Im Zuge der Transformation des Stromsystems werden regelbare, konventionelle Kraftwerke durch erneuerbare Energien ersetzt. Da ein Großteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien volatil ist, werden alternative Flexibilitätsoptionen benötigt, um zu jeder Zeit einen Ausgleich von Stromangebot und –nachfrage zu schaffen. Aus diesem Grund befasst sich die vorliegende Dissertation mit der Flexibilisierung der Stromnachfrageseite und geht dabei der Frage nach, inwieweit ein dezentral koordinierter Flexibilitätseinsatz aus lokaler sowie aus systemischer Perspektive vorteilhaft sein kann.
Aus der Volatilität und Dezentralität der Stromversorgung aus Photovoltaik- und Onshorewindenergie-Anlagen resultieren zwei Herausforderungen: Der große Bedarf an Flexibilität, die die volatile Stromerzeugung integriert sowie die zunehmende Komplexität des Stromsystems durch die hohe Anzahl Erneuerbarer-Energien-Anlagen und daraus resultierende bidirektionale Stromflüsse im Mittel- und Niederspannungsnetz. Angesichts dessen spielen dezentrale Energiesysteme eine wachsende Rolle in der Diskussion zur Weiterentwicklung des Elektrizitätssystems. Die vorliegende Dissertation adressiert die skizzierten Herausforderungen; sie besteht aus vier wissenschaftlichen Papieren und damit vier Bausteinen.
Der erste Baustein legt die Motivation dezentraler Energiesysteme dar. Diese sehen vor, Herausforderungen, die aus der zunehmend dezentralen Stromerzeugung resultieren, gleichsam auf dieser Ebene zu adressieren. Dazu wird die lokale Stromerzeugung stärker auf die lokale Nachfrage ausgerichtet, während gleichzeitig Teile der Nachfrage stärker als bislang flexibilisiert werden. Ein wesentlicher Treiber für die Umsetzung dezentraler Energiesysteme ist jedoch auch das Streben nach Energieautonomie. Im Rahmen des ersten Papiers wird daher am Beispiel der Stadt- und Landkreise Süddeutschlands für das Jahr 2030 betrachtet, welche Effekte auftreten, wenn die Energieautonomie auf Stadt- und Landkreisebene durch die verstärkt regionale Nutzung von erneuerbarem Strom erhöht wird. Hierzu wird auch der regionale Einsatz von Flexibilität in Form von Batteriespeichern simuliert. Es zeigt sich, dass eine deutliche Erhöhung der Kapazität Erneuerbarer-Energien-Anlagen in allen untersuchten Regionen wirtschaftlich vorteilhaft ist. Das Erreichen höherer Autarkiegrade verursacht jedoch zusätzliche Kosten und führt zu Überkapazitäten, obgleich die Abhängigkeit vom übergeordneten Stromsystem bestehen bleibt.
Der zweite Baustein der Dissertation nimmt Elektrofahrzeuge als eine vielversprechende Flexibilitätsoption in den Blick. Um das zukünftige techno-ökonomische Potenzial des gesteuerten Ladens für Deutschland zu quantifizieren, wird innerhalb dieses Bausteins von einem zentralen System ausgegangen. Im Rahmen der Untersuchung werden ein Lademanagement von Elektrofahrzeugen sowie Rückkopplungen des Strommarktes modelliert. Hierbei wird einerseits untersucht, welchen Implikationen das gesteuerte Laden auf die Systemlast und den Strompreis hat. Andererseits wird analysiert, wie sogenannte Lawineneffekte, die auftreten, wenn eine kritische Masse flexibler Fahrzeuge unkoordiniert auf ein Signal reagiert, vermieden werden können. Aus den Ergebnissen kann geschlussfolgert werden, dass das gesteuerte Laden von Elektrofahrzeugen ein großes Flexibilitätspotenzial mit positiver Systemwirkung bietet, vorausgesetzt, dass Rückkopplungen der Laststeuerung berücksichtigt werden. Der koordinierte Einsatz kann sich jedoch negativ auf die finanzielle Attraktivität des Lademanagements auswirken.
Aus den Ergebnissen der ersten beiden Bausteine lässt sich schlussfolgern, dass nachfrageseitige Flexibilitäten wie Elektrofahrzeuge prinzipiell ein hohes Potenzial für den Ausgleich von Stromerzeugung und -nachfrage bieten. Gleichzeitig skizzieren die Bausteine die Herausforderungen, die bei einer zentralen, aber auch in einer dezentralen Koordination dieser Flexibilitäten bestehen. Die Konzeptionierung und Umsetzung dezentraler Stromversorgungskonzepte setzt voraus, dass Informationen zu Stromerzeugung, Stromnachfrage und den daraus resultierenden Flexibilitätspotentialen in hoher Auflösung zur Verfügung stehen. Im Rahmen des dritten Dissertationsbausteins wird deshalb eine Methode entwickelt, mit der ein räumlich und zeitlich hochaufgelöster Datensatz erstellt werden kann. Diese wird angewandt, um die Nachfrage und das Angebot für die deutschen Landkreise im Jahr 2030 zu modellieren. Darüber hinaus wird unter Nutzung der regionalen, stündlichen Energiebilanz regionales Lastmanagement simuliert. Außerdem werden die Landkreise abhängig von der Stromnachfrage- und Angebotsstruktur in Cluster eingeteilt. Die Clusteranalyse unterstreicht die hohe Heterogenität zwischen den Regionen im Hinblick auf die Ausgeglichenheit von Angebot und Nachfrage und die Wirksamkeit von Lastmanagement zur Reduktion von Stromimporten und -exporten: Speziell in urbanen Regionen ist die Effektivität von flexiblen Endverbrauchern zur Integration von erneuerbaren Energien über den Tagesverlauf hoch. Regionen mit mittelgroßen Städten oder solche mit kleineren energieintensiven Industrien haben bereits ohne den Einsatz von Lastmanagement vergleichsweise ausgeglichene Energiebilanzen. Hier kann Lastmanagement dennoch effektiv eingesetzt werden, um durch Lastverschiebungen über den Tagesverlauf den Anteil des regional verbrauchten Stroms nochmals zu erhöhen.
Die Modellierung der dezentralen Nachfrageflexibilität im Rahmen des dritten Bausteins der Dissertation basiert hauptsächlich auf technischen Kenngrößen. Funktionierende dezentrale Stromversorgungskonzepte bedürfen darüber hinaus Anreizen, die eine Teilnahme dezentraler Akteure fördern. Dieser Überlegung trägt der vierte Dissertationsbaustein Rechnung: Hierbei wird ein lokaler Strommarkt für Prosumer simuliert. Diese haben die Möglichkeit den flexiblen Anteil ihrer Nachfrage sowohl auf die Stromerzeugung ihrer Erneuerbaren-Energien-Anlagen als auch auf den lokalen Marktpreis anzupassen und minimieren auf diese Weise ihre Strombezugskosten. Der lokale Strommarkt aggregiert den Strombezug und die Stromeinspeisung aller teilnehmenden Prosumer und reflektiert somit die lokale Angebots- und Nachfragesituation. Zur Bewertung wird dieser einerseits mit der Eigenverbrauchsoptimierung der Prosumer und zum anderen mit der Integration der Prosumer in einen zentralen Spotmarkt verglichen. Dabei zeigt sich, dass die direkte Teilnahme an einem zentralen Spotmarkt unter den unterstellten Rahmenbedingungen finanziell für die untersuchten Prosumern attraktiver wäre als die Teilnahme an einem regionalen Handel oder die Eigenversorgung und auch die systemdienlichste Option zur Flexibilitätsnutzung im Hinblick auf die Integration erneuerbarer Energien darstellt. Die Ergebnisse lassen jedoch auch den Schluss zu, dass die Systemdienlichkeit eines lokalen Prosumermarkt höher einzuschätzen ist als die reine Eigenversorgung.
In allen vier Bausteinen dieser Dissertation wird die Nutzung von nachfrageseitiger Flexibilität untersucht. Insbesondere wird die Wirkung eines Ausgleichs von Stromerzeugung und -nachfrage in dezentralen Energiesystemen analysiert. Anreize hierfür können nicht-monetär sein, wie das Streben nach Autarkie, oder monetär wie die Minimierung der Strombezugskosten. Die Ergebnisse zeigen, dass das technische Flexibilitätspotenzial vorhanden ist, um die Volatilität der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zumindest in Teilen auszugleichen und somit dazu beizutragen, den durch die Energiewende entstehenden Herausforderungen zu begegnen. Die ökonomische Attraktivität eines lokal begrenzten Ausgleichs von Angebot und Nachfrage ist im Vergleich zu einem überregionalen Handel gering. Verglichen mit der heutzutage üblichen Eigenversorgung von Prosumern zeigt sich jedoch auch die Vorteilhaftigkeit dezentraler Anreize im Hinblick auf die Systemintegration erneuerbarer Energien. Insofern kann die Etablierung dezentraler Energiesysteme eine Möglichkeit darstellen, ein flexibles Verhalten nachfrageseitiger Akteure anzureizen.