etwa vor der Inanspruchnahme eines genetischen
Tests Versicherungen ab und empfehlen Familienangehörigen ein ähnliches Vorgehen. Beispielsweise
gab eine Frau mit einer diagnostizierten BRCA-Variante an, dass sie ihren veränderten Genstatus für sich
behalte, um möglichen Problemen beim Versicherungsabschluss zu entgehen (BRCA Fb 34).11
11 Die vorliegenden Studien zu Handlungsstrategien und dem Informationsmanagement von Menschen mit genetischen Krank-
heiten bzw. Krankheitsrisiken kommen zu ähnlichen Ergebnissen (vgl. Geller et al. 1996; Bombard et al. 2007; Klitzman
2010; Geelen et al. 2012).
Draft Zur Zitation Printversion nutzen: Lemke et al. (2013): Genetische Diskriminierung
in Deutschland? In: Soziale Welt 64, Heft 3, S. 269-290
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Die Beschreibungen des Umgangs mit genetischen Informationen verweisen auf zwei konträre Hand-
lungsstrategien und Entscheidungsoptionen im Umgang mit genetischem Wissen. Auf der einen Seite
findet sich eine Vielzahl von Belegen, die darauf hindeuten, dass die Befragten das Wissen um die eigene
genetische Erkrankung bzw. das Erkrankungsrisiko als „Privatsache“ ansehen und das Recht auf Daten-
schutz und Geheimhaltung einfordern. So schreibt etwa eine Teilnehmerin: „[…] weil dies meine Ange-
legenheit ist und andere dies nicht wissen müssen“ (FAP Fb 28). Auf der anderen Seite gibt es auch eine
Fülle an Hinweisen, dass Betroffene eher offensiv mit dem genetischen Wissen umgehen. Ein Beispiel
dafür ist etwa diese Äußerung: „Und ich bin immer für Aufklärung vor allem dort, wo man auf Schran-
ken (z.B. Vorurteile, ggf. Abwertung bei KK [Krankenkasse] etc.) stößt.“ (CF Fb 20) Sehr prägnant for-
muliert dies eine an Darmkrebs erkrankte Person: „Ich steh zu meinen Genen!” (FAP Fb 98)
Die genannten Strategien im Umgang mit genetischen Besonderheiten weisen Ähnlichkeiten mit Hand-
lungsmustern auf, die Personen mit „beschädigter Identität“ anwenden. Wie bei jenen, die Erving
Goffman in seinen Studien über stigmatisierte Personen als „Diskreditierbare“ (1970: 12) bezeichnet,
liegt das entscheidende Problem für Menschen mit genetischen Erkrankungsrisiken darin, Informationen
über ihren (potenziellen) „genetischen Defekt“ so zu filtern und zu steuern, dass sie gar nicht erst in die
Situation geraten, in der sie als eine „diskreditierte Person“ erscheinen. Dies gilt umso mehr, als die ge-
netischen Informationen für die gesamte Lebensdauer der Betroffenen Gültigkeit besitzen.
3. Diskussion der Ergebnisse: Vielfalt und Ambivalenz der sozialen Bedeutung genetischen Wissens
Die Ergebnisse unserer Fragebogenerhebung unterscheiden sich von denjenigen bislang vorliegender
Studien in drei Punkten. Zu beobachten ist erstens, dass die Unterscheidung zwischen Diskriminierung
aufgrund von Krankheit und Behinderung einerseits und aufgrund von genetischer Disposition anderer-
seits von den Betroffenen als unscharf und uneindeutig erlebt wird. Zweitens zeigt das Material, dass das
Wissen um genetische Krankheitsursachen zwar in einigen Fällen zur Verweigerung von Leistungen und
der Benachteiligung gegenüber Menschen mit einem unauffälligen genetischen Profil führt, in anderen
Fällen bildet das genetische Wissen jedoch die Grundlage für Leistungsansprüche und besitzt eine entlas-
tende Funktion, da es vor Stigmatisierungen schützt und die Aufnahme in Präventionsprogramme ermög-
licht. Drittens fokussierten die vorliegenden empirischen Studien zu genetischer Diskriminierung vor
allem auf den organisationalen Bereich. Im Mittelpunkt standen Versicherungen und Arbeitgeber, die
Menschen mit „ungünstigen“ genetischen Merkmalen in unberechtigter Weise benachteiligen und anders
behandeln. Die Ergebnisse der Fragebogenerhebung deuten demgegenüber darauf hin, dass eine Erweite-
rung des Fokus sinnvoll ist, da ein nicht unbeträchtlicher Teil der Erfahrungen von Andersbehandlung,
Zurückweisung, Missachtung und Abwertung auch aus der innerfamiliären Kommunikation und aus dem
privaten Umfeld (FreundInnen, Bekannte) berichtet wird.
Im Folgenden möchten wir diese Teilergebnisse, die nach unserer Auffassung eine Erweiterung und Prä-
zisierung der Analyse genetischer Diskriminierung nahelegen, genauer vorstellen und diskutieren.
3.1 Flexible Grenzen? Unschärfen in der Unterscheidung symptomatisch/asymptomatisch
In vielen wissenschaftlichen Studien (vgl. etwa Billings et al. 1992: 477; Natowicz et al. 1992: 466) wird
eine strikte und eindeutige Unterscheidung zwischen genetischer Diskriminierung und Diskriminierung
aufgrund von Behinderung oder (chronischer) Krankheit vorgenommen. Auf die definitorischen Schwie-
rigkeiten einer derart eindeutigen Grenzziehung haben MedizinerInnen und NaturwissenschaftlerInnen
bereits seit längerem hingewiesen. Die Kritik am genetischen Exzeptionalismus hat gezeigt, dass es nicht
möglich ist, abschließend und verbindlich zu bestimmen, was eine genetische Krankheit im Unterschied
zu einem nichtgenetischen Leiden kennzeichnet; darüber hinaus ist unklar, wie sich genetische von
nichtgenetischen Analysen trennscharf unterscheiden lassen. Selbst autosomal-dominant vererbte Krank-
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in Deutschland? In: Soziale Welt 64, Heft 3, S. 269-290
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heiten weisen individuell und kontextuell sehr unterschiedliche Entwicklungsformen und Ausprägungen
auf und die Bandbreite der Wirkungen genetisch bedingter Risikofaktoren ist äußerst groß (Yoxen 1982;
Murray 1997; Alper/Beckwith 1998; Henn 2009).
Die definitorische Unschärfe zeigt sich auch in den empirischen Ergebnissen unserer Untersuchung. So
schildern auf die Frage nach „negativen Erfahrungen aufgrund ihrer (möglichen) genetischen Veranla-
gung“ viele Befragte Ereignisse, die sich gleichermaßen auf ihren Genstatus und ihre genetische Erkran-
kung (bzw. die Erkrankung von Familienmitgliedern) beziehen. Die Berichte von Betroffenen enthalten
selten eine Differenzierung erlebter Ungleichbehandlungen in solche, die mit der Erkrankung und solche,
die mit den genetischen Eigenschaften zu tun haben. Vielmehr überwiegen Schilderungen, in denen Per-
sonen ihre Erfahrungen von Andersbehandlung und Benachteiligung in einer Gemengelage aus geneti-
schen, krankheits- oder auf Behinderung bezogene Ausgrenzungen und Stigmatisierungen verorten. Dies
zeigen etwa die Berichte über Erfahrungen aus dem Arbeitsbereich und bei Versicherungsverträgen.
Wenn, wie oben beschrieben, die Betroffenen von negativen Erlebnissen bei Bewerbungen und verwei-
gerten beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten berichten, so beziehen sich die genannten Ablehnungsgründe
oft gleichermaßen auf die vorliegende Erkrankung wie auf zukünftige Erkrankungsrisiken und es bleibt
offen, ob aus ihrer Sicht bereits vorhandene Symptome oder eine erhöhte Wahrscheinlichkeit zukünfti-
gen Auftretens von Symptomen den Entscheidungsgrund darstellten. Wenn etwa ein von FAP Betroffe-
ner schreibt: „Ich habe keinen Arbeitsplatz mehr bekommen, da ich als Risiko eingeschätzt wurde“ (FAP
Fb 82), verbinden sich in dieser Beschreibung das „Risiko“, die Krankheit und die genetische Dispositi-
on zu einer negativen Erfahrung, ohne dass beide Elemente systematisch voneinander abgrenzbar wären.
Auch in den Schilderungen zum Abschluss von Versicherungsverträgen lassen sich die genannten Ab-
lehnungsgründe oft sowohl auf den Genotyp als auch auf Krankheitssymptome beziehen. So beispiels-
weise bei einer an FAP erkrankten Frau, die von Problemen nach der Inanspruchnahme der prophylakti-
schen Entfernung des Dickdarms berichtet: „Ich erhielt keine Lebensversicherung, keine Berufsunfähig-
keitsversicherung und bei der Risikolebensversicherung muss ich den doppelten Beitrag zahlen.“ (FAP
Fb 50) Zusätzlich beschreibt sie erhebliche Probleme, die sie bei der Verbeamtung hatte, obwohl sie
„eigentlich noch nie ‚krank‘ war“ (FAP Fb 50). Die Teilnehmerin schildert ein Problem, dem sich vor
allem Betroffene der FAP ausgesetzt sehen: Obwohl sie sich den Darm vorsorglich entfernen ließen, um
das Krankheitsrisiko signifikant zu minimieren, werden sie bei Versicherungsabschlüssen wie Erkrankte
behandelt. Der Status „asymptomatisch“ oder „symptomatisch“ stellt somit in den Berichten der Betrof-
fenen zu Problemen bei Versicherungsabschlüssen kein relevantes Unterscheidungskriterium dar.
Insgesamt ist zu beobachten, dass sich in den Beschreibungen der UntersuchungsteilnehmerInnen beide
Dimensionen (symptomatisch/asymptomatisch) vermischen. Dafür könnten zwei Gründe maßgebend
sein. Zum einen ist mit der genetischen Information eine Markierung und Kategorisierung verbunden, die
Betroffene als Personen mit „ungünstigem“ genetischen Profil erst konstituiert. Diese Kategorisierung
kann dann symptomatische Wirkung entfalten, da die Betroffenen nunmehr als Risikofall gelten (kön-
nen). Man kann dem Genetischen in diesem Sinne eine performative Qualität zusprechen, da die Betrof-
fenen kontextabhängig als symptomatisch/asymptomatisch begriffen werden. Zum anderen decken sich
die Auskünfte der Befragten mit der zunehmenden gesellschaftlichen Etablierung der Vorsorgemedizin
und der auch alltagspraktisch beobachtbaren „Ausweitung der Krankheitszone“ (Blech 2003: 199), zu
der die genetische Diagnostik einen entscheidenden Beitrag leistet. Auf der Grundlage der Unterschei-
dung von Phänotyp und Genotyp werden Krankheiten von konkreten Krankheitsereignissen und
Symptomatiken entkoppelt und fallen tendenziell mit der Diagnose genetischer oder biochemischer Be-
sonderheiten zusammen, die krankheitsrelevant sein können. In den medizinischen Blick geraten damit
Risikofaktoren, Anlagen und Dispositionen, die sich (noch) nicht in akuten Symptomen manifestiert
haben, aber gleichwohl der Überwachung, Vorsorge und Kontrolle bedürfen. Auf diese Weise soll das
mögliche Leiden in der Gegenwart antizipiert werden, um dessen Auftreten in der Zukunft wirksam ver-
hindern zu können (Gudding 1996; Koch 1999).12
12 Die wachsende gesellschaftliche Bedeutung einer prädiktiven genetischen Medizin hat Auswirkungen, die weit über den
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3.2 Genetisches Wissen als ambivalente Ressource
Über die Schilderungen von Benachteiligung, Ausgrenzung und Zurückweisung hinaus zeigt die Unter-
suchung, dass viele befragte Personen dem genetischen Wissen nicht nur eine belastende oder einschn-
kende, sondern auch eine entlastende und/oder ermächtigende Funktion zumessen. Fast die Hälfte der
UntersuchungsteilnehmerInnen (49%) schildert positive Erfahrungen im Kontext des genetischen Wis-
sens. Deutlich werden hier Ambivalenzen genetischen Wissens, die zwar in anderen medizinischen Pra-
xisfeldern herausgestellt worden sind (vor allem im Bereich der Pränataldiagnostik, z.B. Kuhlmann
2002; Ullrich 2012), aber im Zusammenhang mit der Erforschung genetischer Diskriminierung bisher
wenig Beachtung gefunden haben.
In den Schilderungen der von Hämochromatose Betroffenen sowie bei Risikopersonen und PatientInnen
für Brust- und Eierstockkrebs zeigt sich diese Ambivalenz genetischen Wissens am deutlichsten. Bei-
spielsweise nehmen Berichte über Kränkungen und Stigmatisierungen durch medizinisches Personal bei
Hämochromatose-PatientInnen eine herausgehobene Position ein. Aufgrund der unspezifischen Symp-
tome der Hämochromatose wie Müdigkeit und Gelenkschmerzen sehen Betroffene sich häufig mit dem
Vorwurf konfrontiert, ihre Symptome seien „simuliert“. Die Befragten berichten, wie sie sich hinsicht-
lich ihrer Symptome durch das medizinische Personal nicht ernst genommen fühlten und sich mit abwei-
senden Reaktionen konfrontiert sahen. Darüber hinaus führen die im Labor nachgewiesenen erhöhten
Leberwerte bei Hämochromatose-Betroffenen häufig dazu, dass diese als „fleischfressende[r] Alkoholi-
ker“ (HH Fb 27) stigmatisiert werden und ihnen eine selbstverantwortete gesundheitsgefährdende Le-
bensweise durch übermäßigen Fleischverzehr und Alkoholkonsum unterstellt wird. Liegt hingegen eine
genetische Diagnose vor, werden die Laborwerte als Symptome einer Krankheit gedeutet, die sich unab-
hängig von den Verhaltensweisen und dem Lebensstil der Betroffenen manifestiert. Die Situation dieser
Betroffenengruppe verkehrt also die „klassische“ Funktionsweise genetischer Diskriminierung: Nicht
eine (vermutete oder nachgewiesene) genetische Disposition führt zu benachteiligenden oder herabset-
zenden Erfahrungen mit dem medizinischen Personal; im Gegenteil schützt die genetische Diagnose die
Betroffenen vor Abwertungen, Vorwürfen und Schuldzuschreibungen. Genetisches Wissen wirkt hier
entstigmatisierend. Gleichzeitig eröffnet es auch den Zugang zu wirksamen therapeutischen Maßnahmen.
So ist es häufig erst der genetische Nachweis der Hämochromatose, der Klarheit über das Krankheitsbild
bringt und den Weg zu Therapien eröffnet.
Auch viele Risikopersonen für erblichen Brust- und Eierstockkrebs und PatientInnen der Krankheit neh-
men die genetische Diagnose als entlastend wahr. Der Nachweis einer genetischen Disposition ermög-
licht dieser Betroffenengruppe, bereits in einem relativ frühen Lebensalter kostenlos an Früherkennungs-
untersuchungen teilzunehmen sowie prophylaktische Operationen durchführen zu lassen.13 Befragte mit
einem erhöhten Erkrankungsrisiko geben an, dass ein genetischer Nachweis sie dazu befähige, vor dem
(erneuten) Auftreten der Krankheit aktiv werden zu können, was zu einem subjektiven Gefühl von Kon-
trolle beitrage, da sie sich durch die präventiven Maßnahmen nicht so „ausgeliefert fühlen“ und „selbst
etwas tun“ (BRCA Fb 35) könnten. Allerdings werden prophylaktische Operationen aufgrund einer gene-
tischen Diagnose bei Brustkrebs innerhalb der Medizin kontrovers diskutiert (Lauritzen 2002;
Schmutzler et al. 2003; Jähne 2008) und von einigen der behandelnden ÄrztInnen kritisch gesehen, was,
wie folgendes Zitat zeigt, bei den betroffenen Frauen mit Verunsicherung verbunden sein kann: „Meine
Gynäkologin hält die prophylaktische Mastektomie und Ovarektomie (hab ich 2007 durchführen lassen
nach BRCAII-Diagnostik) für sehr extrem und findet meine halbjährlichen Untersuchungen (Sono Brust)
Kreis der in dieser Untersuchung Befragten oder Menschen mit relativ seltenen genetischen Krankheiten oder Krankheitsri-
siken hinausreicht. In dem Maße, in dem sich die Einsicht durchsetzt, dass jeder Mensch „genetische Fehler“ besitzt (vgl.
etwa Shakespeare 2003: 206; Henn 2009: 20), dürften potenziell alle Gesellschaftsmitglieder von Praktiken genetischer Dis-
kriminierung betroffen sein.
13 Für Frauen ohne ein diagnostiziertes genetisches Risiko werden Früherkennungsmaßnahmen für Brustkrebs wie etwa die
Mammographie erst ab dem 50. Lebensjahr als kostenlose Leistung angeboten (Meindl et al. 2011).
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in Deutschland? In: Soziale Welt 64, Heft 3, S. 269-290
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für überflüssig.“ (BRCA Fb 2) Die Betroffene fühlt sich hier durch die behandelnde Ärztin nicht ernst
genommen und sieht sich mit Unverständnis und mit der Bagatellisierung ihres genetischen Risikos kon-
frontiert.
Die Beispiele verweisen auf eine spezifische Ambivalenz genetischen Wissens im medizinischen Feld:
Einerseits wird das genetische Wissen als sicheres und valides Wissen erfahren, weil es den Betroffenen
die Möglichkeit zu (weiteren) medizinischen Behandlungsangeboten eröffnet. Dies bedeutet, dass bei
fehlender genetischer Testung oder einem unauffälligen Befund der Zugang zu medizinischen Maßnah-
men häufig verwehrt bleibt. In diesem Ausschluss besteht dann, wie insbesondere das Beispiel der Hä-
mochromatose verdeutlicht, die Diskriminierungserfahrung der Betroffenen. Andererseits handelt es sich
bei genetischem Wissen auch um unsicheres Wissen, insbesondere in Bezug auf dessen prognostische
Aussagekraft. In unserem Material zeigt sich diese Unsicherheit vor allem in den Schilderungen der Ri-
sikopersonen und PatientInnen von erblichem Brust- und Eierstockkrebs. Die Betroffenen sehen sich mit
dem Problem konfrontiert, auf der Basis von Risikokalkulationen Entscheidungen über ihren Körper
treffen zu müssen in anderen Worten: Risikowissen in Handlungswissen übersetzen zu müssen. Bei
diesem Übersetzungsprozess bieten die medizinischen ExpertInnen oft keine Hilfe, da die Inanspruch-
nahme bestimmter präventiver Maßnahmen, z.B. prophylaktische Operationen, manchen als medizinisch
sinnvoll oder notwendig, anderen dagegen als fragwürdig oder überzogen erscheint. So sind es manch-
mal gerade die medizinischen ExpertInnen, die mit ihrer Infragestellung oder Problematisierung prophy-
laktischer Maßnahmen die Gefühle der Betroffenen verletzen und sie zusätzlich verunsichern. Unser
empirisches Material zeigt demnach, dass genetisches Wissen eine Ressource ist, die sich hinsichtlich
ihrer Konsequenzen für die betroffenen Personen sehr unterschiedlich gestaltet: Sie kann sowohl
entstigmatisierend, entlastend und ermächtigend wirken als auch zu Verletzungen, Herabsetzungen und
Ohnmachtserfahrungen führen.14
3.3 Zwischen Diskriminierung und Stigmatisierung: Erfahrungen von Abwertung und Zurückwei-
sung in der Familie
Die bislang vorliegenden Studien zum Problem genetischer Diskriminierung haben eine Vielzahl von
Belegen erbracht, dass Menschen in unterschiedlichen Ländern aufgrund von genetischen Besonderhei-
ten durch Versicherungen, Arbeitgeber und Behörden benachteiligt, missachtet oder ausgegrenzt werden.
Im Mittelpunkt stand dabei die Benachteiligung von Individuen und deren Familienangehörigen in und
durch Organisationen. Mit dieser Beschränkung auf den organisationalen Bereich blieben bislang die
Erfahrungen von Missachtung, Ausgrenzung und Stigmatisierung im Familien-, Freundes- und Bekann-
tenkreis ausgeklammert und somit die Erfassung der Vielfalt und Komplexität von diskriminierenden
Erfahrungen aufgrund genetischer Besonderheiten eingeschränkt.15
14 Vgl. dazu auch die auf den ersten Blick überraschenden Ergebnisse der Studie von Scott et al. (2005). Die AutorInnen führ-
ten 58 halboffene Interviews mit PatientInnen, die zwischen 2001 und 2002 an ein regionales Krebszentrum in Großbritan-
nien überwiesen wurden. Die Studie erbrachte den Nachweis, dass sich keineswegs Entlastungseffekte bei jenen einstellten,
bei denen aufgrund ihrer Familiengeschichte nur ein niedriges Krebsrisiko diagnostiziert wurde; im Gegenteil schienen die
Betroffenen mit diesem Ergebnis eher unzufrieden zu sein oder sie zeigten sich gar enttäuscht. Dieses scheinbare Paradox,
„gute“ Nachrichten als „schlechte“ zu behandeln, erklären die AutorInnen der Studie mit den unterschiedlichen materiellen
Positionen im Gesundheitssystem, die sich für die Betroffenen aus den Risikodiagnosen ergeben. Diejenigen mit einem nied-
rigen Risiko waren enttäuscht, dass ihnen das Gesundheitssystem Anerkennung, Aufmerksamkeit, Zuwendung und Ressour-
cen verweigerte, die der Nachweis eines erhöhten genetischen Risikos nach sich gezogen hätte. Während sie nicht zu persön-
lichen Gesprächen mit klinischen GenetikerInnen eingeladen wurden, war dies bei Menschen mit „mittleren“ und „erhöhten“
Risiken der Fall. Nur PatientInnen dieser Risikoklassen wurden genetische Untersuchungsverfahren und Vorsorgeleistungen
angeboten. Diese Gruppe zeigte sich sehr zufrieden mit ihrem Status. Das „Glück“, mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko
klassifiziert zu werden, rief auf Seiten der Betroffenen Gefühle von Sicherheit und Vertrauen in die Macht medizinischen
Wissens hervor (Scott et al. 2005: 1872, 1875).
15 Dass es sinnvoll ist, den Fokus nicht allein auf Organisationen zu richten, zeigt die bereits erwähnte explorative Studie zu
genetischer Diskriminierung in Deutschland. Viele der Befragten schilderten, wie sich Erfahrungen von Missachtung und
Ausgrenzung innerhalb von Familien und im Bekanntenkreis fortsetzten (Lemke 2006: 79ff).
.
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in Deutschland? In: Soziale Welt 64, Heft 3, S. 269-290
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Die von uns durchgeführte Fragebogenerhebung zeigt, dass genetisches Wissen auch in familiären Kon-
texten mit Ausgrenzungen und Andersbehandlungen verbunden ist. Betroffene aller vier Erkrankungen
berichten über kränkende und stigmatisierende Reaktionen von Familienmitgliedern, über abwehrende
und distanzierende Reaktionen sowie über Erfahrungen des Nicht-Wissen-Wollens. Insgesamt schildern
9,7% der Befragten negative Erfahrungen im familiären Umfeld. Dabei ragen zwei Problemkomplexe
heraus: die konflikthafte Aushandlung der Bedeutung des genetischen Wissens und die mehr oder weni-
ger explizit formulierte Erwartung an einen „verantwortungsvollen“ Umgang mit genetischen Risiken im
Hinblick auf Reproduktionsentscheidungen.
3.3.1 Genetisches Wissen im familialen Kontext
Der familiäre Umgang mit dem Ergebnis der genetischen Testung stellt im Fragebogen eine häufig ge-
schilderte Konfliktquelle dar. Das auffällige Gentest-Ergebnis eines Familienmitglieds wirft für die bio-
logischen Verwandten oft die Frage auf, ob sie ob auch sie von einer genetischen Krankheitsdisposition
betroffen sind. Die untersuchte Person sieht sich implizit oder explizit (etwa durch ärztlichen Rat) mit der
Erwartung konfrontiert, Familienangehörige über mögliche genetische Risiken aufzuklären. Die Informa-
tion über genetische Risiken könnte es erlauben, Vorsorge- und Therapieoptionen sofern diese für die
betreffende Krankheit existieren wahrnehmen zu können. Wo dies nicht möglich ist, stellt sich die Fra-
ge, ob nicht dennoch die Familienangehörigen zu informieren sind, damit diese „verantwortungsvolle“
Entscheidungen hinsichtlich ihrer Familien- und Lebensplanung treffen können.
Die Ergebnisse der Fragebogenerhebung zeigen deutlich die Konturen einer „genetischen Verantwor-
tung“ (vgl. z.B. Hallowell 1999; Polzer 2005 sowie den Überblick bei Kollek/Lemke 2008: 223-287). So
schildern etwa Betroffene, die sich auf medizinischen Rat hin einem Gentest unterzogen haben, ihr Un-
verständnis darüber, dass andere Familienmitglieder den Test ablehnen; einige erleben dies sogar als
persönliche Kränkung. Beispielsweise schreibt eine Frau, bei der eine Veränderung in einem der BRCA-
Gene festgestellt wurde:
„Aufgrund von Anraten des Arztes habe ich nach Erhalt des auffälligen Befundes meine Cousine darüber
informiert, dass auch sie die Möglichkeit hat, sich untersuchen zu lassen. Sie wollte davon gar nichts
wissen und auch nicht darüber reden. Ich glaube, ich habe bei ihr einen wunden Punkt getroffen. Einer-
seits habe ich es bereut, dass ich es ihr erzählt habe. Andererseits würde ich mich schuldig fühlen, wenn
sie erkranken sollte und ich ihr nichts von den Vorzügen der Vorsorgeuntersuchung erzählt hätte. Ich
war sehr traurig, dass sie kein Verständnis für meine Situation hatte.“ (BRCA Fb 33)
Der Sorge der Befragten um die Gesundheit ihrer Cousine begegnet diese mit Abwehr und Ablehnung.
Überwiegt bei der Teilnehmerin der Erhebung zunächst die Einschätzung, zur Information verpflichtet zu
sein, um der Angehörigen „Möglichkeit“ und „Vorzüge“ des Gentests nahe zu bringen, folgt sodann die
Ambivalenz („einerseits/anderseits“) und schließlich das Gefühl mangelnder Anerkennung („traurig“,
„kein Verständnis für meine Situation“). Die Ablehnung des Tests durch ein Familienmitglied wird als
kränkende Infragestellung des eigenen Krankheitsstatus erlebt. Andere Befragte berichten über Gefühle
von Allein-Gelassen-Sein und von Isolation aufgrund geringem oder mangelndem Verständnis für die
genetische Disposition bzw. Erkrankung (beispielsweise CF Fb 17; CF Fb 18).
Zurückgewiesen fühlen sich die Betroffenen zudem durch Dramatisierung und Demagogisierung der
genetischen Disposition und/oder Erkrankung innerhalb der Familie. So berichtet eine an FAP erkrankte
Person:
„Als ich meiner Familie dann erklärte, was nun mit mir los sei, war mein Bruder der erste, der mit der
Diagnose nicht klar kam. Seitdem haben wir ein angespanntes Verhältnis. Mit ihm kann ich nicht über
die Krankheit sprechen. Er hat selber zwei Kinder und immer wenn ich frage, ob es nicht besser wäre die
Kinder genetisch testen zu lassen, sagt er mir: ‚Nein, ich hole mir den Teufel nicht ins Haus’.“ (FAP Fb
93)
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in Deutschland? In: Soziale Welt 64, Heft 3, S. 269-290
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Mit der Bezeichnung des genetischen Wissens als „Teufel“ wird dieses und mit ihm auch die Person, die
das Wissen in die Familie einbringt, negativ charakterisiert. Zugleich wird das Anliegen der an FAP er-
krankten Person zurückgewiesen, dass auch die Familienmitglieder sich mit dem Krankheitsrisiko (und
der Möglichkeit zur Abklärung des Risikos) auseinandersetzen. Eine Reihe von TeilnehmerInnen berich-
tet davon, dass sich Familienangehörige und FreundInnen von ihnen distanzierten oder den Kontakt ab-
brachen. So schreibt etwa eine Frau, bei der eine veränderte Version des BRCA-Gens diagnostiziert wur-
de, „wie das nahe Umfeld/Familie darauf reagiert hat und vor allem wenn es um die genetische Untersu-
chung ging. Ich erhielt eher Unverständnis, dass ich die Untersuchung gemacht habe, wobei es mir um
Vorsorge ging.” (BRCA Fb 9)
Schließlich zeigt sich, dass die Gendiagnostik auch bislang unbekannte Verwandtschaftsbeziehungen und
Familienverhältnisse offenlegt, wie ein Hämochromatose-Betroffener berichtet: „Habe durch Hämoch-
romatose meinen Erzeuger und eine Halbschwester kennengelernt.“ (HH Fb 23) Hier bildeten die geneti-
sche Diagnose und das Krankheitsrisiko den Anlass für die Mutter, ihren Sohn über seine (biologische)
Abstammung zu informieren. Auch in anderen Fragebögen schildern TeilnehmerInnen, wie sie aufgrund
des Gentests Kontakt zu Halbgeschwistern aufnahmen, die sie bislang kaum kannten, oder mit Geschwis-
tern kommunizieren, zu denen sie den Kontakt abgebrochen hatten. Das genetische Wissen wirkt hier als
Impuls, familiäre Beziehungen wiederaufzunehmen und/oder neu zu gestalten (Finkler et al. 2003;
Pelters 2008).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Wissen um den Genstatus neue Anforderungen an
die familiäre Kommunikation stellt und mit ihm neue Offenbarungspflichten und Verantwortungserwar-
tungen verbunden sind. Es ist für die untersuchten Familienmitglieder mit dem Risiko verbunden, auf
Unverständnis und Zurückweisung zu treffen (kein Verständnis für die Testung, mangelndes Interesse an
der [potenziellen] Erkrankung, Distanzierung von Familienmitgliedern) oder auch stigmatisiert zu wer-
den (Bild des „Teufels“, Schuldzuweisungen). Genetisches Wissen, so zeigt das Material, kann zum An-
lass für innerfamiliären Streit und Konflikte, aber auch zur Neubestimmung familiärer Bindungen wer-
den. Dabei werden der Stellenwert genetischer Informationen und die Frage nach ihrer normativen und
alltagspraktischen Bedeutung zum Gegenstand familiärer Aushandlungsprozesse.
3.3.2 Reproduktionsverantwortung
Die Fragebogenerhebung macht deutlich, dass die Sorge um die Weitergabe krankheitsrelevanter geneti-
scher Dispositionen die Befragten und ihre Familien besonders stark beschäftigt. Diese Probleme stellen
sich jedoch bei den verschiedenen Erkrankungen ganz unterschiedlich dar und hängen entscheidend vom
jeweiligen genetic framing ab (spezifischer Erbgang, Penetranz, Schwere und Art der Symptome). Wäh-
rend die Risikopersonen und PatientInnen des Familiären Brust- und Eierstockkrebs, der Familiären ade-
nomatösen Polyposis und die GenträgerInnen für Cystische Fibrose von negativen Erfahrungen wie
Stigmatisierung und Ablehnung sowie von Zwängen im Hinblick auf ihr Reproduktionsverhalten berich-
ten, schildern Hämochromatose-Betroffene keine derartigen Erfahrungen. Zwar setzen sich diese eben-
falls mit ihrer Familiengeschichte und der Frage der Weitergabe des Krankheitsrisikos an ihre Kinder
auseinander, kränkende oder stigmatisierende Erfahrungen finden in den Fragebögen jedoch keine Er-
wähnung. Dies könnte dem spezifischen Charakter der Erkrankung geschuldet sein, die rezessiv vererbt
wird und bei einer rechtzeitigen Diagnose vergleichsweise undramatisch verläuft bzw. gut behandelbar
ist.
In den Fragebögen wird der Zusammenhang von Vererbung und Verantwortung in zweierlei Weise the-
matisiert. Zum einen setzen sich die Befragten mit der Frage „Woher kommt das ‚kranke‘ Gen?“ ausei-
nander und zum zweiten werfen sie die Frage auf „Darf ich das ‚kranke‘ Gen an meine Kinder weiterge-
ben?“ Die Suche nach der Herkunft der die Erkrankung (mit-)verursachenden Gene ist dabei von dem
Interesse motiviert, frühe und/oder ungeklärte Todesfälle in der Familie zu erklären und Vererbungsli-
nien nachzuzeichnen ein Anliegen, das nicht von allen Familienmitgliedern gleichermaßen begrüßt und
Draft Zur Zitation Printversion nutzen: Lemke et al. (2013): Genetische Diskriminierung
in Deutschland? In: Soziale Welt 64, Heft 3, S. 269-290
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unterstützt wird. So berichtet beispielsweise die Mutter eines an Cystischer Fibrose erkrankten Kindes
von den Vorwürfen ihres Schwiegervaters, sie habe die Erkrankung in die Familie getragen, sie trage
dafür die alleinige Schuld und zeige ein mangelndes Verantwortungsbewusstsein: „Schuldzuweisung. Du
bist Schuld, dass Dein Kind erkrankt ist.[…] Bei der Geburt der 2. Tochter: Wieso habt ihr denn noch ein
Kind bekommen?“ (CF Fb 18)
Mit Erwartungen hinsichtlich einer Kontrolle der Weitergabe genetisch bedingter Krankheitsdispositio-
nen werden in unserer Erhebung sowohl Personen mit Kindern als auch Kinderlose konfrontiert. Dabei
finden sich zwei Arten von Kränkungen und Zurückweisungen. Berichtet wird erstens von als übergriffig
und anmaßend empfundenen Kommentaren und Ratschlägen von Familienmitgliedern, Nachbarn,
FreundInnen und Bekannten (sowie von ÄrztInnen und Krankenhauspersonal) zu Familienplanung und
Reproduktionsentscheidungen. So schreibt eine an Familiärer adenomatöser Polyposis erkrankte Frau,
dass sie von Ärzten und dem Schwiegervater die Empfehlung erhalten habe, sie solle keine Kinder be-
kommen wg. Vererbbarkeit“ (FAP Fb 15; vgl. auch BRCA Fb 56).16 Eine andere Frau berichtet von ei-
nem hochgradig ambivalenten Verhalten ihrer Verwandten, die sich selbst bei ihrer Familienplanung
nicht genetisch testen ließen, das Gespräch mit ihr angesichts ihrer an CF erkrankten Tochter allerdings
immer wieder auf das Thema Abtreibung brachten: „Nachfragen vor der Geburt der Kinder von anderen
Familienangehörigen. Sie hatten Angst, dass sie auch Träger sind, aber anstatt sich testen zu lassen, wur-
de immer bei uns angefragt. Ich konnte das Wort ‚Abtreibung‘ schon nicht mehr hören.“(CF Fb 17) Be-
richtet wird auch von Trennungen von der Partnerin/vom Partner aufgrund der Erkrankung oder eines
diagnostizierten Risikos (z.B. BRCA Fb 76; CF Fb 37).
In den vorliegenden Studien zu genetischer Diskriminierung spielte die vorgeburtliche und prä-
konzeptionelle Diagnostik keine Rolle. Die Ergebnisse unserer Untersuchung zeigen, dass eine Reihe
von Befragten den Einsatz dieser Techniken als eine prinzipiell diskriminierende Praxis empfindet. Eine
an Cystischer Fibrose erkrankte Person schreibt: „Man will die Krankheit z.B. durch PID ausrotten. Habe
ich kein Recht auf Leben als CFler?“ (CF Fb 54) In diesem Zitat zeigt sich ein grundsätzliches Unbeha-
gen gegenüber Präventionserwartungen an GenträgerInnen. Befürchtet wird, dass die zunehmende Ver-
fügbarkeit und Reichweite pränataler und prä-konzeptioneller Diagnostik die individuelle Entscheidungs-
und Handlungsfreiheit einschränkt und tendenziell immer weniger Menschen mit einer CF-Erkrankung
geboren werden. Eine weitere Facette des Diskriminierungsspektrums in Bezug auf Reproduktionsent-
scheidungen zeigt folgende Bemerkung eines CF-Kranken: „Aufgrund der Grunderkrankung mussten
meine Frau und ich vor einer (erfolgreichen) künstlichen Befruchtung zur humangenetischen Beratung
dies war das deutlichste Zeichen an Diskriminierung, das ich selbst erfahren habe.“ (CF Fb 6) Die nur
an ihn als CF-Kranken adressierte Beratungspflicht vor der Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung
wird von dem Betroffenen als herabwürdigend und verletzend empfunden.
Die geschilderten Erfahrungen zeigen Konturen einer „Reproduktionsverantwortung“ (Kollek/Lemke
2008: 228ff), die auf die Verhinderung der Weitergabe genetischer Risiken zielt. Vor allem im Rahmen
der studies of governmentality und in der feministischen Literatur ist diese Ausweitung von Verantwor-
tungserwartungen an Paare mit Kinderwunsch als eine spezifische „Regierung der Schwangerschaft“
(Weir 1996; Lemke 2000; Koch 2002) analysiert worden. Als „verantwortlich“ erscheint hier die Ver-
meidung der Geburt vermutlich behinderter oder kranker Kinder durch Aufgabe des Kinderwunsches
oder eine „Schwangerschaft auf Probe“ (Rothman 1987) und Abtreibung nach auffälligem Befund. Zu
beobachten ist, dass damit der Begriff der Verantwortung nicht nur ausgeweitet, sondern zunehmend „in
Richtung einer qualitativen Auswahl gefasst [wird], ansetzend bereits vor der Geburt, vielleicht sogar vor
der Zeugung“ (Beck-Gernsheim 1994: 326; vgl. auch Steinberg 1996). Die Erwartung einer in diesem
Sinn „verantwortlichen Elternschaft“ (Sass 1994: 345) richtet sich prinzipiell an alle Gesellschaftsmit-
glieder, allerdings wird vor allem bei Menschen mit einer Familiengeschichte mit genetischen Krankhei-
16 Im Rahmen einer empirischen Studie zu den psychosozialen Aspekten der Krankheitsprädiktion bei FAP berichteten Patien-
tInnen, dass ÄrztInnen in Einzelfällen versuchen, auf ihre Familienplanung Einfluss zu nehmen. So erklärte etwa einer der
Chirurgen: „Gehen Sie raus, holen Sie sich einen Termin und das Kinderkriegen lassen Sie bitte auch, Sie vererben das nur
weiter.“ (Schmedders 2005: 8; Schmedders 2004)
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ten oder der Diagnose genetischer Krankheitsrisiken von einer „genetisch kontraindizierten Vermehrung“
(Markl 1989: 62) ausgegangen und möglicherweise die Realisierung des Kinderwunsches als moralisch
„unverantwortlich“ angesehen. Wie die Erfahrungsberichte zeigen, empfinden viele Menschen mit gene-
tischen Krankheiten oder Krankheitsrisiken die an sie herangetragenen „Präventionserwartungen“ in
besonderer Weise als diskriminierend und stigmatisierend. Darüber hinaus trägt die Konzentration auf
eine individuelle Reproduktionsverantwortung tendenziell auch dazu bei, gesellschaftliche Anstrengun-
gen zu reduzieren, die darauf zielen, wirksame Therapien für seltene Krankheiten zu entwickeln und die
Lebensbedingungen für Familien mit behinderten und kranken Kinder zu verbessern (Lippman 1994;
Rembis 2009).
Insgesamt verdeutlichen die von den Betroffenen berichteten Erfahrungen von Stigmatisierung, Missach-
tung und Zurückweisung im familiären Bereich zum einen die vielfachen Herausforderungen, die das
genetische Wissen an das familiale System stellt. Zum anderen verweisen sie auf spezifische Negativer-
fahrungen außerhalb von organisationalen Kontexten, die in der Debatte um „genetische Diskriminie-
rung“ bisher zu wenig Beachtung erfahren haben.
4. Zusammenfassung und Ausblick
Im Hinblick auf die Ausgangsfrage: „Gibt es genetische Diskriminierung in Deutschland?“ lässt sich
feststellen, dass unsere Erhebung lediglich Hinweise auf zwei Fälle ergeben hat, die die klassische Defi-
nition genetischer Diskriminierung erfüllen. Nur bei den beiden eingangs geschilderten Fällen aus dem
Versicherungsbereich handelt es sich um eine Diskriminierung aufgrund genetischer Informationen, die
sich klar von Diskriminierung aufgrund von Krankheit und Behinderung abgrenzen lässt. Daraus könnte
geschlussfolgert werden, dass Praktiken genetischer Diskriminierung in Deutschland nicht existieren
oder sie wirksam durch bestehende rechtlichen Regelungen und Verbote verhindert werden.
Die Ergebnisse unserer Studie legen jedoch eine andere Einschätzung nahe. Sie verdeutlichen, dass die
Analyse genetischer Diskriminierung um drei Aspekte erweitert und vertieft werden muss. Festzuhalten
ist erstens, dass sowohl Personen mit ausgeprägten Krankheitsbildern als auch solche ohne somatische
Veränderungen Erfahrungen von Andersbehandlung und Herabsetzung aufgrund genetischer Eigenschaf-
ten machen. Im Erleben der Betroffenen scheint die kategoriale Trennung symptoma-
tisch/asymptomatisch, die die Grundlage rechtlicher Regulierungen bildet, kaum relevant. Vielmehr wird
diese Trennung häufig unterlaufen, beispielsweise wenn die TeilnehmerInnen auf die Frage nach Be-
nachteiligung und Andersbehandlung aufgrund genetischer Informationen sich in ihren Antworten auf
Erfahrungen von Ungleichbehandlung aufgrund ihrer Erkrankung beziehen. So zeigt sich eine systemati-
sche Verbindung zwischen krankheitsbedingten Diskriminierungen auf der einen und genetischen Deu-
tungs- und Handlungsmustern auf der anderen Seite, die der weiteren Untersuchung bedarf.
Zweitens ist in der Analyse genetischer Diskriminierung stärker die ambivalente und deutungsoffene
Qualität genetischen Wissens zu berücksichtigen. Es ist erforderlich, den Fokus nicht allein auf negative
Kategorisierungen, Benachteiligungen und Ausschlussmechanismen zu richten. Mit dem genetischen
Wissen korrespondieren dies zeigt das empirische Material auch Formen positiver Andersbehand-
lung, deren Vorzüge von den Betroffenen gesehen und geschätzt werden. Der Nachweis genetischer
Krankheitsrisiken dient in diesem Fall als Ressource, um Schuldzuweisungen abzuwenden und eröffnet
den Zugang zu besonderen Therapien und Präventionsangeboten. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen,
dass die Ambivalenz und Unsicherheit des Wissens wiederum den Ausgangspunkt und Anlass für (weite-
re) Diskriminierungserfahrungen bildet. Am eindrücklichsten sind hier die Schilderungen im Bereich der
prophylaktischen Operationen sowie im Reproduktionsbereich. Auf der Basis von Wahrscheinlichkeits-
rechnungen und Risikokalkulationen müssen die Betroffenen Entscheidungen treffen, die immer auch
anfechtbar sind. Konfrontiert mit dieser Ambivalenz, mit der Infragestellung oder Problematisierung
ihrer Entscheidungen, fühlen sich die Befragten zurückgewiesen, verletzt und unverstanden.
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Drittens zeigt das empirische Material, dass die Untersuchung genetischer Diskriminierung auf die Erfor-
schung weiterer Handlungsfelder ausgeweitet werden sollte. Unsere Fragebogenerhebung gibt Hinweise
auf Erfahrungen von Zurückweisung, Missachtung und Abwertung im Freundeskreis sowie in der inner-
familiären Kommunikation. Die Daten zeigen, dass die normativen und affektiven Ambivalenzen geneti-
scher Diagnostik da sie von der Frage der biologischen Abstammung nicht zu trennen sind sich gera-
de im familiären Kontext entfalten und eine Verunsicherung von Identität und Zugehörigkeit mit sich
bringen. Im Zuge der Auseinandersetzung mit der genetischen Information wird Familie einerseits in
ihrer Funktion als Stifterin von Gemeinschaft und Identität aktiviert und kann, wie einige unserer Befun-
de zeigen, familiale Beziehungen neu schaffen (z.B. unbekannter Bruder, Kennenlernen des biologischen
Vaters) oder neue familiale Sub-Gruppen begründen (über die gängigen Unterscheidungen in Bru-
der/Schwester, Cousinen/Onkel/Tanten hinaus wird nun auch die Gruppe der GenträgerInnen und Nicht-
GenträgerInnen, der Getesteten und der (Noch-)Nicht-Getesteten neu eingeführt). Dies macht es erfor-
derlich, dass sich das familiale System neu strukturiert und dass die Familienangehörigen die damit ein-
hergehenden emotionalen und intersubjektiven Anstrengungen auf sich nehmen und gestalten. Anderer-
seits stellt das genetische Wissen Familie als Ort von Intimität und Identität vor neue kommunikative und
praktische Herausforderungen. Die Fragebogenerhebung zeigt die Sorge und Angst um das Leben und
die zukünftige Gesundheit potenziell betroffener Angehöriger und die explizit formulierte Erwartung an
Familienmitglieder, sich unterstützend und mitfühlend zu zeigen.
Mit diesen Ergebnissen verweist die Studie auf die Notwendigkeit einer Reflexion der kategorialen Vo-
raussetzungen genetischer Diskriminierung, der Anerkennung der Deutungsoffenheit und Ambivalenz
genetischen Wissens sowie der Einbeziehung des familialen Raumes als bedeutsames Handlungsfeld in
die Untersuchung. Diese Fragen weiterzuverfolgen erfordert eine Revision des klassischen Begriffs der
genetischen Diskriminierung und eine Neuausrichtung der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung
mit dem Thema. Dies empirisch und begrifflich zu berücksichtigen, ist eine zentrale Aufgabe zukünftiger
Forschungen zum Problem genetischer Diskriminierung.
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Weir, L. (1996): Recent developments in the government of pregnancy, in: Economy & Society 25,
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Williams, S.J./N.K. Hayward (2001): The Impact of the Human Genome Project on Medical Genetics,
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Yoxen, E.J. (1982): Constructing Genetic Diseases, in: P. Wright/A. Treacher (Hrsg.), The Problem of
Medical Knowledge. Examining the social construction of medicine, Edinburgh, S.144-161.
Prof. Dr. Thomas Lemke
Goethe-Universität Frankfurt
Fb Gesellschaftswissenschaften
Grüneburgplatz 1
60323 Frankfurt am Main
lemke@em.uni-frankfurt.de
Prof. Dr. Katharina Liebsch
Helmut Schmidt Universität Hamburg
Fakultät für Geistes und Sozialwissenschaften
Holstenhofweg 85
22043 Hamburg
... (Billings et al. 1992, 477) This definition gave rise to a lively debate that identified some of the downsides of the enormous advances in molecular genetics and made genetic discrimination nothing less than a paradigmatic case for the problems associated with genetic information. The study was followed in subsequent decades by several systematic surveys in the United States, Canada, the United Kingdom, Australia, and Germany, which revealed numerous forms of disadvantage arising from increased risk of genetic disease (Barlow-Stewart et al. 2009;Bombard et al. 2012;Geller et al. 1996;Lapham, Kozma, and Weiss 1996;Lemke and Liebsch 2015;Lemke et al. 2013;Low, King, and Wilkie 1998;Taylor et al. 2008). The results of this research stimulated extensive discussion and various legal and policy initiatives to protect people from such discrimination: international statements attacking genetic discrimination, memoranda regulating issues such as the use of genetic data by insurance companies or in the workplace, and, in many countries, national legislation. ...
... (Billings et al. 1992, 477) This definition gave rise to a lively debate that identified some of the downsides of the enormous advances in molecular genetics and made genetic discrimination nothing less than a paradigmatic case for the problems associated with genetic information. The study was followed in subsequent decades by several systematic surveys in the United States, Canada, the United Kingdom, Australia, and Germany, which revealed numerous forms of disadvantage arising from increased risk of genetic disease (Barlow-Stewart et al. 2009;Bombard et al. 2012;Geller et al. 1996;Lapham, Kozma, and Weiss 1996;Lemke and Liebsch 2015;Lemke et al. 2013;Low, King, and Wilkie 1998;Taylor et al. 2008). The results of this research stimulated extensive discussion and various legal and policy initiatives to protect people from such discrimination: international statements attacking genetic discrimination, memoranda regulating issues such as the use of genetic data by insurance companies or in the workplace, and, in many countries, national legislation. ...
Article
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Since the early 1990s, the term “genetic discrimination” has been used to designate adverse treatment on the grounds of genetic makeup. However, the full spectrum of possible disadvantage associated with genetic information has not been addressed by either the international scientific debate or statutory arrangements on genetic discrimination. Informed by legal contexts, they almost all focus on one specific group: the “asymptomatic ill.” On the basis of the sociological study, “Genetic Discrimination in Germany,” this article proposes to revise the terms of the debate and discusses some limitations of the concept. Drawing on the experiences reported by affected individuals, it advocates a more expansive social understanding which does not require that a person has to be healthy to be at risk of genetic discrimination.
Article
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The development of genetic technologies in recent decades has provided an opportunity to obtain quite extensive information about the predisposition of people to hereditary diseases and the ability to perform a particular job. The fears have risen in the public opinion that spreading of genetic data may cause the creation of specific underclass of the carriers of ‘defective’ genomes. The people belonging to this underclass may become victims of discrimination as they will be perceived by employers and insurance companies as creators of additional financial risks. The article deals with the legal issues related to the approaches to the definition of genetic data, the norms regarding the protection of genetic information as personal data of employees. It also contains the analysis of the anti-discrimination legislation adopted in the US and other countries aimed at protecting against genetic employment discrimination. Conclusions are made regarding the prospects of modifying Russian labor legislation as a response to the identified new technological challenge. Since genetic data includes information related not only to a particular employee, but also to his or her relatives, the protection against the unlawful processing and dissemination of such personal data should be broader than for other types of personal data. Countering genetic discrimination is also inextricably linked to the protection of personal data. This is due to the fact that protection against discrimination on this basis should begin with the introduction of measures to counteract the collection by employers of genetic information related to an employee or a candidate for employment, except in cases where such collection is necessary to prevent danger to human life and health.
Article
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Genetics has advanced to the point where genetic data on an individual could mark them as predisposed to hereditary illness or unsuitable for certain kinds of jobs. There is widespread apprehension that workers with ‘problematic’ genetics will be singled out by employers and insurance companies for treatment as second-class citizens with restrictions placed on their rights. The article takes up the legal issues involved in defining the concept of genetic data, in regulating genetic information as a type of personal information, and in applying genetic antidiscrimination laws in various countries. Legal restraints on genetic information must be more extensive than on other personal information about a worker because genetic data has implications for their biological relatives. Protection against genetic discrimination must therefore begin with barring employers from collecting genetic information on workers unless it is necessary to prevent hazards to people’s lives or health.
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Der Beitrag diskutiert mögliche Verknüpfungen der Analyse genetischer Diskriminierung mit der Analyse sozialer Ungleichheiten. Präsentiert werden Ergebnisse einer Befragung von Hämochromatose-Betroffenen, die im Rahmen der ersten systematischen Untersuchung zu genetischer Diskriminierung in Deutschland erhoben wurden. Die hier geschilderten Erfahrungen und Befürchtungen werden anhand des Bourdieu’schen Konzepts unterschiedlicher Kapitalsorten in ihrer Verknüpfung mit Strukturen sozialer Ungleichheit diskutiert. Dabei zeigen sich, so die abschließende These, genetische Diskriminierung und die Funktionsweisen sozialen/symbolischen, ökonomischen und kulturellen Kapitals als wechselseitig konstitutiv für die Etablierung der jeweils anderen Hierarchiebildung.
Book
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In Deutschland begeben sich immer mehr Paare mit unerfülltem Kinderwunsch in medizinische Behandlung. In einer ethnographischen Fallstudie untersucht Charlotte Ullrich auf Grundlage von teilnehmender Beobachtung, qualitativen Interviews und Dokumenten die Behandlungspraxis einer reproduktions- und einer alternativmedizinischen Klinik – und zeichnet nach, wie der Kinderwunsch im Therapieverlauf in ein medizinisches Problem transformiert wird. Dimensionen der Analyse sind: Positionierungen und Strategien des medizinischen Personals und der Paare, organisatorische Abläufe und der Einsatz von Technik. Gleichzeitig wird aufgezeigt, wie Tendenzen der Medikalisierung in den gesellschaftlichen Kontext und die Lebenswelt der Paare eingebettet sind.
Article
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Three broad axes of change in the contemporary government of pregnancy are presented as a case study of governance: the subjectification of the foetus, antenatal risk management and liberal government of pregnancy. Qualifying studies that privilege popular visual representation of the foetus, the formation of the ‘public foetus’ is argued to be the object and effect of a co-patterning of lingual and visual distinctions across a variety of biomedical text types. The second axis of change, risk management of pregnancy, is shown to be a clinical risk technique conforming to neither insurantial nor neoliberal risk organization, thereby suggesting the heterogeneity of risk technologies. Lastly, struggles to govern pregnancy consistently with patient autonomy/freedom display what Foucault termed the ‘polymorphism’ of liberalism as a political rationality. The practices of freedom develop polymorphicly in relation to claims of unfreedom; the rationality of liberal governance establishes the practices of freedom as a field of constrained conflict.
Chapter
Diese Argumentation Ruth Hubbards greife ich auf und diskutiere die in die theoretischen Modelle, die Praxisfelder und die Legitimationsstrategien eingelagerten Gender-Dimensionen. HumangenetikerInnen agieren als Designer und Konstrukteure von Körpern, die den Bedürfnissen der Gesellschaft in optimaler Weise entsprechen sollen. Sie erzeugen neue soziale Differenzierungen oder verfestigen bestehende Differenzen. Zugleich greift die Humangenetik auf soziale Ordnungmuster und vorgefundene Geschlechterverhältnisse zurück, um ihre Angebote zu generieren und mit Akzeptanz auszustatten. Diese sozialen Dimensionen bleiben jedoch wie in einem Behälter verborgen und präsentieren sich stattdessen als ,biologische Fakten‘. Umhüllt von dieser ,natürlichen‘ Aura scheinen sie weder erklärungsbedürftig noch der sozialen Aushandlung und der Veränderung zugänglich zu sein.
Article
The Double-Edged Helix explores the impact of recent genetic discoveries on both different population segments and society as a whole. The authors address the medical and ethical implications of the new technologies, outlining potential positive and negative effects of genetic research on minorities, individuals with disabilities, and those of diverse sexual orientations. Presenting a wide array of perspectives, this book emphasizes the need to ensure that research into genetics research does not result in discrimination against people on the basis of their DNA.
Article
In 1999, only 20 studies in the public health literature employed instruments to measure self-reported experiences of discrimination. Fifteen years later, the number of empirical investigations on discrimination and health easily exceeds 500, with these studies increasingly global in scope and focused on major types of discrimination variously involving race/ethnicity, indigenous status, immigrant status, gender, sexuality, disability, and age, separately and in combination. And yet, as I also document, even as the number of investigations has dramatically expanded, the scope remains narrow: studies remain focused primarily on interpersonal discrimination, and scant research investigates the health impacts of structural discrimination, a gap consonant with the limited epidemiologic research on political systems and population health. Accordingly, to help advance the state of the field, this updated review article: (a) briefly reviews definitions of discrimination, illustrated with examples from the United States; (b) discusses theoretical insights useful for conceptualizing how discrimination can become embodied and produce health inequities, including via distortion of scientific knowledge; (c) concisely summarizes extant evidence--both robust and inconsistent--linking discrimination and health; and (d) addresses several key methodological controversies and challenges, including the need for careful attention to domains, pathways, level, and spatiotemporal scale, in historical context.
Article
In this article I explore the intersections among behavioral genetics, ‘new’ eugenics, and disability and their implications for future conceptualizations of impairment and its perceived role in socially deviant behavior and societal ‘reform’. Critics from a number of different backgrounds have pointed out the shortcomings of behavioral genetics, most notably that it has not yielded any meaningful findings. Missing from most discussions, however, is a critical assessment of the degree to which genetic research remains reliant upon socially constructed notions of impairment. In this article I offer an initial foray into this often neglected thread in an otherwise powerful critique of behavioral genetics. I contend that any future discussions of the intersection of behavioral genetics, ‘new’ eugenics and disability must contain a critical analysis of the psychiatric and psychological ‘disorders’, ‘defects’, ‘illnesses’ and ‘conditions’ at the center of most research programs.
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Beim Nachdenken über Homosexualität im Kontext von sozialer Ungleichheit und Diskriminierung ist zunächst zu konstatieren, dass sich die rechtliche Situation von Lesben und Schwulen infolge der Gesetzgebung zur Registrierung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, in dem sexuelle Identität explizit als möglicher Grund von Benachteiligungen genannt wird, in den letzten zehn Jahren merklich verändert hat und, dadurch befördert, homosexuelle Lebensformen stärker in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt sind. Auch in wissenschaftlichen Diskursen, beispielsweise der Familiensoziologie, der Geschlechterforschung und der Pädagogik, werden „sexu elle Identität“, „sexuelle Orientierung“ und „Homosexualität“ häfiger explizit benannt und teilweise in empirischen Studien und wissenschaftlichen Publikationen berücksichtigt. Bei näherer Betrachtung ergeben sich jedoch spezifische Schwierigkeiten bei der Einschätzung, wie sich diese, auf den ersten Blick als nachlassende Diskriminierung und wachsende gesellschaftliche Anerkennung auf juristischem, politischem und wissenschaftlichem Gebiet erscheinende Entwicklung auf die alltägliche Situation von Homosexuellen in der Gesellschaft auswirkt.
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Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung der Frauen in Deutschland. 10% erkranken lebenslang, das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 65 Jahren. Bei einer kleinen Gruppe von Frauen liegt das Erkrankungsrisiko jedoch sehr viel höher: Sie erkranken zu 85% mit einem mittleren Erkrankungsalter von 45 Jahren. Die allgemeinen Präventionsmaßnahmen sind in dieser Hochrisikogruppe nicht ausreichend.