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Um dieser „Nutzung“ der Höhle Einhalt zu gebieten, ver-
anlasste Herzog Rudolf August, der Nachfolger von Au-
gust dem Jüngeren, das erste Höhlenschutzgesetz der
Welt. Hofrat Simon Finck dekretiert am ..:
„[…] wasmaßen sich leichtfertige Leute erkühnen in
der Baumannshöhle Ihres Gefallens alles was loß will
abzuschlagen und was nicht loß will zu verderben […]
der Obrigkeit angezeigt und unnachlässig gestra
werden […]“ (vollständiger Text: Kempe et al. ).
Er bestellt auch gleich einen hauptamtlichen Höhlenfüh -
rer, den Bergmann Hans Jürgen Becker, der erste haupt-
amtliche Höhlenführer, der namentlich bekannt ist.
Die damals auf nur Meter Länge bekannte Bau-
mannshöhle war der große Tourismusmagnet, den jeder
Harzreisende gesehen haben musste. Sie war damit ver-
mutlich keine Konkurrenz für die zwar auch in der Li-
teratur bekannte, aber doch sehr abgelegene Adelsberger
Grotte (Postojnska jama) in Krain in Slowenien. Vor
war von ihr ebenfalls nur ein etwa Meter lan-
ger Gang bekannt, der heute in der inzwischen bis auf
, Kilometer Länge erforschten Höhle nicht mehr ge-
führt wird. Ein Kupferstich von Valvasor von zeigt
wilde Gestalten, zu Stein gefroren, so als seien Dämonen
und Trolle mitten in einem verrückten Tanz erstarrt
( .). Der „groteske“ Stich steht im Kontrast zur
Aussage Valvasors, der bereits einige Tausend Jahre für
die Bildung von Tropfsteinen annimmt. Dass er damit
eine ganz moderne Ansicht äußerte und sich in den Ge-
gensatz zu kirchlichen Überzeugungen brachte, liegt
vermutlich daran, dass er die epochale Publikation des
Bischofs James Ussher von nicht kannte, die die
Entstehung der Erde bindend auf den . Oktober
v. Chr. festlegte. besuchte Josef Anton Nagel
(Kapitel) ebenfalls die Adelsberger Grotte und fand
einen dünnen Sinterlm auf einer Jahre alten In-
schri. Aus dieser Wachstumsrate errechnete er (Nagel
, Shaw ) für die großen Säulen in der Höhle von
Kleiner Ausflug in die Geschichte
Das ist das internationale Motto der Speläologie und
des Höhlenschutzes. Dieses Kapitel beschäigt sich mit
der Bildung und Vielfalt der Höhlensinter, es ist keines-
falls als Auorderung zum Sammeln gedacht. Höhlen
sind überall geschützt, das Beschädigen von Tropfsteinen
ist somit straar und Höhlenforscher- sowie Natur-
schutz vereine zeigen jeden unbefugten Eingri an!
Die folgenden Sätze stammen von Lady Elisabeth
Craven über ihren Besuch in der Grotte von Antiparos
im Mai (Craven ):
„Das Wasser, das beständig Tropfenweise von der
Höhe der Grotte herabtröpfelt, verhärtet sich, und
nach und nach erhält der erste Tropfen eine Festigkeit
gleich einer dünnen Schaale; der nächste verbreitet
sich um den ersten, so daß, wenn man etwas ab-
bricht, und die hängende Spitze untersucht, an ihrem
Ende immer ein Tropfen klares Wasser steht, und es
vielen gläsernen Röhren gleicht, die ineinander ste-
cken, wovon die letzten einen weitläuigren Zirkel
bilden, als die früher verhärteten Tropfen. Diese sind
von einer schönen Farbe wie Alabaster. Die Altäre
und Pfeiler, die von der Erde heraufsteigen und die
größten Mannspersonen an Höhe übertreen, sind
von anderer Farbe als die herabhängenden, nemlich
von einem grauen Braun, und sie sind augenschein-
lich härter als der härteste Stein, obschon ebenfalls
von dem Herabtröpfeln des Wassers entstanden. Es
muß dem Naturforscher wichtig seyn zu erklären,
warum dieselbe Materie in derselben Athmosphäre
in ihren Verhärtungen verschiedene Versteinerungen
hervorbringt. Mir scheint die Ursache sehr natürlich;
denn im ersten Fall schwebt der Tropfen, und man
möchte sagen, er verhärtet sich in der Lu. Im an-
dern aber tuhet er auf dem Fels und versteinert sich
allmählig, wie Sand in den Eingeweiden der Erde.“
Kleiner Ausug in die Geschichte
Die älteste Darstellung von Stalagmiten ndet sich auf ei-
nem Bronzeband des Palasttors des assyrischen Königs
Shalmaneser III. (Shaw ), das im Britischen Muse -
um ausgestellt ist. Es stellt eine Expedition zum Oberlauf
des Tigris dar, bei der der König oder persönlich
eine Höhle besuchte. Die älteste Beschreibung von Sin-
tern ndet sich bei Plinius dem Älteren:
„In den Höhlen des Berges Corycus härten die Trop-
fen, die durch den Berg sickern, zu Stein. Ebenso ver-
steinert das Wasser, das an der gewölbten Gesteins -
decke in Mieza in Mazedonien hängt, während es in
Corycus nur verhärtet, nachdem es von der Decke
gefallen ist. In anderen Höhlen versteinert das Wasser
an beiden Stellen und bildet auf diese Weise Säulen,
wie wir sie in den großen Grotten bei Phausia in
Karien, gegenüber von Rhodos, nden, wo die Säulen
in verschiedenen Tönen gefärbt sind.“
Die erste Beschreibung von Tropfsteinen in der europä -
ischen Neuzeit lieferte Berthold Buchner in seinem
Bericht eines Besuchs in der Breitenwinner Höhle in
Franken. Wenig später, , veröentlichte Conrad Gess -
n
er das erste Bild eines Stalaktiten, den er aus der Bau-
manns höhle erhalten hatte. Auch aus China kennt man
realistische Bilder von Stalagmiten und Stalaktiten aus
dem Jahr (Shaw ). Das erste perspektivische Bild
des Inneren einer Höhle mit Sintern (wenn auch hoch
stilisiert) zeigt die vordere Halle der Baumannshöhle
(Kapitel, .), es wurde auf persönlichen Wunsch
Herzogs August des Jüngeren von Braunschweig-Wol-
fenbüttel nach einem Besuch in der Höhle angefertigt
(Merian ). Zu den Tropfsteinen wird gesagt:
„Wasser in der Höhlen stets […] Tropfenweise nieder
fället / so hängen sich oben an die Steine von solchen
Tropen / in Gleichmaß der Eißzapen / lange dünne
Steine / gantz weisser Farben / welche mit Verwunde-
rung in grosser menge herauß gebracht / verkau /
zu Pulver gestossen / und dem schadhaen Viche in
die Wunden mit grossem Nutzen gestrewet werden.“
76
7. Steter Tropfen baut den Stein
Tropfsteine und Höhlenminerale
Stephan Kempe
„Hinterlasse nichts außer Fußabdrücken,
schlag nichts tot außer der Zeit,
nimm nichts mit außer Fotos!“
. Sintersäulen
im alten Teil der
Adelsberger Grotte
aus dem Buch von
Valvasor „Die Ehre
des Herzogtums
Krain“ von .
Original: Universi-
täts- und Landes -
bibliothek Darm-
stadt, Sign. Gün de -
rode -.
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79
Die Chemie der Tropfsteinbildung
Corniale (Vilenica jame) mit „sechs Schuh“ Durchmes-
ser ein Alter von Jahren. Aber anstelle Zweifel am
statischen Ussher-Weltbild zu äußern, schreibt er: „Da
aber seit der Sintut nur Jahre verossen seien,
müssen sich Irregularitäten ereignet haben“. (Allerdings
unterläu Nagel hier ein Fehler: Ussher datierte die Sint-
ut auf das Jahr v.Chr.; A.D. wäre also das
Jahr n. d.S. und nicht . Nach seiner Rechnung
wäre die biblische Sintut bereits Jahre nach der
Schöpfung hereingebrochen!). Trotzdem – vermutlich
mit einem Augenzwinkern – meldet er Zweifel an der
dogmatischen Auassung an, wenn er sagt:
„Doch ist gewiß, daß sie [die Anwachsung des Tropf-
steins] sehr lang zugehe [benötige], weil sonst die
Höhlen in gar kurzer Zeit mit Tropfstein durchgehend
angefüllet werden, folglich den Wässern zu ihrem
Lauf kein Raum mehr übrig bleiben werde.“
Nur sieben Jahre später () sollte Immanuel Kant
die biblische Sicht der Geschichte endgültig mit seiner
„Allgemeinen Naturgeschichte und eorie des Himmels“
ad absurdum führen, und legte James Hutton mit
„eory of the Earth“ die Grundlage für eine mehr wis-
senschaliche Betrachtung des Erdalters. Trotzdem n-
det sich noch bei Brederlow die Angabe, dass man
in der Baumannshöhle Sinterschichten gezählt
habe. Sicherheitshalber und mit Blick auf die Kirche
vermerkt er aber, man könne nicht schon deshalb auf ein
„zwanzigtausendjähriges Alter unserer Erde“ schließen.
Irrwege zur Wahrheit
Etymologisch sind die Begrie „Stalaktiten“ und „Sta-
lagmiten“ alt. Das griechische Wort „staktos“ bedeutet
tröpfelnd, tropfenweise abrinnend, während „ho stal-
gamós“ das Getröpfel, Tropfen bedeutet, abgeleitet vom
Verb „stalásso“ oder „stalátto“ für triefen, tropfen und
triefen lassen. Im barocken Zedler-Lexikon von
nden sich beide Worte, allerdings latinisiert als „Sta-
lactitis“ und „Stalagmitis“.
Früh beschäigten sich die Naturforscher mit der Art
der Bildung dieser Höhlenprodukte (Shaw ). Ei-
nige nahmen an, die Tropfsteine wachsen unterirdisch
vegetabilisch, andere meinten, es handele sich – wie
beim Bergkristall – um tiefgefrorenes Wasser, oder eine
petrizierende Kra versteinere das Tropfwasser oder die
große unterirdische Stille zwinge es zur Kristallisation.
Auch spekulierte man, ob Stalaktiten nicht aus Dämpfen
sublimieren, und Georg Agricola (–) über-
legte, ob sie sich nicht aus einem speziellen „Succus“ oder
„Humor“ (Sa) bilden. Erst Bernard Palissy ( [?]–
) kam zu der Überzeugung, dass das Wasser ein ge-
löstes Salz enthielte. Johann Gottlob Lesser erkannte
, dass an der Kalklösung ein „spiritus acido-äereus“
ein „saurer Lugeist“ (das heißt Kohlendioxid) beteiligt
war – damals eine beachtlicher Erkenntnisschritt. Noch
klarer formuliert Zückert ():
„Die Entstehung des Tropfsteins ist nicht schwer zu
erklären. Man kann sie in der Höle [Baumannshöhle]
nicht ohne Vergnügen deutlich betrachten. Die Was-
ser, welche aus dem geschmolzenen vielen Schnee, der
die Gebürge dieser rauhen Gegend sehr stark bedeckt,
entstehen, ferner die vielen Regenwasser, und der auf
den Gebürgen sich senkende au und Nebel, dringen
durch die Ritzen der Steine und durch deren kleine
Löcher immer tiefer ins Gebürge, bis sie in denen
Klüen tropfenweise wieder herabfallen. Bey diesem
Durchgang durch die Steine grei das diesen Wassern
vermuthlich beygemischte sauersalzige Wesen die
Kalk- und Spathartige Steine an, löset einen eil da-
von auf, und bringet sie mit dem Wasser in die Klüe,
wo sie, nachdem das Wasser, nach und nach weg-
dunstet, wieder aggregiret, und in einen Crystallli-
nisch lamellösen Körper verwandelt werden, dessen
Lamellen aber sehr unordentlich, und halb schief, bald
perpendiculair, bald horizontell übereinander liegen,
nachdem die Wassertropfen bald so oder anders, auf-
einander gefallen sind. Auf eben die Art werden auch
die verschiedenen Gestalten des Tropfsteins erzeuget.“
Sowohl Lesser als auch Zückert glauben allerdings noch
an die Verdunstung als Hauptfaktor der Kalkabschei-
dung – ein Fehler, denn man leider auch noch in heuti-
gen Lehrbüchern ndet. Bereits hat aber Louis
Bourget bemerkt, dass bei der Kristallisation „Lu“ ent-
weicht. Dieses als „xe Lu“ den frühen Chemikern be-
kannte Substanz ist Kohlendioxid, CO. Sie konnte erst
mit der Entdeckung des Elementes Sauersto (
durch Joseph Priestly und Carl Wilhelm Scheele) de-
niert werden. Es war dann der berühmte Paläontologe
Georges Cuvier (–), der als Erster die Verhält-
nisse der Sinterbildung richtig darstellte:
„Bestimmte Wässer, nachdem sie mit der überall vor -
handenen Kohlensäure imprägniert wurden und so
kalkige Substanz gelöst haben, erlauben, nachdem die
Säure evaporiert ist, deren Kristallisation und bilden
in dieser Weise Stalactiten und andere Kon kretionen.“
78
7. Tropfsteine und Höhlenminerale
. Schema der Sinterentstehung und der verschiedenen Sinterarten sowie die
CO-Druckverteilung im System Höhle. Die Grenzfälle A und B sind im Text erläutert
(CO= Kohlendioxid; pCO= Partialdruck des CO; ppm = ,Vol.-; ppm =
, Vol.-; ppm = , Vol.-; = unterste Sedimentschicht, die sowohl eine
durch Eis gefällte ältere Sintergeneration als auch fossile Knochen, zum Beispiel vom
Höhlenbär, enthalten; = Sintergeneration der nächsten Warmzeit; = Versturzschicht
aus einer weiteren Kaltzeit, a = abgerissene Stalagmitenspitzen; = von der Decke
abgerissene Stalaktiten; – = Sintergeneration des Holozäns: = Sinterdämme,
= übersättigter See mit Unterwassersinter und Kalzit-Flößen, = geschichteter Boden-
sinter, = Kerzenstalagmit, = Sintersäule, = Stalagmit aus zwei Sintergenerationen,
= Sinterfahne, = Sintervorhang mit Endstalaktit, = Stalaktiten, = Stalaktit,
= Makkaroni, = Excentriques). Quelle: erweitert nach Kempe
Ähnlich korrekt formuliert es auch Hohenwart .
Schließlich erkannte Liebig , dass das COquanti-
tativ aus der Bodenlu stammt, und dass bei der Kris-
tallisation auch nicht alles COentweicht und nur ein
Teil des Kalkes wieder ausfällt.
Die Chemie der Tropfsteinbildung
Somit war Anfang des .Jahrhunderts der wesentliche
Prozess der Tropfsteinbildung funktional geklärt. Die
ermodynamik, das heißt die Frage nach der Menge,
und die Kinetik, also die Frage nach der Geschwindig-
keit, werfen allerdings immer noch Fragen auf, die wei-
terhin erforscht werden. Heute schreibt man kurz:
. Schritt (Kohlensäurebildung im Boden)
CO (biogen) + HO HCO H++ HCO-
. Schritt (Kalk-Säure-Reaktion im Höhlendach)
H++ HCO-+ CaCO (Gestein) Ca+ + HCO-
. Schritt (Kalkfällung in der Höhle)
Ca+ + 2HCO- CaCO (Sinter) + CO+ HO
Diese Reaktionen zeigen, dass die Sinterbildung letztlich
durch den Kohlendioxiddruck geregelt wird. Je höher
dieser über der Lösung ist, desto mehr CaCO-kann ge-
löst werden (Kapitel). Allerdings ist diese Beziehung
nicht linear, denn mit stetiger Erhöhung des CO-Drucks
steigt die Gleichgewichts-CaCO-Kon zentration immer
langsamer.
Die chemischen Formeln räumen aber auch mit zwei
häugen Fehlvorstellungen auf: Erstens benötigt der
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. Stalaktiten mit
konischem Wachs-
tum im Herbstlaby-
rinth in Hessen.
Foto: S. Kempe)
81
Speläothem-Typen
. Stalaktiten un-
ter einer Betonbrü-
cke in der Črna
jama in Slowenien.
Foto: S. Kempe
80
7. Tropfsteine und Höhlenminerale
Vorgang über der Höhle eine Boden- und Panzendecke,
um genügend COzu erzeugen, und zweitens spielt die
Verdunstung für die Höhlensinterbildung keine Rolle.
Die CO-Entgasung des Sickerwassers ist als Ursache
ausreichend.
Diese Verhältnisse zwischen Atmosphäre, Bodenlu
und Höhlenlu sind in Abbildung . dargestellt. Im
Falle B fehlt die Panzendecke. Dort kann sich das ver-
si ckernde Wasser nur mit dem CO-Druck der Lu an-
gleichen. Er beträgt heute lediglich ppm (oder
, Prozent). Sobald das Wasser in die Klüe eindringt,
kann kein COnachgeliefert werden (geschlossenes Sys-
tem). Bei der Kalklösung wird ein Teil des COver-
braucht, das heißt, der CO-Druck sinkt sogar unter den
der Lu. Tritt nun das Wasser unten an der Höhlendecke
aus, ist sein CO-Druck unter Umständen sogar so nied-
rig, dass es aus der Höhlenlu weiteres COaufnimmt
und die Decke korrodiert. Höhlen haben immer einen
mehr oder weniger schnellen Austausch mit der Außen -
lu, sodass ihr CO-Druck meist zwischen und
ppm liegt (beziehungsweise zwischen , und
, Volumen-Prozent). Höhere Werte kommen gelegent -
lich in schlecht belüeten Bereichen vor (Kempe et al.
); in einigen Höhlen mit vulkanischen Gasquellen
können sogar Konzentrationen von über Volumen-Pro -
zent aureten – tödlich für Säugetiere! In der Hundsgrot -
te bei Neapel gibt es zum Beispiel hinter der Eingangs-
schwelle einen etwa Zentimeter tiefen CO-„See“, der
bei kleinen Hunden letal wirken kann. Da im Hochge-
bir ge häug die Bodendecke auf den schroen Kalkklip -
pen fehlt, gibt es in den Gebirgshöhlen meist weniger
Sinter als in den Höhlen der bewaldeten Mittelgebirge.
Sinter kann sich nur dort bilden, wo es genügend Bo-
den über den Höhlen gibt. Im Fall A der Abbildung.
ist dies wegen der notwendigen Schematisierung auf
Erdfälle (links) und Lösungsdolinen (Mitte) beschränkt.
Im Boden kann sich Sickerwasser mit dem dort herr-
schenden hohen CO-Druck ins Gleichgewicht setzen.
Er stammt aus der bakteriellen Zersetzung von Pan-
zenmaterial und aus der Wurzelatmung der Vegetation.
Im Boden kann der CO-Druck leicht ppm (=
Prozent) erreichen, das ist bis zu -mal höher als in
der Atmosphäre. Bei der Bodenpassage des Sickerwas-
sers entsteht eine kohlensäurehaltige Lösung mit einem
sauren pH-Wert. Beim Kontakt mit dem Kalk im Un-
terboden neutralisiert sich die Säure durch Reaktion mit
Kalziumkarbonat. Die Auösung geht in den Klüen
weiter, die ein geschlossenes System bilden. Dabei wird
weiter COverbraucht, ohne dass es aus der Bodenlu
nachgeliefert wird, das heißt, der interne CO-Druck
der Lösung sinkt. Trotzdem ist der Gleichgewichtsdruck
der Sickerwässer noch sehr hoch, höher als der CO-
Druck in der Lu der darunterliegenden Höhle. Tritt nun
das Wasser in die Höhle aus, entgast CO, die Lösung
muss sich an die neuen Bedingungen anpassen. Dabei
gerät die CaCO-Lösung in eine sehr hohe Übersätti-
gung, etwa das - bis -fache seiner neuen Gleichge-
wichtskonzentration. Sie ist notwendig, um überhaupt
Kalk schnell genug auszufällen (Kempe & Kazmierczak
, Svensson ). Nahe dem Gleichgewicht gibt es
keine merkliche Kalkabscheidung, sie wird vermutlich
durch eine „Vergiung“ der Oberäche durch gitter-
fremde Ionen wie Magnesium, Phosphat oder Alumini-
umsilikate verzögert (Eisenlohr et al. ). Diese Ver-
zögerung der Ausfällung bis in hohe Übersättigung
bewirkt, dass das Wasser eine ganze Zeit abrinnen kann,
bevor es Kalk ausfällt, beziehungsweise dass es über eine
größere Rinnstrecke bei weiterer CO-Abgabe auch re-
la tiv gleichmäßig Kalk fällen kann.
Speläothem-Typen
Die beschriebenen chemischen Voraussetzungen be-
stimmen zusammen mit der Sickerwassermenge und
den aktuellen CO-Druck-Verhältnissen die Formen der
unterirdischen Tropfsteinpracht. Es gibt Dutzende Ty-
pen, die man unter dem Namen „Speläotheme“ (der Be-
gri wurde von Moore, , eingeführt) zusammen-
fasst. Die häugsten Typen sind in der Abbildung.
skizziert.
An der Decke bilden sich bei niedriger Tropfrate und
punktueller Wasserzufuhr sogenannte Makkaroni
( .). Dies sind Röhrchen, die bis zu einige Meter
lang werden können. Unter günstigen Bedingungen be-
stehen sie aus wenigen Kristalliten. Makkaroni wachsen
nur am unteren Rand weiter. Der Tropfen muss aber ge-
nügend Zeit zur Entgasung haben, sonst kann er nicht
die notwendige Übersättigung erreichen. Wenn die
Tropfstelle nicht genau deniert ist, kann sich keine
Röhre bilden und stattdessen wächst ein konischer Sta-
laktit von der Decke. Bei konstanter Wasserzufuhr und
fehlenden Fremd-Ionen können sich sogar monokris-
talline Stalaktiten bilden, die fast durchsichtig sein kön-
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zweigen; andere gleichen Spießen. Die stärkeren Formen
können ngerdick und spitz sein (vermiformes). Freie
Flächen kommen vor, sind aber nicht die Regel. Excen-
triques wachsen vermutlich kapillar gesteuert. Die Ka-
pillare im Inneren ist etwa ,Millimeter breit und
manchmal perlschnurartig eingeschnürt, vielleicht durch
jährliche Wachstumsänderung. Hochgerechnet können
Excentriques etwa Zentimeter in Jahren wach-
sen (Kempe & Spaeth ). Sie sprießen aus dünnen
Wandfugen, aus Rissen in Makkaroni oder Wandsinter.
Die meisten Excentriques sind monokristallin, aber es
gibt auch bis Zentimeter dicke polykristalline Formen
wie in der Mammoth Cave in Kentucky und in der Carls-
bad Cavern in New Mexico, die wie Stummelgeweihe aus
der Wand wachsen. Dort wachsen im „vegetable garden“
über Zentimeter hohe Excentriques wie Gemüse aus
einer Sinterplatte ( .). Ob sie auch durch Kapilla-
ren gesteuert werden, ist unklar, denn die Stücke beste-
hen aus undurchsichtigem Kalzit. Man vermutet, dass
der hydrostatische Druck das Kluwasser langsam durch
die Kapillare treibt. An der Spitze kommt es dann zu
CO-Verlust und zum Wachstum.
Trop das Wasser schließlich zu Boden, dann ver-
breitert sich der Wassertropfen schlagartig, vergrößert
seine Oberäche und verliert sehr schnell CO. Dabei
fällt fast der gesamte Kalk aus und es wachsen Stalag-
miten vom Boden hoch. Bei gleichmäßigem Tropfen
kann schlanker Kerzenstalagmit wachsen ( ., .;
.). Meist zeigt sich, dass Stalagmiten aus gestapel-
ten Kappen bestehen. Dies ergibt sich auch aus theore-
tischen Berechnungen bei der die Tropfrate, die CO-
Druckunterschiede und die CaCO-Konzentration
berücksichtigt werden (Dreybrodt & Franke , Drey-
brodt ). Die Wachstumsrate hängt unter anderem
entscheidend von der Temperatur ab. So verdoppelt sich
das Wachstum von , auf ,Millimeter pro Jahr bei
hohen Troprequenzen (Tropfabstände kleiner als
Sekunden) und einem Temperaturanstieg von °C auf
°C. Dies entspricht auch den beobachteten Wachs-
tumsraten, die sich zwischen einigen Hundertsteln und
einigen Zehnteln Millimeter pro Jahr bewegen (Baker et
. Der „Gemüse -
garten“ in der
Carlsbad Cavern.
Foto: S. Kempe
83
Speläothem-Typen
. Kristallächen
von Kalzit-Stalakti-
ten. Die Zahlen
bezeichnen die In-
dizes der kristallo-
graphischen Flä-
chen des Kalzits.
Quelle: Onac
82
7. Tropfsteine und Höhlenminerale
. Die berühmte
durchscheinende
Fahne im Haupt-
gang der Adelsber-
ger Grotte (Post-
ojnska jama) in
Slowenien. Foto:
S. Kempe
. Glasklare
Excentriques im
Herbstlabyrinth
in Hessen. Foto:
S. Kempe
nen ( ., . ; .). Da das Wachstum paral-
lel der kristallographischen C-Achse am schnellsten ist,
zeigt sie bei den meisten Stalaktiten und Makkaroni
nach unten ( .), aber nicht unbedingt parallel zur
Längsachse. Bei Trockenheit stoppt das Wachstum, es
können radial gerichtete Kristallite aufwachsen und es
kann sich eine Bänderung bilden, ähnlich den Baum-
ringen. Stalaktiten können Makkaroni überwachsen, da-
bei bleibt manchmal die Röhre erhalten, manchmal wird
sie sekundär verschlossen. Stalaktiten sind die häugsten
Sinterformen, sie können in seltenen Fällen wenige Me-
ter lang werden. Gewicht und die Haung an der Decke
setzen ihrem Wachstum eine Obergrenze.
Wenn Wasser auf einer geneigten Deckenrippe ab-
läu, dann bewirkt die lange Gleichgewichtseinstellung
die Bildung von Fahnen und Gardinen (.). Sie
bestehen aus einer palisadenartigen Anordnung von
nach unten gerichteten Kristalliten. Häug sind sie ge-
bändert, sodass sie im Durchlicht an Speckseiten erin-
nern. Manche Fahnen enden, wenn das Wasser noch ge-
nügend Kalk enthält, in Stalaktiten.
Excentriques oder Helictiten sind irreguläre Speläo -
the me. Bereits Ulysse Aldrovandus (–) hat sie
abgebildet (Aldrovandus ) und Gottfried Wilhelm
Leibniz (–) beschreib sie in der „Protogaea“ aus
der Baumannshöhle (). Über ihre genaue Entste-
hungsweise besteht keine Einigkeit. Die ganz ligranen
Formen (liformes) können sich in alle Richtungen win-
den ( .), zum Teil haben sie das Aussehen kleiner
Perlschnüre. Sie können sich zu kleinen Bäumchen ver-
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es zum erneuten Ansatz von radial aufwachsenden Kris-
talliten kommen. Wachsen Stalaktiten und Stalagmiten
lange genug aufeinander zu, dann bilden sich Säulen, die
in manchen Höhlen zu unterirdischen Waldungen zu-
sammentreten können ( ., . ).
Auch am Boden gibt es die verschiedensten Sinter-
bildungen, zum Beispiel Höhlenperlen. Sie bilden sich in
kleinen Taschen, über die übersättigtes Wasser strömt
oder in die ständig Wasser prasselt, sodass die schichtig
aufgebauten, zentimetergroßen Perlen ständig bewegt
werden oder vibrieren ( .).
Wenn sich Wasser in Vertiefungen sammelt und rand-
lich überläu, so können sich Sinterdämme (Gours) bil-
den ( ., . ). Diese können meterhoch wer den
und ganze Gänge in Seelandschaen verwandeln
( .). Auch hier gilt: Die Vergrößerung der Ober-
äche beim Ablaufen des Wasserlms über den Rand
führt zur verstärkten Entgasung und damit zur Be-
schleunigung der Kalkfällung. Dies ist ein sich selbst
verstärkender Prozess. Je höher der Damm wächst und
je tiefer das Becken wird, desto kleiner wird das Verhält -
nis von Oberächen zu Volumen und desto langsamer
entgast COaus dem Becken, sodass für den Dammrand
besonders viel Kalk zur Verfügung steht. Trotzdem
kommt es auch im Inneren des Beckens zur langsamen
Kalkfällung. Typischerweise bilden sich meist steile
Rhomboeder- oder Skalenoeder-Makrokristalle ( .,
. ; .).
. Palmstamm -
stalagmiten aus
der Adelsberger
Grotte (Postojnska
jama). Foto:
S. Kempe
85
Speläothem-Typen
al. ). Wachstumsraten von einem Millimeter pro
Jahr können erzielt werden. Schnell wachsende Stalag-
miten können mehrere Millimeter pro Jahr erreichen.
Bei turbulenten, dickeren Filmen können, vor allem an
Sinterdämmen, auch Raten von bis zu Zentimetern
pro Jahr vorkommen (Dreybrodt ). Es zeigt sich,
dass der Durchmesser vor allem von der Wasserlmdi-
cke, dem zeitlichen Abstand der Tropfen und deren Vo-
lumen abhängt. Die Abscheidungsrate ist also vor allem
eine Funktion der CO-Entgasung. Bei Tropfabständen
länger als Sekunden kann der Film zwischen den
Tropfen vollständig seinen Kalk fällen. Die Wachstums-
kappen werden dann nicht über den Rand nach unten
verlängert und der Stalagmit behält eine Minimalbreite
von ungefähr ,Zentimetern.
In den Kalkhöhlen liegen Tropfstellen häug so eng
beieinander, dass gewaltige zylindrische oder kegelför-
mige Stalagmiten oder ganze Stalagmitenmassive entste -
hen können ( .). Bei sehr hohen Fallhöhen zer-
stäubt das Tropfwasser so, dass sich Aufschlagteller bil-
den, die sich zu rauen Palmstammstalagmiten stapeln.
Meterhohe und -dicke Stalagmiten brauchen Zehntau-
sende von Jahren zum Wachstum. Da das Wachstum
sehr stark von der Tropfrate abhängig ist, können gene-
relle Raten nicht angegeben werden. Große Stalagmiten
deutscher Höhlen sind mit Sicherheit nicht im Holozän
gewachsen, sondern stammen aus früheren Warmzeiten.
Einige zeigen deutliche Risse durch Eisschub während
des letzten Glazials ( ., . ). Viele Stalagmiten
sind mehrphasig, das heißt in verschiedenen Warmzei-
ten nach und nach aufgewachsen. Einzelne Stalagmiten
können bis über Meter hoch werden, wie zum Beispiel
der „Goliath“ in der Cottonwood Cave in New Mexico,
der so groß ist, dass er kaum zu fotograeren ist
( .). Der kristalline Auau der Stalagmiten kann
von fast monokristalliner über sehr grob sparitische bis
zu mikrokristalliner Textur reichen. Vor allem bei häu-
ger Wachstumsunterbrechung und Austrocknung kann
. Kerzenstalag-
miten und kaska-
dierte Stalagmiten
in der Krisna jama
in Slowenien. Foto:
S. Kempe
84
7. Tropfsteine und Höhlenminerale
. „Goliath“ aus
der Cotton Wood
Cave, New Mexico.
Foto: S. Kempe
Umbruch_HO?HL.qxd:Layout 1 19.12.2007 17:00 Uhr Seite 84
An Teichen mit übersättigtem Wasser kommt es eben-
falls zur Kalkfällung. Die Kristallite schwimmen auf-
grund der Oberächenspannung und bilden ganze Flöße
aus in das Wasser hinunterwachsenden Kristallen. Sol-
che Flöße („Ras“) können sich am Boden des Teichs
oder randlich zu Schichtpaketen sammeln ( .).
Die Restlösungen laufen über den Boden ab, und bil-
den auch dort über Jahrtausende dicke Sinterschichten
( ., . ). Diese Bodensinter konsolidieren Bruch-
schutt und bedecken ältere Sintergenerationen ( .,
. , ). Bodensinter verlegt häug auch ehemalige
Höhlenfortsetzungen, sodass in vielen Schauhöhlen bei
der Erschließung solche Sinterschichten gesprengt wur-
den.
Höhlenminerale
Fast der gesamte Sinterschatz deutscher Höhlen besteht
aus dem Mineral Kalzit (CaCO). Selten und in kleiner
Menge können andere Ca- und Mg-Karbonate beteiligt
. Rhomboedri-
scher Unterwasser-
sinter in einem Sin-
terbecken und
ache, glasklare
Kristalle im Herbst-
labyrinth in Hes-
sen. Foto: S. Kempe
. Kalzit-Flöße
eines ehemals
hoch übersättigten
Höhlenteichs in
der Endless Cavern
in New Mexico.
Foto: S. Kempe
87
Höhlenminerale
. Höhlenperlen
aus der Adelsber-
ger Grotte (Post-
ojnska jama) in
Slowenien. Foto:
S. Kempe
. Sinterbecken
im Paradies der
Planinska jama
in Slowenien. Foto:
S. Kempe
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7. Tropfsteine und Höhlenminerale
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gibt aber auch Pulver, Wattebälle, Kristallnadeln
( .) und die wie Zahnpasta aus der Wand wach-
senden Gipsblumen ( .), für die vor allem die
Mammuthöhle in Kentucky berühmt ist. Auch die deut-
schen Gipshöhlen bei Segeberg, am Südharz und am
Kyäuser enthalten kleine Gips-Speläotheme, meist
unscheinbare Kristallrasen, radialstrahlige Knollen, dün -
ne Krusten oder kleine Stalaktiten. Die schönsten Gips-
formen sind aus Höhlen bekannt, die durch schweige
Säure gebildet wurden: Bei der Lösung von Kalk wird
Gips ausgefällt, der sich schichtig an Boden und Wänden
ablagert oder als große Kristalle in die noch lösungsge-
füllte Höhle hineinwächst. Die entdeckte Lechu-
guilla-Höhle in New Mexico und die benachbarte Schau-
höhle Carlsbad Cavern gehören zu diesem Höhlen typ
(Widmer ). Weitere häuge Mineralien sind Halit
(NaCl), Epsomit (MgSO· HO) und Goethit (FeOOH)
und – weit verbreitet in alpinen Höhlen – Eis (HO).
. Gipsblumen
aus der New Disco-
very in der Mam-
moth Cave in
Kentucky. Foto:
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Höhlenminerale
sein. Selbst Aragonit, die neben Kalzit häugste CaCO-
Modikation, ist in Deutschland sehr selten. Karbonate
von Eisen, Blei, Kupfer, Zink oder Uran konnten gele-
gentlich auch als Sekundärmineralisationen in Höhlen
nachgewiesen werden. Unter den Mineralen, die
Hill und Forti () als sekundäre Höhlenminerale
auisten, gibt es Dutzende von Sulfaten, Haliden, Phos-
phaten, Nitraten, Boraten, Hydroxiden, Oxiden, Sulden,
Silikaten und seltensten Doppelsalzen. Diese Vielfalt n-
det sich vor allem in ariden Gebieten, in denen die Ver-
dunstung leicht lösliche Salze kristallisieren lässt, wie
zum Beispiel Mirabilit (NaSO· HO, .).
Auch Lavahöhlen, in denen vulkanische Gase die merk-
würdigsten Zusammensetzungen verursachen können,
oder Höhlen, die unter Erzlagern liegen, sodass das Si-
ckerwasser neben Kalzium und Magnesium auch ande-
ren Kationen aufnehmen kann, sind Fundorte seltener
Sekundärmineralisationen.
Gips ist vielleicht das zweithäugste Höhlenmineral.
Es kann als Stalaktit, Stalagmit und Säule aureten, es
. Mirabelit-Blu-
men aus der Salts
Cave, eines Teils
der Mammoth Cave
in Kentucky. Dieses
Salz wurde von den
Woodland-India-
nern gesammelt
und vermutlich als
Laxativum genutzt.
Foto: S. Kempe
. Gipsnadeln,
die aus dem Boden
der Turner Avenue
in der Mammoth
Cave in Kentucky
sprießen. Foto:
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