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Legitimation, Kooptation und Repression in der Volksrepublik China

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Abstract

This article examines the interaction of legitimation, cooptation, and repression in China’s authoritarian consolidation. It shows that the totalitarian regime under Mao Zedong was characterized by a low degree of performance and cooptation and that it had to rely on extreme repression and ideological indoctrination to stay in power. After the death of Mao Zedong, the character of the regime changed markedly. The new elites made sparing use of repression and indoctrination but did not compensate the abdication of coercive and ideological control with increases in the performance or cooptation of powerful social groups. This induced a power vacuum, in which popular discontent against increasing corruption, rising inequality, and high inflation fermented. The student demonstrations of 1989, which quickly spread to include other population groups, were an expression of this discontent. Learning from this crisis, the communist party leadership subsequently initiated reforms to increase regime performance and co-opted an increasing number of social groups. The use of repression remained a last resort option. The central findings of this contribution are that these measures significantly improved the stability of China’s one-party autocracy.
Dr. phil. Chris ti an
Göbel, geb. 1973 in
Würz burg, Juni or pro fes -
sor für Wirt schaft und
Gesell schaft Chi nas am
Insti tut für Sino lo gie der
Uni ver si tät Hei del berg.
Stu di um der Poli tik wis -
sen schaft und Sino lo gie,
2008 Pro mo ti on, 2012
Beru fung zum Juni or pro -
fes sor.
1 Vgl. Mancur Olson, Dictatorship, Democracy, and Development. In : American Politi-
cal Science Review, 87 (1993), S. 567–576.
2 Vgl. Samuel P. Huntington, The Third Wave : Democratization in the Late Twentieth
Century, Norman 1991, S. 50.
Legi ti ma ti on, Koop ta ti on und Repres si on
in der Volks re pub lik Chi na
Chris ti an Göbel
Tota li ta ris mus und Demo kra tie, 9 (2012), 149–168, ISSN 16129008
© Van den ho eck & Rup recht GmbH und Co. KG, Göt tin gen 2012
Abstract
This article examines the interaction of legitimation, cooptation,
and repression in China’s authoritarian consolidation. It shows that
the totalitarian regime under Mao Zedong was characterized by a
low degree of performance and cooptation and that it had to rely on
extreme repression and ideological indoctrination to stay in power.
After the death of Mao Zedong, the character of the regime
changed markedly. The new elites made sparing use of repression
and indoctrination but did not compensate the abdication of coer-
cive and ideological control with increases in the performance or
cooptation of powerful social groups. This induced a power vac-
uum, in which popular discontent against increasing corruption, ris-
ing inequality, and high inflation fermented. The student demon-
strations of 1989, which quickly spread to include other population
groups, were an expression of this discontent. Learning from this
crisis, the communist party leadership subsequently initiated
reforms to increase regime performance and co - opted an increas-
ing number of social groups. The use of repression remained a last
resort option. The central findings of this contribution are that
these measures significantly improved the stability of China’s one -
party autocracy.
I. Ein lei tung
Die Volks re pub lik Chi na for dert wie kein ande rer Staat zent ra le Para dig men der
poli ti schen Öko no mie auto kra ti scher Regime heraus. Weder stell te das als zen -
tral ange se he ne Prob lem der Garan tie von Eigen tums rech ten
1
ein gro ßes Hin -
der nis in der wirt schaft li chen Ent wick lung des Lan des dar, noch scheint sich die
Regie rung selbst nach 30 Jah ren kon ti nu ier li chen Wirt schafts wachs tums in
einem „Per for manz di lem ma“
2
zu befin den.
Dies ist umso erstaun li cher, als vie le Poli tik wis sen schaft ler noch Anfang des
neu en Jahr tau sends den bal di gen Zusam men bruch des Regimes prog nos ti zier -
ten. Chi na schien den Weg vie ler Auto kra ti en zu gehen, die die „Drit te Wel le“
der Demo kra ti sie rung nicht über leb ten : Mit dem Tod Mao Zedongs im Jah re
1976 wich das tota li tä re Regime einem har ten Auto ri ta ris mus, der im Sti le des
„deve lop men tal sta tism“
3
gra du el le wirt schaft li che Libe ra li sie rung mit der res -
trik ti ven Begren zung poli ti scher Par ti zi pa ti on ver band. Die Stu den ten pro tes te
Ende der 1980 er Jah re und die zeit glei che Ein füh rung von Dorf wah len nähr ten
Hoff nun gen auf eine „bot tom - up“ Demo kra ti sie rung,
4
wäh rend die in Quan ti tät
und Gewalt sam keit zuneh men den Demonst ra tio nen der Land be völ ke rung
Anfang der 1990 er Jah re weit hin als die ers ten Sig na le eines bal di gen Kol lap ses
des Ein par tei en re gi mes betrach tet wur den.
5
Auch das Aus ster ben“
6
der leni nis -
ti schen Regime des Ost blocks über stand das Regime unbe scha det.
Wie lässt sich die se schein ba re Kon so li die rung des chi ne si schen Ein par tei en -
re gi mes erklä ren ? Der vor lie gen de Bei trag unter sucht die auto ri tä re Kon -
solidierung der Volks re pub lik Chi na im Hin blick auf das sich ver än dern de
Wechselverhält nis von Legi ti ma ti on, Koop tie rung und Repres si on. Die Ana ly se
kon zent riert sich vor nehm lich auf die Jah re nach 1992, da ab die sem Zeit punkt
der Groß teil der Kapa zi tä ten geschaf fen wur den, die für die heu ti ge Sta bi li tät
des chi ne si schen Ein par tei en re gi mes ver ant wort lich sind. Den noch sol len die se
Ent wick lung in ihrem his to ri schen Kon text ana ly siert wer den, da sich hie raus
sowohl die Ursa chen als auch die Trag wei te der chi ne si schen Refor men ablei ten
las sen.
Wie die Ana ly se zei gen wird, stell te sich die ser Über gang im chi ne si schen Fall
als ein Rück zug des Zent ral staats aus vie len gesell schaft li chen Berei chen dar,
der das Regime vor genau die Heraus for de run gen stell te, denen durch die Refor -
men ab 1992 begeg net wur de. So war das tota li tä re Mao - Regime durch ein
äußerst hohes Maß an Repres si on und ideo lo gi scher Indokt ri nie rung, aber
einen nied ri gen Koop ta ti ons - und Per for manz grad geprägt. Nach dem Tod
Maos nah men der Repres si ons - und der Indokt ri nie rungs grad ab, der Per for -
manz - und Koop ta ti ons grad aber nicht sig ni fi kant zu. So ent stand ein Macht va -
ku um, in dem sich gesell schaft li cher Wider stand gegen die zuneh men de Kor rup -
ti on, anwach sen de Ungleich heit und hohe Infla ti on bil de te. Die ser Wider stand
fand in den Demonst ra tio nen von 1989 sei nen Aus druck, die von Stu den ten ini -
ti iert wur den, sich aber schnell auf ande re Bevöl ke rungs schich ten aus wei te ten.
Durch geziel te Refor men ver bes ser te das Regime in den fol gen den Jah ren die
Per for manz, koop tier te wich ti ge gesell schaft li che Grup pen und behielt den Ein -
satz von Repres si on für den Not fall vor. Die ser Auf satz argu men tiert, dass die se
Maß nah men die Sta bi li tät des Regimes bedeu tend erhöht haben. Eine wei te re
wich ti ge Erkennt nis betrifft die Dimen si on der Repres si on : Obwohl das Regime
150 Aufsätze / Articles
3 Siehe Meredith Woo - Cumings ( Hg.), The Developmental State, Ithaca 1999.
4 Vgl. Gunter Schubert, Village Elections in the PRC. A Trojan Horse of Democracy ? In:
Duisburg Working Papers on East Asian Studies, 19 (2002).
5 Vgl. Gordon G. Chang, The Coming Collapse of China, New York 2001.
6 Kenneth Jowitt, New World Disorder : the Leninist Extinction, Berkeley 1992.
sei nen Macht er hal tung nicht auf Repres si on grün det, wur de der Repres si ons ap -
pa rat den noch kon ti nu ier lich aus ge baut und das Repres si ons in stru men ta ri um
ver fei nert.
II. Legi ti ma ti on, Koop ta ti on und Repres si on unter Mao Zedong
1. Pha se des Auf baus des kom mu nis ti schen Staats
Nach Aus ru fung der Volks re pub lik Chi na am 1. Okto ber 1949 setz te die Kom -
mu nis ti sche Par tei Chi nas ( KPCh ) unter der Füh rung von Mao Zedong den
Staats auf bau fort, den sie in den kom mu nis ti schen Besat zungs ge bie ten („Sow -
jets“ ) und mit Unter stüt zung der Sow jet uni on bereits in den 1930 er Jah re
begon nen hat te.
7
Ein Kenn zei chen die ser Pha se war die Gleich zei tig keit von
Indust ria li sie rung und Auf bau eines leni nis ti schen Regie rungs ap pa ra tes, in dem
Par tei und Regie rung inei nan der ver wo ben waren. Finan ziert durch Steu er ein -
nah men, Schatz brie fe und Spen den stie gen die Regie rungs aus ga ben von rund
sie ben Mil lio nen im Jah re 1950 auf 29 Mil lio nen Yuan nur sie ben Jah re spä ter
an. Wie die Ver tei lung der Haus halts pos ten zeigt, war das Haupt ziel der Poli tik
in die sen Jah ren der wirt schaft li che Auf bau des von Krieg und Bür ger krieg
geschwäch ten Lan des. Wäh rend 1950 60 Pro zent des Haus halts in Ver tei di gung
und Ver wal tung und nur 36 Pro zent in wirt schaft li chen Auf bau und sozi al po li ti -
sche Maß nah men flos sen, kehr ten sich die se Ver hält nis se schon 1952 um.
8
Abso lu te Mili tär aus ga ben blie ben zwi schen 1951 und 1960 kon stant, Ver wal -
tungs aus ga ben stie gen nur lang sam an.
9
Saich urteilt über diese Anfangsphase
folgendermaßen : „[ T ]he achievements by the mid - 1950s were impressive. The
country, with the exception of Taiwan, was unified, the rural revolution comple-
ted, inflation tamed, and solid economic growth achieved.“
10
Die zuneh men de wirt schaft li che Per for manz der jun gen Volks re pub lik schien
zunächst auch von poli ti scher Libe ra li sie rung beglei tet zu wer den. In den Jah ren
1956 und 1957 rief Mao Zedong in einer Rede vor Bevöl ke rung und Par tei mit -
glie dern dazu auf, Kri tik am bis he ri gen Kurs zu üben und Ver bes se rungs vor -
schlä ge zu machen. Nach anfäng li chem Zögern übten zunächst Intel lek tu el le
und spä ter brei te Bevöl ke rungs grup pen hef ti ge Kri tik an Miss stän den wie Kor -
rup ti on und Vor teils nah me durch Par tei ka der, den unde mo kra ti schen Cha rak -
ter des Regimes sowie Feh ler in der Agrar po li tik.
11
Der Vor sit zen de der KPCh,
Göbel, Legitimation, Kooptation und Repression 151
7 Vgl. United States War Department / Lyman P. Van Slyke, The Chinese Communist
Movement : A Report of the United States War Department, July 1945, Stanford 1968.
8 Vgl. Jonathan D. Spence, The Search for Modern China, New York 1990, S. 545.
9 Ebd.
10 Tony Saich, Governance and Politics of China, Basingstoke 2004, S. 25.
11 Vgl. Roderick MacFarquhar, The Origins of the Cultural Revolution, New York 1974.
Mao Zedong, der sich zunächst wie Pre mier Zhou Enlai und Gene ral sek re tär
Deng Xia o ping für eine begrenz te Libe ra li sie rung des Sys tems aus ge spro chen
hat te, unter stütz te darauf hin die Libe ra li sie rungs geg ner, die vom Kom man dan -
ten der Volks be frei ungs ar mee Zhu De sowie Gene ral Peng Dehuai ange führt
wur den.
12
Ab 1958 trat das Regime in eine tota li tä re Pha se ein, die von mas si ver
Indokt ri nie rung, ver rin ger ter Per for manz, mas si ver Repres si on sowie einem
nied ri gen Maß an Koop ta ti on gekenn zeich net war.
2. Sini sie rung des Mar xis mus
Wäh rend der tota li tä ren Pha se der Volks re pub lik grif fen Indokt ri nie rung und
Repres si on inei nan der. Die KPCh grün de te ihre Legi ti ma ti on auf ein ideo lo gi -
sches Kon strukt, das durch ste ti ge Anpas sung („Sini sie rung“ ) in eine Ext rem -
form des Mar xis mus mutier te. Die Vor den ker Maos bedien ten sich hier bei des
dia lek ti schen Mate ria lis mus. Ver ein facht gesagt argu men tier ten sie, dass der
Mar xis mus eine essen ti el le Wahr heit sei, die in ihrer Rein heit nicht erfasst wer -
den kann. Alle vor han de nen Schrif ten sei en nur loka le Adap tio nen. So sei en
Leni nis mus und Sta li nis mus rus si scher, die Schrif ten Maos hin ge gen chi ne si -
scher Mar xis mus. Selbst die Wer ke Marx ver kör per ten nicht sei ne Rein form. Sie
sei en eben deut scher Mar xis mus.
13
Die ser Trick ermög lich te es Mao, in der chi ne si schen Revo lu ti on nicht die
Arbei ter, son dern die Bau ern in den Vor der grund zu stel len, und bil de te die
Basis für einen aus ge präg ten Natio na lis mus, der das Regime bis heu te prägt.
Der Gue ril la krieg ver half der KPCh zur Macht und gab dem Mao is mus eine
stark mili ta ris ti sche Prä gung. Die se Anwen dung des dia lek ti schen Mate ria lis mus
ermög lich te es Mao, sei ne Poli tik sowohl a pos te rio ri durch Anpas sung“ des
Mar xis mus an die chi ne si schen Revo lu ti ons er fah run gen als auch a prio ri durch
Reden und Pro gram me im mar xis ti schen Dik tum zu recht fer ti gen. Mao instru -
men ta li sier te die Ideo lo gie, um die Gesell schaft im Diens te des Fort schritts
Chinas zu mili ta ri sie ren. Zita te wie die Ana lo gie des Chi ne sen als „lee res Blatt
Papier“,
14
das es nach Belie ben zu beschrei ben gel te, sowie die Fest stel lung, dass
Macht aus den Gewehr läu fen kom me,
15
ver deut li chen das gut.
Was die Ras sen ideo lo gie für die Natio nal so zia lis ten war, war die Kraft der
Mas se für Mao. Poli ti sche Indif fe renz akzep tier te das kom mu nis ti sche Regime
nicht. Der Wil le des Indi vi du ums wur de durch stän di ge „strugg le ses si ons“
152 Aufsätze / Articles
12 Vgl. Spence, Search, S. 567–572.
13 Sie he hier zu Stu art R. Schram, The Thought of Mao Tse - Tung, Cam brid ge 1989 und
Mao Zedong, Über die Pra xis : Über den Zusam men hang von Erkennt nis und Pra xis,
von Wis sen und Han deln. In : ders. ( Hg.), Aus ge wähl te Wer ke, Band I, Peking 1968,
S. 347–364.
14 Mao Zedong zitiert nach Schram, Thought, S. 190.
15 Vgl. Mao Zedong, Prob le me des Krie ges und der Stra te gie. In : ders. ( Hg.), Aus ge -
wählte Wer ke, Band II, Peking 1967, S. 255–274.
gebro chen, in denen die Indi vi du en Kri tik und Selbst kri tik übten. Der Ein zel ne
wur de dem Kol lek tiv ver pflich tet. Ein Zitat Maos ver deut licht die se Stra te gie :
Wir wer den jeden, der einen Feh ler gemacht hat, will kom men hei ßen und ihn
von sei ner Krank heit hei len, damit er ein guter Genos se wird, wenn er sei ne
Krank heit nicht ver birgt, um der Behand lung zu ent ge hen, wenn er nicht so
lange auf sei nem Feh ler beharrt, bis er nicht mehr zu kurie ren ist, son dern ehr -
lich und auf rich tig den Wunsch zeigt, sich dem Arzt anzu ver trau en und sich zu
bes sern.“
16
3. Herr schaft durch Ter ror
Die ser „Hei lungs pro zess“ war ten den zi ell mit phy si schen und psy chi schen
Schmer zen ver bun den. Repres si on spiel te wäh rend der Herr schaft Mao
Zedongs eine gro ße Rol le für den Macht er halt der KPCh. Das begann mit den
Boden re for men, in denen „Groß grund be sit zer“ ent eig net und ihr Land unter
den Bau ern ver teilt wur de. Die Ent eig nun gen ver lie fen häu fig gewalt sam, und
vie le Grund be sit zer ver lo ren ihr Leben.
17
Im Zuge der auf die „Hun dert - Blu -
men- Bewe gung“ fol gen den „Kam pag ne gegen Rechts“ (1958) wur den mehr als
300 000 Intel lek tu el le bestraft,
18
und die „Gro ße - Sprung - Hun gers not“ 1959–
1961 kos te te zwi schen 17 und 46 Mil lio nen Men schen das Leben.
19
Wie Felix
Wem heu er jedoch zeigt, han del te es sich hier bei nicht nur um Hun ger to te : Vie le
Men schen wur den auf ihrer Flucht in Städ te oder nah rungs mit tel rei che re Dör -
fer auf Anwei sung loka ler Par tei sek re tä re getö tet.
20
Vor allem in der Par tei füh rung nahm Mao Zedongs Legi ti mi tät in Fol ge die -
ses Desas ters Scha den. Als Reak ti on auf die Hun gers not lei te ten gemä ßig te re
Kräf te in der KPCh wie der um eine Pha se wirt schaft li cher und poli ti scher Libe -
ra li sie rung ein, die aller dings im Jah re 1966 mit dem Beginn der „Kul tur re vo lu -
ti on“ been det wur de. Poli tisch stell te die Kul tur re vo lu ti on einen Putsch Mao
Zedongs und sei ner Anhän ger gegen die reform ori en tier te Frak ti on um Liu
Shao qi dar, der in bür ger kriegs ähn li che Zustän de aus ge wei tet wur de. Mao pro -
pa gier te den Klas sen kampf als Motor der chi ne si schen Ent wick lung. Die ihm
erge be nen „ Roten Gar den“ ter ro ri sier ten die Bevöl ke rung und bekämpf ten sich
schlus send lich gegen sei tig. „Kri tik und Selbst kri tik“ und öffent li che Fol te rung
Göbel, Legitimation, Kooptation und Repression 153
16 Vgl. Mao Zedong, Den Arbeits stil der Par tei ver bes sern. In : ders., Aus ge wähl te Wer ke,
Band III, Peking 1969, S. 35–54.
17 Vgl. William Hinton, Fanshen : a Documentary of Revolution in a Chinese Village, New
York 2008.
18 Vgl. Spence, Search, S. 572.
19 Vgl. Frank Dikötter, Mao’s Great Famine : The History of China’s Most Devastating
Catastrophe, 1958–1962, New York 2010.
20 Vgl. Felix Wem heu er, Stein nu deln : Länd li che Erin ne run gen und staat li che Ver gan gen -
heits be wäl ti gung der „Gro ßen Sprung“ - Hun gers not in der chi ne si schen Pro vinz
Henan, Frank furt a. M. 2007.
dien ten als Mit tel der Gleich schal tung der Bevöl ke rung und der Bekämp fung
der Oppo si ti on. Die beste hen den poli ti schen und recht li chen Struk tu ren wur -
den außer Kraft gesetzt und poli ti sche Eli ten ver folgt. Das Regime stütz te sich
vor allem auf ad hoc ein ge rich te te Revo lu ti ons rä te und die wei ter hin funk tio nie -
ren de Armee.
21
4. Zel lu la ri sie rung der Gesell schaft
Die Insti tu tio na li sie rung eines per ma nen ten Klas sen kamp fes ent sprang der Vor -
stel lung Mao Zedongs, es gebe in einer sozia lis ti schen Gesell schaft immer noch
Klas sen. Ohne den Klas sen kampf, so Mao, könn ten revi sio nis ti sche Ele men te
schnell den Kapi t a lis mus wie der her stel len. Der Klas sen kampf hin ge gen bewah -
re die Vor herr schaft des Pro le ta ri ats. Auf die se Wei se gelang es Mao, der Ruhe -
punkt einer Ent wick lung zu wer den, die sich durch wech seln de Koa li tio nen und,
mit der Aus nah me der Armee, per so nel le Inkon sis tenz aus zeich ne te. Mao
herrsch te also nicht durch Koop ta ti on, son dern durch das gegen sei ti ge Aus spie -
len beste hen der sowie neu geschaf fe ner gesell schaft li cher Grup pen.
5. Per for manz
Mit der Aus nah me der frü hen 1950 er Jah re und der Zeit zwi schen Ende des
Gro ßen Sprungs und Kul tur re vo lu ti on dürf te die Per for manz le gi ti mi tät des
Regimes vor allem auf dem Land nied rig gewe sen sein. Der Ver such der Regie -
rung, ab 1958 rapi des Wirt schafts wachs tum durch die Ver staat li chung von Pri -
vat ei gen tum, die Errich tung von Volks kom mu nen sowie die Eli mi nie rung pri va -
ter Märk te zu schaf fen, schei ter te und mün de te in die erwähn te Hun gers not. In
den Städ ten hin ge gen star ben weni ge Men schen an Hun ger. Es gab for mal kei ne
Arbeits lo sig keit, und alle Städ ter waren in betriebs ei ge ne Sozi al sys te me inte -
griert. Auf der ande ren Sei te lit ten vor allem die Stadt be woh ner unter dem Ter -
ror der Kul tur re vo lu ti on, und die Bil dungs in sti tu tio nen wur den de fac to außer
Kraft gesetzt. Im Nach hi nein ist es schwie rig, das gesell schaft li che Kli ma die ser
Zeit zu bewer ten. Zeit zeu gen be rich te legen nahe, dass die Hal tung der Bevöl ke -
rung zum Regime sowohl auf dem Land als auch in der Stadt vor allem durch die
erwähn te Mischung aus Indokt ri nie rung und Repres si on geformt wur de. Das
Über le ben des Regimes dürf te eher dem Ter ror als der Per for manz geschul det
sein.
154 Aufsätze / Articles
21 Vgl. Roderick MacFarquhar / Michael Schoenhals, Mao’s Last Revolution, Cambridge,
MA 2006; Roderick MacFarquhar, Origins; ders., The Great Leap Forward,
1958–1960, New York 1983; ders., The Coming of the Cataclysm, 1961–1966, Oxford
1997.
III. Rück zug des Staa tes
1. Unkon trol lier tes Wachs tum und stei gen de Ungleich heit
Ab Anfang der 1970 er Jah re, vor allem aber nach dem Tod Maos 1976, begann
eine Ver schie bung der Para me ter. Seit der Zer schla gung der „ Roten Gar den“
durch die Armee und der gleich zei ti gen Annä he rung Chi nas an die Ver ei nig ten
Staa ten zog sich der Staat zuneh mend aus der Regu lie rung gesell schaft li chen
Lebens zurück. Gleich zei tig bil de te sich ein Macht va ku um, in dem Repres si on
und Indokt ri na ti on im Ver gleich zur Mao - Ära stark ver min der te Anwen dung
fan den. Das Leben der Bevöl ke rung wur de vor allem durch die Zwän ge eines
ent fes sel ten Kapi ta lis mus struk tu riert.
Die in die ser Aus ga be von Tota li ta ris mus und Demo kra tie“ behan del te Fra -
ge der Para me ter des Regi meer halts von Ideo kra ti en beruht impli zit auf einer
zent ral staat li chen Regime kon zep ti on oder zumin dest auf einer Kon zep ti on, in
der Zent ral - und Lokal re gie ru ng gemein sa me Stra te gien ver fol gen. Die Erfah -
run gen Chi nas in der nun bespro che nen Pha se sind so schwer zu erfas sen. Zwar
gab es kei ne schwer wie gen den Kon flik te zwi schen den Regie rungs ebe nen, doch
die Ent wick lun gen zu die ser Zeit wur den dezent ral bestimmt. Das weit ver brei -
te te Bild von Legi ti mi tät durch Per for manz in die ser Zeit eines sprung haft
anstei gen den Wirt schafts wachs tums muss also hin ter fragt wer den.
22
Tat säch lich
wuchs die Wirt schaft in die ser Zeit dezent ral und unkon trol liert. Zwei Indi zi en
bele gen die se Sicht wei se : das Ver hält nis von ( zent ra len ) Staats un ter neh men
und ( loka len ) Kol lek tiv un ter neh men sowie das Ver hält nis von Wachs tum und
Infla ti on.
Wie Schau bild 1 zeigt, nahm der Anteil der chi ne si schen Staats un ter neh men
am Brut to so zi al pro dukt ab Mit te der 1980 er Jah re ab, wäh rend der Anteil länd -
li cher und pri va ter kol lek ti ver Unter neh men bei na he im sel ben Maße zunahm.
Die Anzahl der for mal sich im Besitz der Dorf - und Gemein de re gie rung befind -
li chen Kol lek tiv un ter neh men ver viel fach te sich von weni ger als drei Mil lio nen
im Jah re 1983 auf bei na he 25 Mil lio nen nur 10 Jah re spä ter. Im sel ben Zeit raum
stieg die Anzahl der Beschäf tig ten von rund 30 Mil lio nen auf bei na he 150 Mil lio -
nen die Kol lek tiv un ter neh men absor bier ten somit rund ein Drit tel der länd -
lichen Bevöl ke rung im arbeits fä hi gen Alter. Die se Ent wick lung wur de dezent ral
ange sto ßen und von der Zent ral re gie rung gedul det, aber kei nes wegs koor di niert
oder gar kon trol liert. Dies wird ersicht lich in der Betrach tung des zwei ten Indi -
zes ( Schau bild 2).
Göbel, Legitimation, Kooptation und Repression 155
22 Vgl. zur Frage der Output - Legitimität von Autokratien den Beitrag von Manfred G.
Schmidt in diesem Heft.
156 Aufsätze / Articles
Bild 1 : Anteil von ver schie de nen Eigen tums for men an der Indust rie produk ti on
(1978–2009, in Pro zent )
Quel le : National Bureau of Statistics, Zhongguo Tongji Nianjian 1983–2010 ( China Statis-
tical Yearbook ), Beijing 1983–2010.
Bild 2 : Wach tums - und Infla ti ons ra ten, 1980–2010
Quel le : World Bank, World Development Indicators and Global Development Finance
(2011).
Das Wachs tum der chi ne si schen Wirt schaft ver lief zwi schen 1980 und 1993
nicht nur äußerst ungleich mä ßig, son dern ging zudem mit eben so ungleich mä ßi -
gen Infla ti ons ra ten ein her. Wachs tum und Infla ti on ver lie fen zeit ver zö gert : Die
Über hit zung der chi ne si schen Wirt schaft durch unkon trol lier te Güter pro duk ti -
on in Chi nas Dör fern und Gemein den führ te zur Ange bots in fla ti on, wor auf hin
die chi ne si sche Zent ral bank durch Ver rin ge rung der Geld - und Kre dit men ge das
Inves ti ti ons vo lu men senk te. Die Infla ti on konn te so zwar unter Kon trol le
gebracht wer den, jedoch nur zum Preis einer kon trak tie ren den Wirt schaft. Die
von der Lokal ebe ne aus ge hen de und von der Zent ra le gedul de te, aber kaum
regu lier te wirt schaft li che Libe ra li sie rung erhöh te die für eine rele van te gesell -
schaft li che Min der heit ( Kader und Unter neh mer ) wich ti ge Per for manz le gi ti mi -
tät der Regie rung, begüns tig te aber gleich zei tig Kor rup ti on, Fak tio na lis mus und
stei gen de Ungleich heit.
23
Der Gini - Koef fi zi ent, ein Maß für Ein kom mens -
ungleich heit, stieg rasant von 0,3 im Jah re 1978 auf 0,42 im Jah re 1994.
24
Inner -
halb von weni ger als zwei Jahr zehn ten ver schob sich die Ein kom mens ver tei lung
vom Niveau der Nie der lan de auf das von Kenia. Der Rück zug des Staa tes kann
schließ lich auch an der sin ken den Staats quo te gemes sen wer den 1978 betrug sie
noch 40 Pro zent, bis 1994 fiel sie auf weni ger als 15 Pro zent.
25
Die Unzu frie -
den heit der Bevöl ke rung mit der Per for manz der Regie rung ent lud sich in
Studen ten pro tes ten in vie len Städ ten Chi nas, die sich auf ande re Bevöl ke rungs -
schich ten aus wei te ten und 1989 durch die Regie rung gewalt sam nie der ge schla -
gen wur den.
26
2. Bil dung kli en te lis ti scher Netz wer ke
Im Hin blick auf Koop tie rung ergibt sich ein ähn li ches Bild. Wäh rend Macht -
und Rich tungs kämp fe in Fol ge des Todes Mao Zedongs und Zhou Enlais im
Jahre 1976 die poli ti sche Agen da der Zent ral re gie rung bestimm ten, tra ten die
Lokal re gie run gen bereits in eine Pha se der „Öko no mi sie rung der Poli tik“
27
ein :
Mit der Über nah me der ehe ma li gen Bri ga de - und Kom mu nen un ter neh men
durch die Dorf - und Gemein de re gie rung ver schwam men die Unter schie de zwi -
schen Poli ti kern und Unter neh mern. Zudem begüns tig te die Frei set zung von
güns ti gen Kre di ten durch die Zent ral - und Pro vinz re gie run gen die For mie rung
Göbel, Legitimation, Kooptation und Repression 157
23 Vgl. Joseph Fewsmith, China Since Tiananmen : The Politics of Transition, Cambridge
2001.
24 Vgl. Jiandong Chen u. a., The Trend of the Gini Coefficient of China, BWPI Working
Paper, 109 (2010), S. 20.
25 Eige ne Berech nung nach National Bureau of Statistics, Zhongguo Tongji Nianjian
2010 ( China Statistical Yearbook 2010), Beijing 2010.
26 Vgl. Fewsmith, China.
27 Tho mas Heber er, Das poli ti sche Sys tem der VR Chi na im Pro zess des Wan dels. In :
ders./ Clau dia Derichs ( Hg.), Ein füh rung in die poli ti schen Sys te me Ost asi ens, Wies -
baden 2008, S. 41–45.
von kli en te lis ti schen Ver tei lungs koa li tio nen, die Poli ti ker und Unter neh mer der
Zent ral - und Lokal ebe nen umfass te, aber den über wie gen den Teil der Bevöl ke -
rung aus schlos sen, wie der rasch anstei gen de Gini - Koef fi zi ent ver deut licht.
3. Ideo lo gi sches Vaku um und selek ti ve Repres si on
Die Pha se von 1976 bis 1989 war auch hin sicht lich der Anwen dung von Gewalt
und der Bereit stel lung ver pflich ten der Deu tungs mus ter von einem Rück zug des
Staa tes geprägt. Der Wirt schafts po li ti ker Chen Yun, der Deng Xia o ping in der
Anfangs pha se der Wirt schafts li be ra li sie rung unter stüt ze, präg te die bekann te
Meta pher von der „Über que rung des Flus ses durch Ertas ten der Stei ne“. Die
Refor men selbst wur den ex post fac to ideo lo gisch legi ti miert die Par tei theo re -
ti ker ver or te ten Chi na im „Pri mär sta di um des Sozia lis mus.“ Da Chi na die im
his to ri schen Mate ria lis mus vor ge se he ne Stu fe der Demo kra tie qua si über sprun -
gen hat te, muss te das nor ma ler wei se im Kapi ta lis mus erreich te Ent wick lungs -
niveau im Sozia lis mus erreicht wer den. Eben so wur de die Anwen dung repres si -
ver Mit tel stark redu ziert. Bei spiels wei se ging die Regie rung gegen die seit 1987
von Intel lek tu el len öffent lich geäu ßer ten Demo kra tie för de run gen genau so
wenig vor wie gegen die in der Pro vinz Anhu i schwe len den Stu den ten pro tes te.
Dies änder te sich erst, als sich eine brei te gesell schaft li che Koa li ti on aus Stu -
den ten, Intel lek tu el len, Arbei tern und ande ren gesell schaft li chen Grup pen auf
dem Platz des Himm li schen Frie dens ver sam mel te und Refor men ein for der te.
Zu die sem Zeit punkt ähnel te Chi na den Moder ni sie rungs dik ta tu ren in Latein -
ame ri ka, in denen eine erstar ken de Gesell schaft die Legi ti mi tät eines schwa chen
Zent ral staats in Fra ge stell te.
28
Die chi ne si sche Füh rung rea gier te darauf zu -
nächst mit Repres si on.
29
IV. Kon so li die rung
1. Sozi al sys te me und öko no mi sche Trans for ma ti on
Nach der erfolg rei chen Nie der schla gung der Pro tes te setz te eine Pha se all mäh -
licher Kon so li die rung ein, die kei ner der von Hun ting ton klas si fi zier ten Reak tio -
nen auf gesell schaft li chen Wider stand ent spricht. Die Kon so li die rung fand ihren
Aus druck in einer Erhö hung der Regi me per for manz, ver mehr ter Koop ta ti on,
158 Aufsätze / Articles
28 Vgl. Huntington, Third Wave, S. 55.
29 Dies ist eine der fünf von Hun ting ton for mu lier ten Hand lungs op tio nen : 1) Ver drän -
gung, 2) Repres si on, 3) außen po li ti sche Aggres si vi tät, 4) Pseu do de mo kra ti sie rung,
5) Demo kra ti sie rung. Vgl. ebd., S. 55–58.
selek ti ver Repres si on bei gleich zei ti ger Stei ge rung der Repres si ons ka pa zi tä ten
und ver stärk ter ideo lo gi scher Durch drin gung.
Als Reak ti on auf die Unru hen 1989 bemüh te sich die Regie rung sys te ma tisch
um die Ver bes se rung staat li cher Per for manz. Die Ergeb nis se die ser Bemü hun -
gen las sen sich zunächst wie der um aus den Daten zu Wachs tum und Staats quo -
te ermes sen. Kor re lier ten ungleich mä ßi ges Wachs tum und sprung haf te Infla ti on
zwi schen 1980 und 1994 noch mit ei nan der, so waren die Wachs tums ra ten ab
1995 nicht mehr so hef ti gen Schwan kun gen wie zuvor unter wor fen. Die Infla -
tions ra te wur de zwi schen 1994 und 1997 von bei na he 25 Pro zent auf ca. zwei
Pro zent redu ziert, im Zuge der Asi en kri se rutsch te Chi na gar in die Defla ti on.
Seit her über stieg die Infla ti ons ra te nur 2008 und 2011 fünf Pro zent. Eben so
wur de die Staats quo te von weni ger als 15 Pro zent 1997 auf über 20 Pro zent
2010 gestei gert und der Anteil der Zent ral re gie rung an den Steu er ein nah men
stieg von ca. 13 Pro zent auf über 50 Pro zent.
30
Dies sig na li siert eine pro ak ti ve re
und zuneh mend durch die Zent ral re gie rung gesteu er te Geld - und Fis kal po li tik.
Drei wei te re Indi ka to ren bele gen eine stark erhöh te Per for manz der Zent ral -
re gie rung.
Göbel, Legitimation, Kooptation und Repression 159
30 Eige ne Berech nun gen nach Chi na Sta tis ti cal Year book, 2010.
Bild 3 : Mit glie der in den Sozi al ver si che run gen, 1989–2009 ( in 10 000)
Quel le : National Bureau of Statistics, Zhongguo Tongji Nianjian 2010 ( China Statistical
Yearbook ), Beijing 2010.
Ers tens wur de die Abga ben last der Bau ern ab 1999 stark redu ziert,
31
und die
Bereit stel lung von Sozi al leis tun gen wie Arbeits lo sen ver si che rung, Ren te, Kran -
ken ver si che rung und Sozi al hil fe wur de von der Stadt - auf die Land be völ ke rung
aus ge dehnt.
32
Die ver bes ser te Absi che rung der Bevöl ke rung gegen Lebens ri si -
ken lässt sich aus Schau bild 3 ermes sen.
Seit Anfang des Jahr tau sends wur den die Deckungs ra ten der chi ne si schen
Sozi al ver si che run gen stark erhöht. So rea gier te die chi ne si sche Regie rung auf
die Tat sa che, dass Krank heit die Haupt ur sa che von Armut in Chi na war ( und
noch immer ist ), indem sie die Kran ken ver si che rung auf die bis her unver si cher -
te Land be völ ke rung aus dehn te. Rund ein Drit tel aller Chi ne sen sind inzwi schen
kran ken ver si chert. Bis 2020 sol len alle Chi ne sen in das Kran ken ver si che rungs -
sys tem integ riert wer den. Auch die Ren ten - , Arbeits lo sen - und Arbeits un fall ver -
si che run gen wer den all mäh lich aus ge dehnt. Das 2011 ver ab schie de te Sozi al ver -
si che rungs ge setz schreibt zudem die Integ ra ti on von Wan der ar bei tern in die
Sozi al sys te me vor. Auch die Sozi al hil fe wur de von den Städ ten in den länd li chen
Raum über tra gen : Wäh rend 2005 etwa 20 Mil lio nen Land be woh ner nur tem po -
rä re Hil fe erhiel ten, wur de 2009 an 50 Mil lio nen Land be woh ner die bes ser
gere gel te Sozi al hil fe aus ge zahlt.
33
Die Leis tun gen der Sozi al sys te me sind deut -
lich weni ger umfang reich als in Deutsch land und lei den zudem noch unter
Imple men tie rungs prob le men. Den noch ist eine star ke Ver bes se rung der sozia -
len Absi che rung der chi ne si schen Bevöl ke rung fest zu stel len.
Ein zwei ter Indi ka tor ist die gra du el le Ent wick lung Chi nas zur Wis sen sö ko -
no mie.“ Da Chi na sei nen kom pa ra ti ven Kos ten vor teil in der Pro duk ti on ein -
facher Güter ver liert und die Bevöl ke rung stark unter den öko lo gi schen Kon -
sequen zen die ses Pro duk ti ons mo dells lei det, zielt die Wirt schafts po li tik der
Regie rung seit Anfang der 2 000 er auf die Erhö hung eige ner Inno va ti ons ka pa zi -
tä ten und auf gestei ger te Wert schöp fung abzie len de Pro duk ti ons pro zes se. Aus -
druck fin den die se Bemü hun gen in den Aus ga ben für For schung und Ent wick -
lung, die von ca. 0,6 Pro zent des BSP 1997 auf 1,7 Pro zent im Jah re 2009
ange stie gen sind.
34
Ein drit ter Indi ka tor ist die Reak ti on der Regie rung auf die Welt fi nanz kri se,
die auf Grund des Abzugs aus län di schen Kapi tals und sin ken der Export nach -
frage zunächst zu Mas sen ent las sun gen führ te. Durch die gleich zei ti ge Erhö hung
der Geld men ge und die Ver ab schie dung eines „Sti mu lus pa ke tes“ in Höhe von
rund 400 Mil li ar den Euro konn ten die zu erwar ten den nega ti ven Fol gen bis her
160 Aufsätze / Articles
31 Vgl. Christian Göbel, The Politics of Rural Reform in China : State Policy and Village
Predicament in the Early 2000s, Abingdon 2010.
32 Vgl. Chak Kwan Chan u. a., Social Policy in China : Development and Well - being,
Bristol 2008.
33 Vgl. China Statistical Yearbook, 2010.
34 Vgl. China Science and Technology Indicators Research Association, Science and
Technology Statistics of China (1998–2010), Beijing 2011.
abge fe dert und der Bin nen markt gestärkt wer den.
35
Auch wenn zum Zeit punkt
des Ver fas sens die ses Auf sat zes ( Janu ar 2012) noch nicht abge schätzt wer den
kann, wie nach hal tig die se Inves ti tio nen waren und ob Chi na sei ne „har te Lan -
dung“ nur ver tagt hat, kann jedoch fest ge stellt wer den, dass sich die chi ne si sche
Regie run gen den Heraus for de run gen der Finanz kri se gestellt und die se
zunächst über wun den hat.
2. Von der Arbei ter - zur Mas sen par tei
Defi niert man Koop tie rung in einer Auto kra tie nicht nur als Integ ra ti on einer
Per son oder Per so nen grup pe in eine kli en te lis ti sche Ver tei lungs koa li ti on, son -
dern bezieht auch Ele men te von Kopro duk ti on mit ein, so las sen sich auch in
die sem Punkt gro ße Unter schie de zu den bei den bis her bespro che nen Pha sen
fest stel len. Kopro duk ti on bedeu tet hier bei, dass Bür ger an der Erbrin gung bei -
spiels wei se von staat li chen Dienst leis tun gen direkt betei ligt wer den. Pater na lis -
mus wird so durch Par ti zi pa ti on ersetzt, der Staat hier durch ent las tet. Ein sol -
ches „empo wer ment“ kann Legi ti mi tät erzeu gen, gera de weil der Staat nicht alle
sozia len Ange le gen hei ten hie rar chisch regelt.
Seit Mit te der 1980 er Jah re, aber ver stärkt seit Ende der 1990 er Jah re zielt
die Regie rung darauf, loka le Gemein schaf ten, die dem Moder ni sie rungs pro zess
zum Opfer gefal len sind, zu reak ti vie ren oder gänz lich neu zu schaf fen. In den
Dör fern wur de die all täg li che Ver wal tung an semi - demo kra tisch gewähl te Dorf -
ko mi tees dele giert, die aller dings kei ne Gesetz ge bungs kom pe ten zen erhiel ten.
Die Aus prä gung der Wah len und ihr Wett be werbs grad unter lie gen gro ßer
Varianz. Sehr vie le loka le Berich te legen die Schluss fol ge rung nahe, dass die
über geord ne ten Ebe nen sowohl auf die Kan di da ten se lek ti on als auch auf das
Wahlergeb nis Ein fluss neh men und bei Miss trau ens vo ten inter ve nie ren. Nichts -
des to we ni ger wur de ihre Imple men tie rung bestän dig aus ge wei tet. Dadurch wur -
den die Wah len, wie O’Bri en und Li zei gen, ein wich ti ges Instru ment länd li cher
Inte res sen grup pen, um ihre Rech te gegen über kor rup ten oder unfä hi gen
Kadern ein zu for dern.
36
Auf die se Wei se wer den Chi nas Bau ern teil wei se in das
Regime integ riert und als Kon troll in stanz gegen loka le Kor rup ti on instru men ta -
li siert.
37
In den städ ti schen Nach bar schafts vier teln wur den eben falls Maß nah men
ergrif fen, die die loka le Bevöl ke rung zur Selbst ver wal tung anre gen und den
Göbel, Legitimation, Kooptation und Repression 161
35 Vgl. Ligang Liu, Impact of the Global Financial Crisis on China : Empirical Evidence
and Policy Implications. In : China & World Economy, 17 (2009) 6, S. 1–23.
36 Vgl. Kevin J. O’Brien / Lianjiang Li, Rightful Resistance in Rural China, Cambridge
2006.
37 Vgl. Richard Baum / Alexei Shevchenko, The „State of the State“. In : Merle Goldman /
Roderick MacFarquhar ( Hg.), The Paradox of China’s Post - Mao Reforms, Cambridge
1999, S. 333–360.
Staat ent las ten hel fen sol len. So wur den Auf ga ben wie die Bear bei tung von
Sozial hil fe an trä gen, die Aus zah lung von Sozi al hil fe, das Ange bot von Frei zeit -
akti vi tä ten für älte re Mit bür ger sowie die Integ ra ti on von Arbeits lo sen auf die
Nach bar schafts ebe ne über tra gen. Wie die se Bei spie le zei gen, zie len die se Refor -
men auf die Ver wal tung und Kon trol le pre kä rer Bevöl ke rungs schich ten. Der
Ober - und Mit tel schicht zuge hö ri ge Stadt be woh ner wis sen wenig über die Nach -
bar schafts ko mi tees, da sie sel ten mit ihnen in Kon takt kom men. Ihre Inte res sen
162 Aufsätze / Articles
38 Vgl. Thomas Heberer / Christian Göbel, The Politics of Community Building in Urban
China, Abingdon 2011, Kapitel 7.
Bild 4 : Regist rier te „zivil ge sell schaft li che“ Orga ni sa tio nen, 2001–2008
Quel le : National Bureau of Statistics, Zhongguo Tongji Nianjian 2010 ( China Statistical
Yearbook ), Beijing 2010.
wer den von auto no me ren und mäch ti ge ren Orga ni sa tio nen reprä sen tiert, wie
bei spiels wei se Haus ei gen tü mer ko mi tees oder funk tio na le Ver bän de.
38
Die Instru men ta li sie rung gesell schaft li cher Kräf te für staat li che Zwe cke ist
auch im Nicht re gie rungs sek tor zu beobach ten. Die Anzahl regist rier ter sozia ler
und Non - Pro fit - Orga ni sa tio nen wur de zwi schen 2001 und 2008 ver dop pelt, wie
Schau bild 4 ver deut licht.
Gegen wär tig exis tie ren bei na he 400 000 regist rier te sozia le und Non - Pro fit -
Orga ni sa tio nen. Rele vant in Schau bild 4 ist nicht nur der Anstieg „zivil ge sell -
schaft li cher“ Orga ni sa tio nen, son dern auch des sen Gleich mä ßig keit. Die se
Gleich mä ßig keit liegt in der Kon trol le begrün det, die das Minis te ri um für Zivil -
ver wal tung durch sehr umfang rei che Regist rie rungs vor schrif ten über Zusam -
men set zung und Wachs tum des Drit ten Sek tors aus übt. Die Mehr heit die ser
Orga ni sa tio nen ist in unpo li ti schen Fel dern wie sozia le Wohl fahrt und Umwelt -
schutz tätig. Regie run gen auf allen admi nist ra ti ven Ebe nen unter stüt zen sol che
Orga ni sa tio nen und inkor po rie ren sie gege be nen falls sogar in das Geflecht an
Mas sen or ga ni sa tio nen, die an die KPCh ange bun den sind.
39
Orga ni sa tio nen mit
poli ti schen Zie len hin ge gen haben es schwer sich als staat lich aner kann te Orga -
ni sa ti on zu regist rie ren und sind oft staat li cher Repres si on aus ge setzt.
Auch durch Rechts in sti tu tio nen wird die Bevöl ke rung in das Regime inte -
griert. Wie Schau bild 4 zeigt, stieg bei spiels wei se die Anzahl ver wal tungs ge richt -
li cher Kla gen im Kon so li die rungs zeit raum stark an. Betrug die Anzahl sol cher
Kla gen 1989 weni ger als 10 000, so klag ten 2008 bereits über 100 000 Men -
schen gegen Ver wal tungs ent schei dun gen.
40
Die se Zunah me ver deut licht, dass
eine stei gen de Anzahl von Men schen bereit ist, Kon flik te mit dem Staat in durch
den sel ben Staat bereit ge stell ten Insti tu tio nen aus zu tra gen. Dies setzt ein gewis -
ses und nicht immer gerecht fer tig tes Ver trau en in die se Insti tu tio nen und
damit in den Staat selbst voraus. Ähn lich kann auch das zuneh men de Vor drin -
gen des Staats ap pa rats in Wirt schaft und Gesell schaft als Koop tie rung inter pre -
tiert wer den. Durch die Ver re ge lung des Wirt schafts le bens und die Bereit stel -
lung von Sozi al leis tun gen gerie ten öko no mi sche Akteu re wie Pri vat per so nen
zuneh mend in die Abhän gig keit des sich all mäh lich refor mie ren den Staats - und
Ver wal tungs ap pa rats.
Ein „klas si sches“ Bei spiel für die zuneh men de Koop tie rung rele van ter gesell -
schaft li cher Grup pen stellt sicher lich das Ver hält nis des Regimes zum Pri vat un -
ter neh mer tum dar. Wäh rend die ses unter Mao noch ver bo ten war, erkann te die
Par tei 2003 Pri vat un ter neh mer offi zi ell als „Pro duk tiv kraft“ an. Nicht nur wei -
te te sie ihren Reprä sen ta ti ons an spruch hier mit nun auch auf die vor her
bekämpf te Bour geoi sie aus, son dern ermög lich te es Unter neh mern zudem, in
die Par tei ein zu tre ten.
41
Die ohne hin schon exis tie ren de enge Ver bin dung zwi -
schen Poli tik und Kapi tal wur de hier mit ideo lo gisch zemen tiert. Ins ge samt
belegt die sich ändern de Mit glie der struk tur der KPCh hin zu zuneh mend jün ge -
ren, bes ser aus ge bil de ten und nun auch bes ser ver die nen den Mit glie dern die
Stra te gie der Par tei, ver mehrt gesell schaft li che Eli ten zu koop tie ren und somit
nicht nur ihre Regie rungs fä hig keit zu stei gern, son dern auch besag te Per so nen
auf die Linie der Par tei zu ver pflich ten.
Göbel, Legitimation, Kooptation und Repression 163
39 Vgl. Thomas Heberer, China : Creating Civil Society Structures Top - down ? In : Bruno
Jobert / Beate Kohler - Koch ( Hg.), Changing Images of Civil Society : From Protest to
Governance, Abingdon 2008, S. 87–104.
40 Vgl. China Statistical Yearbook 2010.
41 Vgl. John W. Lewis / Xue Litai, Social Change and Political Reform in China : Meeting
the Challenge of Success. In : The China Quarterly, 43 (2003) 176, S. 926–942.
3. Selek ti ve Repres si on
In der Ana ly se der Rol le von Repres si on für die Regi meer hal tung muss eine
wich ti ge Unter schei dung zwi schen tat säch li cher Repres si on und dem Auf bau
von Repres si ons ka pa zi tä ten getrof fen wer den. Wäh rend ers te re nach 1989 nicht
sig ni fi kant zunahm und vor allem selek tiv aus ge übt wur de, der Erhalt des chi ne -
si schen Ein par tei sys tems also nicht auf die Aus übung von Repres si on zurück ge -
führt wer den kann, nah men die Repres si ons ka pa zi tä ten der Regie rung jedoch
ste tig zu.
Die Tat sa che, dass die chi ne si sche Regie rung in der Erhal tung des Regimes
vor allem auf Koop ta ti on und Legi ti ma ti on setzt, bedeu tet natür lich nicht, dass
Repres si on kei ne Rol le mehr spielt. So zei gen die effek ti ve Nie der schla gung von
Mas sen pro tes ten in Tibet ( so zuletzt 2008), Xin ji ang (2009) und der Inne ren
Mon go lei (2011) sowie die Ver haf tung von Anwäl ten, kri ti schen Intel lek tu el len
und Künst lern im Vor feld wich ti ger poli ti scher Ereig nis se wie der Olym pia de
2008 oder dem Füh rungs wech sel 2012, dass die chi ne si sche Regie rung den
selek ti ven Ein satz von Repres si on immer noch als pro ba tes Mit tel der Wah rung
innen po li ti scher Sta bi li tät sieht. Obgleich die Sta bi li tät des Regimes nicht auf
Repres si on beruht, erhöht und ver fei nert das Regime sei ne Repres si ons ka pa zi -
tä ten ste tig.
Die Zunah me von Repres si ons ka pa zi tä ten drückt sich in vier Ent wick lun gen
aus : Die ers te Ent wick lung ist der ste ti ge Anstieg der Regie rungs aus ga ben für
öffent li che Sicher heit. Wand ten chi ne si sche Lokal re gie run gen 1988 nur etwas
mehr als zwei Pro zent ihres Haus halts für öffent li che Sicher heit auf, lag die ser
Pro zent satz im Jahr 2009 schon bei 6,4 Pro zent. Es ist jedoch wich tig fest zu stel -
len, dass die Aus ga ben der ein zel nen Pro vin zen stark von die sem Durch schnitt
abwei chen. So wen de te Gan su 2009 4,62 Pro zent sei nes Haus halts für öffent -
liche Sicher heit auf, wäh rend Guang dong sich in die sem Jahr bereits der Mar ke
von zehn Pro zent näher te.
42
Die zwei te Ent wick lung ist die Dezent ra li sie rung der Sicher heits or ga ne. Ein
wenig beach te tes Doku ment des Zent ral ko mi tees der KPCh im Jah re 2003 ver -
füg te unter ande rem, dass Qua li tät und Quan ti tät der unters ten Sicher heits or -
gane, der Poli zei un ter sta tio nen ( pai chus uo ), auf der Dorf - und Nach bar schafts -
ebe ne zu erhö hen sei en. Quan ti ta tiv drückt sich das in einem Anstieg der Anzahl
von Poli zei sub sta tio nen von 37 978 (1990) auf 52 000 (2004) und von Bereit -
schafts po li zis ten ( wujing ) von 680 000 (1978) auf 1,43 Mil lio nen (2004) aus.
Somit wird ein Teil der stei gen den Sicher heits aus ga ben in Per so nal - , Bau - und
Reno vie rungs kos ten inves tiert.
43
Ein wei te rer Teil der Aus ga ben, und das ist die
Grund la ge für den drit ten und vier ten Trend, fließt in die Moder ni sie rung des
öffent li chen Sicher heits ap pa rats.
164 Aufsätze / Articles
42 Eige ne Berech nun gen nach Chi na Sta tis ti cal Year book, 2010.
43 Vgl. Zhong gu o Faxu e hu i, Zhong gu o falü nian ji an ( Jahr buch der Geset ze von Chi na ),
Bei jing 1980–2005.
Die drit te Ent wick lung ist die Zent ra li sie rung von sicher heits re le van ten Infor -
ma tio nen. Sie ergänzt qua si die Dezent ra li sie rung der Sicher heits or ga ne.
Genau e Zah len lie gen nicht vor. Regie rungs do ku men te und Berich te legen
jedoch nahe, dass die Zent ral re gie rung in die Errich tung von Daten ban ken inve-
s tiert, die durch loka le Sicher heits be hör den „gefüt tert“ wer den und deren
Zugang fle xi bel und je nach Not wen dig keit gere gelt wer den kann. Die Ver bes -
serung des „Mana ge ment der Gesell schaft“ ( she hu i gu an li ) ist ein Ele ment im
12. Fünf jah res plan und sieht unter ande rem Inves ti tio nen in sta tis ti sche Ana ly -
se ver fah ren vor, mit deren Hil fe Risi ken iden ti fi ziert und „Kata stro phen“ ( hie -
run ter fal len auch Mas sen pro tes te ) ver hin dert wer den sol len.
44
In einer Rede
zur Zukunft des Mana ge ments der Gesell schaft wies Prä si dent Hu Jin tao darauf
hin, dass die Regie rung eine Daten bank erstellt, die per sön li che Daten eines
jeden chi ne si schen Bür gers ent hal ten wird.
45
Auf Basis sol cher Daten ban ken
und ver bes ser ter Kom mu ni ka ti on zwi schen Sicher heits or ga nen soll die Fähig -
keit zu „ rapid respon se“ ( ying ji ) sys te ma tisch ver bes sert wer den.
Die vier te Ent wick lung ist die Füt te rung die ser Daten ban ken mit Hil fe von
tech no lo gie ba sier ten Über wa chungs in stru men ten. In einem Bericht zum „Gol -
den Shield“ der chi ne si schen Regie rung, der „adop ti on of advan ced infor ma ti on
and com mu ni ca ti on tech no lo gy to streng then cen tral poli ce con trol, respon si ve -
ness, and cri me com ba ting capa ci ty“
46
, zeig te Greg Wal ton, dass die chi ne si sche
Regie rung moder ne Tele kom mu ni ka ti ons tech no lo gi en nicht nur zur Kon trol le
und Zen sur des Inter nets ein zu set zen gedenkt. Vielmehr, so Walton, erschaffe
die Regierung ein veritables Panoptikum : „Beijing’s Golden Shield surveillance
network is intended to be able to ‚see,‘ to ‚hear,‘ and to ‚think.‘“
47
Ähn lich wie
Fil ter tech no lo gi en zur Über wa chung des Inter nets ermög licht „ speech sig nal
pro ces sing“ die auto ma ti sche Über wa chung von Tele fon ge sprä chen. Bestimm te
Wor te und Phra sen kön nen so indi vi du el len Nut zern zuge ord net wer den.
Öffent li che Sicher heits ka me ras die nen nicht nur der Ver kehrs über wa chung, der
Ver hin de rung von Ver bre chen und der früh zei ti gen War nung vor Demonst ra tio -
nen, son dern kön nen auch zur Gesichts er ken nung genutzt wer den. Ein dich tes
Netz an Kame ras könn te es den Sicher heits be hör den bei spiels wei se ermög li -
chen die Bewe gun gen von Dis si den ten nach zu ver fol gen. Die Infra struk tur hier -
für ist vor han den, denn Chi na ver fügt über das welt weit größ te Netz an öffent -
lichen Sicher heits ka me ras.
Göbel, Legitimation, Kooptation und Repression 165
44 Vgl. Sta te Coun cil of the Peo ple’ s Repub lic of Chi na, Guo jia zhong chang qi kexu e he
jis hu faz han gui hua gan gy ao (2006–2020) ( Pla nungs leit li ni en für Chi nas mit tel - und
lang fris ti ge Tech no lo gie ent wick lung (2006–2020); Natio nal Deve lop ment and
Reform Com mis si on, Zhon ghua ren min gon ghe gu o guo min jing ji he she hu i faz han di
shier ge wu nian gui hua gan gy ao (2011–2015) (12. Fünf jah res leit li ni en für die öko no -
mi sche und sozia le Ent wick lung der Volks re pub lik Chi na (2011–2015), Bei jing 2010.
45 Vgl. Hu Jintao. In : Renmin Ribao, 20. Februar 2011, S. 1.
46 Greg Walton, China’s Golden Shield : Corporations and the Development of Surveil-
lance Technology in the People’s Republic of China, Montreal 2001, S. 6.
47 Ebd., S. 15.
Ein wei te res Bei spiel für den prä ven ti ven Ein satz von Sicher heits tech no lo gi en
bie tet die For schung der in Shenz hen ansäs si gen Fir ma Chi na Infor ma ti on Tech -
no lo gies. Auf ihrer eng lisch spra chi gen Web sei te stellt das im Nas daq gelis te te
Unter neh men einen Per so nal aus weis für Mig ran ten vor, den sie gera de ent wi -
ckelt.
48
Die ser Aus weis soll nicht nur eine gro ße Band brei te per sön li cher Infor -
ma tio nen ent hal ten, son dern zudem mit einem fern ab frag ba ren RFID - Chip aus -
ge stat tet sein. Unter Zuhil fe nah me von GPS und Geo gra phi cal Infor ma ti on
Sys tems ( GIS ) könn te die se Tech no lo gie die Über wa chung von Wan der ar bei -
tern auf digi ta len Umge bungs kar ten in Echt zeit ermög li chen. So könn ten
Zusam men bal lun gen von Wan der ar bei tern früh zei tig erkannt und mit Hil fe
lokal ansäs si ger Sicher heits kräf te ver hin dert wer den. Nicht durch Zufall zäh len
vor allem die Sicher heits be hör den rei cher süd chi ne si sche Städ te zu den Kun den
des Unter neh mens. Hie raus erklärt sich auch die abso lu te und rela ti ve Höhe des
Sicher heits haus halts von Städ ten wie Kan ton, Shenz hen, Shang hai und Bei -
jing.
49
Es ist kei nes wegs so, dass die geschil der ten Inno va tio nen gleich zei tig über all
Anwen dung fin den. Die loka le Sicher heits ar chi tek tur vari iert stark, da der
Sicher heits haus halt dezent ra li siert ist und vie ler orts von den Ein nah men der
Lokal re gie run gen abhängt. Wäh rend rei che Gebie te, in denen sozia le Mobi li tät
und der Zuzug von Mig ran ten zur gesell schaft li chen Ano ny mi sie rung geführt
hat vor allem auf Hoch tech no lo gie basier te Über wa chungs sys te me kom mis sio -
nie ren, set zen ärme re Städ te, in denen „tra di tio nel le“ Nach bar schaf ten zumin -
dest teil wei se erhal ten geblie ben sind, eher auf sozia le Tech no lo gi en wie gegen -
sei ti ge Kon trol le, frei wil li ge Infor man ten und Selbst dis zip lin.
50
4. Kul tur und Indokt ri nie rung
Wie Anne - Marie Bra dy zeigt, stell te das Jahr 1989 einen Wen de punkt nicht nur
im Hin blick auf die Per for manz stra te gie der Regie rung dar. Auch das Pro pa gan da-
sys tem der chi ne si schen Regie rung stand im Zent rum der Reform be mü hun gen.
Die Ver nach läs si gung der Pro pa gan da ar beit in den frü hen 1980 er Jah ren begüns-
tig te nach Ansicht kon ser va ti ver Eli ten die Ver brei tung der Demo kra tie ide en,
mit denen die Stu den ten Ende der 1980 er Jah re ihre Pro tes te recht fer tig ten.
51
Bra dy zitiert Deng Xia o ping bei einem Tref fen der Mit glie der des Stän di gen
Aus schus ses des Polit bü ros kurz nach den Pro tes ten mit fol gen der Aus sa ge :
„[O] ur gra vest fai lure has been in [ poli ti cal ] edu ca ti on. We did not provide
enough education to young people, including students. For many of those who
166 Aufsätze / Articles
48 Vgl. http ://www.chinacnit.com / en / detail.php ?ar ticle_id=908 ( 16. 1.2012).
49 Vgl. http ://www.chinacnit.com / cn / page.php ?column_id=286 ( 16. 1.2012).
50 Vgl. Heberer / Göbel, Politics.
51 Vgl. Anne - Marie Brady, Marketing Dictatorship : Propaganda and Thought Work in
Contemporary China, Lanham 2008, S. 41.
participated in the demonstrations and hunger strikes it will take years, not just
a couple of months, of education to change their thinking.“
52
In den fol gen den Jah ren schränk te die Regie rung daher die Frei heit der
Medien wei ter ein und leg te einen Schwer punkt in der Pro pa gan da ar beit auf die
Gestal tung über zeu gen de rer Nar ra ti ve. Zunächst äußer te sich das in der oben
bespro che nen Modi fi ka ti on mar xis ti scher Ide en, um die Ver bin dung von Sozia -
lis mus und Markt wirt schaft ideo lo gisch zu recht fer ti gen.
53
Eben so rea gier te die
Pro pa gan da ab tei lung auf die Tat sa che, dass die rasche Ver brei tung des Inter nets
in Chi na ihr Deu tungs mo no pol für gesell schaft li che, wirt schaft li che und poli -
tische Ent wick lun gen gefähr de te. Medi en or ga ne wur den des halb ange wie sen,
über nega ti ve Vor komm nis se so lan ge nicht zu berich ten, wie sie nicht im Inter -
net dis ku tiert wur den. Zeich ne te sich jedoch ab, dass die Ver hin de rung der
Verbrei tung sol cher Vor fäl le nicht mög lich war, soll ten die se in den offi zi el len
Medien nicht län ger unter drückt, son dern nach Vor ga ben der Pro pa gan da ab tei -
lung berich tet wer den.
54
Nar ra ti ve sol len also nicht sta tisch sein, son dern an die Lebens welt und Prä -
feren zen bestimm ter Bevöl ke rungs grup pen ange passt wer den. So zeigt Heike
Holbig, wie das Regime sei nen Legi ti mi täts an spruch von der Pro pa gie rung
abstrak ter Men ta li tä ten hin zur popu lis ti sche ren Fest le gung kurz - und mit tel fris -
ti ger Ent wick lungs zie le ver scho ben hat, an denen sie sich mes sen las sen will.
55
Soll ten die se Zie le erreicht wer den, kann sich die Regie rung die Ver ant wor tung
dafür loben. Soll ten sie jedoch nicht erreicht wer den, kann die Unfä hig keit der
unter ge ord ne ten Ebe nen geta delt wer den. In der Pro pa gan da ar beit geht es
jedoch nicht nur darum, durch Bereit stel lung über zeu gen der Inhal te Zustim -
mung zu erzeu gen. Hin zu kommt das all ge mei ne re Ziel, der Bevöl ke rung sys -
tem sta bi li sie ren de Wer te und Nor men zu ver mit teln. Ein Bei spiel sind für Auto -
kra ti en sen sib le The men wie Men schen rech te und Demo kra tie. Hier stellt der
Pro pa gan da ap pa rat „west li chen“ bzw. „indi vi dua lis ti schen“ Les ar ten eige ne
Model le ent ge gen, die ihre Basis in kol lek ti vis ti schen Wer ten haben. Hier bei
wird die Exis tenz eines eige nen Ent wick lungs mo dells her vor ge ho ben, das in der
Tra di ti on der „5 000 - jäh ri gen Geschich te“ des Lan des ste he und die Gemein -
schaft vor das Indi vi du um stel le.
56
Wor te wie Demo kra tie, Frei heit und Par ti zi pa ti on sind in Chi na, anders als in
ande ren Auto kra ti en, im öffent li chen Dis kurs nicht tabu. Aller dings ent spricht
Göbel, Legitimation, Kooptation und Repression 167
52 Ebd., S. 45.
53 Vgl. ebd., S. 48 f.
54 Vgl. K. A. In : Nei bu tong xun, (2003) 18, S. 4–6; K. A., In : Nei bu tong xun, (2003) 12,
S. 4–9.
55 Vgl. Heike Holbig, Ideological Reform and Political Legitimacy in China : Challenges in
the Post - Jiang Era. In : Thomas Heberer / Gunter Schuber t ( Hg.), Institutional Change
and Political Continuity in Contemporary China, London 2008, S. 13–34.
56 Vgl. State Council Information Office, Building of Political Democracy in China, Bei-
jing 2005.
die Bedeu tung die ser Wor te in Chi na nicht den west li chen, libe ral de mo kra ti -
schen Kon zep ten. „Demo kra tie“ bei spiels wei se ist kein Wert an sich, son dern
benennt einen par ti zi pa ti ven Mecha nis mus, mit dem auch nicht de mo kra ti sche
Zie le erreicht wer den kön nen.
57
Es ist daher kein Zufall, dass Kon zep te, die der
auto kra ti schen Regie rungs form der VR Chi na dia met ral ent ge gen zu ste hen
schei nen, im chi ne si schen Dis kurs oft Ver wen dung fin den. Durch die Bele gung
nor ma ti ver Kon zep te mit alter na ti ven, regime kom pa tib len Inhal ten wer den die
nega ti ven Aus wir kun gen gemil dert, wenn die se Kon zep te als dis kur si ve Waf fen
gegen den auto kra ti schen Cha rak ter des Regimes ein ge setzt wer den. Argu men -
tie ren die Gesprächs part ner bei spiels wei se auf der Basis unter schied li cher
Demo kra tie be grif fe, ist eine Dis kus si on über den demo kra ti schen Cha rak ter
Chi nas schwie rig. Ein sol ches Gespräch ver schiebt sich dann leicht zur Fra ge,
wer die Deu tungs ho heit für sol che Begrif fe besitzt und ob nicht die „chi ne si -
sche“ Form der Demo kra tie der „west li chen“ gleich be rech tigt zur Sei te gestellt
wer den müsse. Wird dies ver neint, ist es leicht dem west li chen Gesprächs part -
ner zu unter stel len, dass er die Tole ranz ver mis sen las se, die doch ein Bestand -
teil der Demo kra tie sein sol le.
58
Vor allem seit 2008 wur de die Pro pa gan da ar beit noch mals inten si viert. In
einer Rede im Juni beton te Prä si dent Hu Jin tao die Not wen dig keit, nicht nur an
der Ver bes se rung von Pro pa gan da in hal ten, son dern auch an der Ver mitt lung
regime kon for men Ein stel lun gen zu arbei ten.
59
Es ist daher kein Zufall, dass die
„ Reform des Kul tur sys tems“ im Zent rum des sechs ten Ple nums des 17. Zent ral -
ko mi tees ( ZK ) stand, das im Okto ber 2011 abge hal ten wur de und die poli ti sche
Rich tung für den im Herbst 2012 kon sti tu ier ten 18. ZK vor gab.
60
In sei ner Rede
von 2008 beton te Hu, dass die chi ne si sche Bevöl ke rung einen stei gen den Bedarf
nach unter schied li chen und qua li ta tiv hoch wer ti gen Infor ma tio nen ent wi cke le
und die Par tei auf die se Ansprü che rea gie ren müsse. Der Medi en - und Kul tur -
sek tor soll te ein attrak ti ves Kul tur ge bot bereit stel len, gleich zei tig soll ten Erzie -
hungs - und Pro pa gan da sys tem die öffent li che Mei nung „steu ern“. Auf die se Wei -
se könn ten Kon sum an spruch und - ange bot in einer Wei se zusam men fin den, die
nicht die Kon trol le der Par tei unter mi nie re.
61
Kon kret ver füg te das Doku ment
unter ande rem, dass der Anteil der chi ne si schen Kul tur in dust rie am Brut to -
168 Aufsätze / Articles
57 Vgl. Yu Keping / Yan Jian, Min zhu shi ge hao dong xi : Yu Keping fang tan lu ( Demo -
kra tie ist eine gute Sache : Dia log mit Pro fes sor Yu Keping ), Bei jing 2006.
58 Sie he z. B. Yu Keping, Rang minz hu zao fu Zhong gu o ( Demo kra tie Chi na zum Vor teil
gerei chen las sen. Ein Dia log mit Pro fes sor Yu Keping ), Bei jing 2008, S. 56.
59 Vgl. Hu Jin tao, In : Ren min Ribao, 23 (2008) Janu ar, S. 1.
60 Vgl. Zhong gong Zhon gy ang gua ny u shen hua wen hua tiz hi gai ge tui dong she huiz huy i
wen hua dafaz han daf an rong ruo gan zhong da wen ti de jue ding ( Ent schei dung des
Zent ral ko mi tees der Kom mu nis ti schen Par tei Chi nas zu eini gen wich ti gen Fra gen
betref fend der Ver tie fung der Reform des Kul tur sys tems und des Auf baus hoch ent wi -
ckel ter und blü hen der sozia lis ti scher Kul tur ), Bei jing, 2011.
61 Vgl. Hu Jintao, Meeting.
sozial pro dukt inner halb von fünf Jah ren von 2,75 (2011) auf fünf Pro zent erhöht
wer den sol le.
62
Empi ri sche Unter su chun gen legen nahe, dass der ar ti ge Maß nah men durch -
aus sys tem sta bi li sie rend wir ken. Unter schied li che Umfra gen, darun ter auch der
World Values Sur vey, zei gen dass mehr als 70 Pro zent der Bevöl ke rung Ver trau -
en in die Poli tik der KPCh haben, wobei sich die se Unter stüt zung auf die Zen -
tral re gie rung bezieht.
63
John James Ken ne dy belegt, dass das Erzie hungs sys tem
und die Medi en tat säch lich für die For mie rung sol cher Ein stel lun gen ver ant -
wort lich sind. Er wen det das McGu i re - expo su re - accep tan ce - Modell auf den
World Values Sur vey an und belegt die mit Bil dungs grad und Medi en kon sum
zuneh men de Wahr schein lich keit, dass eine Per son das Regime unter stützt. Er
legt jedoch auch die Gren zen die ser Stra te gie dar : Das Unter stüt zungs ni veau
nimmt bei Grup pen wie der ab, die das Gym na si um und höhe re Bil dungs zie le
erreicht haben.
V. Zusam men fas sung und Aus wer tung
Die Kon so li die rung des chi ne si schen Ein par tei en re gi mes ging mit einem sich
ver än dern den Ver hält nis von Legi ti ma ti on, Koop ta ti on und Repres si on ein her.
Wäh rend das tota li tä re Mao - Regime sich in sei nem Macht er halt vor allem auf
eine auf ei nan der abge stimm te Mischung aus Repres si on und Indokt ri nie rung
stütz te, fan den die se bei den Instru men te nach dem Tod Mao Zedongs stark ver -
min dert Anwen dung. Die Tat sa che, dass das ent ste hen de Macht va ku um
zunächst nicht durch Per for manz le gi ti mi tät oder ver mehr te Koop tie rung aus ge -
füllt wur de, gab gesell schaft li chem Wider stand gegen das Regime Raum.
Auf den mas si ven gesell schaft li chen Wider stand rea gier te das Regime mit der
gleich zei ti gen Stär kung aller vier Säu len. Die Per for manz des Regimes wur de
vor allem durch die Aus wei tung und Ver tie fung des Sozi al ver si che rungs sys tems
sowie poli ti scher und wirt schaft li cher Refor men ver bes sert. Gleich zei tig inves -
tier te das Regime in die Ver bes se rung des Pro pa gan da ap pa rats, um eine ideo lo -
gi sche Grund la ge für die Aus wei tung des chi ne si schen Reform pro zes ses zu
schaf fen und Zustim mung für die KPCh zu erzeu gen. In die se Zeit fiel auch die
Stra te gie, eine wach sen de Anzahl gesell schaft li cher Grup pen zu koop tie ren.
Aller dings han del te es sich hier bei eher um Koop tie rung durch Kopro duk ti on
als durch Ein bet tung in kli en te lis ti sche Ver tei lungs netz wer ke. Trotz der brei ten
Zustim mung, die die Zent ral re gie rung auf Grund die ser Maß nah men in der
Göbel, Legitimation, Kooptation und Repression 169
62 Vgl. Ent schei dung des Zent ral ko mi tees der Kom mu nis ti schen Par tei Chi nas zu eini gen
wich ti gen Fra gen betref fend der Ver tie fung der Reform des Kul tur sys tems.
63 Vgl. John James Kennedy, Maintaining Political Support for the Chinese Communist
Party : The Influence of Education and the State - controlled Media. In : Political Studies,
57 (2009), S. 517–536, hier 517.
Bevöl ke rung erhielt, ver zich te te sie nicht auf den Ein satz von Repres si on. So
wur de der Über wa chungs - und Kon troll ap pa rat ste tig aus ge baut.
Für den Fall Chi na kann gezeigt wer den, dass drei der in der Ein lei tung zu
die ser Son der aus ga be for mu lier ten Hypo the sen auf den chi ne si schen Fall zutref -
fen : Die Erzeu gung sys te ma ti scher Legi ti mi tät ver hin der te bis her Per for manz di -
lem ma ta. Der Rück gang har ter und offe ner Repres si on ging mit erwei ter ten
Koop ta ti ons be mü hun gen ein her. Wei ter hin kor re lier ten Legi ti ma ti ons - und
Koop ta ti ons de fi zi te im Mao - Regime tat säch lich mit hoher Repres si on.
Aller dings ist unklar, ob es sich hier bei um Kau sa li tä ten han delt. Gera de das
Mao - Regime stütz te sei ne Herr schaft durch wegs auf Repres si on, sogar als die
Legi ti mi tät des Regimes noch hoch zu sein schien. Aller dings waren nicht immer
alle gesell schaft li chen Grup pen in glei chem Maße Opfer der Repres si on zuerst
waren es Land be sit zer, spä ter Intel lek tu el le und schließ lich alle der „Kon ter -
revo lu ti on“ Ver däch tig ten. Als die Repres si on schließ lich abnahm, wur de die se
Säu le zunächst nicht durch eine ande re ersetzt. Das Regime ver harr te meh re re
Jah re in einem Macht va ku um, das zunächst durch gesell schaft li che Kräf te aus ge -
füllt wur de. Die Koop tie rungs be mü hun gen des Regimes folg ten viel spä ter.
Die ver wand te The se, dass Paru sie ver zö ge rung und nega ti ve Per for manz zu
ver stärk ten Koop ta ti ons be mü hun gen führ ten, kann für das Mao - Regime nicht
bestä tigt wer den, und danach stell te sich das Prob lem nicht mehr. Die The se,
dass Legi ti ma ti ons de fi zi te bei guter Per for manz durch geziel te Koop tie rung
kom pen siert wür den, trifft eben falls nicht zu, denn die Koop tie rungs be mü hun -
gen der Regi mee li ten rich te ten sich sys te ma tisch und unab hän gig von Legi ti ma -
ti ons de fi zi ten auf alle Bevöl ke rungs grup pen. Die Poli tik der Regie rung bevor -
zugt nicht mehr nur Bau ern und Arbei ter, son dern rich tet sich auf die
Ver bes se rung der Lebens be din gun gen auch von Intel lek tu el len, Kapi ta lis ten,
Kul tur schaf fen den und dem Pre ka ri at.
Zumin dest für den chi ne si schen Fall zeigt sich, dass die Aus sa gen des Säu len -
mo dells und der pos tu lier ten Aus gleichs pro zes se nur begrenzt zutref fen. Dies
liegt nicht nur an der Ent wick lung der Auto kra tie in Chi na, in der ein tota li tä res
Sys tem durch ein Macht va ku um abge löst wur de, was schließ lich durch Auf bau
aller Säu len wie der aus ge füllt wur de. Das Bei spiel Chi na zeigt eben so, dass das
Modell auf ein Mehr ebe nen sys tem, in dem loka le Akteu re zwar zur Sta bi li täts -
wah rung bei tra gen, dabei aber die Macht der Zent ral re gie rung unter mi nie ren,
nur begrenzt anwend bar ist.
170 Aufsätze / Articles
Article
Full-text available
Literature on public opinion in China suggests that public support for the Chinese Communist party (CCP) is quite high. No matter how survey questions regarding regime support are phrased, the results are the same. The obvious question arises: how does an authoritarian regime, such as the PRC, garner the support of the vast majority of its citizens? I argue that the exposure-acceptance model best explains the high level of public support in China. This model suggests that educated citizens, who are politically aware, display high levels of political support within an authoritarian regime, but citizens at the highest levels of education are more resistant to political messages and tend to have lower levels of support. However, in a developing country such as China there are unequal educational opportunities for rural and urban citizens. This has a significant influence on how education affects regime support. Despite lower levels of support among the most educated citizens, the CCP still manages to maintain a high level of popular support through strict control over the media and education system.
Chapter
Two issues have to be clarified to answer the question whether in China elements of a civil society are evolving (1) How to define “civil society?” and (2) What are preconditions for the emergence of a civil society under the conditions of an authoritarian entity?
Article
As a Socialist country undergoing rapid social and economic transition, China presents a revealing case study on the role of ideology in the process of institutional change. Based on Douglass North’s theory of institutional change and on David Beetham’s theory of political legitimation, this paper argues that recent ideological reforms have been a crucial factor in sustaining the legitimacy of Communist party rule. Ideological change is conceived as a path-dependent process which helps to stabilize the social perception of transition and to frame the party’s modernization achievements. At the same time, the dominant role of ideology makes the Chinese party-state, despite its economic success, more vulnerable to legitimacy crises compared to other authoritarian regimes.
The Thought of Mao Tse -Tung, Cam brid ge 1989 und Mao Zedong, Über die Pra xis : Über den Zusam men hang von Erkennt nis und Pra xis, von Wis sen und Han deln
  • R Sie He Hier Zu Stu Art
  • Schram
Sie he hier zu Stu art R. Schram, The Thought of Mao Tse -Tung, Cam brid ge 1989 und Mao Zedong, Über die Pra xis : Über den Zusam men hang von Erkennt nis und Pra xis, von Wis sen und Han deln. In : ders. ( Hg.), Aus ge wähl te Wer ke, Band I, Peking 1968, S. 347-364.
Prob le me des Krie ges und der Stra te gie
  • Mao Vgl
  • Zedong
Vgl. Mao Zedong, Prob le me des Krie ges und der Stra te gie. In : ders. ( Hg.), Aus gewählte Wer ke, Band II, Peking 1967, S. 255-274.
Den Arbeits stil der Par tei ver bes sern
  • Mao Vgl
  • Zedong
Vgl. Mao Zedong, Den Arbeits stil der Par tei ver bes sern. In : ders., Aus ge wähl te Wer ke, Band III, Peking 1969, S. 35-54.
Mao's Great Famine : The History of China's Most Devastating Catastrophe
  • Frank Vgl
  • Dikötter
Vgl. Frank Dikötter, Mao's Great Famine : The History of China's Most Devastating Catastrophe, 1958-1962, New York 2010.